X B 111/15 – Verbrauch des Antragsrechts nach § 34 Abs. 3 EStG trotz unberechtigter Gewährung des ermäßigten Steuersatzes in einem früheren Bescheid

BUNDESFINANZHOF Beschluss vom 1.12.2015, X B 111/15

Verbrauch des Antragsrechts nach § 34 Abs. 3 EStG trotz unberechtigter Gewährung des ermäßigten Steuersatzes in einem früheren Bescheid

Tenor

Die Beschwerde der Kläger wegen Nichtzulassung der Revision gegen das Urteil des Niedersächsischen Finanzgerichts vom 8. Juni 2015  3 K 387/14 wird als unbegründet zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens haben die Kläger zu tragen.

Tatbestand

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I. Die Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) sind Eheleute, die im Streitjahr 2012 zur Einkommensteuer zusammenveranlagt wurden. Der Kläger hatte im Jahr 2008 einen Veräußerungsgewinn aus der Beteiligung an einer Publikums-KG in Höhe von 182.349 EUR erzielt. Im Streitjahr 2012 erzielte er einen weiteren Veräußerungsgewinn aus der Beteiligung an einer Freiberufler-GbR, für die er persönlich tätig war. Für beide Veräußerungsgewinne erfüllte er die persönlichen Voraussetzungen für die Gewährung des ermäßigten Steuersatzes nach § 34 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG).
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In der Einkommensteuererklärung 2008 stellte der Kläger –dem die Höhe des Veräußerungsgewinns aus der Publikums-KG damals noch nicht bekannt war– nicht den für die Gewährung der Begünstigung nach § 34 Abs. 3 EStG erforderlichen Antrag. Gleichwohl nahm der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt –FA–) die Steuerberechnung nach § 34 Abs. 3 EStG vor. Dies war aus der Darstellung des Berechnungsablaufs im Einkommensteuerbescheid 2008 erkennbar. Zu dem –ebenfalls nur auf Antrag zu gewährenden– Freibetrag nach § 16 Abs. 4 EStG führte das FA in den Erläuterungen des Bescheids aus, es gehe "zunächst" davon aus, dass dieser Freibetrag nicht beantragt werde. Der Bescheid wurde bestandskräftig.
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Für den im Streitjahr 2012 erzielten weiteren Veräußerungsgewinn beantragten die Kläger die Anwendung des Steuersatzes nach § 34 Abs. 3 EStG. Das FA lehnte dies im angefochtenen Einkommensteuerbescheid 2012 ab und wandte lediglich die Steuerermäßigung nach § 34 Abs. 1 EStG an. Zur Begründung führte es aus, der Steuerpflichtige könne die Ermäßigung nach § 34 Abs. 3 EStG nur einmal im Leben in Anspruch nehmen; dies sei bereits für den Veranlagungszeitraum 2008 geschehen. Einspruch und Klage blieben ohne Erfolg.
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Mit ihrer Beschwerde begehren die Kläger die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung.
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Das FA hält die Beschwerde für unzulässig.

Entscheidungsgründe

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II. Die Beschwerde ist –bei Zweifeln daran, ob die gesetzlichen Darlegungsanforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) überhaupt erfüllt sind– jedenfalls unbegründet.
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1. Die Kläger formulieren die Rechtsfrage, ob sich der Steuerpflichtige eine ohne Antrag gewährte Begünstigung auch dann entgegenhalten lassen muss, wenn die begünstigten Einkünfte für eine Publikumsgesellschaft gesondert festgestellt worden sind. Diese Rechtsfrage hat keine grundsätzliche Bedeutung i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO.
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a) Grundsätzliche Bedeutung kommt einer Rechtssache nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) zu, wenn die für die Beurteilung des Streitfalls maßgebliche Rechtsfrage das (abstrakte) Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt. Außerdem muss die Rechtsfrage klärungsbedürftig und in einem künftigen Revisionsverfahren klärungsfähig sein (Senatsbeschluss vom 19. Januar 2011 X B 43/10, BFH/NV 2011, 636, unter II.1.).
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Eine Rechtsfrage ist klärungsbedürftig, wenn ihre Beantwortung zu Zweifeln Anlass gibt (Senatsbeschluss vom 6. November 2002 X B 30/02, BFH/NV 2003, 169). An der Klärungsbedürftigkeit fehlt es insbesondere dann, wenn die Rechtsfrage offensichtlich so zu beantworten ist, wie es das Finanzgericht (FG) in Übereinstimmung mit der allgemeinen Meinung in der Literatur getan hat (Senatsbeschluss vom 22. Januar 2015 X B 118/14, BFH/NV 2015, 676, Rz 14, m.w.N.) oder wenn die Rechtsfrage bereits durch den BFH geklärt ist und keine neuen Gesichtspunkte erkennbar sind, die eine erneute Prüfung und Entscheidung dieser Frage durch den BFH geboten erscheinen lassen (Senatsbeschluss vom 26. Oktober 2011 X B 4/11, BFH/NV 2012, 214, unter II.1.a, m.w.N.).
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b) Nach ständiger Rechtsprechung des BFH, die sowohl das FA als auch das FG ihren Entscheidungen zugrunde gelegt haben, ist eine antragsgebundene Steuervergünstigung, die dem Steuerpflichtigen nur einmal gewährt werden kann, für die Zukunft auch dann "verbraucht", wenn die Vergünstigung vom FA zu Unrecht gewährt worden ist, insbesondere ein erforderlicher Antrag vom Steuerpflichtigen nicht gestellt worden ist. Entscheidend ist allein, dass sich die Vergünstigung auf die frühere Steuerfestsetzung ausgewirkt hat und sie dort nicht mehr rückgängig gemacht werden kann. Wenn der Steuerpflichtige sich die Möglichkeit vorbehalten will, die Vergünstigung in einem späteren Jahr in Anspruch zu nehmen, muss er die Steuerfestsetzung anfechten, in der ihm die Vergünstigung zu Unrecht gewährt worden ist (zum Ganzen BFH-Urteil vom 8. März 1994 IX R 12/90, BFH/NV 1994, 785, mit zahlreichen Nachweisen, betreffend erhöhte Absetzungen nach § 7b EStG; Senatsurteil vom 21. Juli 2009 X R 2/09, BFHE 226, 72, BStBl II 2009, 963, unter II.2., betreffend Freibetrag nach § 16 Abs. 4 EStG).
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Der Steuerpflichtige braucht sich die rechtswidrige Gewährung der Vergünstigung in einem Vorjahr nach den Grundsätzen von Treu und Glauben nur dann nicht entgegenhalten lassen, wenn für ihn angesichts der geringen Höhe der Vergünstigung und des Fehlens eines Hinweises im Bescheid nicht erkennbar gewesen ist, dass das FA die Vergünstigung ohne den erforderlichen Antrag gewährt hat (zu einem solchen Fall Senatsurteil vom 15. Mai 2002 X R 97/98, BFH/NV 2002, 1428).
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c) In ihrer Beschwerdebegründung stellen die Kläger weder die Grundsätze dieser ständigen Rechtsprechung in Frage noch bezweifeln sie die –den Senat gemäß § 118 Abs. 2 FGO ohnehin bindende– Feststellung des FG, dass die irrtümliche Gewährung der Steuervergünstigung im Jahr 2008 damals für die Kläger erkennbar war. Ihr einziges Begehren geht vielmehr dahin, bei der Anwendung dieser Rechtsprechungsgrundsätze eine Differenzierung danach vorzunehmen, ob der erste Veräußerungsgewinn aus einer Publikumsgesellschaft stammte oder aber aus einer Gesellschaft, bei der der Steuerpflichtige persönlich mitgearbeitet hat.
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Auf diese Differenzierung kommt es jedoch für die Anwendung des § 34 Abs. 3 EStG nicht an, was der Senat bereits im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde entscheiden kann, so dass die von den Klägern aufgeworfene Rechtsfrage keine grundsätzliche Bedeutung hat.
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Die Kläger begründen die von ihnen gewünschte Differenzierung damit, dass der Gesellschafter einer Publikumsgesellschaft weder Kenntnis davon habe, dass diese einen Veräußerungs- oder Aufgabegewinn erziele, noch vor Erhalt einer entsprechenden Mitteilung die Höhe eines solchen Gewinns kenne. Dieser Gesichtspunkt ist für die –vorstehend unter b dargestellte– ständige höchstrichterliche Rechtsprechung zu Steuervergünstigungen, die dem "Objektverbrauch" unterliegen, die das FA aber rechtsirrig ohne den erforderlichen Antrag gewährt hat, ohne Belang. Denn danach kommt es allein darauf an, ob der Steuerpflichtige im Zeitraum vom Ergehen des –zu seinen Gunsten fehlerhaften– Bescheids bis zum Ablauf der entsprechenden Einspruchsfrist erkennen konnte, dass ihm eine Vergünstigung zu Unrecht gewährt worden ist. Zu dieser Zeit ist ihm aufgrund der entsprechenden Angaben im Bescheid aber bekannt, dass und in welcher Höhe er einen begünstigungsfähigen Gewinn erzielt hat.
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Danach kann offen bleiben, ob der Senat der Einschätzung der Kläger folgen könnte, Gesellschafter einer Publikumsgesellschaft erhielten keine Kenntnis von der Veräußerung oder der Aufgabe des Betriebs einer solchen Gesellschaft. Vielmehr dürfte es sich bei der Entscheidung zur Betriebsveräußerung oder -aufgabe um ein Grundlagengeschäft handeln, das in jedem Fall der Beschlussfassung in der Gesellschafterversammlung bedarf (vgl. zu Grundlagengeschäften Erman/Westermann, BGB, 14. Aufl., § 709 Rz 6). Jeder Gesellschafter dürfte daher spätestens mit der Einladung zur entsprechenden Gesellschafterversammlung Kenntnis von der beabsichtigten Betriebsveräußerung oder -aufgabe erhalten.
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2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.
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3. Von einer weiteren Darstellung des Sachverhalts sowie einer weiteren Begründung sieht der Senat gemäß § 116 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2 FGO ab.

Quelle: bundesfinanzhof.de