Inflationserwartung kann Ausgabebereitschaft der Verbraucher erhöhen

Studie zeigt Zusammenhang zwischen Mehrwertsteuererhöhung als Inflationstreiber und Anschaffungsneigung

Wenn Verbraucher eine steigende Inflation erwarten, sind sie eher bereit, aktuell mehr Geld für langlebige Güter auszugeben. Das belegt eine Studie, die Wissenschaftler vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT), der University of Chicago und der University of Maryland gemeinsam mit GfK durchgeführt haben. Die Ergebnisse der Studie zeigen krisengeplagten Ländern wie Italien, Spanien oder Griechenland eine weitere Option auf, um den privaten Konsum und somit das Wirtschaftswachstum insgesamt zu steigern.

Inflationserwartungen haben für Haushalte eine besondere Bedeutung. Die erwartete Teuerungsrate fließt in die Konsum- und Sparentscheidungen von Haushalten ein. Die Studie von Dr. Daniel Hoang (KIT), Prof. Michael Weber (Chicago), Prof. D’Acunto (Maryland) und GfK belegt nun erstmals wissenschaftlich, dass höhere Inflationserwartungen bei konstanten Zinsen die Konsumneigung vor allem für langlebige Güter wie Häuser, Autos oder Elektrogeräte positiv beeinflussen.

Inflationserwartung und Ausgabebereitschaft hängen zusammen
Die Studie nutzt ein „natürliches Experiment“. Im November 2005 kündigte die damalige große Koalition in Deutschland überraschenderweise an, im Januar 2007 die Mehrwertsteuer um 3 Prozentpunkte zu erhöhen. Dieser unerwartete „Schock“ erhöhte die Inflationserwartungen im Jahr 2006 und die tatsächliche Inflation im Jahr 2007. Prof. Michael Weber von der renommierten Booth School of Business der University of Chicago erklärt: „Eine Mehrwertsteuererhöhung erhöht künftige Verbraucherpreise und Haushalte passen in Erwartung steigender Preise ihre Inflationserwartungen an. Die Tatsache, dass die Ankündigung unerwartet war und unabhängig von künftigen Konjunkturerwartungen erfolgte, erlaubt es, einen kausalen Zusammenhang zwischen Inflationserwartungen und Ausgabebereitschaft von Verbrauchern herzustellen“. Die Studie analysiert, wie sich die Konsumneigung der deutschen Verbraucher vor und nach der überraschenden Ankündigung verändert hat. Als Kontrollgruppe dienten Verbraucher aus Großbritannien, Schweden und Frankreich. Dort wurde in diesem Zeitraum keine Mehrwertsteuererhöhung diskutiert oder durchgeführt.

Bevor die deutsche Regierung die Mehrwertsteuererhöhung im November 2005 ankündigte, waren die Trends von Inflationserwartungen und Konsumneigung in beiden Gruppen vergleichbar. „Man kann also annehmen, dass sich die deutschen Verbraucher ohne die angekündigte Mehrwertsteuererhöhung ähnlich wie die Verbraucher in den Kontrollländern verhalten hätten“, erklärt Dr. Daniel Hoang vom KIT. „Direkt nach der Ankündigung entkoppelten sich aber die durchschnittlichen Inflationserwartungen in Deutschland von denen der Kontrollgruppe. Und die Konsumneigung der deutschen Verbraucher stieg im Vergleich zur Kontrollgruppe deutlich an.“

„Bereits im Januar 2006, also weniger als zwei Monate nach Ankündigung der Steuererhöhung, aber immer noch zwölf Monate bevor die Produktpreise durch die höhere Mehrwertsteuer tatsächlich stiegen, erhöhte sich die Konsumneigung in Deutschland im Vergleich zur Kontrollgruppe deutlich. Dieser Effekt nahm kontinuierlich zu und erreichte seinen Höhepunkt im November 2006. Zu diesem Zeitpunkt war die Bereitschaft der Verbraucher, hochwertige Produkte zu kaufen, um mehr als 33 Prozent höher als bei der Kontrollgruppe“, erklärt Rolf Bürkl, GfK-Konsumklima-Experte. Als die Mehrwertsteuer im Januar 2007 tatsächlich um die angekündigten 3 Prozent stieg, fiel die Anschaffungsneigung nahezu auf den gleichen Wert, auf dem sie vor der Ankündigung der Steuererhöhung lag. Hervorzuheben ist, dass die Konsumbereitschaft der deutschen Verbraucher nach der Steuererhöhung nicht unter das Niveau vor der Ankündigung sank. Die Verbraucher gaben also nach der Steuererhöhung nicht weniger Geld für hochwertige Waren aus als vor ihrer Ankündigung im Vergleich zu Haushalten in den Vergleichsländern.

„Die Verbraucher sind eher bereit, Geld für hochwertige Produkte auszugeben, wenn sie davon ausgehen müssen, dass diese Produkte in der Zukunft teurer werden“, ergänzt Bürkl. Konsumenten, die eine höhere Inflation erwarten, haben demnach eine um 8 Prozent höhere Konsumneigung. Bei Verbrauchern, die in Städten leben, ein höheres Bildungsniveau sowie ein höheres Einkommen besitzen, ist dieser Zusammenhang sogar noch stärker ausgeprägt.

Bedeutung für die Praxis
„Zentralbanken auf der ganzen Welt versuchen derzeit, auch mit unkonventionellen Mitteln die Inflationserwartungen und somit auch die Ausgabebereitschaft der Verbraucher zu erhöhen“, so Weber von der University of Chicago. „Die ausgeprägten Anleihekäufe der Europäischen Zentralbank sind hier das aktuellste Beispiel. Allerdings hat bislang ein wissenschaftlicher Beleg für den Zusammenhang zwischen Inflationserwartung und Anschaffungsneigung gefehlt.“

Die Forschungsergebnisse des Forschungsteams und von GfK sprechen für die Wirksamkeit solcher unkonventionellen Maßnahmen in der Fiskalpolitik. Sie erweitern sozusagen den politischen Werkzeugkasten. Die Studie liefert wichtige neue Ansatzpunkte für politische Entscheidungsträger. Besonders Länder wie Italien, Spanien oder Griechenland, die sich noch immer in einer wirtschaftlichen Stagnation bei gleichzeitig hoher Staatsverschuldung befinden, könnten von diesem Zusammenhang profitieren.

Die deutsche Regierung setzte die Mehrwertsteuererhöhung zur Haushaltskonsolidierung, nicht aber als Maßnahme zur Konjunkturbelebung ein. Soll mit Hilfe dieser Maßnahme die Binnenkonjunktur während einer wirtschaftlichen Rezession oder Stagnation angekurbelt werden, müssten die Verbraucher gleichzeitig in Lage versetzt werden, die höheren Konsumpreise auch zahlen zu können. So legen die Studienergebnisse nahe, dass eine Reihe koordinierter und gestaffelter Erhöhungen der Konsumsteuern bei gleichzeitiger Entlastung der privaten Haushalte, indem beispielsweise die Einkommensteuern gesenkt werden, eine geeignete Maßnahme darstellen können, um den aktuellen Konsum zu steigern. Diese Maßnahmen könnten es erlauben, die Volkswirtschaft als Ganzes zu stimulieren, ohne die öffentlichen Haushalte zusätzlich zu belasten. „Wenn die Rezession überwunden ist, sollten diese Maßnahmen jedoch wieder rückgängig gemacht werden“, fügt Bürkl hinzu. „Durch die dann wieder niedrigeren Preise ließe sich möglicherweise sogar noch einmal ein Schub für den privaten Konsum auslösen.“

Die vollständigen Forschungsergebnisse sind über das Social Science Research Network abrufbar.

Quelle: GfK, Pressemitteilung vom 23.10.2015