V B 122/16 – Umsätze aus dem Betrieb von Glücksspielen mit Geldeinsatz steuerpflichtig – Rüge der unterbliebenen Aussetzung des Verfahrens

BUNDESFINANZHOF Beschluss vom 22.2.2017, V B 122/16
ECLI:DE:BFH:2017:B.220217.VB122.16.0

Umsätze aus dem Betrieb von Glücksspielen mit Geldeinsatz steuerpflichtig – Rüge der unterbliebenen Aussetzung des Verfahrens

Tenor

Die Beschwerde der Klägerin wegen Nichtzulassung der Revision gegen das Urteil des Finanzgerichts Münster vom 16. Juni 2016  5 K 998/14 U wird als unbegründet zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat die Klägerin zu tragen.

Tatbestand

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I. Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) erbrachte in den Jahren 2007 bis 2010 (Streitjahre) Dienstleistungen mit dem Betrieb von Glücksspielautomaten.
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Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt) behandelte in den Umsatzsteuerfestsetzungen für die Streitjahre die von der Klägerin erklärten Umsätze aus dem Betrieb von Glücksspielen mit Geldeinsatz als steuerpflichtig. Die Einsprüche blieben ohne Erfolg. Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab.
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Hiergegen richtet sich die von der Klägerin eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde.

Entscheidungsgründe

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II. Die Beschwerde ist unbegründet. Die von der Klägerin genannten Zulassungsgründe i.S. von § 115 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) sind entweder nicht gegeben oder nicht entsprechend den in § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO genannten Vorgaben dargetan.
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1. Die Revision ist nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO bzw. zur Rechtsfortbildung i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 1 FGO zuzulassen. Denn die von der Klägerin aufgeworfenen Rechtsfragen sind nicht klärungsbedürftig.
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Die von der Klägerin aufgeworfenen Rechtsfragen, ob "§ 6 Abs. 1 Spielbankenverordnung vom 27. 07. 1938 in der Fassung vom 31. 01. 1944 (SpielbkV) bis heute unmittelbar" gilt, ohne "von § 4 Nr. 9 b UStG 1967 und in der Fassung des UStG vom 6. 05. 2006 verdrängt zu sein", und ob "§ 6 Abs. 1 SpielbkV als Bundesrecht unmittelbar" weitere Wirkung entfaltet, sind durch die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) geklärt.
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a) Danach trifft es zwar zu, dass nach der Anordnung in § 6 Abs. 1 der Verordnung über öffentliche Spielbanken 1938 –SpielbkV– (RGBl I 1938, 955) der "Spielbankunternehmer … für den Betrieb der Spielbank von den laufenden Steuern des Reichs, die vom Einkommen, vom Vermögen und vom Umsatz erhoben werden, sowie von der Lotteriesteuer und von der Gesellschaftsteuer befreit" war (vgl. BFH-Beschluss vom 14. Juli 2016 V B 17/16, BFH/NV 2016, 1593, Rz 3). Der BFH hat aber geklärt, dass für den Bereich der Umsatzsteuer diese Steuerbefreiung bereits durch § 4 Nr. 9 Buchst. b des Umsatzsteuergesetzes 1967 (UStG 1967) eigenständig geregelt wurde (vgl. BFH-Beschluss in BFH/NV 2016, 1593, Rz 3, m.w.N.). Da § 4 Nr. 9 Buchst. b UStG 1967 eine Steuerfreiheit für "die Umsätze der zugelassenen öffentlichen Spielbanken, die durch den Betrieb der Spielbank bedingt sind", vorsah, hat schon diese Norm die Umsatzsteuerfreiheit nach der SpielbkV als junges und spezielles Gesetz verdrängt (vgl. BFH-Beschluss in BFH/NV 2016, 1593, Rz 3, m.w.N.). Damit ist entschieden, dass die Regelung in § 6 Abs. 1 SpielbkV heute für den Bereich der Umsatzsteuer nicht mehr gilt.
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Zudem ist durch die Rechtsprechung geklärt, dass die Umsätze eines gewerblichen Betreibers von Geldspielautomaten aufgrund der am 6. Mai 2006 in Kraft getretenen –mit dem Unionsrecht in Einklang stehenden Neuregelung– des § 4 Nr. 9 Buchst. b UStG steuerpflichtig sind (BFH-Urteil vom 10. November 2010 XI R 79/07, BFHE 231, 373, BStBl II 2011, 311, 1. Leitsatz sowie Rz 29; BFH-Beschluss vom 4. Juli 2016 V B 115/15, BFH/NV 2016, 1592 Rz 3 unter Bezugnahme auf das Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union –EuGH– Leo-Libera vom 10. Juni 2010 C-58/09, EU:C:2010:333, Leitsatz sowie Rz 39). Diese Bestimmung ist auch verfassungsrechtlich unbedenklich (vgl. Nichtannahmebeschluss des Bundesverfassungsgerichts –BVerfG– vom 16. April 2012  1 BvR 523/11, BFH/NV 2012, 1405).
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b) Die Klägerin hat keine neuen Gesichtspunkte vorgetragen, die eine erneute Prüfung und Entscheidung dieser Rechtsfragen durch den BFH geboten erscheinen lassen (vgl. z.B. BFH-Beschluss in BFH/NV 2016, 1593, Rz 3, m.w.N.).
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aa) Soweit die Klägerin sich darauf beruft, § 6 Abs. 1 SpielbkV gelte als speziell geregelte Steuerbefreiung für Spielbanken entsprechend den allgemeinen Auslegungsgrundsätzen fort, wonach eine Spezialvorschrift die allgemeine Regelung verdrängt, greift diese Überlegung nicht durch. Denn diese Auslegungsregel entfaltet im Streitfall schon deshalb keine Wirkung mehr, weil der BFH diesbezüglich bereits geklärt hat, dass nach einem hier einschlägigen anderen Auslegungsgrundsatz das spätere Gesetz die frühere Regelung verdrängt ("lex posterior derogat legi priori" – vgl. BFH-Beschluss in BFH/NV 2016, 1593, Rz 3, m.w.N.). Dies hat auch das FG bei seiner Vorentscheidung zutreffend betont. Da es wegen der fehlenden Fortgeltung der Regelung in § 6 Abs. 1 SpielbkV demnach nicht zu einer Ungleichbehandlung von Spielbanken und gewerblichen Betreibern von Geldspielgeräten kommt, scheidet auch der von der Klägerin für denkbar gehaltene Verstoß gegen den verfassungsrechtlichen Gleichheitsgrundsatz von vornherein aus.
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bb) Mit ihrem Vorbringen rügt die Klägerin insbesondere auch eine fehlerhafte Rechtsanwendung durch das FG. Die Beschwerde hat insoweit aber keinen Erfolg, weil materiell-rechtliche Fehler nur im Falle qualifizierter Rechtsanwendungsfehler im Sinne einer willkürlichen oder greifbar gesetzwidrigen Entscheidung zur Revision führen. Unterhalb dieser Schwelle liegende, auch erhebliche Rechtsfehler reichen nicht aus, um eine greifbare Gesetzwidrigkeit oder gar eine Willkürlichkeit der angefochtenen Entscheidung und somit einen Grund für die Zulassung der Revision anzunehmen (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 6. Oktober 2015 V B 23/15, BFH/NV 2016, 53). Für einen derart offensichtlichen Rechtsfehler bestehen im Streitfall keine Anhaltspunkte.
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2. Die behauptete Divergenz i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 FGO liegt nicht vor.
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Die Klägerin trägt insoweit vor, die Entscheidung der Vorinstanz, wonach § 6 Abs. 1 SpielbkV seit dem Inkrafttreten der Regelung in § 4 Nr. 9 Buchst. b UStG nicht mehr gilt, stehe im Widerspruch zur einschlägigen Rechtsprechung des BFH und des EuGH. Dies trifft nicht zu. Vielmehr ergibt sich aus den von der Klägerin selbst zitierten Entscheidungen des BFH in BFH/NV 2016, 1593 und in BFH/NV 2016, 1592 mit der jeweils dort in Bezug genommenen –im Übrigen in sich widerspruchsfreien– Rechtsprechung im Gegenteil, dass das FG-Urteil mit der einschlägigen Rechtsprechung des BFH und des EuGH im Einklang steht.
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3. Das FG hat bei seiner Entscheidung keine Verfahrensfehler i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO begangen.
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a) Insbesondere ist keine Verletzung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes –GG–, §§ 96 Abs. 2, 119 Nr. 3 FGO) in Gestalt der behaupteten Überraschungsentscheidung gegeben.
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Der Anspruch auf rechtliches Gehör soll die Beteiligten in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht zwar vor Überraschungen schützen. Das FG ist indessen nicht verpflichtet, die maßgeblichen Gesichtspunkte mit den Beteiligten umfassend zu erörtern und ihnen die einzelnen für die Entscheidung erheblichen Gesichtspunkte im Voraus anzudeuten (ständige Rechtsprechung, vgl. grundlegend BFH-Urteil vom 23. September 1999 VI R 106/98, BFH/NV 2000, 448, m.w.N.). Danach war das FG im Streitfall nicht gehalten, die einzelnen für die Entscheidung erheblichen Gesichtspunkte zur Fortgeltung von § 6 Abs. 1 SpielbkV mit den Beteiligten zu erörtern bzw. im Vorfeld entsprechende richterliche Hinweise zu erteilen, wie es sich die Klägerin offenbar gewünscht hat.
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b) Die von der Klägerin beanstandete unterbliebene Aussetzung des Verfahrens im Hinblick auf die unterlassene Vorlage an das BVerfG begründet auch keinen anderweitigen Verfahrensfehler. Denn die Klägerin hat einen solchen Verfahrensmangel nicht hinreichend dargelegt (§ 116 Abs. 3 Satz 3 FGO).
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aa) Wird als Verfahrensfehler gerügt, das FG hätte das Klageverfahren nach § 74 FGO aussetzen müssen, so erfordert dies u.a. wie bei anderen Verfahrensmängeln auch die genaue Angabe von Tatsachen, aus denen sich nach Auffassung des Beschwerdeführers der Verfahrensverstoß ergibt. Da es sich bei der Vorschrift des § 74 FGO um eine Ermessensvorschrift handelt, muss der Beschwerdeführer schlüssig dartun, weshalb das dem FG eingeräumte Ermessen im Streitfall auf "Null" reduziert gewesen sein soll und die Aussetzung des Verfahrens mithin aufgrund der besonderen Umstände des Falles die einzige richtige Entscheidung gewesen wäre (BFH-Beschluss vom 19. Mai 2008 V B 29/07, BFH/NV 2008, 1501, Rz 61, m.w.N.). Zudem muss er vortragen, inwiefern die von ihm begehrte Aussetzung des Verfahrens den materiellen Inhalt der Vorentscheidung hätte beeinflussen können (BFH-Beschluss in BFH/NV 2008, 1501, Rz 61, m.w.N.).
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Daran mangelt es im Streitfall. Denn das FG wäre nach der von der Klägerin genannten Regelung in Art. 126 GG i.V.m. § 13 Nr. 14 und § 86 Abs. 2 des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes nur bei Bestehen von Meinungsverschiedenheiten über die Fortgeltung von Bundesrecht zu einer Vorlage an das BVerfG und zu einer Aussetzung des Verfahrens nach § 74 FGO verpflichtet gewesen. Dem Vorbringen der Klägerin lässt sich indes schon nicht schlüssig entnehmen, dass eine derartige Meinungsverschiedenheit im Hinblick auf die Fortgeltung von § 6 Abs. 1 SpielbkV überhaupt bestanden hat, zumal die Entscheidung des FG –wie aufgezeigt– erkennbar mit der einschlägigen Rechtsprechung des BFH im Einklang übereinstimmt (vgl. BFH-Beschluss in BFH/NV 2016, 1593, und in BFH/NV 2016, 1592). Erst recht ist nicht dargetan oder ersichtlich, dass das insoweit bestehende Ermessen des FG im Hinblick auf § 74 FGO auf "Null" reduziert gewesen wäre, d.h. dass das FG das Verfahren bei möglichen Zweifeln über die Fortgeltung von § 6 Abs. 1 SpielbkV hätte aussetzen müssen und nicht –wie geschehen– eine abschließende Entscheidung hätte treffen dürfen.
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bb) Vor diesem Hintergrund ist auch kein Verfahrensfehler im Hinblick auf die gerügte angebliche Verletzung des gesetzlichen Richters nach Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG wegen der unterbliebenen Vorlage an das BVerfG ersichtlich.
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4. Soweit die Klägerin vorherige Hinweise des beschließenden Senats erbittet, falls er die von ihr vertretene Rechtsauffassung nicht für zutreffend erachtet, und ergänzend die Durchführung eines mündlichen Erörterungstermins anregt, besteht dafür keine Veranlassung. Denn in einem schriftlich geführten Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren sieht das Gesetz grundsätzlich keine Erteilung von Hinweisen durch das Gericht, geschweige denn eine besondere mündliche Erörterung der Rechtslage mit den Beteiligten vor (vgl. §§ 115, 116 FGO). Der gebotenen Gewährung rechtlichen Gehörs wird regelmäßig durch den Austausch von Schriftsätzen und der ausreichenden Gelegenheit zu einer schriftlichen Stellungnahme hinreichend Rechnung getragen. Dies hat auch im hier zu entscheidenden Verfahren stattgefunden.
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5. Der Senat sieht von einer weiteren Begründung ab (§ 116 Abs. 5 Satz 2 FGO).
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6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.

Quelle: bundesfinanzhof.de