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BMF, Schreiben (koordinierter Ländererlass) IV D 2 – S-7200 / 07 / 10022:001 vom 05.11.2013

BMF, Schreiben (koordinierter Ländererlass) IV D 2 – S-7200 / 07 / 10022:001 vom 05.11.2013

Im Groß- und Einzelhandel werden für die Belieferung mit Waren Transportbehältnisse (sog. Transporthilfsmittel, auch Lademittel und Packmittel genannt, und Warenumschließungen) aller Art eingesetzt. Die Überlassung der Behältnisse erfolgt entweder gegen ein gesondert vereinbartes Pfandgeld oder im Rahmen reiner Tauschsysteme.

I. Überlassung von Transportbehältnissen gegen ein gesondert vereinbartes Pfandgeld

1. Abgrenzung Transporthilfsmittel zu Warenumschließungen
Bei der Hingabe eines Transportbehältnisses gegen ein gesondert vereinbartes Pfandgeld ist für die umsatzsteuerrechtliche Behandlung zu unterscheiden, ob es sich bei dem Behältnis um ein (selbständiges) Transporthilfsmittel oder lediglich um eine Warenumschließung handelt.
Transporthilfsmittel dienen grundsätzlich der Vereinfachung des Warentransports und der Lagerung und werden u. U. auch im Einzelhandel zur Warenpräsentation genutzt. Transport-hilfsmittel sind z. B. Getränke-Paletten, H1-Kunststoffpaletten, Kisten (z. B. Ernteboxen), Steigen und Container für Blumen, Obst und Gemüse, Rollcontainer, Fleischkästen, Fisch-transportkisten, Shipper-Boxen für Kartoffeln und Zwiebeln, Quattro-Boxen etc. Diesen Transporthilfsmitteln ist gemeinsam, dass sie für logistische Aktivitäten innerhalb des Unter-
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nehmens, aber auch beim Durchlaufen von Handelsstufen, an denen mehrere Unternehmer beteiligt sind (Hersteller – Großhändler – Einzelhändler), eingesetzt werden. Sie werden grundsätzlich nicht an den Endverbraucher geliefert.
Im Gegensatz hierzu liegen lediglich Warenumschließungen vor, wenn aufgrund der Eigenart einer Ware eine bestimmte Umschließung erforderlich ist, um diese für den Endverbraucher verkaufs- und absatzfähig zu machen. Hierbei handelt es sich überwiegend um innere und äußere Behältnisse, Aufmachungen, Umhüllungen und Unterlagen, welche für die Lieferbar-keit von Waren an den Endverbraucher notwendig (z. B. Flaschen) oder üblich (z. B. Geträn-kekasten) sind oder unabhängig von ihrer Verwendung als Verpackung keinen dauernden selbständigen Gebrauchswert haben. Ob der Gebrauchswert geringfügig ist oder nicht, ist ohne Bedeutung.
2. Art der Leistungen
Die Hingabe des Transporthilfsmittels gegen Pfandgeld ist als eigenständige Lieferung und die Rückgabe gegen Rückzahlung des Pfandgeldes als Rücklieferung zu beurteilen. Die Hin- und Rücklieferung unterliegen dem Regelsteuersatz nach § 12 Absatz 1 UStG.
Warenumschließungen teilen im Gegensatz hierzu weiterhin stets das Schicksal der Haupt-leistung und unterliegen somit den steuerlichen Regelungen der eigentlichen Hauptleistung. Bei Rücknahme der Warenumschließung und Rückzahlung des Pfandgeldes liegt eine Ent-geltminderung vor. Die Grundsätze des Abschnitts 10.1 Absatz 8 UStAE sind zu beachten.
Die umsatzsteuerrechtliche Behandlung der Hin- und Rückgabe des Transportbehältnisses als eigenständige Lieferungen (Transporthilfsmittel) oder als unselbständige Nebenleistungen (Warenumschließung) hat auf allen Handelsstufen (Pfandbetreiber – Hersteller – Großhändler – Einzelhändler) einheitlich zu erfolgen. Eine spätere Umqualifizierung in der Lieferkette findet nicht statt. Erfolgt die Überlassung des Transporthilfsmittels hingegen im Rahmen eines reinen Tauschsystems, sind die unter II. dargestellten Grundsätze zu beachten.
3. Vorsteuerabzug
Dem Unternehmer steht unter den weiteren Voraussetzungen des § 15 UStG aus der Liefe-rung des Transporthilfsmittels oder aus der Lieferung der Ware unter Verwendung einer Warenumschließung an ihn der Vorsteuerabzug zu. Dementsprechend besteht aus der Rück-gabe des Transporthilfsmittels ein Recht auf Vorsteuerabzug für den Empfänger der Rück-lieferung. Bei Rückgabe der Warenumschließung gegen Rückzahlung des Pfandgeldes ist der Vorsteuerabzug aus der ursprünglichen Warenlieferung an den Unternehmer nach § 17 Absatz 1 Satz 2 UStG entsprechend zu berichtigen.
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4. Anwendung der Durchschnittssatzbesteuerung nach § 24 UStG
Im Anwendungsbereich der Durchschnittssatzbesteuerung nach § 24 UStG unterliegen die Lieferungen von Transporthilfsmitteln grundsätzlich der Regelbesteuerung (vgl. I. Nr. 2). Derartige Lieferungen können jedoch aus Vereinfachungsgründen wie die Umsätze mit Gegenständen des land- und forstwirtschaftlichen Unternehmensvermögens (z. B. gebrauchter landwirtschaftlicher Geräte) der Durchschnittssatzbesteuerung unterliegen, wenn die Trans-porthilfsmittel zu mindestens 95 % für Umsätze verwendet worden sind, die den Vorsteuer-abzug nach § 24 Absatz 1 Satz 4 UStG ausschließen (vgl. Abschnitt 24.2 Absatz 6 Satz 3 UStAE). Auch die gesonderte Anwendung der Vereinfachungsregelung nach Abschnitt 24.6 UStAE ist möglich.
II. Überlassung von Transporthilfsmitteln im Rahmen reiner Tauschsysteme
1. Allgemeines/Sachverhalt
Neben der Hingabe von Transporthilfsmitteln gegen ein gesondertes Pfandgeld werden in Unternehmen für den Transport und das Lagern von Gütern vielfach (genormte und qualitäts-gesicherte) Paletten (insbesondere die sog. „Euro-Flachpaletten und „Euro-Gitterboxpaletten) und andere Transporthilfsmittel im Rahmen reiner Tauschsysteme verwendet. Kennzeichnend für diese Tauschsysteme ist, dass der Versender/Verlader die von ihm beladenen Paletten dem Empfänger überlässt und von diesem andere Paletten gleicher Art und Güte zurückerhält.
2. Art der Leistungen
Nach herrschender Meinung liegt dem Palettentausch zivilrechtlich ein Sachdarlehensvertrag nach § 607 BGB zugrunde. Umsatzsteuerrechtlich stellt die Gewährung eines Sachdarlehens keine Lieferung und Rücklieferung, sondern eine sonstige Leistung dar, die in der Nutzungs-überlassung des Sachwertes vom Darlehensgeber an den Darlehensnehmer besteht (vgl. BFH-Urteil vom 14. Juli 1966, V 16/64, BStBl III S. 615). Erhebt der Darlehensgeber für die Nut-zungsüberlassung ein Entgelt, ist der Vorgang grundsätzlich steuerbar und regelmäßig auch steuerpflichtig. Gleiches gilt, wenn ein Entgelt für die Palettenabwicklung (sog. „Handling“), z. B. eine Palettentauschgebühr, in Rechnung gestellt wird. Sofern der Palettentausch zwischen Versender, Verlader und Empfänger im Rahmen von Palettentauschsystemen unentgeltlich erfolgt, ist die darin liegende Nutzungsüberlassung nicht nach § 1 Absatz 1 Nummer 1 UStG steuerbar. Es liegt in diesen Fällen auch keine unentgeltliche Wertabgabe im Sinne des § 3 Absatz 9a UStG vor, weil die Nutzungsüberlassung aus unternehmerischen Gründen erfolgt.
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3. Vorsteuerabzug
Werden die Paletten dem Darlehensnehmer im Rahmen des Sachdarlehensverhältnisses ent-geltlich im Leistungsaustausch nach § 1 Absatz 1 Nummer 1 UStG zur Nutzung überlassen, steht dem leistenden Unternehmer unter den weiteren Voraussetzungen des § 15 UStG der Vorsteuerabzug aus der Anschaffung, Herstellung und Reparatur der Paletten zu.
Werden die Paletten im Rahmen des Sachdarlehensverhältnisses hingegen unentgeltlich überlassen, ist für den Vorsteuerabzug des leistenden Unternehmers dessen unternehmerische Gesamttätigkeit entscheidend (Abschnitt 15.15 Absatz 1 Satz 2 UStAE i. V. m. BMF-Schrei-ben vom 2. Januar 2012, BStBl I S. 60).
4. Leistungsstörung
Kommt der Darlehensnehmer seiner vertraglichen Verpflichtung zur Rückgabe von Paletten gleicher Art, Güte und Menge nicht nach (§ 607 BGB), weil z. B. Paletten durch Diebstahl, nicht mehr reparierbaren Defekt oder aus anderen Gründen aus dem Tauschsystem ausge-schieden sind, ist er nach den §§ 280 ff. BGB gegenüber dem Darlehensgeber zum Ersatz des hierdurch entstandenen Schadens verpflichtet. Zahlungen in Erfüllung dieser Verpflichtung sind kein Entgelt für eine steuerbare Leistung des geschädigten Darlehensgebers, sondern echter Schadensersatz. Das gilt auch für den Ausgleich von Palettenkonten, auf denen der jeweilige Saldo zwischen erhaltenen und zurückgewährten Paletten auf Basis von Aufzeich-nungen ermittelt und in Geld ausgeglichen wird.
Hiervon abzugrenzen sind jedoch Sachverhalte, bei denen kein Fall einer Leistungsstörung vorliegt. So ist auch weiterhin von einem Leistungsaustauschverhältnis auszugehen, wenn der Darlehensgeber im Nachhinein auf eine Rückgabe gegen Ausgleichzahlung im gegenseitigen Einvernehmen verzichtet. Der Charakter eines Sachdarlehens bleibt grundsätzlich hiervon unberührt. Vielmehr schließt sich der Darlehensgewährung die entgeltliche Palettenlieferung an den (ursprünglichen) Darlehensnehmer an.
5. Reparatur-Tausch-Programm
Werden defekte Paletten gegen reparierte und damit einsatz- und tauschfähige Paletten ein-getauscht, liegt ein umsatzsteuerrechtlicher Leistungsaustausch in Form eines Tausches nach § 3 Absatz 12 Satz 1 UStG vor. Dies gilt auch dann, wenn Leistung und Gegenleistung zu unterschiedlichen Zeitpunkten erbracht werden.
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B e i s p i e l:
Unternehmer U übergibt dem Reparaturbetrieb am 15. Dezember 01 sechs defekte Paletten (Lieferung 1). U bekommt am 5. Januar 02 vom Reparaturbetrieb zwei repa-rierte Paletten zurück (Lieferung 2).
Es liegt ein Tauschgeschäft im Sinne des § 3 Absatz 12 Satz 1 UStG vor, bei dem der Wert jedes Umsatzes als Entgelt für den anderen Umsatz gilt (§ 10 Absatz 2 Satz 2 UStG). Der Wert des anderen Umsatzes wird durch den subjektiven Wert für die tat-sächlich erhaltene und in Geld ausdrückbare Gegenleistung bestimmt (Abschnitt 10.5 Absatz 1 UStAE). Dieser Wert kann aus Vereinfachungsgründen für beide Lieferun-gen mit dem gemeinen Wert der reparierten Paletten geschätzt werden. Berechnen beide Unternehmer ihre Steuer nach vereinbarten Entgelten, entsteht die Steuer für beide Lieferungen grundsätzlich mit Ablauf des Voranmeldungszeitraums, in dem die Lieferung jeweils ausgeführt wird (§ 13 Absatz 1 Nummer 1 Buchstabe a Satz 1 UStG). Im Rahmen des Tauschgeschäftes gilt jedoch Lieferung 1 als Anzahlung für Lieferung 2 im Sinne des § 13 Absatz 1 Nummer 1 Buchstabe a Satz 4 UStG, so dass die Steuer für beide Lieferungen mit Ablauf des 31. Dezember 01 entsteht.
Die unter II. dargestellten Grundsätze sind auch in vergleichbaren Fällen bei der Verwendung anderer Transporthilfsmittel im Rahmen reiner Tauschsysteme anzuwenden.
III. Änderung des Umsatzsteuer-Anwendungserlasses
Unter Bezugnahme auf das Ergebnis der Erörterungen mit den obersten Finanzbehörden der Länder wird der Umsatzsteuer-Anwendungserlass vom 1. Oktober 2010 (BStBl. I S. 846), der zuletzt durch das BMF-Schreiben vom 31. Oktober 2013 – IV D 3 – S 7168/12/10004 (2013/0980435), BStBl I S. XXXX, geändert worden ist, wie folgt geändert:
1. Abschnitt 1.3 wird wie folgt geändert:
a) Absatz 9 wird wie folgt gefasst:
„(9) Weitere Einzelfälle des echten Schadensersatzes sind:
1. die Entschädigung der Zeugen (vgl. Absatz 15) und der ehrenamtlichen Richter nach dem JVEG;
2. Stornogebühren bei Reiseleistungen (vgl. Abschnitt 25.1 Abs. 14);
3. Zahlungen zum Ersatz des entstandenen Schadens bei Leistungsstörungen in Transporthilfsmittel-Tauschsystemen (z.B. Euro-Flachpaletten und Euro-Gitterboxpaletten; vgl. BMF-Schreiben vom XX. XX. 2013, BStBl I S. XXXX).“
b) Absatz 10 wird gestrichen.
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2. In Abschnitt 3.5 Abs. 3 wird am Ende der Nummer 17 der Punkt durch ein Semikolon ersetzt und folgende Nummer 18 angefügt:
„18. die entgeltliche Überlassung von Transporthilfsmitteln im Rahmen reiner Tauschsysteme (z.B. Euro-Flachpaletten und Euro-Gitterboxpaletten; vgl. BMF-Schreiben vom XX. XX. 2013, BStBl I S. XXXX).“
3. In Abschnitt 3.10 wird nach Absatz 5 die folgende Zwischenüberschrift und folgender neuer Absatz 5a eingefügt:
„Hin- und Rückgabe von Transporthilfsmitteln und Warenum-schließungen gegen Pfandgeld
(5a) 1Die Hingabe des Transporthilfsmittels gegen Pfandgeld ist als eigenständige Lieferung und die Rückgabe gegen Rückzahlung des Pfandgeldes als Rückliefe-rung zu beurteilen. 2Warenumschließungen teilen im Gegensatz hierzu stets das Schicksal der Hauptleistung (vgl. Abschnitt 10.1 Abs. 8). 3Zur Abgrenzung zwischen Transporthilfsmitteln und Warenumschließungen vgl. BMF-Schreiben vom XX. XX. 2013, BStBl I S. XXXX und zur Überlassung des Transporthilfs-mittels im Rahmen reiner Tauschsysteme vgl. Abschnitt 3.5 Abs. 3 Nr. 18.“
4. In Abschnitt 10.1 Abs. 8 wird folgender Satz 9 angefügt:
„9Zur Behandlung von Transporthilfsmitteln vgl. Abschnitt 3.10 Abs. 5a und zur Abgrenzung zwischen Transporthilfsmitteln und Warenumschließungen vgl. BMF-Schreiben vom XX. XX. 2013, BStBl I S. XXXX.“
IV. Anwendungsregelung
Die Grundsätze dieses Schreibens sind in allen offenen Fällen anzuwenden. Es wird jedoch nicht beanstandet, wenn für Umsätze, die bis zum 1. Januar 2014 getätigt werden,
– in den unter Abschnitt I dargestellten Sachverhalten die Hingabe von Transporthilfsmitteln gegen Pfandgeld als Nebenleistung zur Warenlieferung behandelt wird. In diesen Fällen ist die Rückgewähr des zuvor vereinnahmten Pfandgeldes entsprechend als Minderung des Entgelts für die ursprüngliche Lieferung anzusehen;
– in den unter Abschnitt II dargestellten Tauschsystemen die abgerechneten Leistungs-störungen von dem leistenden Unternehmer und dem Leistungsempfänger einvernehmlich als entgeltliche steuerbare Palettenlieferungen behandelt werden. Voraussetzung hierfür ist, dass der Umsatz vom Leistenden in zutreffender Höhe versteuert wird. § 14c Absatz 1 UStG findet in diesen Fällen keine Anwendung und der Vorsteuerabzug nach § 15 Abs. 1 UStG ist insoweit nicht ausgeschlossen. Der Leistungsort bestimmt sich nach § 3 Abs. 7 Satz 1 UStG.
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Dieses Schreiben wird im Bundessteuerblatt Teil I veröffentlicht.
Im Auftrag

Schenkungsteuer: Steuerfreie Zuwendung eines Familienwohnheims zwischen Ehegatten

Ein zu eigenen Wohnzwecken genutztes Gebäude, in dem sich nicht der Mittelpunkt des familiären Lebens der Eheleute befindet, ist kein steuerbegünstigtes Familienwohnheim. Nicht begünstigt sind daher Zweit- oder Ferienwohnungen. Dies hat der Bundesfinanzhof (BFH) entschieden (Urteil II R 35/11 vom 18.07.2013).

Der Kläger schenkte im Jahr 2008 seiner Ehefrau ein Haus, das die Familie als Zweitwohnung und zu Ferienaufenthalten nutzte. Der Lebensmittelpunkt der Eheleute befand sich nicht in dem übertragenen Haus, sondern am Hauptwohnsitz der Eheleute. Das Finanzamt setzte Schenkungsteuer fest, ohne die Steuerbefreiung für Familienwohnheime zu berücksichtigen.

Der BFH bestätigte die Auffassung des Finanzamts. Die Zuwendung eines zu eigenen Wohnzwecken genutzten Hauses zwischen Ehegatten unterliegt jedenfalls dann der Schenkungsteuer, wenn sich dort zum Zeitpunkt der Ausführung der Schenkung nicht der Lebensmittelpunkt der Eheleute befindet. Die nach ihrem Wortlaut sehr weitreichende Steuerbefreiung für Familienwohnheime ist einschränkend auszulegen. Das ergibt sich aus der Entstehungsgeschichte der Vorschrift und aus verfassungsrechtlichen Gründen. Dies entspricht auch der Intention des Gesetzgebers, den gemeinsamen familiären Lebensraum der Eheleute zu schützen. Für eine weitergehende Steuerbefreiung, die die Zuwendung aller von den Eheleuten selbst genutzten Häuser und Eigentumswohnungen, also auch von Zweit- und Ferienwohnungen erfasst, fehlt eine sachliche Rechtfertigung.

BFH, Pressemitteilung Nr. 77/13 vom 06.11.2013 zum Urteil II R 35/11 vom 18.07.2013

 

BUNDESFINANZHOF Urteil vom 18.7.2013, II R 35/11

Steuerfreie Zuwendung eines Familienwohnheims zwischen Ehegatten – Verfassungsrechtlich gebotene einschränkende Auslegung des § 13 Abs. 1 Nr. 4a ErbStG

Leitsätze

Ein zu eigenen Wohnzwecken genutztes Gebäude, in dem sich nicht der Mittelpunkt des familiären Lebens der Eheleute befindet, ist kein steuerbegünstigtes Familienwohnheim i.S. des § 13 Abs. 1 Nr. 4a Satz 1 ErbStG. Nicht begünstigt sind deshalb Zweitwohnungen oder Ferienwohnungen.

Tatbestand

1
I. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) wohnt zusammen mit seiner Familie in E. Mit notariell beurkundetem Vertrag vom 26. Juni 2008 übertrug er seiner Ehefrau im Wege der Schenkung ein mit einer Doppelhaushälfte bebautes Grundstück auf Sylt gegen Einräumung eines lebenslänglichen unentgeltlichen Wohnrechts. Er übernahm die anfallende Schenkungsteuer.
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Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt –FA–) setzte unter Berücksichtigung des Grundbesitzwerts von 1.221.500 EUR, der übernommenen Schenkungsteuer und der Vorschenkungen im Bescheid vom 3. Dezember 2008 Schenkungsteuer in Höhe von 285.677 EUR gegen den Kläger fest. Wegen des Wohnrechts wurde ein Betrag in Höhe von 108.851 EUR zinslos gestundet.
3
Einspruch und Klage, mit denen der Kläger die Steuerbefreiung gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 4a des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes in der für 2008 maßgebenden Fassung (ErbStG) begehrte, blieben ohne Erfolg. Das Finanzgericht (FG) führte zur Begründung an, der Kläger habe kein Familienwohnheim i.S. des § 13 Abs. 1 Nr. 4a ErbStG übertragen, weil das Haus am Übertragungsstichtag nicht den Lebensmittelpunkt der Familie des Klägers gebildet habe, sondern ein nicht begünstigtes Feriendomizil gewesen sei. Bei den Aufenthalten in dem Haus auf Sylt handele es sich nach den Schilderungen des Klägers im Erörterungstermin schon angesichts der zeitlich beschränkten Dauer um typische Ferienaufenthalte. Das Urteil des FG ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2011, 1734 veröffentlicht.
4
Mit der Revision rügt der Kläger die Verletzung von § 13 Abs. 1 Nr. 4a ErbStG und als Verfahrensfehler die Zugrundelegung eines Sachverhalts, der nicht dem protokollierten Vorbringen im Erörterungstermin und dem Akteninhalt entspreche. Das FG sei bei seiner Entscheidung fehlerhaft davon ausgegangen, dass die Aufenthalte in dem Haus auf Sylt überwiegend reinen Erholungszwecken gedient hätten, obwohl sich beide Eheleute ganzjährig um zwei ihm –dem Kläger– gehörende Betriebe auf Sylt gekümmert hätten. Es liege deshalb keine Ferienwohnung, sondern eine Zweitwohnung vor, für die eine Steuerbefreiung zu gewähren sei.
5
Der Kläger beantragt, die Vorentscheidung sowie den Schenkungsteuerbescheid vom 3. Dezember 2008 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 20. Januar 2009 aufzuheben.
6
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

7
II. Die Revision ist unbegründet und war daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung –FGO–). Das FG hat zu Recht für die Zuwendung des mit einer Doppelhaushälfte bebauten Grundstücks eine Steuerbefreiung nach § 13 Abs. 1 Nr. 4a ErbStG versagt.
8
1. Zuwendungen unter Lebenden, mit denen ein Ehegatte dem anderen Ehegatten Eigentum oder Miteigentum an einem im Inland belegenen, zu eigenen Wohnzwecken genutzten Haus oder einer im Inland belegenen, zu eigenen Wohnzwecken genutzten Eigentumswohnung (Familienwohnheim) verschafft, bleiben nach § 13 Abs. 1 Nr. 4a Satz 1 ErbStG steuerfrei. Die Steuerbefreiung bezieht sich nach ihrem Sinn und Zweck nicht nur auf das Haus verstanden als Gebäude, sondern auch auf das Grundstück, dessen wesentlicher Bestandteil es nach § 94 Abs. 1 Satz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches ist (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs –BFH– vom 26. Februar 2009 II R 69/06, BFHE 224, 151, BStBl II 2009, 480).
9
2. Ein zu eigenen Wohnzwecken genutztes Gebäude, in dem sich nicht der Mittelpunkt des familiären Lebens befindet, ist kein steuerbegünstigtes Familienwohnheim i.S. des § 13 Abs. 1 Nr. 4a Satz 1 ErbStG. Nicht begünstigt sind deshalb Zweit- oder Ferienwohnungen.
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a) Das Familienwohnheim wird in § 13 Abs. 1 Nr. 4a Satz 1 ErbStG als ein im Inland belegenes, zu eigenen Wohnzwecken genutztes Haus oder als eine im Inland belegene, zu eigenen Wohnzwecken genutzte Eigentumswohnung definiert. Nach dem Wortlaut enthält § 13 Abs. 1 Nr. 4a ErbStG eine weitreichende Steuerbefreiung für die Zuwendung von selbstgenutztem Wohneigentum zwischen Eheleuten. Die Steuerbefreiung ist nicht auf die Zuwendung nur eines Familienwohnheims begrenzt; soweit die Voraussetzungen am jeweiligen Übertragungsstichtag vorliegen, kann die Steuerbefreiung zeitlich nacheinander für mehrere Objekte in Anspruch genommen werden. Die Freistellung von der Steuer wird auch unabhängig vom Wert des zugewendeten Familienwohnheims gewährt. Eine Anrechnung der steuerfreien Zuwendung auf den persönlichen Freibetrag des § 16 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG oder den Versorgungsfreibetrag des § 17 Abs. 1 ErbStG erfolgt nicht. So bleibt insbesondere der persönliche Freibetrag des § 16 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG für andere Zuwendungen erhalten.
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b) Der Senat hat erhebliche Zweifel, ob diese weitreichende Steuerbefreiung des § 13 Abs. 1 Nr. 4a ErbStG verfassungsgemäß ist. Denn sie führt bei Eheleuten zu einer Begünstigung von Immobilienvermögen, für die ein hinreichender sachlicher Grund fehlt (vgl. Birk, Steuerrecht, 15. Aufl., § 8 C II 1 Rz 1601, zu § 13 Abs. 1 Nr. 4a bis 4c ErbStG in der ab 2009 geltenden Fassung des Erbschaftsteuerreformgesetzes –ErbStRG– vom 24. Dezember 2008, BGBl I 2008, 3018). Die Begünstigung kann insbesondere nicht mit einem Anspruch auf steuerliche Freistellung des Gebrauchsvermögens der Familie (vgl. hierzu Beschluss des Bundesverfassungsgerichts –BVerfG– vom 22. Juni 1995  2 BvR 552/91, BVerfGE 93, 165, BStBl II 1995, 671, unter C.I.2.b aa) gerechtfertigt werden. Denn diese Freistellung erfolgt in typisierender Weise bereits durch die Freibeträge des § 16 ErbStG (vgl. BVerfG-Beschluss in BVerfGE 93, 165, BStBl II 1995, 671).
12
Eine Vorlage nach Art. 100 Abs. 1 Satz 1 des Grundgesetzes (GG) zur Einholung einer Entscheidung des BVerfG über die Verfassungsmäßigkeit des § 13 Abs. 1 Nr. 4a ErbStG kommt jedoch schon deshalb nicht in Betracht, weil das BVerfG mit Beschluss vom 7. November 2006  1 BvL 10/02 (BVerfGE 117, 1, BStBl II 2007, 192) trotz der festgestellten Verfassungsverstöße die Weitergeltung des ErbStG bis zu einer Neuregelung angeordnet hat und die Neuregelung durch das ErbStRG mit Wirkung ab 1. Januar 2009 erfolgt ist.
13
§ 13 Abs. 1 Nr. 4a Satz 1 ErbStG ist aber nach seinem Sinn und Zweck sowie zur Einschränkung der bestehenden Überbegünstigung dahin auszulegen, dass jedenfalls solche zu eigenen Wohnzwecken genutzten Häuser oder Eigentumswohnungen nicht begünstigt werden, in denen sich am maßgeblichen Übertragungsstichtag (§ 9 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG) nicht der Mittelpunkt des familiären Lebens der Eheleute befindet (vgl. R 43 Abs. 1 Sätze 1 und 2 der Erbschaftsteuer-Richtlinien 2003). Zumindest Zweit- und Ferienwohnungen sind deshalb nicht nach § 13 Abs. 1 Nr. 4a Satz 1 ErbStG begünstigt.
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c) Für diese Auslegung spricht die Entstehungsgeschichte der Steuerbefreiung nach § 13 Abs. 1 Nr. 4a ErbStG. Nach der Gesetzesbegründung (vgl. BTDrucks 13/901, S. 157) sollten im Hinblick auf die Rechtsprechung des BFH zur schenkungsteuerrechtlichen Behandlung von ehebedingten Zuwendungen (vgl. BFH-Urteil vom 2. März 1994 II R 59/92, BFHE 173, 432, BStBl II 1994, 366) solche Zuwendungen unter Ehegatten von der Schenkungsteuer freigestellt werden, die den engeren Kern der ehelichen Lebens- und Wirtschaftsgemeinschaft berühren. Die Steuerbefreiung sollte deshalb Zuwendungen im Zusammenhang mit dem Erwerb eines Familienwohnheims oder der Regelung der Eigentumsverhältnisse an einem Familienwohnheim erfassen, weil Ehegatten durch die gemeinsame partnerschaftliche Einwirkung auf das Familienwohnheim in besonderem Maße die eheliche Lebens- und Wirtschaftsgemeinschaft verwirklichten.
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Nach der Vorstellung des Gesetzgebers sollte mit der Steuerbefreiung für die Zuwendung eines Familienwohnheims der engere Kernbereich der ehelichen Lebens- und Wirtschaftsgemeinschaft privilegiert werden. Zu diesem Kernbereich gehört das zu eigenen Wohnzwecken genutzte Haus, in dem durch das familiäre Zusammenleben der Lebensmittelpunkt der Familie begründet wird. Demgegenüber ist eine Zweitwohnung oder eine Ferienwohnung nicht mehr dem „engeren“ Kernbereich der ehelichen Lebens- und Wirtschaftsgemeinschaft zuzuordnen.
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Diese Vorstellung liegt auch der Neufassung des ErbStG durch das ErbStRG zugrunde. Durch das ErbStRG wurde die Steuerbefreiung für Familienheime auf Erwerbe von Todes wegen durch den überlebenden Ehegatten erstreckt, wobei hierfür u.a. Voraussetzung ist, dass die Wohnung beim Erwerber unverzüglich zur Selbstnutzung zu eigenen Wohnzwecken bestimmt ist (§ 13 Abs. 1 Nr. 4b Satz 1 ErbStG n.F.). Dazu wird in der Gesetzesbegründung ausgeführt, eine Nutzung zu eigenen Wohnzwecken sei auch noch gegeben, wenn der überlebende Ehegatte mehrere Wohnsitze habe, das Familienheim aber seinen Lebensmittelpunkt bilde (BTDrucks 16/11107, S. 8).
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d) Die Einschränkung der Steuerbefreiung des § 13 Abs. 1 Nr. 4a ErbStG auf Familienwohnheime, in denen sich der Mittelpunkt des familiären Lebens der Eheleute befindet, ist aus verfassungsrechtlichen Gründen geboten. Eine Steuerbefreiung, die die Zuwendungen aller zum Zeitpunkt der Übertragung zu eigenen Wohnzwecken genutzten Häuser und Eigentumswohnungen zwischen Eheleuten erfasst, wäre nicht mit dem allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) vereinbar.
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aa) Art. 3 Abs. 1 GG verbietet einen gleichheitswidrigen Begünstigungsausschluss, bei dem eine Begünstigung einem Personenkreis gewährt, einem anderen Personenkreis aber vorenthalten wird (vgl. BVerfG-Beschluss vom 21. Juli 2010  1 BvR 611/07 u.a., BVerfGE 126, 400, und BFH-Beschluss vom 27. September 2012 II R 9/11, BFHE 238, 241, BStBl II 2012, 899, jeweils m.w.N.).
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Im Bereich des Steuerrechts hat der Gesetzgeber zwar einen weitreichenden Entscheidungsspielraum bei der Auswahl des Steuergegenstands. Die Freiheit des Gesetzgebers im Steuerrecht –auch im Erbschaftsteuerrecht– wird hierbei allerdings durch zwei Leitlinien begrenzt, nämlich durch das Gebot der Ausrichtung der Steuerlast am Prinzip der finanziellen Leistungsfähigkeit und durch das Gebot der Folgerichtigkeit (vgl. BVerfG-Beschluss in BVerfGE 126, 400, und BFH-Beschluss in BFHE 238, 241, BStBl II 2012, 899). Die Steuerpflichtigen müssen dem Grundsatz nach durch ein Steuergesetz rechtlich und tatsächlich gleichmäßig belastet werden. Die mit der Wahl des Steuergegenstands einmal getroffene Belastungsentscheidung hat der Gesetzgeber unter dem Gebot möglichst gleichmäßiger Belastung aller Steuerpflichtigen bei der Ausgestaltung des steuerrechtlichen Ausgangstatbestands folgerichtig umzusetzen. Ausnahmen von einer folgerichtigen Umsetzung bedürfen eines besonderen sachlichen Grundes (vgl. BVerfG-Beschluss in BVerfGE 126, 400, und BFH-Beschluss in BFHE 238, 241, BStBl II 2012, 899).
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Das bestehende Erbschaftsteuerrecht sieht zwar im Hinblick auf den Schutz von Ehe und Familie (Art. 6 Abs. 1 GG) auch das Familienprinzip als Grenze für das Maß der Steuerbelastung vor (vgl. BVerfG-Beschlüsse in BVerfGE 93, 165, BStBl II 1995, 671, und in BVerfGE 126, 400). Danach ist die familiäre Verbundenheit der nächsten Angehörigen zum Erblasser (oder Schenker) erbschaftsteuerrechtlich zu berücksichtigen (vgl. BVerfG-Beschluss vom 28. Oktober 1997  1 BvR 1644/94, BVerfGE 97, 1). Dies erfolgt aber regelmäßig durch die Gewährung von Freibeträgen nach § 16 ErbStG.
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Die verfassungsrechtlichen Anforderungen sind auch dann zu beachten, wenn steuerrechtliche Vorschriften im Einzelfall ausgelegt und angewendet werden (vgl. BVerfG-Beschluss in BVerfGE 97, 1, unter B.I.1.b).
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bb) Nach diesen Grundsätzen ist § 13 Abs. 1 Nr. 4a ErbStG einschränkend dahin auszulegen, dass die Zuwendung eines zu eigenen Wohnzwecken genutzten Wohnhauses zwischen Ehegatten jedenfalls dann nicht steuerfrei ist, wenn sich dort nicht der Mittelpunkt des familiären Lebens der Eheleute befindet. Dies entspricht auch der Intention des Gesetzgebers, den gemeinsamen familiären Lebensraum der Eheleute zu schützen. Für eine weitergehende Steuerbefreiung, die die Zuwendung aller von den Eheleuten selbst genutzten Häuser und Eigentumswohnungen, also auch von Zweit- oder Ferienwohnungen erfasst, fehlt eine sachliche Rechtfertigung. Es ist nicht ersichtlich, aus welchen Gründen allein eine tatsächliche Nutzung zu Wohnzwecken der Eheleute ausreichen sollte, um ein Haus oder eine Eigentumswohnung, in denen sich nicht der Lebensmittelpunkt der Eheleute befindet, steuerfrei von einem Ehegatten auf den anderen Ehegatten zu übertragen, während bei der Übertragung vergleichbarer Objekte zwischen anderen Personen als Ehegatten und bei der Übertragung anderer Vermögensgegenstände als selbst genutzten Häusern und Eigentumswohnungen die Steuerbefreiung nicht greift. Der grundgesetzlich gebotene Schutz der Familie (Art. 6 Abs. 1 GG) schließt es nicht aus, Vermögensübertragungen zwischen Ehegatten zu besteuern.
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e) In der Literatur und in der finanzgerichtlichen Rechtsprechung wird ebenfalls weitaus überwiegend die Auffassung vertreten, dass eine Steuerbefreiung nach § 13 Abs. 1 Nr. 4a ErbStG nur in Betracht kommt, wenn sich in dem Haus oder der Eigentumswohnung der Mittelpunkt des familiären Lebens befindet, und dass damit eine Steuerbefreiung für Ferien- oder Wochenendhäuser ausscheidet (vgl. Jülicher in Troll/Gebel/ Jülicher, ErbStG, § 13 Rz 61; Geck in Kapp/Ebeling, § 13 ErbStG, Rz 38.4; Kobor in Fischer/Jüptner/Pahlke/Wachter, ErbStG, 4. Aufl., § 13 Rz 30; Viskorf in Viskorf/Knobel/ Schuck/Wälzholz, Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz, Bewertungsgesetz, 4. Aufl., § 13 ErbStG Rz 39; Meincke, Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz, Kommentar, 16. Aufl., § 13 Rz 20; Kein-Hümbert in Moench/Weinmann, § 13 ErbStG Rz 27; Slabon, Erbfolge, Erbrecht, Erbfolgebesteuerung, Unternehmensnachfolge –ErbBstg– 2004, 248; Hardt, Zeitschrift für Erbrecht und Vermögensnachfolge –ZEV– 2004, 408; FG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 18. Februar 1999  4 K 2180/98, EFG 1999, 619; zu § 13 Abs. 1 Nr. 4a ErbStG n.F.: Brüggemann, ErbBstg 2010, 210; Eisele, Steuer und Studium 2010, 579; Stöckel, Neue Wirtschafts-Briefe 2010, 216; Esskandari/Bick, Der Erbschaft-Steuer-Berater 2011, 246; Hutmacher, Zeitschrift für die Notarpraxis 2013, 46; a.A. Handzik, Deutsche Steuer-Zeitung 1999, 416; Schumann, ZEV 2012, 224).
24
3. Danach ist im Streitfall die Steuerbefreiung zu Recht versagt worden. Der Kläger hat zwar seiner Ehefrau eine zu eigenen Wohnzwecken genutzte Doppelhaushälfte freigebig zugewendet. Dort befand sich aber zum Zeitpunkt der Ausführung der Zuwendung nicht der familiäre Lebensmittelpunkt der Eheleute. Dieser befand sich vielmehr in der Wohnung in E. Unmaßgeblich ist, ob die zugewendete Doppelhaushälfte nur zu Ferien- und Wochenendaufenthalten genutzt wurde oder ob es sich wegen der beruflichen Tätigkeiten der Eheleute um eine Zweitwohnung handelte. Auf die vom Kläger erhobene Verfahrensrüge zur Art der Nutzung des Hauses braucht daher nicht eingegangen werden.

Gewinnrealisierung kann auch bei Einbringung eines Betriebs in eine Mitunternehmerschaft gegen Mischentgelt vermieden werden

Der Bundesfinanzhof (BFH) hat mit Urteil vom 18. September 2013 X R 42/10 entschieden, dass bei einer Einbringung eines Betriebs in eine Mitunternehmerschaft, für die dem Einbringenden ein sog. Mischentgelt – bestehend aus Gesellschaftsrechten und einer Darlehensforderung gegen die Gesellschaft – gewährt wird, nicht zwingend ein steuerpflichtiger Gewinn anfällt. Vielmehr kann eine Gewinnrealisierung bei Wahl der Buchwertfortführung dann vermieden werden, wenn die Summe aus dem Nominalbetrag der Gutschrift auf dem Kapitalkonto des Einbringenden bei der Personengesellschaft und dem gemeinen Wert der eingeräumten Darlehensforderung den steuerlichen Buchwert des eingebrachten Einzelunternehmens nicht übersteigt.

Damit ist der BFH von der Auffassung der Finanzverwaltung abgewichen, die in derartigen Fällen den Vorgang nach dem Verhältnis der beiden Teilleistungen in einen erfolgsneutral gestaltbaren und einen zwingend erfolgswirksamen – und damit steuererhöhenden – Teil aufspaltet (BMF-Schreiben vom 11. November 2011 – Umwandlungssteuererlass -, BStBl I 2011, 1314, Tz. 24.07). Die nunmehrige Entscheidung des X. Senats erweitert die bereits bestehenden Möglichkeiten der Unternehmen, durch Inanspruchnahme der Regelung des § 24 des Umwandlungssteuergesetzes Umstrukturierungen vorzunehmen, ohne dass dabei Ertragsteuern anfallen.

Im Streitfall hatte ein Einzelunternehmer seinen Betrieb, der einen Buchwert von 352.356,12 Euro, aber zugleich hohe stille Reserven aufwies, zum Buchwert in eine GmbH & Co. KG eingebracht. Zugleich nahm er seine Ehefrau und zwei Kinder mit Kapitalanteilen von insgesamt 100.000 Euro unentgeltlich in die neu gegründete KG auf. Er selbst erhielt in der KG einen Kapitalanteil von 150.000 Euro sowie eine Darlehensforderung von 102.356,12 Euro. Sowohl das Finanzamt als auch das erstinstanzlich entscheidende Finanzgericht nahmen an, dass der Einzelunternehmer aufgrund der Einräumung der Darlehensforderung einen Gewinn von 95.717,65 Euro zu versteuern habe. Dem folgte der BFH nicht. Da die Summe aller Kapitalkonten sowie der Darlehensforderung (352.356,12 Euro) nicht größer sei als der Buchwert des bisherigen Einzelunternehmens, ergebe sich kein Gewinn.

Auf die unterschiedlichen Auffassungen, die derzeit zwischen dem IV. Senat des BFH und der Finanzverwaltung hinsichtlich der Anwendung der sogenannten Trennungstheorie in den Fällen der teilentgeltlichen Übertragung einzelner Wirtschaftsgüter bei Mitunternehmerschaften (§ 6 Abs. 5 des Einkommensteuergesetzes) bestehen (vgl. einerseits BFH-Urteil vom 19. September 2012 IV R 11/12, BFHE 239, 76, andererseits BMF-Schreiben vom 12. September 2013, BStBl I 2013, 1164), brauchte der X. Senat in dieser Entscheidung nicht einzugehen.

BFH, Pressemitteilung Nr. 78/13 vom 06.11.2013 zum Urteil X R 42/10 vom 18.09.2013

 

BUNDESFINANZHOF Urteil vom 18.9.2013, X R 42/10

Einbringung eines Betriebs in eine Personengesellschaft gegen ein sog. Mischentgelt aus Gesellschaftsrechten und einer Darlehensforderung

Leitsätze

1. Bringt der Steuerpflichtige einen Betrieb in eine Mitunternehmerschaft ein und wendet er zugleich Dritten unentgeltlich Mitunternehmeranteile zu, sind auf diesen Vorgang die Vorschriften der § 6 Abs. 3 EStG und § 24 UmwStG nebeneinander anwendbar (gegen BMF-Schreiben vom 11. November 2011, BStBl I 2011, 1314, Tz. 01.47, letzter Satz).

 

2. Erhält der Steuerpflichtige im Rahmen der Einbringung seines Betriebs in eine Mitunternehmerschaft neben dem Mitunternehmeranteil auch eine Darlehensforderung gegen die Gesellschaft, schließt dies die Anwendung des § 24 UmwStG nicht aus; die Gutschrift auf dem Darlehenskonto ist jedoch als Entgelt anzusehen, das sich grundsätzlich gewinnrealisierend auswirken kann.

 

3. Bei einer Einbringung eines Betriebs gegen ein sog. Mischentgelt –bestehend aus Gesellschaftsrechten und einer Darlehensforderung gegen die Personengesellschaft– wird bei Wahl der Buchwertfortführung dann kein Gewinn realisiert, wenn die Summe aus dem Nominalbetrag der Gutschrift auf dem Kapitalkonto des Einbringenden bei der Personengesellschaft und dem gemeinen Wert der eingeräumten Darlehensforderung den steuerlichen Buchwert des eingebrachten Einzelunternehmens nicht übersteigt (gegen BMF-Schreiben vom 11. November 2011, BStBl I 2011, 1314, Tz. 24.07).

Tatbestand

1
I. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist Kommanditist der mit notarieller Urkunde vom 28. Dezember 2002 gegründeten Beigeladenen, einer GmbH & Co. KG (KG).
2
Weitere Gesellschafter sind die Komplementär-GmbH (G-GmbH) sowie –als Kommanditisten– die Ehefrau (E) des Klägers und seine beiden Töchter T und U. Seine Einlage sollte der Kläger durch Einbringung seines Einzelunternehmens mit allen Aktiva und Passiva, die bei Eintragung der KG in das Handelsregister vorhanden waren, im Wege der Einzelrechtsnachfolge unverzüglich nach der Handelsregister-Eintragung mit schuldrechtlicher Wirkung zum 1. Januar des Streitjahres 2003 erbringen. Entsprechend wurde in der notariellen Urkunde die Übertragung des zu den Aktiva des Einzelunternehmens gehörenden Grundbesitzes sowie der Geschäftsanteile an zwei GmbH (R-GmbH und C-GmbH) vereinbart.
3
Die Einbringung wurde zum Buchwert des Einzelunternehmens vorgenommen, der sich auf 690.217,80 EUR belief. Soweit das in der Schlussbilanz des Einzelunternehmens ausgewiesene Eigenkapital des Klägers seinen neuen Kapitalanteil (150.000 EUR) überstieg, sollte der Mehrbetrag seinem „Darlehenskonto“ gutgeschrieben werden (§ 3 Nr. 3 des Gesellschaftsvertrags). Auf diesem „Darlehenskonto“, welches neben einem „Kapitalkonto“, einem „Rücklagenkonto“ und einem „Verlustvortragskonto“ geführt wurde, werden nach § 4 Nr. 2 des Gesellschaftsvertrags die entnahmefähigen Gewinnanteile, Entnahmen, Zinsen, der Ausgaben- und Aufwendungsersatz, die Vorabvergütung sowie der sonstige Zahlungsverkehr zwischen der KG und dem Kläger gebucht. Im Falle des Ausscheidens des Klägers aus der KG ist das „Darlehenskonto“ nach § 14 Nr. 3 des Gesellschaftsvertrags „neben der Abfindung auf den Tag des Ausscheidens auszugleichen“. Die Verluste der Gesellschaft, die nicht durch Guthaben auf den „Rücklagenkonten“ gedeckt sind, werden auf den „Verlustvortragskonten“ gebucht (§ 4 Nr. 4 des Gesellschaftsvertrags).
4
Die Kommanditisten E, T und U wurden vom Kläger im Wege der Schenkung in die KG aufgenommen. Gemäß § 3 Nr. 2 des Gesellschaftsvertrags betrug der Kapitalanteil der E 50.000 EUR; die Kapitalanteile der T und U betrugen jeweils 25.000 EUR.
5
Im Zuge einer Außenprüfung kam der Prüfer zu der Auffassung, dass die Einbringung des Einzelunternehmens in die KG zwar dem Anwendungsbereich des § 24 des Umwandlungssteuergesetzes in der im Streitjahr 2003 geltenden Fassung (UmwStG 2002) unterfalle. Das dortige Bewertungswahlrecht gelte indes nur, soweit dem Einbringenden Gesellschaftsrechte gewährt würden. Die Gegenleistung durch Gutschrift auf dem „Darlehenskonto“ schließe die Begünstigung des § 24 UmwStG 2002 hingegen aus. Der Prüfer berechnete den Einbringungsgewinn mit 392.865,30 EUR. Entsprechend erließ der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt –FA–) am 28. Februar 2008 einen Bescheid über die gesonderte Feststellung des Gewinns 2003, der Einkünfte aus Gewerbebetrieb in Höhe von 392.865 EUR auswies.
6
Mit dem dagegen eingelegten Einspruch machte der Kläger sinngemäß geltend, die Einbringung unterliege aufgrund der Aufnahme der nahen Angehörigen gemäß § 6 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) in der im Streitjahr geltenden Fassung dem Buchwertzwang. Soweit für den Kläger § 24 UmwStG 2002 anzuwenden sei, entstehe entsprechend der Einheitstheorie kein Einbringungsgewinn.
7
Das FA half dem Einspruch mit Bescheid vom 22. April 2008 teilweise ab, indem es den Gewinn auf 375.682 EUR herabsetzte. Hierbei trug es dem Einspruchsvorbringen insoweit Rechnung, als es in Bezug auf die unentgeltliche Zuwendung der Kommanditbeteiligungen an die Angehörigen des Klägers keinen Gewinn mehr ansetzte. Im Übrigen wies es den Einspruch mit Einspruchsentscheidung vom 11. Februar 2009 zurück.
8
Mit seiner Klage trug der Kläger u.a. vor, ein zwischenzeitlich rechtskräftig abgeschlossenes zivilgerichtliches Verfahren habe ergeben, dass sämtliche seit dem 3. Mai 2000 gefassten Gesellschafterbeschlüsse der C-GmbH –darunter auch die Zustimmung zur Übertragung des vom Kläger gehaltenen Geschäftsanteils auf die KG– unwirksam seien. Dieser Geschäftsanteil sei daher mangels wirksamer Übertragung im Eigentum des Klägers verblieben und als dessen Sonderbetriebsvermögen im Rahmen der KG anzusetzen, so dass sich die Gutschrift auf seinem „Darlehenskonto“ bei der KG um den Buchwert der C-GmbH (337.861,68 EUR) auf 102.356,12 EUR vermindere. Unter Berücksichtigung dieses Sachvortrags legte das FA eine neue Berechnung des Einbringungsgewinns vor, nach der nunmehr von einem Gewinn in Höhe von 91.462 EUR auszugehen sei. Im Übrigen hielt das FA an seiner Rechtsauffassung fest.
9
Das Finanzgericht (FG) gab der Klage insoweit statt, als es die Einkünfte aus Gewerbebetrieb auf 95.717,65 EUR herabsetzte. Im Übrigen wies es die Klage ab (Entscheidungen der Finanzgerichte –EFG– 2011, 491).
10
Soweit der Kläger sein bisheriges Einzelunternehmen unentgeltlich für Rechnung seiner Ehefrau und der beiden Töchter eingebracht habe, seien die anteilig auf die nahen Angehörigen entfallenden Buchwerte gemäß § 6 Abs. 3 EStG fortzuführen gewesen. Dies habe das FA mit dem Teilabhilfebescheid vom 22. April 2008 zutreffend umgesetzt.
11
Soweit der Kläger den Betrieb für eigene Rechnung eingebracht habe, finde allein die Vorschrift des § 24 UmwStG 2002 Anwendung. Der Kläger habe für die Einbringung ein Mischentgelt erhalten, nämlich Gesellschaftsrechte und eine sonstige Ausgleichsleistung in Gestalt der Gutschrift auf seinem Darlehenskonto bei der KG, die Fremdkapital der Gesellschaft darstelle. Die Einbringung sei nur insoweit nach § 24 UmwStG 2002 erfolgsneutral möglich, als dem Kläger im Gegenzug Gesellschaftsrechte gewährt worden seien.
12
Zur Berechnung des Einbringungsgewinns sei auf die Grundsätze des Urteils des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 11. Dezember 2001 VIII R 58/98 (BFHE 197, 411, BStBl II 2002, 420) zurückzugreifen, auch wenn dieser Entscheidung die Einbringung eines einzelnen Wirtschaftsguts gegen ein Mischentgelt in Höhe des Teilwerts des eingebrachten Wirtschaftsguts zu Grunde gelegen habe. Im Ergebnis stelle sich die vorliegende Einbringung des Betriebs gegen ein Mischentgelt, das neben der Gewährung von Gesellschaftsrechten die Einräumung einer „echten“ Darlehensforderung umfasse, wie eine Betriebseinbringung gegen eine Zuzahlung in das Privatvermögen des Einbringenden dar.
13
Das FG berechnete den Einbringungsgewinn wie folgt:
14
Veräußerungspreis
102.356,12 EUR
abzüglich anteiliges Kapitalkonto des Einzelunternehmens
./. 6.638,48 EUR
= Gewinn
95.717,65 EUR
15
Mit seiner Revision rügt der Kläger die Verletzung des § 24 Abs. 1 UmwStG 2002. Bei der Einbringung eines Betriebs in eine Personengesellschaft komme es nicht zu einer Gewinnrealisierung, soweit die erhaltenen Gesellschaftsrechte sowie die anderen Gegenleistungen (hier: Gutschrift auf dem Darlehenskonto) den Buchwert des eingebrachten Betriebsvermögens nicht überstiegen.
16
Der Kläger beantragt,

das FG-Urteil und die Einspruchsentscheidung vom 11. Februar 2009 aufzuheben und unter Änderung des Bescheids über die gesonderte Feststellung des Gewinns 2003 vom 22. April 2008 die Einkünfte aus Gewerbebetrieb auf 0 EUR festzustellen.

17
Das FA beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

18
Die Buchwertfortführung des § 24 UmwStG 2002 finde ihren Rechtsgrund in der Fortsetzung des unternehmerischen Engagements. Daran fehle es, soweit der Gesellschafter für die Einbringung –neben Gesellschaftsrechten– ein weiteres Entgelt erhalte. Ein Aufschub der Besteuerung der stillen Reserven sei nur insoweit gerechtfertigt, als eine Mitunternehmerstellung durch entsprechende Gesellschaftsrechte gewährt werde. Auch die –nur auf Einbringungen in Kapitalgesellschaften anwendbaren– Vorschriften des § 20 Abs. 2 Satz 5, Abs. 4 Satz 2 UmwStG 2002 zeigten, dass in den Fällen des § 24 UmwStG 2002 keine sonstigen Gegenleistungen zugelassen seien. Würde man § 24 UmwStG 2002 auf solche Leistungen anwenden, könnte insoweit auf stille Reserven später nicht mehr zugegriffen werden. Zumindest aber würde das Subjektsteuerprinzip verletzt, weil stille Reserven auf andere Gesellschafter übergingen.
19
Die Anwendung der in Fällen teilentgeltlicher Betriebsveräußerungen zur Lösung des Widerstreits zwischen § 16 EStG und § 6 Abs. 3 EStG entwickelten Einheitstheorie auf Fälle eines Mischentgelts sei nicht sachgerecht, weil es sich um eine entgeltliche Übertragung handele.
20
Die Beigeladene hat sich zum Rechtsstreit inhaltlich nicht geäußert.
21
Das Finanzministerium des Landes Nordrhein-Westfalen ist dem Rechtsstreit beigetreten. Es hat keinen Antrag gestellt, unterstützt in der Sache aber die Auffassung des FA.

Entscheidungsgründe

22
II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung sowie der Einspruchsentscheidung vom 11. Februar 2009 und zur Änderung des angefochtenen Bescheids dahingehend, dass Einkünfte aus Gewerbebetrieb in Höhe von 0 EUR festgestellt werden (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung –FGO–).
23
Das FG hat zwar zu Recht § 6 Abs. 3 Satz 1 EStG auf die unentgeltliche Aufnahme der E, T und U in den Betrieb des Klägers und § 24 UmwStG 2002 in Bezug auf die Einbringung des Einzelunternehmens angewendet (unten 1.). Auch schließt die Gewährung der Darlehensforderung, die sich grundsätzlich gewinnrealisierend auswirkt, die Anwendung des § 24 UmwStG 2002 nicht aus (unten 2.). Jedoch ist im Streitfall trotz der Gutschrift auf dem Darlehenskonto kein Gewinn angefallen, weil die Summe aus dem Nominalwert des Kapitalkontos des Klägers bei der KG und dem gemeinen Wert der eingeräumten Darlehensforderung den steuerlichen Buchwert des eingebrachten Einzelunternehmens nicht überschritten hat (unten 3.).
24
1. Zu Recht hat das FG den Anwendungsbereich des § 6 Abs. 3 Satz 1 EStG nur insoweit als eröffnet angesehen, als der Kläger im Zuge der Einbringung seines Einzelunternehmens seinen Angehörigen E, T und U unentgeltlich Gesellschaftsbeteiligungen an der KG zugewendet hat.
25
a) Wird ein Betrieb, ein Teilbetrieb oder der Anteil eines Mitunternehmers an einem Betrieb unentgeltlich übertragen, so sind bei der Ermittlung des Gewinns des bisherigen Betriebsinhabers (Mitunternehmers) die Wirtschaftsgüter mit den Werten anzusetzen, die sich nach den Vorschriften über die Gewinnermittlung ergeben (§ 6 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 1 EStG); dies gilt auch bei der unentgeltlichen Aufnahme einer natürlichen Person in ein bestehendes Einzelunternehmen sowie bei der unentgeltlichen Übertragung eines Teils eines Mitunternehmeranteils auf eine natürliche Person (§ 6 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2 EStG).
26
§ 6 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2 Alternative 1 EStG ist auch dann anwendbar, wenn mehrere natürliche Personen in ein bestehendes Einzelunternehmen aufgenommen werden (ebenso z.B. Gratz in Herrmann/Heuer/Raupach –HHR–, § 6 EStG Rz 1368; Schmidt/ Kulosa, EStG, 32. Aufl., § 6 Rz 661). Für diesen Fall kann –ausgehend vom Normzweck, die unentgeltliche Betriebs- und Unternehmensnachfolge von ertragsteuerlichen Belastungen zu verschonen– nichts anderes gelten als bei der Aufnahme nur einer einzigen natürlichen Person.
27
b) In Bezug auf die Einbringung des Einzelunternehmens gegen Gewährung eines Mitunternehmeranteils an den Kläger hat das FG zu Recht § 24 UmwStG 2002 angewendet. Der erkennende Senat hat in seinem Urteil vom 12. Oktober 2005 X R 35/04 (BFH/NV 2006, 521), das eine insoweit vergleichbare Fallgestaltung im Jahr 1995 betraf, den Vorgang aufgespalten: Soweit der dortige Kläger seine beiden Betriebe gegen Gewährung eines eigenen Mitunternehmeranteils in die Personengesellschaft eingebracht hatte, hielt der Senat die Vorschrift des § 24 UmwStG –in der im Jahr 1995 geltenden, mit § 24 UmwStG 2002 insoweit übereinstimmenden Fassung– grundsätzlich für einschlägig. Soweit der Kläger seine Betriebe hingegen zum Zweck der unentgeltlichen Aufnahme seines Sohnes eingebracht hatte, lag nach Auffassung des Senats ein gesondert zu beurteilender Übertragungsvorgang vor.
28
Diese Entscheidung hat sowohl Zustimmung (Fuhrmann in Widmann/ Mayer, Umwandlungsrecht, § 24 Rz 164, 26; Hoffmann in Littmann/Bitz/Pust, Das Einkommensteuerrecht, Kommentar, § 6 Rz 1056; Korn/Strahl in Korn, § 6 EStG Rz 475.1, sowie Korn, Kölner Steuerdialog 2005, 14633, 14642) als auch –insbesondere nach Ergänzung des § 6 Abs. 3 Satz 1 EStG durch das Unternehmenssteuerfortentwicklungsgesetz (UntStFG) vom 20. Dezember 2001 (BGBl I 2001, 3858) mit Wirkung zum Veranlagungszeitraum 2001– Kritik hervorgerufen. Nach der Gegenauffassung soll sich die in § 6 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2 EStG angeordnete zwingende Buchwertfortführung bei der unentgeltlichen Aufnahme von natürlichen Personen in ein Einzelunternehmen auf alle beteiligten Personen –einschließlich des Einbringenden– beziehen und § 24 UmwStG daneben nicht mehr zur Anwendung kommen (Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen –BMF– vom 11. November 2011, BStBl I 2011, 1314, Tz. 01.47, letzter Satz; Patt in Dötsch/Patt/Pung/Möhlenbrock, Umwandlungssteuerrecht, 7. Aufl., § 24 Rz 72; Schmidt/Wacker, a.a.O., § 16 Rz 204; HHR/Gratz, § 6 EStG Rz 1368, m.w.N. zum Streitstand; Rasche in Rödder/Herlinghaus/van Lishaut, UmwStG, 2. Aufl., § 24 Rz 15; Werndl, in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 6 Rz J 8, sowie Prinz in Bordewin/Brandt, § 6 EStG Rz 847: § 6 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2 Alternative 1 EStG als lex specialis zu § 24 UmwStG).
29
Der erkennende Senat hält an seiner im Urteil in BFH/NV 2006, 521 geäußerten Rechtsauffassung fest. Die Aufteilung der teils gegen Gewährung eines eigenen Mitunternehmeranteils sowie teils zum Zweck der unentgeltlichen Aufnahme der Angehörigen vorgenommenen Einbringung beruht darauf, dass zwei –rechtlich getrennt zu würdigende– Vorgänge vorliegen. Ebenso wie bei der entgeltlichen Aufnahme eines Dritten in ein Einzelunternehmen werden auch bei einer unentgeltlichen Aufnahme die steuerrechtlichen Tatbestände der Veräußerung und der Einbringung parallel verwirklicht (vgl. Beschluss des Großen Senats des BFH vom 18. Oktober 1999 GrS 2/98, BFHE 189, 465, BStBl II 2000, 123, unter C.II., vor 1.).
30
Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der Einfügung des § 6 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2 EStG durch das UntStFG, denn damit sollte die bereits zuvor praktizierte steuerneutrale Behandlung dieser Fälle –nach dem Willen des Gesetzgebers lediglich klarstellend– auf eine gesetzliche Grundlage gestellt werden (Begründung des Regierungsentwurfs eines UntStFG vom 17. August 2001, BRDrucks 638/01, S. 49; ebenso BTDrucks 14/6882, S. 32).
31
2. Ebenfalls zutreffend hat das FG erkannt, dass die Gewährung der Darlehensforderung neben den Gesellschaftsrechten die Anwendung des § 24 UmwStG 2002 nicht ausschließt, wobei sich die Gutschrift auf einem Darlehenskonto grundsätzlich gewinnrealisierend auswirkt.
32
a) Die Anwendung des § 24 UmwStG 2002 wird nicht schon dadurch ausgeschlossen, dass dem Einbringenden neben Gesellschaftsrechten sonstige Gegenleistungen gewährt werden.
33
§ 24 Abs. 1 UmwStG 2002 verlangt lediglich die Einräumung einer Mitunternehmerstellung als Gegenleistung für die Einbringung, so dass diese Norm auch in Fällen der Gewährung eines Mischentgelts –unabhängig von der rechtlichen Einordnung und den Rechtsfolgen des nicht in Gesellschaftsrechten bestehenden Teils der Gegenleistung– Anwendung finden kann. Es ist nicht erforderlich, dass die Gegenleistung ausschließlich in der Gewährung von Gesellschaftsrechten besteht (allgemeine Meinung; vgl. BFH-Urteil vom 24. Juni 2009 VIII R 13/07, BFHE 225, 402, BStBl II 2009, 993, unter II.3.a aa; BMF-Schreiben vom 25. März 1998, BStBl I 1998, 268, Tz. 24.08; ebenso BMF-Schreiben in BStBl I 2011, 1314, Tz. 24.07).
34
b) Im Streitfall hat der Kläger –in Gestalt seines Kommanditanteils an der KG– Gesellschaftsrechte im Nominalbetrag von 150.000 EUR erhalten. Der auf dem Darlehenskonto gutgeschriebene Betrag in Höhe von 102.356,12 EUR ist hingegen aus der Sicht der KG Fremdkapital. Insoweit wurden dem Kläger keine Gesellschaftsrechte gewährt. Es handelt sich daher um eine zusätzliche Gegenleistung.
35
Die Darlehensforderung war als echte unentziehbare Forderung ausgestaltet, die insbesondere nicht mit etwaigen Verlusten der KG verrechnet werden konnte (zu den Abgrenzungskriterien zwischen Eigen- und Fremdkapital bei Gewährung von Darlehensforderungen vgl. BFH-Urteile in BFH/NV 2006, 521, und vom 26. Juni 2007 IV R 29/06, BFHE 218, 291, BStBl II 2008, 103). Dies ist zwischen den Beteiligten zu Recht unstreitig.
36
c) Der erkennende Senat geht mit der Finanzverwaltung (BMF-Schreiben in BStBl I 1998, 268, Tz. 24.08; ebenso BMF-Schreiben in BStBl I 2011, 1314, Tz. 24.07) und dem überwiegenden Teil des Schrifttums davon aus, dass eine Gutschrift auf einem Darlehenskonto grundsätzlich als Entgelt anzusehen ist und sich gewinnrealisierend auswirken kann (Schmitt/Hörtnagl/ Stratz, Umwandlungsgesetz, Umwandlungssteuergesetz, 6. Aufl., § 24 UmwStG Rz 140; Patt in Dötsch/Patt/Pung/Möhlenbrock, a.a.O., § 24 Rz 59 f.; ders., Der GmbH-Steuerberater –GmbH-StB– 2011, 303, 305; ders. in Patt/Rupp/Aßmann, Der neue Umwandlungssteuererlass, S. 178; Jäschke in Lademann, UmwStG, § 24 Rz 20; Brandenberg, Die Steuerberatung –Stbg– 2012, 145, 155; Wüllenkemper, Anmerkung zum vorinstanzlichen Urteil, EFG 2011, 491, 495 f.; Wacker, Betriebs-Berater 1998, Beilage 8 zu Heft 26, S. 1, 30, rechte Spalte; vgl. auch Senatsurteil in BFH/NV 2006, 521, in dem der erkennende Senat im Rahmen der Voraussetzungen des § 24 Abs. 1 UmwStG 1995 geprüft hat, ob es sich bei dem dortigen variablen Gesellschafterkonto um ein „echtes“ Kapitalkonto oder um ein Darlehenskonto gehandelt hat, sowie BFH-Urteil in BFHE 197, 411, BStBl II 2002, 420; a.A. Fuhrmann in Widmann/Mayer, a.a.O., § 24 UmwStG Rz 583 i.V.m. 527; Schlößer in Haritz/Benkert, Umwandlungssteuergesetz, 2. Aufl., § 24 Rz 59; nunmehr unklar Schlößer in Haritz/Menner, Umwandlungssteuergesetz, 3. Aufl., § 24 Rz 77 und 78).
37
Dem in § 24 Abs. 2 UmwStG 2002 enthaltenen Bewertungswahlrecht liegt der Gedanke zu Grunde, dass in der Personengesellschaft das unternehmerische Engagement in mitunternehmerischer Form fortgesetzt wird (vgl. BFH-Entscheidungen in BFHE 197, 411, BStBl II 2002, 420, und vom 20. September 2007 IV R 70/05, BFHE 219, 86, BStBl II 2008, 265). Daran fehlt es, soweit der Gesellschafter für die Übernahme des Wirtschaftsguts ein über die Gewährung von Gesellschaftsrechten hinausgehendes Entgelt erhält. Insoweit erbringt der Gesellschafter seine Leistung nämlich nicht zur Stärkung der Gesellschaft oder seiner Gesellschafterstellung (BFH-Urteil in BFHE 197, 411, BStBl II 2002, 420; ebenso Wüllenkemper, EFG 2011, 495). In Gestalt der Gutschrift auf dem Darlehenskonto erhält der Einbringende vielmehr eine Vermögensposition als weiteren Gegenwert (ebenso Patt, GmbH-StB 2011, 303, 305).
38
Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Umstand, dass die Darlehensforderung des Klägers, der in der Steuerbilanz der KG eine entsprechende Verbindlichkeit als Fremdkapital gegenübersteht, in einer Sonderbilanz bei der KG (notwendiges Sonderbetriebsvermögen) zu aktivieren ist und damit zum steuerrechtlichen Betriebsvermögen der KG gehört (so aber Fuhrmann in Widmann/Mayer, a.a.O., § 24 UmwStG Rz 583 i.V.m. 526; Schlößer in Haritz/Benkert, a.a.O., § 24 Rz 59; nunmehr unklar Schlößer in Haritz/Menner, a.a.O., § 24 Rz 77 und 78). Dies folgt daraus, dass die Darlehensforderung nicht dem Vermögensbereich der Personengesellschaft als Bestandteil des eingebrachten Vermögens zugeführt, sondern erst im Zusammenhang mit der Einbringung –als Gegenleistung für die Übertragung des eingebrachten Betriebsvermögens– begründet wurde (vgl. BFH-Urteil in BFHE 197, 411, BStBl II 2002, 420; ebenso Patt in Dötsch/ Patt/Pung/Möhlenbrock, a.a.O., § 24 Rz 60).
39
3. Zu Unrecht hat das FG jedoch aufgrund der Gutschrift auf dem Darlehenskonto des Klägers einen steuerpflichtigen Gewinn in Höhe von 95.717,65 EUR angenommen. Im Streitfall ist bei der vorgenommenen Einbringung des Einzelunternehmens gegen ein sog. Mischentgelt –bestehend aus Gesellschaftsrechten und einer Darlehensforderung gegen die KG– kein Gewinn entstanden, weil die Summe aus dem Nominalbetrag der Gutschrift auf dem Kapitalkonto des Klägers bei der KG und dem gemeinen Wert der eingeräumten Darlehensforderung den steuerlichen Buchwert des eingebrachten Einzelunternehmens nicht überschritten hat.
40
a) Der BFH hatte bislang eine derartige Fallkonstellation nicht zu beurteilen. Die Finanzverwaltung vertritt zwischenzeitlich die Auffassung, bei Einbringung gegen ein Mischentgelt sei der Vorgang entsprechend dem Verhältnis der jeweiligen Teilleistungen in einen erfolgsneutral gestaltbaren und einen zwingend erfolgswirksamen Teil aufzuspalten (BMF-Schreiben in BStBl I 2011, 1314, Tz. 24.07, unter Verweis auf das zur Übertragung von Einzelwirtschaftsgütern gegen ein „drittübliches“ Mischentgelt in Höhe des Teilwerts bzw. gemeinen Werts des übertragenen Wirtschaftsguts ergangene BFH-Urteil in BFHE 197, 411, BStBl II 2002, 420; hingegen war in dem –für das Streitjahr noch anzuwendenden– BMF-Schreiben in BStBl I 1998, 268, Tz. 24.08 keine ausdrückliche Stellungnahme zu der im Streitfall verwirklichten Gestaltung enthalten).
41
Ein Teil der Literatur hat sich der Verwaltungsauffassung angeschlossen (Patt in Dötsch/Patt/Pung/Möhlenbrock, a.a.O., § 24 Rz 60, 62; ders., GmbH-StB 2011, 303, 308 f.; Wüllenkemper, EFG 2011, 495 f.). Andere Autoren meinen, dass es jedenfalls insoweit nicht zu einer Gewinnrealisierung komme, als die Summe aus dem Nominalbetrag der Gutschrift auf den Kapitalkonten und dem gemeinen Wert der sonstigen Gegenleistung den Buchwert des eingebrachten Betriebsvermögens nicht übersteige (so Fuhrmann in Widmann/Mayer, a.a.O., § 24 UmwStG Rz 583 i.V.m. 526, unter der Prämisse, dass man mit der h.M. die Gewährung eines Darlehensanspruchs als potenziell gewinnrealisierend erachte; Strahl in Carlé-Korn-Stahl-Strahl, Umwandlungen – Der neue Umwandlungssteuer-Erlass, 2. Aufl., S. 149; ders., Stbg 2011, 147, 156).
42
b) Der erkennende Senat schließt sich im Ergebnis der letztgenannten Auffassung an. Auch in den Fällen des Mischentgelts kommt es nicht zu einer Aufdeckung stiller Reserven, sofern das Entgelt (bzw. die Summe der Teilentgelte) den Buchwert des eingebrachten Betriebsvermögens nicht übersteigt.
43
aa) Wird ein Betrieb, Teilbetrieb oder Mitunternehmeranteil gemäß § 24 Abs. 1 UmwStG 2002 in eine Personengesellschaft eingebracht und wird der Einbringende Mitunternehmer der Gesellschaft, liegt darin ein tauschähnlicher Vorgang, der den Tatbestand einer Betriebs-, Teilbetriebs- oder Anteilsveräußerung nach § 16 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 oder 2 EStG erfüllt (ständige Rechtsprechung, z.B. BFH-Entscheidungen vom 21. Juni 1994 VIII R 5/92, BFHE 174, 451, BStBl II 1994, 856, und in BFHE 219, 86, BStBl II 2008, 265). Die grundsätzlich gewinnrealisierende Rechtsfolge eines solchen Veräußerungsvorgangs kann indes durch Ausübung des Bewertungswahlrechts gemäß § 24 Abs. 2, Abs. 3 Satz 1 UmwStG 2002 vermieden werden (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 7. November 2006 VIII R 13/04, BFHE 215, 260, BStBl II 2008, 545).
44
Im Rahmen des § 16 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 2 EStG ist nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung eine teilentgeltliche Übertragung der dort genannten betrieblichen Sachgesamtheiten (Gewerbebetrieb, Teilbetrieb, Mitunternehmeranteil) als einheitlicher Rechtsvorgang anzusehen (sog. Einheitstheorie) und daher nicht nach Maßgabe der sog. Trennungstheorie in einen entgeltlichen und einen unentgeltlichen Teil aufzuspalten. In diesen Fällen entsteht ein (Veräußerungs-)Gewinn nur, wenn die Summe der Entgelte bzw. Gegenleistungen den Buchwert der übertragenen betrieblichen Sachgesamtheit sowie die Veräußerungskosten übersteigt (z.B. BFH-Urteile vom 10. Juli 1986 IV R 12/81, BFHE 147, 63, BStBl II 1986, 811; vom 22. September 1994 IV R 61/93, BFHE 176, 350, BStBl II 1995, 367, und vom 7. November 2000 VIII R 27/98, BFHE 193, 549; aus dem Schrifttum z.B. Schmidt/Wacker, a.a.O., § 16 Rz 58 f.; HHR/Geissler, § 16 EStG Rz 76). Dabei sind bilanzierte betriebliche Verbindlichkeiten als unselbständige Bestandteile der jeweiligen Sachgesamtheit anzusehen, so dass der Netto-Buchwert des übertragenen Betriebsvermögens (Aktiva ./. Passiva) der Summe der Entgelte bzw. Gegenleistungen gegenüberzustellen ist (BFH-Urteile vom 16. Dezember 1992 XI R 34/92, BFHE 170, 183, BStBl II 1993, 436, und vom 21. März 2002 IV R 1/01, BFHE 198, 537, BStBl II 2002, 519).
45
bb) Die Anwendung dieser Rechtsgrundsätze ist auch im Rahmen der Einbringung eines Betriebs gegen Gewährung eines –aus der Einräumung von Gesellschaftsrechten sowie der Begründung einer Darlehensforderung bestehenden– Mischentgelts sachgerecht. Dies beruht darauf, dass es sich bei den unter § 24 Abs. 1 UmwStG 2002 fallenden Einbringungsvorgängen –wie oben dargestellt– ebenfalls um die Übertragung betrieblicher Sachgesamtheiten handelt.
46
Zwar sind die unter aa) angeführten Entscheidungen zur Anwendung der „Einheitstheorie“ in den Fällen des § 16 Abs. 1 EStG zu teilentgeltlichen Veräußerungen ergangen, während Einbringungen nach § 24 Abs. 1 UmwStG 2002 –auch solche, die wie im Streitfall gegen ein „Mischentgelt“ vorgenommen werden– dem Grunde nach vollentgeltliche Vorgänge darstellen. Gleichwohl ist das vorliegende Mischentgelt für Zwecke der hier vorzunehmenden Ermittlung der Höhe des anteilig realisierten Gewinns wie ein Teilentgelt zu behandeln, weil § 24 Abs. 2 UmwStG 2002 es ermöglicht, den in der Gewährung von Gesellschaftsrechten bestehenden Teil des Mischentgelts mit dem Buchwert zu bewerten. In diesen Fällen bleibt die für Zwecke der Einkommensbesteuerung anzusetzende Höhe des Mischentgelts –insoweit wie bei einem Teilentgelt– hinter dem gemeinen Wert des eingebrachten Betriebsvermögens zurück, was die Gleichsetzung beider Vorgänge rechtfertigt; allein entscheidend ist der Umstand, ob das gesamte Teil- oder Vollentgelt den Buchwert des eingebrachten Betriebsvermögens nicht übersteigt.
47
Der Einwand des FA, die „Einheitstheorie“ sei entwickelt worden, um in Fällen teilentgeltlicher Betriebsveräußerungen den Widerstreit zwischen den Vorschriften des § 16 EStG einerseits und des § 6 Abs. 3 EStG andererseits zu lösen, ist zwar im Ansatz zutreffend (vgl. BFH-Urteil in BFHE 147, 63, BStBl II 1986, 811). Er führt aber nicht zu einer anderen Beurteilung des Streitfalls, weil hier ein vergleichbarer Normenwiderstreit zu lösen ist. So ist vorliegend eine Kombination aus einer unter § 16 EStG fallenden Betriebsveräußerung (soweit es um die Darlehensforderung geht) und einer unter § 24 UmwStG 2002 fallenden, die Fortsetzung des unternehmerischen Engagements prämierenden –und ebenso wie in den Fällen des § 6 Abs. 3 EStG zum Buchwert möglichen– Einbringung verwirklicht worden. Die Anwendung der Einheitstheorie stellt sich vor diesem Hintergrund als ebenso sachgerecht dar wie in Fällen der teilentgeltlichen Betriebsveräußerung.
48
c) Auch die weiteren Einwendungen des FA greifen nicht durch.
49
aa) So kann der vorliegende Sachverhalt nicht mit einer Betriebseinbringung gegen die Zuzahlung eines neu eintretenden Gesellschafters in das Privatvermögen des Einbringenden verglichen werden.
50
In derartigen Fällen ist anerkannt, dass der Veräußerungsvorgang getrennt von der Einbringung zu beurteilen ist und in Höhe der Differenz zwischen der Zuzahlung und den anteiligen Buchwerten der Wirtschaftsgüter des eingebrachten Betriebsvermögens zu einer Gewinnrealisierung führt (BFH-Urteile vom 8. Dezember 1994 IV R 82/92, BFHE 176, 392, BStBl II 1995, 599; in BFHE 225, 402, BStBl II 2009, 993, sowie Beschluss des Großen Senats des BFH in BFHE 189, 465, BStBl II 2000, 123). Dabei hat der BFH in seinem Urteil in BFHE 176, 392, BStBl II 1995, 599 ausdrücklich keine Bedenken gegen eine Berechnung der anteiligen Buchwerte entsprechend dem Verhältnis, in welchem die Zuzahlung zum Gesamtwert des eingebrachten Betriebsvermögens steht, geäußert.
51
Teile der Literatur halten diese Zuzahlungs-Fälle mit denen der Einbringung gegen Mischentgelt für vergleichbar, weil zwischen ihnen weder wirtschaftlich noch steuerrechtlich ein Unterschied bestehe (Patt, GmbH-StB 2011, 303, 304; Wüllenkemper, EFG 2011, 496; a.A. Fuhrmann in Widmann/Mayer, a.a.O., § 24 UmwStG Rz 583 i.V.m. 527).
52
Der Vergleichbarkeit steht jedoch entgegen, dass sich die Zuzahlung eines künftigen Mitgesellschafters aus der Sicht der Altgesellschafter als Veräußerung eines Mitunternehmeranteils an einen Dritten darstellt, die von der Einbringung des Betriebs in die Personengesellschaft zu trennen ist. Zudem bewirkt eine an der Höhe der erworbenen anteiligen stillen Reserven orientierte Zuzahlung in das Vermögen des Einbringenden im Regelfall, dass die Gesamtgegenleistung über den Buchwert des eingebrachten Betriebsvermögens hinausgehen wird.
53
bb) Auch der vom FA vorgenommene Umkehrschluss aus den Vorschriften des § 20 Abs. 2 Satz 5, Abs. 4 Satz 2 UmwStG 2002 hat für den Streitfall keine Bedeutung. Die genannten Vorschriften erfassen nach ihrem klaren Wortlaut nur solche Zusatz-Gegenleistungen, deren gemeiner Wert den Buchwert des eingebrachten Betriebsvermögens übersteigt. In derartigen Fällen käme auch der erkennende Senat zu einer Gewinnrealisierung (vgl. oben 2.c). Der Streitfall liegt aber in tatsächlicher Hinsicht anders; er ist dadurch gekennzeichnet, dass der gemeine Wert der dem Kläger eingeräumten Darlehensforderung auch zusammen mit dem Nominalbetrag seines Kapitalkontos in der KG den Buchwert des von ihm eingebrachten Betriebsvermögens nicht übersteigt.
54
cc) Gegen die vom Senat vorgenommene Auslegung des § 24 Abs. 1 UmwStG 2002, die zur Steuerneutralität derartiger Einbringungsvorgänge führt, kann nicht eingewendet werden, dass auf stille Reserven, die in der eingebrachten Sachgesamtheit im Zeitpunkt der Einbringung enthalten sind, später teilweise nicht mehr zugegriffen werden könne.
55
In Teilen des Schrifttums wird zwar vertreten, dass sich ein Aufschub der Besteuerung der stillen Reserven des eingebrachten Vermögens nach § 24 UmwStG 2002 nur rechtfertigen lasse, soweit diese in einem Substrat gebunden seien, mit dem eine Rechtsträgerschaft verbunden ist. Dies sei allein der Mitunternehmeranteil (so Wüllenkemper, EFG 2011, 495).
56
Dies ist indes unzutreffend. Durch die Einräumung der Darlehensforderung –auf Seiten der KG eine Darlehensverbindlichkeit– anstelle einer Gutschrift auf dem Kapitalkonto ändert sich zwar das Verhältnis zwischen Eigen- und Fremdkapital und damit –bei fehlenden Ergänzungsbilanzen– die Verteilung der Anteile an den stillen Reserven zwischen den Gesellschaftern. Das Bilanzbild auf der Aktivseite –einschließlich des Umfangs der in den Aktiva enthaltenen stillen Reserven– bleibt jedoch unverändert, so dass die stillen Reserven der Gesellschaft der Besteuerung nicht entzogen werden.
57
dd) Das dargestellte –vom FA ebenfalls beanstandete– Übergehen stiller Reserven auf andere Gesellschafter ist von der gesetzgeberischen Konzeption mit abgedeckt. Diese Rechtsfolge beruht darauf, dass der Kläger den Einbringungsvorgang –in rechtlich zulässiger und in der Praxis üblicher Weise– mit einem unentgeltlichen Übertragungsvorgang i.S. des § 6 Abs. 3 EStG gekoppelt hat. Die letztgenannte Vorschrift ist vom Gesetzgeber aber bewusst geschaffen worden, um das Übergehen stiller Reserven in Fällen unentgeltlicher Übertragungen –typischerweise auf Angehörige– zu ermöglichen. Es ist nicht ersichtlich, weshalb das Übergehen stiller Reserven zwar in den Fällen des § 6 Abs. 3 EStG sachgerecht und vom Gesetzgeber gewollt sein soll, nicht aber dann, wenn ein unter § 6 Abs. 3 EStG fallender Vorgang mit der Einbringung eines Betriebs in eine Personengesellschaft gemäß § 24 UmwStG 2002 gekoppelt wird.
58
Zwar enthält das BFH-Urteil vom 16. Dezember 2004 III R 38/00 (BFHE 209, 62, BStBl II 2005, 554, unter II.2.b) die Aussage, § 24 UmwStG ermögliche nur deshalb eine gewinnneutrale Einbringung, weil die stillen Reserven über die gewährten Gesellschaftsrechte weiterhin demselben Steuersubjekt zugeordnet blieben. Dieses Urteil ist jedoch –ebenso wie diejenigen Entscheidungen, auf die der III. Senat für die zitierte Aussage verweist– zu einem Fall ergangen, in dem ein gegen Entgelt neu eintretender Gesellschafter eine Zuzahlung in das Privatvermögen des Einbringenden geleistet hatte. Derartige Fallgestaltungen sind mit dem Streitfall aber nicht vergleichbar (vgl. bereits oben aa).
59
Im Übrigen kann es auch bei ausschließlicher Anwendung des § 24 UmwStG 2002 durchaus zu einem Übergehen stiller Reserven auf andere Steuersubjekte kommen. Bringt beispielsweise bei einer Gesellschaft, an der zwei Gesellschafter zu je 50 % beteiligt sind, ein Gesellschafter einen Betrieb mit hohen stillen Reserven zu Buchwerten ein, erhöht sich zwar buchmäßig nur sein Kapitalkonto in der Personengesellschaft. Wirtschaftlich sind die stillen Reserven des eingebrachten Betriebs aber teilweise auch auf den Anteil des anderen Gesellschafters übergesprungen.
60
Zudem gehen in den –systematisch eng mit § 24 UmwStG 2002 verwandten– Fällen des § 16 EStG ebenfalls stille Reserven auf andere Steuersubjekte über, wenn eine Betriebsveräußerung als teilentgeltlicher Vorgang anzusehen ist. Die Anwendung der –gerade zu § 16 EStG entwickelten– Einheitstheorie bringt diese Rechtsfolge denknotwendig mit sich.
61
4. Nach diesen Grundsätzen hat der Kläger im Streitfall aus dem Einbringungsvorgang keinen Gewinn realisiert.
62
Die dem Kläger seitens der KG gewährte Gegenleistung ist mit 252.356,12 EUR zu bewerten (150.000 EUR Nominalbetrag der Gutschrift auf dem Kapitalkonto zzgl. 102.356,12 EUR gemeiner Wert der eingeräumten Darlehensforderung).
63
Der (Netto-)Buchwert des vom Kläger eingebrachten Betriebsvermögens beläuft sich ebenfalls auf 252.356,12 EUR. Dieser Betrag errechnet sich wie folgt:
64
Buchwert des Betriebsvermögens des Einzelunternehmens im Zeitpunkt der Einbringung
690.217,80 EUR
Korrektur um den Buchwert der nicht mit eingebrachten C-GmbH (vgl. dazu die Erläuterungen unten a)
./. 337.861,68 EUR
abzüglich auf die Angehörigen entfallende Teile des Kapitalkontos (vgl. dazu die Erläuterungen unten b)
./. 100.000,00 EUR
Saldo
252.356,12 EUR
65
Da die Summe des Nominalbetrags der Gutschrift auf dem Kapitalkonto des Klägers und des gemeinen Werts der Gutschrift auf dem Darlehenskonto den steuerlichen Buchwert der eingebrachten betrieblichen Sachgesamtheit nicht übersteigt, kommt es nicht zu einer Gewinnrealisierung.
66
a) Die Verminderung der Gutschrift auf dem Darlehenskonto um den Buchwert der C-GmbH aufgrund der Unwirksamkeit der Übertragung des Geschäftsanteils an dieser Gesellschaft ist zwar im Gesellschaftsvertrag nicht ausdrücklich geregelt. Sie entspricht jedoch dem Willen des Klägers sowie der übrigen Gesellschafter der KG und ergibt sich damit –aufgrund der insoweit gegebenen Lückenhaftigkeit des Gesellschaftsvertrags– aus der salvatorischen Klausel in § 15 des Gesellschaftsvertrags. Im Übrigen ist diese Vorgehensweise zwischen den Beteiligten unstreitig.
67
b) Der in der Schlussbilanz des Einzelunternehmens ausgewiesene Wert des Kapitalkontos ist zudem um den Nominalbetrag der Kommanditeinlagen zu mindern, die der Kläger seinen Angehörigen zugewendet hat.
68
Die vom FA vertretene prozentuale Aufteilung des Kapitalkontos nach Maßgabe der Beteiligungsverhältnisse an der KG –danach würde auf den Kläger ein Anteil von 60 % entfallen– kommt hingegen nicht in Betracht.
69
Dies ergibt sich aus der –bereits vom FG vorgenommenen– Auslegung der notariellen Urkunde, die Grundlage der Einbringung und der Gesellschaftsgründung war (ebenso auf die Auslegung der getroffenen Vereinbarungen abstellend: BFH-Urteil vom 21. September 2000 IV R 54/99, BFHE 193, 301, BStBl II 2001, 178; aus dem Schrifttum Groh, Der Betrieb 2001, 2162, 2163; Fuhrmann in Widmann/Mayer, a.a.O., § 24 UmwStG Rz 583 i.V.m. 532). § 3 Nr. 3 des Gesellschaftsvertrags zeigt, dass zum einen der Kläger ein Kapitalkonto in Höhe von 100.000 EUR –zuzüglich der Darlehensforderung– und zum anderen seine Angehörigen feste Kapitalkonten von je 25.000 EUR bzw. 50.000 EUR erhalten sollten. Eine prozentuale Beteiligung der Angehörigen am Betriebsvermögen des bisherigen Einzelunternehmens im Umfang von je 10 % bzw. 20 % war danach nicht gewollt.
70
5. Der Senat kann durcherkennen. Eine Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FGO) ist insbesondere nicht im Hinblick auf die Korrektur der Einbringungsbilanz um den letztlich nicht mit eingebrachten Anteil an der C-GmbH angezeigt. Dies entspricht auch der im Revisionsverfahren geäußerten eigenen Auffassung des Klägers. Zudem hat er nach eigenen Angaben –insoweit unwidersprochen– zwischenzeitlich eine berichtigte Einbringungsbilanz eingereicht, in der die Unwirksamkeit der Übertragung des Geschäftsanteils an der C-GmbH berücksichtigt worden ist.
71
6. Soweit der Kläger 3/4 der Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens zu tragen hat, ergibt sich die Kostenentscheidung aus § 137 Satz 1 FGO, da der Kläger die entscheidungserhebliche Unwirksamkeit der Übertragung des Geschäftsanteils an der C-GmbH bereits im Rechtsbehelfsverfahren hätte geltend machen können und müssen. Das zivilgerichtliche Verfahren, in dem die Unwirksamkeit der Anteilsübertragung geklärt worden ist, ist noch während des Einspruchsverfahrens rechtskräftig abgeschlossen worden.
72
Im Übrigen beruht die Kostenentscheidung, nach der das FA die Kosten des Revisionsverfahrens sowie 1/4 der Kosten des Klageverfahrens zu tragen hat, auf § 135 Abs. 1 FGO.
73
Da die Beigeladene keinen Antrag gestellt hat, können ihr keine Kosten auferlegt werden (§ 135 Abs. 3 FGO). Andererseits entspricht es nicht der Billigkeit, ihre außergerichtlichen Kosten dem FA oder der Staatskasse aufzuerlegen (§ 139 Abs. 4 FGO). Nach dem Grundgedanken des Kostenrechts setzt die Erstattungsfähigkeit der Kosten ein Obsiegen der Beigeladenen voraus. Im Streitfall ist jedoch nicht erkennbar, dass sich die steuerliche Rechtsposition der Beigeladenen aufgrund der Entscheidung des erkennenden Senats verbessert hätte.

Zur Verwertbarkeit der vom Land Rheinland-Pfalz angekauften Steuerdaten-CD im Strafverfahren

In einem Verfassungsbeschwerdeverfahren, das sich gegen die Verwertbarkeit der vom Land Rheinland-Pfalz angekauften sogenannten Steuerdaten-CD im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren richtet, hat der Verfassungsgerichtshof Rheinland-Pfalz Freitag, den 10. Januar 2014, 10.30 Uhr (Sitzungssaal E 009), als Termin zur mündlichen Verhandlung bestimmt.

Der Beschwerdeführer wendet sich mit seiner Verfassungsbeschwerde gegen Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschlüsse des Amtsgerichts Koblenz und Beschlüsse des Landgerichts Koblenz über die Beschwerden hiergegen in Ermittlungsverfahren wegen Steuerhinterziehung. Er macht im Wesentlichen geltend, die Beschlüsse verstießen gegen das Rechtsstaatsprinzip, das allgemeine Persönlichkeitsrecht sowie das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung, da der für die Ermittlungsmaßnahmen erforderliche Anfangsverdacht nicht auf das „dem Land Rheinland-Pfalz im Jahre 2012 angebotene Datenpaket“ einer schweizerischen Bank gründen dürfe. Der Finanzminister des Landes hat im April 2013 bestätigt, dass Rheinland-Pfalz eine sogenannte Steuerdaten-CD angekauft hat. Dabei handelt es sich seinen Angaben zufolge um ca. 40.000 Datensätze, die nach intensiven Vorermittlungen zum Preis von vier Millionen Euro von den rheinland-pfälzischen Behörden erworben wurden. (Aktenzeichen: VGH B 26/13).

Quelle: Verfassungsgerichtshof Rheinland-Pfalz, Pressemitteilung vom 05.11.2013

BMF: Steuerliche Gewinnermittlung – Abzinsung von Schadenrückstellungen der Versicherungsunternehmen

Nach dem BMF-Schreiben vom 16.08.2000 (BStBl I S. 1218) können Versicherungsunternehmen Schadenrückstellungen nach einem Pauschalverfahren abzinsen. Die Anwendbarkeit dieser Pauschalregelung ist zeitlich begrenzt (vgl. BMF-Schreiben vom 12.07.2005, BStBl I S. 819 und vom 09.09.2009, BStBl I S. 930).

In Abstimmung mit den obersten Finanzbehörden der Länder wird die zeitliche Anwendbarkeit der Pauschalregelung zur Abzinsung von Schadenrückstellungen der Versicherungsunternehmen nochmals verlängert. Randnummer 15 des BMF-Schreibens vom 16.08.2000 (a. a. O.) wird wie folgt gefasst:

„III. Zeitlichen Anwendung
Die Pauschalregelung kann für Wirtschaftsjahre in Anspruch genommen werden, die vor dem 01.01.2016 enden.“

Dieses Schreiben wird im Bundessteuerblatt Teil I veröffentlicht.

Quelle: BMF, Schreiben (koordinierter Ländererlass) IV C 6 – S-2175 / 07 / 10001 vom 04.11.2013

Abgrenzung von Lieferungen und sonstigen Leistungen bei der Abgabe von Speisen und Getränken

Unter Bezugnahme auf das Ergebnis der Erörterung mit den obersten Finanzbehörden der Länder wird die Übergangsregelung des Bezugsschreibens vom 20. März 2013 wie folgt gefasst:

„Die Grundsätze dieses Schreibens sind in allen offenen Fällen anzuwenden. Beruft sich der Unternehmer für vor dem 1. Oktober 2013 ausgeführte Umsätze auf eine nach den Schreiben vom 16. Oktober 2008, IV B 8 – S-7100 / 07 / 10050 (2008/0541679), BStBl I S. 949, und vom 29. März 2010, IV D 2 – S-7100 / 07 / 10050 (2010/0227270), BStBl I S. 330, günstigere Besteuerung, wird dies nicht beanstandet. Beruft sich der Unternehmer für vor dem 1. Oktober 2013 ausgeführte Umsätze auf eine nach diesen Schreiben ungünstigere Besteuerung, wird dies – auch für Zwecke des Vorsteuerabzugs des Leistungsempfängers – ebenfalls nicht beanstandet.“

Dieses Schreiben wird im Bundessteuerblatt Teil I veröffentlicht.

Quelle: BMF, Schreiben (koordinierter Ländererlass) IV D 2 – S-7100 / 07 / 10050-06 vom 04.11.2013

Anwendung der Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) auf Personengesellschaften

Gelegenheit zur Stellungnahme zum Entwurf eines BMF-Schreibens

Das Bundesministerium der Finanzen und die obersten Finanzbehörden der Länder beabsichtigen, das BMF-Schreiben vom 16. April 2010 – IV B 5 – S 1300/09/10003 (2009/0716905) – (BStBl I S. 354) für die Anwendung der Doppelbesteuerungsabkommen auf Einkünfte, die von Personengesellschaften erzielt werden, zu aktualisieren, um es an die Rechtsentwicklung anzupassen. Das Bundesministerium der Finanzen bietet allgemein Gelegenheit zur Stellungnahme zum Entwurf des BMF-Schreibens. Interessenten können ihre Stellungnahme (bitte ausschließlich per E-Mail) bis zum 2. Dezember 2013 an die Mail-AdresseIVB5@bmf.bund.de) übermitteln.

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Festsetzung noch nicht gezahlter Umsatzsteuer-Vorauszahlungen als Masseverbindlichkeit

Der klagende Insolvenzverwalter wandte sich gegen Umsatzsteuer-Vorauszahlungen, die das Finanzamt ihm gegenüber festgesetzt hatte. Er war im Oktober 2011 zum sog. „schwachen“ vorläufigen Insolvenzverwalter einer Kommanditgesellschaft bestellt worden und führte deren Geschäftsbetrieb zunächst fort. Im Dezember 2011 gab die Gesellschaft Umsatzsteuer-Voranmeldungen für Oktober und November 2011 ab, leistete jedoch keine Zahlungen auf die Umsatzsteuerschuld. Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens und Bestellung des Klägers zum Insolvenzverwalter im Januar 2012 setzte das Finanzamt die Umsatzsteuer-Vorauszahlungen abweichend von den Voranmeldungen gegenüber dem Insolvenzverwalter fest.

Diese Vorgehensweise hat das Finanzgericht Düsseldorf auf der Grundlage der entsprechenden gesetzlichen Neuregelung gebilligt. Die streitigen Umsatzsteuer-Vorauszahlungen seien nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens wie Masseverbindlichkeiten zu behandeln. Sie seien mit Zustimmung des „schwachen“ vorläufigen Insolvenzverwalters begründet worden. Insofern reiche es aus, wenn sich der Insolvenzverwalter mit der Fortführung der Umsatztätigkeit im Insolvenzeröffnungsverfahren aktiv oder konkludent einverstanden erkläre.

Zudem sei das Finanzamt berechtigt gewesen, die Umsatzsteuer-Vorauszahlungen durch entsprechende Bescheide gegenüber dem Insolvenzverwalter festzusetzen. Ein schlichtes Leistungsgebot habe nicht ausgereicht, da die nunmehr festgesetzte Steuer von der angemeldeten abgewichen habe.

Das Finanzgericht Düsseldorf hat die Revision zum Bundesfinanzhof zugelassen.

Quelle: FG Düsseldorf, Mitteilung vom 05.11.2013 zum Urteil 1 K 3372/12 vom 27.09.2013, Newsletter Oktober 2013

 

Finanzgericht Düsseldorf, 1 K 3372/12 U

Datum:
27.09.2013
Gericht:
Finanzgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
1. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
1 K 3372/12 U
Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

Die Revision wird zugelassen.

1Tatbestand

2Der Kläger begehrt die Aufhebung der an ihn als Insolvenzverwalter einer KG (KG) gerichteten Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbescheide für Oktober und November 2011.

3Die KG wurde im Jahr 1999 gegründet. Gesellschaftszweck der KG war die Erbringung von Speditionsleistungen. Die KG wurde unter der Steuernummer () (sog. erste Steuernummer) beim Finanzamt geführt.

4Am 06.10.2011 beantragte die KG wegen Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über ihr Vermögen. Zum Zeitpunkt der Antragstellung beschäftigte sie 11 Mitarbeiter.

5Durch Beschluss des Amtsgerichts vom 7.10.2011 () wurde der Kläger zum vorläufigen Insolvenzverwalter bestellt. Zur Sicherung der künftigen Insolvenzmasse ordnete das Gericht an, dass Verfügungen der KG über Gegenstände ihres Vermögens nur noch mit Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters wirksam seien (§ 21 Abs. 2 Nr. 2 InsO). Den Drittschuldnern wurde verboten, an die KG zu zahlen. Der Kläger wurde ermächtigt, Bankguthaben und sonstige Forderungen der KG einzuziehen sowie eingehende Gelder entgegen zu nehmen (vgl. Blatt 87 der GA).

6Ausweislich des Gutachtens des Klägers vom 28.12.2011, Seite 6, gelang es dem Kläger – insbesondere durch die Vorfinanzierung des Insolvenzgeldes – im Vorverfahren, den Geschäftsbetrieb der KG fortzuführen. Hierzu seien – so der Kläger – intensive Gespräche mit den Hauptauftraggebern erforderlich gewesen. Forderungen aus Lieferungen und Leistungen hätten bei der KG zum Zeitpunkt der Antragstellung mit 40.066,29 EUR ermittelt werden können. Hiervon seien bis zum 28.12.2011 36.880,09 eingezogen worden (vgl. Seite 8 des Gutachtens vom 28.12.2011).

7Die KG reichte unter der ersten Steuernummer für die Monate Oktober und November 2011 am 09.12.2011 Umsatzsteuervoranmeldungen beim Finanzamt ein. Ausgehend von Umsätzen in Höhe von 45.484 EUR (10/2011) bzw. 36.090 EUR (11/2011) und Vorsteuerbeträgen in Höhe von 1.422,73 EUR bzw. 3.403,86 EUR erklärte die KG eine Umsatzsteuerzahllast in Höhe von 7.219,36 EUR (10/2011) bzw. 3.453,30 EUR (11/2011) (vgl. Blatt 55 ff. bzw. Blatt 57 ff der GA). Zahlungen auf die Umsatzsteuer durch die KG erfolgten jedoch nicht.

8Da die Hauptauftraggeber nicht bereit waren, über den Jahreswechsel (2011/2012) hinaus die KG bei der weiteren Auftragsvergabe zu berücksichtigen, stellte die KG den Geschäftsbetrieb zum 31.12.2011 ein und kündigte mit Zustimmung des Klägers sämtlichen Mitarbeitern zum 31.12.2011.

9Mit Beschluss des Amtsgerichts vom   1. 1.2012 wurde über das Vermögen der KG das Insolvenzverfahren eröffnet und der Kläger zum Insolvenzverwalter bestellt.

10Der Beklagte forderte den Kläger mit Schreiben vom 31. 1.2012 in seiner Eigenschaft als Insolvenzverwalter unter Hinweis auf § 55 Abs. 4 InsO auf, unter der Massesteuernummer () (sogenannte. zweite Steuernummer) für den Zeitraum der vorläufigen Insolvenzverwaltung Umsatzsteuervoranmeldungen einzureichen.

11Unter der ersten Steuernummer schätze der Beklagte die Besteuerungsgrundlagen für die Jahressteuerschuld 2011 der KG, weil für den vorinsolvenzlichen Unternehmensteil bisher keine Umsatzsteuerjahreserklärung eingereicht wurde. Ausweislich der Abrechnung vom 13. 3.2012 betrug die Jahresumsatzsteuer 2011 nach der Berechnung des Beklagten 176.473,07 EUR, wobei der Beklagte bei seiner Schätzung die vorangemeldeten Umsätze für die Monate Oktober bis Dezember 2011 nicht berücksichtigte (vgl. Berechnung Blatt 77 der GA).

12Am  5. 3.2012 wurden von der KG für den Monat November unter der ersten Steuernummer eine geänderte Voranmeldung abgegeben. Die festzusetzende Steuer betrug nunmehr 3.247,38 EUR statt bisher 3.403,86 EUR (vgl. Blatt 59 ff der GA).

13Mit Bescheiden vom 20. 3.2012 (10/2011) und vom  3. 4.2012 (11/2011) setzt das Finanzamt die Umsatzsteuer-Vorauszahlungen Oktober bzw. November 2011 unter der zweiten Steuernummer fest, und zwar in Höhe von 4.548,88 EUR (10/2011; angemeldet waren 7.219,36 EUR) und 3.247,38 EUR (11/2011, angemeldet waren 3.403,86 EUR). Die Vorauszahlungs-Bescheide wurden jeweils dem Kläger als Insolvenzverwalter für die KG bekannt gegeben. Die Umsatzsteuerfestsetzungen wurden mit einem Leistungsgebot verbunden. Die Vorauszahlungen 10/2011 sollten bis zum 30. 3.2012 und die Vorauszahlungen 11/2011 bis zum 10. 5.2012 gezahlt werden. Ein Hinweis auf § 55 Abs. 4 InsO enthielten die Bescheide nicht.

14Hiergegen legte der Kläger Einspruch ein. Er machte geltend, dass hinsichtlich der geforderten Beträge keine Masseverbindlichkeiten im Sinne des § 55 Abs. 4 InsO anzunehmen seien. Die durchgeführten Steuerfestsetzungen widersprächen auch dem BMF Schreiben vom 17. 1.2012, IV A 3-S 0550/10/10020-05, 2012/0042691, BStBl I 2012, 120 ff, Tz. 34 bis 39. Danach sei im Falle einer bereits vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens durchgeführten Steuerfestsetzung eine erneute Steuerfestsetzung von Masseverbindlichkeiten gegen die Insolvenzmasse nicht mehr zulässig. Zudem habe der Kläger als vorläufiger Insolvenzverwalter keine Steuerschulden genehmigt.

15Im Laufe der Einspruchsverfahren reichte der Kläger mit Schreiben vom 12. 6.2012 Ausdrucke des Monatskontos der KG (Oktober 2011) zu den Erlösen und den geltend gemachten Vorsteuerbeträgen ein. Daraufhin erließ der Beklagte am 31. 7.2012 einen nach § 164 Abs. 2 AO geänderten Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbescheid für Oktober 2011 unter der zweiten Steuernummer. Die Umsatzsteuer wurde auf 2.874,97 EUR herabgesetzt. Der Vorbehalt der Nachprüfung blieb bestehen. Der Bescheid enthielt einen handschriftlichen Zusatz: „Es handelt sich um die Festsetzung von Masseverbindlichkeiten nach § 55 Abs. 4 InsO (Zeitraum  7.10.2011 bis 31.10.2011).“

16Am 26. 7.2012 zeigte der Kläger dem Insolvenzgericht an, dass Masseunzulänglichkeit vorliege.

17Mit Einspruchsentscheidung vom 16. 8.2012 wies der Beklagte den Einspruch als unbegründet zurück. Er führte aus: Eine erneute Festsetzung der Umsatzsteuer-Vorauszahlungen 10/2011 und 11/2011 als Masseverbindlichkeit gegenüber dem Kläger sei verfahrensrechtlich zulässig. Die bisher für den vorinsolvenzrechtlichen Unternehmensteil abgegebenen Umsatzsteuervoranmeldungen seien insoweit durch die Insolvenzeröffnung rechtswidrig geworden, als darin unselbständige Besteuerungsgrundlagen berücksichtigt worden seien, die Masseverbindlichkeiten nach § 55 Abs. 4 InsO begründeten. Ein schlichtes Leistungsgebot wäre für die Durchsetzung der Steuerforderungen gegen die Insolvenzmasse nicht ausreichend gewesen. Soweit diese Vorgehensweise im Widerspruch zu dem BMF-Schreiben vom 17. 1.2012 a.a.O. Tz. 35 und 37 stünde, werde darauf hingewiesen, dass diese Textziffern dahingehend geändert werden würden, dass eine Festsetzung gegenüber der Insolvenzmasse zu erfolgen habe.

18Selbst wenn die erstmalige Steuerfestsetzung vor Insolvenzeröffnung fortwirken würde, wäre die erneute Festsetzung in unveränderter Höhe gegenüber der Insolvenzmasse ein lediglich wiederholender Verwaltungsakt ohne eigenständigen Regelungsinhalt. Die weiteren Verwaltungsakte in Form der Leistungsgebote seien erforderlich gewesen und nicht zu beanstanden.

19Materiell-rechtlich handle es sich bei den festgesetzten Vorauszahlungen um Masseverbindlichkeiten. Diese seien durch Handlungen der KG mit Zustimmung des Klägers begründet worden. Die Zustimmung könne aktiv oder durch konkludentes Handeln erfolgen (z.B. Tun, Dulden, Unterlassen). Im Streifall habe der Kläger aktiv gehandelt, indem er durch sein Handeln (z.B. intensive Gespräche mit Auftraggebern, Antrag zur Vorfinanzierung von Insolvenzgeld) die Fortführung des Betriebes bis zum 31.12.2011 entscheidend mitgeprägt habe. Damit habe er auch der Begründung der hier zu beurteilenden Umsatzsteuerschulden als zwangsläufigen Annex des Hauptgeschäftes zugestimmt.

20Mit der hiergegen erhobenen Klage trägt der Kläger vor:

21Die unter der zweiten Steuernummer erlassenen Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbescheide seien aus verfahrensrechtlichen und aus materiell-rechtlichen Gründen aufzuheben.

22Verfahrensrechtliche Gründe

23Die Schuldnerin habe im Eröffnungsverfahren die steuerlichen Pflichten wie z.B. die Abgabe der Umsatzsteuervoranmeldungen zu beachten. Dementsprechend seien die Voranmeldungen für Oktober und November 2011 eingereicht worden. Diese stünden gemäß § 168 AO einer Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gleich. Durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens am  1. 1.2012 seien die eingereichten Voranmeldungen nicht gegenstandslos geworden. Vielmehr richte sich nur die Beitreibung nach den Vorschriften des Insolvenzrechtes. Dies entspreche auch der Auffassung der Finanzverwaltung in dem BMF Schreiben vom 17. 1.2012 Rz. 34 ff. Die erneuten Steuerfestsetzungen der Umsatzsteuer-Vorauszahlungen für Oktober 2011 vom 20. 3.2012 bzw. 31. 7.2012 sowie die Vorauszahlungen für November 2011 vom  3. 4.2012 gegenüber dem Kläger seien daher unwirksam.

24Mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens würden die durch § 55 Abs. 4 InsO umfassten Ansprüche zu Masseverbindlichkeiten. Voraussetzung sei aber das Vorliegen einer an den Insolvenzverwalter gerichteten und ihm bekannt gegebenen Steuerfestsetzung. Im Streitfall habe sich die Steuerfestsetzung aber nur an die Schuldnerin gerichtet, die die Steueranmeldungen beim Finanzamt abgegeben hatte. Eine Bekanntgabe an den Insolvenzverwalter sei hierin nicht zu sehen. Auf die Bekanntgabe an den Insolvenzverwalter könne auch nicht unter dem Gesichtspunkt einer möglichen Gesamtrechtsnachfolge oder Haftung der Insolvenzmasse verzichtet werden.

25Soweit der Beklagte die Ansicht vertrete, es handle sich bei den angefochtenen Vorauszahlungsbescheiden um Änderungsbescheide, werde darauf hingewiesen, dass die Festsetzungen unter zwei verschiedenen Steuernummern vorgenommen worden seien. Insoweit seien nunmehr für die Monate Oktober und November zwei Steuerfestsetzungen vorhanden. Der Beklagte hätte die von der KG angemeldeten Steuerbeträge auf 0 festsetzen müssen, um so eine Doppelerfassung zu verhindern.

26Auch die Voraussetzungen, die an ein Leistungsgebot zu stellen seien, würden durch die angefochtenen Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbescheide nicht erfüllt. Es seien darin keinerlei Angaben zur ursprünglichen Fälligkeit der Umsatzsteuer-Vorauszahlungen enthalten.

27Im Bescheid vom 31. 7.2012 für Oktober 2011 fehle zudem ein Leistungsgebot gänzlich. Dies wäre aber notwendig gewesen, da erstmalig der Hinweis auf § 55 Abs. 4 InsO in dem Bescheid aufgenommen worden sei.

28Materiell-rechtliche Gründe

29Der (schwache) vorläufige Insolvenzverwalter benötige eine ausdrückliche Ermächtigung seitens des Insolvenzgerichtes zur Begründung von Masseverbindlichkeiten; diese Ermächtigung sei im Streitfall nur in Bezug auf das Insolvenzgeld erteilt worden. In dem allgemeinen Zustimmungsvorbehalt, der sich nur auf Verfügungen des Insolvenzschuldners beziehe, sei keine ausdrückliche Ermächtigung enthalten. Der vorläufige Insolvenzverwalter sei rechtlich nicht in der Lage, den Insolvenzschuldner gegen dessen Willen zu Handlungen anzuhalten. Den Abschluss rechtswirksamer Verpflichtungsgeschäfte durch den Insolvenzschuldner vermöge er nicht zu verhindern; er könne lediglich Verfügungen des Schuldners untersagen. Darüber hinaus bedürften Dienstleistungen in Form von Speditionsleitungen keiner Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters. Auch ein ausdrücklich ausgesprochener Widerspruch des Klägers hätte keinerlei rechtliche Konsequenzen gehabt.

30Aus diesem Grund sei die Auslegung des „Zustimmungsbegriffs“ durch den BMF unzutreffend. Die Auslegung führe zu einer ungerechtfertigten Gleichstellung eines sog. starken und eines sog. Schwachen vorläufigen Insolvenzverwalters.

31Hinsichtlich der Eingangsleistungen habe der Kläger entgegen der Ansicht des Beklagten auch keine allgemeine Zustimmung erteilt, sondern jede einzelne geprüft. Die Eingang- und Ausgangsleistungen seien hier getrennt zu beurteilen.

32Der Kläger beantragt,

33die Umsatzsteuervorauszahlungsbescheide für Oktober und November 2011 vom 20. 3.2013,  3. 4.2012 und 31. 7.2012 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 16. 8.2012 aufzuheben,

34hilfsweise die Revision zuzulassen.

35Der Beklagte beantragt,

36die Klage abzuweisen,

37hilfsweise die Revision zuzulassen.

38Er trägt vor:

39Die streitigen Umsatzsteuer-Vorauszahlungen seien als Masseverbindlichkeiten nach § 55 Abs. 4 InsO einzustufen, die trotz der bereits vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens erfolgten Steuerfestsetzung gegenüber der KG nicht durch ein bloßes Leistungsgebot, sondern durch eine mit einem Leistungsgebot verbundene Steuerfestsetzung gegen die Insolvenzmasse geltend zu machen seien. Insoweit werde auf die Ausführungen in der Einspruchsentscheidung verwiesen.

40Selbst wenn man verfahrensrechtlich der Ansicht des Klägers folgen würde, wären die angefochtenen Bescheide dennoch nicht rechtswidrig. Hinsichtlich des Voranmeldungszeitraums 11/2011 sei nach Insolvenzeröffnung am  2. 3.2012 durch die KG eine berichtigte Voranmeldung eingereicht worden. Zu diesem Zeitpunkt sei die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis bereits auf den Kläger übergegangen. Die notwendige Minderung der festgesetzten Umsatzsteuer habe nur im Wege eines („geänderten“) Steuerbescheides erfolgen können. Dieser sei – da es sich um Masseforderungen handle – zwingend an den Insolvenzverwalter zu richten.

41Ähnliche Überlegungen ergäben sich auch in Bezug auf die Umsatzsteuerfestsetzung Oktober 2011. Auf Grund der Angaben des Klägers (eingereichten Monatskonten) habe sich die ursprüngliche Steuerfestsetzung gegenüber der KG als unzutreffend erwiesen. Auch insoweit sei eine Änderung nur im Wege einer geänderten und gegenüber dem Kläger bekanntgegebenen Steuerfestsetzung möglich gewesen.

42Die Steuerfestsetzungen seien auch nicht doppelt erfasst worden, weil der Beklagte korrespondierend zu den Masseforderungen die als Insolvenzforderung geltend gemachten Umsatzsteuerforderung für das Kalenderjahr 2011 um die Umsätze in dem Zeitraum  7.10.2011 bis 31.12.2011 gemindert habe. Der Beklagte sei auch nicht verpflichtet gewesen, diese Minderung gegenüber dem vorinsolvenzlichen Unternehmensteil zunächst im Rahmen geänderter Vorauszahlungsbescheide durchzuführen, da für das Steuerschuldverhältnis die Jahressteuerschuld maßgeblich sei.

43Anders als der Kläger meine, sei das in den angefochtenen Bescheiden enthaltene Leistungsgebot nicht zu beanstanden. Die notwendigen Bestandteile (Vollstreckungsschuldner, Benennung des Gegenstandes der Leistung, Aufforderung zur Bewirkung der Leistung) seien darin enthalten gewesen. Da es sich um eine erstmalige Festsetzung gegen die Insolvenzmasse gehandelt habe, seien auch keine Angaben zu den vorinsolvenzlichen Fälligkeiten der Umsatzsteuerforderungen notwendig gewesen. Zudem sei der Kläger hierdurch nicht benachteiligt, sondern deutlich besser gestellt als bei Anwendung der Tz. 38 in dem BMF-Schreiben vom 17. 1.2012 a.a.O. (danach: alte Fälligkeit). Darüber hinaus würde das BMF –Schreiben vom 17. 1.2012 a.a.O. hinsichtlich der Geltendmachung von Masseverbindlichkeiten geändert werden (Bescheid + Leistungsgebot).

44Soweit der Bescheid vom 31. 7.2012 für 10/2011 kein Leistungsgebot enthalte, sei dies nicht notwendig, da bereits im ursprünglichen Bescheid vom 20. 3.2012 ein wirksames Leistungsgebot vorhanden gewesen sei. Für die Wirksamkeit des Steuerbescheides und des Leistungsgebotes sei ein Hinweis auf § 55 Abs. 4 InsO nicht erforderlich.

45Materiell-rechtlich werde daran festgehalten, dass die hier zu beurteilenden Umsatzsteuerschulden mit Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters begründet worden seien. Erst durch seine Zustimmungen, insbesondere im Hinblick auf die Eingangsleistungen, sei die Fortführung der geschäftlichen Tätigkeit der KG überhaupt möglich gewesen. Denn ohne den Ausgleich z.B. der laufenden Fahrzeugkosten sei die Erbringung von Speditionsleistungen ausgeschlossen gewesen. Vor diesem Hintergrund könnten die Eingangs- und Ausgangsleistungen im Rahmen des § 55 Abs. 4 InsO auch nicht isoliert betrachtet werden. Der Kläger habe maßgeblich zur Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebes beigetragen.

46Die Begründung von Masseverbindlichkeiten bedürfe entgegen der Ansicht des Klägers auch nicht einer Ermächtigung durch das Insolvenzgericht. Der Gesetzgeber habe – anders als z.B. in § 270 b Abs. 3 InsO – bei der Formulierung des § 55 Abs. 4 InsO bewusst von einer speziellen gerichtlichen Ermächtigung abgesehen. Solange sich keine Anhaltspunkte für eine masseschädigende Tätigkeit des Schuldners ergeben würden, sei der vorläufige Insolvenzverwalter mit der Tätigkeit einverstanden und stimme dadurch den begründeten Umsatzsteuerschulden im Sinn des § 55 Abs. 4 InsO zu.

47Diese weite Auslegung des Zustimmungsbegriffs entspreche auch dem Normzweck.  Ausweislich der Gesetzesbegründung (BT-Drucksache 17/3030 vom 27. 9.2010, S. 43) habe durch die Vorschrift verhindert werden sollen, dass der Fiskus aufgrund der Anreicherung der Insolvenzmasse durch die im Eröffnungsverfahren zusätzlich entstehenden Steuerausfälle ungerechtfertigt benachteiligt werde.

48Die vom Kläger verlangte Einzelermächtigung würde hingegen dazu führen, dass § 55 Abs. 4 InsO faktisch in nahezu keinem Insolvenzverfahren mehr einschlägig wäre.

49Entscheidungsgründe

50Die Klage ist unbegründet.

51Die angefochtenen Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbescheide für Oktober und November 2011 sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO).

52Der Beklagte hat zu Recht die von der KG zum Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung ( 1. 1. 2012) noch nicht gezahlten Umsatzsteuer-Vorauszahlungen in Höhe von 2.874,97 EUR (10/2011) und 3.247,38 EUR (11/2011) gemäß § 55 Abs. 4 InsO wie Masseverbindlichkeiten gegenüber dem Kläger als Insolvenzverwalter über das Vermögen der KG durch Steuerbescheide festgesetzt.

53I. Die streitigen Umsatzsteuer-Vorauszahlungen für Oktober und November 2011 sind gemäß § 55 Abs. 4 InsO wie Masseverbindlichkeiten zu behandeln.

54Nach dieser Vorschrift gelten u.a. Verbindlichkeiten des Insolvenzschuldners aus dem Steuerschuldverhältnis, die vom Schuldner mit Zustimmung eines vorläufigen Insolvenzverwalters begründet worden sind, nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens als Masseverbindlichkeit.

55Sämtliche Tatbestandsvoraussetzungen sind im Streitfall hinsichtlich der o.g. Umsatzsteuer-Vorauszahlungen erfüllt.

561. Umsatzsteuerschulden sind Verbindlichkeiten aus dem Steuerschuldverhältnis, denn hierzu gehören gemäß § 37 Abs. 1 Satz 1 AO insbesondere Steuerschulden.

57Die in § 55 Abs. 4 InsO genannte (aufschiebende) Bedingung, dass das Insolvenzverfahren eröffnet sein muss, ist vorliegend mit Beschluss des Amtsgerichts (Az. vom  1. 1.2012 eingetreten. Die KG ist hierdurch Insolvenzschuldnerin geworden.

58Die Umsatz-Vorauszahlungen Oktober und November 2011 sind auch Verbindlichkeiten der Insolvenzschuldnerin. Denn die KG ist Schuldnerin (vgl. § 33 AO) der Umsatzsteuern, die in der Phase des vorläufigen Insolvenzverfahrens durch ihre unternehmerische Tätigkeit (Eingangs- und Ausgangsleistungen) gemäߠ38 AO und §§ 2, 13 UStG entstanden sind. Die KG bzw. ihren gesetzlichen Vertreter trifft im Zeitraum des Insolvenzeröffnungsverfahrens insoweit auch weiterhin die Pflicht, ihre Steuerschulden zu erklären und zu zahlen.

59Diese Pflichten sind nicht auf den Kläger übergegangen. Ein sogenannter schwacher vorläufiger Insolvenzverwalter, der für ein Unternehmen im Sinne des § 2 UStG bestellt wird, ist kein Vermögensverwalter im Sinne des § 34 Abs. 3 AO (vgl. auch Waza, Uhländer und Schmittmann, Insolvenzen und Steuern, Rz. 686). Im Streitfall wurde der Kläger (nur) zu einem schwachen vorläufigen Insolvenzverwalter ernannt, denn das Insolvenzgericht ordnete durch den Beschluss vom  7.10.2011 kein allgemeines Verfügungsverbot sondern nur einen Zustimmungsvorbehalt (§ 21 Abs. 2 Nr. 2 InsO) an. Die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über das Vermögen der KG ist hierdurch im vorläufigen Insolvenzverfahren bei der KG verblieben (vgl. § 22 Abs. 1 InsO im Umkehrschluss).

60Der Höhe nach besteht auch kein Streit darüber, dass es sich bei den nunmehr – abweichend von den von der KG beim Beklagten eingereichten Umsatzsteuer-Voranmeldungen – gegenüber dem Kläger festgesetzten Beträgen in Höhe von 2.874,97 EUR (10/2011) und in Höhe von 3.247,38 EUR (11/2011) um die für die Zeiträume  7.10.2011 bis 31.10.2011 bzw.  1.11.2011 bis 30.11.2011 gesetzlich geschuldete Umsatzsteuer handelt. Eine Zahlung durch die KG als Steuerschuldnerin erfolgte jedoch nicht.

612. Entgegen der Auffassung des Klägers sind die streitigen Umsatzsteuer-Vorauszahlungen auch im Sinne des § 55 Abs. 4 InsO mit „Zustimmung“ des Klägers als (schwacher) vorläufiger Insolvenzverwalter „begründet worden“.

62a) Zwar ist der Rechtsbegriff „Zustimmung“ in § 55 Abs. 4 InsO nicht näher definiert.

63Insoweit wird teilweise in der Literatur die Ansicht vertreten, dass der Begriff der „Zustimmung“ in § 55 Abs. 4 InsO innerhalb der Insolvenzordnung nicht anders ausgelegt werden könne als in § 21 Abs. 2 Nr. 2 InsO (vgl. auch Loose in Tipke/Kruse, AO, § 251 Rz. 70 b), wonach ein durch das Gericht angeordneter Zustimmungsvorbehalt (§ 21 Abs. 2 Nr. 2 InsO) lediglich für die Wirksamkeit von Vermögensverfügungen des zukünftigen Insolvenzschuldners Bedeutung habe (vgl. auch Graf-Schlicker, Kommentar zur InsO, 3. Auflage, § 55 Rz. 54). Diese (enge) Auslegung hätte aber zur Folge, dass bei einem schwachen vorläufigen Insolvenzverwalter mit allgemeinem Zustimmungsvorbehalt die Tatbestandsvoraussetzungen des § 55 Abs. 4 InsO nicht erfüllt werden könnten, denn die Begründung neuer Rechte oder Pflichten für sich ist keine (zustimmungsbedürftige) Verfügung im Sinne von § 21 Abs. 2 Nr. 2 InsO (vgl. Kreft, InsO, 6. Auflage, § 21 Rz. 18). Insoweit wäre eine Zustimmung eines schwachen vorläufigen Insolvenzverwalters zu den vom Steuerschuldner begründeten Verbindlichkeiten rechtlich unerheblich.

64Nach allgemeinen zivilrechtlichen Grundsätzen bedeutet der Begriff „Zustimmung“ eine Einverständniserklärung zu dem von einem anderen vorgenommenen Rechtsgeschäft (vgl. §§ 182 ff BG), die vorher (Einwilligung § 183 BGB) oder nachträglich (Genehmigung § 184 BGB) erteilt werden kann. Sie ist eine einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung, die nicht der für das Rechtsgeschäft bestimmten Form bedarf (vgl. § 182 Abs. 2 BGB), und daher (objektiv) nicht nur durch Benutzung von Wort und Schrift sondern auch stillschweigend erfolgen kann, wenn (subjektiv) ein Erklärungswille vorhanden ist. Allerdings werden Verbindlichkeiten aus dem Steuerschuldverhältnis nicht durch ein Rechtsgeschäft, sondern durch die Verwirklichung eines bestimmten gesetzlichen Tatbestandes begründet (§ 38 AO). Insoweit ist die Anwendung des zivilrechtlichen Zustimmungsbegriffs hier auch nicht uneingeschränkt möglich.

65Zudem dürfte mit dem Tatbestandsmerkmal „Steuerverbindlichkeiten, die mit Zustimmung begründet worden sind“ auch nicht gemeint sein, dass die Verbindlichkeiten des Insolvenzschuldners mit Zustimmung des Insolvenzverwalters „entstanden“ sind, denn Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis – hier die Umsatzsteuer-Vorauszahlungen Oktober und November 2011 – entstehen bereits kraft Gesetzes (§ 38 AO) und nicht erst mit oder durch Zustimmung eines vorläufigen Verwalters.

66b) Diese Unklarheiten in der Formulierung des Gesetzeswortlautes führen nach Ansicht des Senats jedoch nicht dazu, dass das Tatbestandsmerkmal „Verbindlichkeiten, die mit Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters begründet wurden“ ins Leere geht (vgl. hierzu Leithaus in Andres/Leithaus/Dahl, Kommentar InsO, 2. Auflage, § 55 Rz. 19; kritisch auch Loose in Tipke/Kruse, AO, § 251 Rz. 70 a ff mit weiteren Literaturhinweisen) und deshalb die Rechtsfolgen des § 55 Abs. 4 InsO vorliegend nicht eintreten könnten. Vielmehr gilt auch hier, dass Ziel jeder Auslegung die Feststellung des Inhalts einer Norm ist, wie er sich aus dem Wortlaut und dem Sinnzusammenhang ergibt, in den sie hineingestellt ist; die Bindung an das Gesetz (Art. 20 Abs. 3, Art. 97 Abs. 1 GG) bedeutet nicht Bindung an dessen Buchstaben mit dem Zwang zu wörtlicher Auslegung, sondern Gebundensein an Sinn und Zweck des Gesetzes (vgl. BFH-Urteil 19. 4.2005 VIII R 12/04, BFHE 209, 409, BStBl II 2005, 683 mit Hinweis auf BVerfG—Beschluss vom 19. 6.1973  1 BvL 39/69 und 14/72, BVerfGE 35, 263, 278 f.).

67Der Abs. 4 des § 55 InsO wurde nach einer Reihe von gescheiterten Gesetzesinitiativen durch das Haushaltsbegleitgesetz 2011 vom  9.12.2010 (BGBl I 2010, 1885) mit Wirkung zum  1. 1.2011 (vgl. Art. 103 e EGInsO) in die Insolvenzordnung eingefügt. Nach der Gesetzesbegründung (vgl. BT-Drs. 17/3030, Seite 23) sollte diese Änderung der Insolvenzordnung zur Verbesserung der Einnahmesituation des Fiskus beitragen.

68In der weiteren Begründung (vgl. BT-Drs. 17/3030, Seite 42 und 43) wird vorrangig auf umsatzsteuerliche Erwägungen abgestellt: Die bisherige Rechtslage habe die Erwartung, dass Personen, die Geschäfte mit einem vorläufigen Insolvenzverwalter abschlössen, dadurch besonders geschützt seien, dass ihnen regelmäßig nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens eine Masseverbindlichkeit zustünde, nicht erfüllt, weil die Insolvenzgerichte regelmäßig „schwache“ vorläufige Insolvenzverwalter bestellten, auf die die Regelung in § 55 Abs. 2 InsO mangels Verfügungsbefugnis über das schuldner-ische Vermögen nicht anzuwenden sei. Darüber hinaus hätten auch manche schwache vorläufige Insolvenzverwalter ihre Rechtsstellung gezielt ausgenutzt, um die Insolvenzmasse durch aktive Gestaltungen zulasten des Fiskus weiter anzureichern. Die schwachen vorläufigen Insolvenzverwalter hätten durch Umsatztätigkeiten im Insolvenzeröffnungsverfahren weitere Steuerrückstände entstehen lassen, mit denen der Fiskus dann regelmäßig, weil es sich nur um Insolvenzforderungen gehandelt habe (vgl. §§ 174 ff InsO), ausgefallen sei. Durch den neu angefügten Abs. 4 des § 55 InsO, nach dem diese Forderungen nunmehr (aufschiebend bedingt) als Masseverbindlichkeiten gelten, werde dieser Praxis ein Riegel vorgeschoben. Es liege insofern auch keine ungerechtfertigte Bereicherung vor, da der in diesen Geschäften anfallende Vorsteuerabzug regelmäßig auch in voller Höhe dem schuldnerischen Unternehmen vor Verfahrenseröffnung zugutekomme.

69Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass der schwache vorläufige Insolvenzverwalter in der Phase des vorläufigen Verfahrens nicht anstelle des Schuldners selbst die Umsatztätigkeit ausübt, sondern nur „neben“ dem unternehmerisch tätigten zukünftigen Insolvenzschuldner eine mitbestimmende Funktion inne hat, können mit „Zustimmung“ des vorläufigen Insolvenzverwalters vom Schuldner „begründete“ Umsatzsteuerverbindlichkeiten nach dem Gesetzeszweck nur die Steuern sein, die durch die Fortführung des Unternehmens im Insolvenzeröffnungsverfahren verursacht wurden und der vorläufige Insolvenzverwalter zugleich mit dieser Handlungsweise (Unternehmensfortführung) einverstanden war. Denn der vorläufige Verwalter kann denklogisch nicht auf der einen Seite die fortlaufende Geschäftstätigkeit des zukünftigen Insolvenzschuldners tolerieren und andererseits den Eintritt der zwangsläufigen Konsequenzen aus dieser Handlungsweise in Form von Umsatzsteuerverbindlichkeiten missbilligen. Vielmehr versteht es sich von selbst, dass eine Fortführung der Umsatztätigkeit die Entstehung der entsprechenden Umsatzsteuern zur Folge hat. Damit der Fiskus mit genau diesen (zwangsläufig bei Unternehmensfortführung entstehenden) Umsatzsteuerforderungen im nachfolgenden Insolvenzverfahren nicht ausfällt, wurde die Vorschrift § 55 Abs. 4 InsO in das Gesetz eingefügt. Der vorläufige Insolvenzverwalter nimmt dadurch, dass er der Handlungsweise des zukünftigen Schuldners bzw. der jeweiligen Umsatztätigkeit nicht ausdrücklich widerspricht, zwangsläufig kausal die Entstehung der Steuerschulden billigend in Kauf. Danach reicht es zur Verwirklichung des Tatbestandsmerkmals „Zustimmung“ in Bezug auf Umsatzsteuerverbindlichkeiten aus, wenn der schwache vorläufige Insolvenzverwalter mit der Fortführung der Umsatztätigkeit im Insolvenzeröffnungsverfahren sich aktiv (durch Wort und Schrift) oder konkludent (stillschweigend) einverstanden erklärt.

70Der Senat folgt damit der Auffassung der Finanzverwaltung (vgl. BMF-Schreiben vom 17. 1.2012 IV A 3-S 0550/10/10020-05, 2012/0042691, BStBl I 2012, 120 ff, Tz. 3), wonach die Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters aktiv oder durch konkludentes Handeln erfolgen (z.B. Tun, Dulden, Unterlassen) kann. Soweit der schwache vorläufige Insolvenzverwalter nicht ausdrücklich (einzelnen) Umsätzen widerspricht, würden grundsätzlich sämtliche Umsatzsteuerverbindlichkeiten aus Lieferungen und Leistungen, die nach seiner Bestellung begründet werden, von § 55 Abs. 4 InsO erfasst (vgl. BMF-Schreiben vom 17. 1.2012 a.a.O. Tz. 11).

71Diese (weite) Auslegung des Rechtsbegriffs „Zustimmung“ entspricht auch der herrschenden Meinung in der Literatur (vgl. MünchKommInsO-Hefermehl § 55 Rz. 245 ff m.w.N.). Danach bedeutet der Begriff Zustimmung in § 55 Abs. 4 InsO ein tatsächliches Einverständnis des vorläufigen schwachen Insolvenzverwalters mit der Handlung des Schuldners (hier Fortführung des Unternehmens) und umfasst jede Art von aktiver oder konkludenter Billigung, wobei sich der Zustimmungsvorbehalt allein auf Neugeschäfte des Schuldners beziehe. Der vorläufige Verwalter stimmt demnach nicht mehr zu, sobald er Umsatzgeschäften des Schuldners widerspricht.

72Der Senat vermag der Ansicht des Klägers, dass diese (weite) Auslegung des Zustimmungsbegriffs zu einer ungerechtfertigten Gleichstellung eines sogenannten starken und eines schwachen vorläufigen Insolvenzverwalters führen würde, nicht zu folgen. Ausweislich der oben dargestellten Gesetzesbegründung war es gerade die Absicht des Gesetzgebers – korrespondierend zu § 55 Abs. 2 InsO, welcher nur bei einem starken vorläufigen Verwalter anzuwenden ist, – eine Regelung für den vorläufig schwachen Verwalter zu treffen, um Steuerausfälle zu verhindern. Insoweit werden von § 55 Abs. 4 InsO auch nur Verbindlichkeiten aus dem Steuerschuldverhältnis erfasst, der Regelungsbereich des § 55 Abs. 2 InsO betrifft hingegen sämtliche Verbindlichkeiten, die die von einem vorläufigen Insolvenzverwalter begründet worden sind. Hinsichtlich der Begründung von anderen Verbindlichkeiten als Steuerschulden werden schwache vorläufige Verwalter und starke vorläufige Verwalter weiterhin unterschiedlich behandelt.

73Nach diesen Grundsätzen sind die hier streitigen Umsatzsteuerverbindlichkeiten mit Zustimmung des Klägers begründet worden. Denn der Kläger war nach dem Akteninhalt offensichtlich mit der Fortführung des Unternehmens in der Phase des Insolvenzeröffnungsverfahrens ausdrücklich einverstanden.

74Ausweislich des Gutachtens vom 28.12.2011 hat er sich selbst durch intensive Gespräche erfolgreich um Auftragsvergaben bemüht. Während der Fortführung sei es gelungen, Forderungen in einem Volumen von 100.976,87 EUR zu fakturieren. Des Weiteren hat der Kläger während des streitigen Zeitraums beim Amtsgericht beantragt, ihn zu ermächtigen, Verbindlichkeiten zu Lasten der späteren Insolvenzmasse für die Vorfinanzierung von Insolvenzgeld zu begründen. Dem Antrag folgte das Amtsgericht für Verbindlichkeiten bis zu 1.500 EUR (vgl. Seite 4 des Gutachtens 28.12.2011). Auch diese Maßnahme diente der Fortführung der Unternehmenstätigkeit der KG in der Phase des vorläufigen Insolvenzverfahrens. Dieser Geschehensablauf macht deutlich, dass der Kläger sämtliche Ausgangsleistungen der KG nicht nur stillschweigend gebilligt hat, sondern er hat aktiv und entscheidend dazu beigetragen, dass die KG ihre umsatzsteuerpflichtigen Speditionsleistungen im streitigen Zeitraum weiter ausführen konnte.

75Darüber hinaus hat der Kläger selbst vorgetragen, dass er hinsichtlich der einzelnen Eingangsleistungen keine allgemeine Zustimmung erteilt habe. Dies bedeutet im Umkehrschluss, dass er vor Zustimmungserteilung die einzelnen Eingangsrechnungen in dem Zeitraum  7.10.2011 bis 30.11.2011, die dem geltend gemachten Vorsteuerabzug in Höhe von 5.175,14 EUR (10/2011) und 3.941,69 EUR (11/2011) zu Grunde lagen, geprüft hat. Da es die wesentliche Aufgabe eines vorläufigen Insolvenzverwalter ist, die künftige Masse zu sichern und zu erhalten (vgl. BGH-Urteil vom  4.11.2004 IX ZR 22/03, BGHZ 161, 49), liegt es auf der Hand, dass ein vorläufiger Insolvenzverwalter eines Speditionsunternehmens einer Verfügung des Schuldners in Form von beispielsweise Bezahlung von Benzin- und sonstigen Kfz-Rechnungen widersprechen könnte und müsste (§ 21 Abs. 2 Nr. 2 InsO), falls der zukünftige Insolvenzschuldner Speditionsleistungen gegen Willen des vorläufigen Verwalters erbringen sollte. Denn die Aufgabe des Verwalters wäre nicht erfüllt, wenn er der Minderung der Insolvenzmasse durch die Bezahlung von nicht notwendigen Eingangsleistungen zustimmen würde. Insoweit indiziert die Zustimmung zu den einzelnen Eingangsleistungen ebenfalls das Einverständnis des Klägers zu der Handlungsweise des KG, das Unternehmen in dem streitigen Zeitraum fortzuführen und entsprechende Umsatzsteuerverbindlichkeiten für Oktober und November 2011 zu begründen.

76Der Umstand, dass die KG im streitigen Zeitraum überwiegend sonstige Leistungen und keine Lieferungen erbracht hat, ist vorliegend für die Gesamtwürdigung unerheblich. Zwar kann im Einzelfall eine aufgrund sonstiger Leistungen begründete Umsatzsteuer keine Masseverbindlichkeit sein, wenn die Umsätze im Wesentlichen auf dem Einsatz der persönlichen Arbeitskraft des Insolvenzschuldners beruhen. Eine andere Beurteilung ist jedoch vorzunehmen, wenn die Umsätze im Wesentlichen aufgrund der Nutzung eines Massegegenstandes erzielt worden sind (vgl. BFH-Urteil vom 8. 9.2011 V R 38/10, BFHE 235, 488, BStBl II 2012, 270). Entsprechendes gilt – nach Ansicht des Senates – , wenn die Umsätze (Speditionsleistungen) im Wesentlichen mit vom Insolvenzschuldner geleasten Gegenständen (Fuhrpark) erbracht werden.

77c) Soweit der Kläger darauf hinweist, dass er tatsächlich nicht in der Lage gewesen sei, den Insolvenzschuldner gegen dessen Willen zu Handlungen anzuhalten und er auch Verpflichtungsgeschäfte nicht habe verhindern können, führt dies zu keinem anderen Ergebnis in der Sache. Vorliegend sind nur die tatsächlichen Geschehnisse zu beurteilen. Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger erfolglos versucht haben könnte, einzelne Handlungen der KG zu unterbinden, sind nicht ersichtlich und wurde auch nicht vorgetragen.

78II. Der Beklagte war auch berechtigt, die streitigen Umsatzsteuer-Vorauszahlungen nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens durch entsprechende Vorauszahlungs-Bescheide für Oktober und November 2011 gegenüber dem Kläger festzusetzen.

79Mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens ist gemäß § 80 Abs. 1 InsO das Recht des Schuldners, das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen (§ 35 Abs. 1 InsO) zu verwalten, auf den Insolvenzverwalter übergegangen. Dieser hat als Vermögensverwalter gemäß § 34 Abs. 3 i.V.m. Abs. 1 AO die steuerlichen Pflichten des Schuldners zu erfüllen, soweit seine Verwaltung reicht.

80Hinsichtlich der Geltendmachung der noch offenen Steuerforderungen im Insolvenzverfahren ist zwischen Steuerforderungen als Insolvenzforderungen (§ 38 InsO) und Steuerforderungen als Masseverbindlichkeiten (§§ 53, 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO) zu unterscheiden.

81Die bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstandenen Steuerforderungen können grundsätzlich nur noch als Insolvenzforderungen (§ 38 InsO) nach den Vorschriften der Insolvenzordnung geltend gemacht werden (vgl. § 251 Abs. 2 Satz 1 AO). Das Finanzamt hat als Insolvenzgläubiger diese Steuerforderungen als Insolvenzforderungen schriftlich beim Insolvenzverwalter zur Tabelle anzumelden (§ 174 ff InsO). Ein Erlass von Steuerbescheiden, welche Insolvenzforderungen betreffen, ist ausgeschlossen (BFH-Urteil vom 18.12.2002 I R 33/01, BFHE 201, 392, BStBl II 2003, 630; vgl. auch Bartone, AO-StB 2002, 22).

82Sofern Steuerforderungen durch Handlungen des Insolvenzverwalters (z.B. Umsatzsteuer bei Fortführung des Unternehmens in der Insolvenz durch den Insolvenzverwalter) begründet werden, handelt es sich um sonstige Masseverbindlichkeiten (§§ 53, 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO). Die Insolvenzmasse betreffende Steuerbescheide können nicht mehr durch Bekanntgabe an den Insolvenzschuldner wirksam werden, weil dieser – wie oben dargestellt – durch die Verfahrenseröffnung seine Verfügungsrechte hinsichtlich der Insolvenzmasse verloren hat. Diese Steuerforderungen sind insoweit durch Steuerbescheid gegenüber dem Insolvenzverwalter geltend zu machen (BFH-Urteil vom  9.12.2010 V R 22/10, BFHE 232, 301, BStBl II 2011, 996), denn der Insolvenzschuldner kann nach Verfahrenseröffnung die im Bescheid enthaltene Anordnung hinsichtlich der Vermögensmasse aus Rechtsgründen nicht mehr befolgen.

83Durch die Einfügung des § 55 Abs. 4 InsO sind seit dem  1. 1.2011 zu den Masseverbindlichkeiten und den Insolvenzforderungen noch die Steuerforderungen hinzugekommen, die nach dieser Vorschrift „als Masseverbindlichkeiten gelten“. Die Besonderheit bei diesen Steuerforderungen liegt darin, dass sie gleichsam wie Insolvenzforderungen vor Eröffnung entstanden sind, aber nach Eintritt der Bedingung (Eröffnung des Insolvenzverfahrens) nunmehr (rückwirkend) als Masseverbindlichkeiten gelten, die – wie oben dargestellt – nur gegenüber dem Insolvenzverwalter als Bekanntgabeadressat wirksam festgesetzt werden können.

84Wie die Geltendmachung von solchen Steuerforderungen (hier: Umsatzsteuerforderungen), die nach § 55 Abs. 4 InsO als Masseverbindlichkeiten gelten, durch das Finanzamt in der Praxis zu erfolgen hat, ist in der Abgabenordnung nicht geregelt und wurde – soweit ersichtlich – höchstrichterlich bisher auch noch nicht entschieden.

85Falls das Schuldnerunternehmen – wie im Streitfall – im vorläufigen Insolvenzverfahren Umsatzsteuer-Voranmeldungen mit einer Zahllast beim Finanzamt eingereicht hat, die einer Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gleichstehen (§ 168 Satz 1 AO), stellt sich zudem die Frage, mit welcher Maßnahme die Finanzbehörde nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens die bereits festgesetzten, aber nunmehr als Masseforderungen geltenden Steuerforderungen gegenüber dem Insolvenzverwalter einfordern kann.

86Nach (bisheriger) Auffassung der Finanzverwaltung bedarf es, soweit eine Steuerfestsetzung (Steueranmeldung) gegenüber dem Insolvenzschuldner bereits vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens erfolgt sei, für nach § 55 Abs. 4 als Masseverbindlichkeiten geltenden Steuerverbindlichkeiten keiner neuen Steuerfestsetzung gegenüber dem Insolvenzverwalter. Denn diese (erstmalige) Steuerfestsetzung gelte nach Verfahrenseröffnung gegenüber dem Insolvenzverwalter fort (vgl. BMF-Schreiben vom 17. 1.2012, a.a.O. Tz. 35).

87Gegen diese Auffassung wird jedoch eingewendet, dass eine Steuerfestsetzung gegenüber dem zukünftigen Insolvenzschuldner in der Phase des (schwachen) vorläufigen Insolvenzverfahrens nur Wirkung gegen den zukünftigen Insolvenzschuldner entfalten könne. Diese Steuerfestsetzungen würden aber keine wirksame Grundlage für eine Steuererhebung oder Vollstreckung gegen den Insolvenzverwalter darstellen (vgl. Rennert-Bergenthal, ZInsO 2011, 1922 ff).

88Der erkennenden Senates hat im summarischen Verfahren den Erlass eines schlichten Leistungsgebotes für ausreichend erachtet, wenn die bisher gegenüber dem Insolvenzschuldner festgesetzte Umsatzsteuerschuld und der nunmehr vom Insolvenzverwalter geforderte Umsatzsteuerbetrag als Masseforderung übereinstimmen (vgl. Beschluss vom 21. 3.2012 (1 V 152/12 A (U), ZIP 2012, 688). Denn auch nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens gelte der Grundsatz der Unternehmereinheit (BFH-Urteil vom  9.12.2010 V R 22/10, BFHE 232, 301, BStBl II 2011, 996; BFH-Urteil vom 24.11.2011 V R 13/11, BFHE 235, 137, BStBl II 2012, 298). Die bisherigen Steuerfestsetzungen seinen durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht gegenstandslos geworden. Lediglich die Möglichkeit der Beitreibung richte sich nunmehr nach den Vorschriften des Insolvenzrechts.

89Im Streitfall ist indes die nunmehr gegenüber dem Kläger festgesetzte Steuer mit der ursprünglich von der KG angemeldeten Steuer nicht identisch.

90Der Beklagte hat für Oktober 2011 – abweichend von dem vorangemeldeten Betrag von 7.219,36 EUR – mit Bescheid vom 20.03.2012 die Umsatzsteuer auf 4.548,88 EUR herabgesetzt. Da auf Grund der Angaben des Klägers (eingereichten Monatskonten) sich diese Steuerfestsetzung als Masseverbindlichkeit der Höhe nach als unzutreffend erwies, änderte der Beklagte die Steuerfestsetzung erneut mit Bescheid vom 31. 7.2012 (Herabsetzung auf 2.874,97 EUR). Insbesondere wurde berücksichtigt, dass die Umsätze, die vor dem  7.10.2011 von der KG erzielt wurden, nicht unter § 55 Abs. 4 InsO fallen können, weil diese nicht mit Zustimmung des Klägers entstanden sind. Die notwendige Herabsetzung der Steuerfestsetzung als Masseverbindlichkeit im Laufe des Insolvenzverfahrens ist aber nur im Wege eines an den Kläger als Insolvenzverwalter gerichteten Steuerbescheides möglich, weil die die Insolvenzmasse betreffenden Steuerfestsetzungen, wie oben dargestellt, verfahrensrechtlich gegenüber der KG nicht mehr wirksam bekannt gegeben werden können. Andere Maßnahmen des Finanzamtes, um die bisherigen Steuerfestsetzungen nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens herabzusetzen, sind nicht ersichtlich.

91Hinsichtlich des Voranmeldungszeitraums November 2011 wurde nach Insolvenzeröffnung am  2. 3.2012 eine berichtigte Voranmeldung mit einer geringeren festzusetzenden Umsatzsteuer eingereicht. Zu diesem Zeitpunkt war die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis bereits auf den Kläger übergegangen. Insoweit konnte auch für diesen Voranmeldungszeitraum die notwendige Minderung der festgesetzten Umsatzsteuer-Vorauszahlungen nur im Wege eines Steuerbescheides erfolgen, der zwingend an den Kläger als Insolvenzverwalter zu richten war. Der Umstand, dass der Bescheid keinen Hinweis auf § 55 Abs. 4 InsO enthielt, berührt dessen Wirksamkeit nicht. Zudem wurde der Formfehler durch die Ausführungen des Beklagten in der Einspruchsentscheidung geheilt (§126 Abs. 1 Nr. 3 AO).

92Ob nunmehr die Umsatzsteuer-Vorauszahlungen Oktober und November 2011 vom Beklagten doppelt festgesetzt wurden – einmal unter der ersten Steuernummer gegenüber der KG und ein zweites Mal unter der zweiten Steuernummer (Massesteuernummer) gegenüber dem Kläger – kann dahinstehen. Der Senat braucht im vorliegenden Verfahren nicht darüber zu entscheiden, ob der Beklagte verpflichtet war, die ursprünglichen Festsetzungen gegenüber der KG für Oktober und November 2011 (unter der ersten Steuernummer) ausdrücklich aufzuheben. Denn die Klage richtet sich nur gegen die an den Kläger gerichteten Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbescheide. Aus diesem Grund kann der Senat auch offen lassen, ob es sich bei den angefochtenen Bescheiden um eine neue Festsetzung (unter der zweiten Steuernummer) oder um eine geänderte Steuerfestsetzung handelt. Die ursprünglichen Festsetzungen (unter der ersten Steuernummer) wäre jedenfalls nach § 164 Abs. 2 AO änderbar gewesen (§ 168 AO).

93Zudem beinhalten die vom Beklagten als Insolvenzforderung geltend gemachten Umsatzsteuerforderungen für das Kalenderjahr 2011 die hier streitigen Beträge nicht.

94III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

95IV. Die Revision war nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen.

Besteuerung von Vergütungen an Mitglieder der OSZE-Mission im Kosovo

Die Klägerin hatte einen Wohnsitz im Inland. Sie war als abgeordnetes Missionsmitglied im Rahmen einer Mission der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) im Kosovo tätig. Im Streitjahr 2009 hielt sie sich vom 1. Januar bis zum 9. April im Kosovo und im Anschluss daran in Deutschland auf. Für diese Tätigkeit erhielt die Klägerin von der OSZE-Mission im Kosovo ein Tagegeld für Unterkunft und Verpflegung. Das Finanzamt behandelte die Einnahmen als im Inland steuerpflichtig.

Dem ist das Finanzgericht Düsseldorf entgegengetreten. Die Einnahmen seien nach dem fortgeltenden Doppelbesteuerungsabkommen zwischen der BRD und Jugoslawien im Inland steuerfrei und unterfielen allein dem sog. Progressionsvorbehalt. Zwar habe sich die Klägerin im Jahr 2009 nicht länger als 183 Tage im Kosovo aufgehalten. Zudem sei die Vergütung von einer nicht im Kosovo ansässigen Person – der OSZE mit Sitz in Wien – gezahlt worden. Die Vergütung sei indes von der OSZE-Mission im Kosovo mit fünf Außenstellen und ca. 1.200 Bediensteten und damit von einer festen Einrichtung der OSZE im Kosovo getragen worden. Insofern sei allein maßgebend, dass die Tätigkeit der Klägerin objektiv der OSZE-Mission im Kosovo zuzuordnen sei.

Schließlich folge auch aus der sog. Rückfallklausel kein inländisches Besteuerungsrecht. Der Kosovo habe nämlich auf der Grundlage einer entsprechenden – auch für die OSZE geltenden – innerstaatlichen Regelung bewusst auf sein Besteuerungsrecht verzichtet.

Das Finanzgericht Düsseldorf hat die Revision zum Bundesfinanzhof zugelassen.

Quelle: FG Düsseldorf, Mitteilung vom 05.11.2013 zum Urteil 13 K 4438/12 vom 11.10.2013

 

Finanzgericht Düsseldorf, 13 K 4438/12 E

Datum:
11.10.2013
Gericht:
Finanzgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
13. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
13 K 4438/12 E
Tenor:

Der Einkommensteuerbescheid 2009 vom 29.09.2010 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 06.11.2012 wird dahingehend geändert, dass die Einkommensteuer 2009 auf „…“ € festgesetzt wird.

Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte.

Die Revision wird zugelassen.

Das Urteil ist wegen der Kosten ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des Kostenerstattungsanspruchs der Kläger abwenden, soweit nicht die Kläger zuvor Sicherheit in derselben Höhe leisten.

1Tatbestand:

2Die Kläger sind Eheleute und wohnen in „X-Stadt“. Sie werden zusammen zur Einkommensteuer veranlagt.

3Die Klägerin, die die „…“ Staatsbürgerschaft besitzt, war seit 01.11.2008 als abgeordnetes Missionsmitglied (Seconded Mission Member) der „…“ Regierung im Rahmen einer Mission der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) im Landesteil Kosovo der ehemaligen Bundesrepublik Jugoslawien tätig. Für diese Tätigkeit erhielt sie von der OSZE-Mission im Kosovo ein Tagegeld für die Kosten von Unterkunft und Verpflegung. Ihre Einnahmen aus den Tagegeldern beliefen sich im Jahr 2009 (Streitjahr) auf insgesamt 24.237 €. Die Klägerin hielt sich im Streitjahr vom 01.01. bis 09.04.2009 im Kosovo und vom 10.04. bis 31.12.2009 in der Bundesrepublik Deutschland (BRD) auf. Da sie schwanger war, ließ sie sich für die Zeit vom 10.04. bis 08.07.2009 von der OSZE-Mission im Kosovo unbezahlt beurlauben. Ab dem 09.07.2009 befand sie sich im bezahlten Mutterschutz. Nach der Geburt des Kindes am „…“ und dem Ende des Mutterschutzes nahm die Klägerin den ihr zustehenden Resturlaub. Anschließend beantragte sie ihre Entlassung und schied aus dem Dienst der OSZE-Mission im Kosovo aus.

4Im Rahmen des Einkommensteuerbescheids 2009 vom 29.09.2010 behandelte der Beklagte die Einnahmen der Klägerin als im Inland steuerpflichtig. Er berücksichtigte nach dem Abzug von Werbungskosten von 3.801 € Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit von 20.436 €. In den Werbungskosten waren Verpflegungsmehraufwendungen für die Monate Januar bis April 2009 enthalten.

5Der Beklagte wies den fristgerecht eingelegten Einspruch mit Einspruchsentscheidung vom 06.11.2012 als unbegründet zurück.

6Die Kläger haben am 03.12.2012 Klage erhoben, mit der sie zunächst begehrt haben, die Einkünfte der Klägerin in Höhe von 20.436 € nicht der deutschen Besteuerung zu unterwerfen, sondern lediglich im Rahmen des Progressionsvorbehalts zu berücksichtigen.

7Am 19.09.2013 hat ein Erörterungstermin vor der Berichterstatterin stattgefunden. Im Rahmen dieses Erörterungstermins haben die Kläger ihr Begehren dahingehend eingeschränkt, dass Verpflegungsmehraufwendungen nur noch für Januar 2009, und nicht wie bisher für Januar bis April 2009, zu berücksichtigen seien.

8Die Kläger machen geltend, die Einkünfte der Klägerin seien im Inland von der Besteuerung freizustellen und unterlägen dem Progressionsvorbehalt.

9Die Kläger beantragten,

10den Einkommensteuerbescheid 2009 vom 29.09.2010 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 06.11.2012 dahingehend zu ändern, dass die ausländischen Einkünfte der Klägerin nicht als steuerpflichtig behandelt werden, sondern lediglich dem Progressionsvorbehalt unterliegen.

11Der Beklagte beantragt,

12              die Klage abzuweisen, hilfsweise die Revision zuzulassen.

13Der Beklagte macht geltend, der BRD stehe das Besteuerungsrecht zu. Die Voraussetzungen des Art. 16 Abs. 2 des Abkommens zwischen der BRD und der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und Vermögen vom 26.03.1987 (DBA-Jugoslawien) seien erfüllt. Bei der OSZE-Mission im Kosovo handele es sich weder um eine Betriebsstätte noch um eine feste Einrichtung der OSZE i. S. des Art. 16 Abs. 2 Buchst. c DBA-Jugoslawien. Die OSZE-Mission im Kosovo habe die Vergütungen auch nicht getragen. Außerdem hätten die Kläger nicht gem. § 50d Abs. 8 des Einkommensteuergesetzes (EStG) nachgewiesen, dass der Kosovo auf sein Besteuerungsrecht verzichtet habe.

14Die Beteiligten haben sich im Erörterungstermin am 19.09.2013 mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

15Entscheidungsgründe:

16Angesichts des Einverständnisses der Beteiligten hält der Senat es für sachgerecht, gem. § 90 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ohne mündliche Verhandlung zu entscheiden.

17Die Klage ist begründet.

18Der angefochtene Einkommensteuerbescheid 2009 vom 29.09.2010 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 06.11.2012 ist rechtswidrig und verletzt die Kläger in ihren Rechten (vgl. 100 Abs. 1 Satz 1 FGO).

191. Die Klägerin erzielt durch ihre Tätigkeit bei der OSZE-Mission im Kosovo Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit i. S. des § 19 Abs. 1 Nr. 1 EStG. Da die Klägerin im Streitjahr im Inland einen Wohnsitz hatte, unterliegt sie grundsätzlich mit sämtlichen Einkünften der unbeschränkten Einkommensteuerpflicht (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 EStG i. V. m. § 8 der Abgabenordnung –AO–). Diese Einkünfte der Klägerin aus der Tätigkeit bei der OSZE-Mission im Kosovo sind jedoch im Inland steuerfrei und unterliegen gem. § 32b Abs. 1 Nr. 3 EStG dem Progressionsvorbehalt. Das Besteuerungsrecht der BRD hinsichtlich dieser Einkünfte ist durch das DBA-Jugoslawien, das nach der Vereinbarung der BRD und der Bundesrepublik Jugoslawien vom 20.03.1997 (BGBl II 1997, 961) auch nach dem Zerfall der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien weiter anzuwenden ist, ausgeschlossen.

202. Die Einnahmen der Klägerin sind nach Maßgabe von Art. 16 Abs. 1 i. V. m. Art. 24 Abs. 1 DBA-Jugoslawien von der inländischen Besteuerung freizustellen. Das Besteuerungsrecht für diese Einkünfte steht dem Kosovo zu.

21a) Gem. Art. 16 Abs. 1 Satz 1 DBA-Jugoslawien können Einkünfte aus unselbständiger Arbeit grundsätzlich nur im Ansässigkeitsstaat des Arbeitnehmers besteuert werden, es sei denn, die Arbeit wird im anderen Vertragsstaat ausgeübt. Wird die Tätigkeit dort ausgeübt, so können die dafür bezogenen Vergütungen im anderen Staat besteuert werden (Art. 16 Abs. 1 Satz 2 DBA-Jugoslawien). Gem. Art. 24 Abs. 1 Buchst. a DBA-Jugoslawien werden bei einer in der BRD ansässigen Person von der Bemessungsgrundlage der deutschen Steuer die Einkünfte aus Jugoslawien ausgenommen, die nach diesem Abkommen in Jugoslawien besteuert werden können.

22b) Diese Voraussetzungen liegen im Streitfall vor.

23Da die Klägerin im Streitjahr im Inland einen Wohnsitz und den Mittelpunkt ihrer Lebensinteressen hatte, ist sie abkommensrechtlich in Deutschland ansässig (Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 Buchst. a DBA-Jugoslawien). Sie war auch bis zum 09.04.2009 aktiv für die OSZE-Mission im Kosovo tätig und hat dort ihre Tätigkeit ausgeübt. Die ihr zugeflossenen Tagegelder rühren, auch soweit sie erst während des Mutterschutzes und während der Gewährung des Resturlaubs ausgezahlt wurden, insgesamt aus dieser Tätigkeit her. Auch bei nachträglich ausbezahltem Arbeitslohn handelt es sich um entsprechende Einkünfte (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs –BFH– vom 12.01.2011 I R 49/10, Sammlung der Entscheidungen des BFH –BFHE– 232, 436, Bundessteuerblatt –BStBl– II 2011, 446, unter II.3.a, zu Bezügen, welche ein in Frankreich ansässiger Arbeitnehmer von seinem Arbeitgeber für eine in Deutschland ausgeübte nichtselbständige Arbeit während der Freistellungsphase nach dem sog. Blockmodell im Rahmen der Altersteilzeit erhält).

243. Dem Besteuerungsrecht des Kosovo steht Art. 16 Abs. 2 DBA-Jugoslawien nicht entgegen.

25a) Das Besteuerungsrecht des Kosovo entfällt, wenn die Voraussetzungen des Art. 16 Abs. 2 DBA-Jugoslawien erfüllt sind. Nach dieser Regelung steht dem Ansässigkeitsstaat – hier der BRD – das alleinige Besteuerungsrecht zu, wenn

26

  • 27der Empfänger – der Arbeitnehmer – sich im anderen Staat (Kosovo) insgesamt nicht länger als 183 Tage während des betreffenden Kalenderjahres aufhält (Art. 16 Abs. 2 Buchst. a DBA-Jugoslawien) und
  • 28die Vergütungen von einer Person oder für eine Person gezahlt werden, die nicht im anderen Staat (Kosovo) ansässig ist, (Art. 16 Abs. 2 Buchst. b DBA-Jugoslawien) und
  • 29die Vergütungen nicht von einer Betriebsstätte oder einer festen Einrichtung getragen werden, welche die Person im anderen Staat (Kosovo) hat (Art. 16 Abs. 2 Buchst. c DBA-Jugoslawien).

30b) Im Streitfall sind nicht sämtliche in Art. 16 Abs. 2 Buchst. a bis c DBA-Jugoslawien genannten Voraussetzungen erfüllt. Es liegen nur die Voraussetzungen des Art. 16 Abs. 2 Buchst. a und b DBA-Jugoslawien vor, nicht aber die des Art. 16 Abs. 2 Buchst. c DBA-Jugoslawien.

31aa) Die Voraussetzungen des Art. 16 Abs. 2 Buchst. a DBA-Jugoslawien sind erfüllt, da die Klägerin sich an weniger als 183 Tagen während des Streitjahres im Kosovo aufgehalten hat.

32bb) Auch die Voraussetzungen des Art. 16 Abs. 2 Buchst. b DBA-Jugoslawien liegen vor, denn die Tagegelder wurden von einer Person, der OSZE, gezahlt, die nicht im Kosovo, sondern in Wien (Österreich), ansässig ist. Der in dem DBA-Jugoslawien verwendete Begriff „Person“ ist gleichgestellt mit dem Begriff des Arbeitgebers in Art. 15 Abs. 2 Buchst. b des OECD-Musterabkommens (OECD-MA) (vgl. Raber in: Debatin/Wassermeyer, Doppelbesteuerung, Jugoslawien Art. 16 Tz. 17). Arbeitgeberin der Klägerin ist – entgegen der Ansicht der Kläger – nicht die OSZE-Mission im Kosovo, sondern die OSZE in Wien. Auch der BFH hat in seinem Urteil vom 20.08.2008 (I R 35/08, Sammlung amtlich nicht veröffentlichter Entscheidungen des BFH –BFH/NV– 2009, 26, unter II.3.c) ausgeführt, bei einer Mitarbeiterin der OSZE-Mission im Kosovo habe ein Dienstverhältnis zwischen der OSZE (in Wien) und ihr bestanden.

33cc) Entgegen der Auffassung des Beklagten sind die Voraussetzungen des Art. 16 Abs. 2 Buchst. c DBA-Jugoslawien nicht erfüllt. Die Tagegelder wurden nämlich von einer festen Einrichtung getragen, welche die Person (OSZE) im anderen Staat (Kosovo) hat.

34(1) Bei der OSZE-Mission im Kosovo handelt es sich um eine feste Einrichtung der OSZE im Kosovo.

35Durch die Formulierung „feste Einrichtung“ in Art. Art. 16 Abs. 2 Buchst. c DBA-Jugoslawien sollen Fälle in die Regelung mit einbezogen werden, in denen der Arbeitgeber keine unternehmerische Tätigkeit, sondern eine selbständige Arbeit i. S. des Art. 15 DBA-Jugoslawien ausübt, für die ihm eine feste Einrichtung zur Verfügung steht (vgl. Raber in: Debatin/Wassermeyer, Doppelbesteuerung, Jugoslawien Art. 16 Tz. 18 i. V. m. Wassermeyer/Schwenke in: Debatin/Wassermeyer, Doppelbesteuerung, MA Art. 15 Tz. 129). Eine feste Einrichtung liegt vor, wenn eine bestimmte selbständige unternehmerische Tätigkeit durch eine Geschäftseinrichtung mit einer festen örtlichen Bindung ausgeübt wird und der Bezug der Tätigkeit zum Ort der Ausübung auf eine gewisse Dauer angelegt ist (BFH-Urteil vom 28.06.2006 I R 92/05, BFHE 214, 295, BStBl II 2007, 100, unter II.3.; BFH-Urteil vom 02.12.1992 I R 77/91, BFHE 170, 126, unter II.1. zur ständigen Einrichtung i. S. des Art. 12 Abs. 2 DBA-Frankreich).

36Die OSZE-Mission im Kosovo verfügt im Kosovo über feste Geschäftseinrichtungen, die auf eine gewisse Dauer angelegt sind. Die OSZE-Mission im Kosovo wurde im Jahr 1999 ins Leben gerufen. Sie hat dort fünf Außenstellen, nämlich in Gjilan, Mitrovica, Peć, Priština und Prizren, beschäftigt ca. 1.200 Bedienstete und verfügt über ein Budget von jährlich über 20 Mio. € (OSCE Mission in Kosovo Fact Sheet 2013, facts and figures, unter www.osce.org/kosovo).

37Gegen die Einordnung der OSZE-Mission im Kosovo als feste Einrichtung der OSZE spricht nach Ansicht des Senats nicht, dass die OSZE kein Unternehmen ist, das eine Geschäftstätigkeit i. S. des Art. 7 DBA-Jugoslawien oder eine selbständige Arbeit i. S. des Art. 15 DBA-Jugoslawien ausübt. Internationalen Organisationen, Vertragsstaaten und deren Gebietskörperschaften üben grundsätzlich keine Geschäftstätigkeit und keine selbständige Arbeit aus. Dies allein kann nach Ansicht des Senats jedoch nicht dazu führen, dass das Besteuerungsrecht an den Wohnsitzstaat zurückfällt.

38(2) Die OSZE-Mission im Kosovo hat die an die Klägerin gezahlten Vergütungen getragen.

39Nach der Rechtsprechung des BFH, der sich der Senat anschließt, kommt es für die Frage, wer im Sinne dieser Vorschrift den Arbeitslohn getragen hat, darauf an, ob eine Betriebsstätte oder feste Einrichtung wirtschaftlich gesehen mit dem Arbeitslohn belastet ist. Hierfür ist allein entscheidend, ob und ggf. in welchem Umfang die von dem Arbeitnehmer ausgeübte Tätigkeit nach den Grundsätzen der Betriebsstättenbesteuerung (Art. 7 DBA-Jugoslawien und Art. 15 Abs. 1 Buchst. a DBA-Jugoslawien) der Betriebsstätte oder der festen Einrichtung zuzuordnen ist. Ob das Stammhaus später den Arbeitslohn für die Zeit, für die der Arbeitnehmer für das Stammhaus im Ausland tätig war, erstattet oder dies intern auf anderem Weg verrechnet wird, ist unerheblich. Das Besteuerungsrecht steht allein dem Staat des Arbeitsorts zu, soweit die Tätigkeit des Arbeitnehmers objektiv der dortigen Betriebsstätte oder der dortigen festen Einrichtung zuzuordnen ist (vgl. BFH-Urteil vom 24.02.1988 I R 143/84, BFHE 152, 500, BStBl II 1988, 819, unter II.4.b; ebenso Niedersächsisches Finanzgericht, Urteil vom 30.05.2000 9 K 228/95, Entscheidung der Finanzgerichte 2000, 941, beide zur Betriebsstätte).

40Bei Anwendung dieser Grundsätze hat die OSZE-Mission im Kosovo die Tagegelder der Klägerin getragen. Die OSZE-Mission im Kosovo war durch diese wirtschaftlich belastet. Die Klägerin war im fraglichen Zeitraum für die OSZE-Mission im Kosovo tätig. Die OSZE-Mission hat die Tagegelder unmittelbar mit der Klägerin abgerechnet und sie ausgezahlt. Entgegen der Ansicht des Beklagten ist insoweit nicht entscheidungserheblich, dass die OSZE (in Wien) der OSZE-Mission im Kosovo das Budget zur Verfügung gestellt hat. Maßgeblich ist, dass die Tätigkeit der Klägerin objektiv der OSZE-Mission im Kosovo zuzuordnen ist.

414. § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG begründet kein Besteuerungsrecht der BRD an den der Klägerin zugeflossenen Einkünften.

42Nach dieser Vorschrift wird, wenn Einkünfte eines unbeschränkt Steuerpflichtigen aus nichtselbständiger Arbeit (§ 19 EStG) nach einem Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung von der Bemessungsgrundlage der deutschen Steuer auszunehmen sind, die Freistellung bei der Veranlagung ungeachtet des Abkommens nur gewährt, soweit der Steuerpflichtige nachweist, dass der Staat, dem nach dem Abkommen das Besteuerungsrecht zusteht, auf dieses Besteuerungsrecht verzichtet hat oder dass die in diesem Staat auf die Einkünfte festgesetzten Steuern entrichtet wurden. Dabei erfasst § 50d Abs. 8 EStG die Fälle, in denen Einkünfte nicht oder zu gering besteuert werden, weil die Vertragsstaaten entweder von unterschiedlichen Sachverhalten ausgehen oder das Abkommen unterschiedlich auslegen, z. B. weil sie ein unterschiedliches Verständnis von Abkommensbegriffen haben (BFH-Urteil vom 05.03.2008 I R 54/07, I R 55/07, BFH/NV 2008, 1487, unter II.3.b).

43Die Voraussetzungen des § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG sind nicht erfüllt.

44Der Kosovo hat die Tagegelder der Klägerin nicht aufgrund einer abweichenden Auslegung von Bestimmungen des DBA-Jugoslawien oder deshalb nicht besteuert, weil er einen anderen Sachverhalt zugrunde gelegt hat. Die unterbliebene Besteuerung beruht darauf, dass der Kosovo nach Art. 7 Abs. 1.4 des Law No. 03/L-115 on personal income tax i. V. m. Section 1 der Regulation No. 2000/47 vom 18.08.2000 on the status, privileges and immunities of KFOR und UNMIK (United Nations Interim Administration Mission in Kosovo, deutsch: Interimsverwaltungsmission der Vereinten Nationen im Kosovo) and their personnel in Kosovo Gehälter von Angestellten der OSZE nicht besteuert. Nach diesen Regelungen sind Löhne von ausländischen „UNMIK“-Angestellten steuerfrei. Gem. Section 1 der Regulation No. 2000/47 wird die OSZE als Teil der UNMIK angesehen. Der Kosovo ist sich mithin als Ausübungsort der nichtselbständigen Tätigkeit der Mitarbeiter der OSZE-Mission seines Besteuerungsrechts hinsichtlich dieser Einkünfte bewusst, hat jedoch auf dieses verzichtet.

455. Die dem Progressionsvorbehalt unterliegenden Einkünfte ermitteln sich wie folgt:

46

Einnahmen 24.237,30 €
Flugkosten 1.619,72 €
Telefonkosten 183,83 €
Verpflegungsmehraufwendungen 1.014,00 €
Einkünfte 21.419,75 €
abgerundet 21.419,00 €

476. Der Senat berechnet die festzusetzende Einkommensteuer 2009 wie folgt:

48

zu versteuerndes Einkommen bisher „…“ €
Verminderung Einkünfte Klägerin -20.436 €
zu versteuerndes Einkommen neu „…“ €
Einkünfte unter Progressionsvorbehalt bisher 3.860 €
Erhöhung Einkünfte Klägerin + 21.419 €
Einkünfte unter Progressionsvorbehalt neu 25.279 €
zu versteuern nach Splittingtarif „…“ €
Ermäßigung für haushaltsnahe Dienstleistungen -251 €
dazu Kindergeld 920 €
festzusetzende Einkommensteuer „…“ €

497. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 135 Abs. 1, 136 Abs. 1 Satz 3 FGO. Die Kläger sind nur zu einem geringen Teil unterlegen.

508. Die Zulassung der Revision beruht auf § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO. Die Besteuerung von durch internationale Organisationen gezahlten Vergütungen erscheint für den Fall, dass der Empfänger sich im anderen Staat insgesamt nicht länger als 183 Tage während des betreffenden Kalenderjahres aufhält, grundsätzlich klärungsbedürftig.

519. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 151 Abs. 3, 155 FGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung.

Betriebsprüfung für Zeitraum von elf Jahren rechtmäßig

Die Beteiligten stritten um die Rechtmäßigkeit einer Betriebsprüfungsanordnung. Die klagende Gesellschaft betrieb ein Restaurant. Im Februar 2011 gab einer ihrer Gesellschafter eine Selbstanzeige beim Finanzamt ab, in der er Kapitalerträge für die Jahre 2000 bis 2009 nacherklärte. Im März 2011 zeigte die Klägerin dem Finanzamt an, dass der Gesellschafter jährlich ca. 24.000 Euro an Trinkgeldern erzielt habe und diese als steuerfrei behandelt worden seien. Im August 2012 ordnete das Finanzamt – ohne weitere Begründung – eine steuerliche Außenprüfung für die Jahre 2000 bis 2010 bei der Gesellschaft an. Im Anschluss daran wurden steuerstrafrechtliche Ermittlungsverfahren gegen die Gesellschafter eingeleitet.

Die Klägerin wandte sich gegen die Prüfungsanordnung und machte geltend, der Prüfungszeitraum dürfe regelmäßig nur drei zusammenhängende Besteuerungszeiträume umfassen. Dagegen wies das Finanzamt in der Einspruchsentscheidung auf den bestehenden Verdacht einer Steuerstraftat und die Wahrscheinlichkeit erheblicher Mehrergebnisse hin.

Das Finanzgericht Düsseldorf hat die Klage abgewiesen. Die Prüfungsanordnung sei formell rechtmäßig, insbesondere ausreichend begründet worden. Bei Gewerbetreibenden genüge der Hinweis auf die einschlägige Ermächtigungsgrundlage der Abgabenordnung. Zudem sei die Abweichung vom Regel-Prüfungszeitraum in der Einspruchsentscheidung nachträglich erläutert worden.

Auch in der Sache sei die Prüfungsanordnung nicht zu beanstanden. Sie habe zulässigerweise mehr als drei Jahre umfasst. Die in der Betriebsprüfungsordnung aufgeführten Ausnahmetatbestände (Erwartung erheblicher Änderungen, Verdacht einer Steuerstraftat oder Steuerordnungswidrigkeit) seien unter Zugrundelegung der Verhältnisse im Zeitpunkt der Einspruchsentscheidung erfüllt. Schließlich begründeten die laufenden Ermittlungsverfahren keinen Ermessensfehler.

Quelle: FG Düsseldorf, Mitteilung vom 05.11.2013 zum Urteil 13 K 4630/12 vom 26.09.2013, Newsletter Oktober 2013

 

Finanzgericht Düsseldorf, 13 K 4630/12 AO

Datum:
26.09.2013
Gericht:
Finanzgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
13. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
13 K 4630/12 AO
Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

1Tatbestand:

2Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit einer Anordnung einer steuerlichen Außenprüfung.

3Die Klägerin ist eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR), an der Herr „A“ und Herr „B“ zu je 50% beteiligt sind. Die Klägerin betreibt seit 1995 in „E-Stadt“ den Restaurationsbetrieb „C“. Der Gesellschafter Herr „B“ ist nicht in das operative Tagesgeschäft des Restaurationsbetriebs eingebunden.

4Der Gesellschafter Herr „A“ gab am 08.02.2011 eine Selbstanzeige bei dem Beklagten ab. In dieser erklärte er für die Veranlagungszeiträume 2000 bis 2009 Einkünfte aus Kapitalvermögen von insgesamt über 130.000 € nach.

5Die Klägerin gab mit Schreiben vom 25.03.2011 für alle noch nicht festsetzungsverjährten Veranlagungszeiträume eine Erklärung nach § 153 der Abgabenordnung (AO) gegenüber dem Beklagten ab. Darin führte sie aus, der Gesellschafter Herr „A“ habe jährlich ca. 24.000 € Einnahmen aus Trinkgeldern erzielt, die bisher entsprechend der Regelung in § 3 Nr. 51 des Einkommensteuergesetzes (EStG) als steuerfrei behandelt worden seien.

6Mit Prüfungsanordnung vom 27.08.2012 – die keine weitere Begründung enthielt – ordnete der Beklagte bei der Klägerin gem. § 193 Abs. 1 AO die steuerliche Außenprüfung für die gesonderte und einheitliche Feststellung von Einkünften, Umsatzsteuer und Gewerbesteuer 2000 bis 2010 an.

7Der Beklagte begann am 28.08.2012 mit der Außenprüfung. Am selben Tag fand eine Durchsuchung der Räumlichkeiten der Klägerin durch Beamte des Finanzamts für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung „…“ statt. Im Rahmen der Außenprüfung reichte die Klägerin die Buchführungsunterlagen für die Veranlagungszeiträume 2008 bis 2010 beim Beklagten ein.

8Die Klägerin legte mit Schreiben vom 03.09.2012 gegen die Prüfungsanordnung Einspruch ein. Sie machte geltend, der Prüfungszeitraum dürfe regelmäßig nur drei zusammenhängende Besteuerungszeiträume umfassen. Sofern dieser regelmäßige Prüfungszeitraum überschritten werde, bedürfe die Prüfungsanordnung einer substantiierten Begründung.

9Der Beklagte führte mit Schreiben vom 13.09.2012 aus, die Prüfungsanordnung umfasse gem. § 194 Abs. 1 Satz 2 AO i. V. m. § 4 Abs. 3 Satz 2 der Betriebsprüfungsordnung (BpO 2000) den Prüfungszeitraum von 2000 bis 2010, da der Verdacht einer Steuerstraftat bestehe und mit nicht unerheblichen Änderungen der Besteuerungsgrundlagen zu rechnen sei.

10Im September 2012 gelangte der Beklagte aufgrund einer anonymen Anzeige in den Besitz von an die Klägerin adressierten Lieferscheinen, die ihn vermuten ließen, der Wareneinkauf sei in der Buchführung der Klägerin nicht vollständig erfasst.

11Das Finanzamt für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung „…“ leitete daraufhin ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung gegen Herrn „A“ ein.

12Mit Schreiben vom 30.10.2012 erweiterte das Finanzamt für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung „…“ das Strafverfahren gegen den Gesellschafter Herrn „B“ wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung im Rahmen des Besteuerungsverfahrens der Klägerin für die Jahre 2005 bis 2010.

13Am 14.11.2012 fand eine Schlussbesprechung im Rahmen der Außenprüfung für die Veranlagungszeiträume 2008 bis 2010 statt, die Hinzuschätzungen anhand eines Zeitreihenvergleichs zum Gegenstand hatte.

14Der Beklagte, der den Einspruch dahingehend auslegte, dass sich dieser nur  gegen die Prüfungsanordnung für die Veranlagungszeiträume 2000 bis 2007 richte, wies diesen mit Einspruchsentscheidung vom 16.11.2012 als unbegründet zurück. Er führte im Wesentlichen aus, dass der Prüfungszeitraum gem. § 4 Abs. 3 Satz 2 BpO 2000 drei Besteuerungszeiträume übersteigen könne, wenn der Verdacht einer Steuerstraftat bestehe. Diese Voraussetzung liege im Streitfall vor. Diese Voraussage werde gestützt auf die Einleitung der Strafverfahren in Sachen der einzelnen Gesellschafter der Klägerin hinsichtlich des Verdachts von Schwarzeinnahmen und deren Zuordnung unter Berücksichtigung der dem Beklagten vorliegenden Unterlagen und Erkenntnisse. Dass das Strafverfahren lediglich für die Jahre 2005 bis 2010 eingeleitet worden sei, habe ausschließlich strafprozessuale Gründe. Ferner sei aufgrund unterschiedlicher Verprobungsmethoden, die für den Prüfungszeitraum 2008 bis 2010 durchgeführt worden seien, mit erheblichen Mehrergebnissen zu rechnen. Es sei wahrscheinlich, dass in dem davor liegenden Zeitraum 2000 bis 2007 gleichermaßen erhebliche Mehrsteuern zu erwarten seien. Hierzu sei lediglich eine Prognoseentscheidung erforderlich.

15Mit Teil-Betriebsprüfungsbericht betreffend die Veranlagungszeiträume 2008 bis 2010 vom 30.11.2012 vertraten die Prüfer die Auffassung, dass die Kassenbuchführung der Klägerin Buchführungsmängel aufweise. Deshalb schätzten sie anhand eines Zeitreihenvergleichs Erlöse von netto 643.500 € (2008), 575.000 € (2009) und 532.000 € (2010) hinzu.

16Die Klägerin hat am 17.12.2012 Klage gegen die Prüfungsanordnung erhoben.

17Sie macht geltend, dass die Strafverfahren gegen ihre beiden Gesellschafter zeitlich erst nach Erlass der Prüfungsanordnung eingeleitet worden seien. Deshalb hätte es zur Begründung des verlängerten Prüfungszeitraums in der Prüfungsanordnung einer Darstellung der konkreten Verdachtsmomente bedurft. Eine Selbstanzeige eines Gesellschafters für Einkünfte aus Kapitalvermögen für die Veranlagungszeiträume 2000 bis 2009 sei nicht geeignet, die Anordnung einer Außenprüfung für insgesamt elf Veranlagungszeiträume einer gewerblich tätigen GbR zu rechtfertigen. Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass die nachträglich erklärten Einkünfte des Gesellschafters Herrn „A“ aus der Anlage von erhaltenen Trinkgeldern aus dem Restaurationsbetrieb der Klägerin stammten, welche dem Beklagten im Rahmen der Berichtigungserklärung vom 25.03.2011 angezeigt worden seien. Soweit die aus dem Restaurationsbetrieb der Klägerin stammenden Einnahmen des Gesellschafters Herrn „A“ aus Trinkgeldern entsprechend § 3 Nr. 51 EStG als steuerfrei behandelt worden seien, erscheine das Vorliegen einer Steuerhinterziehung äußerst zweifelhaft. Denn der Gesellschafter Herr „A“ habe in der Berichtigungserklärung vom 25.03.2011 den relevanten Sachverhalt gegenüber dem Beklagten vollständig dargelegt. Der erweiterte Prüfungszeitraum könne auch nicht mit der Durchführung verschiedener Verprobungsmethoden begründet werden. Denn etwaige Erkenntnisse aus einem – allein durchgeführten – Zeitreihenvergleich hätten bei Erlass der Prüfungsanordnung noch nicht vorgelegen. Hinsichtlich der Frage, ob die Prüfungsanordnung ermessensfehlerfrei ergangen sei, könne nicht auf den Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung abgestellt werden. Denn Tatsachen und Beweismittel, die erst im Rahmen von Prüfungshandlungen ermittelt und aufgefunden würden, dürften nicht nachträglich zur Begründung des verlängerten Prüfungszeitraums herangezogen werden. Soweit das Gericht in dem Beschluss im Verfahren der Aussetzung der Vollziehung vom 25.03.2013 auf die BFH-Urteile vom 28.04.1988 (IV R 106/86, BStBl II 1988, 857) und vom 14.09.1993 (VIII R 56/92, BFH/NV 1994, 677) Bezug genommen habe, beträfen diese jeweils Sachverhalte, in denen der Prüfungszeitraum einer bereits begonnen Außenprüfung auf Grundlage dort gewonnener Erkenntnisse nachträglich erweitert worden sei. Vorliegend gehe es jedoch nicht um eine Prüfungserweiterung, sondern um einen Prüfungszeitraum, der von vorneherein den dreijährigen Regelzeitraum überschreite. Außerdem werde die Außenprüfung im Streitfall möglicherweise als Maßnahme zur Erforschung von Steuerstraftaten und Steuerordnungswidrigkeiten eingesetzt.

18Die Klägerin beantragt,

19die Anordnung einer steuerlichen Außenprüfung vom 27.08.2012 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 16.11.2012 insoweit aufzuheben, als die Prüfung für die Zeiträume 2000 bis 2007 angeordnet wird, hilfsweise für den Fall des Unterliegens, die Revision zuzulassen.

20Der Beklagte beantragt,

21die Klage abzuweisen.

22Er trägt vor, für die Ausweitung des Prüfungszeitraums über drei Veranlagungszeiträume hinaus reiche der Verdacht einer Straftat aus. Aufgrund der Selbstanzeige des Gesellschafters Herrn „A“ und aufgrund der Berichtigungserklärung vom 25.03.2012 habe bei Erlass der Prüfungsanordnung ein solcher Verdacht bestanden. Dieser sei zudem durch die im September 2012 eingegangene anonyme Anzeige bestätigt worden. Die Einleitung des Strafverfahrens sei nicht erforderlich.

23Entscheidungsgründe:

24Das Gericht legt die Klage dahingehend aus, dass die Klägerin von vorneherein nur die Aufhebung der Anordnung einer steuerlichen Außenprüfung, soweit die Prüfung für die Zeiträume 2000 bis 2007 angeordnet wird, begehrte. Dies hat die Klägerin im Rahmen der mündlichen Verhandlung am 26.09.2013 bestätigt.

25Die Klage ist unbegründet.

261. Die Anordnung der steuerlichen Außenprüfung vom 27.08.2012 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 16.11.2012 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (vgl. § 100 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung –FGO–).

27a) Die angefochtene Prüfungsanordnung ist formell rechtmäßig.

28aa) Die auf § 193 Abs. 1 AO gestützte Prüfungsanordnung entspricht den formellen Anforderungen des § 196 AO. Der Beklagte hat die Prüfungsanordnung schriftlich erteilt und das Prüfungssubjekt (Klägerin) sowie den Prüfungsumfang (gesonderte und einheitliche Feststellung von Einkünften, Umsatzsteuer und Gewerbesteuer 2000 bis 2010) hinreichend bezeichnet.

29bb) Der Beklagte hat die Prüfungsanordnung auch hinreichend begründet. Eine Prüfungsanordnung ist gem. § 196 AO schriftlich zu erteilen und deshalb nach § 121 Abs. 1 AO schriftlich zu begründen, soweit dies zu ihrem Verständnis erforderlich ist.

30Nach ständiger Rechtsprechung des BFH, der der Senat folgt, genügt bei Steuerpflichtigen, bei denen nach § 193 Abs. 1 AO eine Außenprüfung zulässig ist (Gewerbetreibende, Land- und Forstwirte sowie Freiberufler), als Begründung für die Anordnung einer Außenprüfung grundsätzlich der Hinweis auf die Vorschrift des § 193 Abs. 1 AO (BFH-Beschlüsse vom 26.06.2007 V B 97/06, Sammlung amtlich nicht veröffentlichter Entscheidungen des BFH –BFH/NV– 2007, 1805, unter II.1.b cc; vom 11.06.2004 IV B 231/02, BFH/NV 2004, 1501, unter 1.). Diese Voraussetzungen liegen im Streitfall vor. Die Klägerin betreibt einen Restaurationsbetrieb und unterliegt deshalb gem. § 193 Abs. 1 AO der Außenprüfung. Nach der Rechtsprechung muss die Begründung der Prüfungsanordnung jedoch die Ermessenserwägungen erkennen lassen, wenn von dem nach § 4 Abs. 3 BpO 2000 von der Finanzverwaltung im Wege einer Selbstbindung ihres Ermessens festgelegten Prüfungszeitraum abgewichen wird (BFH-Beschluss vom 27.10.2003 III B 13/03, BFH/NV 2004, 312, unter 1.c). Dabei reicht es aus, wenn die erforderliche Begründung in der Entscheidung über den außergerichtlichen Rechtsbehelf enthalten ist, denn nach § 126 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 2 AO kann die notwendige Begründung auch nachträglich bis zum Abschluss der Tatsacheninstanz eines finanzgerichtlichen Verfahrens nachgeholt werden (vgl. noch zu früheren Gesetzeslage, nach der die Begründung bis zum Abschluss des außergerichtlichen Rechtsbehelfsverfahren nachgeholt werden konnte: BFH-Beschluss vom 27.10.2003 III B 13/03, BFH/NV 2004, 312, unter 1.c; BFH-Urteil vom 19.08.1998 XI R 37/97, BStBl II 1999, 7, unter II.1.). Im Streitfall liegt eine Abweichung von dem nach § 4 Abs. 3 Satz 1 BpO 2000 regelmäßig vorgesehenen Prüfungszeitraum von drei zusammenhängenden Besteuerungszeiträumen vor. Der Beklagte ordnete einen Prüfungszeitraum von elf Veranlagungszeiträumen (2000 bis 2010) an. Diese Abweichung hat der Beklagte zwar nicht im Rahmen der Prüfungsanordnung vom 27.08.2012, jedoch in dem Schreiben vom 13.09.2012, in dem er ausführte, die Prüfungsanordnung umfasse den Prüfungszeitraum von 2000 bis 2010, da der Verdacht einer Steuerstraftat bestehe und mit nicht unerheblichen Änderungen der Besteuerungsgrundlagen zu rechnen sei, sowie – ausführlicher – in der Einspruchsentscheidung vom 16.11.2012 hinreichend begründet.

31b) Die angefochtene Prüfungsanordnung ist auch materiell rechtmäßig.

32aa) Die Voraussetzungen des § 193 Abs. 1 AO sind im Streitfall erfüllt. Die Klägerin erzielt durch den Restaurationsbetrieb Einkünfte aus Gewerbebetrieb.

33bb) Der Erlass der Prüfungsanordnung ist ermessensfehlerfrei erfolgt.

34aaa) Die Prüfungsanordnung ist hinsichtlich des angeordneten Prüfungszeitraums ermessensfehlerfrei ergangen.

35Gem. § 194 Abs. 1 Satz 2 AO kann die Außenprüfung eine oder mehrere Steuerarten und einen oder mehrere Besteuerungszeiträume umfassen. Der zeitliche Umfang einer Außenprüfung liegt daher im Ermessen der Finanzbehörde. Da die Finanzbehörde aufgrund ihrer begrenzten Prüfungskapazitäten nicht sämtliche gemäß § 193 Abs. 1 AO der Außenprüfung unterliegenden Steuerpflichtigen für alle Besteuerungszeiträume prüfen kann, muss sie unter den zu prüfenden Betrieben und hinsichtlich des Prüfungsumfangs eine Auswahl treffen. Das der Finanzbehörde zustehende Ermessen ist allerdings durch die allgemeinen Verwaltungsvorschriften BpO 2000 vom 15.03.2000 (BStBl I 2000, 368, zuletzt geändert durch die allgemeine Verwaltungsvorschrift vom 20.07.2011, BStBl I 2011, 710) eingeschränkt. Diese Selbstbeschränkung ist auch im gerichtlichen Verfahren zu beachten (BFH-Urteil vom 08.12.1993 XI R 69/92, BFH/NV 1994, 500). Der Erlass einer Prüfungsanordnung kann als Ermessensentscheidung vom Gericht nur darauf überprüft werden, ob die Grenzen des Ermessens überschritten wurden oder ob von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht wurde (§ 102 Satz 1 FGO).

36Nach § 4 Abs. 1 BpO 2000 bestimmt die Finanzbehörde den Umfang der Außenprüfung nach pflichtgemäßem Ermessen. Dabei soll nach § 4 Abs. 3 Satz 1 BpO 2000 bei anderen als den in § 4 Abs. 2 BpO 2000 genannten Betrieben – zu denen derjenige der Klägerin nicht gehört – der Prüfungszeitraum in der Regel nicht mehr als drei zusammenhängende Besteuerungszeiträume umfassen. Der Prüfungszeitraum kann jedoch gem. § 4 Abs. 3 Satz 2 BpO 2000 insbesondere dann drei Besteuerungszeiträume übersteigen, wenn mit nicht unerheblichen Änderungen der Besteuerungsgrundlagen zu rechnen ist oder wenn der Verdacht einer Steuerstraftat oder einer Steuerordnungswidrigkeit besteht. Die in § 4 Abs. 3 BpO 2000 getroffene Regelung selbst ist nach ständiger Rechtsprechung des BFH, der sich der Senat anschließt, ermessensgerecht (vgl. BFH-Beschluss vom 11.08.2005 XI B 207/04, BFH/NV 2006, 9, unter 1.). Ob mit nicht unerheblichen Änderungen der Besteuerungsgrundlagen zu rechnen ist oder der Verdacht einer Steuerstraftat oder einer Steuerordnungswidrigkeit besteht, beurteilt sich nach den Verhältnissen im Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung, d. h. der Einspruchsentscheidung, und nicht wie die Klägerin meint, nach den Verhältnissen bei Erlass der Prüfungsanordnung (vgl. BFH-Urteil vom 28.04.1988 IV R 106/86, BStBl II 1988, 857, unter 4., wonach bei einer Entscheidung durch die Oberfinanzdirektion über eine Erweiterung des Prüfungszeitraums die Verhältnisse im Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung maßgeblich waren; ebenso BFH-Urteil vom 01.08.1984 I R 138/80, BStBl II 1985, 350, unter II.1.b bb; BFH-Urteil vom 14.09.1993 VIII R 56/92, BFH/NV 1994, 677, unter II.2.a). Die Behörde muss in die letzte Verwaltungsentscheidung alle ihr bekannten Umstände einbeziehen. Der BFH hat insoweit zu der Erweiterung eines Prüfungszeitraums ausgeführt, bei der Entscheidung über eine solche Erweiterung müssten auch bereits für diesen Zeitraum bekanntgewordene Prüfungsergebnisse berücksichtigt werden, falls trotz der Anfechtung der Prüfungsanordnung die erweiterte Prüfung ganz oder teilweise durchgeführt worden sei. Diese Auffassung wirke sich zu Lasten des Steuerpflichtigen aus, wenn sich erst durch diese Prüfung Anhaltspunkte für nicht unerhebliche Nachforderungen ergeben hätten. Sie wirke sich zu Gunsten aus, wenn nach den Ergebnissen der ursprünglichen Prüfung mit nicht unerheblichen Mehrsteuern im erweiterten Prüfungszeitraum zu rechnen gewesen sei, diese Erwartungen sich aber nach den im Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung bekannten Ergebnisse der erweiterten Prüfung nicht bewahrheitet hätten (vgl. BFH-Urteil vom 28.04.1988 IV R 106/86, BStBl II 1988, 857, unter 4.).

37Die angefochtene Prüfungsanordnung lässt Ermessensfehler nicht erkennen. Sie entspricht der Vorschrift des § 4 Abs. 3 Satz 2 BpO 2000 und umfasst zulässigerweise mehr als drei, nämlich elf, zusammenhängende Besteuerungszeiträume.

38Im Streitfall war im Zeitpunkt der Einspruchsentscheidung vom 16.11.2012 als der maßgeblichen letzten Verwaltungsentscheidung der Verdacht einer Steuerstraftat oder Steuerordnungswidrigkeit gegeben. Auf diesen Verdacht stützte der Beklagte sowohl im Schreiben vom 13.09.2012 als auch in der Einspruchsentscheidung vom 16.11.2012 den Prüfungszeitraum. Er machte insoweit geltend, dass bereits vor Ergehen der Einspruchsentscheidung Strafverfahren gegen die Gesellschafter der Klägerin eingeleitet worden waren. Für den Erlass einer mehr als drei Besteuerungszeiträume umfassenden Prüfungsanordnung ist insoweit nicht entscheidend, ob eine Steuerstraftat oder Steuerordnungswidrigkeit begangen oder nicht begangen wurde. Maßgeblich ist nur, ob der Verdacht einer Steuerstraftat oder Steuerordnungswidrigkeit besteht. Dies ist vorliegend bereits aufgrund der Einleitung der Strafverfahren der Fall. Entgegen der Ansicht der Klägerin mussten die konkreten Verdachtsmomente auch nicht im Einzelnen dargestellt werden. Der Hinweis in der Einspruchsentscheidung vom 16.11.2012, dass ein Verdacht von Schwarzeinnahmen bestehe, genügt insoweit.

39Im Streitfall war außerdem im Zeitpunkt der Einspruchsentscheidung mit nicht unerheblichen Änderungen der Besteuerungsgrundlagen zu rechnen. Aufgrund der bei Erlass der Einspruchsentscheidung vom 16.11.2012 bereits für die Veranlagungszeiträume 2008 bis 2010 durchgeführten Außenprüfung, bei der Buchführungsmängel festgestellt wurden, ergaben sich aufgrund der angewandten Verprobungsmethode erhebliche Mehreinnahmen für diese Veranlagungszeiträume. Es war von dem Beklagten nicht ermessensfehlerhaft, auch für die Vorjahre ähnliche Buchführungsmängel und Mehreinnahmen zu erwarten. Der Hinweis auf die erwarteten Mehrsteuern für den Zeitraum 2000 bis 2007 in der Einspruchsentscheidung genügt insoweit. Denn der Beklagte hat der Klägerin das Ergebnis seiner Außenprüfung für die Veranlagungszeiträume 2008 bis 2010 bereits in der Schlussbesprechung am 14.11.2012 und damit vor Ergehen der Einspruchsentscheidung vom 16.11.2012 mitgeteilt.

40Soweit die Klägerin zutreffend darauf hinweist, dass die BFH-Urteile vom 28.04.1988 (IV R 106/86, BStBl II 1988, 857) und vom 14.09.1993 (VIII R 56/92, BFH/NV 1994, 677), in denen der BFH die Verhältnissen im Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung als maßgeblich angesehen hat, jeweils Sachverhalte betreffen, in denen der Prüfungszeitraum einer bereits begonnen Außenprüfung auf Grundlage dort gewonnener Erkenntnisse nachträglich erweitert wurde, lässt sich daraus nicht folgern, dass es vorliegend auf den Zeitpunkt des Erlasses der Prüfungsanordnung ankommt. Nach allgemeinen Grundsätzen ist bei Ermessensentscheidungen die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung maßgeblich (vgl. allgemein zu Ermessensentscheidungen: von Groll in: Gräber, FGO, 7. Auflage, § 102 Rn. 13; BFH-Urteil vom 28.06.2000 X R 24/95, BStBl II 2000, 514, unter II.2.c; BFH-Urteil vom 11.06.1997 X R 14/95, BStBl II 1997, 642, unter II.1.; BFH-Urteil vom 26.03.1991 VII R 66/90, BStBl II 1991, 545). Dies muss gleichermaßen bei der unmittelbaren Anordnung einer Außenprüfung für mehr als drei Veranlagungszeiträume wie auch bei der Erweiterung einer Außenprüfung gelten.

41bbb) Die Prüfungsanordnung ist auch, obwohl das Finanzamt für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung „…“ inzwischen ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren gegen die beiden Gesellschafter der Klägerin eingeleitet hat, ermessensfehlerfrei.

42Nach der Rechtsprechung des BFH sind Ermittlungen im Rahmen einer Außenprüfung nach Einleitung eines Steuerstrafverfahrens nicht ausgeschlossen. Es besteht keine sich gegenseitig ausschließende Zuständigkeit von Außenprüfung und Steuerfahndung. Die Zulässigkeit des Nebeneinanders von Außenprüfung und Steuerfahndungsprüfung ergibt sich eindeutig aus § 393 Abs. 1 Satz 1 AO, wonach sich die Rechte und Pflichten des Steuerpflichtigen und der Finanzbehörde im Besteuerungsverfahren und im Strafverfahren nach den für das jeweilige Verfahren geltenden Vorschriften richten. Dementsprechend hindert die Einleitung eines Steuerstrafverfahrens weitere Ermittlungen durch die Außenprüfung nicht. Die Finanzbehörde ermittelt den Sachverhalt auch bei Verdacht einer Steuerstraftat. Mit welchen Mitteln oder auf welche Weise sie dieser Ermittlungspflicht nachkommt, ist eine Frage der Zweckmäßigkeit und der Praktikabilität (vgl. BFH-Beschluss vom 03.04.2003 XI B 60/02, BFH/NV 2003, 1034, unter 1.a; BFH-Urteil vom 19.08.1998 XI R 37/97, BStBl II 1999, 7, unter II.2.).

43Bei Anwendung dieser Grundsätze war der Beklagte nicht gehindert, eine Außenprüfung bei der Klägerin anzuordnen und diese Außenprüfung durchzuführen. Insbesondere liegt im Streitfall kein Anlass dafür vor, die Finanzbehörden von vornherein ausschließlich auf eine Steuerfahndungsprüfung zu verweisen.

442. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

453. Die Revision war nicht zuzulassen. Weder hat die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung im Streitfall eine Entscheidung des BFH (§ 115 Abs. 2 FGO).