Steuersparmodelle – Eine modellhafte Gestaltung bzw. ein vorgefertigtes Konzept i.S.d. § 15b Abs.2 EStG liegt bei der Beteiligung an einem thesaurierenden Investmentfonds nur vor, wenn dieser auf die Erzielung von Steuervorteilen angelegt ist, nicht aber schon, wenn die Beteiligung dem Anleger einen individuellen Steuervorteil bietet.

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Einkommensteuer 2008

Eine modellhafte Gestaltung bzw. ein vorgefertigtes Konzept i.S.d. § 15b Abs.2 EStG liegt bei der Beteiligung an einem thesaurierenden Investmentfonds nur vor, wenn dieser auf die Erzielung von Steuervorteilen angelegt ist, nicht aber schon, wenn die Beteiligung dem Anleger einen individuellen Steuervorteil bietet.

Niedersächsisches Finanzgericht 3. Senat, Urteil vom 26.09.2013, 3 K 12341/11

§ 15b Abs 2 EStG, § 20 Abs 2b EStG

Tatbestand

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Streitig ist die Frage, ob negative Zwischengewinne nicht abgezogen werden können, weil ein Steuerstundungsmodell im Sinne des § 15 b Abs. 2 Einkommensteuergesetz (EStG) vorliegt.

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Die Kläger sind verheiratet und werden zur Einkommensteuer zusammenveranlagt. Mit Datum vom 18. Dezember 2008 erwarb der Kläger 1.018,496 Anteile an dem am 28. September 2007 in Luxemburg errichteten thesaurierenden Investmentfonds LUX Multi-Flex Madone zum Kurs von 981,84 € je Anteil. Die Anschaffungskosten dieser Wertpapiere betrugen danach 1.000.000,11 €. In der Kaufabrechnung wies die C S einen steuerpflichtigen negativen Zwischengewinn in Höhe von 460.288,90 € aus. Diesen negativen Zwischengewinn gab der Kläger auf der Anlage KAP zur Einkommensteuererklärung 2008 als negative Einnahmen aus Kapitalvermögen an.

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Der Beklagte berücksichtigte den negativen Zwischengewinn in dem Einkommensteuer-bescheid 2008 vom 26. August 2010 nicht. Der Bescheid erging unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gemäß § 164 Abs. 1 Abgabenordnung (AO). Am 18. November 2010 legten die Kläger gegen den Einkommensteuerbescheid 2008 Einspruch ein. Da zu diesem Zeit-punkt die Einspruchsfrist bereits abgelaufen war, legte der Beklagte das Schreiben als einen Antrag auf Änderung des Einkommensteuerbescheides 2008 gemäß § 164 Abs. 2 AO aus. In der Sache begehrten die Kläger die Berücksichtigung des negativen Zwi-schengewinns aus den Investmentpapieren LUX Multi-Flex Madone. Der Beklagte lehnte den Änderungsantrag mit Bescheid vom 15. Dezember 2010 ab. Der dagegen eingelegte Einspruch hatte keinen Erfolg.

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Mit ihrer Klage begehren die Kläger die Änderung des Einkommensteuerbescheides 2008 unter Berücksichtigung der negativen Zwischengewinne aus den Investmentzertifikaten LUX Multi-Flex Madone. Ein Steuerstundungsmodell gemäß § 20 Abs. 2 b EStG in Ver-bindung mit § 15 b EStG liege nur vor bei einer modellhaften Gestaltung, die weitere Zu-satzleistungen zur Kapitalanlage desselben Anbieters beinhalte. Der Kläger habe jedoch keine Zusatzleistungen in Anspruch genommen. Die Finanzierung erfolge durch Eigenka-pital. Die Kläger verweisen auf die Kommentierung im Kommentar Her-mann/Heuer/Raupach § 20 Randnummer 645 sowie den Aufsatz von Brandter/Geiser in DStR 2009, 1732 ff.

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Die Kläger beantragen,

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unter Aufhebung des Ablehnungsbescheides vom 15. Dezember 2010 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 14. Oktober 2011 den Beklagten zu verpflichten, die Einkommensteuer 2008 unter Berücksichtigung eines negati-ven Zwischengewinns in Höhe von 460.288,90 € bei den Einkünften aus Kapi-talvermögen niedriger festzusetzen.

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Der Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Zwar handele es sich bei dem Investmentfonds LUX Multi-Flex Madone um ein Investmentvermögen, bei dem entsprechend § 9 Investmentsteuergesetz ein sogenannter Ertragsausgleich stattfindet. Bei diesem stellten die beim Erwerb gezahlten Zwischengewinne beim Erwerber der Anteile grundsätzlich negative Einnahmen aus Kapitalvermögen dar. Allerdings liege im Streitfall ein steuerschädliches Steuerstundungsmodell im Sinne des § 15b EStG vor. Gemäß § 15b Abs. 1 EStG dürften Verluste im Zusammenhang mit einem Steuerstundungsmodell weder mit Einkünften aus Gewerbebetrieb noch mit Einkünften aus anderen Einkunftsarten ausgeglichen werden; sie dürften auch nicht nach § 10 d EStG abgezogen werden. Sie würden lediglich die Einkünfte mindern, die der Steuerpflichtige in den folgenden Wirtschaftsjahren aus derselben Einkunftsquelle erziele. Gemäß § 20 Abs. 2 b EStG in der für das Streitjahr 2008 geltenden Gesetzesfassung sei § 15b EStG bei den Einkünften aus Kapitalvermögen sinngemäß anzuwenden.

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Gemäß § 15b Abs. 2 Satz 2 EStG liege ein Steuerstundungsmodell im Sinne des § 15b Abs. 1 EStG vor, wenn dem Steuerpflichtigen aufgrund eines vorgefertigten Konzepts die Möglichkeit geboten werden solle, zumindest in der Anfangsphase der Investition Verluste mit übrigen Einkünften zu verrechnen. Gemäß § 15b Abs. 3 EStG sei das Ausgleichs  und Abzugsverbot des Abs. 1 allerdings nur anzuwenden, wenn innerhalb der Anfangsphase das Verhältnis der Summe der prognostizierten Verluste zur Höhe des gezeichneten und nach dem Konzept auch aufzubringenden Kapitals oder bei Einzelinvestitionen des eingesetzten Eigenkapitals 10 % übersteige. Gemäß § 20 Abs. 2 b Satz 2 EStG liege ein solches vorgefertigtes Konzept auch vor, wenn die positiven Einkünfte nicht der tariflichen Einkommensteuer unterliegen würden. Diese Voraussetzungen seien im Streitfall erfüllt. Während die negativen Zwischengewinne im Erwerbsjahr 2008 der tariflichen Steuerbelastung unterliegen würden, komme für die ab dem Jahr 2009 erzielten positiven Einnahmen der besondere Steuersatz des § 32 d Abs. 1 EStG 2009 in Höhe von 25 % – die so genannte Abgeltungssteuer – zur Anwendung. Damit handele es sich um ein vorgefertigtes Konzept im Sinne des § 20 Abs. 2 b Satz 2 EStG. Mit dem vorgefertigten Konzept hätte dem Kläger die Möglichkeit geboten werden sollen, in der Anfangsphase der Investition Verluste mit übrigen Einkünften zu verrechnen, wohingegen wegen der Einführung der Abgeltungssteuer die positiven Erträge mit einem deutlich geringeren Steuersatz zu versteuern wären, nämlich nur mit dem Abgeltungssteuersatz von 25 %. Während im Jahre 2008 sich der Steuervorteil auf 199.426 € belaufe, würden in den Folgejahren aufgrund der Abgeltungssteuer maximal Steuern in Höhe von 115.072 € anfallen. Den Klägern verbleibe ein endgültiger Steuervorteil von mindestens 84.354 €. Würden die Kläger in den Folgejahren tatsächlich niedrigere Erträge als 460.288 € erzielen, so würde sich dieser Vorteil weiter erhöhen.

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Im Streitfall würden die innerhalb der Anfangsphase angefallenen negativen Einnahmen die vom Gesetzgeber vorgegebene Grenze von 10 % des eingesetzten Eigenkapitals erheblich übersteigen. Damit seien die Voraussetzungen des § 15b Abs. 3 EStG erfüllt. So-weit in dem von den Klägern zitierten Aufsatz die Auffassung vertreten werde, bei der Prüfung der Nichtaufgriffsgrenze des § 15b Abs. 3 EStG seien Zwischengewinne außer Ansatz zu lassen, könne dem nicht gefolgt werden. Der Gesetzgeber spreche von Verlusten. Ob diese Verluste aus negativen Einnahmen oder aus einem Überschuss von Auf-wendungen über die Erträge resultierten, könne letztlich dahingestellt bleiben. Liege aber ein Steuerstundungsmodell vor, dann könnten die negativen Zwischengewinne nicht mit anderen Einkünften gleich welcher Einkunftsart verrechnet werden. Sie würden lediglich die Einkünfte, die der Kläger in den Jahren ab 2009 aus dem Investmentfonds beziehe mindern.

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Der Beklagte hat den angefochtenen Einkommensteuerbescheid 2008 zwischenzeitlich mehrfach aus für das Klageverfahren nicht erheblichen Gründen geändert, und zwar zu-letzt durch Bescheid vom 29. Mai 2013.

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Die Verfahrensbeteiligten haben mit Schriftsätzen vom 20. November 2011 (Kläger) und 19. Dezember 2011 (Beklagter) auf mündliche Verhandlung verzichtet.

 

Entscheidungsgründe

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Die Klage ist begründet.

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Gem. § 15b Abs. 1 EStG dürfen Verluste im Zusammenhang mit einem Steuerstundungsmodell weder mit Einkünften aus Gewerbebetrieb noch mit Einkünften aus anderen Einkunftsarten ausgeglichen werden; sie dürfen auch nicht nach § 10d EStG abgezogen werden. Die Verluste mindern jedoch die Einkünfte, die der Steuerpflichtige in den folgenden Wirtschaftsjahren aus derselben Einkunftsquelle erzielt. Ein Steuerstundungsmodell im Sinne des § 15b Abs. 1 EStG liegt nach § 15b Abs. 2 EStG vor, wenn auf Grund einer modellhaften Gestaltung steuerliche Vorteile in Form negativer Einkünfte erzielt werden sollen. Dies ist der Fall, wenn dem Steuerpflichtigen auf Grund eines vorgefertigten Konzepts die Möglichkeit geboten werden soll, zumindest in der Anfangsphase der Investition Verluste mit übrigen Einkünften zu verrechnen. Dabei ist es ohne Belang, auf welchen Vorschriften die negativen Einkünfte beruhen. § 15 b Abs. 1 EStG ist nur anzuwenden, wenn innerhalb der Anfangsphase das Verhältnis der Summe der prognostizierten Verluste zur Höhe des gezeichneten und nach dem Konzept auch aufzubringenden Kapitals oder bei Einzelinvestoren des eingesetzten Eigenkapitals 10 Prozent übersteigt (§ 15 b Abs. 3 EStG). Der nach § 15b Abs. 1 EStG nicht ausgleichsfähige Verlust ist gem. § 15b Abs. 4 EStG jährlich gesondert festzustellen.

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Bei den Einkünften aus Kapitalvermögen ist gem. § 20 Abs. 2b EStG § 15b EStG sinngemäß anzuwenden. Ein vorgefertigtes Konzept im Sinne des § 15b Abs. 2 Satz 2 EStG liegt nach § 20 Abs. 2b Satz 2 EStG auch vor, wenn die positiven Einkünfte nicht der tariflichen Einkommensteuer unterliegen.

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Im Streitfall ist die Verlustverrechnung deshalb nicht gem. § 20 Abs. 2b EStG i.V.m. §15b EStG ausgeschlossen, weil mit dem Investmentpapier LUX Multi-Flex Madone keine „modellhafte Gestaltung“ bzw. ein „vorgefertigtes Konzept“ im Sinne des § 15b Abs. 2 EStG vorliegt. Wie sich aus diesen Begriffen bzw. der Gesetzesformulierung „dem Steuerpflichtigen .. die Möglichkeit geboten werden soll“ ergibt, setzt das Steuerstundungsmodell voraus, dass ein Anbieter ein Finanzprodukt gestaltet, dass den Anliegern die Möglichkeit bietet, die im Gesetz im Einzelnen beschriebenen Steuervorteile zu erzielen. In der Rechtsprechung wird zudem gefordert, dass es sich an nicht näher bestimmte Interessenten wendet oder zur wiederholten Verwendung bestimmt ist (BFH Beschluss des I. Senats vom 8. April 2009 I B 223/08, BFH/NV 2009, 1437) und der Investor bei der Entwicklung der Geschäftsidee und der Vertragsgestaltung typischerweise passiv ist (FG Rheinland-Pfalz, Urteil des 3. Senats vom 30. Januar 2013 3 K 1185/12, EFG 2013, 849); ein vorgefertigtes Konzept wird charakterisiert durch einen Gesamtplan eines vom an der Anlage Interessierten verschiedenen Dritten, der durch die Entwicklung einzelner oder einer Vielzahl aufeinander abgestimmter Leistungen und Maßnahmen die Erreichung des angestrebten Ziels in Gestalt hoher verrechenbarer Verluste in der Anfangsphase der Investition ermöglichen soll (Hessisches Finanzgericht Urteil des 1. Senats vom 17. Dezember 2012 1 K 2343/08, EFG 2013, 510). Das Finanzprodukt muss zudem auf die Erzielung von Steuervorteilen hin konzipiert werden. Kein Steuerstundungsmodell im Sinne der §§ 20 Abs. 2b, 15b EStG liegt zur Überzeugung des Senats hingegen vor, wenn ein Finanzprodukt nicht konzeptionell auf die Erzielung eines bestimmten Steuervorteils hin angelegt ist, sondern lediglich ein Steuerpflichtiger erkennt, dass der Erwerb eines am Markt existierendes Finanzprodukt ihm die Erzielung eines individuellen Steuervorteils ermöglicht.

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Letzteres ist hier der Fall. Bei dem Investmentpapier LUX Multi-Flex Madone handelt es sich um ein thesaurierendes Investmentzertifikat, bei dem gem. § 2 Abs. 1 Satz 1 Investmentsteuergesetz positive wie negative Zwischengewinne zu den Einkünften aus Kapitalvermögen im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG gehören. Der von den Klägern erzielte Steuervorteil besteht darin, dass diese den mit Unternehmensteuerreformgesetz 2008 vom 14. August 2007 zum Jahreswechsel 2008/2009 vollzogenen Systemwechsel bei der Besteuerung der Einkünfte aus Kapitalvermögen und die damit einhergehende Änderung der Höhe der Steuersätze für sich ausgenutzt haben, indem sie im Veranlagungszeitraum 2008 die negativen Zwischengewinne zum individuellen Grenzsteuersatz abgezogen, die positiven Gewinne in einem der nachfolgenden Veranlagungszeiträumen hingen nur mit dem (niedrigeren) pauschalierten Abgeltungssteuersatz versteuern mussten. Diesen Steuervorteil konnte ausschließlich ein deutscher Anleger des luxemburgischen Finanzprodukts erzielen; er war auf einen Einmaleffekt im Zeitpunkt der Änderung der Steuersätze beschränkt. Der Beklagte hat nicht dargetan, dass das Investmentzertifikat von dem Anbieter des Finanzprodukts gezielt deshalb aufgelegt worden ist, um den genannten Steuerspareffekt zu erzielen. Dies ist im Übrigen auch deshalb in sich nicht schlüssig, weil der Fonds lange vor Erwerb der Anteile durch den Kläger aufgelegt wurde und dem negativen Zwischengewinn, den der Kläger mit Erwerb seiner Anteile erzielte, ein ebenso hoher dem alten Besteuerungsregime unterliegender positiver Zwischengewinn desjenigen Anlegers gegenüberstand, der die vom Kläger erworbenen Anteile veräußert hat. Auf die Anlegerschaft des Fonds im Ganzen bezogen glichen sich infolgedessen positive und negative Zwischengewinne aus, so nicht davon gesprochen werden kann, dass „modellhaft“ „nach einem vorgefertigten“ Konzept Steuervorteile generiert wurden.

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Schließlich kann den Verlusten auch nicht unter dem Aspekt des § 42 AO die Anerkennung versagt werden. Gem. § 42 Abs. 1 AO können durch Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten des Rechts die Steuergesetze nicht umgangen werden. Ein Missbrauch liegt nach § 42 Abs. 2 AO vor, wenn eine unangemessene rechtliche Gestaltung gewählt wird, die beim Steuerpflichtigen oder einem Dritten im Vergleich zu einer angemessenen Gestaltung zu einem gesetzlich nicht vorgesehenen Steuervorteil führt. Dies gilt nicht, wenn der Steuerpflichtige für die gewählte Gestaltung außersteuerliche Gründe nachweist, die nach dem Gesamtbild der Verhältnisse beachtlich sind.

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Im Streitfall liegt auf der Hand, dass für die Kläger neben dem zweifelsfrei angestrebten Steuerspareffekt für die Anlageentscheidung auch Fragen der Anlagesicherheit und der Ertragsfähigkeit des Fonds als außersteuerliche Motive eine Rolle gespielt haben werden; in diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass der Kläger die Investmentzertifikate auf dem Höhepunkt der Wirtschafts- und Finanzkrise 2008/2009 erworben hat, in deren Verlauf bekanntermaßen eine Vielzahl von Investmentfonds zusammengebrochen sind. Hätte der Kläger sein eingesetztes Kapital nicht zurück erhalten, so wäre das Investment für ihn trotz Steuerersparnis ein grober Fehlschlag gewesen. Im Übrigen ist der Abschluss von Rechtsgeschäften im Hinblick auf anstehende Steuersatzänderungen nicht als rechtsmissbräuchlich zu erachten.

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Die Ermittlung der festzusetzenden Steuer wird gem. § 100 Abs. 2 Satz 2 FGO dem Beklagten übertragen, weil sie einen nicht unerheblichen Aufwand erfordert.

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Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.

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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 155 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.