Mit der Entscheidung über elterliche Verantwortung befasstes Gericht ist auch für Entscheidung über Unterhaltspflicht zuständig

Das mit der Entscheidung über die elterliche Verantwortung befasste Gericht ist auch für die Entscheidung über die Unterhaltspflicht eines Elternteils für seine minderjährigen Kinder zuständig. Dies gilt auch dann, wenn über die Ehescheidung oder die Trennung ohne Auflösung des Ehebandes von einem Gericht eines anderen Mitgliedstaats entschieden wird.

Eine Verordnung der Union1 sieht vor, dass für Entscheidungen, die die elterliche Verantwortung betreffen, grundsätzlich die Gerichte des Mitgliedstaats zuständig sind, in dem die Kinder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben. Hingegen kann für Entscheidungen über die Ehescheidung oder die Trennung der Eheleute ohne Auflösung des Ehebandes ein Gericht eines anderen Mitgliedstaats zuständig sein (insbesondere dann, wenn die Eheleute nicht die Staatsangehörigkeit des Staates haben, in dem sie sich mit ihren Kindern aufhalten).

Außerdem sieht eine andere Verordnung der Union2 vor, dass das Gericht, das für ein Verfahren in Bezug auf den Personenstand (z. B. Ehescheidung oder Trennung ohne Auflösung des Ehebandes) zuständig ist, auch für jede Entscheidung in Unterhaltssachen zuständig ist, die zu diesem Verfahren akzessorisch ist; umgekehrt wird über einen Antrag in Bezug auf eine Unterhaltspflicht, der zu einem Verfahren in Bezug auf die elterliche Verantwortung akzessorisch ist, vom für dieses Verfahren zuständigen Gericht entschieden.

A und seine Ehefrau B sowie ihre beiden minderjährigen Kinder sind italienische Staatsangehörige und leben in London (Vereinigtes Königreich), wo die Kinder auch geboren sind. Im Jahr 2012 erhob A in Italien eine Klage gegen B auf Trennung ohne Auflösung des Ehebandes, wobei er beim italienischen Gericht zugleich beantragte, über das Sorgerecht und die Unterhaltsleistungen für die Ehefrau und die Kinder zu entscheiden. Das italienische Gericht erklärte sich für zuständig, über den Antrag auf Trennung ohne Auflösung des Ehebandes zu entscheiden, ging jedoch davon aus, das ausschließlich britische Gerichte zuständig seien, über die Fragen in Bezug auf die elterliche Verantwortung zu entscheiden, da sich die Kinder in London aufhielten.

Hinsichtlich der Unterhaltsleistungen erachtete sich das italienische Gericht als zuständig für die Entscheidung über den Antrag auf Unterhaltsleistung zugunsten von B, weil es sich um eine Frage handle, die zum Verfahren auf Trennung ohne Auflösung des Ehebandes akzessorisch sei. Dagegen entschied es, dass es nicht zuständig sei, über den Antrag auf Unterhaltsleistung für die minderjährigen Kinder zu entscheiden, da dieser Antrag zum Verfahren in Bezug auf die elterliche Verantwortung akzessorisch sei. Für den zuletzt genannten Antrag seien somit die britischen Gerichte zuständig.

Die mit der Rechtssache in letzter Instanz befasste Corte suprema di cassazione (italienischer Kassationsgerichtshof) möchte vom Gerichtshof wissen, welche Gerichte – also italienische oder britische – für die Entscheidung über die Unterhaltspflichten gegenüber den Kindern zuständig sind.

In seinem Urteil vom 16.07.2015 prüft der Gerichtshof, ob der Antrag in Bezug auf die Unterhaltspflicht von A für die Kinder eher mit dem Personenstand (d. h. mit dem Verfahren auf Trennung ohne Auflösung des Ehebandes) oder eher mit der elterlichen Verantwortung zusammenhängt. Das Unionsrecht unterscheidet nämlich die gerichtlichen Verfahren grundsätzlich danach, ob sie die Rechte und Pflichten zwischen den Eheleuten oder aber die Rechte und Pflichten der Eltern gegenüber ihren Kindern betreffen.

Dem Gerichtshof zufolge ist ein Antrag in Bezug auf die Unterhaltspflichten für die minderjährigen Kinder naturgemäß untrennbar mit dem Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung verbunden. Das für Verfahren in Bezug auf die elterliche Verantwortung zuständige Gericht ist nämlich in der besten Position, um im Einzelnen die Probleme des Antrags in Bezug auf eine Unterhaltspflicht zugunsten eines Kindes zu beurteilen: Es kann so den Betrag der Unterhaltspflicht festsetzen und ihn dabei je nach Sorgerecht, Besuchsrecht, dessen Dauer und den anderen Gegebenheiten in Bezug auf die Ausübung der elterlichen Verantwortung anpassen. Eine derartige Lösung entspricht auch dem Wohl des Kindes, das nach dem Unionsrecht eine vorrangige Erwägung sein muss.

Der Gerichtshof kommt demnach zu folgendem Ergebnis: Wenn ein Gericht eines Mitgliedstaats mit einem Verfahren betreffend die Ehescheidung oder die Trennung ohne Auflösung des Ehebandes befasst wird, während ein Gericht eines anderen Mitgliedstaats mit der Frage der elterlichen Verantwortung befasst wird, ist ein Antrag in Bezug auf eine Unterhaltspflicht eines Elternteils für seine minderjährigen Kinder zum Verfahren in Bezug auf die elterliche Verantwortung akzessorisch und daher vom für dieses Verfahren zuständigen Gericht (d. h. im vorliegenden Fall das britische Gericht) zu prüfen.

1 Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 des Rates vom 27. November 2003 über die Zuständigkeit, Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1347/2000 (ABl. L 338, S. 1).

2 Verordnung (EG) Nr. 4/2009 des Rates vom 18. Dezember 2008 über die Zuständigkeit, das anwendbare Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Zusammenarbeit in Unterhaltssachen (ABl. 2009, L 7, S. 1).

Quelle: EuGH, Pressemitteilung vom 16.07.2015 zum Urteil C-184/14 vom 16.07.2015