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Pensionsrückstellungen: Neue HEUBECK-RICHTTAFELN 2018 G veröffentlicht

Am 20. Juli 2018 sind die neuen HEUBECK-RICHTTAFELN
2018 G erschienen, die die neuesten Statistiken der gesetzlichen
Rentenversicherung und des Statistischen
Bundesamtes berücksichtigen. Erstmalig werden auch
sozioökonomische Faktoren einbezogen. Insgesamt
wird ein moderater Anstieg der Pensionsrückstellungen
erwartet.

Worum geht es genau?
Die beobachtete Verlängerung der Lebenserwartung hält
unverändert an. Mit dem Zensus 2011 liegen für die Bevölkerung
in Deutschland zuverlässige Daten über die
Sterblichkeit in Deutschland vor.
Bei den Frauen hat sich die Lebenserwartung in Ost und
West nach der Wiedervereinigung mittlerweile nahezu
vollständig angeglichen, bei Männern hat sich der Abstand
zwischenzeitlich von drei Jahren auf nur noch etwas
mehr als sieben Monate verkürzt. Es wird davon ausgegangen,
dass sich in den nächsten Jahren dieser Trend
fortsetzt und mit der weiteren Angleichung der Lebensverhältnisse
die Lebenserwartungen künftig den Erfahrungen
in den alten Bundesländern entsprechen werden.
Auswertungen für die gesetzliche Rentenversicherung
haben gezeigt, dass ein statistisch nachweisbarer Zusammenhang
zwischen der Lebenserwartung und der Höhe
der gezahlten Rente besteht: Kurz gesagt: Höhere Renten
sind im Durchschnitt länger zu zahlen als niedrige. Dies
wird in den neuen HEUBECK-RICHTTAFELN durch einen
pauschalen Abschlag auf die Sterbewahrscheinlichkeiten
berücksichtigt.

Die langfristige Entwicklung der Lebenserwartung wird
anhand der auf Basis der Volkszählungen 1987 und 2011
(Zensus 2011) erstellten Sterbetafeln beurteilt. Die statistischen
Auswertungen für die Jahre nach der letzten
Volkszählung (Mikrozensus) werden für die kurzfristige
Veränderung der Lebenserwartung herangezogen.
Weitere Änderungen betreffen die Invalidisierungswahrscheinlichkeiten.
Hier zeigt sich seit mehr als zehn Jahren
im Altersbereich ab 58 Jahren ein Rückgang. Da sich diese
Beobachtungen als nachhaltig erwiesen haben, wird in
den neuen HEUBECK-RICHTTAFELN diese Entwicklung
ebenso wie die Abnahme der Sterblichkeit der Invalidenrentner
abgebildet.

Erstmals enthalten die neuen HEUBECK-RICHTTAFELN
neben den versicherungsmathematischen Grundwerten
für Männer und Frauen auch solche für „Unisex“. Damit
wird dem in der Praxis vorhandenen Bedarf nach geschlechtsunabhängigen Bewertungen Rechnung getragen.
Hier sind insbesondere der Versorgungsausgleich
und die Portabilität zu nennen.

In der Steuerbilanz wird je nach Zusammensetzung des
Bestandes eine Zuführung zur Pensionsrückstellung zwischen
0,8 % und 1,5 % erwartet. Nach handelsrechtlichen
und internationalen Rechnungslegungsgrundsätzen
ist der Einmaleffekt mit 1,5 % bis 2,5 % deutlich höher,
wobei er maßgeblich von Rechnungszins, Gehaltsdynamik
und Fluktuation abhängt.

Für wen ist das Thema relevant?
Das Thema betrifft alle Unternehmen, die in ihren Bilanzen
Pensionsrückstellungen bilden, sowie Einrichtungen
der betrieblichen Altersversorgung. Werden die Versorgungsverpflichtungen bislang schon auf der Grundlage
bestandsspezifischer Tafeln bewertet, kann der Anpassungsbedarf
geringer ausfallen oder sogar vollständig
entfallen.

Wo sehen wir Handlungsbedarf?
Wir rechnen damit, dass das Bundesfinanzministerium
die neuen HEUBECK-RICHTTAFELN für die steuerliche Bewertung
von Pensionsverpflichtungen anerkennen und
hierzu noch vor der nächsten Bilanzsaison ein entsprechendes
BMF-Schreiben veröffentlichen wird. In der
Steuerbilanz ist der Anpassungsaufwand über drei Jahre
zu verteilen, während er in der Handelsbilanz sofort zu
erfassen ist. Nach internationalen Rechnungslegungsgrundsätzen
handelt es sich um einen annahmenbedingten
versicherungsmathematischen Verlust, der nicht erfolgswirksam,
sondern erfolgsneutral im Eigenkapital erfasst
wird. Um die konkreten Auswirkungen auf Ihr Unternehmen
zu ermitteln, wenden Sie sich bitte an Ihren
HEUBECK-Kundenbetreuer.
HEUBECK AG

Körperschaftsteuer: Sanierungsklausel nichtig

Beschluss 2011/527/EU der Europäischen Kommission vom 26.01.2011 über die staatliche Beihilfe Deutschlands C 7/10 (ex CP 250/09 und NN 5/10) „KStG, Sanierungsklausel“ nichtig

 Gesetze

AEUV Art 107 Abs 1
,
KStG § 8c Abs 1a
, EUBes 527/2011

 Instanzenzug

EuGH – C-203/16 P, Verfahrensverlauf

 Gründe

[1]  Mit seinem Rechtsmittel begehrt Herr Dirk Andres als Insolvenzverwalter über das Vermögen der Heitkamp BauHolding GmbH (im Folgenden: HBH) die Aufhebung des Urteils des Gerichts der Europäischen Union vom 4. Februar 2016, Heitkamp BauHolding/Kommission (T-287/11, im Folgenden: angefochtenes Urteil, EU:T:2016:60), soweit das Gericht darin die Klage von HBH auf Nichtigerklärung des Beschlusses 2011/527/EU der Kommission vom 26. Januar 2011 über die staatliche Beihilfe Deutschlands C 7/10 (ex CP 250/09 und NN 5/10) „KStG , Sanierungsklausel“ (ABl. 2011, L 235, S. 26, im Folgenden: streitgegenständlicher Beschluss) als unbegründet abgewiesen hat, sowie die Nichtigerklärung dieses Beschlusses.

[2]  Mit ihrem Anschlussrechtsmittel begehrt die Europäische Kommission die Aufhebung des angefochtenen Urteils, soweit das Gericht darin die von ihr gegen die Klage erhobene Einrede der Unzulässigkeit zurückgewiesen hat, und infolgedessen die Abweisung der Klage als unzulässig.

Vorgeschichte des Rechtsstreits und streitgegenständlicher Beschluss

[3]  Die Vorgeschichte des Rechtsstreits und der streitgegenständliche Beschluss, die in den Rn. 1 bis 35 des angefochtenen Urteils dargestellt sind, lassen sich wie folgt zusammenfassen.

 Deutsches Recht  

[4]  In Deutschland können nach § 10d Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes die in einem Steuerjahr eingetretenen Verluste auf künftige Steuerjahre vorgetragen werden, so dass die betreffenden Verluste von den steuerpflichtigen Einkünften der folgenden Jahre abgezogen werden (im Folgenden: Regel des Verlustvortrags). Nach § 8 Abs. 1 des Körperschaftsteuergesetzes (im Folgenden: KStG ) besteht die Möglichkeit des Verlustvortrags für Unternehmen, die der Körperschaftsteuer unterliegen.

[5]  Die Möglichkeit des Verlustvortrags führte dazu, dass allein aus Gründen der Steuerersparnis Unternehmen erworben wurden, die ihren Geschäftsbetrieb eingestellt hatten, aber noch Verluste besaßen, die vorgetragen werden konnten. Um solchen als missbräuchlich angesehenen Vorgängen entgegenzuwirken, führte der deutsche Gesetzgeber im Jahr 1997§ 8 Abs. 4 KStG ein. Er beschränkte die Möglichkeit des Verlustvortrags auf Unternehmen, die mit dem Unternehmen, das die Verluste erlitten hatte, rechtlich und wirtschaftlich identisch waren.

[6]  Durch das Unternehmensteuerreformgesetz wurde § 8 Abs. 4 KStG mit Wirkung vom 1. Januar 2008 aufgehoben und ein neuer § 8c Abs. 1 (im Folgenden auch: Regel des Verfalls von Verlusten) in das KStG eingefügt, der die Möglichkeit des Verlustvortrags im Fall des Erwerbs von mindestens 25 % der Anteile an einer Körperschaft einschränkt oder ausschließt (im Folgenden: schädlicher Beteiligungserwerb). Diese Bestimmung sieht Folgendes vor: Werden innerhalb von fünf Jahren mehr als 25 %, aber höchstens 50 % des gezeichneten Kapitals, der Mitgliedschaftsrechte, der Beteiligungsrechte oder der Stimmrechte an einer Körperschaft übertragen, so verfallen ungenutzte Verluste anteilig in Höhe des prozentualen Beteiligungswechsels. Ungenutzte Verluste sind nicht mehr abziehbar, wenn mehr als 50 % des gezeichneten Kapitals, der Mitgliedschaftsrechte, der Beteiligungsrechte oder der Stimmrechte an einer Körperschaft einem Erwerber übertragen werden.

[7]  Von der Regel des Verfalls von Verlusten war keine Ausnahme vorgesehen. Die Steuerbehörden konnten jedoch bei einem schädlichen Beteiligungserwerb zum Zweck der Sanierung von Unternehmen in Schwierigkeiten im Einklang mit einem Erlass des Bundesministeriums der Finanzen vom 27. März 2003 im Billigkeitswege Steuervergünstigungen gewähren.

[8]  Im Juni 2009 wurde mit dem Bürgerentlastungsgesetz Krankenversicherung ein Abs. 1a in § 8c KStG eingefügt (im Folgenden auch: Sanierungsklausel oder streitige Maßnahme). Nach dieser neuen Bestimmung darf eine Körperschaft auch im Fall eines schädlichen Beteiligungserwerbs im Sinne von § 8c Abs. 1 KStG unter folgenden Voraussetzungen einen Verlustvortrag vornehmen: Der Beteiligungserwerb erfolgt zum Zweck der Sanierung der Körperschaft, das Unternehmen ist zum Zeitpunkt des Erwerbs zahlungsunfähig oder überschuldet oder von Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung bedroht, die wesentlichen Betriebsstrukturen werden erhalten – was im Wesentlichen dann der Fall ist, wenn Arbeitsplätze erhalten werden, eine wesentliche Betriebsvermögenszuführung erfolgt oder Verbindlichkeiten erlassen werden, die noch werthaltig sind –, innerhalb von fünf Jahren nach dem Beteiligungserwerb erfolgt kein Branchenwechsel, und das Unternehmen hatte zum Zeitpunkt des Beteiligungserwerbs nicht den Geschäftsbetrieb eingestellt.

[9]  Die streitige Maßnahme trat wie die Regel des Verfalls von Verlusten am 10. Juli 2009 in Kraft und gilt rückwirkend ab dem 1. Januar 2008.

 Streitgegenständlicher Beschluss  

[10]  In Art. 1 des streitgegenständlichen Beschlusses stellte die Kommission fest, dass „[d]ie auf der Grundlage von § 8c (1a) [KStG ] gewährte staatliche Beihilferegelung, die [die Bundesrepublik] Deutschland … rechtswidrig gewährt hat, … mit dem Binnenmarkt unvereinbar [ist]“.

[11]  Bei der Einstufung der Sanierungsklausel als staatliche Beihilfe im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV war die Kommission u. a. der Ansicht, dass diese Klausel eine Ausnahme von der in § 8c Abs. 1 KStG aufgestellten Regel des Verfalls von ungenutzten Verlusten bei Körperschaften schaffe, bei denen es zu einem Beteiligungserwerb gekommen sei. Die Klausel könne daher Unternehmen, die ihre Voraussetzungen erfüllten, einen selektiven Vorteil verschaffen, der nicht durch die Natur oder den allgemeinen Aufbau des Steuersystems gerechtfertigt sei. Mit der streitigen Maßnahme sollten nämlich die durch die Finanz- und Wirtschaftskrise hervorgerufenen Probleme bewältigt werden, was ein außerhalb dieses Systems liegendes Ziel darstelle. In den Art. 2 und 3 des streitgegenständlichen Beschlusses erklärte die Kommission gleichwohl bestimmte im Rahmen dieser Regelung gewährte Einzelbeihilfen vorbehaltlich der Erfüllung bestimmter Voraussetzungen für mit dem Binnenmarkt vereinbar.

[12]  In Art. 4 des streitgegenständlichen Beschlusses gab die Kommission der Bundesrepublik Deutschland auf, alle im Rahmen der in Art. 1 des Beschlusses genannten Beihilferegelung gewährten unvereinbaren Beihilfen von den Begünstigten zurückzufordern. Nach Art. 6 des Beschlusses hatte Deutschland der Kommission u. a. eine Liste dieser Begünstigten zu übermitteln.

  Sachverhalt  

[13]  HBH ist eine Körperschaft, die seit 2008 von Insolvenz bedroht war. Am 20. Februar 2009 erwarb ihre Muttergesellschaft die Anteile von HBH, um die beiden Gesellschaften zu verschmelzen und HBH dadurch zu sanieren. Zum Zeitpunkt dieses Erwerbs erfüllte HBH die Voraussetzungen für die Anwendung der Sanierungsklausel. Dies war in einer verbindlichen Auskunft des Finanzamts Herne (Deutschland) vom 11. November 2009 (im Folgenden: verbindliche Auskunft) festgestellt worden. Außerdem erhielt HBH am 29. April 2010 einen Vorauszahlungsbescheid zur Körperschaftsteuer 2009, in dem die gemäß dieser Klausel vorgetragenen Verluste berücksichtigt wurden.

[14]  Mit Schreiben vom 24. Februar 2010 unterrichtete die Kommission die Bundesrepublik Deutschland über ihren Beschluss, das förmliche Prüfverfahren nach Art. 108 Abs. 2 AEUV in Bezug auf die streitige Maßnahme einzuleiten. Mit Schreiben vom 30. April 2010 wies das Bundesfinanzministerium die deutsche Finanzverwaltung an, die Maßnahme nicht mehr anzuwenden.

[15]  Am 27. Dezember 2010 wurde der Vorauszahlungsbescheid vom 29. April 2010 durch einen neuen Vorauszahlungsbescheid zur Körperschaftsteuer 2009 ersetzt, in dem die Sanierungsklausel nicht angewandt wurde. Im Januar 2011 erhielt HBH u. a. Vorauszahlungsbescheide zur Körperschaftsteuer für die folgenden Jahre, ebenfalls ohne Anwendung der Sanierungsklausel. Am 1. April 2011 erhielt HBH einen Bescheid über die Körperschaftsteuer 2009. Aufgrund der Nichtanwendung von § 8c Abs. 1a KStG war HBH nicht in der Lage, die am 31. Dezember 2008 bestehenden Verluste vorzutragen.

[16]  Am 19. April 2011 hob das Finanzamt Herne die verbindliche Auskunft auf.

[17]  Am 22. Juli 2011 übermittelte die Bundesrepublik Deutschland der Kommission eine Liste der Unternehmen, die durch die streitige Maßnahme begünstigt worden waren. Sie übermittelte ferner eine Liste der Unternehmen, bei denen verbindliche Auskünfte über die Anwendung der Sanierungsklausel aufgehoben worden waren. In dieser Liste war HBH genannt.

Verfahren vor dem Gericht und angefochtenes Urteil

[18]  Mit Klageschrift, die am 6. Juni 2011 bei der Kanzlei des Gerichts einging, erhob HBH Klage auf Nichtigerklärung des streitgegenständlichen Beschlusses.

[19]  Die Kommission erhob mit gesondertem Schriftsatz, der am 16. September 2011 bei der Kanzlei des Gerichts einging, eine Einrede der Unzulässigkeit gemäß Art. 114 der Verfahrensordnung des Gerichts vom 2. Mai 1991.

[20]  Am 29. August 2011 beantragte die Bundesrepublik Deutschland, im Verfahren als Streithelferin zur Unterstützung der Anträge von HBH zugelassen zu werden. Diesem Antrag wurde durch Beschluss des Präsidenten der Zweiten Kammer des Gerichts vom 5. Oktober 2011 stattgegeben.

[21]  Mit Beschluss des Gerichts vom 21. Mai 2014 wurde die Entscheidung über die Einrede der Unzulässigkeit gemäß Art. 114 § 4 der Verfahrensordnung vom 2. Mai 1991 dem Endurteil vorbehalten.

[22]  HBH stützte ihre Klage auf zwei Gründe: Zum einen sei die streitige Maßnahme prima facie nicht selektiv, und zum anderen sei sie durch die Natur und den Aufbau des Steuersystems gerechtfertigt.

[23]  Mit dem angefochtenen Urteil hat das Gericht zum einen die Einrede der Unzulässigkeit zurückgewiesen. Es hat entschieden, dass HBH vom streitgegenständlichen Beschluss unmittelbar und individuell betroffen sei, und dies im Wesentlichen damit begründet, dass HBH schon vor dem Erlass des Beschlusses zur Einleitung des förmlichen Prüfverfahrens ein von den deutschen Behörden bestätigtes Recht auf eine Steuerersparnis erworben habe. Darüber hinaus habe sie ein Rechtsschutzinteresse. Zum anderen hat das Gericht die Klage von HBH als unbegründet abgewiesen.

Anträge der Parteien und Verfahren vor dem Gerichtshof

[24]  HBH beantragt mit ihrem Rechtsmittel,

  • die Nrn. 2 und 3 der Entscheidungsformel des angefochtenen Urteils aufzuheben sowie den streitgegenständlichen Beschluss für nichtig zu erklären;
  • hilfsweise, die Nrn. 2 und 3 der Entscheidungsformel des angefochtenen Urteils aufzuheben und die Sache an das Gericht zurückzuverweisen;
  • der Kommission die Kosten aufzuerlegen.

 

[25]  Die Kommission beantragt, das Rechtsmittel zurückzuweisen und HBH die Kosten aufzuerlegen.

[26]  Mit ihrem Anschlussrechtsmittel beantragt die Kommission,

  • 1 des Tenors des angefochtenen Urteils aufzuheben;
  • die Klage als unzulässig abzuweisen;
  • das Rechtsmittel zurückzuweisen;
  • 3 des Tenors des angefochtenen Urteils aufzuheben, soweit der Kommission auferlegt wird, ein Drittel ihrer Kosten zu tragen;
  • HBH die durch das Verfahren vor dem Gericht und vor dem Gerichtshof entstandenen Kosten aufzuerlegen.

 

[27]  HBH beantragt, das Anschlussrechtsmittel zurückzuweisen und der Kommission die Kosten des Anschlussrechtsmittels aufzuerlegen.

[28]  In der mündlichen Verhandlung hat die Bundesrepublik Deutschland mündlich in der Weise Stellung genommen, dass sie die Anträge von HBH auf Zurückweisung des Anschlussrechtsmittels, auf Aufhebung des angefochtenen Urteils, soweit die Klage als unbegründet abgewiesen worden sei, und auf Nichtigerklärung des streitgegenständlichen Beschlusses unterstütze.

Zum Anschlussrechtsmittel

[29]  Da sich das Anschlussrechtsmittel auf die Zulässigkeit der Klage bezieht, die eine Vorfrage zu den durch das Rechtsmittel aufgeworfenen Fragen der Begründetheit darstellt, ist es zuerst zu prüfen.

 Vorbringen der Parteien  

[30]  Die Kommission bringt vor, das Gericht habe in den Rn. 50 bis 79 des angefochtenen Urteils den Begriff der individuellen Betroffenheit im Sinne von Art. 263 Abs. 4 AEUV rechtsfehlerhaft ausgelegt.

[31]  Erstens macht sie unter Bezugnahme auf die Urteile vom 19. Oktober 2000, Italien und Sardegna Lines/Kommission (C-15/98 und C-105/99, EU:C:2000:570), und vom 9 Juni 2011, Comitato „Venezia vuole vivere“ u. a./Kommission (C-71/09 P, C-73/09 P und C-76/09 P, EU:C:2011:368), geltend, dass es für die Frage, ob ein Kläger von einem Beschluss der Kommission, mit dem eine Beihilferegelung für mit dem Binnenmarkt unvereinbar erklärt werde, individuell betroffen sei, entscheidend darauf ankomme, ob der Kläger ein tatsächlicher oder ein potenzieller Empfänger einer aufgrund dieser Regelung gewährten Beihilfe sei. Nur die tatsächlichen Beihilfeempfänger seien von einem solchen Beschluss individuell betroffen.

[32]  In den Rn. 62, 70 und 74 des angefochtenen Urteils habe das Gericht seine Entscheidung jedoch nicht auf diese Rechtsprechung gegründet, sondern auf Urteile, die für den vorliegenden Fall nicht einschlägig seien. Im vorliegenden Fall liege nämlich keiner der Umstände vor, die in den Rechtssachen, in denen die Urteile vom 17. Januar 1985, Piraiki-Patraiki u. a./Kommission (11/82, EU:C:1985:18), vom 22. Juni 2006, Belgien und Forum 187/Kommission (C-182/03 und C-217/03, EU:C:2006:416), vom 17. September 2009, Kommission/Koninklijke FrieslandCampina (C-519/07 P, EU:C:2009:556), vom 27. Februar 2014, Stichting Woonpunt u. a./Kommission (C-132/12 P, EU:C:2014:100), und vom 27. Februar 2014, Stichting Woonlinie u. a./Kommission (C-133/12 P, EU:C:2014:105), ergangen seien, auf die sich das Gericht in diesen Randnummern stütze, den Schluss zugelassen hätten, dass die Kläger individuell betroffen gewesen seien.

[33]  Für die Beurteilung der Zulässigkeit der Klage komme es somit entgegen den Ausführungen des Gerichts in den Rn. 63 und 74 des angefochtenen Urteils nicht auf die „rechtliche und tatsächliche Situation“ von HBH oder das Vorliegen eines „bestätigten Rechts“ an, sondern allein darauf, ob HBH auf der Grundlage der in Rede stehenden Beihilferegelung tatsächlich eine Beihilfe erhalten habe oder nicht. Auch die Rn. 75 und 76 des angefochtenen Urteils wiesen einen Fehler auf, da sich dem Urteil vom 9. Juni 2011, Comitato „Venezia vuole vivere“ u. a./Kommission (C-71/09 P, C-73/09 P und C-76/09 P, EU:C:2011:368), auf das sich das Gericht in Rn. 76 gestützt habe, nur entnehmen lasse, dass es für die Beurteilung der individuellen Betroffenheit nicht darauf ankomme, ob der Beschluss der Kommission eine Rückforderungsanordnung hinsichtlich der tatsächlich gewährten Beihilfe enthalte.

[34]  Zweitens führt die Kommission aus, das entscheidende Element, auf das das Gericht bei seiner Prüfung der „rechtlichen und tatsächlichen Situation“ von HBH die Feststellung gestützt habe, dass sie vom streitgegenständlichen Beschluss individuell betroffen sei, bestehe aus dem in Rn. 74 des angefochtenen Urteils festgestellten Vorliegen eines „bestätigten Rechts“. Sollte unter dem „bestätigten Recht“ ein bestätigtes Recht im Sinne des Unionsrechts zu verstehen sein, habe das Gericht jedoch einen Rechtsfehler begangen. Ein solches Recht könne nämlich nur in Anwendung des Grundsatzes des Vertrauensschutzes anerkannt werden. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs scheide der Erwerb von Vertrauensschutz im Fall von Beihilfen, die unter Verstoß gegen die Notifizierungspflicht in Art. 108 Abs. 3 AEUV gewährt worden seien, aber grundsätzlich aus.

[35]  Drittens macht die Kommission auf der Grundlage des gleichen Vorbringens geltend, das Gericht habe auch dann, wenn es unter „bestätigtem Recht“ ein bestätigtes Recht im Sinne des nationalen Rechts verstehe, einen Rechtsfehler begangen, da die Inanspruchnahme eines bestätigten Rechts nach nationalem Recht unter den Umständen des vorliegenden Falles ebenfalls im Widerspruch zu der Rechtsprechung stehe, die im Fall von Beihilfen, die unter Verstoß gegen Art. 108 Abs. 3 AEUV gewährt worden seien, die Inanspruchnahme eines solchen Rechts ausschließe.

[36]  Folglich müsse Nr. 1 des Tenors des angefochtenen Urteils aufgehoben und, da HBH durch die in Rede stehende Beihilferegelung nicht tatsächlich begünstigt werde, die Klage als unzulässig abgewiesen werden.

[37]  HBH und die Bundesrepublik Deutschland halten das Anschlussrechtsmittel für unbegründet.

 Würdigung durch den Gerichtshof  

[38]  Nach Art. 263 Abs. 4 AEUV kann jede natürliche oder juristische Person unter den Bedingungen des Art. 263 Abs. 1 und 2 gegen die an sie gerichteten oder sie unmittelbar und individuell betreffenden Handlungen sowie gegen Rechtsakte mit Verordnungscharakter, die sie unmittelbar betreffen und keine Durchführungsmaßnahmen nach sich ziehen, Klage erheben.

[39]  Im vorliegenden Fall steht zum einen fest, dass sich der streitgegenständliche Beschluss, wie das Gericht in Rn. 57 des angefochtenen Urteils ausgeführt hat, ausschließlich an die Bundesrepublik Deutschland richtet. Zum anderen hat das Gericht, wie aus den Rn. 58 bis 79 seines Urteils hervorgeht, eine Klagebefugnis von HBH aufgrund der Tatsache, dass sie von diesem Beschluss unmittelbar und individuell betroffen sei, also gemäß der zweiten in Art. 263 Abs. 4 AEUV genannten Alternative, bejaht.

[40]  Mit dem ersten Teil ihres einzigen Anschlussrechtsmittelgrundes macht die Kommission im Wesentlichen geltend, das Gericht habe in den Rn. 62, 63, 70 und 74 bis 77 des angefochtenen Urteils einen Rechtsfehler begangen, indem es diese Zulässigkeitsvoraussetzung der von HBH erhobenen Klage anhand ihrer tatsächlichen und rechtlichen Situation beurteilt habe, obwohl es allein darauf angekommen wäre, ob HBH von der in Rede stehenden Beihilferegelung tatsächlich oder potenziell begünstigt worden sei.

[41]  Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs können andere Personen als die Adressaten eines Beschlusses nur dann geltend machen, von ihm individuell betroffen zu sein, wenn der Beschluss sie wegen bestimmter persönlicher Eigenschaften oder besonderer, sie aus dem Kreis aller übrigen Personen heraushebender Umstände berührt und sie daher in ähnlicher Weise individualisiert wie den Adressaten (Urteile vom 15. Juli 1963, Plaumann/Kommission, 25/62, EU:C:1963:17, S. 238, und vom 27. Februar 2014, Stichting Woonpunt u. a./Kommission, C-132/12 P, EU:C:2014:100, Rn. 57).

[42]  Der Umstand, dass die Rechtssubjekte, für die eine Maßnahme gilt, nach Zahl oder sogar nach Identität mehr oder weniger genau bestimmbar sind, bedeutet keineswegs, dass sie als von der Maßnahme individuell betroffen anzusehen sind, sofern die Maßnahme aufgrund eines durch sie bestimmten objektiven Tatbestands rechtlicher oder tatsächlicher Art anwendbar ist (Urteile vom 16. März 1978, Unicme u. a./Rat, 123/77, EU:C:1978:73, Rn. 16, und vom 19. Dezember 2013, Telefónica/Kommission, C-274/12 P, EU:C:2013:852, Rn. 47 und die dort angeführte Rechtsprechung).

[43]  Dazu hat der Gerichtshof entschieden, dass ein Unternehmen einen Beschluss der Kommission, mit dem eine sektorielle Beihilferegelung verboten wird, grundsätzlich nicht anfechten kann, wenn es von ihm nur wegen seiner Zugehörigkeit zu dem fraglichen Sektor und seiner Eigenschaft als durch diese Regelung potenziell Begünstigter betroffen ist. Ein solcher Beschluss ist nämlich für das Unternehmen eine generelle Rechtsnorm, die für objektiv bestimmte Situationen gilt und Rechtswirkungen gegenüber einer allgemein und abstrakt umschriebenen Personengruppe erzeugt (Urteile vom 19. Oktober 2000, Italien und Sardegna Lines/Kommission, C-15/98 und C-105/99, EU:C:2000:570, Rn. 33 und die dort angeführte Rechtsprechung, und vom 19. Dezember 2013, Telefónica/Kommission, C-274/12 P, EU:C:2013:852, Rn. 49).

[44]  Berührt ein Beschluss hingegen eine Gruppe von Personen, deren Identität zum Zeitpunkt seines Erlasses aufgrund von Kriterien, die den Mitgliedern der Gruppe eigen waren, feststand oder feststellbar war, können diese Personen von dem Beschluss individuell betroffen sein, sofern sie zu einem beschränkten Kreis von Wirtschaftsteilnehmern gehören (Urteile vom 13. März 2008, Kommission/Infront WM, C-125/06 P, EU:C:2008:159, Rn. 71 und die dort angeführte Rechtsprechung, und vom 27. Februar 2014, Stichting Woonpunt u. a./Kommission, C-132/12 P, EU:C:2014:100, Rn. 59).

[45]  So sind die tatsächlich Begünstigten von Einzelbeihilfen im Rahmen einer Beihilferegelung, deren Rückforderung die Kommission angeordnet hat, aus diesem Grund im Sinne von Art. 263 Abs. 4 AEUV individuell betroffen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 19. Oktober 2000, Italien und Sardegna Lines/Kommission, C-15/98 und C-105/99, EU:C:2000:570, Rn. 34 und 35; vgl. auch Urteil vom 9. Juni 2011, Comitato „Venezia vuole vivere“ u. a./Kommission, C-71/09 P, C-73/09 P und C-76/09 P, EU:C:2011:368, Rn. 53).

[46]  Zwar ergibt sich, wie die Kommission ausführt, aus dieser Rechtsprechung, dass der Gerichtshof zum einen anerkennt, dass die tatsächlichen Empfänger von Einzelbeihilfen, die aufgrund einer mit dem Binnenmarkt unvereinbaren Beihilferegelung gewährt wurden, von einem Beschluss der Kommission, mit dem diese Regelung für mit dem Binnenmarkt unvereinbar erklärt und die Rückforderung der Beihilfen angeordnet wird, individuell betroffen sind. Zum anderen schließt der Gerichtshof aus, dass ein Kläger nur deshalb als individuell betroffen angesehen wird, weil er ein von dieser Regelung potenziell Begünstigter ist. Jedoch kann hieraus nicht, wie die Kommission geltend macht, abgeleitet werden, dass bei einem Beschluss der Kommission, mit dem eine Beihilferegelung für mit dem Binnenmarkt unvereinbar erklärt wird, zur Beurteilung der individuellen Betroffenheit eines Klägers im Sinne von Art. 263 Abs. 4 AEUV allein darauf abzustellen ist, ob der Kläger zu den tatsächlichen oder zu den potenziellen Empfängern einer aufgrund dieser Regelung gewährten Beihilfe gehört.

[47]  Wie auch der Generalanwalt in den Nrn. 57, 59, 67 und 68 seiner Schlussanträge im Wesentlichen ausgeführt hat, ist nämlich die in den Rn. 43 und 45 des vorliegenden Urteils angeführte, im speziellen Kontext der staatlichen Beihilfen entwickelte Rechtsprechung nur ein besonderer Ausdruck des für die Beurteilung der individuellen Betroffenheit im Sinne von Art. 263 Abs. 4 AEUV maßgeblichen, im Urteil vom 15. Juli 1963, Plaumann/Kommission (25/62, EU:C:1963:17), aufgestellten rechtlichen Kriteriums. Nach diesem Urteil ist ein Kläger von einem an eine andere Person gerichteten Beschluss individuell betroffen, wenn der Beschluss ihn wegen bestimmter persönlicher Eigenschaften oder besonderer, ihn aus dem Kreis aller übrigen Personen heraushebender Umstände berührt (vgl. auch, im Bereich der staatlichen Beihilfen, Urteile vom 19. Oktober 2000, Italien und Sardegna Lines/Kommission, C-15/98 und C-105/99, EU:C:2000:570, Rn. 32, und vom 9. Juni 2011, Comitato „Venezia vuole vivere“ u. a./Kommission, C-71/09 P, C-73/09 P und C-76/09 P, EU:C:2011:368, Rn. 52, sowie, in anderen Bereichen, Urteile vom 17. Januar 1985, Piraiki-Patraiki u. a./Kommission, 11/82, EU:C:1985:18, Rn. 11, 19 und 31, und vom 13. März 2018, European Union Copper Task Force/Kommission, C-384/16 P, EU:C:2018:176, Rn. 93).

[48]  Ob ein Kläger zur Gruppe der tatsächlichen Empfänger oder der potenziellen Empfänger einer Einzelbeihilfe gehört, die aufgrund einer durch Beschluss der Kommission für mit dem Binnenmarkt unvereinbar erklärten Beihilferegelung gewährt wurde, kann daher nicht dafür maßgebend sein, ob der Kläger von diesem Beschluss individuell betroffen ist, wenn jedenfalls feststeht, dass der Beschluss den Kläger überdies wegen bestimmter persönlicher Eigenschaften oder besonderer, ihn aus dem Kreis aller übrigen Personen heraushebender Umstände berührt.

[49]  Aus dem Vorstehenden ergibt sich, dass das Gericht keinen Rechtsfehler begangen hat, als es zunächst in den Rn. 60 bis 62 des angefochtenen Urteils auf die in den Rn. 41 bis 44 des vorliegenden Urteils dargestellte Rechtsprechung hingewiesen und sich dann in Rn. 63 des angefochtenen Urteils der Prüfung zugewandt hat, „ob [HBH] in Anbetracht ihrer tatsächlichen und rechtlichen Situation als vom [streitgegenständlichen] Beschluss individuell betroffen anzusehen ist“.

[50]  Zudem ergibt sich daraus, dass das Gericht auch dadurch keinen Rechtsfehler begangen hat, dass es in den Rn. 62, 70 und 74 des angefochtenen Urteils seine Prüfung auf die in Rn. 32 des vorliegenden Urteils angeführten Urteile gestützt hat, da alle diese Urteile Anwendungsfälle des im Urteil vom 15. Juli 1963, Plaumann/Kommission (25/62, EU:C:1963:17), aufgestellten Kriteriums der individuellen Betroffenheit darstellen, und zwar in Kontexten, in denen, wie im vorliegenden Fall, ein Rückgriff auf die besondere Ausprägung dieser Rechtsprechung in Form einer Unterscheidung zwischen den tatsächlichen und den potenziellen Empfängern einer Einzelbeihilfe, die aufgrund einer für mit dem Binnenmarkt unvereinbar erklärten Beihilferegelung gewährt wurde, nicht sachgerecht erschien.

[51]  Desgleichen hat das Gericht keinen Rechtsfehler begangen, als es in den Rn. 75 und 76 des angefochtenen Urteils unter Berufung auf das Urteil vom 9. Juni 2011, Comitato „Venezia vuole vivere“ u. a./Kommission (C-71/09 P, C-73/09 P und C-76/09 P, EU:C:2011:368), das Vorbringen der Kommission zurückgewiesen hat, wonach lediglich eine tatsächlich aus staatlichen Ressourcen gewährte Begünstigung eine individuelle Betroffenheit von HBH belegen könnte. Wie bereits in Rn. 47 des vorliegenden Urteils festgestellt, ist ein Kläger nämlich dann von einem Beschluss der Kommission, mit dem eine Beihilferegelung für mit dem Binnenmarkt unvereinbar erklärt wird, im Sinne von Art. 263 Abs. 4 AEUV individuell betroffen, wenn ihn dieser Beschluss wegen bestimmter persönlicher Eigenschaften oder besonderer, ihn aus dem Kreis aller übrigen Personen heraushebender Umstände berührt, worauf das Gericht im Übrigen in Rn. 76 des angefochtenen Urteils zutreffend hingewiesen hat.

[52]  Folglich ist der erste Teil des einzigen Anschlussrechtsmittelgrundes als unbegründet zurückzuweisen.

[53]  Mit dem zweiten und dem dritten Teil des einzigen Anschlussrechtsmittelgrundes wirft die Kommission dem Gericht vor, in Rn. 74 des angefochtenen Urteils einen Rechtsfehler begangen zu haben, indem es HBH als individuell betroffen angesehen habe, weil sie in Anwendung der streitigen Maßnahme ein „bestätigtes Recht“ auf eine Beihilfe erworben habe.

[54]  Hierzu ist festzustellen, dass das Gericht in Rn. 74 des angefochtenen Urteils insbesondere ausgeführt hat, dass „[in] der vorliegenden Rechtssache … festgestellt worden ist, dass [HBH] aufgrund der Besonderheiten des deutschen Steuerrechts ein von den deutschen Steuerbehörden bestätigtes Recht auf eine Steuerersparnis erworben hatte … Dieser Umstand unterscheidet [HBH] von anderen Wirtschaftsteilnehmern, die von der streitigen Maßnahme lediglich als potenziell Begünstigte betroffen sind“; dabei hat es auf Rn. 68 des angefochtenen Urteils verwiesen.

[55]  In Rn. 68 des angefochtenen Urteils hat das Gericht festgestellt, dass die von ihm in den Rn. 66 und 67 dieses Urteils als die tatsächliche und rechtliche Situation von HBH im Sinne des Urteils vom 15. Juli 1963, Plaumann/Kommission (25/62, EU:C:1963:17), kennzeichnend herausgearbeiteten Umstände von der deutschen Steuerverwaltung insbesondere mittels einer verbindlichen Auskunft bestätigt worden seien. Dabei handelte es sich zum einen um den Umstand, dass HBH vor der Eröffnung des förmlichen Prüfverfahrens durch die Kommission nach der deutschen Regelung berechtigt war, ihre Verluste vorzutragen, da die in der Sanierungsklausel vorgesehenen Voraussetzungen erfüllt waren, und zum anderen um den Umstand, dass HBH im Jahr 2009 zu versteuernde Gewinne erzielt hatte, von denen sie die gemäß der Sanierungsklausel vorgetragenen Verluste abgezogen hätte.

[56]  Daraus hat das Gericht in Rn. 69 des angefochtenen Urteils folgende Schlüsse gezogen: „Nach der deutschen Regelung war es … am Ende des Steuerjahrs 2009 sicher, dass [HBH] eine Steuerersparnis erzielt hätte, die sie im Übrigen genau beziffern konnte. Da die deutschen Behörden nämlich hinsichtlich der Anwendung der streitigen Maßnahme über kein Ermessen verfügten, war aufgrund der Durchführungsvorschriften des Steuersystems der Eintritt der genannten Steuerersparnis … lediglich eine Frage der Zeit. [HBH] besaß somit ein erworbenes, von den deutschen Behörden vor dem Erlass des Eröffnungsbeschlusses und dann des [streitgegenständlichen] Beschlusses bestätigtes Recht auf Gewährung dieser Steuerersparnis. Sie wäre ohne diese Beschlüsse durch den Erlass eines Steuerbescheids konkretisiert worden, mit dem der Verlustvortrag und dessen anschließende Aufnahme in die Bilanz der Klägerin gebilligt worden wären. Sie konnte daher von den deutschen Steuerbehörden und der Kommission leicht festgestellt werden.“

[57]  In Rn. 70 des angefochtenen Urteils ist das Gericht dann zu dem Ergebnis gekommen, dass HBH „nicht nur als ein Unternehmen anzusehen [ist], das aufgrund seiner Zugehörigkeit zum fraglichen Sektor und seiner Eigenschaft als potenziell Begünstigter vom [streitgegenständlichen] Beschluss betroffen war, sondern … zum Zeitpunkt des Erlasses des [streitgegenständlichen] Beschlusses zu einem geschlossenen Kreis von feststehenden oder zumindest leicht feststellbaren Wirtschaftsteilnehmern im Sinne des Urteils [vom 15. Juli 1963, Plaumann/Kommission (25/62, EU:C:1963:17),] [gehörte]“.

[58]  Somit geht aus einer Gesamtschau der relevanten Abschnitte des angefochtenen Urteils hervor, dass das Gericht mit der Verwendung des Ausdrucks „bestätigtes Recht“ in Rn. 74 des angefochtenen Urteils lediglich in knapper Form auf die besondere tatsächliche und rechtliche Situation von HBH verweisen wollte, aufgrund deren sie als vom streitgegenständlichen Beschluss individuell betroffen im Sinne des Urteils vom 15. Juli 1963, Plaumann/Kommission (25/62, EU:C:1963:17), angesehen werden konnte.

[59]  Da der zweite und der dritte Teil des einzigen Anschlussrechtsmittelgrundes somit auf einem Fehlverständnis des angefochtenen Urteils beruhen, sind sie als unbegründet zurückzuweisen; infolgedessen ist das Anschlussrechtsmittel insgesamt zurückzuweisen.

Zum Rechtsmittel

[60]  HBH stützt ihr Rechtsmittel auf zwei Gründe, und zwar erstens auf einen Verstoß gegen die Begründungspflicht des Gerichts und zweitens auf einen Verstoß gegen Art. 107 AEUV . Zunächst ist der zweite Rechtsmittelgrund zu prüfen.

 Vorbringen der Parteien

[61]  Mit ihrem zweiten Rechtsmittelgrund macht HBH geltend, erstens habe das Gericht gegen Art. 107 AEUV verstoßen, indem es durch die Bestätigung des Standpunkts der Kommission, wonach die Regel des Verfalls von Verlusten das im vorliegenden Fall maßgebende Referenzsystem darstelle, das Referenzsystem falsch bestimmt habe. In den Rn. 103 und 106 des angefochtenen Urteils habe das Gericht in einem ersten Schritt zutreffend die allgemeine Steuerregelung herausgearbeitet, nämlich die Regel des Verlustvortrags. Es habe jedoch die in § 8c Abs. 1 KStG aufgestellte Regel des Verfalls von Verlusten, also die Ausnahme von der allgemeinen Regelung, als die für die Prüfung der Voraussetzung der Selektivität relevante allgemeine oder normale Steuerregelung herangezogen. Es habe fälschlich die Regel des Verlustvortrags nicht berücksichtigt. Indem es somit eine Ausnahme von der allgemeinen Steuerregelung als „Referenzsystem“ qualifiziert habe, habe es einen Rechtsfehler begangen oder zumindest die ihm vorgelegten Beweise bzw. das nationale Recht verfälscht.

[62]  Ein weiterer Rechtsfehler bestehe darin, dass die allgemeine oder normale Steuerregelung mittels einer Synthese von Grundregel und Ausnahme bestimmt worden sei, zumal sich die Regeln, deren Synthese das Gericht in Rn. 104 des angefochtenen Urteils vornehme, nicht auf der gleichen normativen Stufe befänden, da die Regel des Verlustvortrags eine Ausprägung des verfassungsrechtlichen Prinzips der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit darstelle.

[63]  Außerdem ergebe sich aus den Rn. 104 und 107 des angefochtenen Urteils, dass das Gericht bei der Bestimmung des Referenzsystems auch die erste und die zweite Stufe der Selektivitätsprüfung miteinander vermengt und somit die Rechtsprechung fehlerhaft angewandt habe.

[64]  Zweitens habe das Gericht bei seiner Prüfung, ob die streitige Maßnahme prima facie selektiv sei, gegen Art. 107 AEUV verstoßen. Zum einen habe es rechtsfehlerhaft angenommen, dass die tatsächliche und rechtliche Situation sanierungsbedürftiger und gesunder Unternehmen vergleichbar sei. Insbesondere könne das mit jeder Steuervorschrift verfolgte Ziel der Generierung von Steuereinnahmen keine ausreichende Vergleichbarkeit der Situation der betreffenden Wirtschaftsteilnehmer herstellen.

[65]  Zum anderen sei die Sanierungsklausel sehr wohl eine allgemeine Maßnahme. Rn. 141 des angefochtenen Urteils stehe im Widerspruch zur Rechtsprechung, wonach es für die Beurteilung des allgemeinen Charakters einer Maßnahme nur darauf ankomme, ob sie unabhängig von der Art oder dem Gegenstand der Tätigkeit des Unternehmens Anwendung finde oder ob ihre Anwendung erfordere, dass das Unternehmen seine Tätigkeit ändert.

[66]  Drittens habe das Gericht dadurch gegen Art. 107 AEUV verstoßen, dass es die Sanierungsklausel nicht als gerechtfertigt angesehen habe. In den Rn. 158 bis 160 und 164 bis 166 des angefochtenen Urteils habe es fälschlich festgestellt, dass das Ziel dieser Klausel darin bestehe, die Sanierung von Unternehmen in Schwierigkeiten zu fördern, und sei zu dem Ergebnis gekommen, dass dieses Ziel außerhalb des Steuersystems liege. In den Rn. 166 bis 170 seines Urteils habe es ebenfalls fälschlich die Rechtfertigung der Klausel mit dem Prinzip der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit zurückgewiesen.

[67]  Darüber hinaus macht HBH geltend, ihr zweiter Rechtsmittelgrund sei zulässig, da er nur Rechtsfragen betreffe. Insbesondere betreffe er nicht die Tatsachenwürdigung, sondern die Anwendung falscher Kriterien bei der Bestimmung des Referenzsystems und die rechtliche Einstufung der Tatsachen durch das Gericht, was vom Gerichtshof im Rahmen eines Rechtsmittels überprüft werde.

[68]  Die Kommission hält den zweiten Rechtsmittelgrund für unzulässig. Sein erster und sein dritter Teil beträfen die Feststellung des nationalen Rechts und somit Tatsachenfragen. Jedenfalls beruhe der erste Teil dieses Rechtsmittelgrundes, mit dem HBH dem Gericht vorwerfe, das Referenzsystem unter Berücksichtigung einer nur auf eine bestimmte Gruppe von Unternehmen anwendbaren Regelung bestimmt zu haben, auf einem Fehlverständnis der Rn. 103 bis 109 des angefochtenen Urteils. Aus ihnen gehe hervor, dass das Gericht nur das für alle Unternehmen geltende Recht ermittelt habe, da die wirtschaftliche Identität und Kontinuität das maßgebende Kriterium für die Frage des Verlustvortrags darstelle; dabei handele es sich um Tatsachenfragen.

[69]  Auch der zweite Teil des zweiten Rechtsmittelgrundes sei unzulässig. Zum einen seien die Frage der Vergleichbarkeit der Situation der Wirtschaftsteilnehmer und die Frage der Ermittlung des insoweit maßgebenden Ziels Tatsachenfragen. Zum anderen habe das Gericht einen Rechtsfehler begangen, indem es das ihm von HBH unterbreitete Vorbringen zur Einstufung der streitigen Maßnahme als allgemeine Maßnahme für zulässig erklärt habe, da es nicht als Erweiterung des ersten Teils des ersten bei ihm geltend gemachten Klagegrundes hätte angesehen werden dürfen.

[70]  Hilfsweise sei der zweite Rechtsmittelgrund unbegründet. Erstens werde die von HBH zur Definition des Referenzsystems vertretene These weder durch das einschlägige deutsche Recht noch durch die dem Gericht vorgelegten Schriftstücke gestützt. Der deutsche Gesetzgeber habe zudem selbst die Regel des Verfalls von Verlusten als neue Grundregel definiert. Das Gericht habe somit rechtsfehlerfrei festgestellt, dass nach der Einführung von § 8c Abs. 1 KStG der Wegfall des Verlustvortrags im Fall des schädlichen Beteiligungserwerbs die neue Grundregel des deutschen Steuerrechts darstelle.

[71]  Zweitens beruhten die Ausführungen von HBH zur angeblich fehlenden Vergleichbarkeit der Situationen der betreffenden Wirtschaftsteilnehmer auf einem Fehlverständnis des angefochtenen Urteils. Zum einen gebe es aus dem Blickwinkel des Wechsels der wirtschaftlichen Identität keinen Unterschied zwischen sanierungsbedürftigen und nicht sanierungsbedürftigen Unternehmen.

[72]  Zum anderen sei die Sanierungsklausel keine allgemeine, sondern eine selektive Maßnahme. Auf das Urteil vom 7. November 2014, Autogrill España/Kommission (T-219/10, EU:T:2014:939), lasse sich dabei der Standpunkt von HBH nicht mit Erfolg stützen.

[73]  Drittens habe das Gericht im Rahmen seiner souveränen Tatsachenwürdigung zutreffend festgestellt, dass die Sanierungsklausel dazu diene, Unternehmen in Schwierigkeiten zu helfen. Jedenfalls gehe das Vorbringen, dass diese Klausel eine Übermaßbesteuerung verhindern solle, ins Leere, weil das Gericht in den Rn. 167 bis 173 des angefochtenen Urteils festgestellt habe, dass auch bei Heranziehung dieses Ziels eine Rechtfertigung ausgeschlossen sei. Darüber hinaus habe das Gericht auch das auf das deutsche Verfassungsrecht und die Scheingewinne gestützte Vorbringen zu Recht zurückgewiesen.

[74]  Die Bundesrepublik Deutschland macht geltend, das Gericht habe ebenso wie die Kommission bei der Bestimmung des Referenzsystems einen Rechtsfehler begangen. Unter Verweis auf die Urteile vom 15. November 2011, Kommission und Spanien/Government of Gibraltar und Vereinigtes Königreich (C-106/09 P und C-107/09 P, EU:C:2011:732), und vom 21. Dezember 2016, Kommission/World Duty Free Group u. a. (C-20/15 P und C-21/15 P, EU:C:2016:981), weist sie darauf hin, dass die Kommission, wenn sie eine Maßnahme als „selektiv“ einstufen wolle, zunächst die normale in dem betreffenden Mitgliedstaat anwendbare Steuerregelung ermitteln und dann nachweisen müsse, dass die geprüfte Maßnahme Differenzierungen zwischen Unternehmen schaffe, die sich im Hinblick auf das mit dieser Regelung verfolgte Ziel in einer vergleichbaren tatsächlichen und rechtlichen Lage befänden. Daher könne einem nur auf der Regelungstechnik basierenden Ansatz nicht gefolgt werden.

[75]  Im vorliegenden Fall habe der Ansatz der Kommission jedoch allein auf der Regelungstechnik beruht, und das Gericht habe einen Rechtsfehler begangen, da es ihn nicht in Frage gestellt habe, obwohl er im Widerspruch zur Rechtsprechung des Gerichtshofs stehe. Dabei habe das Gericht im angefochtenen Urteil Inhalt und Umfang der einschlägigen Steuervorschriften zutreffend festgestellt, sie aber rechtlich fehlerhaft eingestuft.

 Würdigung durch den Gerichtshof  

[76]  Mit dem ersten Teil ihres zweiten Rechtsmittelgrundes macht HBH, unterstützt durch die Bundesrepublik Deutschland, im Wesentlichen geltend, das Gericht habe in den Rn. 103 bis 107 des angefochtenen Urteils das Referenzsystem falsch bestimmt, in dessen Rahmen der selektive Charakter der streitigen Maßnahme zu prüfen sei.

[77]  Da die Kommission die Zulässigkeit dieses ersten Teils mit der Begründung in Abrede stellt, dass er Tatsachenfragen betreffe, ist darauf hinzuweisen, dass zwar die Würdigung der Tatsachen und der Beweise, sofern sie nicht verfälscht werden, keine Rechtsfrage ist, die als solche der Kontrolle des Gerichtshofs im Rahmen eines Rechtsmittels unterliegt. Wenn das Gericht die Tatsachen festgestellt oder gewürdigt hat, ist der Gerichtshof jedoch nach Art. 256 AEUV zur Kontrolle ihrer rechtlichen Qualifizierung und der daraus gezogenen rechtlichen Konsequenzen befugt (Urteile vom 3. April 2014, Frankreich/Kommission, C-559/12 P, EU:C:2014:217, Rn. 78 und die dort angeführte Rechtsprechung, und vom 20. Dezember 2017, Comunidad Autónoma del País Vasco u. a./Kommission, C-66/16 P bis C-69/16 P, EU:C:2017:999, Rn. 97).

[78]  Somit kann der Gerichtshof, wenn er im Rahmen eines Rechtsmittels Beurteilungen des nationalen Rechts durch das Gericht prüft, die im Bereich des Beihilfenrechts Tatsachenwürdigungen darstellen, nur prüfen, ob dieses Recht verfälscht wurde (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 3. April 2014, Frankreich/Kommission, C-559/12 P, EU:C:2014:217, Rn. 79 und die dort angeführte Rechtsprechung, und vom 20. Dezember 2017, Comunidad Autónoma del País Vasco u. a./Kommission, C-66/16 P bis C-69/16 P, EU:C:2017:999, Rn. 98). Dagegen fällt die im Rahmen eines Rechtsmittels vorgenommene Überprüfung der rechtlichen Qualifizierung des nationalen Rechts durch das Gericht anhand einer Bestimmung des Unionsrechts, da sie eine Rechtsfrage darstellt, in die Zuständigkeit des Gerichtshofs (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 3. April 2014, Frankreich/Kommission, C-559/12 P, EU:C:2014:217, Rn. 83, und vom 21. Dezember 2016, Kommission/Hansestadt Lübeck, C-524/14 P, EU:C:2016:971, Rn. 61 bis 63).

[79]  Im vorliegenden Fall ist festzustellen, dass sich HBH mit dem ersten Teil ihres zweiten Rechtsmittelgrundes nicht gegen die Feststellungen des Gerichts zum Inhalt oder zur Tragweite des nationalen Rechts wendet, sondern gegen die vom Gericht, wie auch von der Kommission im streitgegenständlichen Beschluss, vorgenommene Einstufung der Regel des Verfalls von Verlusten als „Referenzsystem“.

[80]  Der Begriff „Referenzsystem“ bezieht sich jedoch auf den ersten Schritt der Prüfung des Tatbestandsmerkmals der Selektivität des Vorteils, das nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs zum Begriff der staatlichen Beihilfe im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV gehört (Urteile vom 15. November 2011, Kommission und Spanien/Government of Gibraltar und Vereinigtes Königreich, C-106/09 P und C-107/09 P, EU:C:2011:732, Rn. 74 und die dort angeführte Rechtsprechung, und vom 21. Dezember 2016, Kommission/World Duty Free Group u. a., C-20/15 P und C-21/15 P, EU:C:2016:981, Rn. 54).

[81]  Da das Vorbringen von HBH somit darauf abzielt, die vom Gericht vorgenommene rechtliche Einstufung der Tatsachen in Frage zu stellen, ist der erste Teil des zweiten Rechtsmittelgrundes zulässig.

[82]  In der Sache ist darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs die Einstufung einer nationalen Maßnahme als „staatliche Beihilfe“ im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV verlangt, dass alle nachfolgend genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Erstens muss es sich um eine staatliche Maßnahme oder eine Maßnahme unter Inanspruchnahme staatlicher Mittel handeln. Zweitens muss die Maßnahme geeignet sein, den Handel zwischen den Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen. Drittens muss dem Begünstigten durch sie ein selektiver Vorteil gewährt werden. Viertens muss sie den Wettbewerb verfälschen oder zu verfälschen drohen (Urteile vom 10. Juni 2010, Fallimento Traghetti del Mediterraneo, C-140/09, EU:C:2010:335, Rn. 31 und die dort angeführte Rechtsprechung, und vom 21. Dezember 2016, Kommission/World Duty Free Group u. a., C-20/15 P und C-21/15 P, EU:C:2016:981, Rn. 53).

[83]  In Bezug auf die Voraussetzung der Selektivität des Vorteils geht aus einer ebenfalls ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs hervor, dass bei der Beurteilung dieser Voraussetzung zu klären ist, ob die fragliche nationale Maßnahme im Rahmen einer konkreten rechtlichen Regelung geeignet ist, „bestimmte Unternehmen oder Produktionszweige“ gegenüber anderen Unternehmen oder Produktionszweigen zu begünstigen, die sich im Hinblick auf das mit der betreffenden Regelung verfolgte Ziel in einer vergleichbaren tatsächlichen und rechtlichen Situation befinden und somit eine unterschiedliche Behandlung erfahren, die im Wesentlichen als diskriminierend eingestuft werden kann (Urteil vom 21. Dezember 2016, Kommission/World Duty Free Group u. a., C-20/15 P und C-21/15 P, EU:C:2016:981, Rn. 54 und die dort angeführte Rechtsprechung).

[84]  Ist die in Rede stehende Maßnahme als Beihilferegelung und nicht als Einzelbeihilfe beabsichtigt, obliegt es außerdem der Kommission, darzutun, dass die Maßnahme, obwohl sie einen allgemeinen Vorteil vorsieht, diesen allein bestimmten Unternehmen oder Branchen verschafft (Urteil vom 21. Dezember 2016, Kommission/World Duty Free Group u. a., C-20/15 P und C-21/15 P, EU:C:2016:981, Rn. 55 und die dort angeführte Rechtsprechung).

[85]  Insbesondere in Bezug auf nationale Maßnahmen, die einen Steuervorteil verschaffen, ist darauf hinzuweisen, dass eine derartige Maßnahme, die zwar nicht mit der Übertragung staatlicher Mittel verbunden ist, die Begünstigten aber finanziell besser stellt als die übrigen Steuerpflichtigen, den Empfängern einen selektiven Vorteil verschaffen kann und daher eine staatliche Beihilfe im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV darstellt. Dagegen stellt ein Steuervorteil, der sich aus einer unterschiedslos auf alle Wirtschaftsteilnehmer anwendbaren allgemeinen Maßnahme ergibt, keine Beihilfe im Sinne dieser Bestimmung dar (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 15. November 2011, Kommission und Spanien/Government of Gibraltar und Vereinigtes Königreich, C-106/09 P und C-107/09 P, EU:C:2011:732, Rn. 72 und 73 sowie die dort angeführte Rechtsprechung; vgl. auch Urteil vom 21. Dezember 2016, Kommission/World Duty Free Group u. a., C-20/15 P und C-21/15 P, EU:C:2016:981, Rn. 56).

[86]  In diesem Kontext muss die Kommission, um eine nationale steuerliche Maßnahme als „selektiv“ einzustufen, in einem ersten Schritt die im betreffenden Mitgliedstaat geltende allgemeine oder „normale“ Steuerregelung ermitteln und in einem zweiten Schritt dartun, dass die in Rede stehende steuerliche Maßnahme insofern vom allgemeinen System abweicht, als sie Differenzierungen zwischen Wirtschaftsteilnehmern schafft, die sich im Hinblick auf das mit der allgemeinen Regelung verfolgte Ziel in einer vergleichbaren tatsächlichen und rechtlichen Situation befinden (Urteil vom 21. Dezember 2016, Kommission/World Duty Free Group u. a., C-20/15 P und C-21/15 P, EU:C:2016:981, Rn. 57 und die dort angeführte Rechtsprechung).

[87]  Der Begriff „staatliche Beihilfe“ erfasst jedoch nicht die Maßnahmen, mit denen eine Differenzierung zwischen Unternehmen geschaffen wird, die sich im Hinblick auf das mit der in Rede stehenden rechtlichen Regelung verfolgte Ziel in einer vergleichbaren tatsächlichen und rechtlichen Situation befinden und damit a priori selektiv sind, sofern der betreffende Mitgliedstaat in einem dritten Schritt nachweisen kann, dass diese Differenzierung gerechtfertigt ist, weil sie sich aus der Natur oder dem Aufbau des Systems ergibt, in das sich die Maßnahmen einfügen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 6. September 2006, Portugal/Kommission, C-88/03, EU:C:2006:511, Rn. 52; vgl. auch Urteil vom 21. Dezember 2016, Kommission/World Duty Free Group u. a., C-20/15 P und C-21/15 P, EU:C:2016:981, Rn. 58 und die dort angeführte Rechtsprechung).

[88]  Die Prüfung des Tatbestandsmerkmals der Selektivität impliziert somit grundsätzlich in einem ersten Schritt die Bestimmung des Referenzsystems, in das sich die betreffende Maßnahme einfügt. Ihr kommt im Fall von steuerlichen Maßnahmen erhöhte Bedeutung zu, da das tatsächliche Vorliegen einer Vergünstigung nur im Verhältnis zu einer sogenannten „normalen“ Besteuerung festgestellt werden kann (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 6. September 2006, Portugal/Kommission, C-88/03, EU:C:2006:511, Rn. 56, und vom 21. Dezember 2016, Kommission/Hansestadt Lübeck, C-524/14 P, EU:C:2016:971, Rn. 55).

[89]  Somit hängt die Bestimmung aller Unternehmen, die sich in einer vergleichbaren tatsächlichen und rechtlichen Situation befinden, von der vorherigen Definition der rechtlichen Regelung ab, anhand von deren Ziel gegebenenfalls die Vergleichbarkeit der jeweiligen tatsächlichen und rechtlichen Situation der durch die fragliche Maßnahme begünstigten Unternehmen und der durch sie nicht begünstigten Unternehmen zu prüfen ist (Urteil vom 21. Dezember 2016, Kommission/Hansestadt Lübeck, C-524/14 P, EU:C:2016:971, Rn. 60).

[90]  Die Einstufung eines Steuersystems als „selektiv“ ist jedoch nicht davon abhängig, dass es so konzipiert ist, dass die Unternehmen, denen möglicherweise eine selektive Begünstigung zugutekommt, im Allgemeinen denselben steuerlichen Belastungen unterliegen wie die übrigen Unternehmen, aber von Ausnahmevorschriften profitieren, so dass die selektive Begünstigung im Unterschied zwischen der normalen steuerlichen Belastung und der Belastung der erstgenannten Unternehmen erblickt werden kann (Urteil vom 15. November 2011, Kommission und Spanien/Government of Gibraltar und Vereinigtes Königreich, C-106/09 P und C-107/09 P, EU:C:2011:732, Rn. 91).

[91]  Ein solches Verständnis des Kriteriums der Selektivität würde nämlich voraussetzen, dass eine Steuerregelung, um als „selektiv“ eingestuft werden zu können, mittels einer bestimmten Regelungstechnik konzipiert ist, was dazu führen würde, dass nationale Steuervorschriften der Kontrolle auf dem Gebiet der staatlichen Beihilfen von vornherein allein deshalb entzogen sind, weil sie auf einer anderen Regelungstechnik beruhen, obwohl sie rechtlich und/oder tatsächlich durch die Anpassung oder Verknüpfung verschiedener Steuervorschriften dieselben Wirkungen entfalten. Es verstieße damit gegen die ständige Rechtsprechung, wonach Art. 107 Abs. 1 AEUV nicht nach den Gründen und Zielen der staatlichen Maßnahmen unterscheidet, sondern sie anhand ihrer Wirkungen und somit unabhängig von den verwendeten Techniken beschreibt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 15. November 2011, Kommission und Spanien/Government of Gibraltar und Vereinigtes Königreich, C-106/09 P und C-107/09 P, EU:C:2011:732, Rn. 87, 92 und 93 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

[92]  Wenn nach dieser Rechtsprechung nationale Steuervorschriften nicht durch den Rückgriff auf eine bestimmte Regelungstechnik von vornherein der im AEU-Vertrag vorgesehenen Kontrolle im Bereich der staatlichen Beihilfen entzogen werden können, kann der Rückgriff auf die verwendete Regelungstechnik auch nicht zur Bestimmung des für die Prüfung des Tatbestandsmerkmals der Selektivität maßgebenden Referenzsystems ausreichen, da sonst die Form der staatlichen Maßnahmen in entscheidender Weise Vorrang vor ihren Wirkungen genösse. Wie im Wesentlichen auch der Generalanwalt in Nr. 108 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, kann die verwendete Regelungstechnik daher kein für die Bestimmung des Referenzsystems ausschlaggebender Gesichtspunkt sein.

[93]  Aus derselben Rechtsprechung geht allerdings hervor, dass die verwendete Regelungstechnik zwar nicht für den Nachweis der Selektivität einer steuerlichen Maßnahme ausschlaggebend ist, so dass es nicht immer erforderlich ist, dass sie von einer allgemeinen Steuerregelung abweicht, doch ist der Umstand, dass sie durch die Verwendung dieser Regelungstechnik einen solchen Charakter aufweist, für diese Zwecke relevant, wenn sich daraus ergibt, dass zwei Gruppen von Wirtschaftsteilnehmern voneinander unterschieden werden und a priori unterschiedlich behandelt werden – und zwar diejenigen, die unter die abweichende Maßnahme fallen, und diejenigen, die weiterhin unter die allgemeine Steuerregelung fallen –, obwohl sich diese beiden Gruppen im Hinblick auf das mit der Regelung verfolgte Ziel in einer vergleichbaren Situation befinden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 21. Dezember 2016, Kommission/World Duty Free Group u. a., C-20/15 P und C-21/15 P, EU:C:2016:981, Rn. 77).

[94]  Überdies ist darauf hinzuweisen, dass der Umstand, dass nur Steuerpflichtige, die die Voraussetzungen für die Anwendung einer Maßnahme erfüllen, diese in Anspruch nehmen können, als solcher dieser Maßnahme keinen selektiven Charakter verleihen kann (Urteile vom 29. März 2012, 3M Italia, C-417/10, EU:C:2012:184, Rn. 42, und vom 21. Dezember 2016, Kommission/World Duty Free Group u. a., C-20/15 P und C-21/15 P, EU:C:2016:981, Rn. 59).

[95]  Im Licht dieser Erwägungen ist zu prüfen, ob das Gericht, wie HBH und die Bundesrepublik Deutschland vorbringen, im vorliegenden Fall Art. 107 Abs. 1 AEUV in seiner Auslegung durch den Gerichtshof verkannt hat, indem es entschieden hat, dass die Kommission keinen Rechtsfehler begangen habe, als sie davon ausgegangen sei, dass das für die Beurteilung des selektiven Charakters der streitigen Maßnahme maßgebende Referenzsystem allein aus der Regel des Verfalls von Verlusten bestehe.

[96]  Insoweit ist festzustellen, dass das Gericht in Rn. 103 des angefochtenen Urteils darauf hingewiesen hat, dass „die Kommission im [streitgegenständlichen] Beschluss die Regel des Verfalls von Verlusten … als die allgemeine Regel bezeichnet hat, nach der zu prüfen sei, ob zwischen Unternehmen, die sich in einer vergleichbaren tatsächlichen und rechtlichen Lage befänden, differenziert worden sei. [HBH] bezieht sich demgegenüber auf die allgemeinere, für jede Besteuerung geltende Regel des Verlustvortrags.“

[97]  In Rn. 104 seines Urteils hat das Gericht ferner darauf hingewiesen, dass „die Regel des Verlustvortrags eine Möglichkeit ist, in deren Genuss alle Unternehmen bei der Anwendung der Körperschaftsteuer kommen“, und dass „die Regel des Verfalls von Verlusten diese Möglichkeit beim Erwerb einer Beteiligung von 25 % oder mehr einschränkt und beim Erwerb einer Beteiligung von mehr als 50 % ausschließt“. Es hat sodann festgestellt, dass „[d]ie letztgenannte Regel … demnach systematisch für alle Fälle eines Wechsels der Anteilseigner [gilt], die 25 % oder mehr der Anteile halten, unbeschadet der Art oder der Merkmale der betreffenden Unternehmen“.

[98]  In Rn. 105 des angefochtenen Urteils hat das Gericht Folgendes hinzugefügt: „Außerdem ist die Sanierungsklausel ihrem Wortlaut nach eine Ausnahme von der Regel des Verfalls von Verlusten und gilt nur in genau definierten Situationen, die unter die letztgenannte Regel fallen.“

[99]  Hieraus hat das Gericht in Rn. 106 seines Urteils abgeleitet, dass „festzustellen [ist], dass die Regel des Verfalls von Verlusten ebenso wie die Regel des Verlustvortrags zum rechtlichen Rahmen der streitigen Maßnahme gehört. Mit anderen Worten besteht der im vorliegenden Fall relevante rechtliche Rahmen aus der allgemeinen Regel des Verlustvortrags, die durch die Regel des Verfalls von Verlusten eingeschränkt wird, und in eben diesem Rahmen ist zu prüfen, ob die streitige Maßnahme Differenzierungen zwischen Wirtschaftsteilnehmern schafft, die sich in einer vergleichbaren tatsächlichen und rechtlichen Lage im Sinne der Rechtsprechung befinden.“

[100]  In Rn. 107 des angefochtenen Urteils hat das Gericht daraus den Schluss gezogen, dass „die Kommission keinen Fehler begangen hat, als sie unter gleichzeitiger Anerkennung der Existenz einer allgemeineren Regel, nämlich der des Verlustvortrags, zu dem Ergebnis kam, dass der bei der Beurteilung der Selektivität der streitigen Maßnahme angelegte rechtliche Bezugsrahmen in der Regel des Verfalls von Verlusten zu sehen sei“.

[101]  Wie HBH und die Bundesrepublik Deutschland vorbringen, hat diese Argumentation dazu geführt, dass das Gericht fälschlich allein die Regel des Verfalls von Verlusten als Referenzsystem im Sinne der Rechtsprechung zu Art. 107 Abs. 1 AEUV eingestuft und die allgemeine Regel des Verlustvortrags von diesem Referenzsystem ausgenommen hat.

[102]  Aus dieser Argumentation geht nämlich hervor, dass das Gericht trotz seiner Feststellung, dass es eine für alle körperschaftsteuerpflichtigen Unternehmen geltende allgemeine Steuerregel, nämlich die Regel des Verlustvortrags, gebe, gleichwohl entschieden hat, dass die Kommission keinen Fehler begangen habe, als sie davon ausgegangen sei, dass das für die Beurteilung des selektiven Charakters der streitigen Maßnahme maßgebende Referenzsystem allein aus der Regel des Verfalls von Verlusten bestehe, obwohl die letztgenannte Regel selbst unstreitig eine Ausnahme von der Regel des Verlustvortrags darstellte und obwohl die Prüfung des gesamten Inhalts dieser Bestimmungen die Feststellung hätte ermöglichen müssen, dass die Sanierungsklausel dazu führte, eine unter die allgemeine Regel des Verlustvortrags fallende Situation zu definieren.

[103]  Wie auch der Generalanwalt in Nr. 109 seiner Schlussanträge im Wesentlichen ausgeführt hat, geht jedoch aus der in den Rn. 90 bis 93 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung des Gerichtshofs hervor, dass die Selektivität einer steuerlichen Maßnahme anhand eines Referenzsystems, das aus einigen Bestimmungen besteht, die aus einem breiteren rechtlichen Rahmen künstlich herausgelöst wurden, nicht zutreffend beurteilt werden kann. Durch den Ausschluss der allgemeinen Regel des Verlustvortrags von dem im vorliegenden Fall maßgebenden Referenzsystem hat das Gericht somit dieses System offensichtlich zu eng definiert.

[104]  Soweit das Gericht diese Schlussfolgerung darauf gestützt hat, dass die streitige Maßnahme ihrem Wortlaut nach eine Ausnahme von der Regel des Verfalls von Verlusten sei, ist darauf hinzuweisen, dass die verwendete Regelungstechnik, wie bereits in Rn. 92 des vorliegenden Urteils ausgeführt, kein für die Bestimmung des Referenzsystems ausschlaggebender Gesichtspunkt sein kann.

[105]  Auch dem Urteil vom 18. Juli 2013, P (C-6/12, EU:C:2013:525), kann im vorliegenden Fall kein stichhaltiges Argument zur Stützung des angefochtenen Urteils entnommen werden, da sich der Gerichtshof in diesem Urteil nicht dazu geäußert hat, was in der ihm unterbreiteten Rechtssache das Referenzsystem darstellen musste.

[106]  Nach alledem ist der erste Teil des zweiten Rechtsmittelgrundes von HBH begründet, ohne dass insoweit die übrige zu seiner Stützung vorgebrachte Argumentation geprüft zu werden braucht. Ferner ist festzustellen, dass das Gericht auf der Grundlage seiner rechtsfehlerhaften Würdigung, wonach die Kommission mit ihrer Feststellung, dass das im vorliegenden Fall für die Beurteilung des selektiven Charakters der streitigen Maßnahme maßgebende Referenzsystem allein aus der Regel des Verfalls von Verlusten bestehe, keinen Fehler begangen habe, das weitere Vorbringen von HBH geprüft hat, mit dem zum einen das Fehlen eines prima facie selektiven Charakters der streitigen Maßnahme und zum anderen ihre Rechtfertigung mit der Natur und dem Aufbau des Steuersystems dargetan werden sollte.

[107]  Wie sich aus der in den Rn. 83 und 86 bis 89 des vorliegenden Urteils dargestellten Rechtsprechung ergibt, führt aber ein Fehler bei der Bestimmung des Referenzsystems, anhand dessen der selektive Charakter einer Maßnahme zu beurteilen ist, zwangsläufig dazu, dass die gesamte Prüfung des Tatbestandsmerkmals der Selektivität mit einem Mangel behaftet ist. Unter diesen Umständen ist dem Rechtsmittel stattzugeben, und die Nrn. 2 und 3 des Tenors des angefochtenen Urteils sind aufzuheben, ohne dass der zweite und der dritte Teil des zweiten Rechtsmittelgrundes oder der erste Rechtsmittelgrund geprüft zu werden brauchen.

 Zur Klage vor dem Gericht

[108]  Nach Art. 61 Abs. 1 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union kann der Gerichtshof im Fall der Aufhebung der Entscheidung des Gerichts den Rechtsstreit selbst endgültig entscheiden, wenn dieser zur Entscheidung reif ist.

[109]  Das ist hier der Fall. In diesem Rahmen genügt der Hinweis, dass aus den in den Rn. 82 bis 107 des vorliegenden Urteils genannten Gründen der erste Teil des ersten Klagegrundes von HBH begründet ist, da mit ihm gerügt wird, dass die Kommission fälschlich allein die Regel des Verfalls von Verlusten als das für die Beurteilung des selektiven Charakters der streitigen Maßnahme maßgebende Referenzsystem angesehen habe. Da der selektive Charakter der streitigen Maßnahme von der Kommission somit anhand eines fehlerhaft bestimmten Referenzsystems beurteilt wurde, ist der streitgegenständliche Beschluss für nichtig zu erklären.

Kosten

[110]  Nach Art. 184 Abs. 2 seiner Verfahrensordnung entscheidet der Gerichtshof über die Kosten, wenn das Rechtsmittel unbegründet ist oder wenn das Rechtsmittel begründet ist und er den Rechtsstreit selbst endgültig entscheidet.

[111]  Gemäß Art. 138 Abs. 1 der Verfahrensordnung, der nach deren Art. 184 Abs. 1 auf das Rechtsmittelverfahren entsprechende Anwendung findet, ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen.

[112]  Da die Kommission beim Anschlussrechtsmittel und beim Rechtsmittel unterlegen ist, der streitgegenständliche Beschluss für nichtig erklärt wird und HBH beantragt hat, der Kommission die Kosten aufzuerlegen, sind ihr neben ihren eigenen Kosten die Kosten aufzuerlegen, die HBH durch das Verfahren im ersten Rechtszug und durch das Rechtsmittelverfahren entstanden sind.

[113]  Nach Art. 184 Abs. 4 der Verfahrensordnung können einer erstinstanzlichen Streithilfepartei, wenn sie das Rechtsmittel nicht selbst eingelegt hat, im Rechtsmittelverfahren nur dann Kosten auferlegt werden, wenn sie am schriftlichen oder mündlichen Verfahren vor dem Gerichtshof teilgenommen hat. Nimmt eine solche Partei am Verfahren teil, so kann der Gerichtshof ihr ihre eigenen Kosten auferlegen.

[114]  Die Bundesrepublik Deutschland, die als erstinstanzliche Streithilfepartei am mündlichen Verfahren vor dem Gerichtshof teilgenommen hat, hat nicht beantragt, der Kommission die Kosten aufzuerlegen. Unter diesen Umständen ist zu entscheiden, dass sie ihre eigenen durch das Rechtsmittelverfahren entstandenen Kosten trägt.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Zweite Kammer) für Recht erkannt und entschieden:

  1.  Das Anschlussrechtsmittel wird zurückgewiesen.
  2.  Die Nrn. 2 und 3 des Tenors des Urteils des Gerichts der Europäischen Union vom 4. Februar 2016, Heitkamp BauHolding/Kommission (T-287/11, EU:T:2016:60), werden aufgehoben.
  3.  Der Beschluss 2011/527/EU der Kommission vom 26. Januar 2011 über die staatliche Beihilfe Deutschlands C 7/10 (ex CP 250/09 und NN 5/10) „KStG , Sanierungsklausel“ wird für nichtig erklärt.
  4.  Die Europäische Kommission trägt neben ihren eigenen Kosten die Kosten, die Herrn Dirk Andres, Insolvenzverwalter über das Vermögen der Heitkamp BauHolding GmbH, durch das Verfahren im ersten Rechtszug und durch das Rechtsmittelverfahren entstanden sind.
  5.  Die Bundesrepublik Deutschland trägt ihre eigenen durch das Rechtsmittelverfahren entstandenen Kosten.

 

Rente ab 63 – Arbeitslosengeldbezug in den letzten zwei Jahren nur ausnahmsweise auf die Wartezeit anrechenbar

Zeiten des Arbeitslosengeldbezuges in den letzten zwei Jahren vor Rentenbeginn sind auf die 45-jährige Wartezeit für die sogenannte Rente ab 63 grundsätzlich auch dann nicht anrechnungsfähig, wenn sie vor dem Inkrafttreten der dies regelnden Norm am 1.7.2014 liegen. Außerdem liegt eine vollständige Geschäftsaufgabe des Arbeitgebers als Voraussetzung für die ausnahmsweise mögliche Anrechenbarkeit von Zeiten des Arbeitslosengeldbezuges in den letzten zwei Jahren vor Rentenbeginn auf die Wartezeit nur dann vor, wenn das gesamte Unternehmen des Arbeitgebers als Basis vorhandener Beschäftigungen wegfällt. Diese Grundsatzfragen hat der 5. Senat des Bundessozialgerichts am 28. Juni 2018 entschieden (Aktenzeichen B 5 R 25/17 R).

Die sogenannte Rente ab 63 – Altersrente für besonders langjährig Versicherte – setzt unter anderem die Erfüllung einer 45-jährigen Wartezeit voraus. Auf diese werden grundsätzlich Zeiten des Arbeitslosengeldbezuges angerechnet, es sei denn dieser erfolgt in den letzten zwei Jahren vor Rentenbeginn. Von der Ausnahme sind die Fälle rückausgenommen, in denen der Leistungsbezug durch eine Insolvenz oder vollständige Geschäftsaufgabe des Arbeitgebers bedingt ist. In diesen Fällen ist eine Anrechnung auf die Wartezeit also möglich. Der Begriff der vollständigen Geschäftsaufgabe ist im Gesetz nicht näher umschrieben und auch durch den Sprachgebrauch nicht eindeutig bestimmt. Wie der Senat weiter ausgeführt hat, ist dieser Begriff insbesondere nach Sinn und Zweck der Norm im Sinne des Wegfalls des gesamten Unternehmens des konkreten rechtlichen Arbeitgebers zu verstehen, um eine missbräuchliche Frühverrentung von vornherein auszuschließen. Dafür sprechen auch systematische Bezüge zum rechtlich gleichgeordneten Rückausnahmetatbestand der Insolvenz (vergleiche hierzu Urteil des 5. Senats des Bundessozialgerichts vom 17.8.2017 – B 5 R 8/16 R – SozR 4-2600 § 51 Nummer 1 Randnummer 23 ff, auch zur Veröffentlichung in BSGE vorgesehen).

Die genannten Regelungen (§ 51 Absatz 3a Satz 1 Nummer 3 Buchstabe a Teilsätze 2 und 3 SGB VI) begegnen keinen verfassungsrechtlichen Bedenken.

Hinweise zur Rechtslage
§ 236b Sechstes Buch Sozialgesetzbuch – Auszug –

(1) Versicherte, die vor dem 1. Januar 1964 geboren sind, haben frühestens Anspruch auf Altersrente für besonders langjährig Versicherte, wenn sie
1. das 63. Lebensjahr vollendet und
2. die Wartezeit von 45 Jahren erfüllt
haben.

(2) 1Versicherte, die vor dem 1. Januar 1953 geboren sind, haben Anspruch auf diese Altersrente nach Vollendung des 63. Lebensjahres. …
(…)

§ 51 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch – Auszug –

(…)

(3a) 1Auf die Wartezeit von 45 Jahren werden Kalendermonate angerechnet mit
(…)

3. Zeiten des Bezugs von

a) Entgeltersatzleistungen der Arbeitsförderung,

(…)

soweit sie Pflichtbeitragszeiten oder Anrechnungszeiten sind; dabei werden Zeiten nach Buchstabe a in den letzten zwei Jahren vor Rentenbeginn nicht berücksichtigt, es sei denn, der Bezug von Entgeltersatzleistungen der Arbeitsförderung ist durch eine Insolvenz oder vollständige Geschäftsaufgabe des Arbeitgebers bedingt …
(…)

BSG Pressemitteilung 38/2018 vom 29. Juni 2018 – Rente ab 63 –

 Doppellbesteuerung: § 50d Abs. 3 EStG 2012 europarechtswidrig

EStG § 50d Besonderheiten im Fall von Doppelbesteuerungsabkommen und der §§ 43b und 50g

 Leitsatz

Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 2011/96/EU des Rates vom 30. November 2011 über das gemeinsame Steuersystem der Mutter- und Tochtergesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten in der durch die Richtlinie 2013/13/EU des Rates vom 13. Mai 2013 geänderten Fassung und Art. 49 AEUV sind dahin auszulegen, dass sie einer steuerrechtlichen Regelung eines Mitgliedstaats wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden entgegenstehen, nach der auf Dividenden, die eine gebietsansässige Tochtergesellschaft an ihre gebietsfremde Muttergesellschaft ausschüttet, Quellensteuer anfällt, die Muttergesellschaft aber keinen Anspruch auf Erstattung der Quellensteuer oder Freistellung davon hat, wenn zum einen Personen an ihr beteiligt sind, denen die Erstattung oder Freistellung nicht zustände, wenn sie Dividenden einer solchen Tochtergesellschaft unmittelbar bezogen hätten, und die von der Muttergesellschaft im betreffenden Wirtschaftsjahr erzielten Bruttoerträge nicht aus eigener Wirtschaftstätigkeit stammen und wenn zum anderen eine der beiden in der betreffenden Steuervorschrift aufgestellten Voraussetzungen erfüllt ist, d. h. entweder wirtschaftliche oder sonst beachtliche Gründe für die Einschaltung der besagten Muttergesellschaft fehlen oder diese nicht mit einem für ihren Geschäftszweck angemessen eingerichteten Geschäftsbetrieb am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr teilnimmt, wobei organisatorische, wirtschaftliche oder sonst beachtliche Merkmale der Unternehmen, die der Muttergesellschaft nahestehen, außer Betracht bleiben.

 Gesetze

AEUV Art 49
,
AEUV Art 54
, EGRL 123/2003 Art 1 Abs 2,
EStG § 50d Abs 3

 Instanzenzug

EuGH – C-440/17, Verfahrensverlauf

 Gründe

[1]  Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 49 AEUV und Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 2011/96/EU des Rates vom 30. November 2011 über das gemeinsame Steuersystem der Mutter- und Tochtergesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten (ABl. 2011, L 345, S. 8) in der durch die Richtlinie 2013/13/EU des Rates vom 13. Mai 2013 (ABl. 2013, L 141, S. 30) geänderten Fassung (im Folgenden: Richtlinie 2011/96).

[2]  Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der in den Niederlanden ansässigen GS und dem Bundeszentralamt für Steuern (Deutschland) wegen dessen Weigerung, die von GS von ihrer deutschen Tochtergesellschaft bezogenen Gewinnausschüttungen vom Quellensteuerabzug zu befreien.

Rechtlicher Rahmen

  Unionsrecht  

[]  Die Erwägungsgründe 1, 3 bis 6 und 8 der Richtlinie 2011/96 lauten:

D„(1) Die [Richtlinie 90/435/EWG des Rates vom 23. Juli 1990 über das gemeinsame Steuersystem der Mutter- und Tochtergesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten (ABl. 1990, L 225, S. 6)] ist mehrfach und in wesentlichen Punkten geändert worden … Aus Gründen der Klarheit empfiehlt es sich, im Rahmen der jetzt anstehenden Änderungen eine Neufassung vorzunehmen.

(3) Diese Richtlinie zielt darauf ab, Dividendenzahlungen und andere Gewinnausschüttungen von Tochtergesellschaften an ihre Muttergesellschaften von Quellensteuern zu befreien und die Doppelbesteuerung derartiger Einkünfte auf Ebene der Muttergesellschaft zu beseitigen.

(4) Zusammenschlüsse von Gesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten können notwendig sein, um binnenmarktähnliche Verhältnisse in der Union zu schaffen und damit das Funktionieren eines solchen Binnenmarktes zu gewährleisten. Sie sollten nicht durch Beschränkungen, Benachteiligungen oder Verfälschungen, insbesondere aufgrund von steuerlichen Vorschriften der Mitgliedstaaten, behindert werden. Demzufolge müssen wettbewerbsneutrale steuerliche Regelungen für diese Zusammenschlüsse geschaffen werden, um die Anpassung von Unternehmen an die Erfordernisse des Binnenmarktes, eine Erhöhung ihrer Produktivität und eine Stärkung ihrer Wettbewerbsfähigkeit auf internationaler Ebene zu ermöglichen.

(5) Derartige Zusammenschlüsse können zur Schaffung von aus Mutter- und Tochtergesellschaften bestehenden Unternehmensgruppen führen.

(6) Die die Beziehungen zwischen Mutter- und Tochtergesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten regelnden Steuerbestimmungen wiesen vor dem Inkrafttreten der [Richtlinie 90/435] erhebliche Unterschiede von einem Staat zum anderen auf und waren im Allgemeinen weniger günstig als die auf die Beziehung zwischen Mutter- und Tochtergesellschaften desselben Mitgliedstaats anwendbaren Bestimmungen. Die Zusammenarbeit von Gesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten wurde auf diese Weise gegenüber der Zusammenarbeit zwischen Gesellschaften desselben Mitgliedstaats benachteiligt. Diese Benachteiligung war durch Schaffung eines gemeinsamen Steuersystems zu beseitigen, um Zusammenschlüsse von Gesellschaften auf Unionsebene zu erleichtern.

(8) Im Übrigen sollten zur Sicherung der steuerlichen Neutralität von der Tochtergesellschaft an die Muttergesellschaft ausgeschüttete Gewinne vom Steuerabzug an der Quelle befreit werden.“

[4]  Art. 1 dieser Richtlinie sieht vor:

„(1) Jeder Mitgliedstaat wendet diese Richtlinie an

  1. a) auf Gewinnausschüttungen, die Gesellschaften dieses Mitgliedstaats von Tochtergesellschaften eines anderen Mitgliedstaats zufließen;
  2. b) auf Gewinnausschüttungen von Tochtergesellschaften dieses Mitgliedstaats an Gesellschaften anderer Mitgliedstaaten;

(2) Die vorliegende Richtlinie steht der Anwendung einzelstaatlicher oder vertraglicher Bestimmungen zur Verhinderung von Steuerhinterziehungen und Missbräuchen nicht entgegen.“

[5]  Art. 2 Buchst. a der Richtlinie bestimmt:

„Für die Zwecke dieser Richtlinie gelten folgende Begriffsbestimmungen:

  1. a) ‚Gesellschaft eines Mitgliedstaats‘ ist jede Gesellschaft,
  2. i) die eine der in Anhang I Teil A aufgeführten Formen aufweist;
  3. ii) die nach dem Steuerrecht eines Mitgliedstaats in Bezug auf den steuerlichen Wohnsitz als in diesem Mitgliedstaat ansässig und aufgrund eines mit einem dritten Staat geschlossenen Doppelbesteuerungsabkommens in Bezug auf den steuerlichen Wohnsitz nicht als außerhalb der Union ansässig betrachtet wird;

iii) die ferner ohne Wahlmöglichkeit einer der in Anhang I Teil B aufgeführten Steuern oder irgendeiner Steuer, die eine dieser Steuern ersetzt, unterliegt, ohne davon befreit zu sein.“

[6]  Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2011/96 lautet:

„Im Sinne dieser Richtlinie

  1. a) gilt als ‚Muttergesellschaft‘
  2. i) wenigstens eine Gesellschaft eines Mitgliedstaats, die die Bedingungen des Artikels 2 erfüllt und die einen Anteil von wenigstens 10 % am Kapital einer Gesellschaft eines anderen Mitgliedstaats hält, die die gleichen Bedingungen erfüllt;
  3. ii) unter denselben Bedingungen eine Gesellschaft eines Mitgliedstaats, die einen Anteil von wenigstens 10 % am Kapital einer Gesellschaft desselben Mitgliedstaats hält, der ganz oder teilweise von einer in einem anderen Mitgliedstaat gelegenen Betriebstätte der erstgenannten Gesellschaft gehalten wird; []
  4. b) ist ‚Tochtergesellschaft‘ die Gesellschaft, an deren Kapital eine andere Gesellschaft den in Buchstabe a genannten Anteil hält.“

[7]  Art. 5 der Richtlinie 2011/96 bestimmt:

„Die von einer Tochtergesellschaft an ihre Muttergesellschaft ausgeschütteten Gewinne sind vom Steuerabzug an der Quelle befreit.“

[8]  In Teil A („Liste der unter Artikel 2 Buchstabe a Ziffer i fallenden Gesellschaften“) des Anhangs I der Richtlinie werden aufgeführt:

„…

  1. f) Gesellschaften deutschen Rechts mit der Bezeichnung ‚Aktiengesellschaft‘, ‚Kommanditgesellschaft auf Aktien‘, ‚Gesellschaft mit beschränkter Haftung‘, ‚Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit‘, ‚Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaft‘ oder ‚Betrieb gewerblicher Art von juristischen Personen des öffentlichen Rechts‘ und andere nach deutschem Recht gegründete Gesellschaften, die der deutschen Körperschaftsteuer unterliegen,

  1. s) Gesellschaften niederländischen Rechts mit der Bezeichnung ‚naamloze vennootschap‘, ‚besloten vennootschap met beperkte aansprakelijkheid‘, ‚open commanditaire vennootschap‘, ‚coöperatie‘, ‚onderlinge waarborgmaatschappij‘, ‚fonds voor gemene rekening‘, ‚vereniging op coöperatieve grondslag‘, ‚vereniging welke op onderlinge grondslag als verzekeraar of keredietinstelling optreedt‘ und andere nach niederländischem Recht gegründete Gesellschaften, die der niederländischen Körperschaftsteuer unterliegen,

…“

[9]  In Teil B („Liste der unter Artikel 2 Buchstabe a Ziffer iii fallenden Steuern“) des Anhangs I der Richtlinie werden aufgeführt:

„…

– Körperschaftsteuer in Deutschland,

– vennootschapsbelasting in den Niederlanden,

…“

 Deutsches Recht  

[10]  Das Einkommensteuergesetz (EStG ) in der ab dem 1. Januar 2012 geltenden Fassung des Gesetzes zur Umsetzung der Beitreibungsrichtlinie sowie zur Änderung steuerlicher Vorschriften vom 7. Dezember 2011 (BGBl. 2011 I S. 2592) (im Folgenden: EStG 2012 ) sieht in seinem § 43b Abs. 1 vor, dass auf Antrag des Steuerpflichtigen die Kapitalertragsteuer für Kapitalerträge im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG 2012 , die einer Muttergesellschaft, die weder ihren Sitz noch ihre Geschäftsleitung im Inland hat, aus Ausschüttungen einer Tochtergesellschaft zufließen, nicht erhoben wird.

[11]  Nach § 43b Abs. 2 Satz 1 EStG 2012 ist „Muttergesellschaft“ im Sinne des Abs. 1 dieser Vorschrift eine Gesellschaft, die die in der Anlage 2 zum EStG 2012 bezeichneten Voraussetzungen erfüllt und nach Art. 3 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2011/96 zum Zeitpunkt der Entstehung der Kapitalertragsteuer gemäß § 44 Abs. 1 Satz 2 EStG 2012 nachweislich mindestens zu 10 % unmittelbar am Kapital der Tochtergesellschaft beteiligt ist.

[12] § 43b Abs. 2 Satz 4 EStG 2012 bestimmt, dass außerdem die Beteiligung nachweislich ununterbrochen zwölf Monate bestehen muss.

[13]  Gemäß § 50d Abs. 1 Satz 2 EStG 2012 kann der Steuerpflichtige, wenn Einkünfte, die dem Steuerabzug vom Kapitalertrag unterliegen, nach § 43b EStG 2012 nicht besteuert werden können, die Erstattung der einbehaltenen und abgeführten Steuer beanspruchen.

[14]  In § 50d Abs. 3 EStG 2012 heißt es:

„Eine ausländische Gesellschaft hat keinen Anspruch auf völlige oder teilweise Entlastung nach Absatz 1 oder Absatz 2, soweit Personen an ihr beteiligt sind, denen die Erstattung oder Freistellung nicht zustände, wenn sie die Einkünfte unmittelbar erzielten, und die von der ausländischen Gesellschaft im betreffenden Wirtschaftsjahr erzielten Bruttoerträge nicht aus eigener Wirtschaftstätigkeit stammen, sowie

  1. in Bezug auf diese Erträge für die Einschaltung der ausländischen Gesellschaft wirtschaftliche oder sonst beachtliche Gründe fehlen oder
  2. die ausländische Gesellschaft nicht mit einem für ihren Geschäftszweck angemessen eingerichteten Geschäftsbetrieb am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr teilnimmt.

Maßgebend sind ausschließlich die Verhältnisse der ausländischen Gesellschaft; organisatorische, wirtschaftliche oder sonst beachtliche Merkmale der Unternehmen, die der ausländischen Gesellschaft nahe stehen (§ 1 Absatz 2 des Außensteuergesetzes ), bleiben außer Betracht. An einer eigenen Wirtschaftstätigkeit fehlt es, soweit die ausländische Gesellschaft ihre Bruttoerträge aus der Verwaltung von Wirtschaftsgütern erzielt oder ihre wesentlichen Geschäftstätigkeiten auf Dritte überträgt. Die Feststellungslast für das Vorliegen wirtschaftlicher oder sonst beachtlicher Gründe im Sinne von Satz 1 Nummer 1 sowie des Geschäftsbetriebs im Sinne von Satz 1 Nummer 2 obliegt der ausländischen Gesellschaft. …“

Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefragen

[15]  GS ist eine in den Niederlanden ansässige Kapitalgesellschaft. Ihre Anteile werden von einer Gesellschaft deutschen Rechts gehalten.

[16]  Von 2006 bis zum 7. November 2013 war GS am Kapital einer Gesellschaft deutschen Rechts beteiligt, zuletzt zu über 90 %. Neben ihrer Beteiligung an ihrer deutschen Tochtergesellschaft hielt sie ferner Anteile an mehreren in verschiedenen Staaten ansässigen Gesellschaften.

[17]  Im Jahr 2013 übte GS drei Geschäftstätigkeiten aus, nämlich eine Finanz- und Verwaltungsholdingtätigkeit, eine Finanzierungstätigkeit zugunsten der nicht in Deutschland ansässigen Gesellschaften der Gruppe, die darin bestand, diesen Darlehen zu fremdüblichen Konditionen zu gewähren und die überschüssige Liquidität der Gruppe auf dem Kapitalmarkt zu investieren, und eine Handelstätigkeit im eigenen Namen und auf eigene Rechnung, in deren Rahmen sie Rohstoffe bei Dritten außerhalb der Europäischen Union kaufte, um sie danach mit Gewinn an die Gesellschaften der Gruppe weiterzuverkaufen. Für die Ausübung ihrer Tätigkeiten hatte GS zwei Büroräume mit technischer Ausrüstung angemietet und drei Personen angestellt.

[18]  Im selben Jahr bezog GS Dividenden von ihrer deutschen Tochtergesellschaft. Da auf diese Dividenden die Kapitalertragsteuer und der Solidaritätszuschlag gemäß dem deutschen Steuerrecht einbehalten wurden, stellte sie einen entsprechenden Erstattungsantrag auf der Grundlage des § 43b EStG 2012 . Dieser Antrag wurde von den Finanzbehörden zurückgewiesen. Gleiches geschah mit ihrem Einspruch gegen den betreffenden Bescheid. Daraufhin erhob sie vor dem vorlegenden Gericht, dem Finanzgericht Köln (Deutschland), Klage, die sie mit der Unvereinbarkeit von § 50d Abs. 3 EStG 2012 mit der Niederlassungsfreiheit und der Richtlinie 2011/96 begründete.

[19]  Das vorlegende Gericht stellt fest, dass auf die bei ihm anhängige Rechtssache § 50d Abs. 3 EStG 2012 zeitlich anwendbar sei. Es führt aus, dass mit dieser Bestimmung der Missbrauchsvorwurf gegenüber der gebietsfremden Muttergesellschaft, die die Erstattung der in Deutschland einbehaltenen Steuer beantrage, gemildert werden solle, der aus der Vorgängerfassung dieser Bestimmung, wie sie sich aus dem Jahressteuergesetz 2007 vom 13. Dezember 2006 (BGBI. 2006 I S. 2878) ergeben habe (im Folgenden: § 50d Abs. 3 EStG a.F.), geflossen sei.

[20]  Nach § 50d Abs. 3 EStG a.F. sei der Anspruch auf Freistellung oder Erstattung ausgeschlossen gewesen, soweit zum einen den Anteilseignern der gebietsfremden Muttergesellschaft die Freistellung oder Erstattung selbst nicht zugestanden hätte, wenn sie die betreffenden Dividenden unmittelbar erzielt hätten, und zum anderen eine der drei in jener Bestimmung vorausgesehenen Voraussetzungen erfüllt gewesen sei, nämlich das Fehlen wirtschaftlicher oder sonst beachtlicher Gründe für die Einschaltung der Muttergesellschaft oder der Umstand, dass die Muttergesellschaft nicht mehr als 10 % ihrer Bruttoerträge aus eigener Wirtschaftstätigkeit erzielt habe, oder die mangelnde Teilnahme der Muttergesellschaft am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr mit einem für ihren Geschäftszweck angemessen eingerichteten Geschäftsbetrieb.

[21]  Nach dem Wortlaut von § 50d Abs. 3 EStG 2012 könnten dagegen die Finanzbehörden einer gebietsfremden Muttergesellschaft die Erstattung der Steuer oder die Freistellung davon nicht bereits dann verweigern, wenn eine der drei in der vorstehenden Randnummer genannten Voraussetzungen erfüllt sei. Der Freistellungs- oder Erstattungsanspruch sei nur noch dann ausgeschlossen, wenn zum einen an der gebietsfremden Muttergesellschaft Personen beteiligt seien, die die Freistellung oder Erstattung selbst nicht beanspruchen könnten, und die von der Muttergesellschaft im betreffenden Wirtschaftsjahr erzielten Bruttoerträge nicht aus eigener Wirtschaftstätigkeit stammten, und zum anderen entweder wirtschaftliche oder sonst beachtliche Gründe für die Einschaltung der gebietsfremden Muttergesellschaft fehlten oder diese nicht mit einem für ihren Geschäftszweck angemessen eingerichteten Geschäftsbetrieb am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr teilnehme.

[22]  Bei der Beurteilung, ob die gebietsfremde Muttergesellschaft eine eigene Wirtschaftstätigkeit ausübe, würden nur die Verhältnisse dieser Gesellschaft berücksichtigt. Die organisatorischen, wirtschaftlichen oder sonst beachtlichen Merkmale der ihr nahestehenden Unternehmen blieben somit außer Betracht. Eine eigene Wirtschaftstätigkeit einer solchen Muttergesellschaft werde nicht angenommen, wenn sie ihre Bruttoerträge aus der Verwaltung von Wirtschaftsgütern erziele oder ihre wesentlichen Geschäftstätigkeiten auf Dritte übertrage. Die Feststellungslast für das Vorliegen wirtschaftlicher oder sonst beachtlicher Gründe für die Einschaltung der gebietsfremden Muttergesellschaft in die Gruppenstruktur obliege dieser selbst.

[23]  Demgegenüber würden im Fall einer gebietsansässigen Holding-Muttergesellschaft rechtsmissbräuchliche Konstellationen über § 42 der Abgabenordnung erfasst. Nach dieser Vorschrift genüge bei einer solchen Gesellschaft eine auf Dauer angelegte Zwischenschaltung, damit ihr die Anrechnung oder Vergütung der Steuer gewährt werde.

[24]  Diese unterschiedliche steuerliche Behandlung könne eine gebietsfremde Muttergesellschaft, indem sie für diese eine höhere steuerliche Belastung bewirke, davon abhalten, in Deutschland eine Tochtergesellschaft zu gründen, zu erwerben oder zu behalten, und beschränke damit die Niederlassungsfreiheit im Sinne des Art. 49 AEUV . Ob eine solche Beschränkung durch den im Allgemeininteresse liegenden Grund der Bekämpfung des Missbrauchs und der Steuerumgehung gerechtfertigt sein könne, erscheine zweifelhaft, da § 50d Abs. 3 EStG 2012 zum einen gebietsfremde Muttergesellschaften erfasse, die keine rein künstlichen Gestaltungen ohne jegliche wirtschaftliche Realität darstellten, und zum anderen eine unwiderlegbare Missbrauchsvermutung aufstelle.

[25]  Darüber hinaus bestünden Zweifel an der Vereinbarkeit von § 50d Abs. 3 EStG 2012 mit Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 2011/96. Was die letztgenannte Bestimmung betreffe, so wichen ihre verschiedenen Sprachfassungen insoweit voneinander ab, als die deutsche Fassung ihrem Wortlaut nach im Gegensatz zu anderen Sprachfassungen wie der englischen, der französischen, der italienischen oder der spanischen nicht das Wort „erforderlich“ enthalte. Ungeachtet dessen sei der Missbrauchsbegriff des Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 2011/96 jedenfalls im Hinblick auf das Primärrecht der Union auszulegen.

[26]  Unter diesen Umständen hat das Finanzgericht Köln beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

  1. Steht Art. 49 AEUV in Verbindung mit Art. 54 AEUV einer nationalen Steuervorschrift wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden entgegen, die einer gebietsfremden Muttergesellschaft, deren alleiniger Anteilseigner eine Kapitalgesellschaft mit Sitz im Inland ist, die Entlastung von Kapitalertragsteuer auf Gewinnausschüttungen verweigert, soweit Personen an ihr beteiligt sind, denen die Erstattung oder Freistellung nicht zustände, wenn sie die Einkünfte unmittelbar erzielten, und die von der ausländischen Gesellschaft im betreffenden Wirtschaftsjahr erzielten Bruttoerträge nicht aus eigener Wirtschaftstätigkeit stammen, sowie

– in Bezug auf diese Erträge für die Einschaltung der ausländischen Gesellschaft wirtschaftliche oder sonst beachtliche Gründe fehlen oder

– die ausländische Gesellschaft nicht mit einem für ihren Geschäftszweck angemessen eingerichteten Geschäftsbetrieb am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr teilnimmt,

während gebietsansässigen Muttergesellschaften die Entlastung von der Kapitalertragsteuer gewährt wird, ohne dass es auf die vorgenannten Voraussetzungen ankommt?

  1. Ist Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 2011/96 dahin auszulegen, dass er dem entgegensteht, dass ein Mitgliedstaat eine Regelung erlässt, die einer gebietsfremden Muttergesellschaft, deren alleiniger Anteilseigner eine Kapitalgesellschaft mit Sitz im Inland ist, die Entlastung von Kapitalertragsteuer auf Gewinnausschüttungen verweigert, soweit Personen an ihr beteiligt sind, denen die Erstattung oder Freistellung nicht zustände, wenn sie die Einkünfte unmittelbar erzielten, und die von der ausländischen Gesellschaft im betreffenden Wirtschaftsjahr erzielten Bruttoerträge nicht aus eigener Wirtschaftstätigkeit stammen, sowie

– in Bezug auf diese Erträge für die Einschaltung der ausländischen Gesellschaft wirtschaftliche oder sonst beachtliche Gründe fehlen oder

– die ausländische Gesellschaft nicht mit einem für ihren Geschäftszweck angemessen eingerichteten Geschäftsbetrieb am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr teilnimmt?

Zu den Vorlagefragen

[27]  Nach Art. 99 seiner Verfahrensordnung kann der Gerichtshof, wenn die Antwort auf eine zur Vorabentscheidung vorgelegte Frage klar aus der Rechtsprechung abgeleitet werden kann oder wenn die Beantwortung der vorgelegten Frage keinen Raum für vernünftige Zweifel lässt, auf Vorschlag des Berichterstatters und nach Anhörung des Generalanwalts jederzeit die Entscheidung treffen, durch mit Gründen versehenen Beschluss zu entscheiden.

[28]  Diese Bestimmung ist in der vorliegenden Rechtssache anzuwenden.

[29]  Mit seinen zusammen zu prüfenden Fragen möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 2011/96 und Art. 49 AEUV dahin auszulegen sind, dass sie einer steuerrechtlichen Regelung eines Mitgliedstaats wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden entgegenstehen, nach der auf Dividenden, die eine gebietsansässige Tochtergesellschaft an ihre gebietsfremde Muttergesellschaft ausschüttet, Quellensteuer anfällt, die Muttergesellschaft aber keinen Anspruch auf Erstattung der Quellensteuer oder Freistellung davon hat, wenn zum einen Personen an ihr beteiligt sind, denen die Erstattung oder Freistellung nicht zustände, wenn sie Dividenden einer solchen Tochtergesellschaft unmittelbar bezogen hätten, und die von der Muttergesellschaft im betreffenden Wirtschaftsjahr erzielten Bruttoerträge nicht aus eigener Wirtschaftstätigkeit stammen und wenn zum anderen eine der beiden in der betreffenden Steuervorschrift aufgestellten Voraussetzungen erfüllt ist, d. h. entweder wirtschaftliche oder sonst beachtliche Gründe für die Einschaltung der besagten Muttergesellschaft fehlen oder diese nicht mit einem für ihren Geschäftszweck angemessen eingerichteten Geschäftsbetrieb am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr teilnimmt, wobei organisatorische, wirtschaftliche oder sonst beachtliche Merkmale der Unternehmen, die der Muttergesellschaft nahestehen, außer Betracht bleiben.

[30]  Eingangs ist darauf hinzuweisen, dass die Richtlinie 2011/96, wie aus ihrem ersten Erwägungsgrund hervorgeht, eine Neufassung der Richtlinie 90/435 darstellt, die sie aufgehoben und ersetzt hat. Da die im Ausgangsverfahren relevanten Bestimmungen der Richtlinie 2011/96 im Wesentlichen den gleichen Regelungsgehalt haben wie die entsprechenden Bestimmungen der Richtlinie 90/435, findet die Rechtsprechung des Gerichtshofs zu dieser Richtlinie auch auf die Richtlinie 2011/96 Anwendung.

[31]  Was die Vorlagefragen betrifft, so stellen sie sowohl auf Bestimmungen der Richtlinie 2011/96 als auch auf Bestimmungen des AEU-Vertrags ab. Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs ist jede nationale Regelung in einem Bereich, der auf der Ebene der Europäischen Union abschließend harmonisiert wurde, anhand der fraglichen Harmonisierungsmaßnahme und nicht des Primärrechts zu beurteilen. Aus Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 2011/96 ergibt sich aber, dass durch diese keine solche Harmonisierung erfolgt ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 20. Dezember 2017, Deister Holding und Juhler Holding, C-504/16 und C-613/16, EU:C:2017:1009, Rn. 45).

[32]  Eine Regelung wie die im Ausgangsverfahren streitige kann daher nicht nur im Hinblick auf die Bestimmungen dieser Richtlinie, sondern auch im Hinblick auf die einschlägigen Bestimmungen des Primärrechts beurteilt werden.

 Zur Vereinbarkeit einer Regelung wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden mit Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 2011/96  

[33]  Vorab ist festzustellen, dass sich im vorliegenden Fall aus der dem Gerichtshof vorliegenden Akte ergibt, dass zum einen die Gesellschaften, um die es im Ausgangsverfahren geht, unter Art. 2 Buchst. a der Richtlinie 2011/96 fallen und dass zum anderen die in Art. 3 Abs. 1 dieser Richtlinie aufgestellte Voraussetzung einer Mindestbeteiligung der Muttergesellschaft von 10 % am Kapital ihrer Tochtergesellschaft ebenfalls erfüllt ist.

[34]  Die Richtlinie 2011/96 soll, wie sich aus ihren Erwägungsgründen 3 bis 6 ergibt, durch die Schaffung neutraler steuerlicher Regelungen den Zusammenschluss von Gesellschaften auf Unionsebene erleichtern. So soll sie sicherstellen, dass Dividendenzahlungen oder sonstige Gewinnausschüttungen einer in einem Mitgliedstaat ansässigen Tochtergesellschaft an ihre in einem anderen Mitgliedstaat ansässige Muttergesellschaft steuerlich neutral sind, und damit die Doppelbesteuerung der von Tochtergesellschaften an ihre Muttergesellschaft ausgeschütteten Einkünfte auf Ebene der Muttergesellschaft beseitigen.

[35]  Im achten Erwägungsgrund der Richtlinie heißt es zu diesem Zweck, dass zur Sicherung der steuerlichen Neutralität von der Tochtergesellschaft an die Muttergesellschaft ausgeschüttete Gewinne vom Steuerabzug an der Quelle befreit werden sollten.

[36]  So stellt Art. 5 der Richtlinie 2011/96 zur Vermeidung der Doppelbesteuerung das grundsätzliche Verbot auf, Gewinne, die von einer in einem Mitgliedstaat niedergelassenen Tochtergesellschaft an ihre in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassene Muttergesellschaft ausgeschüttet werden, einem Steuerabzug an der Quelle zu unterwerfen.

[37]  Demzufolge können die Mitgliedstaaten nicht einseitig restriktive Maßnahmen einführen und den in Art. 5 der Richtlinie 2011/96 vorgesehenen Anspruch auf Quellensteuerbefreiung von diversen Bedingungen abhängig machen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 20. Dezember 2017, Deister Holding und Juhler Holding, C-504/16 und C-613/16, EU:C:2017:1009, Rn. 52 und die dort angeführte Rechtsprechung).

[38]  Allerdings sieht Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 2011/96 eine Ausnahme von den Steuerregeln dieser Richtlinie vor, indem er den Mitgliedstaaten die Möglichkeit einräumt, einzelstaatliche oder vertragliche Bestimmungen zur Verhinderung von Steuerhinterziehungen und Missbräuchen anzuwenden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 20. Dezember 2017, Deister Holding und Juhler Holding, C-504/16 und C-613/16, EU:C:2017:1009, Rn. 55 und die dort angeführte Rechtsprechung).

[39]  Hinsichtlich Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 2011/96 hat das vorlegende Gericht jedoch auf eine Abweichung zwischen deren verschiedenen Sprachfassungen hingewiesen: In der deutschen Fassung werde – anders als u. a. in der englischen, der französischen, der italienischen oder der spanischen Fassung – nicht das Wort „erforderlich“ verwendet.

[40]  Hierzu ergibt sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs, dass die Mitgliedstaaten ungeachtet der angesprochenen sprachlichen Divergenz, wenn sie die ihnen in dieser Bestimmung eingeräumte Möglichkeit wahrnehmen, die allgemeinen Grundsätze des Unionsrechts und insbesondere den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachten müssen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 20. Dezember 2017, Deister Holding und Juhler Holding, C-504/16 und C-613/16, EU:C:2017:1009, Rn. 55 und die dort angeführte Rechtsprechung).

[41]  Zur Wahrung dieses Grundsatzes müssen die von den Mitgliedstaaten zur Verhinderung von Steuerhinterziehungen und Missbräuchen vorgesehenen Maßnahmen geeignet sein, dieses Ziel zu erreichen, und dürfen nicht über das dazu Erforderliche hinausgehen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 20. Dezember 2017, Deister Holding und Juhler Holding, C-504/16 und C-613/16, EU:C:2017:1009, Rn. 56 und die dort angeführte Rechtsprechung).

[42]  Aus der besagten Rechtsprechung ergibt sich auch, dass Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 2011/96 eng auszulegen ist, da er eine Ausnahme von der allgemeinen Regel dieser Richtlinie vorsieht, nämlich die Inanspruchnahme der gemeinsamen Steuerregelung für Mutter- und Tochtergesellschaften im Anwendungsbereich der Richtlinie (Urteil vom 20. Dezember 2017, Deister Holding und Juhler Holding, C-504/16 und C-613/16, EU:C:2017:1009, Rn. 59 und die dort angeführte Rechtsprechung).

[43]  Der Gerichtshof hat insoweit entschieden, dass eine nationale Regelung nur dann die Verhinderung von Steuerhinterziehungen und Missbräuchen bezweckt, wenn ihr spezifisches Ziel in der Verhinderung von Verhaltensweisen liegt, die darin bestehen, rein künstliche, jeder wirtschaftlichen Realität bare Konstruktionen zu dem Zweck zu errichten, ungerechtfertigt einen Steuervorteil zu nutzen (Urteil vom 20. Dezember 2017, Deister Holding und Juhler Holding, C-504/16 und C-613/16, EU:C:2017:1009, Rn. 60 und die dort angeführte Rechtsprechung).

[44]  Mithin kann eine allgemeine Vermutung für das Vorliegen von Steuerhinterziehung und Missbrauch keine Steuermaßnahme rechtfertigen, die die Ziele einer Richtlinie oder die Ausübung einer vom Vertrag verbürgten Grundfreiheit beeinträchtigt (Urteil vom 20. Dezember 2017, Deister Holding und Juhler Holding, C-504/16 und C-613/16, EU:C:2017:1009, Rn. 61 und die dort angeführte Rechtsprechung).

[45]  Bei der Prüfung, ob ein Vorgang Steuerhinterziehung und Missbrauch als Beweggrund hat, können sich die zuständigen nationalen Behörden nicht darauf beschränken, vorgegebene allgemeine Kriterien anzuwenden, sondern sie müssen den Vorgang als Ganzes individuell prüfen. Eine generelle Steuervorschrift, mit der bestimmte Gruppen von Steuerpflichtigen automatisch von dem Steuervorteil ausgenommen werden, ohne dass die Steuerbehörde auch nur einen Anfangsbeweis oder ein Indiz für die Steuerhinterziehung oder den Missbrauch beizubringen hätte, ginge über das zur Verhinderung von Steuerhinterziehungen und Missbräuchen Erforderliche hinaus (Urteil vom 20. Dezember 2017, Deister Holding und Juhler Holding, C-504/16 und C-613/16, EU:C:2017:1009, Rn. 62 und die dort angeführte Rechtsprechung).

[46]  Zu § 50d Abs. 3 EStG 2012 ist der dem Gerichtshof vorliegenden Akte zu entnehmen, dass die Gewährung des Steuervorteils in Form der Befreiung vom Quellensteuerabzug nach Art. 5 der Richtlinie 2011/96 dann, wenn Personen an einer gebietsfremden Muttergesellschaft beteiligt sind, denen die Befreiung vom Quellensteuerabzug oder die Erstattung der abgezogenen Steuer nicht zustände, wenn sie die Dividenden einer in Deutschland ansässigen Tochtergesellschaft unmittelbar bezogen hätten, und die von der Muttergesellschaft im betreffenden Wirtschaftsjahr erzielten Bruttoerträge nicht aus eigener Wirtschaftstätigkeit stammen, davon abhängig gemacht wird, dass keine der beiden in § 50d Abs. 3 EStG 2012 vorgesehenen Voraussetzungen erfüllt sein darf, nämlich dass wirtschaftliche oder sonst beachtliche Gründe für die Einschaltung der gebietsfremden Muttergesellschaft fehlen oder diese nicht mit einem für ihren Geschäftszweck angemessen eingerichteten Geschäftsbetrieb am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr teilnimmt, wobei organisatorische, wirtschaftliche oder sonst beachtliche Merkmale der Unternehmen, die der gebietsfremden Muttergesellschaft nahestehen, außer Betracht bleiben. Eine eigene Wirtschaftstätigkeit einer gebietsfremden Muttergesellschaft wird nicht angenommen, wenn sie ihre Bruttoerträge aus der Verwaltung von Wirtschaftsgütern erzielt oder ihre wesentlichen Geschäftstätigkeiten auf Dritte überträgt.

[47]  Hierzu ist erstens festzustellen, dass § 50d Abs. 3 EStG 2012 nicht speziell bezweckt, von der Inanspruchnahme eines Steuervorteils rein künstliche Konstruktionen auszuschließen, die auf die ungerechtfertigte Nutzung dieses Vorteils ausgerichtet wären. Vielmehr erfasst er generell Situationen, in denen zum einen Personen an einer gebietsfremden Muttergesellschaft beteiligt sind, denen die betreffende Befreiung nicht zustände, wenn sie die Dividenden unmittelbar bezogen hätten, und in denen zum anderen die von dieser Muttergesellschaft im betreffenden Wirtschaftsjahr erzielten Bruttoerträge nicht aus eigener Wirtschaftstätigkeit stammen.

[48]  Zuerst bedeutet aber der Umstand, dass solche Personen an einer gebietsfremden Muttergesellschaft beteiligt sind, für sich allein nicht, dass eine rein künstliche, jeder wirtschaftlichen Realität bare Konstruktion vorliegt, die einzig und allein zur ungerechtfertigten Nutzung eines Steuervorteils geschaffen wurde (Urteil vom 20. Dezember 2017, Deister Holding und Juhler Holding, C-504/16 und C-613/16, EU:C:2017:1009, Rn. 65).

[49]  In diesem Zusammenhang ist festzustellen, dass aus keiner Bestimmung der Richtlinie 2011/96 hervorgeht, dass die steuerliche Behandlung oder die Herkunft von Personen, die an in der Union ansässigen Muttergesellschaften beteiligt sind, für das Recht dieser Gesellschaften, sich auf die in der Richtlinie vorgesehenen Vorteile zu berufen, irgendeine Rolle spielt.

[50]  Außerdem unterliegt die gebietsfremde Muttergesellschaft auf jeden Fall dem Steuerrecht des Mitgliedstaats, in dem sie niedergelassen ist (Urteil vom 20. Dezember 2017, Deister Holding und Juhler Holding, C-504/16 und C-613/16, EU:C:2017:1009, Rn. 67 und die dort angeführte Rechtsprechung).

[51]  Sodann begründet auch der Umstand, dass eine Gesellschaft in einem Mitgliedstaat nur im Hinblick darauf gegründet worden sein mag, sich in einem zweiten Mitgliedstaat niederzulassen, um ihre Geschäftstätigkeit im Wesentlichen oder gar zur Gänze über eine Tochtergesellschaft auszuüben, für sich genommen keinen Missbrauch (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 30. September 2003, Inspire Art, C-167/01, EU:C:2003:512, Rn. 95 und 96).

[52]  So belegt der Umstand, dass eine in einem Mitgliedstaat niedergelassene Gesellschaft in ihrem Gründungsmitgliedstaat keine Tätigkeit entfaltet und ihre Tätigkeiten ausschließlich oder hauptsächlich in einem anderen Mitgliedstaat über eine Tochtergesellschaft ausübt, noch kein missbräuchliches und betrügerisches Verhalten, das es dem letztgenannten Staat erlauben würde, der gebietsfremden Gesellschaft die Inanspruchnahme der in der Richtlinie 2011/96 vorgesehenen Steuervorteile zu verwehren.

[53]  Im Übrigen schreibt diese Richtlinie nicht vor, welche Wirtschaftstätigkeit die von ihr erfassten Gesellschaften ausüben müssen oder wie hoch die Einkünfte aus ihrer eigenen Wirtschaftstätigkeit zu sein haben (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 20. Dezember 2017, Deister Holding und Juhler Holding, C-504/16 und C-613/16, EU:C:2017:1009, Rn. 72).

[54]  Demzufolge kann der Umstand, dass die Wirtschaftstätigkeit der gebietsfremden Muttergesellschaft in der Verwaltung von Wirtschaftsgütern ihrer Tochtergesellschaften besteht oder dass ihre Einkünfte nur aus dieser Verwaltung stammen, für sich allein nicht bedeuten, dass eine rein künstliche, jeder wirtschaftlichen Realität bare Konstruktion vorliegt. Hierbei ist es entgegen dem Vorbringen der deutschen Regierung ohne Belang, dass im Rahmen der Mehrwertsteuer die Verwaltung von Wirtschaftsgütern nicht als Wirtschaftstätigkeit angesehen wird, da für die im Ausgangsverfahren streitige Steuer und die Mehrwertsteuer unterschiedliche Rechtsrahmen gelten, mit denen jeweils unterschiedliche Ziele verfolgt werden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 20. Dezember 2017, Deister Holding und Juhler Holding, C-504/16 und C-613/16, EU:C:2017:1009, Rn. 73).

[55]  Zweitens stellt, wie sich aus Rn. 45 des vorliegenden Beschlusses ergibt, § 50d Abs. 3 EStG 2012 , indem er die Gewährung der in Art. 5 der Richtlinie 2011/96 vorgesehenen Befreiung vom Quellensteuerabzug daran knüpft, dass keine der beiden von ihm vorgesehenen und in Rn. 46 des vorliegenden Beschlusses genannten Voraussetzungen erfüllt sein darf, ohne dass die Steuerbehörde einen Anfangsbeweis für das Fehlen wirtschaftlicher Gründe oder ein Indiz für die Steuerhinterziehung oder den Missbrauch beizubringen hätte, eine allgemeine Hinterziehungs- oder Missbrauchsvermutung auf und beeinträchtigt damit das mit dieser Richtlinie und insbesondere ihrem Art. 5 verfolgte Ziel, das, wie oben in den Rn. 34 bis 36 ausgeführt, darin besteht, die Doppelbesteuerung der von einer Tochtergesellschaft an ihre Muttergesellschaft ausgeschütteten Gewinne auf Ebene der Muttergesellschaft zu beseitigen, um Zusammenschlüsse von Gesellschaften auf Unionsebene zu erleichtern (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 20. Dezember 2017, Deister Holding und Juhler Holding, C-504/16 und C-613/16, EU:C:2017:1009, Rn. 69).

[56]  Drittens begründet § 50d Abs. 3 EStG 2012 zudem eine unwiderlegbare Hinterziehungs- oder Missbrauchsvermutung, da er der gebietsfremden Muttergesellschaft keine Möglichkeit lässt, zu beweisen, dass keine rein künstliche, jeder wirtschaftlichen Realität bare Konstruktion gegeben ist, die einzig und allein zur ungerechtfertigten Nutzung eines Steuervorteils geschaffen wurde, wenn Personen an ihr beteiligt sind, denen die Befreiung vom Quellensteuerabzug oder die Erstattung der abgezogenen Steuer nicht zustände, wenn sie die Dividenden einer gebietsansässigen Tochtergesellschaft unmittelbar bezogen hätten, und die Einkünfte der Muttergesellschaft aus der Verwaltung von Wirtschaftsgütern stammen und darüber hinaus noch eine der beiden in dieser Bestimmung vorgesehenen Voraussetzungen erfüllt ist.

[57]  Viertens läuft die mit § 50d Abs. 3 EStG 2012 errichtete Regelung dem Grundsatz zuwider, dass die Feststellung einer rein künstlichen Konstruktion verlangt, dass in jedem Einzelfall eine umfassende Prüfung der betreffenden Situation vorgenommen wird. Anders als in dieser Bestimmung vorgesehen, müssen bei einer solchen Prüfung Gesichtspunkte wie die organisatorischen, wirtschaftlichen oder sonst beachtlichen Merkmale der Unternehmensgruppe, zu der die betreffende Muttergesellschaft gehört, sowie die Strukturen und Strategien dieser Gruppe berücksichtigt werden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 20. Dezember 2017, Deister Holding und Juhler Holding, C-504/16 und C-613/16, EU:C:2017:1009, Rn. 74).

[58]  Nach alledem ist festzustellen, dass Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 2011/96 dahin auszulegen ist, dass er einer Regelung wie der im Ausgangsverfahren streitigen entgegensteht.

 Zur einschlägigen Freiheit  

[59]  Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs kann die steuerliche Behandlung von Dividenden sowohl unter die Niederlassungsfreiheit als auch unter den freien Kapitalverkehr fallen (Urteil vom 20. Dezember 2017, Deister Holding und Juhler Holding, C-504/16 und C-613/16, EU:C:2017:1009, Rn. 76 und die dort angeführte Rechtsprechung).

[60]  Bei der Beantwortung der Frage, ob eine nationale Regelung in den Bereich der einen oder der anderen Verkehrsfreiheit fällt, ist auf den Gegenstand der betreffenden Regelung abzustellen (Urteil vom 20. Dezember 2017, Deister Holding und Juhler Holding, C-504/16 und C-613/16, EU:C:2017:1009, Rn. 77 und die dort angeführte Rechtsprechung).

[61]  Insoweit hat der Gerichtshof bereits entschieden, dass eine nationale Regelung, die nur auf Beteiligungen anwendbar ist, die es ermöglichen, einen sicheren Einfluss auf die Entscheidungen einer Gesellschaft auszuüben und deren Tätigkeiten zu bestimmen, von den Vertragsbestimmungen über die Niederlassungsfreiheit erfasst wird. Hingegen sind nationale Bestimmungen über Beteiligungen, die allein zur Geldanlage erfolgen, ohne dass auf die Verwaltung und Kontrolle des Unternehmens Einfluss genommen werden soll, ausschließlich im Hinblick auf den freien Kapitalverkehr zu prüfen (Urteil vom 20. Dezember 2017, Deister Holding und Juhler Holding, C-504/16 und C-613/16, EU:C:2017:1009, Rn. 78 und die dort angeführte Rechtsprechung).

[62]  Im vorliegenden Fall geht aus der Vorlageentscheidung hervor, dass die im Ausgangsverfahren streitige Steuerregelung auf Gesellschaften anwendbar war, die mit mindestens 10 % am Kapital ihrer Tochtergesellschaften beteiligt waren. Angaben, worum es bei dieser Regelung ging, enthält die Vorlageentscheidung dagegen nicht.

[63]  Eine Beteiligung in dieser Höhe bedeutet nicht zwangsläufig, dass die Gesellschaft, die sie hält, einen sicheren Einfluss auf die Entscheidungen der die Dividenden ausschüttenden Gesellschaft ausübt (vgl. entsprechend Urteil vom 20. Dezember 2017, Deister Holding und Juhler Holding, C-504/16 und C-613/16, EU:C:2017:1009, Rn. 80 und die dort angeführte Rechtsprechung).

[64]  Unter solchen Umständen sind die tatsächlichen Gegebenheiten des konkreten Falls zu berücksichtigen, um zu bestimmen, von welcher Verkehrsfreiheit die dem Ausgangsverfahren zugrunde liegende Situation erfasst wird (Urteil vom 20. Dezember 2017, Deister Holding und Juhler Holding, C-504/16 und C-613/16, EU:C:2017:1009, Rn. 81 und die dort angeführte Rechtsprechung).

[65]  Hier ergibt sich aus der dem Gerichtshof vorliegenden Akte, dass GS zu dem im Ausgangsverfahren maßgeblichen Zeitpunkt zu über 90 % an ihrer deutschen Tochtergesellschaft beteiligt war. Diese Beteiligung verlieh ihr einen sicheren Einfluss auf die Entscheidungen der Tochtergesellschaft, der es ihr ermöglichte, deren Tätigkeiten zu bestimmen. Daher ist die im Ausgangsverfahren streitige Regelung im Hinblick auf die Niederlassungsfreiheit zu prüfen.

[66]  In diesem Zusammenhang ist klarzustellen, dass die Herkunft der Anteilseigner von GS keinen Einfluss auf das Recht dieser Gesellschaft hat, sich auf die Niederlassungsfreiheit zu berufen, denn aus keiner Bestimmung des Unionsrechts geht hervor, dass die Herkunft der Anteilseigner – seien es natürliche oder juristische Personen – von in der Union ansässigen Gesellschaften für das Recht dieser Gesellschaften, sich auf die Niederlassungsfreiheit zu berufen, eine Rolle spielt (vgl. entsprechend Urteil vom 20. Dezember 2017, Deister Holding und Juhler Holding, C-504/16 und C-613/16, EU:C:2017:1009, Rn. 84 und die dort angeführte Rechtsprechung).

[67]  Da im Ausgangsverfahren unstreitig ist, dass GS eine in der Union niedergelassene Gesellschaft ist, kann sie sich auf die Niederlassungsfreiheit berufen.

 Zur Vereinbarkeit einer Regelung wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden mit der Niederlassungsfreiheit

[68]  Die Niederlassungsfreiheit, die Art. 49 AEUV den Unionsangehörigen zuerkennt, umfasst für sie die Aufnahme und Ausübung selbständiger Erwerbstätigkeiten sowie die Gründung und Leitung von Unternehmen unter den gleichen Bedingungen, wie sie im Recht des Niederlassungsmitgliedstaats für dessen eigene Angehörige festgelegt sind. Mit ihr ist nach Art. 54 AEUV für die nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats gegründeten Gesellschaften, die ihren satzungsmäßigen Sitz, ihre Hauptverwaltung oder ihre Hauptniederlassung innerhalb der Union haben, das Recht verbunden, ihre Tätigkeit in dem betreffenden Mitgliedstaat durch eine Tochtergesellschaft, Zweigniederlassung oder Agentur auszuüben (Urteil vom 20. Dezember 2017, Deister Holding und Juhler Holding, C-504/16 und C-613/16, EU:C:2017:1009, Rn. 86 und die dort angeführte Rechtsprechung).

[69]  Was die Behandlung im Aufnahmemitgliedstaat betrifft, ergibt sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs, dass, da Art. 49 Abs. 1 Satz 2 AEUV den Wirtschaftsteilnehmern ausdrücklich die Möglichkeit lässt, die geeignete Rechtsform für die Ausübung ihrer Tätigkeiten in einem anderen Mitgliedstaat frei zu wählen, diese freie Wahl nicht durch diskriminierende Steuerbestimmungen eingeschränkt werden darf (Urteil vom 20. Dezember 2017, Deister Holding und Juhler Holding, C-504/16 und C-613/16, EU:C:2017:1009, Rn. 87 und die dort angeführte Rechtsprechung).

[70]  Im Übrigen sind als Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit alle Maßnahmen anzusehen, die die Ausübung dieser Freiheit unterbinden, behindern oder weniger attraktiv machen (Urteil vom 20. Dezember 2017, Deister Holding und Juhler Holding, C-504/16 und C-613/16, EU:C:2017:1009, Rn. 88 und die dort angeführte Rechtsprechung).

[71]  Hier geht aus der dem Gerichtshof vorliegenden Akte hervor, dass für die Befreiung vom Steuerabzug an der Quelle die Vorgaben des § 50d Abs. 3 EStG 2012 nur dann gelten, wenn eine gebietsansässige Tochtergesellschaft Gewinne an eine gebietsfremde Muttergesellschaft ausschüttet.

[72]  Diese Ungleichbehandlung ist, wie das vorlegende Gericht ausgeführt hat, geeignet, eine gebietsfremde Muttergesellschaft davon abzuhalten, in Deutschland durch eine dort niedergelassene Tochtergesellschaft wirtschaftlich tätig zu werden, und beschränkt somit die Niederlassungsfreiheit.

[73]  Diese Beschränkung ist nur statthaft, wenn sie Situationen betrifft, die nicht objektiv miteinander vergleichbar sind, oder wenn sie durch einen unionsrechtlich anerkannten zwingenden Grund des Allgemeininteresses gerechtfertigt ist. In diesem letzten Fall muss die Beschränkung zudem geeignet sein, die Erreichung des mit ihr verfolgten Ziels zu gewährleisten, und darf nicht über das hinausgehen, was hierzu erforderlich ist (Urteil vom 20. Dezember 2017, Deister Holding und Juhler Holding, C-504/16 und C-613/16, EU:C:2017:1009, Rn. 91 und die dort angeführte Rechtsprechung).

[74]  Zur Vergleichbarkeit der Situation einer gebietsansässigen und einer gebietsfremden Gesellschaft, die Dividenden von einer gebietsansässigen Tochtergesellschaft beziehen, ist anzumerken, dass mit der Befreiung der von einer Tochtergesellschaft an ihre Muttergesellschaft ausgeschütteten Gewinne vom Quellensteuerabzug, wie oben in Rn. 55 ausgeführt, eine Doppelbesteuerung dieser Gewinne auf Ebene der Muttergesellschaft vermieden werden soll.

[75]  Zwar hat der Gerichtshof entschieden, dass sich Dividenden beziehende gebietsansässige Anteilseigner in Bezug auf Maßnahmen eines Mitgliedstaats zur Vermeidung oder Abschwächung der mehrfachen Belastung oder der Doppelbesteuerung der von einer gebietsansässigen Gesellschaft ausgeschütteten Gewinne nicht unbedingt in einer Situation befinden, die der von Dividenden beziehenden Anteilseignern vergleichbar wäre, die in einem anderen Mitgliedstaat ansässig sind, doch er hat ebenfalls festgestellt, dass, wenn ein Mitgliedstaat seine Besteuerungsbefugnis nicht nur in Bezug auf die Einkünfte der gebietsansässigen, sondern auch der gebietsfremden Anteilseigner hinsichtlich der Dividenden, die sie von einer gebietsansässigen Gesellschaft beziehen, ausübt, die Situation der gebietsfremden Anteilseigner sich derjenigen der gebietsansässigen Anteilseigner annähert (Urteil vom 20. Dezember 2017, Deister Holding und Juhler Holding, C-504/16 und C-613/16, EU:C:2017:1009, Rn. 93 und die dort angeführte Rechtsprechung).

[76]  Im Ausgangsverfahren befindet sich die gebietsfremde Muttergesellschaft, da sich die Bundesrepublik Deutschland dafür entschieden hat, ihre Besteuerungsbefugnis in Bezug auf die von der gebietsansässigen Tochtergesellschaft an die gebietsfremde Muttergesellschaft ausgeschütteten Gewinne auszuüben, hinsichtlich dieser Gewinnausschüttungen in einer Situation, die mit der einer gebietsansässigen Muttergesellschaft vergleichbar ist (vgl. entsprechend Urteil vom 20. Dezember 2017, Deister Holding und Juhler Holding, C-504/16 und C-613/16, EU:C:2017:1009, Rn. 94).

[77]  Hinsichtlich der Rechtfertigung und der Verhältnismäßigkeit der Beschränkung macht die Bundesrepublik Deutschland geltend, dass die Beschränkung durch das Ziel der Bekämpfung von Steuerhinterziehung und -umgehung gerechtfertigt sei.

[78]  Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass das Ziel der Bekämpfung von Steuerhinterziehung und -umgehung als zwingender Grund des Allgemeininteresses es rechtfertigen kann, die Ausübung der im Vertrag verbürgten Verkehrsfreiheiten zu beschränken (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 20. Dezember 2017, Deister Holding und Juhler Holding, C-504/16 und C-613/16, EU:C:2017:1009, Rn. 96 und die dort angeführte Rechtsprechung).

[79]  Allerdings hat diese Rechtfertigung, ob sie nun in Anwendung von Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 2011/96 oder als Rechtfertigung einer Beschränkung des Primärrechts geltend gemacht wird, dieselbe Tragweite (Urteil vom 20. Dezember 2017, Deister Holding und Juhler Holding, C-504/16 und C-613/16, EU:C:2017:1009, Rn. 97 und die dort angeführte Rechtsprechung). Daher gelten die Erwägungen in den Rn. 43 bis 57 des vorliegenden Beschlusses auch in Bezug auf die betreffende Verkehrsfreiheit.

[80]  Deshalb kann das Ziel der Bekämpfung von Steuerhinterziehung und -umgehung im vorliegenden Fall eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit nicht rechtfertigen.

[81]  Nach alledem ist auf die vorgelegten Fragen zu antworten, dass Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 2011/96 und Art. 49 AEUV dahin auszulegen sind, dass sie einer steuerrechtlichen Regelung eines Mitgliedstaats wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden entgegenstehen, nach der auf Dividenden, die eine gebietsansässige Tochtergesellschaft an ihre gebietsfremde Muttergesellschaft ausschüttet, Quellensteuer anfällt, die Muttergesellschaft aber keinen Anspruch auf Erstattung der Quellensteuer oder Freistellung davon hat, wenn zum einen Personen an ihr beteiligt sind, denen die Erstattung oder Freistellung nicht zustände, wenn sie Dividenden einer solchen Tochtergesellschaft unmittelbar bezogen hätten, und die von der Muttergesellschaft im betreffenden Wirtschaftsjahr erzielten Bruttoerträge nicht aus eigener Wirtschaftstätigkeit stammen und wenn zum anderen eine der beiden in der betreffenden Steuervorschrift aufgestellten Voraussetzungen erfüllt ist, d. h. entweder wirtschaftliche oder sonst beachtliche Gründe für die Einschaltung der besagten Muttergesellschaft fehlen oder diese nicht mit einem für ihren Geschäftszweck angemessen eingerichteten Geschäftsbetrieb am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr teilnimmt, wobei organisatorische, wirtschaftliche oder sonst beachtliche Merkmale der Unternehmen, die der Muttergesellschaft nahestehen, außer Betracht bleiben.

Kosten

[82]  Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Sechste Kammer) für Recht erkannt:

Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 2011/96/EU des Rates vom 30. November 2011 über das gemeinsame Steuersystem der Mutter- und Tochtergesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten in der durch die Richtlinie 2013/13/EU des Rates vom 13. Mai 2013 geänderten Fassung und Art. 49 AEUV sind dahin auszulegen, dass sie einer steuerrechtlichen Regelung eines Mitgliedstaats wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden entgegenstehen, nach der auf Dividenden, die eine gebietsansässige Tochtergesellschaft an ihre gebietsfremde Muttergesellschaft ausschüttet, Quellensteuer anfällt, die Muttergesellschaft aber keinen Anspruch auf Erstattung der Quellensteuer oder Freistellung davon hat, wenn zum einen Personen an ihr beteiligt sind, denen die Erstattung oder Freistellung nicht zustände, wenn sie Dividenden einer solchen Tochtergesellschaft unmittelbar bezogen hätten, und die von der Muttergesellschaft im betreffenden Wirtschaftsjahr erzielten Bruttoerträge nicht aus eigener Wirtschaftstätigkeit stammen und wenn zum anderen eine der beiden in der betreffenden Steuervorschrift aufgestellten Voraussetzungen erfüllt ist, d. h. entweder wirtschaftliche oder sonst beachtliche Gründe für die Einschaltung der besagten Muttergesellschaft fehlen oder diese nicht mit einem für ihren Geschäftszweck angemessen eingerichteten Geschäftsbetrieb am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr teilnimmt, wobei organisatorische, wirtschaftliche oder sonst beachtliche Merkmale der Unternehmen, die der Muttergesellschaft nahestehen, außer Betracht bleiben.

 

 

Betriebsuntersagung eines Pkw mit nicht nachgerüstetem Dieselmotor

Die für das Straßenverkehrsrecht zuständige 10. Kammer des Verwaltungsgerichts Potsdam hat mit einem den Beteiligten inzwischen zugestellten Beschluss einen Antrag auf Eilrechtschutz gegen eine von der Landrätin des Landeskreises Teltow-Fläming als Zulassungsbehörde verfügte Betriebsuntersagung eines mit einem nicht nachgerüsteten Dieselmotor ausgestatteten Pkw abgelehnt.

Das Fahrzeug des Antragstellers ist mit einem Dieselmotor EA 189 EU 5 ausgerüstet. Das Kraftfahrtbundesamt hatte mit bestandskräftigem Bescheid vom 15. Oktober 2015 festgestellt, dass die softwarebasierte Umschaltlogik der Motorsteuerung der Fahrzeuge mit diesem Motor zwischen den Betriebsmodi 1 und 0 eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 der VO (EG) Nr. 715/2007 darstellt und daraufhin den Fahrzeugherstellern im Wege nachträglicher Nebenbestimmungen zu den Typengenehmigungen nach § 25 Abs. 2 EG-FGV die Pflicht auferlegt, diese – auch bei bereits im Verkehr befindlichen Fahrzeugen – zu entfernen, um die Vorschriftsmäßigkeit der Fahrzeuge herzustellen. Der Antragsteller weigerte sich – auch nach Aufforderung durch die Behörde – das vom Hersteller angebotene „Software-Update“ vornehmen zu lassen. Hierauf erging durch die Behörde eine mit Sofortvollzug versehene Verfügung zur Betriebsuntersagung des Fahrzeugs des Antragstellers.

Die zuständige Kammer hat diese Verfügung nach summarischer Prüfung im Eilverfahren als rechtmäßig erachtet.

Die Voraussetzungen für die auf § 5 Abs. 1 der Fahrzeug-Zulassungsverordnung (FZV) gestützte Untersagung des Betriebs des Kraftfahrzeugs liegen vor. Das Fahrzeug des Antragstellers erweist sich als nicht vorschriftsmäßig im Sinne dieser Vorschrift, weil die vom Kraftfahrtbundesamt erlassenen oben genannten Nebenbestimmungen nach Auffassung der Kammer die (wirksamen) ursprünglichen Typengenehmigungen inhaltlich dergestalt abändern, dass jedenfalls ein Fahrzeug, dessen Halter sich wie der Antragsteller (beharrlich) weigert, eine entsprechende Nachrüstung vorzunehmen, nicht mehr der geänderten Typengenehmigung entspricht und insoweit vorschriftswidrig ist. Denn diese Fahrzeuge sind weiter entgegen den EG-Bestimmungen unter Einsatz der Umschaltlogik des Motors in Betrieb. Andernfalls bliebe auch eine Verweigerung der Nachrüstung mangels Widerrufs im Einzelfall zu Unrecht ohne Konsequenzen. Die Betriebsuntersagung erscheint auch ermessensgerecht, insbesondere war angesichts der Weigerung des Antragstellers, die Mängel beseitigen zu lassen, ein milderes Mittel nicht gegeben. Allerdings weist die Kammer darauf hin, dass es dem Antragsteller unbenommen bleibt, statt eines „Software-Updates“ bzw. des Aufspielens einer neuen Motorsteuerungssoftware die nach seiner Meinung effektivere Methode der Hardwareumrüstung (u. U. auf eigene Kosten) zu wählen, denn auch dann wäre das Fahrzeug wieder vorschriftsmäßig im Sinne des § 5 Abs.1 FZV.

Die zudem ergangene Anordnung der Außerbetriebssetzung des Fahrzeugs findet ihre Rechtsgrundlage in §§ 5 Abs. 2, 14 FZV; die Androhung des unmittelbaren Zwanges zur Durchsetzung der Verfügung erweist sich gemäß §§ 28, 34 des Verwaltungsvollstreckungsgesetzes des Landes Brandenburg als rechtmäßig.

Hinsichtlich der Anordnung der sofortigen Vollziehung – diese hat zur Folge, dass Widerspruch und Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben – genügt nach Auffassung der Kammer der Hinweis der Behörde auf die Beeinträchtigung der Sicherheit des Verkehrs durch vorschriftswidrige Fahrzeuge, da bei der Untersagung des Betriebs eines vorschriftswidrigen Fahrzeugs das öffentliche Vollzugsinteresse regelmäßig mit den Voraussetzungen für den Erlass der Ordnungsverfügung zusammenfällt.

Gegen den Beschluss steht dem Antragsteller die Beschwerde an das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg zu.

Quelle: VG Potsdam, Pressemitteilung vom 06.07.2018 zum Beschluss VG 10 L 303/18 vom 14.06.2018 i. d. F. der Berichtigung vom 21.06.2018

Bürokratiekosten im Steuerrecht reduzieren

„Bürokratie wirkt wie Sand im Getriebe, der die konjunkturelle Entwicklung bremst“ – damit begründet Bayern einen Entschließungsantrag, den der Freistaat am 6. Juli 2018 im Plenum vorstellte. Er wurde im Anschluss in die Fachausschüsse überwiesen.

Weniger Aufwand für Steuerzahler

Bayern fordert eine deutliche Reduzierung des Aufwands für Steuerzahler – vor allem für Unternehmer, Handwerker und landwirtschaftliche Betriebe. Die Bundesregierung soll bei ihrem angekündigten Bürokratieentlastungsgesetz III nicht nur Statistikpflichten reduzieren, sondern spürbare Impulse setzen, um die Bürokratiekosten zu senken.

Vorschläge für die Bundesregierung

Der Entschließungsantrag schlägt mehrere Einzelmaßnahmen vor, um dieses Ziel zu erreichen. So könnte die Pflicht zur Umsatzsteuer-Voranmeldung für neu gegründete Firmen entfallen, Aufbewahrungsfristen für Unterlagen zur Buchführung verkürzt und Freibeträge für die Gewinnermittlung aus forstwirtschaftlicher Nutzung wieder eingeführt werden.

Zudem warnt Bayern vor einer Bürokratiewelle, die land- und forstwirtschaftlichen Betriebe droht, weil die EU-Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren wegen der Durchschnittssatzbesteuerung eingeleitet hat. Diese müsse die Bundesregierung abwenden.

Beratungen der Fachpolitiker

Im September werden sich die Fachpolitiker in den Ausschüssen mit den Vorschlägen beschäftigen. Sobald diese ihre Beratungen abgeschlossen haben, kommt die Vorlage zur Abstimmung wieder auf die Tagesordnung des Plenums.

Quelle: Bundesrat, Mitteilung vom 06.07.2018

Unternehmensteuerrecht: Maßnahmenkatalog zur Sicherung des Wirtschaftsstandorts Deutschland

Zur Sicherung des Wirtschaftsstandort Deutschlands muss die hiesige Unternehmensbesteuerung nach Ansicht von Nordrhein-Westfalen wettbewerbsfähig gemacht werden.

In einem Entschließungsantrag schlägt das Land diverse Maßnahmen vor, die vor allem darauf abzielen, unnötige bürokratische Hürden und Rechtsunsicherheiten zu beseitigen. Darüber hinaus spricht es sich dafür aus, den privaten Wohnungsbau steuerlich zu fördern, um so bezahlbaren Wohnraum zu generieren. Die Initiative wurde am 6. Juli 2018 im Bundesrat vorgestellt und anschließend zur weiteren Beratung in die Fachausschüsse überwiesen.

Steuerliche Förderung für Forschung und Entwicklung

Ein zentrales Anliegen von Nordrhein-Westfalen ist es, den Bereich Forschung und Entwicklung zu fördern. Dies soll über eine 10-prozentige steuerliche Unternehmensgutschrift auf ihre forschungs- und entwicklungsrelevanten Personalkosten geschehen. Die Gutschrift könnte direkt mit der monatlich abzuführenden Lohnsteuer verrechnet werden und ermögliche es deshalb insbesondere Start-ups, unkompliziert und schnell ihre Liquidität zu verbessern.

Wohnbauförderung über verbesserte Abschreibung

Die Wohnbauförderung soll über die Einführung einer 3-prozentigen linearen Abschreibung sowie einer zusätzlichen, zeitlich begrenzten Sonderabschreibung erfolgen.

Viel Änderungsbedarf im Unternehmensteuerrecht

Im allgemeinen Unternehmensteuerrecht hält Nordrhein-Westfalen zahlreiche Maßnahmen für angebracht. So spricht es sich unter anderem dafür aus, Unternehmen bei Sofortabschreibungen zu entlasten, indem die Obergrenze für geringwertige Wirtschaftsgüter von 800 auf 1.000 Euro angehoben wird. Außerdem sollte die Thesaurierungsbegünstigung bei Personengesellschaften modernisiert und die Mindestbesteuerung erleichtert werden. Mehr Rechtssicherheit fordert Nordrhein-Westfalen bei der steuerlichen Entlastung von Sanierungsgewinnen und beim Verlustabzug im Fall des Anteilseignerwechsels. Darüber hinaus möchte es § 35 Einkommensteuergesetz an gestiegene Gewerbesteuer-Hebesätze anpassen sowie einige gewerbesteuerliche Regelungen ändern. Zur Stärkung der Attraktivität von Start-ups schlägt das Land einen einmaligen Freibetrag für Mitarbeiterbeteiligungen vor.

Wirksame Besteuerung des Internethandels

Auch im Internationalen Steuerrecht und bei der Umsatzsteuer sieht Nordrhein-Westfalen Verbesserungsbedarf. Zeitnah und praxisgerecht umgesetzt werden sollten die Anpassungen des Vorsteuerabzugs an die Rechtsprechung. Auch die Verzinsung von Steuerforderungen sei neu zu gestalten. Darüber hinaus müsse der Internethandel wirksam besteuert werden. Gegenwärtig stoße die Besteuerung ihrer Umsätze auf enorme Schwierigkeiten. Die Betreiber dieser Plattformen seien deshalb stärker in die Pflicht zu nehmen.

Wie es weitergeht

Sobald die Ausschüsse ihre Beratungen abgeschlossen haben, kommt die Vorlage erneut auf die Plenartagesordnung.

Quelle: Bundesrat, Mitteilung vom 06.07.2018

Grundsätze für die Prüfung der Einkunftsabgrenzung durch Umlageverträge zwischen international verbundenen Unternehmen

Unter Bezugnahme auf das Ergebnis der Erörterungen mit den obersten Finanzbehörden der Länder gilt für die Anwendung des § 1 AStG im Hinblick auf die Prüfung der Einkunftsabgrenzung durch Umlageverträge zwischen international verbundenen Unternehmen Folgendes:

Das Schreiben vom 30. Dezember 1999 (BStBl I S. 1122) „Grundsätze für die Prüfung der Einkunftsabgrenzung durch Umlageverträge zwischen international verbundenen Unternehmen“ wird durch dieses Schreiben zum 31. Dezember 2018 aufgehoben. Die nachstehenden Grundsätze sind für Wirtschaftsjahre anzuwenden, die nach dem 31. Dezember 2018 beginnen. Bis zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Schreibens im Bundessteuerblatt bestehende Kostenumlagevereinbarungen werden für einen Übergangszeitraum für Wirtschaftsjahre bis zum 31. Dezember 2019 nach dem Schreiben vom 30. Dezember 1999 gewürdigt.

Für die Prüfung der Einkunftsabgrenzung durch Umlageverträge zwischen international verbundenen Unternehmen gelten die Grundsätze des Kapitels VIII der OECD-Verrechnungspreisleitlinien 2017 (OECD Transfer Pricing Guidelines for Multinational Enterprises and Tax Administrations; derzeit abrufbar unter: http://dx.doi.org/10.1787/9789264274297-de ).

Wirken mehrere Unternehmen einer multinationalen Unternehmensgruppe im gemeinsamen Interesse zusammen, übernehmen gemeinsam Risiken und leisten Beiträge,

  1. um Vermögenswerte gemeinsam zu entwickeln (Entwicklungskostenumlage), oder
  2. um Dienstleistungen in Anspruch zu nehmen (Dienstleistungskostenumlage),

sind die Beiträge zu Fremdvergleichspreisen zu bewerten und von den Unternehmen anhand der jeweils zu erwartenden Vorteile zu vergüten.

Die Textziffer 7. der Grundsätze für die Prüfung der Einkunftsabgrenzung bei international verbundenen Unternehmen (Verwaltungsgrundsätze) vom 23. Februar 1983 (BStBl I S. 218) bleibt weiterhin aufgehoben.

Dieses Schreiben wird im Bundessteuerblatt Teil I veröffentlicht.

Quelle: BMF, Schreiben (koordinierter Ländererlass) IV B 5 – S-1341 / 0 :003 vom 05.07.2018