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Zu § 173 – Aufhebung oder Änderung von Steuerbescheiden wegen neuer Tatsachen oder Beweismittel:

Zu § 173 – Aufhebung oder Änderung von Steuerbescheiden wegen neuer Tatsachen oder Beweismittel:

1. Tatsachen und Beweismittel

1.1 1Tatsache i.S. d. § 173 Abs. 1 ist alles, was Merkmal oder Teilstück eines steuergesetzlichen Tatbestandes sein kann, also Zustände, Vorgänge, Beziehungen und Eigenschaften materieller oder immaterieller Art (vgl. BFH-Urteile vom 1.10.1993 – III R 58/92 – BStBl 1994 II, S. 346, vom 18.12.1996 – XI R 36/96 – BStBl 1997 II, S. 264, und vom 14.1.1998 – II R 9/97 – BStBl II, S. 371). 2Zu den Tatsachen gehören auch innere Tatsachen (z.B. die Absicht, Einkünfte bzw. Gewinne zu erzielen), die nur anhand äußerer Merkmale (Hilfstatsachen) festgestellt werden können (vgl. BFH-Urteil vom 6.12.1994 – IX R 11/91 – BStBl 1995 II, S. 192).

1.1.1 1Tatsachen i.S.d. § 173 Abs. 1 sind bei einer Schätzung die Schätzungsgrundlagen (nicht die Schätzung selbst; vgl. Nr. 7). Tatsachen sind auch vorgreifliche Rechtsverhältnisse aus nichtsteuerlichen Rechtsgebieten (vgl. BFH-Urteil vom 13.10.1983 – I R 11/79 – BStBl 1984 II, S. 181). 2Um Tatsachen und nicht um juristische Wertungen handelt es sich, wenn ein Steuerpflichtiger z.B. unter der Bezeichnung „Kauf“, „Vermietung“ oder „Geschäftsführer-Gehalt“ in der Steuererklärung vorgreifliche Rechtsverhältnisse geltend macht; derartige Begriffe enthalten eine Zusammenfassung von Tatsachen, die eine bestimmte rechtliche Wertung auslösen (vgl. BFH-Urteil vom 20.12.1988 – VIII R 121/83 – BStBl 1989 II, S. 585). 3Folglich kann ein Steuerbescheid nach § 173 Abs. 1 geändert werden, wenn sich aufgrund nachträglich bekannt gewordener Tatsachen die vom Steuerpflichtigen übernommene Wertung als unzutreffend erweist.

1.1.21Keine Tatsachen i.S.d. § 173 Abs. 1 sind Rechtsnormen und Schlussfolgerungen aller Art, insbesondere steuerrechtliche Bewertungen (vgl. BFH-Urteil vom 27.10.1992 – VIII R 41/89 – BStBl 1993 II, S. 569). 2Ebenso stellen Entscheidungen des BVerfG zur Verfassungswidrigkeit einer Rechtsnorm sowie nachträgliche Gesetzesänderungen keine neuen Tatsachen i.S.v. § 173 Abs. 1 dar (vgl. BFH-Urteile vom 12.5.2009 – IX R 45/08 – BStBl II, S. 891 und vom 11.2.1994 – III R 50/92 – BStBl II, S. 389). 3Gleiches gilt für die (ggf. anderweitige) Ausübung steuerlicher Wahlrechte oder die Nachholung eines Antrags (vgl. zu §§ 172 – 177, Nr. 8). 4Ein Antrag kann allerdings nachgeholt werden, soweit die für seine Ausübung relevanten Tatsachen als solche nachträglich bekannt werden (vgl. Nr. 3.2).

1.1.3 1Bei Sachverhalten, die bei verschiedenen Steuerpflichtigen steuerlich eigenständig zu berücksichtigen sind, weil die Steuergesetze im Regelfall keine korrespondierende Berücksichtigung vorschreiben, sind die für die einzelne Steuerfestsetzung relevanten Tatsachen und steuerrechtliche Bewertungen zu unterscheiden. 2So geben Ergebnismitteilungen des Körperschaftsteuer-Finanzamts an das für die Veranlagung der Anteilseigner zuständige Finanzamt über eine bei einer GmbH durchgeführte Außenprüfung rechtliche Schlussfolgerungen und Schätzungsergebnisse wieder, sie stellen für sich jedoch keine Tatsachen dar, die zu einer Änderung nach § 173 Abs. 1 berechtigen (BFH-Urteil vom 27.10.1992 – VIII R 41/89 – BStBl 1993 II, S. 569). 3Deshalb müssen den für die Veranlagung der Anteilseigner zuständigen Finanzämtern die entscheidungserheblichen Tatsachen mitgeteilt werden; die bloße Mitteilung, es seien verdeckte Gewinnausschüttungen festgestellt worden, reicht nicht aus, um eine Änderung nach § 173 Abs. 1 zu rechtfertigen. Vgl. aber auch § 32a KStG.

1.2 1Beweismittel ist jedes Erkenntnismittel, das zur Aufklärung eines steuerlich erheblichen Sachverhalts dient, d.h. geeignet ist, das Vorliegen oder Nichtvorliegen von Tatsachen zu beweisen (BFH-Urteil vom 20.12.1988 – VIII R 121/83 – BStBl 1989 II, S. 585). 2Dazu gehören Urkunden (Verträge, Geschäftspapiere u.a.) und Auskünfte von Auskunftspersonen (vgl. § 92). 3Ein Sachverständigengutachten ist nur Beweismittel, soweit es die Erkenntnis neuer Tatsachen vermittelt und nicht lediglich Schlussfolgerungen enthält (BFH-Urteil vom 27.10.1992 – VIII R 41/89 – BStBl 1993 II, S. 569).

1.3 1Eine Änderung nach § 173 Abs. 1 setzt voraus, dass die Tatsachen bei Erlass des zu ändernden Bescheids bereits vorhanden waren und vom Finanzamt hätten berücksichtigt werden können (vgl. BFH-Urteil vom 26.7.1984 – IV R 10/83 – BStBl II, S. 786). 2Nach dem Zeitpunkt der Steuerfestsetzung entstandene Tatsachen können dagegen eine Änderung nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 rechtfertigen, wenn insoweit ein rückwirkendes Ereignis vorliegt. 3Eine nach dem Zeitpunkt der Steuerfestsetzung entstandene Hilfstatsache, die für diesen Zeitpunkt zu einer veränderten Würdigung in Bezug auf eine innere Tatsache führt, rechtfertigt jedoch nur dann eine Änderung nach § 173 Abs. 1, wenn sie einen sicheren Schluss auf die (innere) Haupttatsache ermöglicht.

1.4 1Bei der Prüfung der Frage, ob die Tatsache zu einer höheren oder niedrigeren Steuer führt, sind Steueranrechnungsbeträge unbeachtlich; es ist vielmehr auf die festzusetzende Steuer abzustellen. 2Das BFH-Urteil vom 16.3.1990 – VI R 90/86 – BStBl II, S. 610) betrifft den besonders gelagerten Fall einer Nettolohnvereinbarung und kann daher nicht verallgemeinert werden.

2. Nachträgliches Bekanntwerden der Tatsachen oder Beweismittel

2.1 1Tatsachen oder Beweismittel werden nachträglich bekannt, wenn sie einem für die Steuerfestsetzung zuständigen Bediensteten (BFH-Urteile vom 9.11.1984 – VI R 157/83 – BStBl 1985 II, S. 191, und vom 20.6.1985 – IV R 114/82 – BStBl II, S. 492) bekannt werden, nachdem die Willensbildung über die Steuerfestsetzung abgeschlossen worden ist (Abzeichnung der Verfügung; vgl. BFH-Urteil vom 18.3.1987 – II R 226/84 – BStBl II, S. 416). 2Auf den Tag der Absendung des Steuerbescheids oder den Tag der Bekanntgabe kommt es nicht an. 3Der im Einzelfall maßgebliche Tag ist dem Steuerpflichtigen auf Verlangen mitzuteilen.

2.2 1Sofern im automatisierten Verfahren nachträglich – noch vor der Absendung des Steuerbescheids – eine materiell-rechtliche Kontrolle der gesamten Steuerfestsetzung vorgenommen wird, sind alle bis dahin bekannt gewordenen Tatsachen und Beweismittel zu berücksichtigen (vgl. BFH-Urteil vom 29.11.1988 – VIII R 226/83 – BStBl 1989 II, S. 259). 2Tatsachen und Beweismittel, die dem Finanzamt bis zum Abschluss einer solchen Kontrolle bekannt geworden sind, in dem zu erlassenden Steuerbescheid aber keine Berücksichtigung gefunden haben, können zu einem späteren Zeitpunkt nicht mehr Gegenstand einer Änderung nach § 173 Abs. 1 sein. 3Um eine materiell-rechtliche Kontrolle des Steuerbescheids handelt es sich nicht, wenn der Steuerbescheid vor seiner Absendung nur einer formellen Prüfung unterzogen wird, die die Feststellung der ermittelten Tatsachen sowie deren rechtliche Würdigung unberührt lässt (z.B. Prüfung auf zutreffende Adressierung oder richtige Erfassung der Daten).

2.3 1Eine Tatsache ist nicht schon dann bekannt, wenn irgendeine Stelle des Finanzamts von ihr Kenntnis hat. 2Es kommt vielmehr auf den Kenntnisstand der Personen an, die innerhalb des Finanzamts dazu berufen sind, den betreffenden Steuerfall zu bearbeiten (BFH-Urteile vom 20.6.1985 – IV R 114/82 – BStBl II, S. 492, vom 20.4.1988 – X R 40/81 – BStBl II, S. 804, und vom 19.6.1990 – VIII R 69/87 – BFH/NV 1991 S. 353).

2.3.1 1Die Rechtsbehelfsstelle des Finanzamts muss bei der Entscheidung über den Einspruch eines Steuerpflichtigen grundsätzlich auch Tatsachen verwerten, die der Veranlagungsstelle bekannt sind. 2Geschieht dies nicht, so können diese in der Einspruchsentscheidung nicht berücksichtigten Tatsachen nach Abschluss des Einspruchsverfahrens nicht mehr Gegenstand eines Änderungsbescheids nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 sein (BFH-Urteil vom 23.3.1983 – I R 182/82 – BStBl II, S. 548).

2.3.2 Nur dem Betriebsprüfer bekannt gewordene Tatsachen sind der Veranlagungsstelle grundsätzlich nicht zuzurechnen (vgl. BFH-Urteile vom 28.4.1987 – IX R 9/83 – BFH/NV 1988 S. 151, vom 29.10.1987 – IV R 69/85 – BFH/NV 1988 S. 346, und vom 20.4.1988 – X R 40/81 – BStBl II, S. 804).

2.3.3 1Für die Frage, ob einem Finanzamt Tatsachen, die zu einer erstmaligen Berücksichtigung oder zu einer höheren Bewertung eines steuerpflichtigen Sachverhalts von Bedeutung sind, i.S.v. § 173 Abs. 1 Nr. 1 nachträglich bekannt geworden sind, kommt es grundsätzlich allein auf die Kenntnis dieses Finanzamts an. 2Ermittelt aber ein für die Erbschaft-/Schenkungsteuer zuständiges Finanzamt den Wert einer Beteiligung an einer Personengesellschaft allein dadurch, dass es diesen aus einem von einem anderem Finanzamt erteilten Feststellungsbescheid über den Wert des Betriebsvermögens der Gesellschaft auf einen vorangegangenen Bewertungsstichtag ableitet, so macht es sich damit die diesem zugrunde liegenden Kenntnisse zu eigen (BFH-Urteil vom 14.1.1998 – II R 9/97 – BStBl II, S. 371).

2.3.4 Einmal bekannt gewordene Tatsachen werden durch den Wechsel in der Zuständigkeit der Finanzbehörde oder durch Wechsel des Bearbeiters nicht wieder unbekannt, wenn der zunächst zuständige Bearbeiter die Tatsachen aktenkundig gemacht hat (vgl. BFH-Urteil vom 15.10.1993 – III R 74/92 – BFH/NV 1994 S. 315).

2.3.5 Dem Finanzamt können auch Tatsachen bekannt sein, die sich aus älteren, bereits archivierten Akten ergeben. Voraussetzung dafür ist jedoch, dass zur Hinzuziehung solcher Vorgänge nach den Umständen des Falles, insbesondere nach dem Inhalt der zu bearbeitenden Steuererklärungen oder der präsenten Akten, eine besondere Veranlassung bestand (BFH-Urteil vom 11.2.1998 – I R 82/97 – BStBl II, S. 552).

2.3.6 Im Rahmen des § 173 Abs. 1 Nr. 2 kann eine Tatsache nicht zum Nachteil des Steuerpflichtigen als bereits bekannt gelten, wenn der zuständige Bearbeiter sie lediglich hätte kennen können oder kennen müssen; das Finanzamt kann sich in diesem Fall nicht auf sein eigenes Versäumnis oder Verschulden berufen (vgl. BFH-Urteil vom 26.11.1996 – IX R 77/95 – BStBl 1997 II, S. 422).

2.4 1Steuerbescheid i.S.v. § 173 Abs. 1 ist auch ein Bescheid, der einen schon ergangenen Steuerbescheid inhaltlich abändert. 2Tatsachen, die zu einer höheren Besteuerung führen, kann das Finanzamt deshalb in einem weiteren Änderungsbescheid nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 nur berücksichtigen, wenn sie ihm nach Erlass des Änderungsbescheids bekannt geworden sind. 3Eine Änderung nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 ist jedoch dann nicht ausgeschlossen, wenn das Finanzamt im Hinblick auf einen nachträglich ergangenen Grundlagenbescheid zunächst lediglich eine Änderung nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 vorgenommen und dabei Tatsachen unberücksichtigt gelassen hat, die darüber hinaus eine Änderung nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 gerechtfertigt hätten (BFH-Urteil vom 12.1.1989 – IV R 8/88 – BStBl II, S. 438).

2.5 Ändert das Finanzamt einen bestandskräftigen Steuerbescheid nach § 173 Abs. 1 Nr. 1, so trägt es die objektive Beweislast dafür, dass die für die Änderung erforderlichen tatsächlichen Voraussetzungen vorliegen, insbesondere dafür, dass diese „neu” sind (BFH-Urteil vom 19.5.1998 – I R 140/97 – BStBl II, S. 599).

3. Rechtserheblichkeit der Tatsachen oder Beweismittel

3.1 1Neue Tatsachen oder Beweismittel können die Änderung eines Steuerbescheids nach § 173 Abs. 1 nur rechtfertigen, wenn sie rechtserheblich sind. 2Die Rechtserheblichkeit ist zu bejahen, wenn das Finanzamt bei rechtzeitiger Kenntnis der Tatsachen oder Beweismittel schon bei der ursprünglichen Veranlagung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu einer höheren oder niedrigeren Steuer gelangt wäre (vgl. BFH-Beschluss GrS vom 23.11.1987 – GrS 1/86 – BStBl 1988 II, S. 180). 3Die Vorschrift des § 173 hat nicht den Sinn, dem Steuerpflichtigen das Risiko eines Rechtsbehelfsverfahrens dadurch abzunehmen, dass ihm gestattet wird, sich auf Tatsachen gegenüber dem Finanzamt erst dann zu berufen, wenn etwa durch eine spätere Änderung der Rechtsprechung eine Rechtslage eintritt, die eine bisher nicht vorgetragene Tatsache nunmehr als relevant erscheinen lässt.

4Ein Steuerbescheid darf daher wegen nachträglich bekannt gewordener Tatsachen oder Beweismittel weder zugunsten noch zuungunsten des Steuerpflichtigen geändert werden, wenn das Finanzamt bei ursprünglicher Kenntnis der Tatsachen oder Beweismittel nicht anders entschieden hätte. 5Bei der Beurteilung der Rechtserheblichkeit kommt es nicht darauf an, welche Entscheidung der zuständige Bearbeiter subjektiv bei Erlass des ursprünglichen Bescheids getroffen hätte. 6Wie das Finanzamt bei Kenntnis bestimmter Tatsachen oder Beweismittel einen Sachverhalt in seinem ursprünglichen Bescheid gewürdigt hätte, ist vielmehr im Einzelfall aufgrund des Gesetzes, wie es nach der damaligen Rechtsprechung des BFH auszulegen war, und der die Finanzämter bindenden Verwaltungsanweisungen zu beurteilen, die im Zeitpunkt des ursprünglichen Bescheiderlasses gegolten haben (vgl. BFH-Urteile vom 11.5.1988 – I R 216/85 – BStBl II, S. 715, vom 15.1.1991 – IX R 238/87 – BStBl II, S. 741, und vom 10.3.1999 – II R 99/97 – BStBl II, S. 433). 7Subjektive Fehler der Finanzbehörden, wie sie sowohl in rechtlicher als auch in tatsächlicher Hinsicht denkbar sein mögen, sind unbeachtlich (BFH-Urteil vom 11.5.1988 – I R 216/85 – BStBl II, S. 715).

3.2 1Die erstmalige Ausübung eines nicht fristgebundenen Wahlrechts nach Bestandskraft der Steuerfestsetzung (vgl. vor §§ 172 bis 177, Nr. 8) ist keine neue Tatsache, sie steht einer Änderung nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 aber nicht entgegen, sofern die für die Ausübung des Wahlrechts relevanten Tatsachen nachträglich bekannt geworden sind (BFH-Urteile vom 28.9.1984 – VI R 48/82 – BStBl 1985 II, S. 117, und vom 25.2.1992 – IX R 41/91 – BStBl II, S. 621). 2Gleiches gilt, wenn der Steuerpflichtige nach Bestandskraft der Steuerfestsetzung erstmals einen nicht fristgebundenen Antrag auf Gewährung einer Steuervergünstigung stellt und hierzu entsprechende (neue) Tatsachen vorträgt (BFH-Urteil vom 21.7.1989 – III R 303/84 – BStBl II, S. 960). 3Eine Änderung nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 zugunsten des Steuerpflichtigen setzt jedoch auch in diesen Fällen voraus, dass ihn am nachträglichen Bekanntwerden der steuermindernden Tatsachen kein grobes Verschulden trifft (vgl. Nr. 5).

4. Ermittlungsfehler des Finanzamts

4.1 1Nach dem Grundsatz von Treu und Glauben kann das Finanzamt – auch wenn es von einer rechtserheblichen Tatsache oder einem rechtserheblichen Beweismittel nachträglich Kenntnis erhält – daran gehindert sein, einen Steuerbescheid nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 zuungunsten des Steuerpflichtigen zu ändern (BFH-Urteil vom 13.11.1985 – II R 208/82 – BStBl 1986 II, S. 241). 2Hat der Steuerpflichtige die ihm obliegenden Mitwirkungspflichten in zumutbarer Weise erfüllt, kommt eine Änderung nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 nicht in Betracht, wenn die spätere Kenntnis der Tatsache oder des Beweismittels auf einer Verletzung der dem Finanzamt obliegenden Ermittlungspflicht beruht. 3Das Finanzamt braucht den Steuererklärungen nicht mit Misstrauen zu begegnen, sondern darf regelmäßig von deren Richtigkeit und Vollständigkeit ausgehen; veranlagt es aber trotz bekannter Zweifel an der Richtigkeit der Besteuerungsgrundlagen endgültig, so ist eine spätere Änderung der Steuerfestsetzung nach dem Grundsatz von Treu und Glauben ausgeschlossen (vgl. BFH-Urteil vom 27.10.1992 – VIII R 41/89 – BStBl 1993 II, S. 569). 4Zum Umfang der Ermittlungspflicht des Finanzamts vgl. auch zu § 88.

4.1.1 1Sind sowohl das Finanzamt seiner Ermittlungspflicht als auch der Steuerpflichtige seiner Mitwirkungspflicht nicht in vollem Umfang nachgekommen, so fällt das nachträgliche Bekanntwerden einer rechtserheblichen Tatsache oder eines rechtserheblichen Beweismittels i.d.R. in den Verantwortungsbereich des Steuerpflichtigen mit der Folge, dass eine Änderung des Steuerbescheides nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 zulässig ist (vgl. BFH-Urteil vom 11.11.1987 – I R 108/85 – BStBl 1988 II, S. 115). 2Eine entsprechende Änderung scheidet lediglich dann aus, wenn der Verstoß des Finanzamts deutlich überwiegt (BFH-Urteil vom 20.12.1988 – VIII R 121/83 – BStBl 1989 II, S. 585).

4.1.2 Ändert das Finanzamt einen bestandskräftigen Steuerbescheid nach § 173 Abs. 1 Nr. 1, trägt der Steuerpflichtige die objektive Beweislast, wenn er eine Verletzung der Ermittlungspflichten durch das Finanzamt rügt (BFH-Urteil vom 19.5.1998 – I R 140/97 – BStBl II, S. 599).

4.2 1Auf neue Tatsachen, die nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 eine niedrigere Steuerfestsetzung rechtfertigen, sind die in Nr. 4.1 dargestellten Grundsätze nicht anzuwenden (BFH-Urteile vom 13.4.1967 – V 57/65 – BStBl III, S. 519, und vom 26.11.1996 – IX R 77/95 – BStBl 1997 II, S. 422; vgl. Nr. 2.2). 2Hier ist jedoch zu prüfen, ob den Steuerpflichtigen ein grobes Verschulden am nachträglichen Bekanntwerden der neuen Tatsachen trifft (vgl. Nr. 5).

3Im Rahmen des § 173 Abs. 1 Nr. 2 kann eine Tatsache allerdings nicht zum Nachteil des Steuerpflichtigen als bereits bekannt gelten, wenn der zuständige Bearbeiter sie lediglich hätte kennen können oder kennen müssen. 4Das Finanzamt kann sich in diesem Fall nicht auf sein eigenes Versäumnis oder Verschulden berufen (vgl. BFH-Urteil vom 26.11.1996 – IX R 77/95 – BStBl 1997 II, S. 422).

5. Grobes Verschulden des Steuerpflichtigen

5.1 1Die Aufhebung oder Änderung eines Steuerbescheids zugunsten des Steuerpflichtigen ist grundsätzlich ausgeschlossen, wenn den Steuerpflichtigen ein grobes Verschulden daran trifft, dass die Tatsachen oder Beweismittel dem Finanzamt erst nachträglich bekannt geworden sind. 2Als grobes Verschulden hat der Steuerpflichtige Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit zu vertreten. 3Grobe Fahrlässigkeit ist anzunehmen, wenn er die ihm nach seinen persönlichen Verhältnissen zumutbare Sorgfalt in ungewöhnlichem Maße und in nicht entschuldbarer Weise verletzt (BFH-Urteile vom 3.2.1983 – IV R 153/80 – BStBl II, S. 324, und vom 18.5.1988 – X R 57/82 – BStBl II, S. 713). 4Die objektive Beweislast (Feststellungslast) dafür, dass ihn kein grobes Verschulden trifft, liegt beim Steuerpflichtigen.

5.1.1 1Bei der Beurteilung der Schwere der Verletzung dieser Sorgfaltspflicht sind die Gegebenheiten des Einzelfalls und die individuellen Kenntnisse und Fähigkeiten des einzelnen Steuerpflichtigen zu berücksichtigen (BFH-Urteil vom 29.6.1984 – VI R 181/80 – BStBl II, S. 693). 2So kann die Unkenntnis steuerrechtlicher Bestimmungen allein den Vorwurf groben Verschuldens nicht begründen (BFH-Urteile vom 10.8.1988 – IX R 219/84 – BStBl 1989 II, S. 131,, vom 22.5.1992 – VI R 17/91 – BStBl 1993 II, S. 80, und vom 21.9.1993 – IX R 63/90 – BFH/NV 1994 S. 100). 3Offensichtliche Versehen und alltägliche Irrtümer, die sich nie ganz vermeiden lassen, wie z.B. Verwechslungen, Schreib-, Rechen- oder Übertragungsfehler rechtfertigen ebenfalls nicht den Vorwurf des groben Verschuldens; es kann aber vorliegen, wenn das Versehen auf einer vorangegangenen Verletzung steuerlicher Pflichten beruht.

5.1.2Ein grobes Verschulden kann im Allgemeinen angenommen werden, wenn der Steuerpflichtige trotz Aufforderung keine Steuererklärung abgegeben hat (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Urteil vom 16.9.2004 – IV R 62/02 – BStBl 2005 II, S. 75 m.w.N.), allgemeine Grundsätze der Buchführung (§§ 145 bis 147) verletzt oder ausdrückliche Hinweise in ihm zugegangenen Vordrucken, Merkblättern oder sonstigen Mitteilungen des Finanzamts nicht beachtet.

5.1.3 Ein Steuerpflichtiger handelt regelmäßig grob schuldhaft, wenn er eine im Steuererklärungsformular ausdrücklich gestellte, auf einen ganz bestimmten Vorgang bezogene Frage nicht beachtet (BFH-Urteile vom 29.6.1984 – VI R 181/80 – BStBl II, S. 693, und vom 10.8.1988 – IX R 219/84 – BStBl 1989 II, S. 131).

5.1.4 1Das grobe Verschulden des Steuerpflichtigen am nachträglichen Bekanntwerden steuermindernder Tatsachen oder Beweismittel wird nicht dadurch ausgeschlossen, dass das Finanzamt seinerseits seinen Fürsorge- oder Ermittlungspflichten nicht hinreichend nachgekommen ist (BFH-Urteil vom 9.8.1991 – III R 24/87 – BStBl 1992 II, S. 65). 2Im Einzelfall kann jedoch ein grobes Verschulden des Steuerpflichtigen zu verneinen sein, wenn die Verletzung der Ermittlungs- und Fürsorgepflichten ursächlich für die verspätete Geltendmachung der steuermindernden Tatsachen oder Beweismittel war, z.B. bei irreführender Auskunftserteilung.

5.2 Bei einer Zusammenveranlagung muss sich jeder Ehegatte das grobe Verschulden des anderen Ehegatten zurechnen lassen (vgl. BFH-Urteil vom 24.7.1996 – I R 62/95 – BStBl 1997 II, S. 115).

5.3 1Nimmt der Steuerpflichtige bei der Erfüllung seiner steuerlichen Pflichten die Hilfe eines Bevollmächtigten oder anderer Hilfspersonen in Anspruch, so muss er sich ein etwaiges grobes Verschulden dieser Personen wie ein eigenes Verschulden zurechnen lassen. 2So hat der Steuerpflichtige etwa ein grobes Verschulden seines Buchhalters als eigenes Verschulden zu vertreten (vgl. BFH-Urteil vom 18.5.1988 – X R 57/82 – BStBl II, S. 713).

5.4 1Der Steuerpflichtige hat ein grobes Verschulden seines steuerlichen Beraters in gleicher Weise zu vertreten wie das Verschulden eines Bevollmächtigten (BFH-Urteile vom 3.2.1983 – IV R 153/80 – BStBl II, S. 324, vom 28.6.1983 – VIII R 37/81 – BStBl 1984 II, S. 2, vom 25.11.1983 – VI R 8/82 – BStBl 1984 II, S. 256, und vom 26.8.1987 – I R 144/86 – BStBl 1988 II, S. 109). 2Bei Festlegung der einem steuerlichen Berater zuzumutenden Sorgfalt ist zu berücksichtigen, dass von einem Angehörigen der steuerberatenden Berufe die Kenntnis und sachgemäße Anwendung der steuerrechtlichen Vorschriften erwartet wird (BFH-Urteil vom 3.2.1983 – IV R 153/80 – BStBl II, S. 324). 3Ein eigenes grobes Verschulden des Steuerpflichtigen kann darin liegen, dass er die von seinem steuerlichen Berater gefertigte Steuererklärung unterschreibt, obwohl ihm bei Durchsicht der Steuererklärung ohne weiteres hätte auffallen müssen, dass steuermindernde Tatsachen oder Beweismittel nicht berücksichtigt worden sind (BFH-Urteil vom 28.6.1983 – VIII R 37/81 – BStBl 1984 II, S. 2).

4Der steuerliche Berater hat, wenn er Mitarbeiter zur Vorbereitung des Jahresabschlusses und der Steuererklärung einsetzt, Sorgfaltspflichten hinsichtlich der Auswahl seiner Mitarbeiter, der Organisation der Arbeiten in seinem Büro und der Kontrolle der Arbeitsergebnisse der Mitarbeiter (BFH-Urteil vom 26.8.1987 – I R 144/86 – BStBl 1988 II, S. 109).

5.5 1Bei der Frage des groben Verschuldens ist auch der Zeitraum einzubeziehen, in dem nach Durchführung der Steuerveranlagung der Bescheid noch änderbar ist (BFH-Urteil vom 21.2.1991 – V R 25/87 – BStBl II, S. 496: Vortrag steuermindernder Tatsachen bis zur Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung). 2Ein dem Steuerpflichtigen zuzurechnendes grobes Verschulden i.S.d. § 173 Abs. 1 Nr. 2 kann daher auch darin bestehen, dass er es unterlassen hat, gegen einen Steuerbescheid Einspruch einzulegen, obwohl sich ihm innerhalb der Einspruchsfrist die Geltendmachung bisher nicht vorgetragener Tatsachen hätte aufdrängen müssen (BFH-Urteile vom 25.11.1983 – VI R 8/82 – BStBl 1984 II, S. 256, und vom 4.2.1998 – XI R 47/97 – BFH/NV S. 682).

5.6 1Bei Beantwortung der Frage, ob die Unterlassung bestimmter steuerrelevanter Angaben in der Steuererklärung auf einem groben Verschulden des Steuerpflichtigen, einem entschuldbaren mechanischen Versehen (z. B. Übertragungsfehler) oder einem entschuldbaren Rechtsirrtum infolge mangelnder Kenntnis steuerrechtlicher Vorschriften beruht, ist nicht zwischen Steuererklärungen auf Papier und elektronisch erstellten Steuererklärungen zu unterscheiden. 2Wird die Steuererklärung elektronisch zum Beispiel mithilfe des Programms ElsterFormular erstellt, kann der Steuerpflichtige bei Erfassung der Daten anhand der gewohnten Formularoberfläche vom kompletten Steuererklärungsvordruck und allen dort gestellten Fragen Kenntnis nehmen; darüber hinaus wird auch eine Hilfefunktion im Umfang der amtlichen Anleitung geboten. 3Unerheblich ist daher, dass in der komprimierten Steuererklärung nur ein Ausdruck der tatsächlich erfassten und übermittelten Daten erfolgt.

6. Unbeachtlichkeit des Verschuldens des Steuerpflichtigen

6.1 1Das Verschulden des Steuerpflichtigen ist nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 unbeachtlich, wenn die Tatsachen oder Beweismittel, die zu einer niedrigeren Steuer führen, in einem unmittelbaren oder mittelbaren Zusammenhang mit neuen Tatsachen oder Beweismitteln stehen, die zu einer höheren Steuer führen. 2Stehen die steuermindernden Tatsachen mit steuererhöhenden Tatsachen im Zusammenhang, sind die steuermindernden Tatsachen nicht nur bis zur steuerlichen Auswirkung der steuererhöhenden Tatsachen, sondern uneingeschränkt zu berücksichtigen (BFH-Urteil vom 2.8.1983 – VIII R 190/80 – BStBl 1984 II, S. 4). 3Ein derartiger Zusammenhang ist gegeben, wenn eine zu einer höheren Besteuerung führende Tatsache die zur Steuerermäßigung führende Tatsache ursächlich bedingt, so dass der steuererhöhende Vorgang nicht ohne den steuermindernden Vorgang denkbar ist (BFH-Urteile vom 28.3.1985 – IV R 159/82 – BStBl 1986 II, S. 120, vom 5.8.1986 – IX R 13/81 – BStBl 1987 II, S. 297, und vom 8.8.1991 – V R 106/88 – BStBl 1992 II, S. 12). 4Ein rein zeitliches Zusammentreffen von steuererhöhenden und steuermindernden Tatsachen reicht nicht aus (BFH-Urteil vom 28.3.1985, a.a.O.).

6.2 1Wird dem Finanzamt nachträglich bekannt, dass der Steuerpflichtige nicht erklärte Einkünfte einer bestimmten Einkunftsart erzielt hat, so stellt die Höhe dieser Einkünfte die für die Anwendung des § 173 Abs. 1 Nr. 1 oder Nr. 2 relevante Tatsache dar (BFH-Urteil vom 1.10.1993 – III R 58/92 – BStBl 1994 II, S. 346). 2Dies gilt auch dann, wenn das Finanzamt die Einkünfte zunächst geschätzt hat (BFH-Urteil vom 24.4.1991 – XI R 28/89 – BStBl II, S. 606). 3Eine Aufspaltung dieser Einkünfte in steuererhöhende Einnahmen oder Vermögensmehrungen einerseits und steuermindernde Ausgaben oder Vermögensminderungen andererseits im Hinblick auf § 173 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 ist nicht zulässig.

6.3 1Bei der Umsatzsteuer sind Tatsachen, die eine Erhöhung der Umsatzsteuer begründen, und Tatsachen, die eine höhere Vorsteuer begründen, getrennt zu beurteilen. 2Ein Zusammenhang zwischen nachträglich bekannt gewordenen Umsätzen und nachträglich bekannt gewordenen Leistungen an den Unternehmer i.S.d. § 173 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 besteht nur insoweit, als die Eingangsleistungen zur Ausführung der nachträglich bekannt gewordenen Umsätze verwendet wurden (BFH-Urteile vom 8.8.1991 – V R 106/88 – BStBl 1992 II, S. 12, und vom 19.10.1995 – V R 60/92 – BStBl 1996 II, S. 149). 3Dies gilt allerdings nur, soweit diese Umsätze zum Vorsteuerabzug berechtigen; soweit die nachträglich bekannt gewordenen Vorsteuerbeträge hingegen mit nachträglich bekannt gewordenen steuerfreien oder nichtsteuerbaren Umsätzen in Zusammenhang stehen, sind die Voraussetzungen des § 173 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 nicht erfüllt.

4Hat das Finanzamt bei einer Schätzung der Umsatzsteuer davon abgesehen, die Steuer auf der Grundlage des Ansatzes einer Vielzahl einzelner Umsätze mit jeweils genau bezifferter Bemessungsgrundlage zu ermitteln, können die nachträglich bekannt gewordenen Vorsteuerbeträge im Schätzungsweg entsprechend dem Verhältnis der nachträglich erklärten und der ursprünglich vom Finanzamt geschätzten steuerpflichtigen Umsätze berücksichtigt werden, es sei denn, es liegen Anhaltspunkte dafür vor, dass weniger oder mehr Vorsteuerbeträge im Zusammenhang mit den nachträglich bekannt gewordenen Umsätzen stehen als sich nach dieser Aufteilung ergibt (BFH-Urteil vom 19.10.1995 – V R 60/92 – BStBl 1996 II, S. 149).

7. Änderung von Schätzungsveranlagungen

7.1 1Eine auf einer Schätzung beruhende Veranlagung kann nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 durch eine höhere Schätzungsveranlagung ersetzt werden, wenn nachträglich Schätzungsunterlagen festgestellt werden, bei deren rechtzeitigem Bekanntsein das Finanzamt die Schätzung in anderer Weise vorgenommen hätte. 2Die Änderung der ursprünglichen Schätzungsveranlagung ist dabei nur im Ausmaß der nachträglich bekannt gewordenen Schätzungsunterlagen zulässig. 3Das bisherige Schätzungsverfahren ist nach Möglichkeit fortzuführen, ggf. zu verfeinern. 4Ein Wechsel der Schätzungsmethode kommt lediglich dann in Betracht, wenn die bisherige Methode angesichts der neuen Schätzungsunterlagen versagt (BFH-Urteil vom 2.3.1982 – VIII R 225/80 – BStBl 1984 II, S. 504).

5Die Ersetzung einer Schätzungsveranlagung durch eine höhere Schätzungsveranlagung ist auch zulässig, wenn aufgrund einer nachträglichen Vermögenszuwachsrechnung ein gegenüber der ursprünglichen Schätzung wesentlich höherer Gewinn festgestellt wird (BFH-Urteile vom 24.10.1985 – IV R 75/84 – BStBl 1986 II, S. 233 und vom 29.10.1987 – IV R 69/85 – BFH/NV 1988 S. 346). 6Dies gilt auch für den Fall, dass es sich bei der ursprünglichen Schätzung um eine Schätzung nach Richtsätzen für einen nicht buchführenden, jedoch buchführungspflichtigen Landwirt handelt (BFH-Urteile vom 3.10.1985 – IV R 197/83 – BFH/NV 1987 S. 477, und vom 24.10.1985 – IV R 170/84 – BFH/NV 1987 S. 545).

7.2 1Nachträglich bekannt gewordene Tatsachen, die zu einer niedrigeren Steuer führen, liegen nach einer vorausgegangenen Gewinnschätzung dann vor, wenn sich aus der Gesamtwürdigung der neuen Tatsachen, also dem gemeinsamen Ergebnis von Betriebseinnahmen und Betriebsausgaben, eine niedrigere Steuer ergibt (BFH-Urteil vom 28.3.1985 – IV R 159/82 – BStBl 1986 II, S. 120; vgl. Nr. 6.2). 2Eine Änderung nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 ist in diesen Fällen demzufolge nur zulässig, wenn den Steuerpflichtigen am nachträglichen Bekanntwerden der Tatsachen kein grobes Verschulden trifft (vgl. Nr. 5).

7.3 Hat das Finanzamt den laufenden Gewinn und den Veräußerungsgewinn (§ 16 EStG) geschätzt, so sind die nachträglich bekannt gewordenen tatsächlichen Gewinnbeträge (laufender Gewinn und Veräußerungsgewinn) je eine Tatsache i.S.d. § 173 Abs. 1 (BFH-Urteil vom 30.10.1986 – III R 163/82 – BStBl 1987 II, S. 161).

7.4 Zur Schätzung der Umsatzsteuer vgl. Nr. 6.3.

8. Änderungssperre (§ 173 Abs. 2)

8.1 1Steuerbescheide, die aufgrund einer Außenprüfung ergangen sind, können wegen neuer Tatsachen oder Beweismittel nach § 173 Abs. 1 nur geändert werden, wenn eine Steuerhinterziehung oder leichtfertige Steuerverkürzung vorliegt (Änderungssperre nach § 173 Abs. 2). 2Durch die Regelung in § 173 Abs. 2 Satz 1 wird solchen Steuerbescheiden eine erhöhte Bestandskraft zugemessen, weil durch die Außenprüfung die steuerlich erheblichen Sachverhalte ausgiebig hätten geprüft werden können. 3Die Änderungssperre wirkt auch dann, wenn nach einer Außenprüfung Tatsachen oder Beweismittel bekannt werden, die zu einer niedrigeren Steuer führen würden (BFH-Urteile vom 29.1.1987 – IV R 96/85 – BStBl II, S. 410, und vom 11.12.1997 – V R 56/94 – BStBl 1998 II, S. 367). 4Die Änderungssperre bezieht sich nur auf Änderungen i.S.v. § 173 Abs. 1, nicht aber auf Änderungen, die aufgrund anderer Vorschriften erfolgen (vgl. BFH-Urteil vom 4.11.1992 – XI R 32/91 – BStBl 1993 II, S. 425).

8.2 Der Umfang der Änderungssperre richtet sich nach dem Inhalt der Prüfungsanordnung (BFH-Urteile vom 12.10.1994 – XI R 75/93 – BStBl 1995 II, S. 289, und vom 11.2.1998 – I R 82/97 – BStBl II, S. 552).

8.2.1 1Im Fall der Beschränkung der Außenprüfung auf bestimmte Steuerarten, Besteuerungszeiträume oder Sachverhalte (§ 194 Abs. 1 Satz 2) umfasst die Änderungssperre daher nur den in der Prüfungsanordnung genannten Teil der Besteuerungsgrundlagen. 2Wenn andererseits das tatsächliche Prüfungsverhalten über die Prüfungsanordnung hinausgeht, wird hierdurch keine Änderungssperre nach § 173 Abs. 2 ausgelöst (BFH-Urteil vom 11.2.1998 – I R 82/97 – BStBl II, S. 552).

8.2.2 Der Eintritt der Änderungssperre ist nicht davon abhängig, ob der Außenprüfer die betreffenden Vorgänge tatsächlich geprüft hat, ob er sie aus rechtlichen Erwägungen von sich aus nicht aufgegriffen hat oder ob er sie in Übereinstimmung mit der damaligen Verwaltungsauffassung unbeanstandet gelassen hat (BFH-Urteil vom 4.2.1987 – I R 58/86 – BStBl 1988 II, S. 215).

8.2.3 Eine Umsatzsteuer-Sonderprüfung, durch welche auf der Grundlage eingereichter Umsatzsteuer-Voranmeldungen „insbesondere der Vorsteuerabzug“ geprüft wird, bewirkt keine Änderungssperre (BFH-Urteil vom 11.11.1987 – X R 54/82 – BStBl 1988 II, S. 307).

8.3 Steuerbescheide sind i.S.d. § 173 Abs. 2 auch dann aufgrund einer Außenprüfung ergangen, wenn diese lediglich die in einer Selbstanzeige gemachten Angaben des Steuerpflichtigen bestätigt hat (BFH-Urteil vom 4.12.1986 – IV R 312/84 – BFH/NV 1987 S. 214).

8.4 1Außenprüfung i.S.d. § 173 Abs. 2 ist jede Prüfung nach §§ 193 bis 203.

2Eine Außenprüfung kann auch von der Steuerfahndung durchgeführt werden (§ 208 Abs. 2 Nr. 1). 3Führt die Steuerfahndung auf der Grundlage einer Prüfungsanordnung eine Außenprüfung nach den §§ 193 bis 203 durch, gelten uneingeschränkt die Vorschriften über die Außenprüfung. 4Eine von der Steuerfahndung durchgeführte Außenprüfung hat dementsprechend auch im Hinblick auf die Änderungssperre des § 173 Abs. 2 die Wirkung einer Außenprüfung. 5Ermittlungshandlungen der Steuerfahndung im Zusammenhang mit der Erforschung von Steuerstraftaten und Steuerordnungswidrigkeiten nach § 208 Abs. 1 Nr. 2 und Maßnahmen der Steuerfahndung auf der Grundlage von § 208 Abs. 1 Nr. 1 und 3 lassen dagegen die Änderungssperre des § 173 Abs. 2 nicht eintreten (BFH-Urteil vom 11.12.1997 – V R 56/94 – BStBl 1998 II, S. 367).

8.5 1Die Änderungssperre gilt auch in den Fällen, in denen eine Mitteilung nach § 202 Abs. 1 Satz 3 über eine ergebnislose Prüfung ergangen ist. 2Eine solche Mitteilung ist jedoch kein Verwaltungsakt, der eine allgemeine Änderungssperre für die in der vorangegangenen Außenprüfung festgestellten Sachverhalte auslöst. 3Sie hindert unter den Voraussetzungen des § 173 Abs. 2 nur die Änderung eines Steuerbescheids nach § 173 Abs. 1. 4Der Änderung des Bescheids aufgrund einer anderen Vorschrift (z.B. § 164 Abs. 2) steht sie nicht entgegen (BFH-Urteile vom 29.4.1987 – I R 118/83 – BStBl 1988 II, S. 168, und vom 14.9.1993 – VIII R 9/93 – BStBl 1995 II, S. 2).

5Die Wirkung einer Mitteilung nach § 202 Abs. 1 Satz 3 hat auch der Vermerk im Prüfungsbericht, dass für den betreffenden Besteuerungszeitraum oder die betreffende Steuerart „keine Änderung“ eintritt (BFH-Urteil vom 14.12.1989 – III R 158/85 – BStBl 1990 II, S. 283), es sei denn, dass sich der Vermerk auf einen Besteuerungszeitraum bezieht, für den die Steuer unter Vorbehalt der Nachprüfung festgesetzt ist. 6In diesem Fall tritt die Änderungssperre erst dann ein, wenn der Vorbehalt der Nachprüfung nach § 164 Abs. 3 Satz 3 durch förmlichen Bescheid aufgehoben wird.

8.6 1Die Frage, ob die objektiven und subjektiven Tatbestandsmerkmale einer Steuerhinterziehung (§ 370) oder leichtfertigen Steuerverkürzung (§ 378) vorliegen und ob damit § 173 Abs. 2 einer Änderung nicht entgegensteht, ist von der für die Veranlagung zuständigen Stelle im Benehmen mit der für Straf- und Bußgeldsachen zuständigen Stelle zu entscheiden. 2Voraussetzung für eine Änderung ist nicht, dass eine Bestrafung oder Ahndung mit Bußgeld erfolgt ist. 3Eine Änderung der Steuerfestsetzung ist deshalb auch bei Selbstanzeige (§ 371), Eintritt der Verfolgungsverjährung (§ 384) oder sonstigen Prozesshindernissen möglich. 4Die Änderungssperre wird auch dann durchbrochen, wenn der Adressat des Steuerbescheides selbst nicht der Täter oder Teilnehmer der Steuerhinterziehung oder leichtfertigen Verkürzung ist (vgl. BFH-Urteil vom 14.12.1994 – XI R 80/92 – BStBl 1995 II, S. 293).

9. Umfang der Änderung

1Eine Änderung nach § 173 ist nur soweit zulässig, wie sich die neuen Tatsachen oder Beweismittel auswirken (punktuelle Änderung). 2Sonstige Fehler können nur im Rahmen des § 177 berücksichtigt werden (vgl. zu § 177).

10. Anwendung des § 173 in Feststellungsfällen

10.1 1Nach § 181 Abs. 1 Satz 1 gilt § 173 für die gesonderte Feststellung von Besteuerungsgrundlagen sinngemäß. 2Bei einem Feststellungsbescheid kommt es demzufolge für die Frage der Zulässigkeit einer Änderung nach § 173 Abs. 1 darauf an, ob die neuen Tatsachen oder Beweismittel sich zu Gunsten oder zu Ungunsten des Steuerpflichtigen auswirken, dem der Gegenstand der Feststellung zuzurechnen ist. 3Dabei kommt es nur auf die Änderungen der festgestellten Besteuerungsgrundlagen selbst an, nicht auf die steuerlichen Auswirkungen in den Folgebescheiden (vgl. BFH-Urteil vom 24.6.2009 – IV R 55/06 – BStBl 2009 II, S. 950).

10.2 Hierbei ist zu unterscheiden, ob die Feststellung auf einen Betrag oder auf eine Eigenschaft/rechtliche Qualifikation lautet.

10.2.1 1Lautet eine gesonderte Feststellung auf einen in Euro bemessenen Betrag (Wert, Einkünfte etc.), ist bei Anwendung des § 173 Abs. 1 auf die Änderungen dieses Betrags abzustellen. 2Erfolgt eine gesonderte Feststellung auch einheitlich (§ 179 Abs. 2 Satz 2), ist hierbei nicht auf die Verhältnisse der Gesellschaft/Gemeinschaft insgesamt, sondern auf die Verhältnisse jedes einzelnen Feststellungsbeteiligten individuell abzustellen.

3Bei einer nachträglich bekannt gewordenen, steuerrechtlich beachtlichen Gewinnverteilungsabrede sind die Voraussetzungen des § 173 Abs. 1 Nr. 1 erfüllt, soweit sich die Gewinnanteile erhöhen. 4Der Bescheid ist nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 zu ändern, soweit sich die Gewinnanteile verringern. 5Auf ein grobes Verschulden am nachträglichen Bekanntwerden einer Gewinnverteilungsabrede kommt es dabei nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 nicht an, weil die nachträglich bekannt gewordene Gewinnverteilungsabrede zugleich bei dem Feststellungsbeteiligten, dessen Gewinnanteil sich erhöht, eine Tatsache i. S. des § 173 Abs. 1 Nr. 1 ist (BFH-Urteil vom 24.6.2009 – IV R 55/06 – BStBl 2009 II, S. 950).

10.2.2 1Werden zu einer Feststellung, die nicht betragsmäßige Besteuerungsgrundlagen, sondern eine Eigenschaft oder rechtliche Bewertung zum Gegenstand hat (z. B. Art der Einkünfte, Grundstücksart, Zurechnung des Grundstücks), neue Tatsachen oder Beweismittel bekannt, findet § 173 Abs. 1 Nr. 2 Anwendung, wenn der Steuerpflichtige die Änderung des Feststellungsbescheids begehrt. 2In diesem Fall ist die Änderung daher nur zulässig, wenn den Steuerpflichtigen kein grobes Verschulden am nachträglichen Bekanntwerden der Tatsachen oder Beweismittel trifft; § 173 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 bleibt unberührt. 3§ 173 Abs. 1 Nr. 1 kommt dagegen zur Anwendung, wenn das Finanzamt von Amts wegen tätig wird (vgl. das zur Frage der Änderung der Artfeststellung für ein Grundstück ergangene BFH-Urteil vom 16.9.1987 – II R 178/85 – BStBl 1988 II, S. 174).“