Kein grobes Verschulden am nachträglichen Bekanntwerden der Tatsache, dass der Arbeitgeber nach Betriebsvereinbarung steuerfreie Zuschläge als steuerpflichtigen Arbeitslohn behandelt hat.

Niedersächsisches Finanzgericht 3. Senat, Urteil vom 29.03.2017, 3 K 78/16

Verfahrensgang

nachgehend BFH, Az: VI B 47/17, Nichtzulassungsbeschwerde

Tatbestand

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Streitig ist die nachträgliche Steuerbefreiung nach § 3b Einkommensteuergesetz (EStG) für vom Arbeitgeber gezahlte Zulagen nach Betriebsvereinbarung (sogenannte BV-Zulagen) für vom Kläger geleistete Nacht-, Sonn- und Feiertagsarbeit und insbesondere die Frage, ob die Voraussetzungen für die Änderung von bestandskräftigen Einkommensteuerbescheiden gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 2 Abgabenordnung (AO) vorliegen.

2
Dem Rechtsstreit liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Der Kläger ist verheiratet und wird zusammen mit seiner Ehefrau zur Einkommensteuer veranlagt. Der Kläger erzielt Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit aus seiner Tätigkeit als Fernmeldehandwerker bei der A-GmbH. Aufgrund dieser Tätigkeit hat der Kläger von dem Arbeitgeber, der A- GmbH, unter anderem Zahlungen nach entsprechenden Betriebsvereinbarungen (sogenannte BV-Zulagen) erhalten.

3
Dem Kläger standen aufgrund der Betriebsvereinbarungen zur Entlohnung von Schichtdienstkräften vom 29. März 2011 und vom 1. Oktober 2012 jeweils gemäß § 3 folgende Schichtzulagen für tatsächlich geleistete Sonderschichten zu:

4
Sonntags-Dienst pro Sonntag 43 €
Hoher Feiertag pro hohem Feiertag 60 €
Nachschichtzulage pro Nachtschicht 40 €.
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Die Erfassung der tatsächlich erbrachten Arbeitszeiten erfolgte elektronisch und ist in der „Zeitnachweisliste“ dokumentiert (Anlage 3, Bd. II GA Bl. 109 ff.).

6
Auf Basis dieser Zeitnachweislisten wurde die monatliche „Bezügemitteilung“ durch den Arbeitgeber erstellt. Die dort abgerechneten „Zeitbezüge“ beziehen sich auf die Zeiterfassung des zweiten des dem Abrechnungsmonat vorangegangenen Monats, d. h. in der Bezügemitteilung für März 2014 wurden die tatsächlich im Januar 2014 erbrachten Sonderschichten abgerechnet.

7
Die A-GmbH hat die nach den Betriebsvereinbarungen zu leistenden Zulagen für Nacht-, Sonn- und Feiertagsarbeit aufgrund eines Software-Fehlers nicht steuerfrei gezahlt, sondern der normalen Lohnbesteuerung unterworfen. Steuerfrei gezahlt worden sind Zuschläge aufgrund von Manteltarifverträgen. Insoweit wird auf die vom Kläger im Klageverfahren vorgelegten Bezügemitteilungen für den Streitzeitraum 01/2011 bis 12/2014 verwiesen und Bezug genommen (Bd. II Gerichtsakte, Bl. 1 bis 102).

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Die Bezügemitteilungen des Klägers sind sehr komplex. Sie enthalten eine Vielzahl von Einzelpositionen und meistens diverse Zulagen und Zuschläge. So beinhaltet zum Beispiel die Bezügemitteilung 05/2012 unter dem Oberbegriff „Zeitbezüge“ allein sieben Zulagen. Weitere acht Positionen, die für die Ermittlung der Bezüge von Bedeutung sind, finden sich unter dem Punkt „Zielerreichung“. Als „Basisbezüge“, die in das Gesamtbrutto einfließen, sind weitere sieben Positionen aufgeführt.

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Eine Abrechnung oder Abgleichung des steuerpflichtigen und des nichtsteuerpflichtigen Arbeitslohnes des Lohnkontos zum jeweiligen Ende des Veranlagungszeitraums ist nicht vorgenommen worden. Der Arbeitgeber behandelte auch Lohnbestandteile, die als BV-Zulage gezahlt wurden, als steuerpflichtig und erfasste sie als Brutto-Arbeitslohn.

10
Der Kläger gab in seinen Einkommensteuererklärungen 2011 – 2014 den auf den Lohnsteuerbescheinigungen ausgewiesenen steuerpflichtigen Brutto-Arbeitslohn an. Das Finanzamt veranlagte erklärungsgemäß. Die streitbefangenen Einkommensteuerbescheide sind bestandskräftig.

11
Der Kläger erhielt erst am 17. Juli 2015 durch eine elektronische Nachricht der Personalabteilung Kenntnis von der falschen Berechnung seines Bruttoarbeitslohnes.

12
Mit Schreiben vom 18. August 2015 sowie vom 14. September 2015 beantragte der Kläger die Änderung der bestandskräftigen Einkommensteuerbescheide 2011 – 2014 wegen neuer Tatsachen nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 Abgabenordnung (AO). Er begehrte die Minderung der Brutto-Arbeitslöhne für die Streitjahre 2011 – 2014 um bisher versteuerte Zulagen, da diese nach § 3b EStG steuerfrei seien.

13
Die A-GmbH hatte dem Kläger mit im Übrigen gleichlautenden Schreiben vom 31. August 2015 die Leistung von Zulagen nach Betriebsvereinbarung im Zusammenhang mit § 3b EStG für die Jahre 2011 in Höhe von 1.381,58 €, für 2012 in Höhe von 2,711,23 €, für 2013 in Höhe von 1.659,17 € und für 2014 in Höhe von 1.711,99 € bescheinigt.

14
Das Schreiben für 2011 lautet:

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„Sehr geehrter Herr ..,

16
nach individueller Prüfung der von unserem/Mitarbeiter/in aufgrund von Stundenzetteln, Schichtplänen, Stempelkarten usw. erstellten und uns vorgelegten Aufzeichnungen bestätigten wir die Richtigkeit der Angaben. Unter Berücksichtigung der einkommensteuerlichen Grundsätze des § 3b EStG bestätigen wir den sich aus den Berechnungen unseres Mitarbeiters für das Jahr 2011 ergebenden Betrag in Höhe von 1.381,58 €.

17
Die Anerkennung der Steuerbefreiung des u.a. Betrags nach § 3b EStG ist u.E. gerechtfertigt, da die Zulagen nach BV für tatsächlich geleistete Sonntags-, Feiertags- und Nachtarbeit zusätzlich zur Grundvergütung geleistet wurden. Die normierten Beträge des § 3b EStG wurden unter Anrechnung der bereits steuerfrei ausgezahlten Zuschläge M-TV nicht überschritten.

18
Eigene Aufzeichnungen zur Berücksichtigung der Steuerfreiheit nach § 3b EStG waren uns aufgrund einer vorgenommenen internen Strukturänderung bisher nicht möglich. Dies hätte für uns einen Änderungsaufwand bedeutet. Allerdings können die tatsächlich erbrachten Arbeitszeiten von uns nachgewiesen werden.

19
Mit freundlichen Grüßen“ .

20
Den Schreiben der A-GmbH ist jeweils eine vom Kläger angefertigte Aufstellung der ihm im entsprechenden Veranlagungszeitraum zustehenden Zulagen nach BV beigelegt. Diese enthalten Anschreibungen für die einzelnen Arbeitstage (Bl. 14 ff. GA).

21
Mit Bescheid vom 17. Dezember 2015 lehnte der Beklagte die Änderung der Einkommensteuerbescheide 2011 – 2014 nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO ab, weil für die von der A-GmbH gezahlten Zulagen nach Betriebsvereinbarung keine Steuerbefreiung nach § 3b EStG gewährt werden könne. Denn es handele sich bei den Zulagen um pauschal zum Arbeitslohn gezahlte Beträge.

22
Hiergegen wendet sich der Kläger nach erfolglosem Vorverfahren im vorliegenden Klageverfahren. Er führt dazu im Wesentlichen aus: Die Voraussetzungen des § 3b EStG seien sehr wohl gegeben. Er habe dem Finanzamt detaillierte Aufstellungen über seine Arbeitszeiten vorgelegt. Sein Arbeitgeber habe für alle streitigen Steuerjahre erklärt, dass die Zulagen nach der Betriebsvereinbarung für tatsächlich geleistete Sonntags-, Feiertags- und Nachtarbeit zusätzlich zur Grundvergütung geleistet worden seien. Die von der A-GmbH gezahlten Zuschläge gem. Betriebsvereinbarung sollten entsprechend der BFH-Rechtsprechung als Abschlagszahlungen für zu leistende Sonntags-, Feiertags- oder Nachtarbeit steuerfrei gezahlt werden.

23
Die fehlerhafte Besteuerung der Zuschläge durch die A-GmbH sei auf einen Software-Fehler zurückzuführen. Die nichterfolgte Abrechnung am Ende des jeweiligen Kalenderjahres habe sich ergeben, weil Arbeitgeber und Arbeitnehmer den Fehler nicht erkannt hätten. Dieser sei erst im Jahr 2015 bekannt geworden.

24
Aus den aufgrund der Zeitnachweisliste und den Bezügemitteilungen erfolgten Abrechnungen sei ersichtlich, dass es sich bei den abgerechneten Schichtzulagen (hohe Feiertage, Sonntag und Nachtschicht) nicht um einen pauschalen Abschlag oder Vorschuss auf die zu leistenden Schichten handele, sondern um die endgültige Zahlung für geleistete „Sonderschichten“.

25
Als Nachweis dafür führt der Kläger beispielhaft an die Bezügemitteilung für den Monat 3/2014 (Anlage 4, Bd. II GA Bl. 201) sowie die Zeitnachweisliste für den Auswertungszeitraum 1. Januar 2014 – 31. Januar 2014 (Anlage 5, Bd. II GA, Bl. 243 ff.).

26
So habe er ausweislich der Zeitnachweisliste am 1. Januar 2014 (Neujahr) gearbeitet. Aus diesem Grund sei die Schichtzulage „Hoher Feiertag“ i.H.v. 60 € gezahlt worden. Darüber hinaus habe er am 25./26. (Samstag/Sonntag) und am 26./27. Januar (Sonntag/Montag) Sonntags-Schichten geleistet. Daher sei die Schichtzulage „Sonntag“ zweimal i.H.v. 43 € gezahlt worden. Die „Nachtschichtzulagen“ i.H.v. viermal 40 € seien für Nachtschichten am 8./9., 9./10., 25./26. und 26./27. Januar 2014 gezahlt worden.

27
Da ihn kein grobes Verschulden am nachträglichen Bekanntwerden der neuen Tatsachen treffe, seien die Steuerbescheide für 2011 bis 2014 gem. § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO wegen Vorliegens neuer Tatsachen zu ändern. Er sei in einem technischen Beruf tätig. Die Lohnabrechnung sei aufgrund diverser Zuschläge sehr komplex und unübersichtlich. Auch die Vielzahl der fehlerhaften Lohnabrechnungen und die Zeitspanne zwischen erstmaliger falscher Abrechnung mit Einführung der Betriebsvereinbarung zum 1. April 2011 bis zur „Entdeckung“ des Fehlers im Jahr 2015 zeige, dass der Fehler nicht offensichtlich gewesen sei und ihn, den Kläger, kein grobes Verschulden treffe.

28
Im Übrigen weise er darauf hin, dass zwischenzeitlich einige Finanzämter dieser Auffassung gefolgt seien.

29
Der Kläger beantragt,

30
unter Aufhebung des Einspruchsbescheides vom 15. Februar 2016 und des Ablehnungsbescheides vom 17. Dezember 2015 die Einkommensteuer für die Veranlagungszeiträume 2011 – 2014 neu festzusetzen unter Berücksichtigung der nach § 3b EStG zu gewährenden Steuerbefreiung für die vom Arbeitgeber gezahlten Zulagen für von ihm geleistete Nacht-, Sonntags- und Feiertagsarbeit wie folgt:

31
a) Steuerbefreiung der Zulagen für 2011 i.H.v. 1.181,58 €

32
b) Steuerbefreiung der Zulagen für 2012 i.H.v. 2.611,23 €

33
c) Steuerbefreiung der Zulagen für 2013 i.H.v. 1.459,17 €

34
d) Steuerbefreiung der Zulagen für 2014 i.H.v. 1.711,99 €.

35
Der Beklagte beantragt,

36
die Klage abzuweisen.

37
Er hält an seiner im Vorverfahren vertretenen Rechtsansicht fest. Er führt ergänzend aus, für die Steuerbefreiung nach § 3b EStG sei es erforderlich, dass die nach dem übereinstimmenden Willen von Arbeitgeber und Arbeitnehmer pauschal geleisteten Zuwendungen als Abschlagszahlungen oder Vorschüsse auf eine spätere Einzelabrechnung geleistet würden. Die Zuschläge seien dann jeweils vor Erstellung der Lohnsteuerbescheinigung, somit regelmäßig spätestens zum Ende des Kalenderjahres bzw. beim Ausscheiden des Arbeitnehmers aus dem Dienstverhältnis zu errechnen.

38
Aus der Behandlung der pauschal gezahlten Zulagen nach einer entsprechenden Betriebsvereinbarung (sogenannte BV-Zulagen) als steuerpflichtig ergebe sich, dass der Arbeitgeber diese Zulagen nicht als Abschlagszahlungen oder Vorschüsse auf eine spätere Einzelabrechnung zum Ende des jeweiligen Lohnzahlungszeitraums gezahlt habe. § 3b EStG könne damit auf diese Zulagen keine Anwendung finden, auch nicht nachträglich im Einkommensteuer-Veranlagungsverfahren.

39
Unabhängig von den vom Kläger nunmehr im Klageverfahren eingereichten Unterlagen, die er als Nachweise für die Steuerfreiheit der Zuschläge i.S.d. § 3b EStG erbracht habe, lägen die Voraussetzungen für eine Änderung der angefochtenen Steuerbescheide nach § 173 AO nicht vor. Im vorliegenden Fall träfe den Steuerpflichtigen ein grobes Verschulden am nachträglichen Bekanntwerden der neuen Tatsachen.

40
Anhand der eingereichten Bezügemitteilungen sei eindeutig und leicht erkennbar, dass die streitigen Zulagen vom Arbeitgeber als steuerpflichtiger Arbeitslohn behandelt worden seien (z.B. Bezügemitteilungen 10/2011, 09/2012, 03/2013, 12/2014). Außerdem enthielten einige Bezügemitteilungen „Bearbeitungsvermerke“, aus denen ersichtlich sei, dass der Kläger diese Mitteilungen insbesondere bezüglich der steuerfreien Zulagen geprüft habe.

41
Der Rechtstreit ist durch Beschluss vom 6. März 2017 gemäß § 6 Abs.1 der Finanzgerichtsordnung(FGO) der Berichterstatterin als Einzelrichterin zur Entscheidung übertragen worden.

II.

Entscheidungsgründe

42
Die Klage ist begründet.

43
Der Beklagte hat zu Unrecht die Änderung der bestandskräftigen Einkommensteuerbescheide 2011 bis 2014 nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO abgelehnt. Er hat zu Unrecht die dem Kläger im Streitzeitraum April 2011 bis Dezember 2014 nach den im Streitzeitraum geltenden Betriebsvereinbarungen zur Entlohnung von Schichtdienstkräften (BV-Zulagen) nicht nachträglich als nach § 3b EStG steuerbefreit angesehen, und zwar i.H.v. 1.181,58 € für 2011, i.H.v. 2.611,23 € für 2012 und i.H.v. 1.459,17 € für 2013 und i.H.v. 1.711,99 € für 2014.

44
Die Höhe der vom Arbeitgeber an den Kläger geleisteten BV-Zulagen ist von den Beteiligten in der genannten und aus dem Tenor ersichtlichen Höhe unstreitig gestellt worden.

45
1. Nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO sind Steuerbescheide aufzuheben oder zu ändern, soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer niedrigeren Steuer führen und den Steuerpflichtigen kein grobes Verschulden daran trifft, dass die Tatsachen oder Beweismittel erst nachträglich bekannt werden.

46
Tatsachen i.S. dieser Vorschrift sind alle Sachverhaltsbestandteile, die Merkmal oder Teilstück eines gesetzlichen Steuertatbestandes sein können. Also Zustände, Vorgänge, Beziehungen und Eigenschaften materieller oder immaterieller Art (BFH-Urteil vom 27. Oktober 1992 VIII R 41/89, BStBl. II 1993, 569; vom 14.05 2003 II R 25/01, BFH/NV 2003, 1395).

47
Nachträglich bekanntgewordene Tatsachen sind solche, die zu dem für eine Aufhebung oder Änderung nach § 173 AO maßgeblichen Zeitpunkt – in der Regel dem Erlass des zu ändernden Bescheides – bereits vorhanden, aber noch unbekannt waren (BFH-Urteil vom 16. September 1987 II R 178/85, BStBl. II 1988, 174). Maßgebend ist die Kenntnis der sachlich und örtlich zuständigen Finanzbehörde (BFH-Urteil vom 29. Juni 1984 VI R 34/82, BStBl. II 1984, 694).

48
Neue Tatsache i.S.v. § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO ist im vorliegenden Fall der Umstand, dass der Arbeitgeber die dem Kläger nach Betriebsvereinbarungen gezahlten Zulagen als lohnsteuerpflichtig behandelt hat. Dieser Umstand war sowohl dem Kläger als auch dem Beklagten neu.

49
§ 173 AO setzt für die Zulässigkeit der Änderung voraus, dass die Unkenntnis von Tatsachen für die ursprüngliche Veranlagung ursächlich gewesen sein muss, dass also die Steuerfestsetzung bei Kenntnis der nachträglich bekanntgewordenen Tatsache im Zeitpunkt des Ergehens des ursprünglichen Bescheids, anders als geschehen vorgenommen worden wäre. Die Rechtserheblichkeit einer nachträglich bekanntgewordenen Tatsache ist somit nur dann zu verneinen, wenn das FA auch bei rechtzeitiger Kenntnis der Tatsache schon bei der ursprünglichen Veranlagung bzw. Feststellung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu keiner anderen Entscheidung gekommen wäre (BFH-Urteil vom 7. Juni 1989 II R 73/87, BFH/NV 1990, 415; BFH-Urteil vom 11.02.2010 VI R 65/08, BStBl. II 2010, 628).

50
Die neue Tatsache, dass der Arbeitgeber die nach Betriebsvereinbarung gezahlten Zulagen der Lohnsteuer unterworfen hat, ist auch rechtserheblich. Das FA hätte bei rechtzeitiger Kenntnis dieser Tatsache schon bei der ursprünglichen Veranlagung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit die Steuerfreiheit der gewährten Zuschläge für Feiertags-, Sonntags- und Nachtarbeit gewährt.

51
Der Arbeitgeber hat keine pauschalen Abschläge für Sonntags-, Feiertags- und Nachtarbeit gezahlt.

52
Nach § 3b Abs. 1 EStG sind neben dem Grundlohn gewährte Zuschläge nur dann steuerfrei, wenn sie für tatsächlich geleistete Sonntags-, Feiertags- oder Nachtarbeit gezahlt werden. Nach Abs. 2 Satz 1 dieser Vorschrift ist Grundlohn der laufende Arbeitslohn, der dem Arbeitnehmer bei der für ihn maßgebenden regelmäßigen Arbeitszeit für den jeweiligen Lohnzahlungszeitraum zusteht. Er ist in einen Stundenlohn umzurechnen.

53
Die Steuerbefreiung tritt nur ein, wenn die neben dem Grundlohn gewährten Zuschläge für tatsächlich geleistete Sonntags-, Feiertags- oder Nachtarbeit gezahlt worden sind (BFH-Urteil vom 26. Oktober 1984 VI R 1999/80 BStBl. 1985, 57), und setzt grundsätzlich Einzelaufstellungen der tatsächlich erbrachten Arbeitsstunden an Sonntagen, Feiertagen oder zur Nachtzeit voraus (BFH-Urteile vom 28. November 1990 VI R 90/87, BStBl. II 1991, 293; vom 8. Dezember 2011 VI R 18/11, BStBl. II 2012, 291). Dadurch soll von vornherein gewährleistet werden, dass ausschließlich solche Zuschläge steuerfrei bleiben, bei denen betragsmäßig genau feststeht, dass sie nur für die Sonntags-, Feiertags- oder Nachtarbeit gezahlt werden und die keine allgemeinen Gegenleistungen für die Arbeitsleistung darstellen. Hieran fehlt es jedoch, wenn die Sonntags-, Feiertags- oder Nachtarbeit lediglich allgemein pauschaliert abgegolten wird, da hierdurch weder eine Zurechnung der Sache nach (tatsächlich geleistete Arbeit während begünstigter Zeiten) noch der Höhe nach (Steuerfreistellung nur nach Prozentsätzen des Grundlohns) möglich ist.

54
Nach den im Laufe des Klageverfahrens vorgelegten Unterlagen und gegebenen Erläuterungen hat der Kläger auf Einzelberechnungen basierende BV-Zuschläge für tatsächlich von ihm geleistete Arbeitsstunden an Sonntagen, Feiertagen und zur Nachtzeit bezahlt bekommen. Die tatsächlich vom Kläger geleisteten Arbeitszeiten sind elektronisch erfasst worden und in einer Zeitnachweisliste zusammengefasst. Auf der Basis der elektronisch erfassten Arbeitszeiten sind dann jeweils im Abstand von zwei Monaten die Bezügemitteilungen erfolgt. Das heißt z.B. in der Bezügemitteilung für März 2014 sind tatsächlich die vom Kläger erbrachten Arbeitsleistungen und die hierfür geleisteten Schichtzulagen (hohe Feiertage, Sonntage und Nachtschicht) für den Monat Januar 2014 enthalten.

55
Den Kläger trifft am nachträglichen Bekanntwerden der Tatsache, dass sein Arbeitgeber, die A- GmbH, die nach Betriebsvereinbarungen gezahlten Zuschläge für Arbeit an hohen Feiertagen, an Sonntagen und zur Nachtzeit als steuerpflichtigen Arbeitslohn behandelt hat, kein grobes Verschulden.

56
Grobes Verschulden i.S.v. § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO umfasst Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit (ständige Rechtsprechung z.B. BFH-Urteil vom 4. Februar 1998 IX R 47/97, BFH/NV 1998, 682; vom 10. Dezember 2013 VIII R 10/11, BFH/NV 2014, 820 m.w.N.). Grob fahrlässig handelt der Steuerpflichtige, wenn er die Sorgfalt, zu der er nach seinen persönlichen Kenntnissen und Fähigkeiten verpflichtet und im Stande ist, in ungewöhnlichem Maße und in nicht entschuldbarer Weise verletzt (ständige Rechtsprechung vgl. BFH-Urteile vom 4. Februar 1998 XI R 47/97, BFH/NV 1998, 682; vom 26. November 2014 XI R 41/13, BFH/NV 2015, 491).

57
Grobes Verschulden ist unter anderem anzunehmen, wenn der Steuerpflichtige aus Schludrigkeit Beweismittel nicht vorlegt oder in das Erklärungsformular die ihm übermittelten Daten nicht richtig einträgt (BFH-Beschluss vom 30. Januar 1997 III B 99/95, BFH/NV 1997 385) oder im Erklärungsformular ausdrücklich gestellte Fragen unbeachtet lässt (BFH-Urteil vom 9. November 2011 X R 53/09, BFH/NV 2012, 545).

58
Nach den oben aufgezeigten Maßstäben trifft den Kläger kein grobes Verschulden. Der Kläger ist von Beruf Techniker und in erster Linie in seinem Berufsfeld firm, nicht so sehr in Buchhaltungs- und Abrechnungs- sowie Steuerfragen.

59
Der Kläger hat ausweislich seiner Bezügemitteilungen in den meisten Monaten eine Vielzahl von Zulagen erhalten. Exemplarisch sei genannt und Bezug genommen auf die Bezügemitteilung 05/2012 (GA Bd. II Bl.35). Dort sind unter dem Oberbegriff „Zeitbezüge“ allein sieben Zulagen genannt, unter dem Begriff „Zielerreichung“ sind weitere acht Positionen genannt, die für die Ermittlung der Bezüge von Bedeutung sind. Unter dem Begriff „Basisbezüge“ werden abermals sieben Positionen benannt, die in das Gesamtbrutto einfließen. Insgesamt umfasst die Bezügemitteilung 05/02 zwei DIN A 4 Seiten.

60
Der Kläger hat – wie im Übrigen seine Kollegen auch – hinsichtlich der Richtigkeit der Bezügemitteilungen auf seinen Arbeitgeber und dessen Kenntnisse vertraut. Dieser Arbeitgeber ist nicht irgendeine kleine Firma, sondern ein großer, durchorganisierter und leistungsstarker Arbeitgeber, nämlich die A- GmbH, hinter der letzten Endes ein bundesweiter Konzern steht. Der Kläger durfte auf die Kompetenz der dortigen Lohnbuchhaltung und Gehaltsabteilung vertrauen. Dort war erst im Jahr 2015 nach Ablauf mehrerer Jahre die fehlerhafte steuerliche Behandlung der Zuschläge für Sonntags-, Feiertags-oder Nachtarbeit für die Zeit ab April 2011 erkannt worden. Es handelt sich also nicht um einen offensichtlichen Fehler, der einem im technischen Dienst tätigen Arbeitnehmer hätte auffallen müssen.

61
In seinen Einkommensteuererklärungen hat der Kläger jeweils die ihm von seinem Arbeitgeber in den elektronisch übermittelten Lohnsteuerbescheinigungen enthaltenen Angaben übernommen, in denen die Zuschläge nach Betriebsvereinbarungen nicht als steuerfreie Bezüge benannt oder ausgewiesen waren.

62
Der Kläger war nicht verpflichtet, seine durchaus komplexen und von zahlreichen Details geprägten Bezügemitteilungen in allen – eventuell auch steuerlich relevanten – Einzelheiten zu kontrollieren. Bei der Abgabe seiner Einkommensteuererklärungen hat er die vom Arbeitgeber übermittelten Daten korrekt übertragen. Der Kläger hat auch keine falschen Angaben in der Anlage N gemacht. Angaben zu steuerfrei gezahlten Zuschlägen für Sonntags-, Feiertags- oder Nachtarbeit werden dort nicht abgefragt. Der Kläger hat keine im Erklärungsformular ausdrücklich gestellten Fragen unbeantwortet gelassen.

63
Er hat nach der Überzeugung des Gerichts die Sorgfalt, zu der er als normaler Arbeitnehmer und Techniker nach seinen persönlichen Kenntnissen und Fähigkeiten verpflichtet und im Stande war, jedenfalls nicht in ungewöhnlichem Maße und auch nicht in nicht entschuldbarer Weise verletzt.

64
Nach der Überzeugung des Gerichts hat der Kläger seine vom Beklagten monierten Bearbeitungsvermerke auf seinen Bezügemitteilungen erst angebracht, nachdem er von seinem Arbeitgeber im Jahr 2015 von der fehlerhaften steuerlichen Behandlung der BV-Zuschläge unterrichtet worden war.

65
2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 137 Abs. 1 Satz 1 FGO. Hiernach können einem Beteiligten die Kosten ganz oder teilweise auch dann auferlegt werden, wenn er obsiegt hat, die Entscheidung aber auf Tatsachen beruht, die er früher hätte geltend machen oder beweisen können und sollen. Dem Kläger sind die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen, da die zutreffende und erläuternde Darstellung des Sachverhalts sowie das Einreichen weiterer Beweismittel erst im Klageverfahren erfolgt ist.