BFH-Beschluß vom 6.12.1979 (IV B 32/79) BStBl. 1980 II S. 427

BFH-Beschluß vom 6.12.1979 (IV B 32/79) BStBl. 1980 II S. 427

1. Die Mitteilung nach § 141 Abs. 2 AO 1977, durch die das FA den Land- und Forstwirt (oder den Gewerbetreibenden) auf die Verpflichtung hinweist, ab Beginn des nächsten Wirtschaftsjahres Bücher zu führen und aufgrund jährlicher Bestandsaufnahmen Abschlüsse zu machen, ist ein rechtsgestaltender Verwaltungsakt, dessen Vollziehung gemäß § 69 FGO ausgesetzt werden kann.

2. War die Vollziehung ausgesetzt, so sind die Gewinne des Land- und Forstwirts im Falle seines Unterliegens im Hauptsachestreit rückwirkend ab dem für den Beginn der Buchführungspflicht mitgeteilten Zeitpunkt durch Vermögensvergleich nach § 4 Abs. 1 EStG zu ermitteln, und zwar – soweit tatsächlich keine Bücher geführt wurden – aufgrund geschätzter Besteuerungsgrundlagen (§ 162 Abs. 2 AO 1977).

FGO § 69; AO 1977 §§ 118, 141 Abs. 2, 162 Abs. 2.

Sachverhalt

 

Die Beschwerde des Antragstellers und Beschwerdeführers (Antragsteller) richtet sich gegen die Ablehnung der Aussetzung der Vollziehung der Mitteilung vom 30. August 1977, durch den der Antragsgegner und Beschwerdegegner (Finanzamt – FA -) den Antragsteller auf den Beginn der Buchführungspflicht ab 1. Mai 1978 hingewiesen hat.

Dem bis zur Revision geführten Verfahren in der Hauptsache (IV R 66/79), über das der erkennende Senat heute entschieden hat, liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

Der Antragsteller betreibt als Landwirt eine Weidewirtschaft, teils auf eigenen, teils auf hinzugepachteten Flächen. Für seinen landwirtschaftlichen Betrieb ist durch berichtigten Einheitswertbescheid vom 22. September 1976 der Einheitswert zum 1. Januar 1974 auf 91.800 DM festgestellt worden. Der auf den 1. Januar 1974 festgestellte Einheitswert der von einer Verpächterin zugepachteten Stückländereien beträgt 14.100 DM. Durch Bescheide vom 16. und 17. August 1977 stellte das FA fest, daß von diesem Einheitswert gemäß § 49 des Bewertungsgesetzes (BewG) auf die Verpächterin (abgerundet) 10.400 DM und auf den Antragsteller 3.677 DM entfallen. Für eine weitere, vom Landkreis gepachtete Fläche (2,25 ha) wurde ein Einheitswert nicht festgestellt.

Das FA errechnete dafür unter Zugrundelegung eines ortsüblichen Hektarwertes von 891 DM einen Hilfswert von 2.000 DM.

Durch Mitteilung vom 30. August 1977 teilte das FA dem Antragsteller mit, daß das von ihm bewirtschaftete landwirtschaftliche Vermögen einschließlich des Pachtlandes mehr als 100.000 DM betrage und er deshalb gemäß § 141 Abs. 1 Nr. 3 der Abgabenordnung (AO 1977) verpflichtet sei, ab 1. Mai 1978 Bücher zu führen und aufgrund jährlicher Bestandsaufnahmen Abschlüsse zu machen. Das FA forderte den Antragsteller zugleich auf, eine entsprechende Buchführung einzurichten, bis zum 31. Juli 1978 eine Eröffnungsbilanz einzureichen und zu bestätigen, daß er Bücher führen werde. Die dagegen eingelegte Beschwerde wies die Oberfinanzdirektion (OFD) durch Beschwerdeentscheidung vom 27. Oktober 1977 als unbegründet zurück.

Mit der Klage machte der Antragsteller die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides und der Beschwerdeentscheidung der OFD geltend. Er vertrat die Auffassung, die Vermögensgrenze des § 141 Abs. 1 Nr. 3 AO 1977 habe er nicht überschritten, weil sein eigenes land- und forstwirtschaftliches Vermögen unter 100.000 DM liege und das hinzugepachtete fremde Vermögen ihm nicht zugerechnet werden dürfe.

Die Klage hatte keinen Erfolg.

Auf die Revision des Antragstellers hat der erkennende Senat durch Urteil vom heutigen Tage die Vorentscheidung aufgehoben und der Klage stattgegeben. Der Senat vertritt die Auffassung, daß die Einheitswerte der hinzugepachteten Grundstücksflächen auch im Rahmen des § 141 Abs. 1 Nr. 3 AO 1977 dem Antragsteller als Pächter und Nichteigentümer nicht zugerechnet werden können und deshalb sein land- und forstwirtschaftliches Vermögen unter 100.000 DM liege. Der Senat hat daher auch das Schreiben vom 30. August 1977, mit dem dem Antragsteller der Beginn der Buchführungspflicht zum 1. Mai 1978 mitgeteilt wurde, und die zugehörige Beschwerdeentscheidung der OFD ersatzlos aufgehoben.

Mit der Klage hatte der Antragsteller auch beantragt, die Vollziehung des angefochtenen Bescheides vom 30. August 1977, der durch die Beschwerdeentscheidung der OFD bestätigt wurde, auszusetzen, bis über die in dieser Sache anhängige Klage rechtskräftig entschieden sei. Er trug vor, nach seiner Meinung bestünden erhebliche Zweifel, ob der Verpächteranteil bei der Ermittlung der Vermögensgrenze nach § 141 Abs. 1 Nr. 3 AO 1977 hinzugerechnet werden dürfe.

Das Finanzgericht (FG) lehnte den Aussetzungsantrag mit der Begründung ab, die Anordnung der Aussetzung der Vollziehung dürfe nur eine vorläufige Regelung treffen und keine vollendeten Tatsachen schaffen, die das Ergebnis des Hauptsacheverfahrens ganz oder teilweise vorwegnähmen. Der Antragsteller habe klargemacht, daß er mit seinem Antrag nicht lediglich die Aussetzung von Vollstreckungsmaßnahmen erreichen wolle, die ihm das FA ohnehin bereits zugesagt habe, sondern die vorläufige Befreiung von der Buchführungspflicht bis zur Rechtskraft der Entscheidung im Hauptsacheverfahren. Da eine ordnungsmäßige Erfüllung der Buchführungspflicht eine zeitgerechte Verbuchung der Geschäftsvorfälle (vgl. § 146 AO 1977) voraussetze, sei eine unterlassene Buchführung grundsätzlich nicht mehr nachholbar. Eine vorläufige Befreiung des Antragstellers würde daher vollendete Tatsachen schaffen und dem Urteil im Hauptsacheverfahren zumindest für den Zeitraum bis zum rechtskräftigen Abschluß dieses Verfahrens vorgreifen. Aus diesem Grunde sei die beantragte Anordnung nicht zulässig.

Mit der Beschwerde beantragt der Antragsteller, den Beschluß des FG aufzuheben und die Vollziehung des Bescheides vom 30. August 1977 über den Beginn der Buchführungspflicht ab 1. Mai 1978 auszusetzen.

Der Antragsteller macht geltend, an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Mitteilung über den Beginn der Buchführungspflicht bestünden ernstliche Zweifel i. S. der §§ 361 der Reichsabgabenordnung (AO), 69 der Finanzgerichtsordnung (FGO). Denn die in der Hauptsache zu entscheidende Rechtsfrage sei sowohl in der Rechtsprechung als auch in der Literatur umstritten.

Es sei zwar richtig, daß nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) eine Aussetzung der Vollziehung dann nicht erfolgen könne, wenn damit die Entscheidung in der Hauptsache vorweggenommen würde. Im Schrifttum sei aber bisher einhellig die Auffassung vertreten worden, daß die Aufforderung zur Buchführung in der Vollziehung ausgesetzt werden könne (vgl. Kühn-Kutter-Hofmann, Abgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, 12. Aufl., § 141 AO Anm. 4; Hübschmann-Hepp-Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 141 AO, Anm. 9, letzter Satz; Paulick, Finanz-Rundschau 1978 S. 334 ff. – FR 1978, 334 ff. -, und Niedersächsisches FG, Beschluß vom 27. Oktober 1978 II 340/78 A – nicht veröffentlicht -).

Eine Buchführung könne zwar nicht rückwirkend erstellt werden, wenn zunächst die Aussetzung der Vollziehung gewährt werde, später aber entschieden werde, daß die Mitteilung über den Beginn der Buchführungspflicht zu Recht erfolgt sei. Hierbei müsse man aber bedenken, daß die Buchführungsaufforderung ein Verwaltungsakt mit einer langjährigen Dauerwirkung sei und dieser durch die Aussetzung der Vollziehung nur vorübergehend nicht erfüllt werde. Werde die Buchführungspflicht in der Vollziehung ausgesetzt, aber später festgestellt, daß sie tatsächlich bestanden habe, dann müsse der Gewinn des betreffenden Land- und Forstwirts gemäß § 4 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) im Wege der Schätzung ermittelt werden (§ 162 AO 1977). Darin liege nicht unbedingt ein Vorteil für den betreffenden Land- und Forstwirt. Andererseits würde die Ablehnung der Aussetzung der Vollziehung für den Land- und Forstwirt, der mit der Anfechtung der Mitteilung über seine Buchführungspflicht Erfolg habe, erhebliche Kosten verursachen, für die er keinen Ersatz erlangen könne. Es würde daher rechtsstaatlichen Grundsätzen widersprechen, den Steuerpflichtigen hinsichtlich der Mitteilung über den Beginn der Buchführungspflicht von dem Recht der Gewährung des vorläufigen Rechtsschutzes auszuschließen.

Das FA beantragt, die Beschwerde kostenpflichtig zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

 

Die Beschwerde ist begründet.

1. Gemäß § 141 Abs. 2 AO 1977 ist die Verpflichtung zur Buchführung vom Beginn des Wirtschaftsjahres an zu erfüllen, das auf die Bekanntgabe der Mitteilung folgt, durch die die Finanzbehörde auf den Beginn dieser Verpflichtung hingewiesen hat. Daß diese Mitteilung ein vollziehbarer Bescheid ist, ergibt sich aus ihrer Eigenschaft als rechtsgestaltender Verwaltungsakt (§ 118 AO 1977), der Pflichten begründet, deren Erfüllung durch Zwangsmaßnahmen erzwungen (§§ 328 ff. AO 1977) und deren Verletzung als Ordnungswidrigkeit i. S. des § 379 Abs. 1 AO 1977 geahndet werden kann und zur Schätzung des Gewinns berechtigt (§ 162 Abs. 2 Satz 2 AO 1977).

2. Der Senat teilt die schon in der Begründung zum Entwurf einer Abgabenordnung zu § 86 AO 1974 (vgl. Bundestags-Drucksache VI/1982) und in der vom Antragsteller angeführten Literatur vertretene Auffassung, daß die obige Mitteilung ein Verwaltungsakt ist, dessen Vollziehung in der vom Antragsteller begehrten Weise ausgesetzt werden kann. Die Vollziehungsaussetzung nach § 69 FGO stellt zwar eine Maßnahme des vorläufigen Rechtsschutzes dar, die, ohne die Wirksamkeit des Verwaltungsaktes in Frage zu stellen, lediglich seine Wirkung vorläufig oder einstweilig, aber nicht endgültig aufheben, d. h. eben mit der Maßgabe aussetzen soll, daß im Falle des Unterliegens des Steuerpflichtigen die aufschiebende Wirkung rückwirkend wieder wegfällt. Es ist auch richtig, daß die Aussetzung der Vollziehung der Buchführungspflicht bis zur rechtskräftigen Entscheidung des Hauptsachestreits über diese Verpflichtung, wie sie der Antragsteller erstrebt, im praktischen Ergebnis meist eine Befreiung von der Führung von Büchern bis zum Ende des Hauptsachestreits zur Folge hat, die in dieser zeitlichen Begrenzung in gewisser Beziehung – nämlich was die tatsächliche Führung von Büchern, die jährlichen Bestandsaufnahmen und Abschlüsse betrifft – keinen vorläufigen, sondern endgültigen Charakter hat. Denn im Falle des Unterliegens des Antragstellers kann in den meisten Fällen (insbesondere wenn sich der Hauptsachestreit länger als ein Jahr hinzieht) die Buchführung nicht mehr nachgeholt und damit die „vorläufige“ Befreiung von der Buchführung nicht rückwirkend aufgehoben werden.

Trotzdem ist der Senat der Auffassung, daß die Aussetzung der Vollziehung auch in derartigen Fällen vertretbar und erforderlich ist, und zwar aus folgenden Gründen:

Die Aussetzung der Vollziehung schafft vollendete Tatsachen im Vergleich zum Dauercharakter einer Buchführung nur für eine relativ kurze Zeitspanne und beschränkt sich auf die Befreiung von der tatsächlichen Führung von Büchern und der Erstellung von Bestandsaufnahmen und Abschlüssen usw.; sie verhindert, daß dem Antragsteller im Falle seines Obsiegens für eine begrenzte Zeitspanne ohne Grund und sozusagen zwecklos unverhältnismäßig hohe Kosten für die Einrichtung einer Buchführung aufgebürdet werden, da er selbst dazu in der Regel ohne fremde Hilfe nicht in der Lage sein wird.

Keine endgültigen Tatsachen schafft hingegen eine solche Aussetzung der Vollziehung in ihrer steuerlichen Wirkung, soweit es um die vorläufige Befreiung von der Gewinnermittlung nach dem Vermögensvergleich nach § 4 Abs. 1 EStG geht, die ja den einzigen Sinn und Zweck der Buchführung darstellt. Denn im Falle des endgültigen Unterliegens des Antragstellers im Hauptsachestreit wird seine aufgrund der Aussetzung der Vollziehung vorläufige Befreiung von der Buchführungspflicht jedenfalls insoweit rückwirkend aufgehoben, als durch diese Entscheidung seine Verpflichtung zur Buchführung ab dem vom FA festgestellten Zeitpunkt rechtskräftig festgestellt wird. Das hat zur Folge, daß das FA – wenn der Antragsteller tatsächlich keine Bücher geführt hat – ab diesem Zeitpunkt den Gewinn nach den Grundsätzen des Vermögensvergleichs gemäß § 4 Abs. 1 EStG zwar nicht aufgrund der Buchführung aber gemäß § 162 Abs. 2 Satz 2 AO 1977 anhand von geschätzten Besteuerungsgrundlagen zu ermitteln hat. Eine Gewinnermittlung nach § 13a EStG kommt dann – wie der Antragsteller selbst in seiner Beschwerdebegründung zutreffend ausgeführt hat – ab dem Zeitpunkt des Beginns der Buchführungspflicht, auf den das FA in seiner Mitteilung hingewiesen hat, nicht mehr in Betracht. Von dieser Berechtigung des FA her gesehen, alle Gewinne der inzwischen abgelaufenen Wirtschaftsjahre gemäß § 162 AO 1977 nach den Grundsätzen des Vermögensvergleichs gemäß § 4 Abs. 1 EStG zu schätzen, hat die Aussetzung der Vollziehung der streitgegenständlichen Mitteilung des FA steuerlich – auch zeitlich begrenzt – keine endgültige Wirkung, sondern stellt, was die Gewinnermittlung als solche betrifft nur eine vorläufige aufschiebende Maßnahme dar, die rückwirkend wieder aufgehoben werden kann.

3. Die Zweifelhaftigkeit der Rechtslage im Hauptsachestreit ergibt sich aus dem Urteil des Senats vom gleichen Tage IV R 66/79, mit dem er unter Aufhebung des Urteils des FG die Mitteilung des FA vom 30. August 1977 und die dazugehörige Beschwerdeentscheidung der OFD ersatzlos aufgehoben hat. Der Senat hat die Buchführungspflicht des Antragstellers ab 1. Mai 1978 verneint, weil er – nach den Grundsätzen des Urteils vom 6. Dezember 1979 IV R 32/79, BFH 129, 368 – entgegen der Auffassung des FA und des FG kein land- und forstwirtschaftliches Vermögen von über 100.000 DM gehabt hat.


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