BFH-Urteil vom 31.10.1990 (II R 176/87) BStBl. 1991 II S. 161

BFH-Urteil vom 31.10.1990 (II R 176/87) BStBl. 1991 II S. 161

Die beschränkte Vermögensteuerpflicht einer Aktiengesellschaft italienischen Rechts für deren Anteile an einer inländischen GmbH verstößt nicht gegen Art. 7 EWGV.

BewG § 121 Abs. 2 Nr. 4; DBA-Italien Art. 3, 5 Abs. 3 Satz 2, 12 Satz 1; EWGV Art. 7, 58, 177; VStG § 2 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2.

Vorinstanz: Hessisches FG

Sachverhalt

I.

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist eine Aktiengesellschaft italienischen Rechts. Ab 1. Januar 1975 wurde die Klägerin vom Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt – FA -) wegen einer Beteiligung von 97,7 v.H. am Stammkapital der Firma X-gesellschaft mbH (GmbH) der beschränkten Vermögensgesetzes – VStG -, § 121 Abs. 2 Nr. 4 des Bewertungsgesetzes – BewG -). Mit Einspruch und Klage gegen den Bescheid zum 1. Januar 1974, zuletzt geändert durch den Bescheid vom 11. Februar 1983, mit dem das FA Vermögensteuer mit Wirkung ab 1975 festsetzte, machte die Klägerin im wesentlichen geltend, der Vermögensbesteuerung der GmbH-Anteile durch die Bundesrepublik Deutschland (Bundesrepublik) stehe das Diskriminierungsverbot nach Art. 7 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWGV) entgegen. Dieses allgemeine Diskriminierungsverbot gelte, soweit besondere Bestimmungen in einzelnen Sachbereichen fehlten. Ausländische Unternehmen der übrigen EG-Mitgliedsstaaten würden in Deutschland aufgrund der bestehenden Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) anders als in Italien ansässige Unternehmen von der deutschen beschränkten Vermögensteuerpflicht freigestellt.

Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg.

Mit der vom Bundesfinanzhof (BFH) zugelassenen Revision beantragt die Klägerin, das Urteil des Hessischen Finanzgerichts (FG) vom 12. November 1986 und den Bescheid des FA auf den 1. Januar 1974 über Vermögensteuer in der Fassung der Einspruchsentscheidung aufzuheben. Hilfsweise wird beantragt, das Urteil des Hessischen FG aufzuheben und die Sache dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) gemäß Art. 177, letzter Absatz EWGV vorzulegen.

Das FA beantragt, die Revision hinsichtlich Haupt- und Hilfsantrag als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist unbegründet. Sie war daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung – FGO -).

Das FG hat zu Recht die Vermögensteuerpflicht der Klägerin bezüglich der Anteile an der inländischen GmbH bejaht.

1. Die Klägerin ist beschränkt vermögensteuerpflichtig, da sie weder im Inland ihre Geschäftsleitung noch ihren Sitz hat (§ 2 Abs. 1 Nr. 2 VStG). Gemäß § 2 Abs. 2 VStG erstreckt sich die beschränkte Vermögensteuerpflicht nur auf Vermögen der in § 121 Abs. 2 BewG genannten Art, das auf das Inland entfällt. Hierzu gehören nach § 121 Abs. 2 Nr. 4 BewG Anteile an einer GmbH, wenn die GmbH – wie hier unstreitig – Sitz oder Geschäftsleitung im Inland hat und der Gesellschafter am Stammkapital der GmbH mindestens zu einem Viertel unmittelbar oder mittelbar beteiligt ist. Im Streitfall beträgt die Beteiligung der Klägerin 97,7 v.H. des Stammkapitals der GmbH. Danach gehören die Anteile der Klägerin an der GmbH zum Inlandsvermögen der Klägerin i.S. von § 121 Abs. 2 Nr. 4 BewG. Gegen die Höhe des Wertansatzes sind weder Einwendungen erhoben noch ersichtlich.

2. Zu Recht hat das FG eine Freistellung der Anteile der GmbH von der Vermögensbesteuerung nach dem für die Streitjahre geltenden DBA-Italien verneint. Gemäß Art. 12 Satz 1 DBA-Italien wird jeder der beiden Staaten laufende und einmalige Steuern von den Vermögenswerten des Steuerpflichtigen erheben, die sich im Gebiet dieser Staaten befinden. Die Belegenheit dieser Vermögenswerte ergibt sich nach Art. 3 DBA-Italien aus dem Betriebsstättenprinzip. Dies gilt nach Art. 5 Abs. 3 2. Halbsatz DBA-Italien auch für Beteiligungsformen, deren Beteiligungsrechte weder durch Aktien noch durch andere Wertpapiere, die den Aktien entsprechen, verkörpert werden. Diese Beteiligungen behandelt das DBA-Italien wie Gewerbebetriebe eines Einzelunternehmers (BFH-Urteil vom 9. Dezember 1981 I R 78/80, BFHE 135, 54, BStBl II 1982, 243), deren Erträge nach dem Betriebsstättenprinzip zugeordnet werden. Unter diese Beteiligungen fallen die hier im Streit befindlichen Anteile an der inländischen GmbH, da diese Anteilsrechte nicht in einem Wertpapier verkörpert sind. Der Bundesrepublik steht damit das Recht der Vermögensbesteuerung dieser Anteile zu.

3. Die Vermögensbesteuerung der von der Klägerin gehaltenen Anteile an der GmbH verstößt offenkundig nicht gegen das Verbot der Diskriminierung nach Art. 7 EWGV.

a) Diese Regelung des EWGV verbietet jede Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit. Unter dieses Verbot fallen auch sog. versteckte Diskriminierungen, bei denen benachteiligende Regelungen zwar unabhängig von der Staatsangehörigkeit gelten, deren Tatbestände jedoch ausschließlich oder regelmäßig nur von ausländischen Staatsangehörigen erfüllt werden (EuGH-Urteile vom 12. Februar 1974 Rs. 152/73, Sotgiou, EuGHE 1974, 153, 164 f.; vom 29. Oktober 1980 Rs. 22/80, Boussac, EuGHE 1980, 3427, 3436; EuGHE 1984, 2971).

Im Streitfall ist es bereits zweifelhaft, ob die angegriffene Regelung über die beschränkte Steuerpflicht bei der Vermögensteuer überhaupt diskriminierenden Charakter haben kann. Denn eine Diskriminierung liegt nicht in jeder – möglicherweise neutralen – Differenzierung, sondern nur in einer unterschiedlichen Behandlung mit negativem Charakter. Wesensmerkmal der beschränkten Vermögensteuerpflicht ist es jedoch, daß im Unterschied zur unbeschränkten Vermögensteuerpflicht grundsätzlich nur das Inlandsvermögen zur Steuer herangezogen wird. Insofern bewirkt die von der Klägerin angegriffene Differenzierung im Grunde sogar eine steuerliche Besserstellung gegenüber der unbeschränkten Steuerpflicht. In Einzelregelungen ist die Besteuerung der beschränkt Steuerpflichtigen jedoch nachteilig, da einige der unbeschränkt Steuerpflichtigen gewährten Vergünstigungen für die beschränkt Steuerpflichtigen nicht bestehen. Das gilt beispielsweise für die Befreiungen nach § 3 VStG, für die Gewährung des persönlichen Freibetrags nach § 6 VStG, für die Zusammenveranlagung nach § 14 VStG und vor allem auch für das im Streitfall bedeutsame sog. Schachtelprivileg nach § 102 BewG. Für die Prüfung am Maßstab des Art. 7 EWGV geht der Senat daher davon aus, daß die Regelung insgesamt (auch) negativen (benachteiligenden) Charakter hat.

Gleichwohl ist Art. 7 EWGV eindeutig nicht verletzt. Dieser verbietet eine Diskriminierung nur aus Gründen der Staatsangehörigkeit. Die angegriffene Differenzierung knüpft jedoch nicht an die Staatsangehörigkeit, sondern an den Sitz einer Körperschaft (bzw. ihrer Geschäftsleitung) im Ausland. In dieser Regelung kann eindeutig auch keine mittelbare Differenzierung nach der Staatsangehörigkeit gesehen werden. Eine solche liegt vor, wenn eine diskriminierende Regelung zwar formal an andere Unterscheidungsmerkmale anknüpft, tatsächlich aber zu dem Ergebnis einer Unterscheidung nach der Staatsangehörigkeit führt (EuGH 1974, 153/165). Eine Differenzierung, die an den tatsächlichen Sitz einer Körperschaft anknüpft, stellt zweifelsfrei auch keine derartige mittelbare Diskriminierung nach der Staatsangehörigkeit dar. Auch Art. 58 EWGV stützt nicht die Rechtsansicht der Klägerin, daß die Ansässigkeit von juristischen Personen allgemein identisch sei mit der Staatsangehörigkeit von natürlichen Personen. Denn die Regelung des Art. 58 EWGV gilt nach ihrem Wortlaut nur für das Kapitel über das Niederlassungsrecht. Durch Art. 58 EWGV wird das allgemeine Diskriminierungsverbot des Art. 7 EWGV nicht erweitert. Ein Verstoß gegen die in Art. 52 und Art. 53 EWGV geregelte Niederlassungsfreiheit ist im Streitfall nicht erkennbar.

b) Auch der Einwand der Klägerin, sie werde dadurch, daß ihr die sog. Schachtelvergünstigung (§ 102 BewG) nicht gewährt werde, im Verhältnis zu inländischen Kapitalgesellschaften benachteiligt, führt zu keinem anderen Ergebnis. Selbst wenn darin insgesamt eine vermögensteuerrechtliche Schlechterstellung zum Ausdruck käme, verstieße diese – wie unter a) dargelegt – nicht gegen Art. 7 EWGV, da sie nicht an die Staatsangehörigkeit anknüpft. Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, daß die Versagung der Schachtelvergünstigung auf sachgerechten Erwägungen beruht. Das Vermögen einer inländischen Kapitalgesellschaft unterliegt aufgrund der besonderen Gestaltung des deutschen Vermögensteuerrechts regelmäßig zweimal der Vermögensteuer, nämlich einmal als Beteiligung in der Hand des Anteilsinhabers und zum anderen als Betriebsvermögen bei der Kapitalgesellschaft selbst. Um eine über die zweifache Besteuerung hinausgehende Mehrfachbesteuerung ein und desselben Vermögens inländischer Kapitalgesellschaften usw. zu vermeiden, sieht § 102 BewG das sog. Schachtelprivileg vor (BFH vom 18. Mai 1988 II R 1/85, BFHE 154, 134, BStBl II 1988, 822). Eine der deutschen Vermögensbesteuerung vergleichbare Besteuerung bestand in Italien in den Streitjahren nicht.

c) Ein Verstoß gegen Art. 7 EWGV kann sich auch nicht daraus ergeben, daß nach dem DBA-Frankreich sowie nach den Abkommen der Bundesrepublik mit anderen EG-Staaten zur Vermeidung der Doppelbesteuerung die Vermögensteuer von Anteilen an einer deutschen GmbH nur in dem Staat erhoben werden kann, in dem der Anteilseigner ansässig ist. Durch Art. 7 EWGV ist die Bundesrepublik nicht gehindert, in den DBA zu den Staaten der EG unterschiedliche Vereinbarungen zu treffen. Einer sich möglicherweise insoweit aus Art. 220 EWGV ergebenden Verhandlungspflicht ist die Bundesrepublik jedenfalls durch das inzwischen am 18. Oktober 1989 unterzeichnete neue DBA-Italien, das voraussichtlich zum 1. Januar 1991 in Kraft treten wird, nachgekommen. Durch dieses neue DBA-Italien wird die anhängige Streitfrage für die Klägerin voraussichtlich im positiven Sinne bereinigt (vgl. Art. 24 Abs. 3 Buchst. a, letzter Satz DBA-Italien). Daraus ergeben sich jedoch keine Rückschlüsse auf die Rechtmäßigkeit der bis dahin geltenden Regelungen.

4. Das FG war, wie es zu Recht entschieden hat, nicht verpflichtet, gemäß Art. 177 EWGV an den EuGH vorzulegen. Das FG ist, auch wenn die Revision gegen sein Urteil nur kraft Zulassung stattfindet, kein Gericht, dessen Entscheidung nicht mit Rechtsmitteln nach innerstaatlichem Recht angefochten werden kann (BFH-Beschluß vom 3. Februar 1987 VII B 129/86, BFHE 148, 489, BStBl II 1987, 305). Der erkennende Senat schließt sich dieser vom Bundesverfassungsgericht und dem VII. Senat des BFH vertretenen Rechtsauffassung an, wonach die Nichtzulassungsbeschwerde ein Rechtsmittel nach innerstaatlichem Recht i.S. des Art. 177 EWGV ist. Die Unterlassung des FG, eine Vorabentscheidung einzuholen, ist daher unter diesem Gesichtspunkt entgegen der Ansicht der Klägerin kein Verstoß gegen Verfahrensrecht (BFH-Beschluß vom 21. November 1989 VII B 147/89, BFH/NV 1990, 468).

5. Der Senat ist nicht nach Art. 177 EWGV zur Einholung einer Vorabentscheidung des EuGH verpflichtet.

Soweit ersichtlich, war allerdings die Frage noch nicht Gegenstand einer Auslegung durch den EuGH, ob eine steuerliche Differenzierung, die an den Sitz einer Körperschaft anknüpft, gegen Art. 7 EWGV verstoßen kann. Nach Wortlaut und Sinn des Diskriminierungsverbots nach Art. 7 EWGV kann nach Auffassung des erkennenden Senats jedoch kein vernünftiger Zweifel daran bestehen, daß die angefochtene Regelung nicht unter das allgemeine Diskriminierungsverbot fällt. Der Senat ist überzeugt, daß auch für die Gerichte der übrigen Mitgliedsstaaten und den EuGH die gleiche Gewißheit bestünde. Er hält daher eine Vorlage nach Art. 177 EWGV nicht für veranlaßt.


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