Erb- und Pflichtteilverzichtsvertrag – Nichtzulassungsbeschwerde gegen Urteil mit Doppelbegründung

BUNDESFINANZHOF Beschluss vom 26.3.2013, VIII B 157/12

Erb- und Pflichtteilverzichtsvertrag – Nichtzulassungsbeschwerde gegen Urteil mit Doppelbegründung

Gründe

1
Die Beschwerde ist unbegründet. Entgegen der Auffassung des Beklagten und Beschwerdeführers (Finanzamt –FA–) hat die Beschwerdebegründung weder eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung aufgeworfen noch deutlich gemacht, dass eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) zur Sicherung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung erforderlich ist.
2
Mit Entscheidungen vom 20. November 2012 VIII R 57/10 (juris) und vom 9. Februar 2010 VIII R 43/06 (BFHE 229, 104, BStBl II 2010, 818) ist höchstrichterlich geklärt, dass der vor Eintritt des Erbfalls erklärte Erb- und/oder Pflichtteilsverzicht ein erbrechtlicher –bürgerlich-rechtlich wie steuerrechtlich unentgeltlicher– Vertrag ist, welcher der Regulierung der Vermögensnachfolge dienen soll und nicht der Einkommensteuer unterliegt. Ob Zahlungen aufgrund eines solchen Vertrages einen Zinsanteil enthalten, ist eine Frage des Einzelfalls und daran zu messen, ob der Zahlung eine Kapitalüberlassung gegen Entgelt i.S. des § 20 Abs. 1 Nr. 7 des Einkommensteuergesetzes (EStG) zugrunde liegt. Das Finanzgericht (FG) hat seine Entscheidung auf der Grundlage der vorzitierten Rechtsprechung getroffen und ist nach Würdigung der Gesamtumstände des Einzelfalls zu dem Schluss gekommen, eine Kapitalüberlassung gegen Entgelt i.S. des § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG sei nicht gegeben. Wenn das FA sich gegen diese Auffassung des FG wendet, erhebt es im Ergebnis Einwendungen gegen die materielle Richtigkeit des angefochtenen Urteils. Ein Revisionszulassungsgrund wird damit nicht dargelegt, denn das prozessuale Rechtsinstitut der Nichtzulassungsbeschwerde dient nicht dazu, allgemein die Richtigkeit finanzgerichtlicher Urteile zu gewährleisten.
3
Auf die ferner mit der Beschwerdeschrift für grundsätzlich bedeutsam erachtete Frage, ob die Ertragsbesteuerung für den Fall zurücktreten muss, dass tatbestandlich ein und derselbe Vorgang sowohl der Einkommensteuer als auch der Schenkungssteuer unterliegt, kommt es daher nicht an. Denn ist das Urteil des FG –wie hier– auf mehrere Begründungen gestützt, von denen jede für sich allein das Entscheidungsergebnis trägt, so muss mit der Beschwerde für jede dieser Begründungen ein Zulassungsgrund i.S. von § 115 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) schlüssig dargelegt werden (ständige Rechtsprechung, vgl. BFH-Beschlüsse vom 5. November 1998 VIII B 18/98, BFH/NV 1999, 513; vom 12. Mai 2000 IV B 74/99, BFH/NV 2000, 1133; vom 16. Juli 2001 V B 44/01, BFH/NV 2001, 1620; Gräber/ Ruban, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 116 Rz 28). Diese Voraussetzungen erfüllt die Beschwerde –wie vorstehend dargelegt– nicht.
4
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.

Wiedereinsetzung – Unverschuldete Unkenntnis des auf dem Umschlag vermerkten Zustelldatums

UNDESFINANZHOF Beschluss vom 19.3.2013, VIII B 199/11

Wiedereinsetzung – Unverschuldete Unkenntnis des auf dem Umschlag vermerkten Zustelldatums

Gründe

1
Die Beschwerde ist begründet. Das Finanzgericht (FG) hat die Klage zu Unrecht wegen Versäumung der Klagefrist als unzulässig abgewiesen. Entgegen der Auffassung des FG war dem Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) Wiedereinsetzung in die Klagefrist zu gewähren. Der darin liegende Verfahrensmangel (Verstoß gegen § 56 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung –FGO–) führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 116 Abs. 6 FGO).
2
1. Weist das FG die Klage zu Unrecht durch Prozessurteil als unzulässig ab, anstatt zur Sache zu entscheiden, liegt nach der Rechtsprechung ein Verfahrensmangel (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO) vor. Das gilt insbesondere, wenn das Gericht deshalb nicht zur Sache entscheidet, weil es zu Unrecht davon ausgeht, dass die Klagefrist versäumt ist (vgl. nur Senatsbeschluss vom 26. Mai 2010 VIII B 228/09, BFH/NV 2010, 2080, m.w.N.). Als Verfahrensmangel kann deshalb auch die fehlerhafte Ablehnung einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Klagefrist gerügt werden (vgl. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 115 Rz 78 a.E.). Über das Vorliegen eines ordnungsgemäß geltend gemachten Verfahrensmangels entscheidet der Bundesfinanzhof (BFH) –auch im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde– grundsätzlich ohne sachliche Einschränkungen in der Sache selbst (vgl. Lange in Hübschmann/ Hepp/Spitaler, § 115 FGO Rz 228; Gräber/Ruban, a.a.O., § 115 Rz 94).
3
2. Der Senat muss nicht entscheiden, ob die Vorentscheidung schon deshalb verfahrensfehlerhaft ergangen ist, weil die Klagefrist im Zeitpunkt der Klageerhebung noch nicht abgelaufen war, denn jedenfalls war dem Kläger die nachgesuchte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Klagefrist zu gewähren.
4
a) Das FG hat ein die Wiedereinsetzung ausschließendes Verschulden des Klägers angenommen. Er hätte dem zugestellten Umschlag entnehmen müssen, dass die Einspruchsentscheidung förmlich zugestellt worden war. Er sei deshalb vorwerfbar zu Unrecht von einer Bekanntgabe durch die Post ausgegangen.
5
b) Das FG hat dabei nicht berücksichtigt, dass die mangelnde Kenntnis von dem auf dem Umschlag handschriftlich eingetragenen Datum der Zustellung (vgl. § 180 Satz 3 der Zivilprozessordnung) selbst dann unverschuldet sein kann, wenn das zuzustellende Schriftstück den Stempelaufdruck „Zugestellt durch Postzustellungsurkunde“ enthält (vgl. BFH-Urteil vom 20. November 2008 III R 66/07, BFHE 223, 317, BStBl II 2009, 185). Der beschließende Senat lässt offen, ob er dieser Rechtsprechung uneingeschränkt folgen kann. Sie muss indes jedenfalls dann gelten, wenn auf dem zuzustellenden Schriftstück ein Hinweis auf die förmliche Zustellung –wie im Streitfall– fehlt und es sich um eine Naturalpartei handelt, die nicht erkannt hat, dass eine förmliche Zustellung vorliegt. Danach ist dem Kläger nicht vorzuwerfen, dass er den Umschlag nicht gesondert zur Kenntnis genommen und deshalb verkannt hat, dass es sich bei der Übersendung um eine förmliche Zustellung handelte. Auf die Frage, ob der Kläger mit einer förmlichen Zustellung durch Einwurf in den Briefkasten überhaupt rechnen musste oder ob er sich ohne Verschulden auf die während seiner, vor langer Zeit als Postzusteller erworbenen, Rechtskenntnisse verlassen durfte, nach denen eine solche Ersatzzustellung noch nicht zulässig war, kommt es nicht an.
6
c) Nach allem durfte der Kläger bei der Berechnung der Klagefrist ohne Verschulden von dem Datum des Bescheids ausgehen und eine übliche Bekanntgabe per Post zugrunde legen. Danach hat er die Klagefrist ohne eigenes Verschulden versäumt, weshalb ihm Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren war, denn auch die weiteren Voraussetzungen für die Wiedereinsetzung liegen vor.

Abrechnung über nicht ausgeführte Lieferung

BUNDESFINANZHOF Beschluss vom 18.2.2013, XI B 117/11

Abrechnung über nicht ausgeführte Lieferung

Tatbestand

1
I. Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin), eine im Inland ansässige GmbH & Co. KG, hat lt. der ihr erteilten Rechnungen im Streitjahr 2002 von der B-GmbH 33 mal jeweils 500 Prozessoren „PT4-E2“ zum Stückpreis von je netto rd. 500 EUR bezogen und nach den Feststellungen des Finanzgerichts (FG) „jedenfalls papiermäßig“ mit einem Aufschlag von 3 % steuerfrei an eine Firma C in Malaysia ohne Umsatzsteuerausweis weiterverkauft. Nach dem vorgelegten Schriftwechsel sollten die Prozessoren dort im medizinischen Bereich bzw. zu medizinischen Zwecken (Operationsanlagen) eingesetzt werden. Die Ware gelangte dabei nicht in die Geschäftsräume der Klägerin, sondern wurde vom Spediteur auf den Auftrag der Klägerin hin direkt bei der B-GmbH abgeholt und an die Firma C versandt.
2
N gab dem Beklagten und Beschwerdegegner (Finanzamt –FA–), gegenüber an, die an die Klägerin gelieferten Prozessoren von einer F-AG bezogen zu haben und zog die in den vorgelegten, aber gefälschten Rechnungen der F-AG ausgewiesene Umsatzsteuer als Vorsteuer ab. Gegen die für die B-GmbH Handelnden wurden Strafverfahren eingeleitet und ergingen zum Teil Strafurteile.
3
Das FA nahm dies und Feststellungen des Finanzamts für Fahndung und Strafsachen zum Anlass, der Klägerin den zunächst im Umsatzsteuerbescheid für 2002 gewährten Vorsteuerabzug aus den Rechnungen der B-GmbH im Änderungsbescheid vom 7. Oktober 2004 zu versagen. In der Einspruchsentscheidung vertrat es die Auffassung, der Klägerin seien zum einen nicht die in den Rechnungen angegebenen hochwertigen Prozessoren geliefert worden, sondern Billigware. Zum anderen hätte ihr auffallen müssen, dass sie in einen Umsatzsteuerbetrug einbezogen worden sei.
4
Die Klägerin machte dagegen geltend, sie habe dies weder bemerkt, noch hätte sie es bemerken können. Ihre Einschaltung sei damit zu erklären, dass die B-GmbH nach deren Angaben nur an Firmen in Deutschland habe verkaufen dürfen. Auch sei sie davon ausgegangen, die Ware dürfe nur in sog. „Reinräumen“ geöffnet werden. Nach den Aussagen eines Mitarbeiters der beauftragten Spedition, der die Ware soweit wie möglich untersucht habe, spreche viel dafür, dass es sich um Prozessoren gehandelt habe. Ihre Abnehmerin habe die bestellten Prozessoren „PT4-E2“ erhalten und abgenommen.
5
Das FG wies die Klage ab. Die Rechnungen der B-GmbH enthielten nicht die erforderliche Leistungsbeschreibung. Selbst wenn man die Abkürzung „PT4-E2“ unter Einbeziehung des zwischen den Geschäftspartnern gewechselten Schriftverkehrs als ausreichend bestimmbare Beschreibung gelten lassen wolle, fehle es an der Identität von bezeichneter und gelieferter Ware. Denn statt der angegebenen hochwertigen Prozessoren seien nur minderwertige, etwa 0,25 EUR teure Elektronikbauteile zwischen Europa und Asien hin und her geschickt worden. Dies stehe zur Überzeugung des Gerichts aufgrund der Feststellungen des Landgerichts … LG in den Urteilen gegen die Angeklagten E, G und H und aufgrund der dort gemachten Geständnisse bzw. Zeugenaussagen fest. Die tatsächlichen Lieferungen hätten aber dem entsprechen müssen, was nach den für einen mit den Gesamtumständen vertrauten objektiven Dritten als Inhalt der in den Rechnungen enthaltenen Leistungsbeschreibungen erscheinen müsse. Danach hätten hochwertige Prozessoren geliefert werden sollen.
6
Soweit die Klägerin bestreite, dass es sich um minderwertige Bauteile gehandelt habe, bleibe ihr Vortrag unsubstantiiert. „Insbesondere“ könne ihr Vortrag, der Mitarbeiter der von ihr beauftragten Spedition habe „die unregelmäßige Oberfläche eines Innenbehälters mit Vertiefungen und feinen Gestängen in grauer Farbe, wie es für Prozessoren üblich sei, erkennen können“, nicht die Feststellungen des LG in Frage stellen, „dass es sich nicht um hochwertige, für den Einsatz in komplexen medizinischen Geräten geeignete Prozessoren gehandelt“ habe.
7
Die Klägerin könne den Vorsteuerabzug zudem auch deshalb nicht beanspruchen, weil sie mit ihren Lieferungen in eine vorgelagerte Umsatzsteuerhinterziehung der B-GmbH einbezogen gewesen sei und dies auch hätte wissen können und deshalb als an der Hinterziehung Beteiligte anzusehen sei, weil ihr das Wissen ihrer Angestellten nach dem Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 19. Mai 2010 XI R 78/07 (BFH/NV 2010, 2132) grundsätzlich zuzurechnen sei.
8
Die Klägerin begehrt die Zulassung der Revision.

Entscheidungsgründe

9
II. Die Beschwerde ist unbegründet.
10
1. Die am 16. Dezember 2011 beim BFH eingegangene Beschwerde gegen das am 24. November 2010 ergangene und am 16. Dezember 2010 zugestellte Urteil ist fristgerecht eingegangen.
11
Das FG hat die Revision ausdrücklich nicht zugelassen, in der Rechtsmittelbelehrung aber darauf hingewiesen, gegen das Urteil stehe die Revision zu.
12
Eine einem FG-Urteil beigefügte Rechtsmittelbelehrung, in der –ohne Hinweis auf die besondere Entscheidung über die Zulassung– von der Zulässigkeit der Revision ausgegangen wird, kann nur als unrichtige Rechtsmittelbelehrung verstanden werden (vgl. BFH-Beschluss vom 24. Januar 2008 XI R 63/06, BFH/NV 2008, 606, unter II.1.a, m.w.N.). Rechtsfolge einer fehlerhaften Rechtsmittelbelehrung ist, dass sich gemäß § 55 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) die Frist für das zulässige Rechtsmittel –hier die Monatsfrist gemäß § 116 Abs. 2 Satz 1 FGO für die Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision– auf ein Jahr verlängert (vgl. BFH-Beschluss in BFH/NV 2008, 606, unter II.4.). Die Beschwerdeschrift ist am 16. Dezember 2011 und damit innerhalb der gemäß § 55 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 FGO auf ein Jahr verlängerten Beschwerdefrist beim BFH eingegangen.
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2. a) Gemäß § 115 Abs. 2 FGO ist die Revision nur zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (Nr. 1), die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des BFH erfordert (Nr. 2) oder ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann (Nr. 3). Nach § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO müssen die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 FGO für die Zulassung der Revision dargelegt werden.
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b) Die Revision ist nicht gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO wegen eines Verfahrensfehlers zuzulassen. Die Rüge der Klägerin, das FG habe den Sachverhalt unter Verletzung seiner Pflicht zur Ermittlung von Amts wegen nach § 76 Abs. 1 Satz 1 FGO unzureichend aufgeklärt und es insbesondere unterlassen, den benannten Zeugen zu vernehmen, ist nicht entsprechend den gesetzlichen Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO begründet worden.
15
aa) Die Klägerin trägt vor, das FG habe es versäumt zu ermitteln, welche Gegenstände überhaupt geliefert worden seien und habe es abgelehnt, den benannten Zeugen zu hören. Dieser hätte bestätigen können, dass es sich tatsächlich um Prozessoren gehandelt habe bzw. Aussagen zur Beschaffenheit und dem Aussehen der gelieferten Gegenstände machen können. Dadurch wären Rückschlüsse darauf möglich gewesen, was die B-GmbH tatsächlich geliefert hat, hochwertige Prozessoren oder minderwertige Elektronikteile.
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bb) Zum einen hätte die vor dem FG sachkundig vertretene Klägerin vortragen müssen, dass der Verstoß in der Vorinstanz gerügt wurde oder weshalb eine derartige Rüge nicht möglich war (vgl. z.B. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 116 Rz 49, m.w.N.; BFH-Beschluss vom 7. August 2007 IV B 139/06, BFH/NV 2008, 57).
17
Denn ein Verfahrensmangel kann nicht mehr mit Erfolg geltend gemacht werden, wenn er eine Verfahrensvorschrift betrifft, auf deren Beachtung die Prozessbeteiligten verzichten können und verzichtet haben (§ 155 FGO i.V.m. § 295 der Zivilprozessordnung –ZPO–). Zu diesen verzichtbaren Mängeln gehört nach der ständigen Rechtsprechung des BFH auch das Übergehen eines Beweisantrags (vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom 15. Juni 2005 X B 180/03, BFH/NV 2005, 1843, m.w.N.; vom 6. Dezember 2010 XI B 27/10, BFH/NV 2011, 645, unter 1.b). Dies gilt jedenfalls dann, wenn der betroffene Beteiligte –wie hier– sachkundig vertreten war. Das Rügerecht geht insoweit nicht nur durch eine ausdrückliche oder konkludente Verzichtserklärung gegenüber dem FG verloren, sondern auch durch das bloße Unterlassen einer rechtzeitigen Rüge; ein Verzichtswille ist dafür nicht erforderlich (vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom 25. Mai 2010 X B 207/09, BFH/NV 2010, 1649; vom 27. Oktober 2011 VI B 79/11, BFH/NV 2012, 235, unter 3.). Der Verfahrensmangel muss in der (nächsten) mündlichen Verhandlung gerügt werden, in der der Rügeberechtigte erschienen ist; verhandelt er zur Sache, ohne den Verfahrensmangel zu rügen, obwohl er den Mangel kannte oder kennen musste, verliert er das Rügerecht (vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 19. Juli 2010 I B 130/09, BFH/NV 2010, 2282; Gräber/Ruban, a.a.O., § 115 Rz 100 ff., m.w.N.).
18
Im Streitfall liegt danach ein Rügeverzicht vor. Es war für die Klägerin bzw. ihren sachkundigen Prozessvertreter in der mündlichen Verhandlung erkennbar, dass das FG den benannten, aber nicht geladenen Zeugen nicht vernehmen werde. Sie hat insoweit weder vorgetragen, dass sie das sich abzeichnende Übergehen der zuvor schriftsätzlich gestellten Beweisanträge gerügt habe oder warum ihr eine solche Rüge ggf. nicht möglich gewesen sein sollte. Nach der Sitzungsniederschrift hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin rügelos zur Sache verhandelt und den Klageantrag gestellt und damit wirksam auf das Rügerecht verzichtet (§ 155 FGO i.V.m. § 295 ZPO).
19
cc) Im Übrigen hat das FG in seinem Urteil die Tatsachen, für die der Zeuge benannt worden ist, zugunsten der Klägerin als wahr unterstellt und konnte daher auf die Einvernahme verzichten (vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom 3. August 2007 V B 73/07, BFH/NV 2007, 2368, m.w.N.; vom 18. Juni 2012 VI B 108/11, BFH/NV 2012, 1612).
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Nach dem Schriftsatz der Klägerin vom 20. Februar 2007 hatte ein Mitarbeiter der Spedition den die Ware umschließenden Behälter aus dem Karton gehoben und versucht, soweit dessen Verpackung in einer Breite von ca. 5 bis 6 cm klarsichtig war, zu erkennen, was sich weiteres in dem Behälter befand. Dabei war –so die Klägerin– „die unregelmäßige Oberfläche eines Innenbehälters mit Vertiefungen und feinen Gestängen in grauer Farbe zu erkennen, wie es für Prozessoren üblich“ sei. Diese in dem Schriftsatz von der Klägerin u.a. durch Vernehmung des Zeugen X unter Beweis gestellte Aussage über die von dem Mitarbeiter gemachten Beobachtungen hat das FG als wahr unterstellt. Es ist zu der Überzeugung gelangt, dass die von dem Mitarbeiter wahrgenommenen Tatsachen nicht die Feststellungen des LG in Frage stellen könnten, dass sich in den betreffenden Behältern keine hochwertigen Prozessoren für medizinische Zwecke befunden hätten. Auch dem Vorbringen der Klägerin ist nicht zu entnehmen, dass der Mitarbeiter festgestellt habe, dass es sich um derartige Prozessoren handele.
21
c) Die Beschwerde ist nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zuzulassen.
22
aa) Wird die Beschwerde –wie im Streitfall– mit der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache begründet, so muss in der Beschwerdebegründung eine bestimmte –abstrakte– klärungsbedürftige und in dem angestrebten Revisionsverfahren auch klärbare Rechtsfrage herausgestellt und –unter Berücksichtigung von Rechtsprechung und Literatur– deren Bedeutung für die Allgemeinheit substantiiert dargetan werden (vgl. z.B. Gräber/Ruban, a.a.O., § 116 Rz 26, 32, m.w.N.). Entsprechendes gilt für den Zulassungsgrund der Rechtsfortbildung (vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 19. November 2007 VIII B 30/07, BFH/NV 2008, 335; Gräber/Ruban, a.a.O., § 116 Rz 38). Kein Klärungsbedarf besteht, wenn eine Rechtsfrage bereits vom BFH geklärt worden ist oder wenn sie sich für den Streitfall aufgrund der vorliegenden Rechtsprechung des BFH ohne weiteres beantworten lässt und nur so entschieden werden kann, wie es das FG getan hat (vgl. z.B. Gräber/Ruban, a.a.O., § 115 Rz 28).
23
bb) Die Klägerin macht geltend, klärungsbedürftig sei die Frage, ob „eine von den Parteien einer Lieferkette gewählte Bezeichnung eines Gegenstandes bereits als Leistungsbeschreibung“ ausreicht, oder ob „weitere Anforderungen an die Identifizierbarkeit des Gegenstandes zu stellen“ sind. Sie ist der Auffassung, es müsse ausreichend sein, dass die an dem Geschäftsvorfall Beteiligten den bezeichneten Gegenstand identifizieren könnten und erkennbar sei, dass es sich um eine Leistung für Zwecke des Unternehmens handele. Alles andere sei eine unangebrachte „Förmelei“. Ob die Leistungsbeschreibung in einer Rechnung eine handelsübliche Bezeichnung des Leistungsgegenstandes enthalten müsse, sei durch die bisherige Rechtsprechung nicht geklärt.
24
cc) Es kann offenbleiben, ob eine Revisionszulassung wegen grundsätzlicher Bedeutung bereits deshalb ausscheidet, weil es sich bei § 14 und § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 des Umsatzsteuergesetzes in der im Streitjahr 2002 geltenden Fassung um ausgelaufenes Recht handelt (vgl. dazu z.B. BFH-Beschluss vom 15. Dezember 2008 V B 82/08, BFH/NV 2009, 797, m.w.N.). Jedenfalls muss nach der ständigen Rechtsprechung des BFH das Abrechnungspapier (Rechnung oder Gutschrift), aus dem der Vorsteuerabzug geltend gemacht wird, Angaben tatsächlicher Art enthalten, welche die Identifizierung der abgerechneten Leistung ermöglichen. Der Aufwand zur Identifizierung der Leistung muss dahingehend begrenzt sein, dass die Rechnungsangaben eine eindeutige und leicht nachprüfbare Feststellung der Leistung ermöglichen, über die abgerechnet worden ist. Was zur Erfüllung dieser Voraussetzungen erforderlich ist, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls (vgl. z.B. BFH-Entscheidungen vom 10. November 1994 V R 45/93, BFHE 176, 472, BStBl II 1995, 395, unter II.2.; vom 18. Mai 2000 V B 178/99, BFH/NV 2000, 1504; vom 29. November 2002 V B 119/02, BFH/NV 2003, 518; vom 16. Dezember 2008 V B 228/07, BFH/NV 2009, 620; vom 6. Juli 2010 XI B 91/09, BFH/NV 2010, 2138, jeweils m.w.N.).
25
Es ist bereits geklärt, dass diesen Anforderungen eine Abrechnung über eine nicht ausgeführte Leistung nicht genügen kann (vgl. BFH-Urteile vom 24. September 1987 V R 50/85, BFHE 153, 65, BStBl II 1988, 688, und V R 125/86, BFHE 153, 77, BStBl II 1988, 694, jeweils unter II.9.a; vom 8. September 1994 V R 70/91, BFHE 175, 463, BStBl II 1995, 32, unter II.2.b).
26
Eine derartige unrichtige, den Vorsteuerabzug ausschließende Leistungsbeschreibung hat der BFH u.a. bei einer Inrechnungstellung von Antriebsmotoren angenommen, während allenfalls die Lieferung von Schrottmotoren in Betracht kam (Fall des BFH-Beschlusses vom 21. Mai 1987 V R 129/78, BFHE 150, 90, BStBl II 1987, 652).
27
Entsprechendes gilt für die im Streitfall erteilten Abrechnungen. Sie enthalten keine Angaben tatsächlicher Art, die eine Identifizierung der von der Klägerin wirklich erbrachten Leistung ermöglichen. Vielmehr weisen sie eine andere Leistung (Lieferung von Prozessoren) aus, die nach den –nicht mit begründeten Verfahrensrügen angegriffenen (s. oben unter II.2.b)– Feststellungen des FG nicht ausgeführt worden sind. Bei den gelieferten elektronischen Bauteilen mit einem Wert von jeweils unter 1 EUR handelte es sich nicht um die in den Rechnungen aufgeführten Prozessoren zum Stückpreis von rd. 500 EUR. Über die tatsächlich gelieferte (minderwertige) Ware ist demnach nicht mit den vorgelegten Rechnungen abgerechnet worden.
28
d) Die Revision ist schließlich nicht gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO wegen einer Divergenz zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zuzulassen.
29
Das FG des Saarlandes hat in dem von der Klägerin genannten Urteil vom 12. Mai 2011  1 K 1304/06 (Entscheidungen der Finanzgerichte 2012, 568) zwar ausgeführt, die Leistungsbeschreibung müsse nicht die „korrekte umsatzsteuerliche Leistungsbeschreibung“ enthalten, aber zugleich betont, der Leistungsinhalt müsse „für die Vertragspartner klar zu identifizieren sein und der tatsächlichen Leistung entsprechen“ (unter I.2.b(2)). Es hat ferner ausgeführt, die Angaben tatsächlicher Art zum Gegenstand der Leistung müssten so richtig und genau sein, dass sie –ggf. ergänzt durch Bezugnahme auf andere Geschäftsunterlagen– eine Identifizierung des Leistungsgegenstandes ermöglichen (unter I.1.b). Dies sei bei einer unrichtigen Leistungsbeschreibung (wie u.a. im Fall des BFH-Beschlusses in BFHE 150, 90, BStBl II 1987, 652) nicht der Fall.
30
Entgegen der Darstellung der Klägerin entspricht dies den Rechtsgrundsätzen, die der Vorentscheidung zugrunde liegen.
31
e) Das FG hat den begehrten Vorsteuerabzug versagt, weil die Rechnungen der B-GmbH zum einen nicht die erforderliche Leistungsbeschreibung enthielten, und zum anderen, weil die Klägerin mit ihren Lieferungen in eine vorgelagerte Umsatzsteuerhinterziehung der B-GmbH einbezogen gewesen sei.
32
Ist das angegriffene Urteil –wie auch die Klägerin zutreffend erkannt hat– kumulativ begründet, so setzt der Erfolg einer Nichtzulassungsbeschwerde voraus, dass gegen beide Begründungen des FG schlüssige und begründete Rügen erhoben werden (vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 21. Juli 2011 IX B 46/11, BFH/NV 2011, 1905). Wie sich aus dem Ausgeführten ergibt, sind die von der Klägerin hinsichtlich der ersten Begründung geltend gemachten Zulassungsgründe nicht begründet. Es kann daher dahingestellt bleiben, ob die in der Beschwerde vorgebrachten Zulassungsgründe bezüglich der zweiten –eigenständigen– Begründung des angefochtenen Urteils ordnungsgemäß dargelegt worden sind und vorliegen (vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom 28. Februar 2008 VIII B 129/07, BFH/NV 2008, 973; vom 4. Oktober 2012 XI B 46/12, BFH/NV 2013, 273).
33
Soweit die Klägerin sich in ihrem nachgereichten Schriftsatz vom 4. Februar 2013 auf die Urteile des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 31. Januar 2013 C-642/11 –Stroy trans– (Der Betrieb 2013, 439) und C-643/11 –LVK– (juris) bezieht, macht sie gleichfalls nur Zulassungsgründe i.S. des § 115 Abs. 2 FGO geltend, die sich gegen die zweite Begründungsvariante des FG betreffend den Vorwurf eines Umsatzsteuerbetrugs richten.

Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung wegen behaupteter Verfassungswidrigkeit

BUNDESFINANZHOF Beschluss vom 26.3.2013, III B 158/12

Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung wegen behaupteter Verfassungswidrigkeit des § 62 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. c, Nr. 3 Buchst. b EStG

Tatbestand

1
I. Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) ist die Mutter von zwei am … November 1992 und … Oktober 1993 geborenen Kindern. Sie ist Staatsangehörige von Serbien-Montenegro und war zunächst im Besitz einer Aufenthaltsbefugnis, wobei ihr eine selbständige Erwerbstätigkeit oder vergleichbare unselbständige Erwerbstätigkeit im Inland nicht gestattet war. Ab dem 12. November 2003 wurde der Klägerin eine unbefristete Arbeitsgenehmigung erteilt. Mit Gültigkeit ab 22. August 2005 erhielt die Klägerin eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG). Mit Schreiben vom 24. März 2006 teilte das zuständige Landratsamt mit, dass die Klägerin Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz erhält und sozialversicherungspflichtig erwerbstätig ist. Zugleich wurde ein Erstattungsanspruch auf das der Klägerin zustehende Kindergeld geltend gemacht.
2
Die Beklagte und Beschwerdegegnerin (Familienkasse) setzte daraufhin ab März 2006 Kindergeld zugunsten der Klägerin fest, wobei sie den Anspruch für die Monate März bis Mai 2006 durch den geltend gemachten Erstattungsanspruch des Landratsamts als erfüllt ansah und das Kindergeld ab Juni 2006 laufend an die Klägerin auszahlte.
3
Auf Anfrage der Familienkasse teilte die Klägerin mit Schreiben vom 12. Dezember 2007 mit, dass sie keiner Beschäftigung nachgehe und Arbeitslosengeld II (ALG II) beziehe. Aus weiteren Nachweisen ergab sich, dass der Klägerin eine ab dem 16. Oktober 2007 gültige Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG erteilt wurde und ein bei einer Zeitarbeitsfirma bestehendes Arbeitsverhältnis zum 10. Mai 2006 gekündigt wurde.
4
Die Familienkasse hob daraufhin mit Bescheid vom 3. Juni 2008 die Kindergeldfestsetzung ab Juni 2006 auf und forderte das für den Zeitraum Juni 2006 bis Dezember 2007 bereits ausbezahlte Kindergeld in Höhe von 5.852 EUR von der Klägerin zurück. Den hiergegen gerichteten Einspruch wies die Familienkasse mit Einspruchsentscheidung vom 31. Juli 2008 als unbegründet zurück.
5
Das Finanzgericht (FG) wies die dagegen gerichtete Klage als unbegründet ab. Zur Begründung verwies es im Wesentlichen darauf, dass die Klägerin die Voraussetzungen des § 62 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. c i.V.m. Nr. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) nicht erfüllt habe, da sie im Streitzeitraum nicht erwerbstätig gewesen sei, sondern ALG II-Leistungen erhalten habe. Ebenso habe sie die Voraussetzungen nach dem Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien über Soziale Sicherheit vom 12. Oktober 1968 (BGBl II 1969, 1438) in der Fassung des Änderungsabkommens vom 30. September 1974 (BGBl II 1975, 390) nicht erfüllt, da sie keine Arbeitnehmerin im Sinne dieses Abkommens gewesen sei.
6
Mit ihrer Beschwerde begehrt die Klägerin die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung –FGO–), zur Fortbildung des Rechts (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 1 FGO) und zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO).

Entscheidungsgründe

7
II. Die Beschwerde ist unzulässig und wird durch Beschluss verworfen (§ 116 Abs. 5 Satz 1 FGO). Die Klägerin hat die geltend gemachten Zulassungsgründe nicht in der durch § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO geforderten Art und Weise dargelegt.
8
1. Die Klägerin hat die grundsätzliche Bedeutung der von ihr herausgestellten Rechtsfrage nicht ordnungsgemäß dargelegt.
9
a) Die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO setzt voraus, dass der Beschwerdeführer eine hinreichend bestimmte Rechtsfrage herausstellt, deren Klärung im Interesse der Allgemeinheit an der Einheitlichkeit der Rechtsprechung und der Fortentwicklung des Rechts erforderlich ist und die im konkreten Streitfall klärbar ist. Dazu ist auszuführen, ob und in welchem Umfang, von welcher Seite und aus welchen Gründen die Rechtsfrage umstritten ist. Vor allem sind, sofern zu dem Problemkreis Rechtsprechung und Äußerungen im Fachschrifttum vorhanden sind, eine grundlegende Auseinandersetzung damit sowie eine Erörterung geboten, warum durch diese Entscheidungen die Rechtsfrage noch nicht als geklärt anzusehen ist bzw. weshalb sie ggf. einer weiteren oder erneuten Klärung bedarf (z.B. Senatsbeschluss vom 22. Oktober 2003 III B 14/03, BFH/NV 2004, 224). Macht ein Beschwerdeführer mit der Nichtzulassungsbeschwerde verfassungsrechtliche Bedenken gegen eine gesetzliche Regelung geltend, so ist darüber hinaus eine substantiierte, an den Vorgaben des Grundgesetzes (GG) und der einschlägigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) und des Bundesfinanzhofs (BFH) orientierte Auseinandersetzung mit der Problematik erforderlich (vgl. Senatsbeschluss vom 4. Oktober 2010 III B 82/10, BFH/NV 2011, 38, m.w.N.).
10
b) Soweit die Klägerin die Rechtsfrage für grundsätzlich bedeutsam erachtet, ob die Regelungen in § 62 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. c sowie Nr. 3 EStG verfassungsgemäß seien, entspricht die Rüge nicht den o.g. Darlegungserfordernissen.
11
aa) Die Klägerin legt dar, durch die Regelung des § 62 Abs. 2 EStG würden nicht freizügigkeitsberechtigte Ausländer, die lediglich im Besitz eines Aufenthaltstitels nach § 62 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. c EStG sind, sowie langjährig geduldete Ausländer ohne sachliche Rechtfertigung schlechter gestellt werden als Deutsche und Ausländer mit hinreichendem Aufenthaltstitel. Ferner verstoße es gegen den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG), dass eine Kindergeldberechtigung im Falle eines gestatteten oder geduldeten Aufenthalts aus humanitären Gründen von über drei Jahren zwar beim Bezug von Leistungen nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch (SGB III), nicht hingegen beim Bezug von Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) entstehen könne.
12
bb) Dieser Vortrag enthält keine den Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO genügende Auseinandersetzung mit der einschlägigen Rechtsprechung des BVerfG und des beschließenden Senats.
13
Soweit die Klägerin der Auffassung ist, es sei bereits nicht sachlich gerechtfertigt, Ausländer mit Aufenthaltstiteln der in § 62 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. c EStG genannten Art oder langjährig geduldete Ausländer anders zu behandeln als Deutsche und Ausländer mit hinreichendem Aufenthaltstitel, setzt sie sich zum einen bereits nicht mit dem Umstand auseinander, dass das BVerfG im Beschluss vom 6. Juli 2004  1 BvL 4/97 (BVerfGE 111, 160) das gesetzgeberische Ziel, Kindergeld nur solchen Ausländern zu gewähren, von denen zu erwarten sei, dass sie auf Dauer in Deutschland bleiben, als solches nicht beanstandet hat. Vielmehr hielt es die frühere Regelung des § 1 Abs. 3 Satz 1 des Bundeskindergeldgesetzes nur für nicht geeignet, dieses Ziel zu erreichen. Zum anderen geht die Klägerin auch nicht auf die Rechtsprechung des beschließenden Senats (z.B. Senatsurteil vom 22. November 2007 III R 54/02, BFHE 220, 45, BStBl II 2009, 913; Senatsbeschluss vom 14. Mai 2008 III S 22/08, BFH/NV 2008, 1330) ein, wonach bei der anzustellenden Prognose über die Dauer des Aufenthalts zunächst erwartet werden kann, dass sich ein Ausländer, dessen Aufenthalt lediglich geduldet ist, rechtstreu verhält und wieder ausreist oder dass ein Ausländer, der wegen eines Krieges in seinem Heimatland eine Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Abs. 1 AufenthG oder eine Erlaubnis nach §§ 23a, 24, 25 Abs. 3 bis 5 AufenthG erhalten hat, nach Wegfall der Gründe, die einer Rückkehr in sein Herkunftsland entgegenstanden, wieder heimkehrt.
14
Soweit die Klägerin meint, § 62 Abs. 2 Nr. 3 Buchst. b EStG differenziere in verfassungswidriger Weise zwischen einem Bezug von Sozialleistungen nach dem SGB III und solchen nach dem SGB II, setzt sie sich nicht hinreichend mit der Senatsrechtsprechung auseinander, wonach der Gesetzgeber verfassungskonform und im Rahmen des ihm zustehenden Gestaltungsspielraums handelte, als er typisierend gemäß § 62 Abs. 2 Nr. 3 EStG einen Daueraufenthalt erst bei einem mindestens dreijährigen Aufenthalt im Bundesgebiet und bei Integration in den Arbeitsmarkt unterstellte (z.B. Senatsurteil in BFHE 220, 45, BStBl II 2009, 913).
15
Eine Auseinandersetzung mit der Senatsrechtsprechung zur Verfassungsmäßigkeit des § 62 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. c i.V.m. Nr. 3 EStG war auch nicht deshalb entbehrlich, weil das BVerfG mit dem auf mehrere Vorlagen des Bundessozialgerichts –BSG– (z.B. Vorlagebeschlüsse des BSG vom 3. Dezember 2009 B 10 EG 5/08 R, B 10 EG 6/08 R sowie B 10 EG 7/08 R, jeweils juris) ergangenen Beschluss vom 10. Juli 2012  1 BvL 2-4/10, 3/11 (BGBl I 2012, 1898) den mit § 62 Abs. 2 Nr. 3 Buchst. b EStG wortgleichen § 1 Abs. 6 Nr. 3 Buchst. b des Gesetzes zum Erziehungsgeld und zur Elternzeit (BErzGG) wegen Verstoßes gegen Art. 3 Abs. 1 GG für nichtig erklärt hat. Denn insoweit wäre jedenfalls eine Auseinandersetzung mit der Senatsrechtsprechung erforderlich gewesen, wonach die vom BSG vorgebrachten verfassungsrechtlichen Bedenken bei Gewährung des steuerrechtlichen Kindergeldes nicht zum Tragen kommen, weil das Kindergeld, anders als das Erziehungsgeld (s. § 8 Abs. 1 Satz 1 BErzGG), als Einkommen auf die Sozialleistungen angerechnet (z.B. § 11 Abs. 1 Satz 3 SGB II in der im Streitzeitraum geltenden Fassung) oder an den Sozialleistungsträger erstattet (s. § 74 Abs. 2 EStG) oder an diesen abgezweigt (§ 74 Abs. 1 Satz 4 EStG) wird (vgl. Senatsbeschluss vom 9. November 2012 III B 138/11, BFH/NV 2013, 372). Danach brächte eine Ausweitung der Kindergeldberechtigung nicht freizügigkeitsberechtigter Ausländer, die ihren Unterhalt mit Sozialleistungen nach dem SGB II bestreiten, für diese in der Regel keine finanziellen Vorteile (Senatsurteil vom 7. April 2011 III R 72/09, BFH/NV 2011, 1134, m.w.N.).
16
2. Aus den gleichen Gründen scheidet eine Zulassung der Revision zur Fortbildung des Rechts (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 1 FGO) aus. Dieser Zulassungsgrund stellt einen Spezialfall der grundsätzlichen Bedeutung i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO dar und setzt daher ebenfalls die Darlegung einer klärungsbedürftigen und klärbaren Rechtsfrage voraus (Senatsbeschluss vom 30. Januar 2012 III B 153/11, BFH/NV 2012, 705, m.w.N.).
17
3. Eine Revisionszulassung kommt schließlich auch nicht zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO) in Betracht.
18
Macht der Beschwerdeführer geltend, die Revision sei zuzulassen, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des BFH erfordere, so muss er in der Beschwerdebegründung substantiiert aufzeigen, inwieweit über eine entscheidungserhebliche Rechtsfrage unterschiedliche Auffassungen bei den Gerichten bestehen oder welche sonstigen vergleichbaren Gründe eine höchstrichterliche Entscheidung gebieten (vgl. z.B. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 116 Rz 40 ff.).
19
Die Beschwerdebegründung legt indessen weder dar, inwieweit die angegriffene Entscheidung des FG von der Entscheidung eines anderen Gerichts abweicht, noch macht sie die Voraussetzungen eines sonstigen nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO die Revisionszulassung rechtfertigenden Grundes geltend.
20
4. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat gemäß § 116 Abs. 5 Satz 2 FGO ab.

Nachweis der Mittellosigkeit im Prozesskostenhilfe-Verfahren

BUNDESFINANZHOF Beschluss vom 10.4.2013, X S 5/13 (PKH)

Nachweis der Mittellosigkeit im PKH-Verfahren

Tatbestand

1
I. Der Antragsteller hat Entschädigungsklage beim Bundesfinanzhof (BFH) erhoben und mit Schriftsatz vom 12. Februar 2013 einen Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) gestellt. Mit Schreiben vom 18. Februar 2013 ist er um Vorlage der Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse unter Verwendung des beigefügten amtlichen Vordrucks bis zum 15. März 2013 gebeten worden. Diese Vorlage erfolgte nicht. Mit Schreiben vom 26. März 2013 beantragte der Antragsteller die Bewilligung von PKH auch nach Art. 47 Abs. 3 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (EUGrdRCh).

Entscheidungsgründe

2
II. Der Antrag auf Gewährung von PKH wird abgelehnt, weil der Antragsteller die Erklärung über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nicht eingereicht hat.
3
1. Nach § 142 der Finanzgerichtsordnung (FGO) i.V.m. § 114 Satz 1 der Zivilprozessordnung (ZPO) erhält eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag PKH, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Dem beim Prozessgericht zu stellenden Antrag nach § 117 Abs. 1 Satz 1 ZPO sind nach § 117 Abs. 2 Satz 1 ZPO eine Erklärung der Partei über ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse sowie entsprechende Belege beizufügen. Hierbei hat der Antragsteller die dafür eingeführten amtlichen Vordrucke zu benutzen (§ 117 Abs. 4 ZPO).
4
Wird vom Antragsteller keine Erklärung über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse eingereicht, ist die Gewährung von PKH abzulehnen, da der Nachweis über die Mittellosigkeit nicht erbracht worden ist (vgl. BFH-Beschluss vom 6. Juli 2012 V S 8/12 (PKH), BFH/NV 2012, 1630).
5
2. Da die Gewährung von PKH nach Art. 47 Abs. 3 EUGrdRCh ebenfalls verlangt, dass der Antragsteller „nicht über ausreichende Mittel“ verfügt, ist auch insoweit der Antrag auf Bewilligung von PKH mangels Nachweis der Mittellosigkeit abzulehnen.
6
3. Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei (§ 142 FGO i.V.m. § 118 Abs. 1 Sätze 4 und 5 ZPO, § 1 Abs. 2 Nr. 2 i.V.m. § 3 Abs. 2 des Gerichtskostengesetzes und des Kostenverzeichnisses der Anlage 1).

Prozesskostenhilfe für eine Nichtzulassungsbeschwerde

BUNDESFINANZHOF Beschluss vom 19.3.2013, III S 9/12 (PKH)

Prozesskostenhilfe für eine Nichtzulassungsbeschwerde

Tatbestand

1
I. Die Klägerin, Beschwerdeführerin und Antragstellerin (Klägerin) unterhielt in den Streitjahren 2006 bis 2008 eine Gaststätte. Umstritten ist, ob die Klägerin diese Gaststätte –im Wege einer Personengesellschaft– zusammen mit ihrem damaligen Lebensgefährten, dem Zeugen K, betrieb. Sie ermittelte den Gewinn nach § 4 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes in der für die Streitjahre maßgeblichen Fassung (EStG). Im Jahr 2010 fand bei der Klägerin für die Streitjahre eine Außenprüfung statt. Der Prüfer stellte fest, dass Aufzeichnungspflichten verletzt worden seien. Es kam u.a. in allen Streitjahren zur Zuschätzung von Betriebseinnahmen.
2
Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt –FA–) erließ daraufhin gegenüber der Klägerin geänderte Bescheide über die Einkommensteuer für 2006 bis 2008, die Umsatzsteuer für 2006 bis 2008 und den Gewerbesteuermessbetrag für 2007 und 2008. Die Einsprüche waren zum Teil erfolgreich. Das FA verringerte in allen Streitjahren die erfolgten Zuschätzungen.
3
Das Finanzgericht (FG) wies die hiergegen erhobene Klage ab. Zur Begründung führte es im Wesentlichen aus, die Zuschätzung der Betriebseinnahmen sei weder dem Grunde noch der Höhe nach zu beanstanden. Die angegriffenen Steuerbescheide erwiesen sich auch im Übrigen als rechtmäßig. Schließlich könne der Behauptung der Klägerin, sie habe die Gaststätte im Rahmen einer Mitunternehmerschaft mit dem Zeugen K geführt, nicht gefolgt werden. Ein konkludent abgeschlossener Gesellschaftsvertrag liege nicht vor.
4
Hiergegen legte die Klägerin, vertreten durch ihren bereits im erstinstanzlichen Verfahren tätigen Prozessbevollmächtigten, Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision (Az.: III B 92/12) ein. Zugleich beantragte sie, ihr für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe (PKH) zu bewilligen und ihr ihren Prozessbevollmächtigten als Vertreter beizuordnen. Eine Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse wurde nachgereicht.

Entscheidungsgründe

5
II. Der Antrag auf Bewilligung von PKH ist abzulehnen, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 142 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung –FGO– i.V.m. § 114 der Zivilprozessordnung –ZPO–).
6
1. Eine beabsichtigte Rechtsverfolgung bietet hinreichende Aussicht auf Erfolg, wenn das Gericht den Rechtsstandpunkt des Antragstellers aufgrund dessen Sachdarstellung und der vorhandenen Unterlagen für zutreffend oder zumindest für vertretbar hält, in tatsächlicher Hinsicht von der Möglichkeit der Beweisführung überzeugt ist und deshalb bei summarischer Prüfung für einen Eintritt des angestrebten Erfolges eine gewisse Wahrscheinlichkeit besteht. Ist, wie im Streitfall, das Ziel der Rechtsverfolgung die Zulassung der Revision gegen ein finanzgerichtliches Urteil und hat der Beteiligte bereits durch eine vor dem Bundesfinanzhof (BFH) zur Vertretung berechtigte Person als Bevollmächtigten fristgerecht Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt und diese auch fristgerecht begründet, erstreckt sich die gebotene summarische Prüfung der Erfolgsaussichten durch den BFH darauf, ob in der Beschwerde(begründungs-)schrift ein Grund für die Zulassung der Revision i.S. des § 115 Abs. 2 FGO ordnungsgemäß dargelegt ist (BFH-Beschlüsse vom 1. April 2003 VII S 25/02 (PKH), BFH/NV 2003, 1077; vom 10. März 2005 X S 7/04 (PKH), juris).
7
2. Hieran fehlt es im Streitfall. Die Klägerin hat die von ihr gerügten Verfahrensmängel (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO) bei summarischer Prüfung nicht in einer den Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO genügenden Form dargelegt.
8
a) Soweit die Klägerin als Verfahrensmangel einen Verstoß des FG gegen seine Sachaufklärungspflicht (§ 76 Abs. 1 Satz 1 FGO) rügt, weil es nicht von Amts wegen ermittelt habe, ob ein Gesellschaftsvertrag konkludent abgeschlossen worden sei, ist dieser Verfahrensmangel nicht ordnungsgemäß bezeichnet.
9
aa) Hierzu wäre unter anderem aufzuzeigen gewesen, aus welchen Gründen sich dem FG unter Zugrundelegung seines Rechtsstandpunkts eine weitere Sachaufklärung oder Beweiserhebung auch ohne einen entsprechenden Antrag der durch einen Rechtsanwalt vertretenen Klägerin hätte aufdrängen müssen, welche entscheidungserheblichen Tatsachen sich bei einer weiteren Sachaufklärung oder Beweiserhebung voraussichtlich ergeben hätten und inwiefern eine weitere Aufklärung des Sachverhalts auf der Grundlage des materiell-rechtlichen Standpunkts des FG zu einer anderen Entscheidung hätte führen können (z.B. BFH-Urteil vom 14. März 2007 XI R 59/04, BFH/NV 2007, 1838, m.w.N.).
10
bb) Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdebegründung nicht. Die Klägerin führt zwar aus, dass es aufgrund der in der mündlichen Verhandlung erfolgten Zeugenaussage des K, wonach er (K) alles gemacht habe, was der Betrieb einer Gaststätte mit sich bringe (z.B. Wareneinkauf, Kontakt mit dem Buchführungshelfer), nahegelegen hätte, die Frage eines konkludent abgeschlossenen Gesellschaftsvertrages weiter zu prüfen. Sie hat jedoch nicht vorgetragen, welche konkreten entscheidungserheblichen Tatsachen sich bei einer weiteren Aufklärung des Sachverhalts voraussichtlich ergeben hätten. Eine Person, die Mitunternehmer ist, erfüllt zwar regelmäßig auch die Voraussetzungen für die Annahme eines Gesellschaftsverhältnisses (BFH-Urteil vom 13. Juli 1993 VIII R 50/92, BFHE 173, 28, BStBl II 1994, 282). Mitunternehmer i.S. des § 15 EStG ist aber nur, wer Mitunternehmerinitiative entfalten kann und Mitunternehmerrisiko trägt. Auch wenn beide Merkmale im Einzelfall mehr oder weniger stark ausgeprägt sein können, müssen doch beide vorliegen. Ob dies zutrifft, ist unter Berücksichtigung aller die rechtliche und wirtschaftliche Stellung einer Person insgesamt bestimmenden Umstände zu würdigen (BFH-Urteil vom 17. Mai 2006 VIII R 21/04, BFH/NV 2006, 1839). Danach hätte die Klägerin konkrete weitere Tatsachen benennen müssen, aus deren Vorliegen auf das Vorhandensein der genannten Merkmale, insbesondere eines von K getragenen Mitunternehmerrisikos, hätte geschlossen werden können. Dies ist nicht geschehen.
11
Daneben fehlt jeglicher Vortrag dazu, dass die nicht aufgeklärten Tatsachen auf der Grundlage der materiell-rechtlichen Auffassung des FG für die Ablehnung der Mitunternehmerschaft entscheidungserheblich waren.
12
b) Soweit die Klägerin behauptet, das FG habe ihren Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes, § 96 Abs. 2 FGO) dadurch verletzt, dass es in der mündlichen Verhandlung nach erfolgter Beweisaufnahme die Frage, ob ein Gesellschaftsvertrag konkludent abgeschlossen worden sei, nicht erörtert habe, ist auch diese Verfahrensrüge nicht ordnungsgemäß erhoben.
13
aa) Wird die Gehörsverletzung, wie im Streitfall, mit einer im Rahmen der mündlichen Verhandlung unterlassenen Erörterung (§ 93 Abs. 1 FGO) begründet, gehört zur ordnungsgemäßen Rüge der Vortrag, dass die Verletzung entscheidungserhebliche Umstände betraf, die ihrerseits erörterungsbedürftig waren (Lange in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 96 FGO Rz 299). Zusätzlich ist regelmäßig darzulegen, dass der Verstoß in der Vorinstanz gerügt worden oder dass und weshalb dem Beteiligten eine derartige Rüge vor dem FG nicht möglich gewesen ist. Anderenfalls geht das Rügerecht nach § 155 FGO i.V.m. § 295 ZPO verloren (z.B. BFH-Beschluss vom 26. Januar 1994 II B 29/93, BFH/NV 1994, 730).
14
bb) Hieran fehlt es in der Beschwerdebegründung. Die Klägerin hat schon nicht dargelegt, dass das Vorliegen eines konkludent abgeschlossenen Gesellschaftsvertrages nach der Zeugeneinvernahme des K noch erörterungsbedürftig gewesen ist. Ebenso führt sie nicht aus, dass sie die aus ihrer Sicht in diesem Punkt fehlende Erörterung in der Vorinstanz gerügt hat oder dass und weshalb ihr eine derartige Rüge vor dem FG nicht möglich gewesen ist. Insbesondere ist nicht vorgetragen, dass die Klägerin von der Würdigung des FG, wonach im Streitfall keine Mitunternehmerschaft vorgelegen habe, durch die Ausführungen im Urteil überrascht worden ist.
15
3. Die Entscheidung ergeht gebührenfrei.

Voraussetzungen für die Darlegung von Verfahrensmängeln – rechtliches Gehör – Überraschungsentscheidung

BUNDESFINANZHOF Beschluss vom 25.3.2013, IX B 180/12

Voraussetzungen für die Darlegung von Verfahrensmängeln – rechtliches Gehör – Überraschungsentscheidung

Gründe

1
Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision gemäß § 115 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) liegen nicht vor.
2
1. So kann die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) mit ihrer Rüge, das Finanzgericht (FG) habe seine Sachaufklärungspflicht verletzt und angebotene Beweise zu Unrecht nicht erhoben, schon deshalb nicht gehört werden, weil die insoweit einschlägige Norm des § 76 Abs. 1 Satz 1 FGO eine Verfahrensvorschrift ist, auf deren Einhaltung die Prozessbeteiligten –ausdrücklich oder durch Unterlassen einer Rüge– verzichten können (§ 155 FGO i.V.m. § 295 der Zivilprozessordnung –ZPO–). Aus dem insoweit maßgeblichen Sitzungsprotokoll (vgl. § 94 FGO i.V.m. § 160 Abs. 4, § 164 ZPO) ergibt sich nicht, dass das Übergehen von Beweisanträgen gerügt worden ist, obwohl das Gericht darauf hingewiesen hat, dass es „beabsichtige, sein Urteil ohne weiteren Termin zu fällen“; vielmehr hat die Klägerin lediglich weiteren Sachvortrag angekündigt. Die Klägerin hat auch nicht vorgetragen, dass in der mündlichen Verhandlung vor dem FG die Protokollierung einer entsprechenden Rüge verlangt und –im Falle der Weigerung des Gerichts, die Protokollierung vorzunehmen– eine Protokollberichtigung beantragt worden ist (vgl. Beschluss des Bundesfinanzhofs –BFH– vom 9. November 1999 II B 14/99, BFH/NV 2000, 582, m.w.N.). Unbeschadet davon lässt die Beschwerdebegründung nicht erkennen, weshalb sich dem FG auf der Grundlage seines materiell-rechtlichen Standpunktes eine weitere Sachverhaltsaufklärung auch ohne entsprechende Beweisanträge hätte aufdrängen müssen (vgl. BFH-Beschluss vom 28. Juli 2004 IX B 136/03, BFH/NV 2005, 43, m.w.N.).
3
2. Die Klägerin macht auch zu Unrecht geltend, das FG habe eine Überraschungsentscheidung erlassen und dadurch ihren Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes, § 96 Abs. 2 FGO und § 76 Abs. 2 FGO). Eine solche Überraschungsentscheidung liegt vor, wenn das FG sein Urteil auf einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt stützt und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gibt, mit der auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter selbst unter Berücksichtigung der Vielzahl vertretbarer Auffassungen nach dem bisherigen Verlauf der Verhandlung nicht rechnen musste (BFH-Beschluss vom 2. April 2002 X B 56/01, BFH/NV 2002, 947). Danach liegt im Streitfall keine Überraschungsentscheidung vor; denn die Frage des fehlenden Nachweises der Einkünfteerzielungsabsicht hinsichtlich des Objekts X ist vom FG nicht erst mit dem Endurteil in das Verfahren eingebracht worden, sondern war zum einen schon Gegenstand der gerichtlichen Verfügung vom 3. Januar 2011, mit der das Gericht die Klägerin gemäß § 79b Abs. 2 FGO aufgefordert hat, „die Vermietungsabsicht glaubhaft zu machen“ und wurde zum anderen ausführlich in der mündlichen Verhandlung thematisiert.

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei Versäumung der Revisionsbegründungsfrist

BUNDESFINANZHOF Beschluss vom 3.4.2013, V R 24/12

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei Versäumung der Revisionsbegründungsfrist

Tatbestand

1
I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) wendet sich mit der Revision gegen das klageabweisende Urteil des Finanzgerichts (FG) vom 9. August 2012 5 K 5226/10, das der Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 21. August 2012 zugestellt worden ist.
2
Mit Schreiben vom 30. Oktober 2012, zugestellt am 5. November 2012, wies die Geschäftsstelle des erkennenden Senats darauf hin, dass die Revisionsbegründungsfrist am 22. Oktober 2012 abgelaufen sei, eine Begründung der Revision bisher aber nicht vorliege.
3
In der am 15. November 2012 eingegangenen Revisionsbegründung beantragte die Klägerin Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 56 der Finanzgerichtsordnung (FGO). Die Revisionsbegründungsfrist sei aufgrund eines von der Klägerin nicht zu vertretenen Büroversehens versäumt worden. Der für die Wahrung der Fristen zuständige Mitarbeiter S, ein ausgebildeter Steuerfachangestellter, habe bei Eingang des Urteils des FG nur die Frist für die Revisionseinlegung, nicht aber für die Revisionsbegründung in das Fristenkontrollbuch eingetragen. S sei ausführlich über die einzutragenden Fristen belehrt worden und erledige diese Aufgabe üblicherweise auch sehr gewissenhaft. Zudem erfolge eine Kontrolle der Fristen bei Bearbeitung durch den Sachbearbeiter. Darüber hinaus prüfe die Prozessbevollmächtigte in regelmäßigen Abständen das Fristenkontrollbuch hinsichtlich der dort getätigten Eintragungen, nicht aber hinsichtlich der nicht getätigten Eintragungen.
4
Zur Glaubhaftmachung des Vortrages hat die Prozessbevollmächtigte die Ablichtung einer Seite ihres Postausgangsbuchs und die eidesstattliche Versicherung des S, mehrfach über die Berechnung und Bedeutung der Fristen belehrt worden zu sein, vorgelegt.
5
Die Klägerin beantragt sinngemäß,

unter Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinsichtlich der Revisionsbegründungsfrist das Urteil des FG aufzuheben und den angefochtenen Umsatzsteuerbescheid für 2007 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 26. August 2011 zu ändern.

6
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt) beantragt,

die Revision als unzulässig zu verwerfen, hilfsweise, als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

7
II. Die Revision ist unzulässig und deshalb durch Beschluss zu verwerfen (§§ 124 Abs. 1 Satz 2, 126 Abs. 1 FGO).
8
1. Nach § 120 Abs. 2 Satz 1 FGO ist die Revision innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils zu begründen. Im Streitfall ist diese Frist nach § 54 FGO i.V.m. § 222 Abs. 1 und 2 der Zivilprozessordnung (ZPO) sowie §§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) am Montag, dem 22. Oktober 2012, abgelaufen. Die erst am 15. November 2012 beim Bundesfinanzhof (BFH) eingegangene Revisionsbegründung der Klägerin war mithin verspätet, da die Revisionsbegründungsfrist nicht verlängert worden war (§ 120 Abs. 2 Satz 3 FGO).
9
2. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Beschwerdebegründungsfrist ist der Klägerin nicht zu gewähren.
10
a) Nach § 56 Abs. 1 FGO ist auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten. Dies setzt in formeller Hinsicht voraus, dass innerhalb einer Frist von einem Monat nach Wegfall des Hindernisses (§ 56 Abs. 2 Satz 2 FGO) die versäumte Rechtshandlung nachgeholt und diejenigen Tatsachen vorgetragen und im Verfahren über den Antrag glaubhaft gemacht werden, aus denen sich die schuldlose Verhinderung ergeben soll. Die Tatsachen, die eine Wiedereinsetzung rechtfertigen können, sind innerhalb dieser Frist vollständig, substantiiert und in sich schlüssig darzulegen (ständige Rechtsprechung, z.B. BFH-Beschlüsse vom 8. Juli 2011 III B 7/10, BFH/NV 2011, 1895, und vom 8. Februar 2008 X B 95/07, BFH/NV 2008, 969). Hiernach schließt jedes Verschulden –also auch einfache Fahrlässigkeit– die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aus. Der Beteiligte muss sich ein Verschulden seines Prozessbevollmächtigten zurechnen lassen (§ 155 FGO i.V.m. § 85 Abs. 2 ZPO).
11
b) Im Streitfall scheitert die Wiedereinsetzung daran, dass die Prozessbevollmächtigte die vorgetragenen Wiedereinsetzungsgründe nicht hinreichend dargelegt und glaubhaft gemacht hat.
12
aa) Wenn –wie im Streitfall– Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen eines entschuldbaren Büroversehens begehrt wird, muss spätestens innerhalb von einem Monat nach dem Wegfall des Hindernisses substantiiert und in sich schlüssig vorgetragen werden, wie die Fristen im Büro des Prozessbevollmächtigten überwacht werden, wer für den rechtzeitigen Versand der fristwahrenden Schriftsätze verantwortlich war und weshalb diese Person kein Verschulden an der Versäumung der Frist trifft. Es ist insbesondere darzulegen, dass kein Organisationsfehler vorliegt, d.h. dass der Prozessbevollmächtigte alle Vorkehrungen getroffen hat, die geeignet sind, die Nichtbeachtung von Fristen auszuschließen, und dass er durch regelmäßige Belehrung und Überwachung seiner Bürokräfte für die Einhaltung seiner Anordnungen Sorge getragen hat (BFH-Beschluss in BFH/NV 2008, 969, m.w.N.). Dabei ist zu beachten, dass die Revisionsbegründungsfrist nicht zu den üblichen, häufig vorkommenden und einfach zu berechnenden Fristen gehört (BFH-Beschluss in BFH/NV 2008, 969, m.w.N.). Der Prozessbevollmächtigte ist daher bei der Prüfung und Überwachung des Personals zu besonderer Sorgfalt verpflichtet (BFH-Beschlüsse in BFH/NV 2008, 969, und vom 29. Oktober 1999 VI R 36/99, BFH/NV 2000, 470; BFH-Zwischenurteil vom 14. März 2000 IX R 57/99, BFH/NV 2000, 1210).
13
bb) Der Vortrag der Prozessbevollmächtigten der Klägerin genügt nicht den genannten Anforderungen zur Feststellung der ordnungsgemäßen Überwachung der Einhaltung der Revisionsbegründungsfrist. Insoweit fehlt die Darstellung, ob und gegebenenfalls in welcher Form eine Überwachung des Personals im Hinblick auf die gesonderte Eintragung der Revisionsbegründungsfristen durch die Prozessbevollmächtigte erfolgte. Die Prozessbevollmächtigte trägt vielmehr vor, dass sie selbst in regelmäßigen Abständen das Fristenkontrollbuch zwar hinsichtlich der dort getätigten Eintragungen prüfe, nicht jedoch hinsichtlich der nicht getätigten Eintragungen. Eine Überwachung der Eintragung der Revisionsbegründungsfristen wird hierdurch nicht gewährleistet. Zu den besonderen Sorgfaltspflichten der Prozessbevollmächtigten gehört es auch, z.B. durch eine –stichprobenhafte– Kontrolle im Rahmen der Bearbeitung der Schriftsätze, mit denen die Revision eingelegt wird, zu prüfen, ob Revisionsbegründungsfristen eingetragen worden sind.
14
Dem Senat ist es daher aus diesem Grunde nicht möglich, das Fehlen eines Organisationsmangels bei der Einhaltung der Revisionsbegründungsfrist festzustellen.
15
cc) Soweit die Prozessbevollmächtigte im Schriftsatz vom 31. Januar 2013 vorträgt, sie habe S am 24. August 2012 explizit angewiesen, die Fristen in das Fristenkontrollbuch einzutragen, ist dieser Vortrag verspätet. Die mit Zustellung des Schreibens der Geschäftsstelle am 5. November 2012 in Gang gesetzte Wiedereinsetzungsfrist war zu diesem Zeitpunkt gemäß § 54 FGO i.V.m. § 222 Abs. 1 und 2 ZPO sowie §§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 BGB bereits abgelaufen. Darüber hinaus fehlt eine Glaubhaftmachung dieses Sachverhalts z.B. durch eine eidesstattliche Versicherung des Angestellten S (vgl. z.B. vom 18. Januar 2007 III R 65/05, BFH/NV 2007, 945).

Abgabe der eidesstattlichen Versicherung während des Klageverfahrens

BUNDESFINANZHOF Beschluss vom 15.3.2013, VII B 201/12

Abgabe der eidesstattlichen Versicherung während des Klageverfahrens

Tatbestand

1
I. Gegen die Aufforderung des Beklagten und Beschwerdegegners (Hauptzollamt –HZA–) zur Vorlage eines Vermögensverzeichnisses und zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung hatte die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) nach vergeblichem Einspruchsverfahren Klage erhoben. Während des finanzgerichtlichen Verfahrens gab sie die eidesstattliche Versicherung in einem anderen Zusammenhang bei einem Amtsgericht (AG) ab.
2
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab. Es sah die Voraussetzungen des § 284 der Abgabenordnung (AO) als gegeben an. Auch die Abgabe der eidesstattlichen Versicherung vor dem AG während des Klageverfahrens ändere nichts an der Rechtmäßigkeit der Aufforderung des HZA. § 284 Abs. 4 Satz 1 AO habe ihr nicht entgegengestanden, da die Klägerin in den letzten drei Jahren vor Ergehen der Einspruchsentscheidung keine eidesstattliche Versicherung abgegeben habe. Für die gerichtliche Überprüfung dieser Ermessensentscheidung sei die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung maßgebend.
3
Ihre Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision begründet die Klägerin u.a. mit der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtsfrage, ob das FG eine während des Verfahrens abgegebene eidesstattliche Versicherung zu berücksichtigen habe.

Entscheidungsgründe

4
II. Die Beschwerde ist –bei Zweifeln an ihrer Zulässigkeit– jedenfalls unbegründet. Die von der Klägerin aufgeworfene Rechtsfrage hat keine grundsätzliche Bedeutung i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO), denn sie ist bereits geklärt. Eine im Laufe des finanzgerichtlichen Verfahrens abgegebene eidesstattliche Versicherung kann die Aufhebung der Anordnung nicht rechtfertigen, da das Gericht bei der Überprüfung der Anordnung die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung zugrunde zu legen hat.
5
Die Anordnung zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung ist entgegen der Auffassung der Klägerin eine Ermessensentscheidung (vgl. z.B. Senatsbeschluss vom 20. November 2007 VII B 109/07, BFH/NV 2008, 336). Wie der Senat bereits entschieden hat, sind für die gerichtliche Überprüfung dieser behördlichen Ermessensentscheidung die tatsächlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung auch dann maßgebend, wenn –wie im Streitfall– die Anordnung zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung noch nicht vollzogen ist. Dem Betroffenen ist bei veränderter Sachlage zuzumuten, ein neues Verwaltungsverfahren in Gang zu setzen und wegen evtl. veränderter Verhältnisse die Aufhebung des im Zeitpunkt seines Erlasses rechtmäßigen Verwaltungsaktes gemäß § 131 Abs. 1 AO zu beantragen (Senatsbeschluss vom 22. Juni 2009 VII B 204/08, BFH/NV 2009, 1780).
6
Die Klägerin hat –abgesehen davon, dass sie diese Auffassung nicht teilt– keinen erneuten oder weitergehenden Klärungsbedarf dargelegt.

Einkommensteuer | Grundstückshandel auch bei angedrohter Versteigerung durch Finanzamt (BFH)

Gewerblicher Grundstückshandel bei Veräußerungen zur Vermeidung einer Zwangsversteigerung

 Leitsatz

1. Die persönlichen oder finanziellen Beweggründe für die Veräußerung von Immobilien sind für die Zuordnung zum gewerblichen Grundstückshandel oder zur Vermögensverwaltung unerheblich. Dies gilt auch für wirtschaftliche Zwänge wie z.B. die Ankündigung von Zwangsmaßnahmen durch einen Grundpfandgläubiger.

2. Die Drei-Objekt-Grenze hat die Bedeutung eines Anscheinsbeweises, der —ohne dass es dafür weiterer Indizien bedarf— den Schluss auf die innere Tatsache des Erwerbs des jeweiligen Grundstücks in bedingter Veräußerungsabsicht zulässt. Ihre Geltungskraft kann im Einzelfall durch den Nachweis eines atypischen Sachverhaltsverlaufs erschüttert werden. Dafür kommen indes grundsätzlich weder die Gründe der Veräußerung noch Absichtserklärungen in Betracht, sondern vornehmlich Gestaltungen des Steuerpflichtigen in zeitlicher Nähe zum Erwerb, die eine Veräußerung innerhalb eines Zeitrahmens von etwa fünf Jahren erschweren oder unwirtschaftlicher machen.

 Gesetze

EStG § 15 Abs. 2
GewStG § 2 Abs. 1

 Instanzenzug

FG Münster vom 11. März 2011 14 K 991/05 G (EFG 2011, 1254)

 Gründe

I.

1  Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) war in den Streitjahren 1996 bis 1998 Allein- und Miteigentümer zahlreicher Grundstücke. Darüber hinaus war er an einer u.a. auf dem Gebiet des Handels mit Industriegütern und Kraftfahrzeugen tätigen Gesellschaft mit beschränkter Haftung beteiligt.

2  Aufgrund von Steuerschulden in Millionenhöhe infolge einer die Vorjahre betreffenden kombinierten Steuerfahndungs- und Betriebsprüfung hatte das Finanzamt L (FA L) 1997 im Arrestwege die im Alleineigentum des Klägers stehenden Grundstücke O, erworben im Jahr 1988, M, erworben im Jahr 1995, unbebaut, B, erworben im Jahr 1995, K, erworben im Jahr 1997 und H, erworben im Jahr 1997 sowie weitere im Miteigentum des Klägers und seiner Ehefrau stehende Grundstücke mit Sicherungshypotheken belastet.

3  Nachdem für die den Arrestanordnungen zugrunde liegenden Abgabenansprüche Steuerbescheide ergangen waren, beschied das FA L den Kläger und dessen Ehefrau am 30. Januar 1998, dass es in einer Woche die Verwertung der Sicherheiten einleiten werde. Zu einer Zwangsversteigerung der Objekte kam es aber nicht, weil das FA L dem Kläger und seiner Ehefrau einen freihändigen Verkauf dieser Grundstücke gestattete.

4  Im weiteren Verlauf des Streitjahres 1998 veräußerten der Kläger bzw. der Kläger und seine Ehefrau daraufhin die genannten Grundstücke. Dabei wurden folgende Verkaufspreise erzielt:

5

 

  Grundstück   Ursprünglicher Kaufpreis (DM)   Erzielter Kaufpreis (DM)
  O

  350.000

  798.000

  M

  52.000

  100.000

  B

  275.000

  350.000

  K

  300.000

  650.000

  H

  600.000

  1.300.000

 

6  Daneben veräußerten der Kläger bzw. der Kläger und seine Ehefrau im Jahr 1998 auch noch weitere Grundstücke.

7  In den Jahren 2000 und 2001 führte das Finanzamt für Großbetriebsprüfung eine Außenprüfung bei dem Kläger und dessen Ehefrau sowie einer aus beiden bestehenden Grundstücksgesellschaft bürgerlichen Rechts durch.

8  Aufgrund seiner während der Prüfungen getroffenen Feststellungen gelangte der Prüfer zu der Auffassung, dass der Kläger und seine Ehefrau zum einen jeweils persönlich, zum anderen aber auch gemeinsam einen gewerblichen Grundstückshandel betrieben hätten. Zu dem Betriebsvermögen des von dem Kläger persönlich betriebenen gewerblichen Grundstückshandels hätten die Grundstücke M, O, B, K und H gehört. Darüber hinaus gelangte der Prüfer zur Annahme nicht erklärter Einnahmen aus Vermietung und Verpachtung und aus Kapitalvermögen sowie ungeklärter Vermögenszuwächse.

9  Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt —FA—) übernahm die Ansätze des Prüfers und setzte u.a. für die Streitjahre 1996, 1997 und 1998 Gewerbesteuermessbeträge gegen den Kläger fest.

10  Der Einspruch hatte keinen Erfolg. Das FA setzte die Gewerbesteuermessbeträge für die Streitjahre mit seiner Einspruchsentscheidung herauf, nachdem es den Kläger zuvor auf die Möglichkeit einer Verböserung hingewiesen hatte, und zwar für 1996 auf 5.192,57 € (= 10.155 DM), für 1997 auf 4.069,88 € (= 7.960 DM) und für 1998 auf 31.316,63 € (= 61.250 DM). Dabei ging es weiterhin davon aus, dass der Kläger 1995 einen gewerblichen Grundstückshandel aufgenommen habe und dass zu dem Betriebsvermögen dieses Grundstückshandels die Grundstücke M, B, K und H jeweils bereits ab dem Zeitpunkt ihres Erwerbs gehört hätten, während das Grundstück O erst mit dem Beginn des Grundstückshandels dem Betriebsvermögen zum Teilwert zugeführt worden sei, der mit dem ursprünglichen Kaufpreis abzüglich der in Anspruch genommenen AfA-Beträge geschätzt wurde.

11  Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt (Entscheidungen der Finanzgerichte 2011, 1254 ). Es entschied, der Kläger habe die Grenze der privaten Vermögensverwaltung nicht überschritten und daher keinen gewerblichen Grundstückshandel betrieben. Anhaltspunkte für eine bereits bei Erwerb der später veräußerten Grundstücke bzw. Miteigentumsanteile vorhandene unbedingte Veräußerungsabsicht des Klägers seien nicht vorhanden. Daher sei maßgeblich, ob er innerhalb von fünf Jahren mehr als drei Objekte angeschafft und veräußert habe. Einbezogen werden könnten nur das vom Kläger 1995 erworbene und 1998 veräußerte unbebaute Grundstück M sowie die versuchte Veräußerung des 1991 vom Kläger und seiner Ehefrau zu hälftigem Miteigentum erworbenen Grundstücks S. Die vier Grundstücke O, B, K und H seien dagegen   nicht mitzuzählen, da der Kläger sich der Veräußerung dieser Grundstücke aufgrund der zwangsweise eingetragenen Sicherungshypotheken und deren angedrohter Verwertung ohne Inkaufnahme wirtschaftlicher Nachteile nicht habe entziehen können.

12  Das FA rügt mit der Revision die Verletzung materiellen Rechts.

13  Das FA beantragt sinngemäß, das FG-Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

14  Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.

II.

15  Die Revision ist begründet, sie führt nach § 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zur Aufhebung des Urteils und zur Zurückverweisung der nicht spruchreifen Sache an das FG.

16  1. Das FG hat die Verkäufe der Grundstücke B, K und H durch den Kläger zu Unrecht als private Vermögensverwaltung angesehen und daher das Vorliegen der in der höchstrichterlichen Rechtsprechung entwickelten Kriterien für die Annahme eines gewerblichen Grundstückshandels verneint.

17  a) Nach § 15 Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes , § 2 Abs. 1 des Gewerbesteuergesetzes ist eine selbständige nachhaltige Betätigung, die mit Gewinnerzielungsabsicht unternommen wird und sich als Beteiligung am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr darstellt, Gewerbebetrieb, wenn die Betätigung weder als Ausübung von Land- und Forstwirtschaft noch als Ausübung eines freien Berufes oder einer anderen selbständigen Tätigkeit anzusehen ist. Außerdem müssen durch die Tätigkeit die Grenzen der privaten Vermögensverwaltung überschritten werden. Bei der Abgrenzung zwischen Gewerbebetrieb und der nicht steuerbaren Sphäre ist auf das Gesamtbild der Verhältnisse und die Verkehrsanschauung abzustellen (vgl. Beschlüsse des Großen Senats des Bundesfinanzhofs —BFH— vom 3. Juli 1995 GrS 1/93, BFHE 178, 86 , BStBl II 1995, 617; vom 10. Dezember 2001 GrS 1/98, BFHE 197, 240 , BStBl II 2002, 291; Senatsbeschluss vom 15. März 2012 III R 30/10, BStBl II 2012, 661).

18  Eine private Vermögensverwaltung wird ausgeübt, solange sich die zu beurteilende Tätigkeit noch als Nutzung von Grundbesitz durch Fruchtziehung aus zu erhaltender Substanz darstellt und die Ausnutzung substantieller Vermögenswerte durch Umschichtungen nicht entscheidend in den Vordergrund tritt. Von einem gewerblichen Grundstückshandel kann dagegen im Regelfall ausgegangen werden, wenn innerhalb eines engen zeitlichen Zusammenhangs zwischen Anschaffung bzw. Errichtung und Verkauf, d.h. von etwa fünf Jahren, mindestens vier Objekte veräußert werden, weil die äußeren Umstände dann den Schluss zulassen, dass es dem Steuerpflichtigen auf die Ausnutzung substantieller Vermögenswerte durch Umschichtung ankommt (Senatsurteil vom 17. Dezember 2009 III R 101/06, BFHE 228, 65 , BStBl II 2010, 541).

19  Der Kläger hat im Verlauf des Streitjahres 1998 u.a. die beiden im Jahr 1995 erworbenen Grundstücke M und B sowie die beiden 1997 erworbenen Grundstücke K und H veräußert und bereits damit die objektiven Voraussetzungen des gewerblichen Grundstückshandels erfüllt. Ob das FA darüber hinaus auch das Grundstück O zu Recht in den einzelunternehmerischen Grundstückshandel einbezogen hat, braucht der Senat nicht zu entscheiden.

20  b) Die durch die Verkäufe indizierte Annahme, dass der Kläger bereits beim Erwerb der Grundstücke mit bedingter Veräußerungsabsicht handelte, ist entgegen der Ansicht des FG nicht widerlegt.

21  aa) Nach ständiger Rechtsprechung des BFH steht der Annahme einer bedingten Veräußerungsabsicht grundsätzlich nicht entgegen, dass die ursprüngliche Vermietungsabsicht aufgegeben und das Objekt aufgrund wichtiger und ungewollter Gründe verkauft wird. Denn die konkreten Anlässe und Beweggründe für den Verkauf —z.B. Ehescheidung, Finanzierungsschwierigkeiten, Krankheit, Gefälligkeit gegenüber Mandanten, ein unerwartet hohes Kaufangebot— sagen im Allgemeinen nichts darüber aus, ob der Steuerpflichtige nicht auch aus anderen Gründen zum Verkauf bereit gewesen wäre und insofern von Anfang an eine zumindest bedingte Veräußerungsabsicht gehabt hatte (vgl. die Nachweise im Senatsurteil in BFHE 228, 65 , BStBl II 2010, 541). Nichts anderes gilt für den sich im Streitfall aus der Ankündigung der Zwangsversteigerung durch das FA L ergebenden Druck.

22  bb) Die Drei-Objekt-Grenze hat die Bedeutung eines Anscheinsbeweises, der —ohne dass es dafür weiterer Indizien bedarf— den Schluss auf die innere Tatsache des Erwerbs (bzw. der Bebauung oder Erschließung) des jeweiligen Grundstücks in bedingter Veräußerungsabsicht zulässt, und nicht einer unwiderleglichen Vermutung, die eine Rechtfertigungsgrundlage im materiellen Recht erfordern würde. Ihre Geltungskraft kann daher im Einzelfall durch den Nachweis eines atypischen Sachverhaltsverlaufs erschüttert werden.

23  Dafür kommen indes die persönlichen oder finanziellen Beweggründe der Veräußerung nicht in Betracht, da es sich hierbei regelmäßig um nachträgliche Ereignisse handelt, die keinen Hinweis darauf geben können, ob ohne bedingte Veräußerungsabsicht gekauft (bzw. gebaut oder erschlossen) worden ist. Ungeeignet sind grundsätzlich auch Bekundungen des Steuerpflichtigen; dessen Behauptung, er wolle seine Immobilie lange halten, widerlegen die bedingte Veräußerungsabsicht ebenso wenig, wie ein gewerblicher Grundstückshandel durch eine bloße Absichtserklärung begründet werden kann. Die durch das Überschreiten der Drei-Objekt-Grenze indizierte innere Tatsache der bedingten Veräußerungsabsicht im Zeitpunkt des Erwerbs bzw. des Beginns der Bebauung oder der Erschließung kann danach —wie der Senat bereits mit Urteil in BFHE 228, 65 , BStBl II 2010, 541 entschieden hat (zustimmend BFH-Beschluss vom 17. August 2011 X B 225/10 , BFH/NV 2011, 2083 )— vornehmlich durch Gestaltungen des Steuerpflichtigen widerlegt werden, die in zeitlicher Nähe zum Erwerb (bzw. zur Bebauung oder Erschließung) stehen und eine Veräußerung innerhalb eines Zeitrahmens von etwa fünf Jahren erschweren oder unwirtschaftlicher machen. Dies kann z.B. eine langfristige Finanzierung oder eine langfristige Vermietung bzw. Verpachtung sein, wenn diese sich im Falle einer Veräußerung voraussichtlich ungünstig auswirken oder zusätzliche finanzielle Belastungen auslösen würde (z.B. durch eine Vorfälligkeitsentschädigung bei Darlehensablösung, vgl. dazu BFH-Urteil vom 28. Januar 2009 X R 35/07 , BFH/NV 2009, 1249 , oder die Inkaufnahme einer durch die Vermietung bedingten Wertminderung), oder die Einräumung von Nießbrauchsrechten, wodurch eine Verfügung über das Grundstück erschwert würde (BFH-Urteil vom 7. November 1990 X R 170/87 , nicht veröffentlicht). Derartige Indizien hat das FG indessen nicht festgestellt.

24  cc) Die Auffassung des FG, die Annahme einer bedingten Veräußerungsabsicht im Zeitpunkt des Erwerbs könne durch den Anlass der Veräußerung —hier die Vermeidung der Zwangsversteigerung— widerlegt werden, widerspricht somit der Rechtsprechung des BFH. Für den Senat ist auch nicht ersichtlich, dass der Kläger —was das FG in Betracht gezogen hat— das wirtschaftliche Eigentum an den Grundstücken durch die Sicherungshypotheken verloren hat.

25  2. Die Sache ist nicht entscheidungsreif, da die Feststellungen des FG nicht ausreichen, um über die Höhe der Gewerbesteuermessbeträge entscheiden zu können.

Steuern & Recht vom Steuerberater M. Schröder Berlin