BFH-Urteil vom 31.10.1990 (I R 174/87) BStBl. 1991 II S. 420

BFH-Urteil vom 31.10.1990 (I R 174/87) BStBl. 1991 II S. 420

(Doppel-)Gesellschafter i.S. von § 4 KVStG kann auch ein ohne Kapitaleinlage an einer KG beteiligter persönlich haftender Gesellschafter sein, der am Gewinn und Verlust sowie im Liquidationsfall an den stillen Reserven beteiligt ist.

HGB § 155, § 161; KVStG 1972 § 2 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b und Satz 2, § 4, § 8 Satz 1 Nr. 2.

Vorinstanz: Niedersächsisches FG (EFG 1988, 86)

Sachverhalt

I.

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob ein an zwei KG – darunter an einer als persönlich haftender Gesellschafter ohne Kapitalanteil – beteiligter Gesellschafter Doppelgesellschafter i.S. des § 4 des Kapitalverkehrsteuergesetzes (KVStG) 1972 sein kann.

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist eine GmbH & Co. KG. An ihr waren im Jahre 1980 eine GmbH als persönlich haftende Gesellschafterin (Komplementärin) und ein Kommanditist (S) mit einer Einlage von 80.000 DM beteiligt. Dieser war gleichzeitig alleiniger persönlich haftender und geschäftsführender Gesellschafter einer anderen KG (S-KG).

Nach § 3 Abs. 1 des Gesellschaftsvertrags der S-KG war S „nur durch Einbringung seiner Dienstleistung an der Gesellschaft beteiligt“. Für seine Tätigkeit stand ihm eine angemessene monatliche Arbeitsvergütung zu (§ 5 Abs. 2 des Gesellschaftsvertrags). Am Gewinn und Verlust der Gesellschaft war er mit 10 v.H. beteiligt (§ 9 Abs. 1 des Gesellschaftsvertrags). Kommanditistin war eine Treuhandgesellschaft mit einer Festeinlage von 200.000 DM (§ 3 Abs. 2 des Gesellschaftsvertrags).

Die S-KG verzichtete in 1980 auf eine Darlehensforderung in Höhe von 105.501 DM gegenüber der GmbH & Co. KG.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt – FA -) unterwarf den Vorgang nach § 2 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b i.V.m. § 4 KVStG 1972 der Gesellschaftsteuer und setzte diese gemäß § 8 Nr. 2 i.V.m. § 9 Abs. 2 Nr. 1 KVStG 1972 a.F. zu dem ermäßigten Steuersatz von 0,5 v.H. fest. Der Einspruch blieb erfolglos.

Das Finanzgericht (FG) hat die Klage abgewiesen (Entscheidungen der Finanzgerichte – EFG – 1988, 86).

Die Klägerin rügt mit der Revision Verletzung materiellen Rechts.

Die Klägerin beantragt, das angefochtene Urteil und den Gesellschaftsteuerbescheid vom 16. Dezember 1982 sowie die Einspruchsentscheidung vom 16. März 1983 aufzuheben.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist unbegründet. Sie war daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung – FGO -).

1. Nach § 2 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b KVStG 1972 unterliegt der freiwillige Forderungsverzicht eines Gesellschafters gegenüber einer inländischen Kapitalgesellschaft der Gesellschaftsteuer, wenn die Leistung geeignet ist, den Wert der Gesellschaftsrechte zu erhöhen (§ 2 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 KVStG 1972). Die Steuerpflicht wird gemäß § 4 KVStG 1972 nicht dadurch ausgeschlossen, daß die Leistung nicht von dem Gesellschafter bewirkt wird, sondern von einer Personenvereinigung, an der der Gesellschafter als Mitglied oder Gesellschafter beteiligt ist. Ergänzend regeln die §§ 5 und 6 KVStG 1972, was unter einer inländischen Kapitalgesellschaft und was unter den Begriffen Gesellschafter und Gesellschaftsrechte zu verstehen ist.

2. Zu diesen Tatbestandsmerkmalen hat das FG in einer den erkennenden Senat bindenden Weise (§ 118 Abs. 2 FGO) folgendes festgestellt:

a) Die Klägerin ist eine GmbH & Co. KG mit dem Ort der Geschäftsleitung in der Bundesrepublik Deutschland (Bundesrepublik). Damit gilt sie als inländische Kapitalgesellschaft i.S. des § 5 Abs. 2 Nr. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 3 Nr. 1 KVStG 1972.

b) S war in 1980 als Kommanditist an der Klägerin beteiligt. Der Kommanditanteil an der GmbH & Co. KG gehörte zu den Gesellschaftsrechten i.S. des § 6 Abs. 1 Nr. 1 KVStG 1972. Mit dem ihm zustehenden Kommanditanteil an der Klägerin war S deren Gesellschafter i.S. des § 6 Abs. 2 KVStG 1972.

c) Die S-KG verzichtete in 1980 gegenüber der Klägerin auf eine Darlehensforderung. Der Verzicht auf die Forderung stellte eine freiwillige Leistung i.S. des § 2 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b KVStG 1972 dar (vgl. Senatsurteil vom 25. Januar 1989 I R 13/85, BFHE 156, 261, BStBl II 1989, 428), die objektiv geeignet war, den Wert der Gesellschaftsrechte des Kommanditisten S an der Klägerin i.S. von § 2 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 KVStG 1972 zu erhöhen (vgl. Urteile des Bundesfinanzhofs – BFH – vom 1. Februar 1989 I R 215/84, BFH/NV 1989, 807, 809, zu 3.; vom 25. November 1987 I R 385/83, BFHE 152, 154, BStBl II 1988, 450).

d) Allerdings handelte es sich um einen Forderungsverzicht der S-KG und nicht des Kommanditisten S der Klägerin. Deshalb ist eine gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b KVStG 1972 steuerpflichtige Leistung nur unter den Voraussetzungen des § 4 KVStG 1972 anzunehmen. Danach kommt es darauf an, ob S nicht nur Gesellschafter der Klägerin, sondern auch Gesellschafter der S-KG (also Doppelgesellschafter) war und ob die Leistung (hier: der Forderungsverzicht) durch die Stellung des S als Gesellschafter der S-KG veranlaßt war (vgl. Senatsurteil vom 9. August 1989 I R 147/85, BFHE 158, 129, 131, BStBl II 1989, 983, 984, zu 2. c). Auf der Grundlage der vom FG getroffenen tatsächlichen Feststellungen sind beide Fragen zu bejahen.

e) Die Frage, ob der Kommanditist S der Klägerin als sog. Doppelgesellschafter i.S. des § 4 KVStG 1972 zugleich an der S-KG als Gesellschafter beteiligt war, beurteilt sich nach Zivilrecht (vgl. BFH-Urteil vom 22. November 1962 II 21/58, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung – HFR – 1963, 169). Die zivilrechtliche Abgrenzung des § 4 KVStG 1972 gilt nicht nur für Beteiligungen an Kapitalgesellschaften (vgl. § 6 KVStG 1972; Urteile in BFHE 158, 129, 131, BStBl II 1989, 983, 984, zu 2. d; des FG Hamburg vom 5. September 1969 III 261/67 (II), EFG 1970, 137, rechtskräftig), sondern auch für Beteiligungen an anderen Personenvereinigungen, d.h. Zusammenschlüssen mehrerer zur Erreichung eines gemeinsamen Zwecks (vgl. BFH-Urteil vom 28. November 1967 II 110/62, BFHE 91, 132, 134, BStBl II 1968, 216, 217, zu I. 1.), wie die Beteiligungen an Personengesellschaften (z.B. nach § 705 des Bürgerlichen Gesetzbuches – BGB -, §§ 105, 161 des Handelsgesetzbuches – HGB -; vgl. insoweit BFH-Urteil vom 22. November 1962 II 19/58 S, BFHE 76, 179, 183, BStBl III 1963, 64, 66).

aa) Nach den Feststellungen des FG war S persönlich haftender Gesellschafter der S-KG. Damit war er zivilrechtlich gemäß § 161 HGB Gesellschafter dieser KG.

bb) Das FG weist allerdings zutreffend darauf hin, daß der BFH in seinem letztgenannten Urteil ausgeführt hat, eine Person sei nur dann an einer Personenvereinigung (als Doppelgesellschafter) beteiligt, wenn sie eine Kapitaleinlage in das Vermögen der Vereinigung geleistet habe (nachfolgend BFH-Urteil vom 12. Februar 1964 II 197/61 U, BFHE 79, 116, 118, BStBl III 1964, 274, 275; vgl. ferner zur kapitalmäßigen Beteiligung BFH-Urteil vom 23. März 1966 II 215/61, BFHE 86, 402, 405).

Diese Aussage bezieht sich jedoch ersichtlich auf den in jener Entscheidung behandelten Fall der Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft und auf den Grundsatz, daß eine zivilrechtliche Beteiligung in der Regel eine Kapitaleinlage voraussetzt (vgl. Brönner/Kamprad, Kapitalverkehrsteuergesetz, 4. Aufl., § 4 Rdnr. 2 S. 79). Ausdrücklich hat der BFH damals an der Verbindung von Gesellschaftsrecht und Gesellschaftsteuerrecht festgehalten und die Bedeutung der zivilrechtlichen Ordnung für das Kapitalverkehrsteuerrecht speziell an dieser Stelle betont (BFHE 76, 179, 184, BStBl III 1963, 64, 66).

In Übereinstimmung mit dem FG ist danach eine Kapitaleinlage nur für den Regelfall einer entsprechenden zivilrechtlichen Gestaltung zu fordern, nicht jedoch dann, wenn nach Handelsrecht – wie hier bei dem persönlich haftenden Gesellschafter der KG – eine solche Einlage nicht vorausgesetzt wird (vgl. ebenso Strodthoff, Kapitalverkehrsteuer, § 4 Anm. 2 S. 40 c; ferner zur Mitgliedschaft in einem Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit Urteil in EFG 1970, 137).

Einer Anfrage beim II. Senat des BFH wegen des Anwendungsbereichs seiner zitierten Rechtsprechung bedarf es nicht, weil die geschäftsplanmäßige Zuständigkeit für das Gebiet der Kapitalverkehrsteuer auf den erkennenden Senat übergegangen ist.

cc) Im Hinblick auf den Charakter der Kapitalverkehrsteuer bzw. den Gegenstand der Gesellschaftsteuer (§ 2 KVStG 1972) ist nach der bisherigen Rechtsprechung des BFH eine Doppelbeteiligung i.S. des § 4 KVStG allerdings dann zu verneinen, wenn jegliche kapitalmäßige Beteiligung an der Personenvereinigung zivilrechtlich ausgeschlossen ist (Urteil in BFHE 79, 116, 118, BStBl III 1964, 274, 275).

So liegt der Fall nicht. Zwar war S nach den vom FG getroffenen Feststellungen nicht am gesellschaftsvertraglich vereinbarten Festkapital der S-KG beteiligt, das allein auf die Kommanditistin entfiel. Abgesehen von der Beitragsleistung des S durch die Geschäftsführertätigkeit, von seiner persönlichen Haftung und von vertraglich vorgesehenen Kapitalsonderkonten ergibt sich eine kapitalmäßige Beteiligung – im vorstehenden Sinne (vgl. auch Urteil in EFG 1970, 137, 138; Brönner/Kamprad, a.a.O., § 4 KVStG Rdnr. 2 S. 79; Egly/Klenk, Kapitalverkehrsteuergesetz, 4. Aufl., Rdnr. 233) – schon aus seiner Beteiligung am Gewinn und Verlust in Verbindung mit der daraus folgenden Beteiligung an den stillen Reserven im Liquidationsfall (vgl. Beschluß des Großen Senats des BFH vom 10. November 1980 GrS 1/79, BFHE 132, 244, 255, BStBl II 1981, 164, 169, zu C.II.1.; Urteil des Bundesgerichtshofs – BGH – vom 17. November 1955 II ZR 42/54, BGHZ 19, 42, 47/48).

f) Die Frage, ob der Forderungsverzicht der S-KG gegenüber der Klägerin, an der S als Kommanditist beteiligt ist, durch die Stellung des S als persönlich haftender Gesellschafter der S-KG veranlaßt ist, ist nach den getroffenen Feststellungen ebenfalls zu bejahen.

Sie wäre zu verneinen, wenn allein die eigenen geschäftlichen Interessen der leistenden Gesellschaft für die Leistung bestimmend waren oder wenn die Leistung gegen den Willen des Gesellschafters bewirkt wurde (vgl. BFH-Urteil vom 20. Mai 1969 II 25/61, BFHE 96, 129, 133, BStBl II 1969, 550, 552, zu 2. b, m.w.N.). Hierfür bestehen im Streitfall keine Anhaltspunkte.

S war an der leistenden S-KG schon in Anbetracht seiner Beteiligung von 10 v.H. am laufenden und am Liquidationsgewinn nicht nur mit einem unmaßgeblichen Zwerganteil beteiligt (vgl. BFH-Urteil vom 5. Dezember 1962 II 229/59, insoweit nicht veröffentlicht; rechtskräftige Urteile des Schleswig-Holsteinischen FG vom 5. März 1970 III 55/66, EFG 1970, 415; vom 14. Dezember 1967 III 62/66, EFG 1968, 224).

Damit kann aus der beschriebenen Beteiligung des S in Verbindung mit seiner Stellung als alleiniger persönlich haftender und geschäftsführender Gesellschafter der S-KG einerseits und aus seiner alleinigen Kommanditbeteiligung an der Klägerin andererseits auf den Zusammenhang der Leistung mit der Doppelbeteiligung geschlossen werden (vgl. Urteil in BFHE 96, 129, 135, BStBl II 1969, 550, 552, zu 2. d bb).

3. Die Gesellschaftsteuer wird gemäß § 8 Satz 1 Nr. 2 KVStG 1972 bei Leistungen i.S. des § 2 Abs. 1 Nrn. 2 bis 4 KVStG 1972 vom Wert der Leistung berechnet. Als Wert des Verzichts auf die Darlehensforderung wurde zutreffend der Nennwert angesetzt, der dem Wert der Leistung für die empfangende Kapitalgesellschaft – die Klägerin – entspricht (vgl. Urteile in BFH/NV 1989, 807, 810, zu B. 5.; in BFHE 152, 154, BStBl II 1988, 450).

4. Die Frage des – gewährten – ermäßigten Steuersatzes gemäß § 9 Abs. 2 Nr. 1 KVStG 1972 a.F. ist nicht Gegenstand der Revisionsentscheidung (§ 121 i.V.m. § 96 Abs. 1 Satz 2 FGO).


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