V B 54/14 – Umwandlung eines Sachurteils in ein Prozessurteil im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren – Bindung an ein rechtskräftiges Urteil – Vorrang der Rechtskraft gegenüber den Änderungsvorschriften – Berichtigung eines Umsatzsteuerbetrags bei Uneinbringlichkeit des Entgelts

BUNDESFINANZHOF Beschluss vom 18.11.2014, V B 54/14

Umwandlung eines Sachurteils in ein Prozessurteil im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren – Bindung an ein rechtskräftiges Urteil – Vorrang der Rechtskraft gegenüber den Änderungsvorschriften – Berichtigung eines Umsatzsteuerbetrags bei Uneinbringlichkeit des Entgelts

Tatbestand

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I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) betrieb im Streitjahr 2005 ein Unternehmen als selbständiger Rechtsanwalt. Er vertrat einen Mandanten erfolgreich im Rahmen einer gerichtlichen Auseinandersetzung. Seine Kostenrechnung über 17.519 EUR zuzüglich Umsatzsteuer von 2.803,04 EUR beglich die unterlegene Partei nur in Höhe des Nettobetrags von 17.519 EUR mit dem Hinweis auf die Berechtigung des Mandanten zum Vorsteuerabzug. Mit seiner Forderung in Höhe von 2.803,04 EUR fiel der Kläger gegenüber seinem Mandanten aus, weil dieser zwischenzeitlich zahlungsunfähig geworden war.
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In der nicht zustimmungsbedürftigen Umsatzsteuererklärung für 2005 erfasste der Kläger diesen Vorgang nicht. Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt –FA–) behandelte den Zufluss in Höhe von 17.519 EUR indes als Bruttoentgelt und ermittelte eine Bemessungsgrundlage von 15.102,58 EUR (17.519 EUR : 1,16) sowie eine daraus resultierende Umsatzsteuer von 2.416,42 EUR (15.102,58 EUR x 16 %). Entsprechend änderte es den unter Vorbehalt der Nachprüfung stehenden Umsatzsteuerbescheid für 2005.
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Die dagegen erhobene Klage wies das Finanzgericht (FG) durch Urteil vom 16. Dezember 2011  1 K 4183/09 U –als unbegründet– ab. Unter Hinweis auf § 10 Abs. 1 Satz 2 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) führte es u.a. aus, dass sich die unvollständige Bezahlung der Kostenrechnung auf die Höhe der umsatzsteuerlichen Bemessungsgrundlage auswirke (anstatt ursprünglich 17.519 EUR betrage diese nur noch 15.102,58 EUR). Indes führe sie nicht dazu, dass die Umsatzsteuer gänzlich entfiele. Die Revision ließ das FG nicht zu. Die Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision wies der Bundesfinanzhof (BFH) durch Beschluss vom 15. November 2012 V B 15/12 (nicht veröffentlicht –n.v.–) als unbegründet zurück. Der Beschluss wurde dem Kläger am 4. Dezember 2012 zugestellt.
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Am 18. Juli 2013 beantragte der Kläger beim FA die Änderung des Umsatzsteuerbescheids 2005. Die Steuer sei um 2.416,42 EUR herabzusetzen. Zur Begründung verwies er auf die Ausführungen zur Berichtigungsmöglichkeit nach § 17 Abs. 1 Sätze 1 und 7 UStG im BFH-Beschluss vom 15. November 2012 V B 15/12 –n.v.– (unter II.2.a).
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Das FA lehnte die Änderung des Umsatzsteuerbescheids 2005 ab und wies den dagegen eingelegten Einspruch durch Einspruchsentscheidung vom 22. Oktober 2013 als unbegründet zurück. Zur Begründung führte es aus, dass die Rechtmäßigkeit der Festsetzung der Umsatzsteuer 2005 sowohl vom FG als auch vom BFH bestätigt worden sei und es im Übrigen auch an einer Änderungsvorschrift fehle.
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Das FG wies die dagegen erhobene Klage durch (Sach-)Urteil vom 9. Mai 2014  1 K 4109/13 U –als unbegründet– ab. Eine Änderung des Umsatzsteuerbescheids 2005 komme nicht mehr in Betracht, weil zum Zeitpunkt der Antragstellung die Festsetzungsfrist abgelaufen sei. Unter Hinweis auf das Urteil des FG vom 16. Dezember 2011  1 K 4183/09 U sei der Umsatzsteuerbescheid 2005 im Übrigen auch materiell-rechtlich nicht zu beanstanden. Die Revision ließ das FG nicht zu.
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Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner Beschwerde und beantragt, die Revision wegen Divergenz und Verfahrensmängeln des FG zuzulassen.

Entscheidungsgründe

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II. Die Beschwerde ist unbegründet. Der Tenor der Vorentscheidung wird jedoch entsprechend § 126 Abs. 4 der Finanzgerichtsordnung (FGO) dahin abgeändert, dass die Klage als unzulässig abgewiesen wird.
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1. Die Vorentscheidung beruht auf einem Verfahrensmangel, weil das FG zu Unrecht durch Sachurteil statt durch Prozessurteil entschieden hat (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 21. Januar 1999 IV R 40/98, BFHE 188, 523, BStBl II 1999, 563, unter 2., m.w.N.). Nach § 116 Abs. 6 FGO kann der BFH ein Urteil, das auf einem Verfahrensfehler beruht, im Beschluss über die Nichtzulassungsbeschwerde aufheben und den Rechtsstreit an das FG zurückverweisen. Über ihren Wortlaut hinaus ermöglicht die Vorschrift eine Endentscheidung des BFH, wenn die im Fall der Zurückverweisung zu treffende Entscheidung feststeht. Eine solche Endentscheidung kann u.a. in der Umwandlung eines Sachurteils in ein Prozessurteil bestehen (BFH-Beschluss vom 27. Juni 2014 IV B 12/14, BFH/NV 2014, 1570, unter Rz 2, m.w.N.).
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Der Senat sieht deshalb im Streitfall –trotz des Verfahrensmangels– von einer Aufhebung der Vorentscheidung und Zurückverweisung gemäß § 116 Abs. 6 FGO ab und entscheidet in der Sache selbst. Der Tenor der Vorentscheidung wird dahin geändert, dass die Klage als unzulässig abgewiesen wird.
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2. Im Streitfall hätte das FG über die Klage 1 K 4109/13 U durch Prozessurteil entscheiden müssen. Der erneuten Befassung und Entscheidung über die Rechtmäßigkeit des Umsatzsteuerbescheids 2005 stand die Rechtskraft des Urteils vom 16. Dezember 2011  1 K 4183/09 U (Ersturteil) als eigenständige negative Sachurteilsvoraussetzung entgegen.
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a) Nach § 110 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 FGO binden rechtskräftige Urteile die Beteiligten, soweit über den Streitgegenstand entschieden wurde. Demgemäß ist auch das FG in einem späteren Klageverfahren an das rechtskräftige Urteil gebunden, soweit die Entscheidungsgegenstände des alten und des neuen Klageverfahrens identisch sind (zum –gegenüber dem Streitgegenstand– engeren Begriff des Entscheidungsgegenstands, vgl. BFH-Urteil vom 19. Dezember 2006 VI R 63/02, BFH/NV 2007, 924, unter II.2.a).
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Der Streitgegenstand wird durch den Klageanspruch und den Klagegrund bestimmt, also durch den geltend gemachten materiell-rechtlichen Anspruch und durch den ihm zugrunde liegenden Sachverhalt. Für die Bindungswirkung kommt es auf den vom Gericht seiner Entscheidung tatsächlich zugrunde gelegten Sachverhalt und auf die hierzu angestellten rechtlichen Erwägungen an (Entscheidungsgegenstand). Zwar wächst nur der Tenor der gerichtlichen Entscheidung in Rechtskraft und erzeugt eine Bindewirkung, die Entscheidungsgründe geben aber Aufschluss darüber, wie weit die materielle Rechtskraft reicht. Weist das FG die Klage gegen einen Steuerbescheid ab, so umfasst die Rechtskraft der Entscheidung die Feststellung, dass der Bescheid weder nichtig noch rechtswidrig ist (BFH-Beschluss vom 27. August 2014 XI B 32/14, Rz 17 bis Rz 19, m.w.N.).
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b) Im Streitfall bindet das rechtskräftige Ersturteil die Beteiligten mit der Folge, dass sich jede neue Entscheidung über die bereits rechtskräftig festgestellte Rechtsfolge verbietet (vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 30. Mai 2012 III B 239/11, BFH/NV 2012, 1470, unter Rz 30, m.w.N.). Zwischen dem Ersturteil und dem hiesigen Streitgegenstand (Klage 1 K 4109/13 U) ist Identität gegeben.
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aa) Das Ersturteil befasste sich mit der Frage, ob der Kläger durch seine Leistung aus der Prozessvertretung gegenüber dem Mandanten einen steuerpflichtigen Umsatz getätigt hatte und wie dieser Umsatz zu bemessen war. In diesem Zusammenhang entschied das FG –im Übrigen zu Recht–, dass Bemessungsgrundlage dieses steuerpflichtigen Umsatzes das tatsächlich vereinnahmte Entgelt abzüglich der Umsatzsteuer sei (15.102,58 EUR). Das Ersturteil ist durch den ablehnenden Beschluss des BFH vom 15. November 2012 V B 15/12 (n.v.) über die Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision rechtskräftig geworden (§ 116 Abs. 5 Satz 3 FGO). Damit war die auf Änderung der Umsatzsteuerfestsetzung 2005 gerichtete Klage endgültig abgewiesen und mithin die Rechtmäßigkeit dieses Änderungsbescheids bestätigt.
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bb) Im Rahmen der später erhobenen Anfechtungsklage  1 K 4109/13 U hat das FG nochmals über die inhaltlich selbe Frage entschieden. Denn Gegenstand dieses Klageverfahrens war ebenfalls die Rechtmäßigkeit des Umsatzsteuerbescheids 2005 wegen der aus dem steuerpflichtigen Umsatz der Prozessvertretung resultierenden Höhe der Steuer. Gegenüber dem Ersturteil hatte sich nur die rechtliche Begründung des klägerischen Begehrens geändert. Daraus resultiert aber kein anderer Streitgegenstand. Einer nochmaligen gerichtlichen Überprüfung des geänderten Umsatzsteuerbescheids 2005 stand daher die Rechtskraft des insoweit einen identischen Entscheidungsgegenstand betreffenden Ersturteils nach § 110 Abs. 1 FGO entgegen (vgl. z.B. BFH-Beschluss in BFH/NV 2012, 1470, unter Rz 30, m.w.N.).
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cc) Aus § 110 Abs. 2 FGO, wonach die Vorschriften der Abgabenordnung und anderer Steuergesetze u.a. über die Änderung von Verwaltungsakten unberührt bleiben, soweit sich aus § 110 Abs. 1 Satz 1 FGO nichts anderes ergibt, folgt nichts Abweichendes. Denn § 110 Abs. 2 FGO ist im Sinne eines Vorrangs der Rechtskraft gegenüber den Änderungsvorschriften auszulegen (BFH-Urteil vom 12. Januar 2012 IV R 3/11, BFH/NV 2012, 779, unter II.1.a). Der beantragten Änderung des Umsatzsteuerbescheids 2005 steht die Rechtskraftwirkung eines früheren Urteils (Ersturteil) entgegen, wenn dieses –wie hier– denselben Streitgegenstand betrifft.
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3. Klarstellend weist der Senat darauf hin, dass die Berichtigung des Steuerbetrags nach § 17 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. Abs. 1 Sätze 1 und 7 UStG nur dann in Betracht kommt, wenn das vereinbarte Entgelt für eine steuerpflichtige Leistung uneinbringlich geworden ist. Unabhängig davon, ob der Kläger (Rechtsanwalt) seine Steuer überhaupt nach vereinbarten Entgelten i.S. des § 20 Abs. 1 Satz 1 UStG berechnet hat, ist die Änderung der Bemessungsgrundlage (anstatt ursprünglich 17.519 EUR nur noch 15.102,58 EUR) und damit die Uneinbringlichkeit der Restforderung (2.803,04 EUR) bereits im geänderten Umsatzsteuerbescheid 2005 berücksichtigt worden. Dies hat zur Folge, dass eine Berichtigung des Steuerbetrags nicht mehr in Betracht kommen kann, soweit keine weitere Reduzierung der Bemessungsgrundlage stattgefunden hat.
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4. Von einer weiteren Begründung und von der weiteren Darstellung des Sachverhalts wird nach § 116 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2 FGO abgesehen.
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5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 143 Abs. 1 i.V.m. § 135 Abs. 2 FGO.

Quelle: bundesfinanzhof.de