BFH-Urteil vom 16.10.1979 (VII R 53/77) BStBl. 1980 II S. 165

BFH-Urteil vom 16.10.1979 (VII R 53/77) BStBl. 1980 II S. 165

1. Ändert das FA während des Einspruchsverfahrens den angefochtenen Bescheid zugunsten des Steuerpflichtigen, ohne damit dessen sachlichem Begehren voll zu entsprechen, so wird der Änderungsbescheid ohne erneute Einlegung eines Rechtsbehelfs auch ohne Antrag Gegenstand des Einspruchsverfahrens (Anschluß an BFH-Urteil vom 19. Januar 1977 I R 89/74, BFHE 121, 421).

2. …

AO §§ 229, 248 Abs. 2 Satz 2.

Sachverhalt

 

Die Zollabfertigungsstelle des Beklagten und Revisionsbeklagten (Hauptzollamt – HZA -) fertigte auf Antrag der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) von Januar 1971 bis Oktober 1972 in 26 Fällen aus einem Drittland eingeführte Maschinen sowie Ersatz- und Zubehörteile dazu zum freien Verkehr ab. Dabei entsprach die Zollstelle den jeweiligen Anträgen und wies die Waren, soweit sie als „Koordinatenbohrmaschinen, nicht durch Codeangaben gesteuert“ angemeldet worden waren, der Tarifst. 84.45 C VII b des Gemeinsamen Zolltarifs ( GZT) zu. Am 3. Oktober 1972 führte das Zollkommissariat auf Veranlassung des HZA eine Überprüfung der Tarifierung bei der Klägerin durch. Das HZA gelangte daraufhin zu der Auffassung, daß die genannten Maschinen zur Tarifst. 84.45 C V GZT gehörten. Die Zollstelle berichtigte daraufhin die Steuerbescheide mit Änderungsbescheid vom 30. Januar 1973 und forderte von der Klägerin 59.456,77 DM an Eingangsabgaben nach. Im Laufe des Einspruchsverfahrens berichtigte die Zollstelle wegen unzutreffender Tarifierung einiger Ersatz- und Zubehörteile diesen Bescheid mit Änderungsbescheid vom 8. Januar 1974 und setzte darin die nachgeforderten Abgaben um 803,45 DM herab.

Der weitergehende Einspruch und die Klage blieben ohne Erfolg …

Entscheidungsgründe

 

Die Revision ist nicht begründet.

1. Zu Recht hat das FG die Klage für zulässig erachtet, ohne das freilich im einzelnen zu begründen.

Die Verwaltung änderte während des Einspruchsverfahrens (§§ 229 ff. der Reichsabgabenordnung – AO -) den angefochtenen Steuerbescheid vom 30. Januar 1973 zugunsten der Klägerin mit Bescheid vom 8. Januar 1974, ohne dadurch dem Einspruch in vollem Umfang abzuhelfen. Damit trat der Änderungsbescheid an die Stelle des ursprünglichen Bescheids und wurde alleinige Grundlage für die Erhebung der Abgaben (vgl. BFH-Beschluß vom 25. Oktober 1972 GrS 1/72, BFHE 108, 1, 5, BStBl II 1973, 231; BFH-Urteil vom 4. Februar 1976 I R 203/73, BFHE 119, 168, BStBl II 1976, 551). Verfahrensrechtlich hatte das jedoch nicht die Erledigung des anhängigen Einspruchsverfahrens zur Folge. Der Berichtigungsbescheid wurde vielmehr ohne erneute Einlegung eines Rechtsbehelfs automatisch Gegenstand des Einspruchsverfahrens, so daß auch hinsichtlich des Änderungsbescheides vom 8. Januar 1974 die Voraussetzungen des § 44 der Finanzgerichtsordnung (FGO) als gegeben zu erachten sind. Der erkennende Senat folgt insoweit der Auffassung des I. Senats des BFH (Urteil I R 203/73; Beschluß vom 29. September 1976 I B 15/76, BFHE 120, 139, BStBl II 1977, 37; Urteil vom 19. Januar 1977 I R 89/74, BFHE 121, 421, BStBl II 1977, 517; vgl. auch Urteile des FG Hamburg vom 7. Februar 1974 II 122/73, Entscheidungen der Finanzgerichte 1974 S. 267 – EFG 1974, 267 -; des FG München vom 16. Juli 1975 III 7/75, EFG 1975, 582; des FG Düsseldorf vom 8. Juli 1975 VII 89/75 E, EFG 1975, 583).

Nach § 86 des Sozialgerichtsgesetzes wird ein während des Vorverfahrens ergehender Änderungsbescheid ohne weiteres Gegenstand des Vorverfahrens. Reichsabgabenordnung und Abgabenordnung enthalten eine ausdrückliche Regelung dieses Problems nicht. Sie ergibt sich jedoch mittelbar aus § 248 Abs. 2 Satz 2 AO, wonach es einer Einspruchsentscheidung nur insoweit bedarf, als die Finanzbehörde nicht durch Zurücknahme oder Änderung der angefochtenen Verfügung dem Einspruchsantrag entsprechen will (vgl. auch die im wesentlichen gleichlautende Bestimmung des § 367 Abs. 2 Satz 3 AO 1977). Daraus ergibt sich, daß nur ein Änderungsbescheid, der dem Einspruchsantrag in vollem Umfang Rechnung trägt, zu einer Erledigung des Einspruchsverfahrens führen kann. Entspricht dagegen der für den Steuerpflichtigen günstige Änderungsbescheid dem Einspruchsbegehren nicht in vollem Umfang, so ist, wie aus § 248 Abs. 2 Satz 2 AO entnommen werden muß, die Verwaltung nach wie vor verpflichtet, über den anhängigen Einspruch zu entscheiden, ohne daß sie dies davon abhängig machen kann, daß der Steuerpflichtige erneut Einspruch gegen den Änderungsbescheid einlegt (vgl. BFH-Urteil I R 203/73). Grundlage des fortgesetzten Einspruchsverfahrens kann dabei nur der Änderungsbescheid sein. Der vorliegende Fall erfordert nicht die Entscheidung der Frage, ob auch ein den Steuerpflichtigen zusätzlich beschwerender Änderungsbescheid automatisch Gegenstand des anhängigen Vorverfahrens werden würde …


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