Sonderausgabenabzug des Selbstbehalts zur Krankenversicherung

Niedersächsisches Finanzgericht 9. Senat, Urteil vom 06.05.2013, 9 K 265/12

§ 10 Abs 1 Nr 3 EStG, § 10 Abs 1 Nr 3a EStG

Tatbestand

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Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Selbstbehalt des Klägers zur Krankenversicherung i.H.v. 600 EUR als Vorsorgeaufwand bei den Sonderausgaben zu berücksichtigen ist.

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Der Kläger war im Streitjahr im Bereich der Softwareerstellung selbstständig tätig und erzielte hieraus Einkünfte aus Gewerbebetrieb. Am 31. Mai 2011 reichte der Kläger beim Beklagten seine Einkommensteuererklärung 2010 ein, in der er auf der Anlage „Vorsorgeaufwand“ als Beiträge zur Krankenversicherung einen Betrag i.H.v. 3.877 EUR (inklusiv Pflegepflicht) angab. Ferner erklärte er von der Krankenversicherung erstattete Beiträge i.H.v. 368 EUR. Der Beklagte berücksichtigte im Rahmen der Einkommensteuerveranlagung entsprechend der e-Datenübermittlung durch die Versicherung … jedoch lediglich Beiträge zur Krankenversicherung (Basisabsicherung) i.H.v. 2.773 EUR sowie Beiträge zur Pflege-Pflichtversicherung i.H.v. 255 EUR und erstattete Beiträge von 358 EUR.

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Gegen den zuvor aus anderen Gründen geänderten Einkommensteuerbescheid 2010 … legte der Kläger Einspruch ein und begründete diesen dahingehend, dass die Beiträge zur Krankenversicherung vom Beklagten fehlerhaft erfasst worden seien. So beinhalte sein privater Krankenversicherungsvertrag … einen sog. Selbstbehalt i.H.v. 600 EUR pro Jahr. Dies bedeute, dass die ersten 600 EUR erstattungsfähige Krankenkosten als nachgelagerter Beitrag von seiner Versicherung eingezogen würden, in dem die von ihm eingereichten Aufwendungen um 600 EUR gekürzt würden. Dieser Selbstbehalt von 600 EUR stelle daher einen „nachgelagerten“ Krankenversicherungsbeitrag dar und müsse insofern ebenfalls als Vorsorgeaufwand bei den Sonderausgaben berücksichtigt werden. Alternativ zu dieser Regelung des Selbstbehalts habe ihm die Krankenversicherung einen Versicherungsvertrag ohne Selbstbehalt angeboten der jedoch einen monatlich um etwa 100 EUR höheren Tarif zur Folge hätte. Dieser erhöhte Beitrag würde zweifelsohne Vorsorgeaufwendungen darstellen. Es könne mithin nicht sein, dass er durch Überlegungen der Aufwandsreduzierung, die letztendlich auch dem Steuerzahler zu Gute kämen, bestraft würde.

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Der Beklagte wies den Einspruch … als unbegründet zurück.

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In seiner Entscheidung führte der Beklagte aus, dass Beiträge zur Krankenversicherung im Rahmen von Vorsorgeaufwendungen nach § 10 Abs. 1 Nr. 3a Einkommensteuergesetz (EStG) als Sonderausgaben abziehbar seien soweit es sich um Beiträge „zu“ einer Krankenversicherung handelt würde. Hieraus folge, dass nur solche Ausgaben zu den Beiträgen zur Krankenversicherung gehören könnten, die zumindest im Zusammenhang mit der Erlangung des Versicherungsschutzes stünden und damit als Vorsorgeaufwendungen letztlich der Vorsorge dienten. Der vom Kläger geleistete Selbstbehalt werde jedoch erst durch die tatsächliche, krankheitsbedingte Inanspruchnahme einer ärztlichen Leistung ausgelöst. Zahlungen aufgrund von Selbst- bzw. Eigenbeteiligungen an entstehenden Kosten seien somit keine Beiträge zu einer Versicherung. Die Berücksichtigung des Selbstbehaltes als Krankheitskosten bei den außergewöhnlichen Belastungen nach § 33 EStG führe vorliegend jedoch zu keiner steuerlichen Auswirkung, da die zumutbare Eigenbelastung im Streitjahr nicht überschritten sei.

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Hiergegen richtet sich die beim Niedersächsischen Finanzgericht erhobene Klage. Ergänzend zu seinen Ausführungen im Einspruchsverfahren trägt der Kläger vor, dass der von ihm geleistete Selbstbehalt in unmittelbarem Zusammenhang mit seinen Vorsorgeaufwendungen stehe. Der Selbstbehalt sei Grundlage des von ihm mit seiner Krankenversicherung abgeschlossenen Vertrags. Sein Krankenversicherungsvertrag setze sich zusammen aus einer monatlichen und einer einmaligen jährlichen Zahlungsverpflichtung. Lediglich bei Erfüllung beider Zahlungsverpflichtungen sei er berechtigt, die Leistungen der Krankenversicherung in Anspruch zu nehmen. Damit stünden beide Zahlungen in klarem Kontext mit der Versicherungsleistung und seien auch als erforderlich i.S.d. § 10 Abs. 1 Nr. 3 EStG anzusehen. Die Tatsache, dass der von ihm geleistete Selbstbehalt i.H.v. 600 EUR erst nachgelagert fällig werde, ändere nichts an seiner Qualifizierung als Vorsorgeaufwand. Denn erst, wenn er diese Aufwendungen geleistet habe, könne er einen Erstattungsbeitrag von seiner Krankenversicherung erlangen. Dies ergebe sich auch daraus, dass er zunächst sämtliche (von ihm vorgeschossenen) Krankenkosten mit Beleg und Datum gegenüber der Krankenversicherung nachweisen müsse und die dann unter Abzug des Selbstbehalts i.H.v. 600 EUR die darüber hinaus (zeitlich und der Höhe nach) entstandenen Aufwendungen an ihn erstatten würde.

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Der Kläger beantragt,

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den Einkommensteuerbescheid 2010 vom … Gestalt der Einspruchsentscheidung vom … dahin zu ändern, dass weitere Aufwendungen i.H.v. 600 EUR als Vorsorgeaufwendungen bei den Sonderausgaben gem. § 10 Abs. 1 Nr. 3 EStG in Abzug gebracht werden.

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Der Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Der Beklagte vertritt weiterhin die im Einspruchsbescheid dargelegte Auffassung.

 

Entscheidungsgründe

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Die Klage ist unbegründet. Der angefochtene Verwaltungsakt verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 100 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung – FGO -). Der Beklagte hat es zu Recht abgelehnt, den vom Kläger im Streitjahr getragenen Selbstbehalt i.H.v. 600 EUR als Vorsorgeaufwendung im Rahmen des Sonderausgabenabzugs zu berücksichtigen.

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1. Gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 3 Buchstabe a EStG gehören zu den Sonderausgaben unter anderem Beiträge zu Krankenversicherungen, wenn sie weder Betriebsausgaben noch Werbungskosten sind oder wie Betriebsausgaben oder Werbungskosten behandelt werden.

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Bei dem im Rahmen eines privaten Krankenversicherungsverhältnisses vereinbarten Selbstbehalt des Klägers handelt es sich nicht um einen Beitrag zu einer Krankenversicherung.

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a) Nach § 53 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) können Krankenkassen in ihren Satzungen vorsehen, dass Mitglieder für ein Kalenderjahr einen Teil der von der Krankenkasse zu tragenden Kosten übernehmen können (Selbstbehalt). Dies bedeutet, dass ein zuvor festgelegter Teil der im Kalenderjahr anfallenden Krankheitskosten durch den Versicherungsnehmer aus eigenen Mitteln zu zahlen sind.

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Auch in der privaten Krankenversicherung, in der grundsätzlich das Erstattungsprinzip gilt, besteht für den Versicherungsnehmer die Möglichkeit Tarife, die eine Selbstbeteiligung beinhalten, individuell zu vereinbaren und so die an die Krankenversicherung zu zahlenden Beiträge (Versicherungsprämie) zu beeinflussen.

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b) Zu den Beiträgen zu Versicherungen im Sinne der Vorschrift des § 10 Abs. 1 Nr. 3 Buchstabe a EStG gehören nicht nur die eigentlichen Prämien, sondern auch die üblichen mit dem Versicherungsverhältnis zusammenhängenden und vom Versicherungsnehmer zu tragenden Nebenleistungen (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs – BFH – vom 18. Juli 2012 X R 41/11, DStBl II 2012, 821 m.w.N.). Nach dem Wortlaut des § 10 Abs. 1 Nr. 3 EStG muss es sich jedoch um Beiträge „zu“ einer Krankenversicherung handeln. Daraus folgt, dass nur solche Ausgaben zu den Beiträgen zur Krankenversicherung gehören können, die zumindest im Zusammenhang mit der Erlangung des Versicherungsschutzes stehen und damit – als Vorsorgeaufwendungen – letztlich der Vorsorge dienen. Zahlungen aufgrund von Selbst- bzw. Eigenbeteiligungen an entstehenden Kosten sind nach herrschender Auffassung daher keine Beiträge zu einer Versicherung (BFH-Urteil vom 18. Juli 2012 X R 41/11, a.a.O.; Urteil des Hessischen Finanzgerichts vom 12. Dezember 1974 VIII 61/74, EFG 1975, 200; Söhn in Kirchhoff/Söhn/Mellinghoff, Einkommensteuergesetz § 10 Rz. E 129; Kolossa in Hermann/Heuer/Raupach EStG § 10 Rz. 152).

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2. Ausgehend von diesen Grundsätzen, denen der Senat folgt, steht der vom Kläger im Streitjahr getragene Selbstbehalt nicht im Zusammenhang mit der Erlangung eines Versicherungsschutzes. Denn der (Kranken-)Versicherungsschutz des Klägers wird durch seine monatliche Beitragszahlung gewährleistet und ist unabhängig von der Leistung des Selbstbehalts. Selbst wenn in einem Kalenderjahr keine ambulanten, ärztlichen, zahnärztlichen oder physiotherapeutischen Leistungen in Anspruch genommen werden, so dass kein Selbstbehalt anfällt, besteht für diesen Zeitraum grundsätzlich Versicherungsschutz.

 

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a) Entgegen der Auffassung des Klägers begründet auch die ausdrückliche Vereinbarung des Selbstbehalts im Krankenversicherungsvertrag keinen unmittelbaren Zusammenhang zwischen Selbstbehalt und der Erlangung des Versicherungsschutzes. Während der Versicherungsschutz durch die Zahlung der monatlichen Versicherungsprämie begründet wird, wird der Selbstbehalt ausschließlich durch die tatsächliche, krankheitsbedingte Inanspruchnahme einer ambulanten ärztlichen, zahnärztlichen oder physiotherapeutischen Leistung ausgelöst. Aufgrund einer entsprechenden Ausgestaltung des Krankenversicherungsverhältnisses werden die ersten im Kalenderjahr anfallenden Krankheitskosten in Höhe von 600 EUR nicht vom Versicherungsschutz erfasst. Erst wenn der vereinbarte und mit einem verminderten Versicherungsbeitrag honorierte Selbstbehalt „ausgeschöpft“ ist, entsteht ein Erstattungsanspruch des Klägers.

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Die infolge des vereinbarten Selbstbehalts zu tragenden Krankheitskosten verbleiben dabei als originäre krankheitsbedingte Aufwendungen beim Kläger. Diese finden im Rahmen der außergewöhnlichen Belastungen nach § 33 EStG einkommensteuerlich Berücksichtigung, soweit sie nicht – wie vorliegend – an der zumutbaren Belastung nach § 33 Abs. 3 EStG scheitern.

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Die dem Kläger zur Geltendmachung seines Erstattungsanspruchs obliegende Verpflichtung, sämtliche im Kalenderjahr anfallenden Krankheitskosten seiner Krankenversicherung durch die Vorlage entsprechender Belege  nachzuweisen, basiert auf dem Bedürfnis der …Versicherung die vereinbarte Eigenleistung zu überprüfen und ihren Pflichten aus dem Versicherungsvertrag nachzukommen. Sie steht jedoch nicht in Verbindung mit einer nachträglichen Erhebung von Versicherungsbeiträgen.

 

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b) Der Senat vermag auch nicht der Argumentation des Klägers folgen, der Selbstbehalt entspreche mit umgekehrtem Vorzeichen den Beitragserstattungen für die Nichtinanspruchnahme von Versicherungsleistungen innerhalb eines bestimmten Zeitraums, welche sich mindernd auf den Sonderausgabenabzug auswirkten, so dass vor diesem Hintergrund auch der Selbstbehalt bei den Sonderausgaben zu berücksichtigen sei. Denn anders als der Selbstbehalt wirken sich Beitragserstattungen rückwirkend auf die Höhe der Aufwendungen des Steuerpflichtigen aus, die im Zusammenhang mit der Erlangung des Versicherungsschutzes stehen. Sie stellen unmittelbar eine Reduzierung der (bereits geleisteten) Krankenversicherungsbeiträge dar und wirken sich nicht – wie der Selbstbehalt – (lediglich) im Vorfeld auf die Art und Höhe des vereinbarten Versicherungstarifs aus.

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c) Darüber hinaus über stellt der vom Kläger zu tragende Selbstbehalt keine Leistung an die private Krankenversicherung dar, sondern begrenzt – entsprechend des vertraglich vereinbarten Tarifs – die von der Krankenversicherung an ihn im Rahmen des individuellen Versicherungsschutzes zu erbringenden Erstattungsleistungen. Mangels eines Anspruchs des Klägers gegen seine Krankenversicherung auf Kostenerstattung in Höhe des vereinbarten Selbstbehalts besteht auch keine Aufrechnungslage bei der gegen nachgelagerte Beitragszahlungen (ebenfalls in Höhe des Selbstbehalts) aufgerechnet werden könnte. In Höhe des vereinbarten Selbstbehalts verbleibt es bei den originär vom Kläger zu entrichtenden Krankheitskosten.

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3. Die in Höhe des jährlichen Selbstbehalts von 600 EUR durch den Kläger getragenen Krankheitskosten stellen außergewöhnliche Belastungen im Sinne des § 33 EStG dar, die jedoch nur insofern berücksichtigt werden, als sie die zumutbare Belastung nach § 33 Abs. 3 EStG übersteigen (vgl. u.a. Loschelder in Schmidt EStG 32. Auflage 2013, § 33 Rz 35 „Krankheitskosten“). Der Gesamtbetrag der Einkünfte des Klägers im Streitjahr beträgt entsprechend des Einkommensteuerbescheides 2010 vom 10. Februar 2012 27.921 EUR. Bei einer zumutbaren Belastung von 6 Prozent (§ 33 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 EStG), d.h. 1.675,26 EUR, und mangels weiterer geltend gemachter Aufwendungen im Sinne des § 33 EStG bleiben die in Form des Selbstbehalts getragenen Krankheitskosten des Klägers ohne steuerliche Auswirkung.

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4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.