Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung wegen behaupteter Verfassungswidrigkeit

BUNDESFINANZHOF Beschluss vom 26.3.2013, III B 158/12

Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung wegen behaupteter Verfassungswidrigkeit des § 62 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. c, Nr. 3 Buchst. b EStG

Tatbestand

1
I. Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) ist die Mutter von zwei am … November 1992 und … Oktober 1993 geborenen Kindern. Sie ist Staatsangehörige von Serbien-Montenegro und war zunächst im Besitz einer Aufenthaltsbefugnis, wobei ihr eine selbständige Erwerbstätigkeit oder vergleichbare unselbständige Erwerbstätigkeit im Inland nicht gestattet war. Ab dem 12. November 2003 wurde der Klägerin eine unbefristete Arbeitsgenehmigung erteilt. Mit Gültigkeit ab 22. August 2005 erhielt die Klägerin eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG). Mit Schreiben vom 24. März 2006 teilte das zuständige Landratsamt mit, dass die Klägerin Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz erhält und sozialversicherungspflichtig erwerbstätig ist. Zugleich wurde ein Erstattungsanspruch auf das der Klägerin zustehende Kindergeld geltend gemacht.
2
Die Beklagte und Beschwerdegegnerin (Familienkasse) setzte daraufhin ab März 2006 Kindergeld zugunsten der Klägerin fest, wobei sie den Anspruch für die Monate März bis Mai 2006 durch den geltend gemachten Erstattungsanspruch des Landratsamts als erfüllt ansah und das Kindergeld ab Juni 2006 laufend an die Klägerin auszahlte.
3
Auf Anfrage der Familienkasse teilte die Klägerin mit Schreiben vom 12. Dezember 2007 mit, dass sie keiner Beschäftigung nachgehe und Arbeitslosengeld II (ALG II) beziehe. Aus weiteren Nachweisen ergab sich, dass der Klägerin eine ab dem 16. Oktober 2007 gültige Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG erteilt wurde und ein bei einer Zeitarbeitsfirma bestehendes Arbeitsverhältnis zum 10. Mai 2006 gekündigt wurde.
4
Die Familienkasse hob daraufhin mit Bescheid vom 3. Juni 2008 die Kindergeldfestsetzung ab Juni 2006 auf und forderte das für den Zeitraum Juni 2006 bis Dezember 2007 bereits ausbezahlte Kindergeld in Höhe von 5.852 EUR von der Klägerin zurück. Den hiergegen gerichteten Einspruch wies die Familienkasse mit Einspruchsentscheidung vom 31. Juli 2008 als unbegründet zurück.
5
Das Finanzgericht (FG) wies die dagegen gerichtete Klage als unbegründet ab. Zur Begründung verwies es im Wesentlichen darauf, dass die Klägerin die Voraussetzungen des § 62 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. c i.V.m. Nr. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) nicht erfüllt habe, da sie im Streitzeitraum nicht erwerbstätig gewesen sei, sondern ALG II-Leistungen erhalten habe. Ebenso habe sie die Voraussetzungen nach dem Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien über Soziale Sicherheit vom 12. Oktober 1968 (BGBl II 1969, 1438) in der Fassung des Änderungsabkommens vom 30. September 1974 (BGBl II 1975, 390) nicht erfüllt, da sie keine Arbeitnehmerin im Sinne dieses Abkommens gewesen sei.
6
Mit ihrer Beschwerde begehrt die Klägerin die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung –FGO–), zur Fortbildung des Rechts (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 1 FGO) und zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO).

Entscheidungsgründe

7
II. Die Beschwerde ist unzulässig und wird durch Beschluss verworfen (§ 116 Abs. 5 Satz 1 FGO). Die Klägerin hat die geltend gemachten Zulassungsgründe nicht in der durch § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO geforderten Art und Weise dargelegt.
8
1. Die Klägerin hat die grundsätzliche Bedeutung der von ihr herausgestellten Rechtsfrage nicht ordnungsgemäß dargelegt.
9
a) Die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO setzt voraus, dass der Beschwerdeführer eine hinreichend bestimmte Rechtsfrage herausstellt, deren Klärung im Interesse der Allgemeinheit an der Einheitlichkeit der Rechtsprechung und der Fortentwicklung des Rechts erforderlich ist und die im konkreten Streitfall klärbar ist. Dazu ist auszuführen, ob und in welchem Umfang, von welcher Seite und aus welchen Gründen die Rechtsfrage umstritten ist. Vor allem sind, sofern zu dem Problemkreis Rechtsprechung und Äußerungen im Fachschrifttum vorhanden sind, eine grundlegende Auseinandersetzung damit sowie eine Erörterung geboten, warum durch diese Entscheidungen die Rechtsfrage noch nicht als geklärt anzusehen ist bzw. weshalb sie ggf. einer weiteren oder erneuten Klärung bedarf (z.B. Senatsbeschluss vom 22. Oktober 2003 III B 14/03, BFH/NV 2004, 224). Macht ein Beschwerdeführer mit der Nichtzulassungsbeschwerde verfassungsrechtliche Bedenken gegen eine gesetzliche Regelung geltend, so ist darüber hinaus eine substantiierte, an den Vorgaben des Grundgesetzes (GG) und der einschlägigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) und des Bundesfinanzhofs (BFH) orientierte Auseinandersetzung mit der Problematik erforderlich (vgl. Senatsbeschluss vom 4. Oktober 2010 III B 82/10, BFH/NV 2011, 38, m.w.N.).
10
b) Soweit die Klägerin die Rechtsfrage für grundsätzlich bedeutsam erachtet, ob die Regelungen in § 62 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. c sowie Nr. 3 EStG verfassungsgemäß seien, entspricht die Rüge nicht den o.g. Darlegungserfordernissen.
11
aa) Die Klägerin legt dar, durch die Regelung des § 62 Abs. 2 EStG würden nicht freizügigkeitsberechtigte Ausländer, die lediglich im Besitz eines Aufenthaltstitels nach § 62 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. c EStG sind, sowie langjährig geduldete Ausländer ohne sachliche Rechtfertigung schlechter gestellt werden als Deutsche und Ausländer mit hinreichendem Aufenthaltstitel. Ferner verstoße es gegen den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG), dass eine Kindergeldberechtigung im Falle eines gestatteten oder geduldeten Aufenthalts aus humanitären Gründen von über drei Jahren zwar beim Bezug von Leistungen nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch (SGB III), nicht hingegen beim Bezug von Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) entstehen könne.
12
bb) Dieser Vortrag enthält keine den Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO genügende Auseinandersetzung mit der einschlägigen Rechtsprechung des BVerfG und des beschließenden Senats.
13
Soweit die Klägerin der Auffassung ist, es sei bereits nicht sachlich gerechtfertigt, Ausländer mit Aufenthaltstiteln der in § 62 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. c EStG genannten Art oder langjährig geduldete Ausländer anders zu behandeln als Deutsche und Ausländer mit hinreichendem Aufenthaltstitel, setzt sie sich zum einen bereits nicht mit dem Umstand auseinander, dass das BVerfG im Beschluss vom 6. Juli 2004  1 BvL 4/97 (BVerfGE 111, 160) das gesetzgeberische Ziel, Kindergeld nur solchen Ausländern zu gewähren, von denen zu erwarten sei, dass sie auf Dauer in Deutschland bleiben, als solches nicht beanstandet hat. Vielmehr hielt es die frühere Regelung des § 1 Abs. 3 Satz 1 des Bundeskindergeldgesetzes nur für nicht geeignet, dieses Ziel zu erreichen. Zum anderen geht die Klägerin auch nicht auf die Rechtsprechung des beschließenden Senats (z.B. Senatsurteil vom 22. November 2007 III R 54/02, BFHE 220, 45, BStBl II 2009, 913; Senatsbeschluss vom 14. Mai 2008 III S 22/08, BFH/NV 2008, 1330) ein, wonach bei der anzustellenden Prognose über die Dauer des Aufenthalts zunächst erwartet werden kann, dass sich ein Ausländer, dessen Aufenthalt lediglich geduldet ist, rechtstreu verhält und wieder ausreist oder dass ein Ausländer, der wegen eines Krieges in seinem Heimatland eine Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Abs. 1 AufenthG oder eine Erlaubnis nach §§ 23a, 24, 25 Abs. 3 bis 5 AufenthG erhalten hat, nach Wegfall der Gründe, die einer Rückkehr in sein Herkunftsland entgegenstanden, wieder heimkehrt.
14
Soweit die Klägerin meint, § 62 Abs. 2 Nr. 3 Buchst. b EStG differenziere in verfassungswidriger Weise zwischen einem Bezug von Sozialleistungen nach dem SGB III und solchen nach dem SGB II, setzt sie sich nicht hinreichend mit der Senatsrechtsprechung auseinander, wonach der Gesetzgeber verfassungskonform und im Rahmen des ihm zustehenden Gestaltungsspielraums handelte, als er typisierend gemäß § 62 Abs. 2 Nr. 3 EStG einen Daueraufenthalt erst bei einem mindestens dreijährigen Aufenthalt im Bundesgebiet und bei Integration in den Arbeitsmarkt unterstellte (z.B. Senatsurteil in BFHE 220, 45, BStBl II 2009, 913).
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Eine Auseinandersetzung mit der Senatsrechtsprechung zur Verfassungsmäßigkeit des § 62 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. c i.V.m. Nr. 3 EStG war auch nicht deshalb entbehrlich, weil das BVerfG mit dem auf mehrere Vorlagen des Bundessozialgerichts –BSG– (z.B. Vorlagebeschlüsse des BSG vom 3. Dezember 2009 B 10 EG 5/08 R, B 10 EG 6/08 R sowie B 10 EG 7/08 R, jeweils juris) ergangenen Beschluss vom 10. Juli 2012  1 BvL 2-4/10, 3/11 (BGBl I 2012, 1898) den mit § 62 Abs. 2 Nr. 3 Buchst. b EStG wortgleichen § 1 Abs. 6 Nr. 3 Buchst. b des Gesetzes zum Erziehungsgeld und zur Elternzeit (BErzGG) wegen Verstoßes gegen Art. 3 Abs. 1 GG für nichtig erklärt hat. Denn insoweit wäre jedenfalls eine Auseinandersetzung mit der Senatsrechtsprechung erforderlich gewesen, wonach die vom BSG vorgebrachten verfassungsrechtlichen Bedenken bei Gewährung des steuerrechtlichen Kindergeldes nicht zum Tragen kommen, weil das Kindergeld, anders als das Erziehungsgeld (s. § 8 Abs. 1 Satz 1 BErzGG), als Einkommen auf die Sozialleistungen angerechnet (z.B. § 11 Abs. 1 Satz 3 SGB II in der im Streitzeitraum geltenden Fassung) oder an den Sozialleistungsträger erstattet (s. § 74 Abs. 2 EStG) oder an diesen abgezweigt (§ 74 Abs. 1 Satz 4 EStG) wird (vgl. Senatsbeschluss vom 9. November 2012 III B 138/11, BFH/NV 2013, 372). Danach brächte eine Ausweitung der Kindergeldberechtigung nicht freizügigkeitsberechtigter Ausländer, die ihren Unterhalt mit Sozialleistungen nach dem SGB II bestreiten, für diese in der Regel keine finanziellen Vorteile (Senatsurteil vom 7. April 2011 III R 72/09, BFH/NV 2011, 1134, m.w.N.).
16
2. Aus den gleichen Gründen scheidet eine Zulassung der Revision zur Fortbildung des Rechts (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 1 FGO) aus. Dieser Zulassungsgrund stellt einen Spezialfall der grundsätzlichen Bedeutung i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO dar und setzt daher ebenfalls die Darlegung einer klärungsbedürftigen und klärbaren Rechtsfrage voraus (Senatsbeschluss vom 30. Januar 2012 III B 153/11, BFH/NV 2012, 705, m.w.N.).
17
3. Eine Revisionszulassung kommt schließlich auch nicht zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO) in Betracht.
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Macht der Beschwerdeführer geltend, die Revision sei zuzulassen, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des BFH erfordere, so muss er in der Beschwerdebegründung substantiiert aufzeigen, inwieweit über eine entscheidungserhebliche Rechtsfrage unterschiedliche Auffassungen bei den Gerichten bestehen oder welche sonstigen vergleichbaren Gründe eine höchstrichterliche Entscheidung gebieten (vgl. z.B. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 116 Rz 40 ff.).
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Die Beschwerdebegründung legt indessen weder dar, inwieweit die angegriffene Entscheidung des FG von der Entscheidung eines anderen Gerichts abweicht, noch macht sie die Voraussetzungen eines sonstigen nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO die Revisionszulassung rechtfertigenden Grundes geltend.
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4. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat gemäß § 116 Abs. 5 Satz 2 FGO ab.

Nachweis der Mittellosigkeit im Prozesskostenhilfe-Verfahren

BUNDESFINANZHOF Beschluss vom 10.4.2013, X S 5/13 (PKH)

Nachweis der Mittellosigkeit im PKH-Verfahren

Tatbestand

1
I. Der Antragsteller hat Entschädigungsklage beim Bundesfinanzhof (BFH) erhoben und mit Schriftsatz vom 12. Februar 2013 einen Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) gestellt. Mit Schreiben vom 18. Februar 2013 ist er um Vorlage der Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse unter Verwendung des beigefügten amtlichen Vordrucks bis zum 15. März 2013 gebeten worden. Diese Vorlage erfolgte nicht. Mit Schreiben vom 26. März 2013 beantragte der Antragsteller die Bewilligung von PKH auch nach Art. 47 Abs. 3 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (EUGrdRCh).

Entscheidungsgründe

2
II. Der Antrag auf Gewährung von PKH wird abgelehnt, weil der Antragsteller die Erklärung über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nicht eingereicht hat.
3
1. Nach § 142 der Finanzgerichtsordnung (FGO) i.V.m. § 114 Satz 1 der Zivilprozessordnung (ZPO) erhält eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag PKH, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Dem beim Prozessgericht zu stellenden Antrag nach § 117 Abs. 1 Satz 1 ZPO sind nach § 117 Abs. 2 Satz 1 ZPO eine Erklärung der Partei über ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse sowie entsprechende Belege beizufügen. Hierbei hat der Antragsteller die dafür eingeführten amtlichen Vordrucke zu benutzen (§ 117 Abs. 4 ZPO).
4
Wird vom Antragsteller keine Erklärung über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse eingereicht, ist die Gewährung von PKH abzulehnen, da der Nachweis über die Mittellosigkeit nicht erbracht worden ist (vgl. BFH-Beschluss vom 6. Juli 2012 V S 8/12 (PKH), BFH/NV 2012, 1630).
5
2. Da die Gewährung von PKH nach Art. 47 Abs. 3 EUGrdRCh ebenfalls verlangt, dass der Antragsteller „nicht über ausreichende Mittel“ verfügt, ist auch insoweit der Antrag auf Bewilligung von PKH mangels Nachweis der Mittellosigkeit abzulehnen.
6
3. Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei (§ 142 FGO i.V.m. § 118 Abs. 1 Sätze 4 und 5 ZPO, § 1 Abs. 2 Nr. 2 i.V.m. § 3 Abs. 2 des Gerichtskostengesetzes und des Kostenverzeichnisses der Anlage 1).

Prozesskostenhilfe für eine Nichtzulassungsbeschwerde

BUNDESFINANZHOF Beschluss vom 19.3.2013, III S 9/12 (PKH)

Prozesskostenhilfe für eine Nichtzulassungsbeschwerde

Tatbestand

1
I. Die Klägerin, Beschwerdeführerin und Antragstellerin (Klägerin) unterhielt in den Streitjahren 2006 bis 2008 eine Gaststätte. Umstritten ist, ob die Klägerin diese Gaststätte –im Wege einer Personengesellschaft– zusammen mit ihrem damaligen Lebensgefährten, dem Zeugen K, betrieb. Sie ermittelte den Gewinn nach § 4 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes in der für die Streitjahre maßgeblichen Fassung (EStG). Im Jahr 2010 fand bei der Klägerin für die Streitjahre eine Außenprüfung statt. Der Prüfer stellte fest, dass Aufzeichnungspflichten verletzt worden seien. Es kam u.a. in allen Streitjahren zur Zuschätzung von Betriebseinnahmen.
2
Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt –FA–) erließ daraufhin gegenüber der Klägerin geänderte Bescheide über die Einkommensteuer für 2006 bis 2008, die Umsatzsteuer für 2006 bis 2008 und den Gewerbesteuermessbetrag für 2007 und 2008. Die Einsprüche waren zum Teil erfolgreich. Das FA verringerte in allen Streitjahren die erfolgten Zuschätzungen.
3
Das Finanzgericht (FG) wies die hiergegen erhobene Klage ab. Zur Begründung führte es im Wesentlichen aus, die Zuschätzung der Betriebseinnahmen sei weder dem Grunde noch der Höhe nach zu beanstanden. Die angegriffenen Steuerbescheide erwiesen sich auch im Übrigen als rechtmäßig. Schließlich könne der Behauptung der Klägerin, sie habe die Gaststätte im Rahmen einer Mitunternehmerschaft mit dem Zeugen K geführt, nicht gefolgt werden. Ein konkludent abgeschlossener Gesellschaftsvertrag liege nicht vor.
4
Hiergegen legte die Klägerin, vertreten durch ihren bereits im erstinstanzlichen Verfahren tätigen Prozessbevollmächtigten, Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision (Az.: III B 92/12) ein. Zugleich beantragte sie, ihr für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe (PKH) zu bewilligen und ihr ihren Prozessbevollmächtigten als Vertreter beizuordnen. Eine Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse wurde nachgereicht.

Entscheidungsgründe

5
II. Der Antrag auf Bewilligung von PKH ist abzulehnen, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 142 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung –FGO– i.V.m. § 114 der Zivilprozessordnung –ZPO–).
6
1. Eine beabsichtigte Rechtsverfolgung bietet hinreichende Aussicht auf Erfolg, wenn das Gericht den Rechtsstandpunkt des Antragstellers aufgrund dessen Sachdarstellung und der vorhandenen Unterlagen für zutreffend oder zumindest für vertretbar hält, in tatsächlicher Hinsicht von der Möglichkeit der Beweisführung überzeugt ist und deshalb bei summarischer Prüfung für einen Eintritt des angestrebten Erfolges eine gewisse Wahrscheinlichkeit besteht. Ist, wie im Streitfall, das Ziel der Rechtsverfolgung die Zulassung der Revision gegen ein finanzgerichtliches Urteil und hat der Beteiligte bereits durch eine vor dem Bundesfinanzhof (BFH) zur Vertretung berechtigte Person als Bevollmächtigten fristgerecht Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt und diese auch fristgerecht begründet, erstreckt sich die gebotene summarische Prüfung der Erfolgsaussichten durch den BFH darauf, ob in der Beschwerde(begründungs-)schrift ein Grund für die Zulassung der Revision i.S. des § 115 Abs. 2 FGO ordnungsgemäß dargelegt ist (BFH-Beschlüsse vom 1. April 2003 VII S 25/02 (PKH), BFH/NV 2003, 1077; vom 10. März 2005 X S 7/04 (PKH), juris).
7
2. Hieran fehlt es im Streitfall. Die Klägerin hat die von ihr gerügten Verfahrensmängel (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO) bei summarischer Prüfung nicht in einer den Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO genügenden Form dargelegt.
8
a) Soweit die Klägerin als Verfahrensmangel einen Verstoß des FG gegen seine Sachaufklärungspflicht (§ 76 Abs. 1 Satz 1 FGO) rügt, weil es nicht von Amts wegen ermittelt habe, ob ein Gesellschaftsvertrag konkludent abgeschlossen worden sei, ist dieser Verfahrensmangel nicht ordnungsgemäß bezeichnet.
9
aa) Hierzu wäre unter anderem aufzuzeigen gewesen, aus welchen Gründen sich dem FG unter Zugrundelegung seines Rechtsstandpunkts eine weitere Sachaufklärung oder Beweiserhebung auch ohne einen entsprechenden Antrag der durch einen Rechtsanwalt vertretenen Klägerin hätte aufdrängen müssen, welche entscheidungserheblichen Tatsachen sich bei einer weiteren Sachaufklärung oder Beweiserhebung voraussichtlich ergeben hätten und inwiefern eine weitere Aufklärung des Sachverhalts auf der Grundlage des materiell-rechtlichen Standpunkts des FG zu einer anderen Entscheidung hätte führen können (z.B. BFH-Urteil vom 14. März 2007 XI R 59/04, BFH/NV 2007, 1838, m.w.N.).
10
bb) Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdebegründung nicht. Die Klägerin führt zwar aus, dass es aufgrund der in der mündlichen Verhandlung erfolgten Zeugenaussage des K, wonach er (K) alles gemacht habe, was der Betrieb einer Gaststätte mit sich bringe (z.B. Wareneinkauf, Kontakt mit dem Buchführungshelfer), nahegelegen hätte, die Frage eines konkludent abgeschlossenen Gesellschaftsvertrages weiter zu prüfen. Sie hat jedoch nicht vorgetragen, welche konkreten entscheidungserheblichen Tatsachen sich bei einer weiteren Aufklärung des Sachverhalts voraussichtlich ergeben hätten. Eine Person, die Mitunternehmer ist, erfüllt zwar regelmäßig auch die Voraussetzungen für die Annahme eines Gesellschaftsverhältnisses (BFH-Urteil vom 13. Juli 1993 VIII R 50/92, BFHE 173, 28, BStBl II 1994, 282). Mitunternehmer i.S. des § 15 EStG ist aber nur, wer Mitunternehmerinitiative entfalten kann und Mitunternehmerrisiko trägt. Auch wenn beide Merkmale im Einzelfall mehr oder weniger stark ausgeprägt sein können, müssen doch beide vorliegen. Ob dies zutrifft, ist unter Berücksichtigung aller die rechtliche und wirtschaftliche Stellung einer Person insgesamt bestimmenden Umstände zu würdigen (BFH-Urteil vom 17. Mai 2006 VIII R 21/04, BFH/NV 2006, 1839). Danach hätte die Klägerin konkrete weitere Tatsachen benennen müssen, aus deren Vorliegen auf das Vorhandensein der genannten Merkmale, insbesondere eines von K getragenen Mitunternehmerrisikos, hätte geschlossen werden können. Dies ist nicht geschehen.
11
Daneben fehlt jeglicher Vortrag dazu, dass die nicht aufgeklärten Tatsachen auf der Grundlage der materiell-rechtlichen Auffassung des FG für die Ablehnung der Mitunternehmerschaft entscheidungserheblich waren.
12
b) Soweit die Klägerin behauptet, das FG habe ihren Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes, § 96 Abs. 2 FGO) dadurch verletzt, dass es in der mündlichen Verhandlung nach erfolgter Beweisaufnahme die Frage, ob ein Gesellschaftsvertrag konkludent abgeschlossen worden sei, nicht erörtert habe, ist auch diese Verfahrensrüge nicht ordnungsgemäß erhoben.
13
aa) Wird die Gehörsverletzung, wie im Streitfall, mit einer im Rahmen der mündlichen Verhandlung unterlassenen Erörterung (§ 93 Abs. 1 FGO) begründet, gehört zur ordnungsgemäßen Rüge der Vortrag, dass die Verletzung entscheidungserhebliche Umstände betraf, die ihrerseits erörterungsbedürftig waren (Lange in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 96 FGO Rz 299). Zusätzlich ist regelmäßig darzulegen, dass der Verstoß in der Vorinstanz gerügt worden oder dass und weshalb dem Beteiligten eine derartige Rüge vor dem FG nicht möglich gewesen ist. Anderenfalls geht das Rügerecht nach § 155 FGO i.V.m. § 295 ZPO verloren (z.B. BFH-Beschluss vom 26. Januar 1994 II B 29/93, BFH/NV 1994, 730).
14
bb) Hieran fehlt es in der Beschwerdebegründung. Die Klägerin hat schon nicht dargelegt, dass das Vorliegen eines konkludent abgeschlossenen Gesellschaftsvertrages nach der Zeugeneinvernahme des K noch erörterungsbedürftig gewesen ist. Ebenso führt sie nicht aus, dass sie die aus ihrer Sicht in diesem Punkt fehlende Erörterung in der Vorinstanz gerügt hat oder dass und weshalb ihr eine derartige Rüge vor dem FG nicht möglich gewesen ist. Insbesondere ist nicht vorgetragen, dass die Klägerin von der Würdigung des FG, wonach im Streitfall keine Mitunternehmerschaft vorgelegen habe, durch die Ausführungen im Urteil überrascht worden ist.
15
3. Die Entscheidung ergeht gebührenfrei.

Voraussetzungen für die Darlegung von Verfahrensmängeln – rechtliches Gehör – Überraschungsentscheidung

BUNDESFINANZHOF Beschluss vom 25.3.2013, IX B 180/12

Voraussetzungen für die Darlegung von Verfahrensmängeln – rechtliches Gehör – Überraschungsentscheidung

Gründe

1
Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision gemäß § 115 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) liegen nicht vor.
2
1. So kann die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) mit ihrer Rüge, das Finanzgericht (FG) habe seine Sachaufklärungspflicht verletzt und angebotene Beweise zu Unrecht nicht erhoben, schon deshalb nicht gehört werden, weil die insoweit einschlägige Norm des § 76 Abs. 1 Satz 1 FGO eine Verfahrensvorschrift ist, auf deren Einhaltung die Prozessbeteiligten –ausdrücklich oder durch Unterlassen einer Rüge– verzichten können (§ 155 FGO i.V.m. § 295 der Zivilprozessordnung –ZPO–). Aus dem insoweit maßgeblichen Sitzungsprotokoll (vgl. § 94 FGO i.V.m. § 160 Abs. 4, § 164 ZPO) ergibt sich nicht, dass das Übergehen von Beweisanträgen gerügt worden ist, obwohl das Gericht darauf hingewiesen hat, dass es „beabsichtige, sein Urteil ohne weiteren Termin zu fällen“; vielmehr hat die Klägerin lediglich weiteren Sachvortrag angekündigt. Die Klägerin hat auch nicht vorgetragen, dass in der mündlichen Verhandlung vor dem FG die Protokollierung einer entsprechenden Rüge verlangt und –im Falle der Weigerung des Gerichts, die Protokollierung vorzunehmen– eine Protokollberichtigung beantragt worden ist (vgl. Beschluss des Bundesfinanzhofs –BFH– vom 9. November 1999 II B 14/99, BFH/NV 2000, 582, m.w.N.). Unbeschadet davon lässt die Beschwerdebegründung nicht erkennen, weshalb sich dem FG auf der Grundlage seines materiell-rechtlichen Standpunktes eine weitere Sachverhaltsaufklärung auch ohne entsprechende Beweisanträge hätte aufdrängen müssen (vgl. BFH-Beschluss vom 28. Juli 2004 IX B 136/03, BFH/NV 2005, 43, m.w.N.).
3
2. Die Klägerin macht auch zu Unrecht geltend, das FG habe eine Überraschungsentscheidung erlassen und dadurch ihren Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes, § 96 Abs. 2 FGO und § 76 Abs. 2 FGO). Eine solche Überraschungsentscheidung liegt vor, wenn das FG sein Urteil auf einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt stützt und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gibt, mit der auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter selbst unter Berücksichtigung der Vielzahl vertretbarer Auffassungen nach dem bisherigen Verlauf der Verhandlung nicht rechnen musste (BFH-Beschluss vom 2. April 2002 X B 56/01, BFH/NV 2002, 947). Danach liegt im Streitfall keine Überraschungsentscheidung vor; denn die Frage des fehlenden Nachweises der Einkünfteerzielungsabsicht hinsichtlich des Objekts X ist vom FG nicht erst mit dem Endurteil in das Verfahren eingebracht worden, sondern war zum einen schon Gegenstand der gerichtlichen Verfügung vom 3. Januar 2011, mit der das Gericht die Klägerin gemäß § 79b Abs. 2 FGO aufgefordert hat, „die Vermietungsabsicht glaubhaft zu machen“ und wurde zum anderen ausführlich in der mündlichen Verhandlung thematisiert.

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei Versäumung der Revisionsbegründungsfrist

BUNDESFINANZHOF Beschluss vom 3.4.2013, V R 24/12

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei Versäumung der Revisionsbegründungsfrist

Tatbestand

1
I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) wendet sich mit der Revision gegen das klageabweisende Urteil des Finanzgerichts (FG) vom 9. August 2012 5 K 5226/10, das der Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 21. August 2012 zugestellt worden ist.
2
Mit Schreiben vom 30. Oktober 2012, zugestellt am 5. November 2012, wies die Geschäftsstelle des erkennenden Senats darauf hin, dass die Revisionsbegründungsfrist am 22. Oktober 2012 abgelaufen sei, eine Begründung der Revision bisher aber nicht vorliege.
3
In der am 15. November 2012 eingegangenen Revisionsbegründung beantragte die Klägerin Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 56 der Finanzgerichtsordnung (FGO). Die Revisionsbegründungsfrist sei aufgrund eines von der Klägerin nicht zu vertretenen Büroversehens versäumt worden. Der für die Wahrung der Fristen zuständige Mitarbeiter S, ein ausgebildeter Steuerfachangestellter, habe bei Eingang des Urteils des FG nur die Frist für die Revisionseinlegung, nicht aber für die Revisionsbegründung in das Fristenkontrollbuch eingetragen. S sei ausführlich über die einzutragenden Fristen belehrt worden und erledige diese Aufgabe üblicherweise auch sehr gewissenhaft. Zudem erfolge eine Kontrolle der Fristen bei Bearbeitung durch den Sachbearbeiter. Darüber hinaus prüfe die Prozessbevollmächtigte in regelmäßigen Abständen das Fristenkontrollbuch hinsichtlich der dort getätigten Eintragungen, nicht aber hinsichtlich der nicht getätigten Eintragungen.
4
Zur Glaubhaftmachung des Vortrages hat die Prozessbevollmächtigte die Ablichtung einer Seite ihres Postausgangsbuchs und die eidesstattliche Versicherung des S, mehrfach über die Berechnung und Bedeutung der Fristen belehrt worden zu sein, vorgelegt.
5
Die Klägerin beantragt sinngemäß,

unter Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinsichtlich der Revisionsbegründungsfrist das Urteil des FG aufzuheben und den angefochtenen Umsatzsteuerbescheid für 2007 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 26. August 2011 zu ändern.

6
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt) beantragt,

die Revision als unzulässig zu verwerfen, hilfsweise, als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

7
II. Die Revision ist unzulässig und deshalb durch Beschluss zu verwerfen (§§ 124 Abs. 1 Satz 2, 126 Abs. 1 FGO).
8
1. Nach § 120 Abs. 2 Satz 1 FGO ist die Revision innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils zu begründen. Im Streitfall ist diese Frist nach § 54 FGO i.V.m. § 222 Abs. 1 und 2 der Zivilprozessordnung (ZPO) sowie §§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) am Montag, dem 22. Oktober 2012, abgelaufen. Die erst am 15. November 2012 beim Bundesfinanzhof (BFH) eingegangene Revisionsbegründung der Klägerin war mithin verspätet, da die Revisionsbegründungsfrist nicht verlängert worden war (§ 120 Abs. 2 Satz 3 FGO).
9
2. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Beschwerdebegründungsfrist ist der Klägerin nicht zu gewähren.
10
a) Nach § 56 Abs. 1 FGO ist auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten. Dies setzt in formeller Hinsicht voraus, dass innerhalb einer Frist von einem Monat nach Wegfall des Hindernisses (§ 56 Abs. 2 Satz 2 FGO) die versäumte Rechtshandlung nachgeholt und diejenigen Tatsachen vorgetragen und im Verfahren über den Antrag glaubhaft gemacht werden, aus denen sich die schuldlose Verhinderung ergeben soll. Die Tatsachen, die eine Wiedereinsetzung rechtfertigen können, sind innerhalb dieser Frist vollständig, substantiiert und in sich schlüssig darzulegen (ständige Rechtsprechung, z.B. BFH-Beschlüsse vom 8. Juli 2011 III B 7/10, BFH/NV 2011, 1895, und vom 8. Februar 2008 X B 95/07, BFH/NV 2008, 969). Hiernach schließt jedes Verschulden –also auch einfache Fahrlässigkeit– die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aus. Der Beteiligte muss sich ein Verschulden seines Prozessbevollmächtigten zurechnen lassen (§ 155 FGO i.V.m. § 85 Abs. 2 ZPO).
11
b) Im Streitfall scheitert die Wiedereinsetzung daran, dass die Prozessbevollmächtigte die vorgetragenen Wiedereinsetzungsgründe nicht hinreichend dargelegt und glaubhaft gemacht hat.
12
aa) Wenn –wie im Streitfall– Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen eines entschuldbaren Büroversehens begehrt wird, muss spätestens innerhalb von einem Monat nach dem Wegfall des Hindernisses substantiiert und in sich schlüssig vorgetragen werden, wie die Fristen im Büro des Prozessbevollmächtigten überwacht werden, wer für den rechtzeitigen Versand der fristwahrenden Schriftsätze verantwortlich war und weshalb diese Person kein Verschulden an der Versäumung der Frist trifft. Es ist insbesondere darzulegen, dass kein Organisationsfehler vorliegt, d.h. dass der Prozessbevollmächtigte alle Vorkehrungen getroffen hat, die geeignet sind, die Nichtbeachtung von Fristen auszuschließen, und dass er durch regelmäßige Belehrung und Überwachung seiner Bürokräfte für die Einhaltung seiner Anordnungen Sorge getragen hat (BFH-Beschluss in BFH/NV 2008, 969, m.w.N.). Dabei ist zu beachten, dass die Revisionsbegründungsfrist nicht zu den üblichen, häufig vorkommenden und einfach zu berechnenden Fristen gehört (BFH-Beschluss in BFH/NV 2008, 969, m.w.N.). Der Prozessbevollmächtigte ist daher bei der Prüfung und Überwachung des Personals zu besonderer Sorgfalt verpflichtet (BFH-Beschlüsse in BFH/NV 2008, 969, und vom 29. Oktober 1999 VI R 36/99, BFH/NV 2000, 470; BFH-Zwischenurteil vom 14. März 2000 IX R 57/99, BFH/NV 2000, 1210).
13
bb) Der Vortrag der Prozessbevollmächtigten der Klägerin genügt nicht den genannten Anforderungen zur Feststellung der ordnungsgemäßen Überwachung der Einhaltung der Revisionsbegründungsfrist. Insoweit fehlt die Darstellung, ob und gegebenenfalls in welcher Form eine Überwachung des Personals im Hinblick auf die gesonderte Eintragung der Revisionsbegründungsfristen durch die Prozessbevollmächtigte erfolgte. Die Prozessbevollmächtigte trägt vielmehr vor, dass sie selbst in regelmäßigen Abständen das Fristenkontrollbuch zwar hinsichtlich der dort getätigten Eintragungen prüfe, nicht jedoch hinsichtlich der nicht getätigten Eintragungen. Eine Überwachung der Eintragung der Revisionsbegründungsfristen wird hierdurch nicht gewährleistet. Zu den besonderen Sorgfaltspflichten der Prozessbevollmächtigten gehört es auch, z.B. durch eine –stichprobenhafte– Kontrolle im Rahmen der Bearbeitung der Schriftsätze, mit denen die Revision eingelegt wird, zu prüfen, ob Revisionsbegründungsfristen eingetragen worden sind.
14
Dem Senat ist es daher aus diesem Grunde nicht möglich, das Fehlen eines Organisationsmangels bei der Einhaltung der Revisionsbegründungsfrist festzustellen.
15
cc) Soweit die Prozessbevollmächtigte im Schriftsatz vom 31. Januar 2013 vorträgt, sie habe S am 24. August 2012 explizit angewiesen, die Fristen in das Fristenkontrollbuch einzutragen, ist dieser Vortrag verspätet. Die mit Zustellung des Schreibens der Geschäftsstelle am 5. November 2012 in Gang gesetzte Wiedereinsetzungsfrist war zu diesem Zeitpunkt gemäß § 54 FGO i.V.m. § 222 Abs. 1 und 2 ZPO sowie §§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 BGB bereits abgelaufen. Darüber hinaus fehlt eine Glaubhaftmachung dieses Sachverhalts z.B. durch eine eidesstattliche Versicherung des Angestellten S (vgl. z.B. vom 18. Januar 2007 III R 65/05, BFH/NV 2007, 945).

Abgabe der eidesstattlichen Versicherung während des Klageverfahrens

BUNDESFINANZHOF Beschluss vom 15.3.2013, VII B 201/12

Abgabe der eidesstattlichen Versicherung während des Klageverfahrens

Tatbestand

1
I. Gegen die Aufforderung des Beklagten und Beschwerdegegners (Hauptzollamt –HZA–) zur Vorlage eines Vermögensverzeichnisses und zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung hatte die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) nach vergeblichem Einspruchsverfahren Klage erhoben. Während des finanzgerichtlichen Verfahrens gab sie die eidesstattliche Versicherung in einem anderen Zusammenhang bei einem Amtsgericht (AG) ab.
2
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab. Es sah die Voraussetzungen des § 284 der Abgabenordnung (AO) als gegeben an. Auch die Abgabe der eidesstattlichen Versicherung vor dem AG während des Klageverfahrens ändere nichts an der Rechtmäßigkeit der Aufforderung des HZA. § 284 Abs. 4 Satz 1 AO habe ihr nicht entgegengestanden, da die Klägerin in den letzten drei Jahren vor Ergehen der Einspruchsentscheidung keine eidesstattliche Versicherung abgegeben habe. Für die gerichtliche Überprüfung dieser Ermessensentscheidung sei die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung maßgebend.
3
Ihre Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision begründet die Klägerin u.a. mit der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtsfrage, ob das FG eine während des Verfahrens abgegebene eidesstattliche Versicherung zu berücksichtigen habe.

Entscheidungsgründe

4
II. Die Beschwerde ist –bei Zweifeln an ihrer Zulässigkeit– jedenfalls unbegründet. Die von der Klägerin aufgeworfene Rechtsfrage hat keine grundsätzliche Bedeutung i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO), denn sie ist bereits geklärt. Eine im Laufe des finanzgerichtlichen Verfahrens abgegebene eidesstattliche Versicherung kann die Aufhebung der Anordnung nicht rechtfertigen, da das Gericht bei der Überprüfung der Anordnung die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung zugrunde zu legen hat.
5
Die Anordnung zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung ist entgegen der Auffassung der Klägerin eine Ermessensentscheidung (vgl. z.B. Senatsbeschluss vom 20. November 2007 VII B 109/07, BFH/NV 2008, 336). Wie der Senat bereits entschieden hat, sind für die gerichtliche Überprüfung dieser behördlichen Ermessensentscheidung die tatsächlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung auch dann maßgebend, wenn –wie im Streitfall– die Anordnung zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung noch nicht vollzogen ist. Dem Betroffenen ist bei veränderter Sachlage zuzumuten, ein neues Verwaltungsverfahren in Gang zu setzen und wegen evtl. veränderter Verhältnisse die Aufhebung des im Zeitpunkt seines Erlasses rechtmäßigen Verwaltungsaktes gemäß § 131 Abs. 1 AO zu beantragen (Senatsbeschluss vom 22. Juni 2009 VII B 204/08, BFH/NV 2009, 1780).
6
Die Klägerin hat –abgesehen davon, dass sie diese Auffassung nicht teilt– keinen erneuten oder weitergehenden Klärungsbedarf dargelegt.

Einkommensteuer | Grundstückshandel auch bei angedrohter Versteigerung durch Finanzamt (BFH)

Gewerblicher Grundstückshandel bei Veräußerungen zur Vermeidung einer Zwangsversteigerung

 Leitsatz

1. Die persönlichen oder finanziellen Beweggründe für die Veräußerung von Immobilien sind für die Zuordnung zum gewerblichen Grundstückshandel oder zur Vermögensverwaltung unerheblich. Dies gilt auch für wirtschaftliche Zwänge wie z.B. die Ankündigung von Zwangsmaßnahmen durch einen Grundpfandgläubiger.

2. Die Drei-Objekt-Grenze hat die Bedeutung eines Anscheinsbeweises, der —ohne dass es dafür weiterer Indizien bedarf— den Schluss auf die innere Tatsache des Erwerbs des jeweiligen Grundstücks in bedingter Veräußerungsabsicht zulässt. Ihre Geltungskraft kann im Einzelfall durch den Nachweis eines atypischen Sachverhaltsverlaufs erschüttert werden. Dafür kommen indes grundsätzlich weder die Gründe der Veräußerung noch Absichtserklärungen in Betracht, sondern vornehmlich Gestaltungen des Steuerpflichtigen in zeitlicher Nähe zum Erwerb, die eine Veräußerung innerhalb eines Zeitrahmens von etwa fünf Jahren erschweren oder unwirtschaftlicher machen.

 Gesetze

EStG § 15 Abs. 2
GewStG § 2 Abs. 1

 Instanzenzug

FG Münster vom 11. März 2011 14 K 991/05 G (EFG 2011, 1254)

 Gründe

I.

1  Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) war in den Streitjahren 1996 bis 1998 Allein- und Miteigentümer zahlreicher Grundstücke. Darüber hinaus war er an einer u.a. auf dem Gebiet des Handels mit Industriegütern und Kraftfahrzeugen tätigen Gesellschaft mit beschränkter Haftung beteiligt.

2  Aufgrund von Steuerschulden in Millionenhöhe infolge einer die Vorjahre betreffenden kombinierten Steuerfahndungs- und Betriebsprüfung hatte das Finanzamt L (FA L) 1997 im Arrestwege die im Alleineigentum des Klägers stehenden Grundstücke O, erworben im Jahr 1988, M, erworben im Jahr 1995, unbebaut, B, erworben im Jahr 1995, K, erworben im Jahr 1997 und H, erworben im Jahr 1997 sowie weitere im Miteigentum des Klägers und seiner Ehefrau stehende Grundstücke mit Sicherungshypotheken belastet.

3  Nachdem für die den Arrestanordnungen zugrunde liegenden Abgabenansprüche Steuerbescheide ergangen waren, beschied das FA L den Kläger und dessen Ehefrau am 30. Januar 1998, dass es in einer Woche die Verwertung der Sicherheiten einleiten werde. Zu einer Zwangsversteigerung der Objekte kam es aber nicht, weil das FA L dem Kläger und seiner Ehefrau einen freihändigen Verkauf dieser Grundstücke gestattete.

4  Im weiteren Verlauf des Streitjahres 1998 veräußerten der Kläger bzw. der Kläger und seine Ehefrau daraufhin die genannten Grundstücke. Dabei wurden folgende Verkaufspreise erzielt:

5

 

  Grundstück   Ursprünglicher Kaufpreis (DM)   Erzielter Kaufpreis (DM)
  O

  350.000

  798.000

  M

  52.000

  100.000

  B

  275.000

  350.000

  K

  300.000

  650.000

  H

  600.000

  1.300.000

 

6  Daneben veräußerten der Kläger bzw. der Kläger und seine Ehefrau im Jahr 1998 auch noch weitere Grundstücke.

7  In den Jahren 2000 und 2001 führte das Finanzamt für Großbetriebsprüfung eine Außenprüfung bei dem Kläger und dessen Ehefrau sowie einer aus beiden bestehenden Grundstücksgesellschaft bürgerlichen Rechts durch.

8  Aufgrund seiner während der Prüfungen getroffenen Feststellungen gelangte der Prüfer zu der Auffassung, dass der Kläger und seine Ehefrau zum einen jeweils persönlich, zum anderen aber auch gemeinsam einen gewerblichen Grundstückshandel betrieben hätten. Zu dem Betriebsvermögen des von dem Kläger persönlich betriebenen gewerblichen Grundstückshandels hätten die Grundstücke M, O, B, K und H gehört. Darüber hinaus gelangte der Prüfer zur Annahme nicht erklärter Einnahmen aus Vermietung und Verpachtung und aus Kapitalvermögen sowie ungeklärter Vermögenszuwächse.

9  Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt —FA—) übernahm die Ansätze des Prüfers und setzte u.a. für die Streitjahre 1996, 1997 und 1998 Gewerbesteuermessbeträge gegen den Kläger fest.

10  Der Einspruch hatte keinen Erfolg. Das FA setzte die Gewerbesteuermessbeträge für die Streitjahre mit seiner Einspruchsentscheidung herauf, nachdem es den Kläger zuvor auf die Möglichkeit einer Verböserung hingewiesen hatte, und zwar für 1996 auf 5.192,57 € (= 10.155 DM), für 1997 auf 4.069,88 € (= 7.960 DM) und für 1998 auf 31.316,63 € (= 61.250 DM). Dabei ging es weiterhin davon aus, dass der Kläger 1995 einen gewerblichen Grundstückshandel aufgenommen habe und dass zu dem Betriebsvermögen dieses Grundstückshandels die Grundstücke M, B, K und H jeweils bereits ab dem Zeitpunkt ihres Erwerbs gehört hätten, während das Grundstück O erst mit dem Beginn des Grundstückshandels dem Betriebsvermögen zum Teilwert zugeführt worden sei, der mit dem ursprünglichen Kaufpreis abzüglich der in Anspruch genommenen AfA-Beträge geschätzt wurde.

11  Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt (Entscheidungen der Finanzgerichte 2011, 1254 ). Es entschied, der Kläger habe die Grenze der privaten Vermögensverwaltung nicht überschritten und daher keinen gewerblichen Grundstückshandel betrieben. Anhaltspunkte für eine bereits bei Erwerb der später veräußerten Grundstücke bzw. Miteigentumsanteile vorhandene unbedingte Veräußerungsabsicht des Klägers seien nicht vorhanden. Daher sei maßgeblich, ob er innerhalb von fünf Jahren mehr als drei Objekte angeschafft und veräußert habe. Einbezogen werden könnten nur das vom Kläger 1995 erworbene und 1998 veräußerte unbebaute Grundstück M sowie die versuchte Veräußerung des 1991 vom Kläger und seiner Ehefrau zu hälftigem Miteigentum erworbenen Grundstücks S. Die vier Grundstücke O, B, K und H seien dagegen   nicht mitzuzählen, da der Kläger sich der Veräußerung dieser Grundstücke aufgrund der zwangsweise eingetragenen Sicherungshypotheken und deren angedrohter Verwertung ohne Inkaufnahme wirtschaftlicher Nachteile nicht habe entziehen können.

12  Das FA rügt mit der Revision die Verletzung materiellen Rechts.

13  Das FA beantragt sinngemäß, das FG-Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

14  Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.

II.

15  Die Revision ist begründet, sie führt nach § 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zur Aufhebung des Urteils und zur Zurückverweisung der nicht spruchreifen Sache an das FG.

16  1. Das FG hat die Verkäufe der Grundstücke B, K und H durch den Kläger zu Unrecht als private Vermögensverwaltung angesehen und daher das Vorliegen der in der höchstrichterlichen Rechtsprechung entwickelten Kriterien für die Annahme eines gewerblichen Grundstückshandels verneint.

17  a) Nach § 15 Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes , § 2 Abs. 1 des Gewerbesteuergesetzes ist eine selbständige nachhaltige Betätigung, die mit Gewinnerzielungsabsicht unternommen wird und sich als Beteiligung am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr darstellt, Gewerbebetrieb, wenn die Betätigung weder als Ausübung von Land- und Forstwirtschaft noch als Ausübung eines freien Berufes oder einer anderen selbständigen Tätigkeit anzusehen ist. Außerdem müssen durch die Tätigkeit die Grenzen der privaten Vermögensverwaltung überschritten werden. Bei der Abgrenzung zwischen Gewerbebetrieb und der nicht steuerbaren Sphäre ist auf das Gesamtbild der Verhältnisse und die Verkehrsanschauung abzustellen (vgl. Beschlüsse des Großen Senats des Bundesfinanzhofs —BFH— vom 3. Juli 1995 GrS 1/93, BFHE 178, 86 , BStBl II 1995, 617; vom 10. Dezember 2001 GrS 1/98, BFHE 197, 240 , BStBl II 2002, 291; Senatsbeschluss vom 15. März 2012 III R 30/10, BStBl II 2012, 661).

18  Eine private Vermögensverwaltung wird ausgeübt, solange sich die zu beurteilende Tätigkeit noch als Nutzung von Grundbesitz durch Fruchtziehung aus zu erhaltender Substanz darstellt und die Ausnutzung substantieller Vermögenswerte durch Umschichtungen nicht entscheidend in den Vordergrund tritt. Von einem gewerblichen Grundstückshandel kann dagegen im Regelfall ausgegangen werden, wenn innerhalb eines engen zeitlichen Zusammenhangs zwischen Anschaffung bzw. Errichtung und Verkauf, d.h. von etwa fünf Jahren, mindestens vier Objekte veräußert werden, weil die äußeren Umstände dann den Schluss zulassen, dass es dem Steuerpflichtigen auf die Ausnutzung substantieller Vermögenswerte durch Umschichtung ankommt (Senatsurteil vom 17. Dezember 2009 III R 101/06, BFHE 228, 65 , BStBl II 2010, 541).

19  Der Kläger hat im Verlauf des Streitjahres 1998 u.a. die beiden im Jahr 1995 erworbenen Grundstücke M und B sowie die beiden 1997 erworbenen Grundstücke K und H veräußert und bereits damit die objektiven Voraussetzungen des gewerblichen Grundstückshandels erfüllt. Ob das FA darüber hinaus auch das Grundstück O zu Recht in den einzelunternehmerischen Grundstückshandel einbezogen hat, braucht der Senat nicht zu entscheiden.

20  b) Die durch die Verkäufe indizierte Annahme, dass der Kläger bereits beim Erwerb der Grundstücke mit bedingter Veräußerungsabsicht handelte, ist entgegen der Ansicht des FG nicht widerlegt.

21  aa) Nach ständiger Rechtsprechung des BFH steht der Annahme einer bedingten Veräußerungsabsicht grundsätzlich nicht entgegen, dass die ursprüngliche Vermietungsabsicht aufgegeben und das Objekt aufgrund wichtiger und ungewollter Gründe verkauft wird. Denn die konkreten Anlässe und Beweggründe für den Verkauf —z.B. Ehescheidung, Finanzierungsschwierigkeiten, Krankheit, Gefälligkeit gegenüber Mandanten, ein unerwartet hohes Kaufangebot— sagen im Allgemeinen nichts darüber aus, ob der Steuerpflichtige nicht auch aus anderen Gründen zum Verkauf bereit gewesen wäre und insofern von Anfang an eine zumindest bedingte Veräußerungsabsicht gehabt hatte (vgl. die Nachweise im Senatsurteil in BFHE 228, 65 , BStBl II 2010, 541). Nichts anderes gilt für den sich im Streitfall aus der Ankündigung der Zwangsversteigerung durch das FA L ergebenden Druck.

22  bb) Die Drei-Objekt-Grenze hat die Bedeutung eines Anscheinsbeweises, der —ohne dass es dafür weiterer Indizien bedarf— den Schluss auf die innere Tatsache des Erwerbs (bzw. der Bebauung oder Erschließung) des jeweiligen Grundstücks in bedingter Veräußerungsabsicht zulässt, und nicht einer unwiderleglichen Vermutung, die eine Rechtfertigungsgrundlage im materiellen Recht erfordern würde. Ihre Geltungskraft kann daher im Einzelfall durch den Nachweis eines atypischen Sachverhaltsverlaufs erschüttert werden.

23  Dafür kommen indes die persönlichen oder finanziellen Beweggründe der Veräußerung nicht in Betracht, da es sich hierbei regelmäßig um nachträgliche Ereignisse handelt, die keinen Hinweis darauf geben können, ob ohne bedingte Veräußerungsabsicht gekauft (bzw. gebaut oder erschlossen) worden ist. Ungeeignet sind grundsätzlich auch Bekundungen des Steuerpflichtigen; dessen Behauptung, er wolle seine Immobilie lange halten, widerlegen die bedingte Veräußerungsabsicht ebenso wenig, wie ein gewerblicher Grundstückshandel durch eine bloße Absichtserklärung begründet werden kann. Die durch das Überschreiten der Drei-Objekt-Grenze indizierte innere Tatsache der bedingten Veräußerungsabsicht im Zeitpunkt des Erwerbs bzw. des Beginns der Bebauung oder der Erschließung kann danach —wie der Senat bereits mit Urteil in BFHE 228, 65 , BStBl II 2010, 541 entschieden hat (zustimmend BFH-Beschluss vom 17. August 2011 X B 225/10 , BFH/NV 2011, 2083 )— vornehmlich durch Gestaltungen des Steuerpflichtigen widerlegt werden, die in zeitlicher Nähe zum Erwerb (bzw. zur Bebauung oder Erschließung) stehen und eine Veräußerung innerhalb eines Zeitrahmens von etwa fünf Jahren erschweren oder unwirtschaftlicher machen. Dies kann z.B. eine langfristige Finanzierung oder eine langfristige Vermietung bzw. Verpachtung sein, wenn diese sich im Falle einer Veräußerung voraussichtlich ungünstig auswirken oder zusätzliche finanzielle Belastungen auslösen würde (z.B. durch eine Vorfälligkeitsentschädigung bei Darlehensablösung, vgl. dazu BFH-Urteil vom 28. Januar 2009 X R 35/07 , BFH/NV 2009, 1249 , oder die Inkaufnahme einer durch die Vermietung bedingten Wertminderung), oder die Einräumung von Nießbrauchsrechten, wodurch eine Verfügung über das Grundstück erschwert würde (BFH-Urteil vom 7. November 1990 X R 170/87 , nicht veröffentlicht). Derartige Indizien hat das FG indessen nicht festgestellt.

24  cc) Die Auffassung des FG, die Annahme einer bedingten Veräußerungsabsicht im Zeitpunkt des Erwerbs könne durch den Anlass der Veräußerung —hier die Vermeidung der Zwangsversteigerung— widerlegt werden, widerspricht somit der Rechtsprechung des BFH. Für den Senat ist auch nicht ersichtlich, dass der Kläger —was das FG in Betracht gezogen hat— das wirtschaftliche Eigentum an den Grundstücken durch die Sicherungshypotheken verloren hat.

25  2. Die Sache ist nicht entscheidungsreif, da die Feststellungen des FG nicht ausreichen, um über die Höhe der Gewerbesteuermessbeträge entscheiden zu können.

Bilanzierung | Rückstellung für öffentlich-rechtliche Verpflichtung

Rückstellung für öffentlich-rechtliche Anpassungsverpflichtung nach der TA Luft 2002

 Leitsatz

Eine behördliche Anweisung, nach der Altanlagen einen festgelegten Emissionswert ab einem bestimmten Zeitpunkt einhalten sollen (hier: Nr. 5.4.1.2.1 TA Luft 2002), kann in der Regel nicht dahin verstanden werden, dass die Verpflichtung zur Wahrung des Grenzwerts im Sinne der Rechtsprechung zu Verbindlichkeitsrückstellungen rechtlich bereits vor Ablauf dieses Zeitpunkts entsteht (Anschluss an BFH-Urteil vom 13. Dezember 2007 IV R 85/05, BFHE 220, 117, BStBl II 2008, 516; Abweichung vom Senatsurteil vom 27. Juni 2001 I R 45/97, BFHE 196, 216, BStBl II 2003, 121).

 Gesetze

EStG 2002 § 5 Abs. 1 Satz 1
BImSchG §§ 5
,
17
,
20, 48
HGB § 249
TA Luft 2002 Nr. 5.4.1.2.1 TA Luft 2002 Nr. 5.4.1.2.1

 Instanzenzug

FG Münster vom 14. Dezember 2011 10 K 1471/09 K,G (EFG 2012, 944)

 Gründe

I.

1  Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin), eine AG, produziert Holzplatten und unterhielt hierzu in den Streitjahren (2005 und 2006) u.a. eine Feuerungsanlage, die mit Holzresten und mit Heizöl betrieben werden konnte.

2  Mit Verfügung vom 1. Juli 2005 ordnete die zuständige Umweltbehörde gemäß § 17 Abs. 1 des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (BImSchG) an, dass beim Betrieb der Feuerungsanlage mit Holzwerkstoffen die nach der Ersten Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Bundes-Immissionsschutzgesetz (Technische Anleitung zur Reinhaltung der Luft) vom 24. Juli 2002 (Gemeinsames Ministerialblatt 2002, 511) —TA Luft 2002— zu beachtende Emissionsbegrenzung für den Abgasparameter staubförmige Emissionen (20 mg/cbm) „spätestens ab dem 01.10.2010 einzuhalten (ist)”. Nach der Begründung des Bescheids wurde mit der Sanierungsfrist berücksichtigt, dass „nach Nr. 5.4.1.2.1 (Altanlagen) der TA Luft 2002 die festgelegten Anforderungen spätestens acht Jahre nach Inkrafttreten der Verwaltungsvorschrift” (vgl. dazu Nr. 8 TA Luft 2002: 1. Oktober 2002) „eingehalten werden sollen”; damit werde —so die Begründung weiter— „sowohl bei der Festsetzung von Emissionswerten wie auch bei der zur Umsetzung gewährte(n) Frist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit…gewahrt”.

3  Für den Einbau der hiernach erforderlichen Rauchgasreinigungsanlage bildete die Klägerin entsprechend einem Angebot und unter Berücksichtigung des Abzinsungsgebots gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 3a Buchst. e des Einkommensteuergesetzes (EStG 2002) zum 31. Dezember 2005 eine Rückstellung in Höhe von 696.000 €. In der Steuerbilanz zum 31. Dezember 2006 ist die Rückstellung auf der Grundlage einer weiteren Konzeptstudie auf 1.615.000 € erhöht worden. Im Jahre 2007 wurde sodann eine neue Rauchgasreinigungsanlage mit einem Gesamtwert von netto 1,8 Mio. € bestellt; sie ist im Jahr 2008 geliefert und in Betrieb genommen worden.

4  Im Anschluss an eine Außenprüfung erließ der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt —FA—) für die Streitjahre geänderte Bescheide zur Festsetzung der Körperschaftsteuer sowie des Gewerbesteuermessbetrags, mit denen er die gebildeten Rückstellungen nicht (mehr) anerkannte.

5  Der dagegen erhobenen Klage hat das Finanzgericht (FG) Münster stattgegeben (Urteil vom 14. Dezember 2011 10 K 1471/09 K,G, abgedruckt in Entscheidungen der Finanzgerichte —EFG— 2012, 944). Die Verpflichtung zur Wahrung der neuen Grenzwerte sei bereits mit Inkrafttreten der TA Luft 2002 entstanden; der Klägerin sei lediglich zur Erfüllung dieser Verpflichtung eine Sanierungsfrist bis 1. Oktober 2010 eingeräumt worden. Für solche Verpflichtungen sei eine Rückstellung auch dann zu bilden, wenn sie —wie vorliegend— an den in Frage stehenden Bilanzstichtagen mangels eines Vergangenheitsbezugs wirtschaftlich noch nicht verursacht seien. Der begehrten Passivierung stehe auch nicht entgegen, dass nach § 5 Abs. 4b EStG 2002 Rückstellungen für Aufwendungen, die in zukünftigen Wirtschaftsjahren als Herstellungskosten eines Wirtschaftsguts zu aktivieren sind, nicht gebildet werden dürfen. Die Rauchgasentstaubungsanlage sei kein selbständiges Wirtschaftsgut, sondern unselbständiger Bestandteil der Sachgesamtheit Holz-Feuerungsanlage geworden. Hierfür sprächen die einheitliche Zweckbestimmung (Erzeugung von Energie unter Einhaltung der Grenzwerte des Bundes-Immissionsschutzgesetzes) und die spezielle technische Verbindung von Filter- und Feuerungsanlage. Auch habe der Einbau der Rauchgasentstaubungsanlage nicht deshalb zu einer wesentlichen Verbesserung der Gesamtanlage i.S. von § 255 Abs. 2 des Handelsgesetzbuchs (HGB) geführt, weil hierdurch der umweltrechtlich geforderte Zustand geschaffen worden sei. Eine Leistungssteigerung der Feuerungsanlage sei mit der Nachrüstung nicht verbunden gewesen.

6  Mit der vom FG zugelassenen Revision beantragt das FA, das vorinstanzliche Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

7  Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.

8  Das dem Verfahren beigetretene Finanzministerium des Landes Nordrhein-Westfalen hat keinen Antrag gestellt.

II.

9  Die Revision ist begründet. Das FA hat zu Recht die von der Klägerin für die Verpflichtung zur Einhaltung der Grenzwerte gemäß TA Luft 2002 gebildeten Rückstellungen nicht anerkannt. Das hiervon abweichende Urteil des FG ist deshalb aufzuheben und die Klage abzuweisen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung —FGO—).

10  1. Gemäß § 249 Abs. 1 Satz 1 HGB sind in der Handelsbilanz u.a. Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten zu bilden. Die daraus folgende Passivierungspflicht gehört zu den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung und war gemäß § 5 Abs. 1 Satz 1 EStG 2002 i.V.m. § 8 Abs. 1 Satz 1 des Körperschaftsteuergesetzes 2002 auch für die Steuerbilanz der Klägerin zu beachten (ständige Rechtsprechung, Senatsbeschluss vom 16. Dezember 2009 I R 43/08, BFHE 227, 469, BStBl II 2012, 688).

11  2. Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten setzen entweder das Bestehen einer ihrer Höhe nach ungewissen Verbindlichkeit oder die überwiegende Wahrscheinlichkeit des Entstehens einer Verbindlichkeit dem Grunde nach voraus, deren Höhe zudem ungewiss sein kann. Gegenstand der Verbindlichkeit können nicht nur Geldschulden, sondern auch Werkleistungspflichten sein. Beruhen die Verbindlichkeiten auf öffentlich-rechtlichen Vorschriften, so bedarf es der Konkretisierung in dem Sinne, dass sie inhaltlich hinreichend bestimmt, in zeitlicher Nähe zum Bilanzstichtag zu erfüllen sowie sanktionsbewehrt sind. Ist die Verpflichtung am Bilanzstichtag nicht nur der Höhe nach ungewiss, sondern auch dem Grunde nach noch nicht rechtlich entstanden, so kann eine Rückstellung nur unter der weiteren Voraussetzung gebildet werden, dass sie wirtschaftlich in den bis zum Bilanzstichtag abgelaufenen Wirtschaftsjahren verursacht ist (vgl. zu allem Senatsurteile vom 6. Juni 2012 I R 99/10, BFHE 237, 335; vom 27. Juni 2001 I R 45/97, BFHE 196, 216, BStBl II 2003, 121, jeweils mit umfangreichen Nachweisen).

12  3. Vorliegend war die Verpflichtung zur Begrenzung staubförmiger Emissionen gemäß TA Luft 2002 zum Ende der Streitjahre zwar hinreichend konkretisiert, da die Nichtbeachtung der Ordnungsverfügung vom 1. Juli 2005, mit der der Klägerin aufgegeben wurde, den Grenzwert für staubförmige Emissionen von 20 mg/cbm spätestens ab dem 1. Oktober 2010 einzuhalten, die Untersagung des Betriebs der Klägerin hätte zur Folge haben können (§ 20 BImSchG) und z.B. nach dem Ordnungswidrigkeitstatbestand des § 62 Abs. 1 Nr. 5 BImSchG sanktionsbewehrt war (vgl. Jarass, Bundes-Immissionsschutzgesetz, 9. Aufl., § 17 Rz 81, § 20 Rz 12 und § 62 Rz 18; Senatsurteil in BFHE 196, 216, BStBl II 2003, 121); auch bedarf es insoweit keiner qualifizierten Nähe der erforderlichen Anpassungsmaßnahmen zum Bilanzstichtag (Senatsurteil in BFHE 237, 335). Die Verpflichtung zur Einhaltung dieses Emissionswerts war an den Bilanzstichtagen der Streitjahre jedoch weder rechtlich entstanden (nachfolgend zu 3.a) noch war sie bis zu diesen Zeitpunkten wirtschaftlich verursacht (nachfolgend zu 3.b). Demgemäß erübrigen sich auch Ausführungen dazu, ob —wie vom Beigetretenen sowie dem FA geltend gemacht— die der Klägerin entstandenen Aufwendungen als nachträgliche Herstellungskosten zu aktivieren und deshalb von einer Rückstellungspassivierung ausgeschlossen sind (vgl. § 5 Abs. 4b EStG 2002).

13  a) Nach allgemeinen Grundsätzen, die auch im öffentlichen Recht Gültigkeit beanspruchen, entstehen Ansprüche und Verpflichtungen zu dem Zeitpunkt, zu dem die sie begründenden Tatbestandselemente erfüllt sind (Urteil des Bundesfinanzhofs —BFH— vom 19. Mai 1987 VIII R 327/83, BFHE 150, 140, BStBl II 1987, 848; Senatsurteil vom 13. November 1991 I R 78/89, BFHE 166, 96, BStBl II 1992, 177, jeweils m.w.N.). Eine solche Tatbestandsverwirklichung kann sich nicht nur daraus ergeben, dass der Betroffene die Merkmale eines gesetzlichen Tatbestands verwirklicht; gleiches gilt darüber hinaus für Verpflichtungen, die auf einem Verwaltungsakt beruhen. Maßgeblich für das Entstehen einer Verpflichtung ist in letzterem Falle jedoch nicht die Bekanntgabe des Verwaltungsakts und die hierdurch bedingte (äußere) Bindung des Adressaten (vgl. § 43 Abs. 1 Satz 1 des Verwaltungsverfahrensgesetzes —VwVfG—; Kopp/Ramsauer, Verwaltungsverfahrensgesetz, 13. Aufl., § 43 Rz 5); abzustellen ist vielmehr auf die sog. innere Wirksamkeit, d.h. darauf, zu welchem Zeitpunkt die in der konkreten Regelung enthaltenen materiellen Rechtsfolgen ausgelöst werden (Beachtlichkeit des Regelungsinhalts; vgl. § 43 Abs. 1 Satz 2 VwVfG). Auch wenn die innere Wirksamkeit im Regelfall mit der Bekanntgabe des Verwaltungsakts (äußere Wirksamkeit) einhergeht, so kann sie —und damit die mit dem Verwaltungsakt ausgesprochene Rechtswirkung— vor allem dann, wenn die Regelung von einer aufschiebenden Bedingung und Befristung abhängig gemacht wird (vgl. § 36 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 VwVfG), auch erst zu einem späteren Zeitpunkt eintreten (Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 15. November 1978 8 C 35.76, BVerwGE 57, 69, 70; Kopp/Ramsauer, a.a.O., § 43 Rz 6; Bumke in Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle, Grundlagen des Verwaltungsrechts, Bd. II, 2. Aufl., § 35 Rz 43 ff.).

14  aa) Die Verpflichtung der Klägerin zur Begrenzung staubförmiger Emissionen gemäß TA Luft 2002 (vom 24. Juli 2002) war nicht bereits mit Inkrafttreten der Verwaltungsvorschrift am 1. Oktober 2002 entstanden (vgl. Nr. 8 TA Luft 2002). Insbesondere kann dies nicht aus § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BImSchG abgeleitet werden, nach dem zur Gewährleistung eines hohen Schutzniveaus für die Umwelt genehmigungspflichtige Anlagen so zu betreiben sind, dass Vorsorge gegen schädliche Umwelteinwirkungen und sonstige Gefahren, insbesondere durch die dem Stand der Technik entsprechenden Maßnahmen, getroffen wird. Zwar wurden mit der TA Luft 2002 —entsprechend dem sich aus § 48 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BImSchG ergebenden gesetzlichen Auftrag zur Normkonkretisierung— die nach dem Stand der Technik vermeidbaren Emissionswerte bundeseinheitlich festgelegt (so die Begründung der Verwaltungsvorschrift; BRDrucks 1058/01, S. 234) mit der Folge, dass zur Einhaltung dieser Werte auch für bereits genehmigte (Alt-)Anlagen nachträgliche Anordnungen gemäß § 17 Abs. 1 BImSchG getroffen werden konnten. Da eine solche Verfügung aber nach § 17 Abs. 2 BImSchG nicht unverhältnismäßig sein durfte und somit einer Ermessensentscheidung der zuständigen Behörde unterlag (vgl. Jarass, a.a.O., § 17 Rz 58 ff.), wurde in Nr. 5.4.1.2.1 TA Luft 2002 geregelt, dass die Anforderungen zur Begrenzung staubförmiger Emissionen (im Streitfall: 20 mg/cbm) für Altanlagen „spätestens acht Jahre nach Inkrafttreten dieser Verwaltungsvorschrift” (mithin: spätestens zum 1. Oktober 2010) „eingehalten werden sollen”. Letzteres steht im Zusammenhang damit, dass die TA Luft 2002 auch der Ermessenslenkung der Behörden bei der Anlagenüberwachung und damit u.a. dem Ziel dient, Altanlagen nach einem einheitlichen und umfassenden Konzept innerhalb bestimmter Übergangsfristen (Sanierungsfristen) unter Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes an den Stand der Technik von Neuanlagen heranzuführen (BRDrucks 1058/01, S. 236 und 242; Jarass, a.a.O., § 48 Rz 29 ff.; Kloepfer, Umweltrecht, 3. Aufl., § 14 Rz 192). Hieraus ergibt sich zugleich, dass die Klägerin —jedenfalls vor Ablauf des in Nr. 5.4.1.2.1 TA Luft 2002 genannten Termins (1. Oktober 2010)— nur auf der Grundlage eines (einzelfallbezogenen) konkretisierenden behördlichen Handelns zur Einhaltung der Grenzwerte für staubförmige Emissionen verpflichtet war.

15  bb) Eine solche behördliche Einzelfallentscheidung ist zwar mit der Ordnungsverfügung vom 1. Juli 2005 ergangen. Auch hierdurch wurde jedoch für die Klägerin keine Pflicht begründet, den für staubförmige Emissionen festgelegten Höchstwert beim Betrieb ihrer Alt-Feuerungsanlage bereits in den Streitjahren zu wahren.

16  aaa) Hiergegen spricht nicht nur der Wortlaut der Verfügung. Die Anordnung, die „Emissionsbegrenzung…spätestens ab dem 1. Oktober 2010 einzuhalten”, ist nach dem objektiven Empfängerhorizont (vgl. dazu Kopp/Ramsauer, a.a.O., § 35 Rz 55) nicht dahin zu verstehen, dass die Klägerin mit der Bekanntgabe des Bescheids, also seiner äußeren Wirksamkeit, verpflichtet werden sollte, Maßnahmen zur Emissionsbegrenzung zu ergreifen. Vielmehr sollte diese materielle Rechtswirkung —d.h. die Pflicht zur Wahrung des Grenzwerts für staubförmige Emissionen gemäß TA Luft 2002— erst „ab” dem 1. Oktober 2010 ausgelöst werden. Dabei kann offenbleiben, ob es sich hierbei um eine Befristung oder um eine aufschiebende Bedingung gehandelt hat (vgl. zur Abgrenzung Hennecke in Knack/Hennecke, VwVfG, 9. Aufl., § 36 Rz 32 ff.); in beiden Fällen wäre jedenfalls die —für das Entstehen der öffentlich-rechtlichen Verpflichtung maßgebliche— innere Wirksamkeit der Regelung mit Ablauf des zweiten Streitjahrs (2006) noch nicht eingetreten.

17  Neben dem Wortlaut ist für die Auslegung des Bescheids gleichfalls dessen Begründung zu berücksichtigen (vgl. Kopp/ Ramsauer, a.a.O., § 35 Rz 54, m.w.N.). Diese weist die Klägerin darauf hin, dass es sich bei der Emissionsbegrenzung um eine Zielvorgabe handele, es mithin der Klägerin obliege, die technisch und wirtschaftlich optimale Lösung auszuwählen. Sie nimmt im Hinblick auf die Sanierungsfrist bei Altanlagen darüber hinaus ausdrücklich auf die Sollvorgabe nach Nr. 5.4.1.2.1 TA Luft 2002 Bezug und erläutert hierzu, dass mit der zur Umsetzung gewährten Frist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt werde. Auch dies lässt nur den Schluss zu, dass die Feuerungsanlage der Klägerin nicht bereits mit der Bekanntgabe der Verfügung, sondern —entsprechend der Grundkonzeption der TA Luft 2002— nach einem einheitlichen Konzept unter Beachtung ihrer berechtigten und verfassungsrechtlich geschützten Belange an den Stand der Technik von Neuanlagen herangeführt werden sollte.

18  bbb) Die vorstehenden Auslegungsgrundsätze stimmen im Ergebnis mit der Ansicht des IV. Senats des BFH überein, der mit Urteil vom 13. Dezember 2007 IV R 85/05 (BFHE 220, 117, BStBl II 2008, 516) für die Verpflichtung zur Ausstattung von Tankstellen mit Gasrückführungssystemen gemäß der 21. Verordnung zur Durchführung des BImSchG vom 7. Oktober 1992 (BGBl I 1992, 1730) entschieden hat, dass diese Verpflichtungen nicht vor Ablauf der in § 9 der Verordnung geregelten Übergangsfristen entstehen (im Streitfall 31. Dezember 1997). Er hat hierbei auch auf das BFH-Urteil in BFHE 150, 140, BStBl II 1987, 848 Bezug genommen, nach dem die Verpflichtung zur Überholung und Nachprüfung von Luftfahrtgeräten erst dann entsteht, wenn die in den einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen festgelegte Betriebszeit erreicht wird.

19  Soweit der Senat in seinem Urteil in BFHE 196, 216, BStBl II 2003, 121 demgegenüber die Auffassung vertreten hat, eine Verpflichtung zur Wahrung neuer Emissionsgrenzwerte sei unmittelbar den Anforderungen des § 5 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 1 und 2 BImSchG sowie der TA Luft zu entnehmen und eine hiervon abweichende Übergangsanordnung bestimme deshalb lediglich den Zeitpunkt der Fälligkeit der Anpassungsverpflichtung, hält er daran nicht mehr fest. Abgesehen davon, dass das Urteil in BFHE 196, 216, BStBl II 2003, 121 nicht die vorliegend einschlägige TA Luft 2002 betrifft, ist jedenfalls bei solchen Altanlagen, die —wie im Streitfall die Feuerungsanlage der Klägerin— ausdrücklichen Übergangsregelungen der TA Luft 2002 unterworfen sind, nach Maßgabe der dargestellten Gründe davon auszugehen, dass sie im Rahmen eines bundeseinheitlichen Gesamtkonzepts nur in zeitlicher Stufung dem für Neuanlagen geltenden Stand der Technik unterworfen werden sollen und deshalb auch nach der hierauf fußenden behördlichen Verfügung die Verpflichtung zur Einhaltung der neuen Grenzwerte grundsätzlich erst nach Ablauf der Übergangsfrist entsteht.

20  b) Zwar können Rückstellungen auch für am Bilanzstichtag dem Grunde nach noch nicht entstandene (d.h. ungewisse) Verbindlichkeiten gebildet werden, wenn sie bis zu diesem Zeitpunkt jedenfalls wirtschaftlich verursacht sind. Indes ist im Streitfall auch diese Voraussetzung nicht erfüllt.

21  Die wirtschaftliche Verursachung einer Verbindlichkeit im abgelaufenen Wirtschaftsjahr oder in den Vorjahren setzt voraus, dass die wirtschaftlich wesentlichen Tatbestandsmerkmale erfüllt sind und das Entstehen der Verbindlichkeit nur noch von wirtschaftlich unwesentlichen Tatbestandsmerkmalen abhängt. Maßgebend ist hiernach die wirtschaftliche Wertung des Einzelfalls im Lichte der rechtlichen Struktur des Tatbestands, mit dessen Erfüllung die Verbindlichkeit entsteht (ständige Rechtsprechung, z.B. BFH-Urteil in BFHE 150, 140, BStBl II 1987, 848, m.w.N.). In der Rechtsprechung ist geklärt, dass eine Verbindlichkeit, die lediglich darauf gerichtet ist, die Nutzung bestimmter Wirtschaftsgüter in Zeiträumen nach Ablauf des Bilanzstichtags zu ermöglichen, in den bis dahin abgeschlossenen Rechnungsperioden noch nicht wirtschaftlich verursacht ist (vgl. hierzu auch Blümich/Buciek, § 5 EStG Rz 800a). Hierauf aufbauend hat der BFH beispielsweise Rückstellungen für die Überprüfung von Luftfahrtgeräten vor Ablauf der gesetzlich bestimmten Inspektionsfristen abgelehnt (BFH-Urteil in BFHE 150, 140, BStBl II 1987, 848); ebenso ist für die Verpflichtung zur Nachrüstung von Tankstellenanlagen vor dem Auslaufen der gesetzlich bestimmten Übergangsfristen für Altanlagen entschieden worden (BFH-Urteil in BFHE 220, 117, BStBl II 2008, 516). Nichts anderes kann im Streitfall gelten. Auch hier soll —aufgrund der verfügten Übergangsregelung— der Einsatz der von der Klägerin betriebenen Feuerungsanlage erst ab dem 1. Oktober 2010 rechtlich an die Einhaltung der verschärften Grenzwerte gebunden sein.

22  4. Die Sache ist spruchreif. Das vorinstanzliche Urteil ist aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Umsatzsteuer | Behandlung sog. Spar-Menüs eines Schnellrestaurantbetreibers (BFH)

Aufteilung eines Gesamtkaufpreises

 Leitsatz

Es ist nicht ernstlich zweifelhaft, dass die Aufteilung eines Gesamtkaufpreises nach der „einfachstmöglichen” Aufteilungsmethode zu erfolgen hat. Liefert der Unternehmer die im Rahmen eines Gesamtkaufpreises gelieferten Gegenstände auch einzeln, ist der Gesamtkaufpreis grundsätzlich nach Maßgabe der Einzelverkaufspreise aufzuteilen.

 Gesetze

UStG § 10
FGO § 69

 Instanzenzug

Schleswig-Holsteinisches FG vom 4. Oktober 2012 4 V 30/11 (EFG 2013, 172)

 Gründe

I.

1  Die Antragstellerin und Beschwerdeführerin (Antragstellerin), eine GmbH, betreibt als Franchisenehmer einer Fast-Food-Kette mehrere Schnellrestaurants. Sie lieferte ihre Produkte —Speisen und Getränke— sowohl zum Verzehr innerhalb der Restaurants, als auch zum Verzehr außer Haus. Dabei lieferte sie auch sog. „Sparmenüs”, bei denen es sich um Produktzusammenstellungen handelte, die neben Speisen wie Sandwiches und Pommes-frites auch Getränke in verschiedenen Größen umfassten. Hierfür hatte der Kunde einen Pauschalpreis zu entrichten, der unter der Summe der Einzelveräußerungspreise der Menübestandteile lag. Für den Kunden war keine Aufschlüsselung der auf die einzelnen Bestandteile des Menüs entfallenen Preise erkennbar. Lediglich aus dem Kassenzettel war für den Kunden ersichtlich, dass ein Bestandteil des Pauschalpreises mit dem ermäßigten Steuersatz und einer mit dem Regelsteuersatz besteuert wurde.

2  Den Unterschiedsbetrag zwischen der Summe der Einzelpreise und dem Preis des „Sparmenüs” („Rabatt”) berücksichtigte die Antragstellerin ausschließlich bei dem —dem Regelsteuersatz unterliegenden— Getränk. Dies führte im Streitjahr 2002 dazu, dass bei einem sog. mittleren Menü der Preis für das Getränk, dessen Einzelverkaufspreis sich auf ca. 27 % der Summe aller Einzelverkaufspreise des „Sparmenüs” belief, im Rahmen des „Sparmenüs” dagegen nur noch ca. 12,6 % des Menüpreises ausmachte.

3  Grundlage hierfür war insbesondere ein Schreiben des Bundesministeriums für Finanzen (BMF) vom 4. Oktober 2004 (auf eine Anfrage einer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft), wonach ”… bei der Lieferung von Menüs, die Getränke einschließen, im Rahmen von Außer-Haus-Verkäufen keine einheitlichen Leistungen vorliegen, sondern mehrere Lieferungen ausgeführt werden. Der jeweilige Unternehmer kann das Gesamtentgelt auf die einzelnen Lieferbestandteile aufteilen. Diese Aufteilung darf jedoch im Hinblick auf die unterschiedlichen Steuersätze nicht missbräuchlich i.S. des § 42 der Abgabenordnung (AO) erfolgen. Damit wird den Unternehmern keine bestimmte Art der Aufteilung des Preisnachlasses vorgeschrieben. Aufgrund der besonders hohen Aufschlagssätze bei den Getränken erscheint eine Rabattgewährung überwiegend bei den Getränken durchaus gerechtfertigt zu sein, wenn die Preisbildung nicht missbräuchlich wird, d.h. das Entgelt kann nach Rabattgewährung noch als angemessen beurteilt werden. Die einzelnen Produkte, aus denen sich das Sparmenü zusammensetzt, können damit zwar unterschiedlich kalkuliert werden, für jedes Produkt des Sparmenüs muss jedoch ein angemessener Gewinnaufschlag verbleiben. Wird das Entgelt für das einzelne Produkt des Sparmenüs aufgrund eines zu geringen Gewinnaufschlags zu niedrig angesetzt, würde sich allerdings die Frage des Gestaltungsmissbrauchs im Sinne von § 42 AO stellen”.

4  Im Anschluss an eine Außenprüfung ging der Antragsgegner und Beschwerdegegner (das Finanzamt —FA—) davon aus, dass die von der Antragstellerin vorgenommene Kaufpreisaufteilung missbräuchlich sei. Die Entgelte seien nach Einzelproduktpreisen ins Verhältnis zu setzen. Daher sei der Menüpreis in dem Verhältnis der Einzelverkaufspreise der Menükomponenten „linear” aufzuteilen und so die Bemessungsgrundlagen für die Besteuerung mit dem Regelsteuersatz (Getränk) einerseits und mit dem ermäßigten Steuersatz (Speisen) andererseits zu ermitteln. Das FA erließ am 8. November 2010 entsprechend geänderte Umsatzsteuerbescheide für die Streitjahre 2002 bis 2006.

5  Hiergegen legte die Antragstellerin Einspruch ein und beantragte Aussetzung der Vollziehung (AdV). Mit Verfügung vom 13. Januar 2011 lehnte das FA den Antrag auf AdV der Umsatzsteuerbescheide 2002 bis 2006 vom 8. November 2010 unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) zur Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG ab.

6  Auch der beim Finanzgericht (FG) gestellte AdV-Antrag hatte keinen Erfolg. Mit dem in „Entscheidungen der Finanzgerichte” 2013, 172 veröffentlichten Beschluss entschied das FG, dass die Umsätze aus der Lieferung der sog. „Sparmenüs”, die zu einem Pauschalpreis angeboten wurden, als „Außer-Haus-Menüs” hinsichtlich der Speisen dem ermäßigten Steuersatz und hinsichtlich des Getränks dem Regelsteuersatz unterlägen. Es sei keine einheitliche Leistung, sondern eine Mehrheit von Leistungen gegeben, die jeweils eigenständig zu beurteilen seien. Der auf die Speisen und auf die Getränke entfallende Teil des Entgelts sei unter Anwendung der einfachst möglichen Berechnungsmethode zu ermitteln. Aus Gründen der Einfachheit und Transparenz bezüglich der Marktpreise sei es sachgerecht, grundsätzlich auf die jeweiligen Einzelveräußerungspreise der Menükomponenten abzustellen. Auf dieser Grundlage sei es unter geringem Ermittlungs- und Berechnungsaufwand auf einfache Weise möglich, das pauschale Entgelt für das Menü in dem Verhältnis, in welchem die Einzelveräußerungspreise der Komponenten zueinander stünden, sachgerecht aufzuteilen. Es bedürfe für diese Form der Ermittlung allein der Heranziehung der im jeweiligen Streitjahr angesetzten Verkaufspreise und des Menüpreises, so dass die Berechnung bei einem aus drei Komponenten bestehenden Menü und gleichbleibenden Verkaufspreisen leicht ermittelbar sei. Dabei entspreche es auch dem Erfordernis der Einfachheit, den Menüpreis im Verhältnis der bekannten Einzelverkaufspreise aufzuteilen und nicht etwa eine oder zwei Komponente(n) mit ihrem Einzelverkaufspreis anzusetzen und den Wert der anderen Komponenten aus der Differenz zwischen diesem Einzelverkaufspreis und dem Pauschalpreis zu ermitteln. Denn bei letzterer Vorgehensweise müsse zudem ein plausibler und sachgerechter Maßstab für die Frage gefunden werden, welche Komponente(n) als Ausgangsgröße(n) heranzuziehen wäre(n) und —wenn nur eine Komponente mit ihrem Einzelverkaufspreis herangezogen werde— wie sich der Restbetrag auf die verbleibenden Menübestandteile verteile. Diese Problematik stelle sich bei einer Aufteilung im Verhältnis der Einzelverkaufspreise nicht.

7  Die Wahl einer Methode auf der Grundlage tatsächlicher Kosten sei dagegen mit einem nicht nur einmaligen Ermittlungs- und Berechnungsaufwand verbunden, sondern wäre bei unterjährig schwankenden Einkaufspreisen ggf. mehrfach anzupassen. Es müsste neben dem Ausgangswert des Einstandspreises zusätzlich die Streitfrage der jeweiligen Marge pro Menübestandteil geklärt werden, um zu einem konkreten Preis für die Einzelleistungen zu gelangen. Die Antragstellerin habe auch keine transparente, nachvollziehbare einheitliche Methode angewendet. Vielmehr schwankten die auf die Menübestandteile entfallenen Preise, Margen bzw. Aufschlagssätze je nach Art des Menüs und über die Streitjahre hinweg nach einem sich nicht erschließenden System. Die hiergegen vorgebrachten Argumente der Antragstellerin, dass lediglich beim Getränk hinreichend Spielraum für eine Rabattgewährung bestünde, und dass eine verhältnismäßige Rabattgewährung zu einem negativen Rohgewinnaufschlagsatz bei den Hamburgern führen könnte, griffen nicht durch. Denn der Rabatt werde ausschließlich auf das Gesamtpaket in seiner jeweiligen —unveränderbaren— Zusammenstellung gewährt. Ob das Anbieten eines solchen Leistungspakets zum jeweiligen Pauschalpreis unter Wirtschaftlichkeitsgesichtspunkten sinnvoll sei, hänge davon ab, in welchem Verhältnis die gesamten Kosten aller Menübestandteile zum pauschalen Verkaufspreis stünden. Es sei insoweit nicht ersichtlich, dass eine rein interne Zuordnung der Verkaufspreise vornehmlich auf die Speisen wirtschaftliche Vorteile für die Antragstellerin habe. Durch die interne „Verschiebung” der Bemessungsgrundlagen werde weder der Gesamtaufwand für die Menükomponenten noch die Summe des eingenommenen Geldes verändert. Es sei nicht erkennbar, weshalb es sich —bei insgesamt gleichbleibenden Kosten und Einnahmen— als wirtschaftlich ungünstig erweisen sollte, wenn bei der internen Zuordnung der auf einzelne (untrennbare) Menükomponenten entfallene Rohgewinnaufschlag negativ würde.

8  Hiergegen wendet sich die Antragstellerin mit der vom FG zugelassenen Beschwerde. Die Kunden hätten die Kaufpreisaufteilung der Antragstellerin akzeptiert. Die Wahl des Aufteilungsmaßstabes unterliege der Privatautonomie. Es bestehe Preisbestimmungsautonomie. Aufgrund der hohen Aufschläge könne eine Rabattgewährung überwiegend bei den Getränken gerechtfertigt sein. Es entspreche betriebswirtschaftlichen und kaufmännischen Grundsätzen der Preisbildung, die Preisermäßigung auf den Produktteil mit dem höchsten Kalkulationsaufschlag zu gewähren. Den Vorgaben des BMF sei zu folgen. Im Hinblick auf die hohen Margen bei den Getränken sei der Rabatt bei deren Lieferung vorrangig zu berücksichtigen gewesen. Es liege kein Gestaltungsmissbrauch vor. Zumindest sei Vertrauensschutz zu gewähren. Zu berücksichtigen sei auch die Rechtsprechung zur Vorsteueraufteilung.

9  Die Antragstellerin beantragt sinngemäß,

den Beschluss des FG aufzuheben und die Vollziehung der Umsatzsteuerbescheide 2002 bis 2006 vom 8. November 2010 auszusetzen.

10  Das FA beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

II.

11  Die gemäß § 128 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zulässige Beschwerde der Antragstellerin ist unbegründet.

12  1. Nach § 128 Abs. 3 i.V.m. § 69 Abs. 3 Satz 1, Abs. 2 Satz 2 FGO ist die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsaktes ganz oder teilweise auszusetzen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit dieses Verwaltungsaktes bestehen. Ernstliche Zweifel i.S. von § 69 Abs. 2 Satz 2 FGO liegen bereits dann vor, wenn bei summarischer Prüfung des angefochtenen Bescheides neben für seine Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung von Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung entscheidungserheblicher Tatfragen bewirken (ständige Rechtsprechung seit dem Beschluss des Bundesfinanzhofs —BFH— vom 10. Februar 1967 III B 9/66 , BFHE 87, 447, BStBl III 1967, 182; BFH-Beschluss vom 20. Juli 2012 V B 82/11 , BFHE 237, 545 , BStBl II 2012, 809, unter II.1.). Die Entscheidung hierüber ergeht bei der im AdV-Verfahren gebotenen summarischen Prüfung aufgrund des Sachverhalts, der sich aus dem Vortrag der Beteiligten und der Aktenlage ergibt (vgl. BFH-Beschlüsse in BFHE 237, 545 , BStBl II 2012, 809, unter II.1.; vom 7. September 2011 I B 157/10, BFHE 235, 215 , BStBl II 2012, 590, unter II.2.). Zur Gewährung der AdV ist es nicht erforderlich, dass die für die Rechtswidrigkeit sprechenden Gründe im Sinne einer Erfolgswahrscheinlichkeit überwiegen (BFH-Beschluss in BFHE 237, 545 , BStBl II 2012, 809, unter II.1.).

13  2. Zwischen den Beteiligten ist zu Recht unstreitig, dass die Antragstellerin im Rahmen des „Sparmenüs” zwei Lieferungen, die des Getränks und die der Speise ausgeführt hat. Offen bleiben kann im Streitfall, ob das FA im Hinblick auf die Lieferung der Speise zu Recht von einer Anwendung des ermäßigten Steuersatzes nach § 12 Abs. 2 Nr. 1 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) in Verbindung mit einer in der Anlage zum UStG genannten Position des Zolltarifs ausgegangen ist. Denn wie das FG zutreffend entschieden hat, bestehen keinerlei ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der vom FA vorgenommenen Rabattaufteilung.

14  a) Im summarischen Verfahren geht der Senat —ohne darüber abschließend zu entscheiden— zugunsten der Antragstellerin davon aus, dass die Speisenlieferung dem ermäßigten Steuersatz unterliegt und die Antragstellerin Gegenstände geliefert hat, die teils dem ermäßigten Steuersatz und teils —als Getränk— dem Regelsteuersatz unterliegen.

15  Wie das FG zutreffend entschieden hat und im Übrigen zwischen den Beteiligten nicht streitig ist, kommt es durch die Zusammenfassung von Speise und Getränk im Rahmen eines zum Mitnehmen bestimmten „Sparmenüs” umsatzsteuerrechtlich nicht zu einer einzigen Lieferung; es ist vielmehr bei der gebotenen summarischen Prüfung von zwei selbständigen Lieferungen auszugehen.

16  b) Ist somit im summarischen Verfahren von zwei unterschiedlich zu besteuernden Lieferungen auszugehen, ist der einheitliche Preis für das Menü in zwei Entgeltbestandteile aufzuteilen.

17  aa) Wie der EuGH in seinem Urteil vom 25. Februar 1999 C-349/96, CPP (Slg. 1999, I-973 Rdnr. 31) unter Bezugnahme auf sein Urteil vom 22. Oktober 1998 C-308/96 und C-94/97, Madgett und Baldwin (Slg. 1998, I-6229) entschieden hat, ist, wenn „Kunden trotz des einheitlichen Preises aus ihrer Sicht zwei gesonderte Dienstleistungen erwerben, nämlich eine Versicherungsdienstleistung und eine Kartenregistrierungsdienstleistung,…der Teil des einheitlichen Preises, der sich auf die Versicherungsdienstleistung bezieht und jedenfalls von der Steuer befreit bliebe, herauszurechnen”. Dabei ist die „einfachstmögliche Berechnung- oder Bewertungsmethode” zu verwenden. Nach dieser Rechtsprechung, der sich der BFH angeschlossen hat (BFH-Urteile vom 31. Mai 2001 V R 97/98 , BFHE 194, 555 , BStBl II 2001, 658, unter II.1.d, und vom 7. Oktober 2010 V R 12/10, BFHE 231, 349 , BStBl II 2011, 303, unter II.4.b), ist ein einheitliches Entgelt, das für zwei unterschiedlich zu besteuernde Leistungen entrichtet wird, zum einen aufzuteilen, wobei zum anderen die Aufteilungsmethode zu verwenden ist, die „einfachstmöglich” ist.

18  bb) Der Senat hat dabei im Streitfall nicht zu entscheiden, ob die danach erforderliche Entgeltaufteilung nach der „einfachstmöglichen Berechnungs- oder Bewertungsmethode” jegliches Ermessen des Unternehmers hinsichtlich der Aufteilung ausschließt oder ob für den Unternehmer entsprechend dem Rechtsgedanken des § 15 Abs. 4 UStG die Befugnis zu einer sachgerechten Schätzung besteht. Denn sachgerecht in diesem Sinne ist die vom FA vorgenommene „lineare” Verteilung des Rabattbetrags für das „Sparmenü” nach dem Verhältnis der Einzelverkaufspreise, nicht aber die von der Antragstellerin erstrebte Aufteilung nach den Kosten der beiden Lieferungen, die bereits nach dem eigenen Vortrag der Antragstellerin zu einer komplexen Berechnung zur Aufteilung des Gesamtpreises zwingt, wie das FG zutreffend —insbesondere unter Hinweis auf unterjährige Kostenschwankungen— entschieden hat.

19  cc) Ob eine hiervon abweichende Beurteilung dann in Betracht kommen könnte, wenn die lineare Aufteilung des Gesamtverkaufspreises nach Maßgabe der Einzelverkaufspreise für eine der im Rahmen des „Sparmenüs” erfolgten Einzellieferungen zu einem Entgelt unter dem Nettoeinkaufspreis führt, ist im Streitfall, dem eine derartige Fallgestaltung weder im Hinblick auf Getränke noch im Hinblick auf die von der Antragstellerin zubereiteten Speisen zugrunde liegt, nicht zu entscheiden.

20  dd) Dem von der Antragstellerin als maßgeblich angesehenen Gesichtspunkt der Preisbestimmungs- und Preisaufteilungsautonomie kommt keine Bedeutung zu. Die Antragstellerin hat ihre Preisbestimmungsautonomie durch die Bildung des von ihr gewählten Gesamtpreises ausgeübt. Eine weiter gehende Preisaufteilungsautonomie im Sinne einer Entscheidungsfreiheit über die sich hieraus ergebenden steuerrechtlichen Rechtsfolgen besteht nicht.

21  ee) Schließlich kann sich die Antragstellerin für die von ihr erstrebte Berücksichtigung des Rabatts bei der Getränkelieferung nicht mit Erfolg auf das von ihr zitierte BMF-Schreiben vom 4. Oktober 2004 berufen, in dem auf einen Beschluss der „Abteilungsleiter” verwiesen wird. Für die dort vertretene Auffassung, wonach aufgrund „der besonders hohen Aufschlagssätze bei den Getränken…eine Rabattgewährung überwiegend bei den Getränken durchaus gerechtfertigt zu sein [erscheint]”, ist eine —mit der EuGH-Rechtsprechung vereinbare— Rechtsgrundlage nicht ersichtlich. Die dort vertretene Rechtsauffassung ist für die Gerichte im finanzgerichtlichen Verfahren zudem ebenso unbeachtlich, wie eine amtlich veröffentlichte Verwaltungsanweisung, der nur norminterpretierender Charakter zukommt (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 10. November 2011 V R 34/10 , BFH/NV 2012, 803 , m.w.N.). Sie ist daher nicht geeignet, Vertrauensschutz zu begründen.

Kindergeld | Anspruch nach Sozialsicherungsabkommen (BFH)

Kindergeld nach Sozialsicherungsabkommen

 Leitsatz

Ein Werkstudent, für den aufgrund eines sog. Werkstudentenprivilegs keine Sozialversicherungspflicht besteht, kann nach § 62 Abs. 1 EStG i.V.m dem SozSichAbk YUG kindergeldberechtigt sein.

 Gesetze

EStG § 62
SozSichAbk YUG SozSichAbk YUG Art. 2, 3 und 28

 Instanzenzug

Niedersächsisches FG vom 9. Dezember 2009 7 K 248/04 (EFG 2010, 1227)

 Gründe

I.

1  Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger), stammt aus dem Kosovo und war zunächst jugoslawischer und später serbischer Staatsbürger. Er studierte seit 1999 an der Universität H Chemie und war aufgrund des Studiums im Inland aufenthaltsberechtigt.

2  Neben seinem Studium war er ab August 2000 aufgrund einer mehr als geringfügigen Beschäftigung von ca. 20 Wochenstunden als Krankenpfleger renten-, nicht aber auch arbeitslosenversicherungspflichtig tätig. Die Versicherungsfreiheit bei der Arbeitslosenversicherung beruhte gemäß § 27 Abs. 4 Nr. 2 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch (SGB III) auf dem Studium des Klägers.

3  Für seinen im März 2000 im Inland geborenen und lebenden Sohn stellte der Kläger am 2. Dezember 2003 für den Zeitraum ab August 2000 Antrag auf Kindergeld, den die Beklagte und Revisionsklägerin (Familienkasse) mit Bescheid vom 19. Dezember 2003 ablehnte. Den hiergegen eingelegten Einspruch wies die Familienkasse mit Einspruchsentscheidung vom 16. März 2004 zurück. Hiergegen erhob der Kläger Klage zum Finanzgericht (FG). Während des FG-Verfahrens beantragte der Kläger am 8. November 2007 Kindergeld erneut für seinen Sohn und darüber hinaus für seine im Juni 2007 geborene Tochter. Durch Bescheid vom 7. März 2008, zu dem die Familienkasse ausdrücklich mitteilte, dass dieser gemäß § 68 der Finanzgerichtsordnung (FGO) Gegenstand des Klageverfahrens geworden sei, gewährte die Familienkasse Kindergeld für den Zeitraum ab August 2007, da der Kläger ab diesem Monat aufgrund eines neu abgeschlossenen Arbeitsvertrages eine arbeitslosenversicherungspflichtige Tätigkeit ausgeübt habe.

4  Mit seinem in „Entscheidungen der Finanzgerichte” (EFG) 2010, 1227 veröffentlichten Urteil gab das FG der Klage statt. Der Kläger sei für den Zeitraum August 2000 bis Juli 2007 kindergeldberechtigt. Zwar erstrecke sich die Bindungswirkung eines bestandskräftigen Bescheides, mit dem eine Kindergeldfestsetzung abgelehnt werde, nur auf den Zeitraum bis zum Ende des Monats seiner Bekanntgabe. Aufgrund der im Streitfall erhobenen Klage fehle es jedoch an einem bestandskräftigen Bescheid. Die Sache sei für den gesamten Zeitraum spruchreif. Offenbleiben könne, ob der Kläger nach § 62 Abs. 1 und 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) kindergeldberechtigt sei, da sich ein Anspruch auf Kindergeld jedenfalls aus dem Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien über Soziale Sicherheit vom 12. Oktober 1968 (BGBl II 1969, 1438 ) in der Fassung des Änderungsabkommens vom 30. September 1974 —SozSichAbk YUG— (BGBl II 1975, 390 ) ergebe.

5  Hiergegen wendet sich die Familienkasse mit der Revision, mit der sie die Verletzung von § 44 Abs. 1 FGO und Art. 28 Abs. 1 SozSichAbk YUG geltend macht. Das FG habe über Sachverhalte entschieden, die bei Erlass der Einspruchsentscheidung noch nicht verwirklicht gewesen seien. Für den Zeitraum nach Ergehen der Einspruchsentscheidung liege keine Entscheidung der Familienkasse zur Anspruchsberechtigung des Klägers vor; es fehle insoweit auch an einem außergerichtlichen Rechtsbehelfsverfahren. Darüber hinaus setze die Arbeitnehmereigenschaft nach dem SozSichAbk YUG eine Versicherungspflicht in allen Zweigen der Sozialversicherung voraus. Es komme auf eine vollumfängliche Integration in das deutsche Sozialversicherungssystem an. Erforderlich sei, dass für den Fall der Arbeitslosigkeit Anspruch auf Arbeitslosengeld bestehe, was auf den Kläger nicht zutreffe.

6  Die Familienkasse beantragt,

das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.

7  Der Kläger beantragt sinngemäß,

die Revision zurückzuweisen.

8  Wie sich aus einem Bescheid vom 7. März 2008 ergebe, in dem die Familienkasse darauf hingewiesen habe, dass das Kindergeld rückwirkend erst ab August 2007 festgesetzt werden könne, habe die Familienkasse den Kindergeldantrag zumindest konkludent für den Zeitraum bis einschließlich Juli 2007 abgelehnt. Auch im Übrigen sei das Urteil des FG zutreffend.

II.

9  Die Revision der Familienkasse ist nur teilweise begründet. Im Hinblick auf den Streitzeitraum April 2004 bis Juli 2007 ist die Klage mangels Vorverfahrens unzulässig. Das Urteil des FG war insoweit aufzuheben und die Sache an das FG zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO ), damit es der Familienkasse Gelegenheit gibt, die noch fehlende Einspruchsentscheidung zu erlassen. Im Übrigen hat das FG im Ergebnis zu Recht entschieden, dass der Kläger nach dem SozSichAbk YUG kindergeldberechtigt ist.

10  1. Die Klage ist hinsichtlich des Streitzeitraums April 2004 bis Juli 2007 unzulässig und war insoweit an das FG zurückzuverweisen.

11  a) Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) beschränkt sich der „zeitliche Regelungsumfang” eines einen Kindergeldanspruch betreffenden Ablehnungsbescheides auch für den Fall eines zunächst außergerichtlichen und dann gerichtlichen Rechtsbehelfsverfahrens auf das Ende des Monats der Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung, ohne dass eine nachfolgende Klageerhebung hieran etwas ändert (BFH-Urteil vom 22. Dezember 2011 III R 41/07 , BFHE 236, 144 , BStBl II 2012, 681).

12  b) Im Streitfall hat die Familienkasse die Einspruchsentscheidung am 16. März 2004 erlassen. Zwar besteht die Besonderheit, dass die Familienkasse auf einen weiteren, während des Klageverfahrens gestellten Kindergeldantrag des Klägers einen Änderungsbescheid erlassen hat, zu dem die Familienkasse mitteil-te, dass er gemäß § 68 FGO zum Gegenstand des Klageverfahrens geworden sei, und mit dem die Familienkasse den Kläger erst ab August 2007, nicht aber auch für den vorherigen Zeitraum als kindergeldberechtigt ansah.

13  Die Annahme der Familienkasse, dass ein Kindergeldbescheid, der auf einen während des Klageverfahrens gestellten Antrag auf Kindergeld für einen Zeitraum nach Ergehen der Einspruchsentscheidung ergeht, gemäß § 68 FGO zum Verfahrensgegenstand wird, ist aber mit dem BFH-Urteil in BFHE 236, 144 , BStBl II 2012, 681 nicht vereinbar. Denn hat die einer Einspruchsentscheidung nachfolgende Klageerhebung keinen Einfluss auf den zeitlichen Regelungsumfang des angefochtenen Bescheides, liegt ein Änderungsbescheid, der nach § 68 FGO Verfahrensgegenstand werden kann, nur vor, wenn er sich auf Zeiträume bis zum Ende des Monats der Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung bezieht. Dass im BFH-Urteil in BFHE 236, 144 , BStBl II 2012, 681 nicht über den —hier vorliegenden— Fall eines im FG-Verfahren zusätzlich ergangenen Ablehnungsbescheides zu entscheiden war, steht dem nicht entgegen. Auf die vom FG für maßgeblich angesehene Spruchreife kommt es daher nicht an.

14  c) Das FG hätte daher über die Klage für den Zeitraum April 2004 bis Juli 2007 nicht in der Sache entscheiden dürfen, sondern hätte vielmehr zunächst der Familienkasse Gelegenheit geben müssen, auch für diesen Zeitraum eine Einspruchsentscheidung zu erlassen. Versäumt das FG dies und erlässt es stattdessen eine Sachentscheidung, so ist sein Urteil wegen Verletzung des § 44 Abs. 1 FGO aufzuheben (BFH-Urteile vom 24. April 2007 I R 33/06 , BFH/NV 2007, 2236 ; vom 21. Juli 1987 IX R 80/83, BFH/NV 1988, 213 ). Die Sache ist an das FG zurückzuverweisen, damit dieses auf die Erfüllung der Voraussetzungen für eine Sachentscheidung hinwirken kann.

15  2. Hinsichtlich des Streitzeitraums April 2000 bis März 2004 ist die Revision unbegründet.

16  Im Streitfall lagen nach den für den Senat bindenden Feststellungen des FG (§ 118 Abs. 2 FGO ) die Voraussetzungen für eine Kindergeldberechtigung des Klägers gemäß § 62 Abs. 1 EStG vor. Wie das FG weiter zu Recht entschieden hat, kommt es im Streitfall im Hinblick auf das vorrangig anzuwendende SozSichAbk YUG nicht darauf an, ob der nach § 62 Abs. 1 EStG bestehende Kindergeldanspruch durch § 62 Abs. 2 EStG zu Lasten —nicht freizügigkeitsberechtigter— Ausländer eingeschränkt wird und ob diese Einschränkung verfassungsgemäß ist.

17  a) Im Streitfall ist das SozSichAbk YUG zugunsten des Klägers anwendbar.

18  aa) Das SozSichAbk YUG ist auch nach dem Zerfall Jugoslawiens weiter anzuwenden (vgl. zur Parallelfrage der Weitergeltung des Doppelbesteuerungsabkommens Jugoslawiens BFH-Urteil vom 20. August 2008 I R 35/08 , BFH/NV 2009, 26 ). Ebenso hat auch das Bundessozialgericht (BSG) mit Urteil vom 12. April 2000 B 14 KG 3/99 R (BSGE 86, 115 ) die Fortgeltung des SozSichAbk YUG bejaht. Im Hinblick hierauf schließt sich der Senat den Zweifeln an der Fortgeltung des SozSichAbk YUG, die das BSG später geäußert (BSG-Beschluss vom 23. Mai 2006 B 13 RJ 17/05 R , Die Sozialgerichtsbarkeit 2007, 227), aber aus prozessrechtlichen Gründen nicht aufrechterhalten hat (vgl. Beschluss des Bundes-verfassungsgerichts —BVerfG— vom 25. August 2008 2 BvM 3/06, BVerfGE 121, 388 ), nicht an.

19  bb) Der Kläger ist nach dem SozSichAbk YUG anspruchsberechtigt. Nach Art. 3 Abs. 1 Buchst. a SozSichAbk YUG stehen bei der Anwendung der Rechtsvorschriften eines Vertragsstaats (hier: Deutschland) die Staatsangehörigen des anderen Vertragsstaats den Staatsangehörigen des zuerst genannten Vertragsstaats gleich. Danach ist der Kläger, der im maßgeblichen Zeitpunkt der Einspruchsentscheidung serbischer Staatsangehöriger war, wie ein deutscher Staatsangehöriger zu behandeln.

20  Im Hinblick auf die sich hieraus ergebende Gleichstellung mit deutschen Staatsangehörigen steht der Anspruchsberechtigung des Klägers der in § 62 Abs. 2 EStG vorgesehene Anspruchsausschluss für Ausländer nicht entgegen.

21  b) Im Bereich des Kindergeldrechts bezieht sich die in Art. 3 Abs. 1 Buchst. a SozSichAbk YUG vorgesehene Gleichbehandlung gemäß Art. 2 Abs. 1 Buchst. b SozSichAbk YUG nur auf das „Kindergeld für Arbeitnehmer”. Die Voraussetzungen dieser Vorschrift liegen im Streitfall vor, wie das FG im Ergebnis zu Recht entschieden hat.

22  aa) Art. 2 Abs. 1 Buchst. b SozSichAbk YUG erfasst auch Ansprüche auf Kindergeld für Kinder mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Inland.

23  (1) Wie das BSG mit Urteil in BSGE 86, 115 entschieden hat, kam es beim Inkrafttreten des SozSichAbk YUG auf die Arbeitnehmereigenschaft des Kindergeldberechtigten nur bei Ansprüchen auf Kindergeld für Kinder an, die sich im anderen Vertragsstaat (Jugoslawien) aufhielten. Dies beruhte darauf, dass ausländerdiskriminierende Vorschriften im deutschen Kindergeldrecht erst seit 1990 bestehen (vgl. BVerfG-Beschluss vom 6. Juli 2004 1 BvL 4/97 , BVerfGE 111, 160 , unter A.) und damit weder bei Abschluss des SozSichAbk YUG 1968 noch bei dessen Änderung im Jahre 1974 vorlagen. Nur bei einem Kindergeldanspruch für Kinder mit Aufenthaltsort in Jugoslawien ergab sich daher ein Anspruch auf Kindergeld aufgrund des SozSichAbk YUG, wobei dessen Art. 28 Abs. 1 voraussetzte, dass die „Person” (der Anspruchsberechtigte) in Deutschland beschäftigt war. Das Änderungs-Abk 1974 verbesserte diese Position insoweit, als der enge Arbeitnehmerbegriff gemäß Art. 28 Abs. 1 Satz 2 SozSichAbk YUG dadurch erweitert wurde, dass Bezieher von Krankengeld und Arbeitslosengeld einbezogen wurden (BSG-Urteil in BSGE 86, 115 ).

24  (2) Aufgrund der seit 1990 bestehenden Beschränkungen für den Kindergeldbezug von Ausländern (vgl. BVerfG-Beschluss in BVerfGE 111, 160 , unter A.) kann Art. 2 Abs. 1 Buchst. b SozSichAbk YUG auch für Kinder mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Inland einen Kindergeldanspruch begründen. Dass der sich aus Art. 3 Abs. 1 Buchst. a SozSichAbk YUG ergebende Gleichbehandlungsanspruch erst aufgrund einer späteren Änderung des inländischen Rechts Bedeutung erlangt hat, steht dem nicht entgegen. Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass dieser Gleichbehandlungsanspruch nur im Hinblick auf die bei Abschluss des Abkommens bestehende Rechtslage von Bedeutung ist. Andernfalls käme es im Hinblick auf die späteren Einschränkungen der Kindergeldberechtigung von Ausländern zu einem Wertungswiderspruch, da das SozSichAbk YUG bei jugoslawischen Arbeitnehmern, die im Inland tätig sind, einen Kindergeldanspruch nur für Kinder in Jugoslawien, nicht aber auch für Kinder im Inland begründen würde.

25  bb) Der Kläger erfüllt die Voraussetzungen des Arbeitnehmerbegriffs i.S. von Art. 2 Abs. 1 Buchst. b SozSichAbk YUG.

26  (1) Nach dem BSG-Urteil in BSGE 86, 115 liegt Art. 2 Abs. 1 Buchst. b SozSichAbk YUG ein enger Arbeitnehmerbegriff zugrunde, der darauf beruht, dass —anders als nach deutschem materiellen Kindergeldrecht— nach jugoslawischem Recht nur Arbeitnehmer Anspruch auf Kindergeld hatten. Das BSG ist insoweit davon ausgegangen, dass die gegenseitig eingegangenen Verpflichtungen nur durch eine Beschränkung des sachlichen Geltungsbereiches auf das „Kindergeld für Arbeitnehmer” (auch für Deutschland) im Gleichgewicht gehalten werden können.

27  Folge dieses engen Arbeitnehmerbegriffs ist z.B., dass ein geringfügiges Beschäftigungsverhältnis, das zu einer Versicherungsfreiheit bei Kranken- und Arbeitslosen- und Rentenversicherung führt, keine Arbeitnehmereigenschaft i.S. von Art. 2 Abs. 1 Buchst. b SozSichAbk YUG begründet (BFH-Urteil vom 21. Februar 2008 III R 79/03 , BFHE 220, 439 , BStBl II 2009, 916).

28  (2) Aus der engen Auslegung des Arbeitnehmerbegriffs folgt aber nicht, dass die Arbeitnehmereigenschaft i.S. von Art. 2 Abs. 1 Buchst. b SozSichAbk YUG stets eine Versicherungspflicht in allen Zweigen der Sozialversicherung voraussetzt.

29  Besteht in einem Sozialversicherungszweig für einen Arbeitnehmer eine Versicherungsfreiheit aufgrund einer ausdrücklichen gesetzlichen Anordnung, ist vielmehr unter Berücksichtigung der mit der Ausnahmeregelung verfolgten Ziele zu entscheiden, ob die erforderliche Arbeitnehmereigenschaft im Sinne des SozSichAbk YUG vorliegt.

30  Dabei ist im Streitfall zu berücksichtigen, dass die Versicherungsfreiheit nach § 27 Abs. 4 SGB III (Arbeitsförderung) auf einem sog. „Werkstudentenprivileg” beruht (vgl. z.B. BSG-Urteil vom 11. November 2003 B 12 KR 24/03 R , SozR 4-2500 § 6 Nr. 3, unter 1.). Gesetzliches Leitbild des Werkstudentenpri-vilegs sind Studierende, die neben ihrem Studium eine entgelt-liche Beschäftigung ausüben, um sich durch Arbeit die zur Durchführung des Studiums und zur Bestreitung ihres Lebens-unterhalts erforderlichen Mittel zu verdienen (BSG-Urteil in SozR 4-2500 § 6 Nr. 3, unter 1.). Eine sozialversicherungsrechtliche Begünstigung, die es Studenten erleichtern soll, als Arbeitnehmer Mittel zur Bestreitung ihres Lebensunterhalts zu verdienen, rechtfertigt es nicht, eine abkommensrechtliche Kindergeldberechtigung „für Arbeitnehmer” einzuschränken.

31  Im Hinblick auf diese Besonderheit der Versicherungsfreiheit nach § 27 Abs. 4 SGB III besteht kein Widerspruch zur BFH-Rechtsprechung, die für geringfügige Beschäftigungsverhältnisse im Hinblick auf den geringen Umfang der dabei ausgeübten Tätigkeit, der als Anknüpfungspunkt für die Versicherungsfreiheit dient, das Vorliegen einer Arbeitnehmereigenschaft nach Art. 2 Abs. 1 Buchst. b SozSichAbk YUG verneint (BFH-Urteil in BFHE 220, 439 , BStBl II 2009, 916).

32  3. Der Senat entscheidet mit Einverständnis der Beteiligten durch Urteil ohne mündliche Verhandlung (§ 90 Abs. 2 FGO ).

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