Zugriff des Finanzamtes auf Daten einer Apotheke im Rahmen einer laufenden Betriebsprüfung

Führt ein Apotheker über die nach der Rechtsprechung zulässige Ermittlung der Tageseinnahmen durch Tagesendsummenbons hinaus freiwillig eine von seiner PC-Kasse erstellte Datei mit Einzelaufzeichnungen der Barverkäufe, ist er in der Regel nicht verpflichtet, diese Datei dem Finanzamt bei einer Betriebsprüfung vorzulegen.
Das hat das Hessische Finanzgericht entschieden (Az.: 4 K 422/12).

Geklagt hatte eine Apothekerin, die die Bareinnahmen ihrer Apotheke mit einer sog. PC-Kasse erfasste. Die baren Tageseinnahmen stellte sie durch fortlaufende Tagesendsummenbons (Z-Bons) mit anschließender Nullstellung des Kassenspeichers fest. Die Summe der täglichen Bareinnahmen wurde manuell in das Kassenbuch übertragen, das Grundlage der Buchführung war. Der Aufforderung des Betriebsprüfers, auch die elektronische Datei mit den Einzelaufzeichnungen der Barverkäufe vorzulegen, kam sie nicht nach. Zwar legte sie dem Betriebsprüfer eine CD mit Daten aus ihrem Kassensystem vor; die Datei mit der Einzeldokumentation der Verkäufe hatte sie dabei jedoch entfernt.

Das Hessische Finanzgericht entschied, dass für die Aufforderung des Finanzamtes, auch die Datei mit den Einzelaufzeichnungen der Barverkäufe vorzulegen, keine Rechtsgrundlage bestehe. Denn für die Klägerin, die nicht an andere gewerbliche Unternehmen, sondern an Endverbraucher liefere, habe aufgrund der Größe und der Einzelumsatzhäufigkeit weder nach dem Handelsgesetzbuch noch nach der Abgabenordnung oder nach berufsrechtlichen Bestimmungen eine Verpflichtung bestanden, die einzelnen Barverkäufe manuell oder auf einem Datenträger aufzuzeichnen. Die Klägerin könne sich dabei auch auf die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs stützen, wonach es aus Gründen der Zumutbarkeit und Praktikabilität für eine ordnungsgemäße Buchführung auch im Computerzeitalter nicht erforderlich sei, Einzelaufzeichnungen zu führen, wenn der Unternehmer – wie die klagende Apothekerin – gegen Barzahlung Waren von geringem Wert an eine unbestimmte Vielzahl von
Kunden im offenen Ladengeschäft verkaufe. Ausreichend sei in solchen Fällen, auf Einzelaufzeichnungen zu verzichten und die festgestellten Tagesendsummen täglich-fortlaufend in ein Kassenbuch zu übertragen. Die Führung des Kassenbuchs solle die streitigen Einzelaufzeichnungen gerade ersetzen.

Dass die Klägerin gleichwohl zusätzlich die einzelnen Barverkäufe freiwillig und programmgesteuert in einer gesonderten Datei mitgeschrieben und gespeichert habe, ändere hieran nichts und führe nicht zu einer Vorlagepflicht bei der Betriebsprüfung. Denn die Datei sei grundsätzlich nicht Bestandteil der nach § 147 Abgabenordnung aufzubewahrenden Grundaufzeichnungen. Dass die Datei für das Finanzamt bei einer Verprobung der Pflichtaufzeichnungen hilfreich und interessant sein könne, sei unerheblich.
Für den Betrieb der Apothekerin sei die gesonderte Aufzeichnung des Warenausgangs und der Einnahmen gerade nicht  rforderlich. Dem Gesetzgeber stehe es allerdings frei, nach österreichischem Vorbild ein gesetzliches Zugriffsrecht auch für die außerhalb einer gesetzlichen Aufzeichnungspflicht vom Steuerpflichtigen geschaffenen Daten zu schaffen.

Das Hessische Finanzgericht hat abschließend und durchaus praxisrelevant aber auch klargestellt, dass die hier streitige Frage des Bestehens einer Vorlagepflicht nach § 147 AO von der Frage einer im Übrigen erkennbaren Nichtordnungsmäßigkeit der Buchführung und der dadurch eröffneten Schätzungsbefugnis des Finanzamtes nach § 162 AO strikt zu trennen sei. So ließen nicht ordnungsgemäße Kassenaufzeichnungen (z.B. Differenzen zwischen den Tagessummen laut Z-Bons und den Eintragungen im Kassenbuch oder die nicht zeitgerechte Führung des Kassenbuchs) den Schluss zu, dass nicht alle Bareinnahmen verbucht worden sind und berechtigten das Finanzamt zu Zuschätzungen.

Das Urteil vom 24.04.2013 ist vorläufig nicht rechtskräftig.

 

HESSISCHES FINANZGERICHT
Geschäftsnummer: 34117 Kas s e l
Königs tor 35
4 K 422/12 34017 Kas s e l
Pos t f a ch 10 17 40
URTEIL
IM NAMEN DES VOLKES
In dem Rechtsstreit
-Klägerin-
Prozessbev.:
g e g e n
Finanzamt
-Beklagterw
e g e n
Datenanforderung bei Betriebsprüfung
hat der 4. Senat des Hessischen Finanzgerichts
nach mündlicher Verhandlung
in der Sitzung vom 24. April 2013
unter Mitwirkung
des Vorsitzenden Richters am Hessischen Finanzgericht
des Richters am Hessischen Finanzgericht
des Richters am Hessischen Finanzgericht
sowie des
und des
als ehrenamtliche Richter
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für Recht erkannt:
1. Der Bescheid des Beklagten vom 28.10.2011 über die Anforderung
der Dateien …… und …… in der Gestalt der Einspruchsentscheidung
vom 03.02.2012 wird aufgehoben.
2. Der Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
3. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der
Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe
der erstattungsfähigen Kosten abwenden, wenn nicht die Klägerin
vor der Vollstreckung Sicherheit in dieser Höhe leistet.
4. Die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren wird
für notwendig erklärt.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um den Umfang der Verpflichtung der Klägerin zur
Gewährung des Datenzugriffs im Rahmen einer laufenden Betriebsprüfung. Die
Klägerin betreibt eine Apotheke. Mit dieser erzielt sie nach § 180 Abs. 1 Nr. 2
lit. b AO vom Beklagten (dem Finanzamt, im Folgenden: ‚FA’) gesondert festzustellende
Einkünfte aus Gewerbebetrieb, die sie durch Betriebsvermögensvergleich
ermittelt. Aus den von der Klägerin mit den Feststellungserklärungen
der Jahre 2007 bis 2009 beim FA eingereichten Jahresabschlüssen ergab sich
nach Erträgen und Aufwendungen im jeweils sechsstelligen Bereich zum
31.12.2007 ein Bilanzgewinn von 87.479,47 Euro, zum 31.12.2008 von
80.696,99 Euro und zum 31.12.2009 von 87.048,52 Euro.
Aufgrund eines Prüfungsvorschlags der Veranlagungsstelle des FA mit der Erwägung
„noch nicht geprüfter M-Betrieb“ ordnete das FA gegenüber der Klä-
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gerin am 29.08.2011 für die Zeiträume 2007 bis 2009 eine steuerliche Außenprüfung
betreffend Einkommensteuer, Umsatzsteuer und Gewerbesteuer an, zu
deren Vorbereitung es mit Schreiben vom 12.09.2011 unter anderem die „Einzeldaten
der Registrierkasse (Journal der EDV-Kasse sowie Daten der ZBons)“
und die „Einzeldaten des Warenverkaufs“ anforderte. Dieses Schreiben
enthielt keine Rechtsbehelfsbelehrung. Die bei Prüfungsbeginn am 26.10.2011
in einem Fragebogen vom Prüfer erbetenen Auskünfte zur Beschaffenheit der
Kassenführung beantwortete die Klägerin am 31.10.2011 wie folgt: Die Tageseinnahmen
würden im Betrieb der Klägerin über eine modulare PC-Kasse
der Firma A mit zwei Kassen erfasst, sodann durch Tagesendsummenbons (ZBons)
mit anschließender Nullstellung ausgewertet und als Summe in ein manuell
geführtes Kassenbuch eingetragen. Ein Testat über die Unveränderlichkeit
der Kassensoftware liege nicht vor. Ferner erläuterte die Klägerin mündlich,
dass eine gesonderte Fakturakasse wegen des geringen Umfangs der Lieferungen
auf Rechnung nicht existiere und die diesbezüglichen Aufzeichnungen
manuell geführt würden. Hochpreisige Medikamente an Privatpatienten
würden nicht verkauft. Die Auslage an frei verkäuflicher Ware sei deshalb sehr
gering, weil sich in der Nähe ein Drogeriemarkt befinde. Neben den zwei Bedienkassen
werde ein PC mit Scanner zur Erfassung des Wareneingangs genutzt.
Der Warenbestand werde nicht automatisch überprüft. Warenbestellungen
würden manuell vorgenommen. Auf das Schreiben vom 12.09.2011 erhielt
der Prüfer vom steuerlichen Berater der Klägerin eine CD mit von der Firma A
bereitgestellten Daten aus dem Kassensystem der Klägerin, unter denen der
steuerliche Berater jedoch die Datei mit der Einzeldokumentation der Verkäufe
entfernt hatte, da er die Auffassung vertrat, dass das FA ein entsprechende
Zugriffsrecht nicht habe.
Mit Schreiben vom 28.10.2011 forderte das FA die Klägerin auf, „die von der
Firma A gelieferten Daten über die Warenverkäufe (vk _ rechnungen …csv und
vk _ verkaeufe …csv) bis zum 11.11.2011 bereitzustellen“ und drohte für den
Fall der verspäteten Erfüllung die Festsetzung eines Verzögerungsgeldes an.
Entgegen der Ansicht des steuerlichen Beraters seien die genannten Dateien als
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Bestandteil der Grundaufzeichnungen nach § 147 Abs. 6 AO vorzulegen. Auch
dieses Schreiben enthielt keine Rechtsbehelfsbelehrung. Am 03.11.2011 teilte
der steuerliche Berater mit, dass eine Datei „VK-Rechnungen“ nicht existiere,
da die Klägerin das entsprechende Kassenmodul nicht erworben habe. Die Datei
„VK-Verkäufe“ sei vom Datenzugriffsrecht des FA nach § 147 Abs. 6 AO
nicht umfasst, da die Klägerin keine entsprechende Einzelaufzeichnungspflicht
habe. Gegen die „Anforderungen von Daten“ legte die Klägerin am 24.11.2011
Einspruch ein, den das FA nach Einholung einer Weisung der Mittelbehörde
und Gewährung der beantragten Vollziehungsaussetzung durch Einspruchsentscheidung
vom 03.02.2012 als unbegründet zurückwies.
Mit ihrer am 23.02.2012 erhobenen Klage verfolgt die Klägerin ihr Rechtsbegehren
weiter. Die Anforderung der Datei „VK Rechnungen“ sei bereits deshalb
rechtswidrig, weil eine solche Datei mangels Erfassung der Rechnungsumsätze
über die PC-Kasse nicht existiere. Hinsichtlich der Datei „VK Verkäufe“
habe das FA kein Zugriffsrecht, da die Klägerin gesetzlich nicht verpflichtet
sei, die Verkäufe einzeln aufzuzeichnen, es damit an einer Aufbewahrungspflicht
i.S.d. § 147 Abs. 1 AO und folglich auch an einem Zugriffsrecht des FA
auf die aufbewahrten Unterlagen bzw. Dateien nach § 147 Abs. 6 AO fehle
(Verweis auf BFH vom 24.06.2009 – VIII R 80/06, BStBl. II 2010, 452 sowie
Bellinger StBp 2011, 272 ff. u. 305 ff. und Mack Stbg. 2012, 116 ff.). Die Aufzeichnungspflicht
nach § 144 AO greife nicht, da die Klägerin Einzelhändlerin
sei. Eine Einzelaufzeichnungspflicht für den Warenverkauf ergebe sich auch
nicht aus den in § 145 AO getroffenen allgemeinen Regeln für die Führung von
Büchern. Das belege bereits der Ausnahmecharakter des § 144 AO. Soweit die
ältere Rechtsprechung zur Situation vor der Einführung von PC-Kassen die
Auffassung vertreten habe, dass der Einzelhandel nur aus Zumutbarkeitsgründen
von der Einzelaufzeichnungspflicht befreit sei (BFH vom 12.05.1966 –
IV 472/60, BStBl. III 1966, 372), sei diese Aussage durch die klaren Aussagen
des BFH im Urteil vom 24.06.2009 überholt. Im Ergebnis unterlägen damit die
freiwillig geführten und aufbewahrten Unterlagen bzw. Dateien nicht dem
Zugriffsrecht nach § 147 Abs. 6 AO. Mangels Aufbewahrungspflicht dürften
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solche Medien vom Steuerpflichtigen auch jederzeit vernichtet bzw. gelöscht
werden. Bei der vom FA verlangten Verkaufsdatei handele es sich auch nicht
i.S.v. § 147 Abs. 1 Nr. 5 AO um „sonstige Unterlagen, soweit sie für die Besteuerung
von Bedeutung sind“. Denn diese Vorschrift komme nur zum Tragen,
soweit der Gesetzgeber nicht auf eine Aufzeichnungspflicht verzichtet habe.
Dies sei bezüglich des Warenausgangs bei Einzelhandelsunternehmen jedoch
im Unkehrschluss zu § 144 AO gerade der Fall. § 147 Abs. 1 Nr. 5 AO
könne nicht den Zweck haben, als Auffangvorschrift („Blanko-Scheck“) für
durch den Gesetzgeber nicht geregelte Aufzeichnungspflichten herzuhalten.
Insoweit wäre auch der Vorbehalt des Gesetzes verletzt. Theoretisch könne alles
irgendwie einmal „von Bedeutung“ sein. Dem Bürger sei es nicht möglich,
anhand dieser Vorschrift im Vorhinein zu erkennen, welche Unterlagen er für
Steuerzwecke aufbewahren müsse. Anders als in Österreich sei eine (zweifelsfrei
wünschenswerte) klarstellende gesetzliche Regelung in der AO bisher unterblieben.
Eine solche könne nicht im Verwaltungswege hergestellt werden.
Dass nach der neuen Kassenrichtlinie (BMF vom 26.11.2010 – BStBl. I 2010,
1342) sämtliche steuerlich relevanten Daten einzeln aufzubewahren seien, sei
für den Streitfall ohnehin nicht von Belang, da diese Verwaltungsanweisung
erst ab dem 01.01.2011 anwendbar sei. Selbst insoweit könnten jedoch aus den
darin lediglich enthaltenen Aufbewahrungsvorschriften keine Aufzeichnungspflicht
abgeleitet werden.
Auch die berufsrechtlichen Vorschriften (hier: §§ 17, 22 ApoBetrO) begründeten
keine steuerrechtlichen Aufzeichnungspflichten, zumal nach diesen Vorschriften
die Preise nicht zu dokumentieren seien. § 22 UStG zwinge nur zur
Dokumentation der Entgelte, nicht aber zur kombinierten Aufzeichnung von
Waren und Preisen. Die vom BMF zusammengefassten Grundsätze ordnungsgemäßer
DV-gestützter Buchführungssysteme (GoBS) (BMF vom 07.11.1995,
BStBl. I 1995, 738, Anhang 64 zum AO-Handbuch 2012) begründeten selbst
keine Aufzeichnungspflicht und seien damit für Datenverarbeitungsanwendungen,
die nicht Teil des betrieblichen Rechnungswesens seien, nicht verbindlich.
Gleiches gelte für die Empfehlungen des IDW. Die These des FA, aus der
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Funktionalität eines vorhandenen PC-Systems (z.B. eines Warenwirtschaftssystems)
auf eine bestimmte Aufzeichnungs- und Aufbewahrungspflicht des Steuerpflichtigen
zu schließen, sei rechtsdogmatisch nicht haltbar, da dann der Umfang
der Aufzeichnung- und Aufbewahrungspflicht vom jeweils eingesetzten
PC-System und von der individuell eingesetzten Software abhinge. Die Klägerin
schulde nur den Nachweis, dass die Tagesendsummenbons zutreffend ermittelt
wurden. Dieser Nachweis sei nicht einzeln, sondern auf der Systemebene
zu führen. Die Anforderung des FA gehe über die stichprobenartige Überprüfung
des entsprechenden Verfahrens weit hinaus. Der BFH habe es im Urteil
vom 24.06.2009 gerade für unzulässig erachtet, seitens der Betriebsprüfung
ohne gesetzliche Aufbewahrungspflicht zur Verprobung überzugehen. Die Firma
A habe auch nie in Verdacht gestanden, ihre Software mit Manipulationsmöglichkeiten
auszustatten.
Im Übrigen verfüge die Kasse nicht über die vom FA gemutmaßte Funktionalität.
Es handele sich um das Modell der Firma A. Betriebswirtschaftliche
Auswertungen habe es damit nicht gegeben. Ein Trainingsspeicher existiere
nicht. Gleiches gelte für bedienerbezogene Tagesendsummenbons. Eine Bedienungsanleitung
(Benutzerhandbuch) habe vorgelegen und hätte auf Anfrage
jederzeit vorgelegt werden können. Umprogrammierungen der Software seien
nicht möglich gewesen und hätten daher auch nicht stattgefunden.
Die Klägerin beantragt,
den Datenanforderungsbescheid des Beklagten vom 28.10.2011 in Form
der Einspruchsentscheidung vom 03.02.2012 aufzuheben sowie die Zuziehung
eines Bevollmächtigten im Vorverfahren für notwendig zu erklären.
Das FA beantragt,
die Klage abzuweisen.
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Das FA vertritt die Auffassung, dass die Klägerin bereits nach § 144 AO zur
gesonderten Aufzeichnung des Warenausgangs verpflichtet sei. Ferner ergebe
sich die Verpflichtung zur Führung entsprechender Einzelaufzeichnungen für
jedes Handelsunternehmen grundsätzlich auch aus § 238 Abs. 1 Satz 3 HGB
und § 145 Abs. 1 Satz 2 AO (Verweis auf BFH vom 12.05.1966 – IV 472/60,
BStBl. III 1966, 372). Auf die Unzumutbarkeit der Führung von Einzelaufzeichnungen
könne sich die Klägerin nicht berufen, da sie die fraglichen Aufzeichnungen
(d.h. die Einzelverkäufe) tatsächlich geführt habe. Bei der von der
Klägerin verwendeten PC-Kasse handele es sich um ein Erlöserfassungssystem
mit integrierter Warenwirtschaftsverwaltung. Die mit einem solchen System
bewältigte Dokumentation des Warenausgangs sei gerade bei Apotheken zur
Aktualisierung des Warenbestandes („permanente Inventur“) und zur Einhaltung
der strengen und vielfältigen berufsrechtlichen Vorschriften (z.B. zur
Kennzeichnung der Rezeptpflichtigkeit und der Rezeptart, zur Zuzahlungspflicht
bei gesetzlicher Krankenversicherung und zur abgegebenen Menge) erforderlich
(Verweis auf §§ 17, 22 ApoBetrVO und § 13 Abs. 3 BtMG). Ferner
zwängen § 22 UStG und § 4 Abs. 5 EStG zur gesonderten Aufzeichnung. Die
im Bescheid vom 28.10.2011 angeforderten Dateien seien im Ergebnis Teil der
nach § 147 Abs. 1 Nr. 1 AO aufzubewahrenden „Grundaufzeichnungen“. Somit
habe die Klägerin die Grundsätze ordnungsmäßiger DV-gestützter Buchführungssysteme
nach § 146 Abs. 5 AO zu beachten, gegen die eine Beschränkung
der Archivierung der Tagesaufzeichnungen auf die Tagesendsummenbons widerspreche.
Selbst Kostenstellenrechungen unterlägen dem Datenzugriff (Verweis
auf FG Rheinland-Pfalz vom 13.06.2006 – 1 K 1743/06, EFG 2006,
1634). Das FG Sachsen-Anhalt habe die Rechtsauffassung des FA bestätigt,
wonach die Verkaufsdaten nach § 147 Abs. 1 Nr. 5 AO aufzubewahren seien
(Beschluss vom 15.01.2013 – 1 V 580/12, n. v., Kopie Bl. 110 ff. der Klageakte).
Dessen ungeachtet stehe dem FA der Zugriff auf die angeforderten Dateien
auch zum Zwecke der allgemeinen Verprobung zu. So sei eine Verprobung des
Aufschlagssatzes einzelner Warengruppen, des erklärten Gesamtumsatzes mit-
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tels Kassenabrechnungen, der Falscherfassung von Privatrezepten, eine Mengenverprobung
des Warenbestandes sowie die Prüfung der Verwendung von
Manipulationssoftware ohne Zugriff auf die Verkaufsdatei nicht möglich. Da
ein Programmierprotokoll nicht vorgelegt worden sei, könne die Angabe der
Klägerin, dass nach der Aufstellung keine Änderungen vorgenommen worden
seien, nicht verifiziert werden. Auch die Organisationsunterlagen und die
betriebswirtschaftlichen Auswertungen der Kasse habe die Klägerin nicht vorgelegt.
Die Intensität und die Ausgestaltung der Prüfung lägen nach § 194 AO
im Ermessen des FA. Der Prüfer habe bei der Klägerin erhebliche Mängel in
der Kassenbuchführung festgestellt (Verweis auf einen checklistenartig ausgefüllten
und weder datierten noch unterschriebenen Aktenvermerk des Prüfers,
sowie auf einen Aktenvermerk vom 26.10.2011). Die Klägerin habe den Nachweis
der Vollständigkeit der Einnahmen daher durch Vorlage der „Kassenstreifen“
(Papierjournalrolle) zu führen. Da dieser nicht existiere, sei die Verkaufsdatei
vorzulegen.
Auf die dem Gericht vorgelegten Verwaltungsakten wird ergänzend Bezug genommen.
Sie waren Gegenstand des Verfahrens. Darüber hinaus wird auf die
zu den Gerichtsakten gereichten Schriftsätze der Beteiligten nebst Anlagen und
das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 24.04.2013 ergänzend Bezug
genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist begründet. Der wegen des vorherigen Streits der Beteiligten um
den Umfang der Datenzugriffsrechte des FA als Verwaltungsakt i.S.d. § 118
Satz 1 AO zu wertende Bescheid des FA vom 28.10.2011 (BFH vom
08.04.2008 – VIII R 61/06, BStBl. II 2009, 579) ist in der Gestalt der Einspruchsentscheidung
vom 03.02.2012 in Ermangelung einer die Datenanforderung
stützenden gesetzlichen Grundlage i.S.d. Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20
Abs. 3 GG rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten. Auf den
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Umstand, dass die ebenfalls angeforderte Datei „vk _ rechnungen …csv“ nach
den Angaben der Klägerin gar nicht existiert, kam es nicht an.
1. Die Anforderung des FA vom 28.10.2011 kann nicht auf § 147 Abs. 6 AO
gestützt werden, da die Tatbestandsvoraussetzungen dieser Vorschrift im
Streitfall nicht erfüllt sind.
a) Sind Unterlagen nach § 147 Abs. 1 AO mit Hilfe eines Datenverarbeitungssystems
erstellt worden, so hat die Finanzbehörde im Rahmen einer Außenprüfung
das Recht, Einsicht in die gespeicherten Daten zu nehmen und das Datenverarbeitungssystem
zur Prüfung dieser Unterlagen zu nutzen (§ 147 Abs. 6
Satz 1 AO). Sie kann im Rahmen einer Außenprüfung auch verlangen, dass Daten
nach ihren Vorgaben maschinell ausgewertet oder ihr die gespeicherten Unterlagen
und Aufzeichnungen auf einem maschinell verwertbaren Datenträger
zur Verfügung gestellt werden (§ 147 Abs. 6 Satz 2). Diese Befugnisse stehen
der Finanzbehörde nach dem insoweit eindeutigen Wortlaut der Vorschrift nur
in Bezug auf Daten zu, die der Steuerpflichtige nach § 147 Abs. 1 AO aufzubewahren
hat (BFH vom 24.06.2009 – VIII R 80/06, BStBl. II 2010, 452 unter
II. 1. a. b. aa.). Die in § 147 Abs. 1 AO geregelten Aufbewahrungspflichten
setzen wiederum eine gesetzliche Aufzeichnungspflicht des Steuerpflichtigen
voraus und bestehen grundsätzlich nur im Umfang dieser Aufzeichnungspflicht
(BFH vom 24.06.2009 – VIII R 80/06, BStBl. II 2010, 452 unter II. 1. a. b.
cc.).
b) Im Streitfall hatte die Klägerin, der aufgrund der Größe und der Einzelumsatzhäufigkeit
ihres Geschäfts zweifelsfrei die Kaufmannseigenschaft nach § 1
Abs. 1 HGB i.V.m. § 238 Abs. 1 HGB zukommt, keine gesetzliche Verpflichtung,
die von ihr getätigten Einzelverkäufe (d.h. die im Einzelnen verkauften
Waren und die hierfür im Einzelnen vereinnahmten Kaufpreise) im Einzelnen
manuell oder auf einem Datenträger (§ 146 Abs. 5 AO) aufzuzeichnen und diese
manuellen oder elektronischen Aufzeichnungen nach § 147 Abs. 1 AO aufzubewahren.
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aa) Da die Klägerin ihre Waren nach der Art ihres Geschäftsbetriebes nicht regelmäßig
an anderer gewerbliche Unternehmer, sondern an Endverbraucher
liefert, ist sie zweifelsfrei nicht nach § 144 Abs. 1 bis 4 AO zur gesonderten
Aufzeichnung des Warenausgangs einschließlich des Warenpreises (§ 144
Abs. 3 Nr. 4 AO) verpflichtet. Entgegen der Ansicht des FA ergibt sich eine
entsprechende Verpflichtung auch nicht aus den allgemeinen Vorschriften nach
§ 238 Abs. 1 Satz 3 HGB und § 145 Abs. 1 Satz 2 AO. Zur Erfüllung des in
diesen Vorschriften geregelten Gebotes der Gewährleistung der eindeutigen
Identifizierbarkeit und Nachprüfbarkeit der einzelnen Handelsgeschäfte ist der
Kaufmann ungeachtet der Eigenart seines Unternehmens zwar grundsätzlich
verpflichtet, seine Kassenvorgänge (seien es Barausgaben oder Bareinnahmen)
einzeln aufzuzeichnen (vgl. BFH vom 12.05.1966 – IV 472/60, BStBl. III
1966, 372 zur Herleitung dieses Gebotes aus den Grundsätzen ordnungsmäßiger
Buchführung). Es entspricht jedoch der gefestigten und auch im „Computerzeitalter“
aufrecht erhaltenen höchstrichterlichen Rechtsprechung, dass die
in § 238 Abs. 1 HGB und § 145 AO zum Ausdruck kommenden Grundsätze
ordnungsmäßiger Buchführung derartige Einzelaufzeichnungen aus Zumutbarkeits-
und Praktikabilitätsgründen regelmäßig nicht verlangen, wenn der Unternehmer
gegen Barzahlung Waren von geringerem Wert an eine unbestimmte
Vielzahl von Kunden im offenen Ladengeschäft verkauft (BFH vom
12.05.1966 – IV 472/60, BStBl. III 1966, 37; BFH vom 01.10.1969 –
I R 73/66, BStBl. II 1970, 45; BFH vom 26.02.2004 – XI R 25/02, BStBl. II
2004, 599; BFH vom 07.02.2008 – X B 189/07, n. v. Juris; BFH vom
14.12.2011 – XI R 5/10, BFH/NV 2012, 1921 unter II. 1 a.). Soweit hiernach
auf Einzelaufzeichnungen verzichtet werden darf, sind die Tagessummen der
Kasseneinnahmen und Kassenausgaben in Form von Kassenberichten oder mit
Hilfe eines Kassenbuchs täglich festzuhalten (BFH vom 01.10.1969 –
I R 73/66, BStBl. II 1970, 45; BFH vom 20.06.1985 – IV R 41/82, BFH/NV
1985, 12). Die aus der Tageskasse ausgezählte Summe der Tagesein- und Ausgaben
ist in das in Form aneinandergereihter Kassenberichte geführte Kassenbuch
zu übertragen (BFH vom 07.07.1977 – IV R 205/72, BStBl. II 1978, 307;
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BFH vom 21.02.1990 – X R 54/87, BFH/NV 1990, 683). Die zugehörigen
Tagesendsummensbons (Z-Bons) sind als sonstige Unterlagen i.S.d. § 147
Abs. 1 Nr. 4 und Nr. 5 AO aufzubewahren (FG Bremen vom 24.09.1996 –
2 94 085 K 2, EFG 1997, 449; FG Hamburg vom 04.12.1990 – II 104/88,
EFG 1991, 507).
Nach diesen Grundsätzen war auch die Klägerin i.S.v. § 238 Abs. 1 Satz 3
HGB und § 147 Abs. 1 Satz 2 AO als Einzelhändlerin von der Verpflichtung
befreit, die einzelnen „Verkäufe“ über die Ladentheke (d.h. den jeweiligen Warenausgang
in Verbindung mit dem vereinnahmten Kaufpreis) einzeln aufzuzeichnen.
Dem steht nicht entgegen, dass die Klägerin (wie der Bevollmächtigte
in der mündlichen Verhandlung klargestellt hat) sämtliche mit den Trägern
der gesetzlichen Krankenversicherung anfallenden Geschäftsvorfälle mit diesen
unbar abwickelt, da dies am grundsätzlichen und zusätzlichen Anfall von
anonymen (da rezeptfreien) Bargeschäften „über die Ladentheke“ in erheblichem
Umfang nichts ändert. Die Klägerin konnte ihre Pflicht zur Gewährleistung
der eindeutigen Identifizierbarkeit und Nachprüfbarkeit der einzelnen Geschäfte
mithin grundsätzlich dadurch erfüllen, dass sie – wie sie dies zu Beginn
der Betriebsprüfung dargestellt und erläutert hatte – die festgestellten Tagesendsummen
fortlaufend in ein Kassenbuch übertrug. Dass sie die einzelnen
Barverkäufe gleichwohl freiwillig und programmgesteuert in einer gesonderten
Datei („VK Verkäufe“) mitschrieb und speicherte, ändert hieran nichts. Zwar
stellt dies die von der Rechtsprechung zur Begründung der Erleichterung angeführten
Kriterien der Praktikabilität und Zumutbarkeit in Frage. Für die Tragfähigkeit
dieser Kriterien kann es jedoch nicht auf den einzelnen (sich z.B.
durch den Einsatz einer besonders ausgestalteten Kasse möglicherweise überobliagtionsmäßig
verhaltenden) Steuerpflichtigen, sondern allein auf den Typus
eines in größerem Umfang Barumsätze erzielenden Einzelhandelsbetriebes
ankommen. Eine Apotheke gleich welcher Größe kann insoweit nicht anders
behandelt werden als z.B. ein Betrieb der Kleingastronomie. Andenfalls würde
der Umfang der Aufzeichnungspflicht vom Umfang der vom Steuerpflichtigen
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tatsächlich getätigten Aufzeichnungen abhängen, was mit der abstraktgenerellen
Intention der Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung und dem
Regelungszweck des § 238 Abs. 1 Satz 2 HGB und des § 145 Abs. 1 Satz 2 AO
und überdies auch mit den Grundsätzen der Verhältnismäßigkeit und des Vorrangs
und Vorbehalts des Gesetzes (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG)
nicht zu vereinbaren wäre (vgl. BFH vom 24.06.2009 – VIII R 80/06, BStBl. II
2010, 452 unter II. 1. b. cc. unter Verweis auf das Volkszählungs-Urteil des
Bundesverfassungsgerichts, BVerfG vom 15.12.1983 – 1 BvR 209/83 u.a.,
BVerfGE 65, 1 unter C. II. 2. a.). Für Steuerzwecke (d.h. ungeachtet des dargestellten
handelsrechtlichen Auslegungsergebnisses) führt darüber hinaus eine
am Gesetzeswortlaut orientierte Auslegung des § 144 AO zu dem Ergebnis,
dass die von dieser Vorschrift nicht betroffenen Unternehmer (wie im Streitfall
die Klägerin) im Umkehrschluss ihren Warenausgang nicht einzeln aufzeichnen
müssen.
Entgegen der Ansicht des FA handelt es sich bei der angeforderten Datei „VK
Verkäufe“ daher nicht um einen Bestandteil der nach § 147 Abs. 1 Nr. 1 AO
aufzubewahrenden „Grundaufzeichnungen“. Das gilt auch für die Datei „VK
Rechnungen“, bei der es sich nach den Mutmaßungen des FA ebenfalls um einen
Datensatz mit Einzelverkäufen handeln soll. Insoweit kann dahinstehen,
dass diese Datei nach den (vom FA nicht widerlegten) Angaben der Klägerin
überhaupt nicht existiert, weil gegenüber den Kunden nur geringe Rechnungsumsätze
angefallen und diese manuell dokumentiert worden seien.
bb) In Bezug auf die im Bescheid vom 28.10.2011 angeforderten Dateien ergibt
sich eine Aufbewahrungspflicht auch nicht aus § 147 Abs. 1 Nr. 5 AO.
Nach dieser Vorschrift sind auch „sonstige Unterlagen“ gesondert aufzubewahren,
soweit sie „für die Besteuerung von Bedeutung sind“. Zwar lässt der weite
Wortlaut der Norm die Deutung zu, dass nach ihr ohne Rücksicht auf eine Aufzeichnungspflicht
sämtliche für die Besteuerung bedeutsamen Unterlagen
aufzubewahren sind. Eine solche Auslegung hat die höchstrichterliche Rechtsprechung
jedoch zu Recht verworfen. Vielmehr ist § 147 Abs. 1 Nr. 5 AO un-
13 –
ter Berücksichtigung der generellen Akzessorietät der Aufbewahrungspflicht
zu einer bestehenden gesetzlichen Aufzeichnungspflicht dahingehend einschränkend
auszulegen, dass nur solche sonstigen (d.h. nicht unter § 147 Abs.
1 Nr. 1 bis 4a AO fallenden) Unterlagen oder Daten (etc.) aufbewahrt werden
müssen, die zum Verständnis und zur Überprüfung der für die Besteuerung gesetzlich
vorgeschriebenen Aufzeichnungen im Einzelfall von Bedeutung sind
(BFH vom 24.06.2009 – VIII R 80/06, BStBl. II 2010, 452 unter II. 1. b. cc.;
BFH vom 14.12.2011 – XI R 5/10, BFH/NV 2012, 1921 unter II. 2. a. bb.).
Nach dieser Maßgabe ist der von der Klägerin aufbewahrte Datensatz „VK
Verkäufe“ zum Verständnis und zur Überprüfung des von ihr aufzubewahrenden
Kassenbuchs und der aufzubewahrenden Tagesendsummensbons (Z-Bons)
nicht „von Bedeutung“. Für die Beantwortung der Frage, ob bestimmte Unterlagen
oder Daten nach den vom BFH entwickelten Grundsätzen „im Einzelfall“
zum Verständnis oder zur Überprüfung vorgeschriebener Aufzeichnungen „bedeutsam“
sind, kann es – mit Blick auf die gleichzeitig geforderte einschränkende
Auslegung der gesetzlichen Aufbewahrungs- und Zugriffstatbestände
unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes – ebenfalls nicht auf die
Verhältnisse des einzelnen Steuerpflichtigen ankommen. Vielmehr ist entscheidend,
ob die fraglichen Unterlagen oder Daten zum Verständnis und zur
Überprüfung der jeweils aufzuzeichnenden Geschäftsvorfälle bei abstraktgenereller
Betrachtung typischerweise von Bedeutung sind. Denn nur so ist
sichergestellt, dass der Steuerpflichtige im Vorhinein erkennen kann, welche
Unterlagen und Daten er zur Gewährleistung der Ordnungsmäßigkeit seiner
Buchführung innerhalb der gesetzlichen Fristen zwingend aufbewahren muss.
Es wäre mit dem allgemeinen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nicht zu vereinbaren,
wenn sich eine Aufbewahrungspflicht nach § 147 Abs. 1 Nr. 5 AO allein
aus dem Umstand ergäbe, dass der Steuerpflichtige freiwillig (z.B. zu internen
Kontrollzwecken) bestimmte Aufzeichnungen fertigt, die sich im Rahmen einer
Betriebsprüfung für eine Verprobung der verpflichtend erstellten Aufzeichnungen
später als hilfreich erweisen könnten.
– 14 –
Der Streitfall ist unter Berücksichtigung dieser Vorgabe zu entscheiden. Die
von der Klägerin freiwillig und programmgesteuert gespeicherten Einzeldaten
der Verkäufe sind aus der Perspektive des FA für eine rückschauende Verprobung
des Kassenbuchs und der Z-Bons zwar zweifellos von großem Interesse.
Die Bejahung einer hierauf gestützten generellen Aufzeichnungspflicht würde
jedoch den Grundsatz ad absurdum führen, dass für den Betrieb der Klägerin
nach § 145 Abs. 1 Satz 2 AO eine gesonderte Aufzeichnung des Warenausgangs
und der Einnahmen gerade nicht erforderlich ist. Bei abstrakt-genereller
Betrachtung sind die Einzeldaten auch für das „Verständnis“ der Z-Bons und
des Kassenbuchs nicht erforderlich, da letztere die fraglichen Einzelaufzeichnungen
gerade ersetzen sollen. Diese Erwägungen gelten vorliegend sowohl für
die Datei „VK Verkäufe“ als auch für die Datei „VK Rechnungen“ (soweit
überhaupt vorhanden).
Der Streitfall ist insoweit auch mit der vom BFH entschiedenen Konstellation
vergleichbar, in der ein in größerem Umfang bar abrechnender Betreiber einer
Kraftfahrzeugwerkstatt über die Führung des Kassenbuchs hinaus seine Kundenaufträge
dadurch einzeln festhält, dass er jeweils eine Kopie des Fahrzeugscheins
des zu reparierenden Fahrzeugs anfertigt und hierauf handschriftlich
den Arbeitsumfang, die zu beschaffenden Ersatzteile und die geleisteten Arbeitsstunden
notiert. Trotz der unbestreitbaren Tatsache, dass diese zusätzlichen
Aufzeichnungen bei der Überprüfung der Richtigkeit des Kassenbuches
durch die Finanzbehörde äußert hilfreich wären, besteht hierfür nach der
Rechtsprechung (BFH vom 07.12.2010 – III B 199/09, BFH/NV 2011, 411)
ersichtlich keine Aufbewahrungspflicht nach § 147 Abs. 1 AO. Soweit das FA
der angeführten Entscheidung des FG Rheinland-Pfalz etwas anderes entnimmt
(FG Rheinland-Pfalz vom 13.03.2006 – 1 K 1743/05, EFG 2006, 1550), sind
die dort zu Grunde gelegten Erwägungen jedenfalls durch die Entscheidung des
BFH vom 24.06.2009 (VIII R 80/06, BStBl. II 2010, 452) überholt. Den neuerlichen
Erwägungen des FG Sachsen-Anhalt im summarischen Aussetzungsverfahren
(FG Sachsen-Anhalt vom 15.01.2013 – 1 V 580/112, n. v. ist mit den
hier vertretenen Argumenten nicht zu folgen.
– 15 –
cc) Entgegen der Auffassung des FA ergibt sich eine gesetzliche Pflicht zur
gesonderten Aufzeichnung des Warenausgangs nebst den im Einzelnen vereinnahmten
Warenpreisen auch nicht aus den für die Klägerin geltenden sonstigen
(berufs-) rechtlichen Bestimmungen. Die aufgrund § 21 des Apothekengesetzes
erlassene Apothekenbetriebsordnung (ApoBetrO) und das Betäubungsmittelgesetz
(BtMG) enthalten zwar einzelne Aufzeichnungs- und Bestandsdokumentationspflichten.
Eine Verpflichtung zur Dokumentation der für den Verkauf einzelner
Warenstücke vereinnahmten Preise (d.h. der „Verkäufe“, wie sie sich
aus der Datei „VK Verkäufe“ ergeben sollen) findet sich hier jedoch nicht.
§ 17 Abs. 6 Satz 1 Nr. 4 ApoBetrO betrifft nur die Angabe des Preises auf der
vom Bezieher vorgelegten und wieder an sich genommenen Verschreibung. Die
besonderen Aufzeichnungspflichten nach § 17 Abs. 6a u. Abs. 6b ApoBetrO
und die Aufbewahrungspflichten nach § 22 ApoBetrO sehen eine Berücksichtigung
des Preises nicht vor. Gleiches gilt für die Anzeigepflicht nach § 12
Abs. 2 BtMG und die Aufzeichnungspflicht nach § 17 BtMG. Auch die Regelungen
nach § 22 UStG i.V.m. §§ 63 ff. UStDV beinhalten lediglich die Pflicht
zur Aufzeichnung der Entgelte i.S.d. § 10 Abs. 1 Satz 2 UStG. Eine Verpflichtung
zur kombinierten Einzelaufzeichnung von Waren und Preisen ergibt sich
hieraus nicht.
Sofern das FA die Auffassung vertritt, dass es nach § 147 Abs. 6 AO zumindest
die Herausgabe der nach der ApoBetrO und dem BtMG geführten Aufzeichnungen
bzw. die Gewährung des Zugriffs auf die entsprechenden Daten
verlangen könne, ist der Bescheid vom 28.10.2011 jedenfalls deshalb rechtswidrig
und verletzt die Klägerin in ihren Rechten, da das FA sein dort formuliertes
Vorlageersuchen nicht auf die entsprechenden Aufzeichnungen beschränkt,
sondern vielmehr Zugriff auf die Daten zu sämtlichen „Verkäufen“
und „Rechnungen“ (d.h. Rechungsverkäufen) verlangt hat (vgl. BFH vom
24.06.2009 – VIII R 80/06, BStBl. II 2010, 452 unter II. 1. c.). Gleiches gilt
hinsichtlich der Entgeltaufzeichnungspflichten nach § 22 UStG. Eine diesbezügliche
Umdeutung des Anforderungsbescheides ist nicht möglich, da damit
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i.S.v. § 128 Abs. 1 AO ein anderes Ziel verfolgt werden würde, welches vom
FA wegen des weitergehenden Vorlagebegehrens i.S.v. § 128 Abs. 2 AO nicht
gewollt war. Aus den gleichen Gründen ist es auch nicht möglich, im Anforderungsbescheid
des FA insoweit ein „wesensgleiches Minus“ zu erblicken.
2. Der streitgegenständliche Bescheid kann auch nicht hilfsweise auf die allgemeine
Verpflichtung der Klägerin nach § 200 Abs. 1 AO zur Mitwirkung bei
der Betriebsprüfung in Gestalt der Unterstützung des Prüfers beim Datenzugriff
gestützt werden. Denn § 200 Abs. 1 Satz 2 AO verweist in diesem Zusammenhang
ausdrücklich auf § 147 Abs. 6 AO, weshalb die Pflichten der Klägerin
nach § 200 Abs. 1 AO nicht weiter reichen können als ihre Pflichten nach
§ 147 Abs. 6 AO (BFH vom 24.06.2009 – VIII R 80/06, BStBl. II 2010, 452
unter II. 1. b. aa.). Weitere in Betracht kommende Rechtsgrundlagen für den
Bescheid 28.10.2011 sind nicht erkennbar. Im Übrigen ist zu berücksichtigen,
dass der Gesetzgeber den Umfang des Datenzugriffs durch § 147 Abs. 6 AO
und § 200 Abs. 1 Satz 2 AO unter Verzicht auf die Einführung weitergehender
Befugnisse der Finanzbehörden einer eindeutigen und in sich abgeschlossenen
Regelung zugeführt hat. Diese Gesetzeslage mag – wie die Klägerin selbst einräumt
– aus prüfungspraktischer Sicht zwar ausgesprochen misslich sein. Dem
Gesetzgeber stünde es jedoch jederzeit frei, nach dem (von der Klägerin beschriebenen)
österreichischen Vorbild Abhilfe zu schaffen und ein gesetzliches
Zugriffsrecht auch für die außerhalb einer gesetzlichen Aufzeichnungspflicht
vom Steuerpflichtigen geschaffenen Daten zu schaffen.
3. Bei diesem Ergebnis würde es auch dann bleiben, wenn die (allerdings nicht
weiter belegte) Behauptung des FA zuträfe, nach der die bei der Klägerin gesichteten
Z-Bons formelle Fehler aufwiesen oder sich hieraus Differenzen ergäben
und aus diesen Gründen Zweifel an der Richtigkeit des manuell geführten
Kassenbuches bestünden. Die Frage des Bestehens einer Vorlageverpflichtung
i.S.v. § 147 Abs. 6 AO ist von der Frage der im Übrigen erkennbaren
Ordnungsmäßigkeit der klägerischen Buchführung und der dadurch eröffneten
Schätzungsbefugnis des FA nach § 162 AO strikt zu trennen. Nicht ordnungs-
17 –
mäßige Kassenaufzeichnungen (z.B. Differenzen zwischen den Tagessummen
laut Z-Bons und den Eintragungen im Kassenbuch, nicht zeitgerechte Führung
des Kassenbuchs oder mangelnde Sturzfähigkeit der Kasse) lassen den Schluss
zu, dass nicht alle Bareinnahmen verbucht worden sind (BFH vom 02.02.1982
– VIII R 65/80, BStBl. II 1982, 409) und berechtigen die Betriebsprüfung gegebenenfalls
zu Zuschätzungen (vgl. bei mangelhaftem Kassenbuch z.B. FG
Hamburg vom 04.12.1990 – II 104/88, EFG 1991, 507). Soweit betont wird,
dass das Zustandekommen der Tagessummen durch die einzelnen Kassenzettel
und Bons (etc.) „nachgewiesen“ werden muss, wenn die Eintragungen im Kassenbuch
oder die Tagesendsummenbons keine Gewähr für die Vollständigkeit
bieten (Drüen in Tipke / Kruse, AO / FGO, Stand 09/2009, § 147 AO Rn. 24
m.w.N.), handelt es sich hierbei nicht um eine Verpflichtung im Sinne einer
(wiederauflebenden) Aufzeichnungspflicht, sondern um eine Obliegenheit des
Steuerpflichtigen zur Widerlegung der Schätzungsbefugnis des FA durch anderweitige
Glaubhaftmachung der Richtigkeit der Buchführung. Ob dies bei
der Klägerin der Fall ist (d.h. ob die Tagesendsummenbons und das Kassenbuch
ordnungsgemäß geführt wurden), kann im Streitfall dahinstehen, da dies
an der fehlenden Rechtsgrundlage für die Anforderung des FA im Bescheid
vom 28.10.2011 nichts ändert. Dass die Klägerin im Falle der Feststellung der
fehlenden Ordnungsmäßigkeit ihrer (Kassen-) Buchführung die vom FA angeforderten
Einzelverkaufsdaten zur Entkräftung einer entsprechenden Schätzung
des FA möglicherweise freiwillig vorlegen wird, belegt allenfalls die fehlende
Praxisnähe der in § 147 Abs. 6 AO und § 200 Abs. 1 Satz 2 AO vom Gesetzgeber
getroffenen Regelungen.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO, die Entscheidung
über die Notwendigkeit der Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren
auf § 139 Abs. 3 Satz 3 FGO und die Entscheidung über die vorläufige
Vollstreckbarkeit auf § 151 Abs. 1 und Abs. 3 FGO i.V.m. §§ 708, 711 ZPO.
Gründe für die Zulassung der Revision lagen nicht vor. Der Umfang der gesetzlichen
Aufzeichnungspflichten und die gesetzliche Reichweite der Datenzugriffsrechte
der Betriebsprüfung sind durch die höchstrichterliche Recht-
18 –
sprechung hinreichend geklärt (BFH vom 24.06.2009 – VIII R 80/06, BStBl. II
2010).