Branntweinsteuer: Erlass aus sachlichen Billigkeitsgründen

Finanzgericht Düsseldorf, 4 K 4515/12 AO

Datum:
18.09.2013
Gericht:
Finanzgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
4. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
4 K 4515/12 AO
Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Die Revision wird zugelassen.

1Tatbestand:

2Die Klägerin betrieb offene Branntweinläger. Ihr war für alle Läger die Lagerung und Verteilung von vergälltem Branntwein bewilligt worden.

3Auf Prüfungsanordnung des Beklagten vom 10.05.2007 begann am 05.06.2007 bei der Klägerin eine Außenprüfung der Branntweinsteuer für das Jahr 2006 durch das Hauptzollamt „L-Stadt“, die mit Bericht vom 07.07.2008, AB-Nr. „…“, abgeschlossen wurde. Darin stellten die Prüfungsbeamten u.a fest:

4Die Klägerin lieferte der „Q-GmbH“, „W-Stadt“ 15 Sendungen Agrar-Ethanol 99,9% mit zusammen 41.041,08 lA, die mit Isopropanol und Tertiärbutanol vergällt waren. Die Klägerin hatte die Auslagerung dieses Alkohols als „unversteuert auf allgemeine Erlaubnis“ erfasst. Die „Q-GmbH“ war jedoch nicht im Besitz der dafür erforderlichen förmlichen Verwendererlaubnis. Diese wurde ihr erst mit Wirkung vom 20.04.2007 durch das Hauptzollamt „E-Stadt“ erteilt.

5Mit der Entnahme aus dem offenen Branntweinlager sei Branntweinsteuer von 534.765,27 € entstanden (Tz. 3.5.3 des Prüfungsberichts).

6Der Beklagte schloss sich den Feststellungen des Hauptzollamts „L-Stadt“ an und erhob mit Steuerbescheid vom 18.12.2009 u.a. 534.765,27 € Branntweinsteuer, die die Klägerin auch zahlte. Die mit gleichen Bescheid weiter festgesetzte Branntweinsteuer von 24.647.284,34 €  erließ der Beklagte in der Folgezeit.

7Mit Schreiben vom 19.02.2008 beantragte die Klägerin beim Beklagten den Erlass der gesamten Branntweinsteuer und trug dazu hinsichtlich des o.a. Sachverhalts vor, dass die „Q-GmbH“ keinen Erlaubnisschein beantragt habe, sei erst im Rahmen der Außenprüfung für das Jahr 2005 bekannt geworden. Sofort danach habe sie die „Q-GmbH“ über die getroffenen Feststellungen informiert und gebeten, eine entsprechende Erlaubnis bei dem für sie zuständigen HZA „E-Stadt“ zu beantragen.

8Bis 2005 sei die „Q-GmbH“ mit Ethanol, vergällt durch Methylethylketon (MEK), beliefert worden. Diese Vergällung sei allgemein erlaubt gewesen, sodass ein Erlaubnisschein nicht erforderlich gewesen sei. Auf Wunsch des Kunden sei im Laufe des Jahres 2005 das Vergällungsmittel geändert worden.

9Das HZA „E-Stadt“ habe auf den Antrag der „Q-GmbH“ am 21.02.2007 zunächst einen unzutreffenden Erlaubnisschein erteilt und nach einem erneuten Antrag am 26.04.2007 einen Erlaubnisschein zutreffenden Inhalts erteilt. Die „Q-GmbH“ habe mit Schreiben vom 21.12.2007 bestätigt, dass der bezogene und vergällte Branntwein zur Herstellung von Desinfektionsmitteln zur Anwendung in der Dentalmedizin eingesetzt worden sei. Eine betrügerische Absicht habe nicht vorgelegen, sondern vielmehr Fahrlässigkeit der Beteiligten.

10Mit Verfügung vom 11.10.2011, zur Post gegeben am 14.10.2011, lehnte der Beklagte den Antrag hinsichtlich der Alkohollieferungen an die „Q-GmbH“ ab und führte dazu aus, Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis könnten nach § 227 Abgabenordnung (AO) ganz oder teilweise erlassen werden, wenn deren Einziehung nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre. Billigkeitsgründe können dabei in der Sache selbst oder in der Person des Steuerpflichtigen liegen.

11Sachliche Billigkeitsgründe seien in der Regel nur gegeben, wenn nach dem erklärten oder mutmaßlichen Willen des in Betracht kommenden Steuergesetzes angenommen werden könne, dass die im Billigkeitswege zu entscheidende Frage im Falle ihrer ausdrücklichen Regelung im Sinne der beabsichtigten Billigkeitsmaßnahme entschieden worden wäre, es sich mithin um Steuerfälle handele, in denen Tatbestände verwirklicht würden, die der Gesetz – oder Verordnungsgeber nicht habe voraussehen können oder die er nicht habe regeln wollen, um die Rechtsvorschriften nicht mit selten vorkommenden Tatbeständen zu belasten, bei deren Vorliegen die Einziehung der Steuer jedoch unbillig wäre.

12In dem zu beurteilenden Sachverhalt liege demgegenüber eine ausdrückliche Regelung vor – nämlich die Entstehung der Branntweinsteuer durch Entfernen aus dem Steuerlager, ohne dass sich ein weiteres Steueraussetzungsverfahren angeschlossen habe -, sodass der vorliegende Sachverhalt vom Gesetzgeber gesehen und ausdrücklich geregelt worden sei. Eine Besteuerung laufe den Wertungen des Gesetzgebers nicht zuwider.

13Eine Billigkeitsmaßnahme nach Nr. 7.1.1 der Dienstvorschrift zur Anwendung der Abgabenordnung im Bereich der Zollverwaltung (AO-DV Zoll) zu § 227 scheide aus.

14Danach könne eine Billigkeitsmaßnahme hinsichtlich einer Verbrauchsteuerschuld für Fälle abgabenrechtlich nachteiligen Verhaltens gerechtfertigt sein, soweit diese entschuldbar seien und sofern die für eine Billigkeitsmaßnahme erforderlichen Voraussetzungen erfüllt seien.

15Bei der fehlenden Erlaubnis des Empfängers handele es sich nicht um Verfahrensvorschriften, sondern vielmehr um die fehlende materielle Berechtigung des Empfängers der Erzeugnisse zum Empfang von verbrauchsteuerpflichtigen Waren unter Steueraussetzung.

16Aufgrund der nicht vorhandenen Erlaubnis der „Q-GmbH“ zum Empfang von Branntwein unter Steueraussetzung habe ihr die materielle Berechtigung zum Empfang verbrauchsteuerpflichtiger Waren unter Steueraussetzung gefehlt. Somit liege darin eine Verletzung des materiellen Rechts und kein abgabenrechtlich nachteiliges Verhalten als Folge einer versehentlichen Verletzung von Verfahrensvorschriften.

17Weiter seien Verstöße gegen fundamentale Gerechtigkeitsprinzipien, aufgrund derer die Einziehung des Anspruchs sachlich unbillig wäre, nicht ersichtlich.

18Sachliche Billigkeitsgründe seien damit für die Lieferungen an die „Q-GmbH“ nicht gegeben.

19Aufgrund der Höhe des nicht zu erlassenden Betrages griffen die vorgetragenen persönlichen Billigkeitsgründe nicht, sodass weder sachliche noch persönliche Billigkeitsgründe einen Erlass der verbleibenden Branntweinsteuer rechtfertigen könnten.

20Zur Begründung des dagegen fristgerecht eingelegten Einspruchs trug die Klägerin vor, im Streitfall liege der Steuerschuldentstehung ein abgabenrechtlich nachteiliges Verhalten gem. AO-DV Nr. 7.1.1 zu § 227 AO vor.

21Die „Q-GmbH“ sei bis ins Jahr 2005 mit MEK — vergälltem Branntwein von ihr beliefert worden. Erst durch die Änderung der Rezeptur hätten plötzlich andere formale Voraussetzungen bestanden, die die Erteilung einer förmlichen Einzelerlaubnis erforderlich gemacht hätten. Dessen seien sich weder die „Q-GmbH“ noch sie selbst zunächst bewusst gewesen.

22Zwar habe die „Q-GmbH“ bei Umstellung des Vergällungsmittels von MEK auf Isopropanol und Tertiärbutanol keinen Antrag auf Erlaubnis zur steuerfreien Verwendung gestellt. Sofern sie bei Kenntnis der Erlaubnispflicht schon 2005 einen Antrag gestellt hätte, wäre es 2006 nicht zur Entstehung von Branntweinsteuer gekommen, da dem Antrag stattgegeben worden wäre.

23Die fehlende Erlaubnis stelle lediglich eine bloße Verletzung von Verfahrensvorschriften dar, da die materiell-rechtlichen Voraussetzungen für die Erteilung einer entsprechenden Erlaubnis für die steuerfreie Verwendung von Branntwein bereits im Jahr 2005 vorgelegen hätten.

24Darüber hinaus sei zu ihren Gunsten zu berücksichtigen, dass sie, nachdem das Fehlen der Erlaubnis der „Q-GmbH“ bekannt geworden sei, unverzüglich alles getan habe, damit die „Q-GmbH“ eine Erlaubnis zur steuerfreien Verwendung von Branntwein erhalten habe. Da sie nichts verschuldet habe, aber nach Kenntnis der Sach- und Rechtslage alles getan habe, um den Verstoß zu beseitigen, sei es unangemessen, sie mit einer unverhältnismäßig hohen Nacherhebung von Branntweinsteuer zu belasten.

25Mit Einspruchsentscheidung vom 07.11.2012 wies der Beklagte den Einspruch als unbegründet zurück und führte dazu aus: Wie bereits in seiner angefochtenen Verfügung dargelegt, sei eine Erlaubnis des Verwenders eine materiell-rechtliche Voraussetzung für eine Steuerbefreiung von Branntwein beim Versand an einen Verwender, die für die fraglichen Lieferungen nicht erfüllt gewesen sei. Eine Verletzung verfahrensrechtlicher Vorschriften könne nur vorliegen, wenn diese bei Vorliegen der materiell-rechtlichen

26Voraussetzungen für ein Verfahren geschehen seien. Fehle es jedoch bereits an materiell-rechtlichen Voraussetzungen, um beispielsweise eine Steuerbegünstigung zu erreichen, könnten keine verfahrensrechtlichen Vorschriften verletzt werden.

27Die Entstehung der Steuerschuld durch Entfernung des Erzeugnisses aus dem Steuerlager der Klägerin, ohne dass sich ein weiteres Steueraussetzungsverfahren angeschlossen habe, sei im Gesetz eindeutig geregelt. Die Einziehung des Anspruchs widerspreche mithin nicht dem Besteuerungszweck, sodass sich auch hieraus keine Erstattungstatbestände herleiten ließen.

28Auch soweit die Klägerin darlege, sie habe nach Bekanntwerden des Fehlens einer Erlaubnis der „Q-GmbH“ alles getan, damit die „Q-GmbH“ eine Erlaubnis zur steuerfreien Verwendung von Branntwein erhalte, könne keine Erstattung aus Billigkeitsgründen begründen. Maßgebend sei insoweit nur, dass der „Q-GmbH“ eine Erlaubnis bei Abgabe des so vergällten Branntweins durch die Klägerin nicht erteilt worden sei und die Klägerin offensichtlich entgegen § 26 Abs. 3 der Branntweinsteuerverordnung in der seinerzeit geltenden Fassung (BrStV) bei der Abgabe des unversteuerten vergällten Branntweins auch nicht die Vorlage eines entsprechenden Erlaubnisscheins verlangt habe. Bei Beachtung dieser Vorschriften hätte sie problemlos erkennen können und müssen, dass sie keinen in der von ihr vorgenommenen Weise vergällten steuerfreien Alkohol an die „Q-GmbH“ habe ausliefern dürfen. Insoweit habe auch sie die Steuerentstehung verschuldet.

29Auch nach einer nochmaligen Überprüfung des Sachverhalts seien weder Verstöße gegen fundamentale Gerechtigkeitsprinzipien wie Vertrauensschutz, Treu und Glauben, Fehlverhalten der Zollbehörde, Gleichheitsgrundsatz oder Willkürverbot erkennbar geworden noch von der Klägerin vorgetragen worden. Persönliche Billigkeitsgründe lägen nicht vor.

30Zur Begründung ihrer fristgerecht erhobenen Klage wiederholt und vertieft die Klägerin ihr bisheriges Vorbringen und trägt ergänzend vor:

31Der Beklagte habe in der Einspruchsentscheidung keine ermessensgerechte Billigkeitsentscheidung getroffen. Sie lasse schon nicht erkennen, inwieweit die in der Verfügung vom 11.10.2011 getroffenen Erwägungen ermessensgerecht seien. Zudem werde der Begriff der Unbilligkeit unrichtig ausgelegt, weil der Beklagte ersichtlich davon ausgehe, dass schon die der „Q-GmbH“ fehlende Erlaubnis eine Billigkeitsmaßnahme ausschließe, obwohl sich gerade die Frage stelle, wie denn auf Grund der fehlenden Erlaubnis zu entscheiden sei.

32Zudem seien die Bestimmungen der AO-DV Zoll zu § 227 nicht abschließend.

33Vielmehr sei im Streitfall das Ermessen dahingehend reduziert, dass allein ein vollständiger Billigkeitserlass in Betracht komme. Nach der Richtlinie 92/83/EWG des Rates vom 19.10.1992 zur Harmonisierung der Struktur der Verbrauchsteuern auf Alkohol und alkoholische Getränke (ABl. EG Nr. L  316 S. 21) – RL 92/83 – solle Alkohol nur besteuert werden, wenn er zu Trink- oder Genusszwecken eingesetzt werde. Damit sei ein Verzicht auf die Besteuerung vergällten Alkohols systemgerecht und müsse im Rahmen der Billigkeit berücksichtigt werden, zumal der an die „Q-GmbH“ gelieferte Alkohol für eine Steuerbefreiung zweckgerecht verwendet worden sei.

34Im Streitfall seien zudem weder der Steueranspruch noch die Steueraufsicht gefährdet gewesen. Aus § 143 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes über das Branntweinmonopol (BranntwMonG) ergebe sich der Rechtsgedanke, dass eine Besteuerung nicht stattzufinden habe, wenn Ware an Personen geliefert worden sei, die zu ihrem Bezug unter Steueraussetzung berechtigt gewesen seien.

35Die Unverhältnismäßigkeit der Besteuerung ergebe sich auch schon daraus, dass die Steuer in keinem Verhältnis zu dem von ihr erzielbaren Rohgewinn stehe.

36Bei der fehlenden Erlaubnis der „Q-GmbH“ handele es nur um eine Formalie, die unter Berücksichtigung des unionsrechtlich weitgehend harmonisierten Verbrauchsteuerrechts nach den Grundprinzipien des unionsrechtlichen Steuerrechts einer Steuerentstehung entgegenstehe. Nach dem Verhältnismäßigkeitsprinzip und dem Vorrang materieller Anforderungen vor reinen Formalien hätte die streitige Branntweinsteuer nicht festgesetzt werden dürfen.

37Das Vorliegen einer Erlaubnis sei mit dem sog. Buch- und Belegnachweis im Umsatzsteuerrecht vergleichbar.

38Bei einem fehlenden elektronischen Verwaltungsdokument handele es sich ebenfalls um eine Formalie, deren Nichteinhaltung nach den Grundsätzen des Unionssteuerrechts nicht ohne weiteres zur Steuerentstehung führen könne, sondern allenfalls eine Beweislastumkehr rechtfertige.

39Auch die Umsatzsteuer sei unionsrechtlich eine Verbrauchsteuer, so dass deren Rechtsgrundsätze auch auf die hier zu beurteilende besondere Verbrauchsteuer anzuwenden seien. Mit Urteil vom 27.09.2007, C-146/05, habe der EuGH festgestellt, dass nationale Vorschriften, die das Rechts auf Steuerbefreiungen im Wesentlichen von der Einhaltung formaler Pflichten abhängig machten, ohne die tatsächlichen materiellen Anforderungen zu berücksichtigen, über dasjenige hinausgingen, was zur Sicherung der Steuererhebung erforderlich sei. Seien die materiellen Anforderungen an eine innergemeinschaftliche Lieferung erfüllt, sei die Steuerbefreiung gleichwohl zu gewähren. Gleiches ergebe sich auch aus dem EuGH-Urteil vom 27.09.2012, C-587/10.

40Die Klägerin beantragt,

41den Beklagten unter Aufhebung seiner Verfügung vom 11.10.2011 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 07.11.2012 zu verpflichten, ihr 534.765,27 € Branntweinsteuer zu erstatten.

42Der Beklagte beantragt,

43die Klage abzuweisen,

44und verweist zur Begründung auf die angefochtenen Verwaltungsentscheidungen. Ergänzend führt er aus, bereits in der Verfügung vom 11.10.2011 seien die Erwägungsgründe umfassend dargelegt worden, die in der Einspruchsentscheidung nur bestätigt worden seien. Für weitere, über die Ziffer 7.1.1 AO-DV Zoll zu § 227 hinausgehende Erwägungen habe kein Anlass bestanden.

45Zudem entspreche die Steuerentstehung dem Willen des Gesetzgebers. Auf die weitere Verwendung des gelieferten Alkohols durch die „Q-GmbH“ komme es insoweit nicht an.

46In der Einspruchsentscheidung habe er dargelegt, warum er auch bei der Klägerin von einem Verschulden ausgehe. Die Besteuerung sei auch nicht unverhältnismäßig. Das gelte auch unter Berücksichtigung des § 143 Abs. 1 Satz 1 BranntwMonG, da auch dort auf eine Bewilligung des Warenempfängers abgestellt werde.

47Entscheidungsgründe:

48Die Klage ist unbegründet.

49Der Beklagte hat der Klägerin zu Recht die begehrte Erstattung versagt. Die Klägerin wird dadurch nicht in ihren Rechten verletzt, § 101 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO).

50Nach § 227 AO können Steuern erstattet werden, wenn ihre Einziehung nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre.

51Die in § 227 AO genannte „Unbilligkeit“ der Einziehung kann auf sachlichen oder auf persönlichen Gründen beruhen. Persönliche Billigkeitsgründe macht die Klägerin im Streitfall nicht geltend. Gegenstand der im vorliegenden Verfahren vorzunehmenden Prüfung kann deshalb nur die Frage eines Erlasses aus sachlichen Billigkeitsgründen sein. Ein sachlicher Billigkeitsgrund liegt vor, wenn ein vom Gesetzeswortlaut gedecktes, aber vom Gesetzgeber nicht gewolltes Ergebnis vermieden werden soll (s. Klein-Rüsken AO 11. Aufl. § 163 Rz. 32 m.w.N.).

52Anhaltspunkte dafür, dass die Steuerentstehung der Branntweinsteuer im Streitfall vom Gesetzgeber nicht gewollt gewesen ist, sind nicht erkennbar.

53Die Steuer, deren Erstattung die Klägerin begehrt, ist dadurch entstanden, dass das Erzeugnis aus dem Steuerlager der Klägerin entfernt wurde, ohne dass sich ein weiteres Steueraussetzungsverfahren angeschlossen hatte, § 136 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes über das Branntweinmonopol in der 2006 geltenden Fassung, zuletzt geändert durch die 9. Zuständigkeitsanpassungsverordnung v. 31.10.2006, BGBl. I, 2407 (BranntwMonG).

54Ein weiteres Steueraussetzungsverfahren hat sich nach der Entnahme aus dem Steuerlager der Klägerin nicht angeschlossen. Zwar dürfen nach § 140 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BranntwMonG im Steueraussetzungsverfahren Erzeugnisse in einen Betrieb eines Inhabers einer Erlaubnis nach § 139 Abs. 1 BranntwMonG verbracht werden.

55Nach § 139 Abs. 1 BranntwMonG bedarf derjenige, der vergällte Erzeugnisse nach § 132 Abs. 1 BranntwMonG zu bestimmten gewerblichen Zwecken verwenden will, der Erlaubnis. Bei dem mit Isopropanol und Tertiärbutanol vergällten Agraralkohol handelt es sich um ein vergälltes Erzeugnis nach § 30 Abs. 4 Nr. 2 Buchst. d BrStV, dessen Verwendung nicht allgemein, sondern nur mit besonders erteilter Verwendererlaubnis erlaubt war. Diese hat die „Q-GmbH“ erst am 20.04.2007 und nicht rückwirkend erhalten.

56Die Steuerentstehung nach § 136 Abs.1 Satz 1 BranntwMonG entspricht auch den seinerzeitigen gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben.

57Nach Art. 6 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 92/12/EWG des Rates vom 25.02.1992 über das allgemeine System, den Besitz, die Beförderung und die Kontrolle verbrauchsteuerpflichtiger Waren (ABl. EG Nr. L 76 S.1), zuletzt geändert durch die Richtlinie 2004/106/EG des Rates vom 16.11.2004 (ABl. EU Nr. L 359 S.30) – RL 92/12 – entsteht die Verbrauchsteuer mit der Überführung in den steuerlich freien Verkehr, wobei als Überführung von verbrauchsteuerpflichtigen Waren in den steuerrechtlich freien Verkehr jede – auch unrechtmäßige – Entnahme der Ware aus dem Verfahren der Steueraussetzung gilt. Das Verfahren der Steueraussetzung ist eine steuerliche Regelung, die u.a auf die Lagerung und die Beförderung der Waren unter Steueraussetzung Anwendung findet (Art. 4 Buchst. c RL 92/12), wobei dazu auch ein Steuerlager gehört (Art. 4 Buchst. b RL 92/12).

58Nach Art. 15 Abs. 1 RL 92/12 hat die Beförderung verbrauchsteuerpflichtiger Waren im Verfahren der Steueraussetzung zwischen Steuerlagern zu erfolgen, wobei nach Art. 16 Abs. 1 RL 92/12 ein gewerblicher Wirtschaftsbeteiligter, der kein zugelassener Steuerlagerinhaber ist, Warenempfänger sein kann.

59Gerade die Bestimmung des Art. 6 Abs. 1 Buchst. a RL 92/12, die eine Steuerentstehung bei jeder, auch unrechtmäßigen Entnahme aus dem Steuerlager vorsieht, zeigt, dass die Entstehung der Verbrauchsteuer auch in jedem Fall gewollt ist.

60Daran ändert auch der Umstand, dass nach Art. 27 Abs. 1 Buchst. a RL 92/83 die Mitgliedstaaten Erzeugnisse von der Verbrauchsteuer befreien, wenn sie in Form von Alkohol, der nach den Vorschriften eines Mitgliedstaats vollständig denaturiert worden ist, zum Vertrieb kommen. Auch nach dieser Vorschrift wird nämlich ausdrücklich die Anwendung der RL 92/12 auf innergemeinschaftliche Beförderungen von vollständig denaturiertem Alkohol zu gewerblichen Zwecken verlangt.

61Für die sich aus Art. 27 Abs. 1 Buchst. b RL 92/83 ergebende Verpflichtung zur Steuerbefreiung von Alkohol, der nach den Vorschriften eines Mitgliedstaats denaturiert worden ist und zur Herstellung eines nicht für den menschlichen Genuss bestimmten Erzeugnisses verwendet werden soll, gilt nichts anderes: Insoweit haben die Mitgliedstaaten die Steuerbefreiung nach Maßgaben von Bedingungen vorzunehmen, die einerseits eine korrekte und einfache Anwendung der Befreiung sicherstellen und andererseits der Vermeidung von Steuerflucht, Steuerhinterziehung oder Missbrauch dienen. In diesem Rahmen ist das Erfordernis der Anwendung des von Art. 15 f. RL 92/12 vorgesehenen Steueraussetzungsverfahrens nicht zu beanstanden.

62Aus der Rechtsprechung des EuGH folgt nichts anderes.

63Das zur Art. 28c der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem – ergangene EuGH-Urteil vom 27.09.2007, C-146/05, Slg. I 2007 S. 7861, beschränkt die Befugnisse der Steuerverwaltung eines Mitgliedstaats nur für den Fall, dass die Befreiung allein mit der Begründung versagt wird, der entsprechende Nachweis sei zu spät erbracht worden. Entsprechendes gilt hinsichtlich des EuGH-Urteils vom 27.09.2012, C-587/10, hinsichtlich der gleichen Bestimmung in Bezug auf die Identifikationsnummer.

64Im Streitfall ergibt sich ein sachlicher Billigkeitsgrund auch nicht aus Nr. 7.1.1 AO-DV Zoll zu § 227. Danach kann eine Billigkeitsmaßnahme in Fällen abgabenrechtlich nachteiligen, entschuldbaren Verhaltens gerechtfertigt sein. Abgabenrechtlich nachteiliges Verhalten liegt insbesondere dann vor, wenn eine Steuerschuld lediglich als Folge einer versehentlichen Verletzung von Verfahrensvorschriften entstanden ist.

65Insoweit ist der Beklagte zu Recht davon ausgegangen, dass nicht nur eine Verfahrensvorschrift, sondern eine materiell-rechtliche Bestimmung für die Steuerfreiheit verletzt worden ist. Im Anschluss an die Entnahme aus dem Steuerlager hat ein Steueraussetzungsverfahren nicht stattgefunden. Dessen materielle Voraussetzungen sind auch nicht nachträglich mit Wirkung für die jeweiligen Auslagerungszeitpunkte geschaffen worden. Vielmehr wurde der „Q-GmbH“ die beantragte Bewilligung der steuerbefreiten Verwendung nicht rückwirkend erteilt.

66Der Erlaubnis zur steuerbegünstigten Verwendung kommt eine konstitutive Wirkung zu (BFH-Beschluss vom 08.03.2004 VII B 150/03, BFH/NV 2004, 981), so dass die Erlaubniserteilung eine unabdingbare Voraussetzung für die Inanspruchnahme der vom Gesetzgeber vorgesehenen Steuerbegünstigung ist (BFH-Beschluss v. 13.11.2007, VII B 112/07, BFH/NV 2008, 409 f., ZfZ 2008, 109 f.). Das Fehlen einer Erlaubnis führt zum Ausschluss der Steuerbegünstigung, auch wenn das Erzeugnis zu den begünstigten Zwecken verwendet worden ist (BFH-Beschluss v. 08.03.2004, VII B 150/03, BFH/NV 2004, 981 f., ZfZ 2004, 311 f.; BFH-Urteil v. 31.07.1990 VII R 3/89, BFH/NV 1991, 487).

67Im Hinblick auf fehlende sachliche Billigkeitsgründe ist die nach § 227 AO im Ermessen des Beklagten stehende Entscheidung, nicht zu beanstanden. Diese Entscheidung, die das Gericht nur im Rahmen des § 102 FGO überprüfen kann, lässt mangels eines sachlichen Billigkeitsgrunds keinen Ermessensfehler erkennen.

68Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.

69Die Revision war nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zuzulassen. Für die Steuerentstehung ist eine innere Rechtfertigung zweifelhaft: Das vergällte Erzeugnis ist vom Empfänger so verwendet worden, dass – bei Vorliegen der später erteilten Erlaubnis – keine Steuer entstanden wäre. Damit stellt die Steuer im Streitfall nur noch eine Sanktion für die Nichteinhaltung von – allerdings materiell-rechtlich wirkenden – Formvorschriften dar. Zudem ist zweifelhaft, ob die im seinerzeit geltenden Gemeinschaftsrecht vorgesehenen Bedingungen einer Steuerbefreiung zur Sicherung einer korrekten und einfachen Anwendung einer Billigkeitsmaßnahme dann entgegenstehen, wenn das dem Steuerlager entnommene Erzeugnis vom Warenempfänger planmäßig steuerbefreit verwendet wird.