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Bewertung von Sachbezügen (BMF)

Verhältnis von § 8 Abs. 2 und Abs. 3 EStG bei der Bewertung von Sachbezügen

– Anwendung der BFH-Urteile VI R 30/09 und VI R 27/11 vom 26.07.2012 –

BMF, Schreiben (koordinierter Ländererlass) IV C 5 – S-2334 / 07 / 0011 vom 16.05.2013

Zu den Urteilen des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 26. Juli 2012 – VI R 30/09 – (BStBl II Seite xxxx) und – VI R 27/11 – (BStBl II Seite xxxx) gilt im Einvernehmen mit den obersten Finanzbehörden der Länder Folgendes:

Die Urteile sind über den jeweils entschiedenen Einzelfall hinaus entsprechend den nach-folgenden Regelungen anzuwenden. Das BMF-Schreiben vom 28.03.2007 (BStBl I Seite 464) wird aufgehoben.

1. Grundsätze der BFH-Rechtsprechung

1 Der BFH bestätigt in seinen Urteilen vom 26.07.2012 – VI R 30/09 – und – VI R 27/11 – die in seiner Entscheidung vom 05.09.2006 – VI R 41/02 – (BStBl II 2007 Seite 309) vertretene Rechtsauffassung, dass der Arbeitnehmer im Rahmen seiner Einkommensteuerveranlagung den geldwerten Vorteil wahlweise nach § 8 Abs. 2 EStG ohne Bewertungsabschlag und ohne Rabattfreibetrag oder mit diesen Abschlägen auf der Grundlage des Endpreises des Arbeitgebers nach § 8 Abs. 3 EStG bewerten lassen kann.

2 Nach Auffassung des BFH ist bei Anwendung des § 8 Abs. 2 EStG Vergleichspreis grundsätzlich der „günstigste Preis am Markt“. Endpreis i. S. d. § 8 Abs. 3 EStG ist nach Auffassung des BFH der am Ende von Verkaufsverhandlungen als letztes Angebot stehende Preis und umfasst deshalb auch Rabatte (Änderung der Rechtsprechung).

2. Zeitliche Anwendung der BFH-Rechtsprechung

3 Die BFH-Rechtsprechung ist sowohl im Lohnsteuerabzugsverfahren als auch im Veranlagungsverfahren in allen offenen Fallen anwendbar (vgl. aber Rdnr. 5 und Rdnr. 11).

3. Materielle Anwendung der BFH-Rechtsprechung

3.1. Endpreis i. S. d. § 8 Abs. 2 Satz 1 EStG
4 Einnahmen, die nicht in Geld bestehen (Wohnung, Kost, Waren, Dienstleistungen und sonstige Sachbezüge), sind mit den um übliche Preisnachlässe geminderten üblichen Endpreisen am Abgabeort anzusetzen (§ 8 Abs. 2 Satz 1 EStG); R 8.1 Abs. 2 Satz 9 LStR 2011 ist anzuwenden. Endpreis in diesem Sinne ist auch der nachgewiesene günstigste Preis einschließlich sämtlicher Nebenkosten, zu dem die konkrete Ware oder Dienstleistung mit vergleichbaren Bedingungen an Endverbraucher ohne individuelle Preisverhandlungen im Zeitpunkt des Zuflusses am Markt angeboten wird; R 8.1 Abs. 2 Satz 9 LStR 2011 ist nicht anzuwenden. Fallen Bestell- und Liefertag auseinander, sind die Verhältnisse am Bestelltag für die Preisfeststellung maßgebend (vgl. R 8.1 Abs. 2 Satz 8 LStR 2011). Markt in diesem Sinne sind alle gewerblichen Anbieter, von denen der Steuerpflichtige die konkrete Ware oder Dienstleistung im Inland unter Einbeziehung allgemein zugänglicher Internetangebote oder auf sonstige Weise gewöhnlich beziehen kann. § 8 Abs. 2 Sätze 2 bis 9 EStG bleiben unberührt.

5 Dem Arbeitgeber bleibt es unbenommen, im Lohnsteuerabzugsverfahren einen um übliche Preisnachlässe geminderten üblichen Endpreis am Abgabeort i. S. d. Rdnr. 4 Satz 1 anzusetzen. Er ist nicht verpflichtet, den günstigsten Preis am Markt i. S. d. Rdnr. 4 Satz 2 zu ermitteln. Der Arbeitnehmer kann im Rahmen seiner Einkommensteuerveranlagung den geldwerten Vorteil mit dem günstigsten Preis am Markt i. S. d. Rdnr. 4 Satz 2 bewerten (vgl. Rdnr. 10).

6 Der Arbeitgeber hat die Grundlagen für den ermittelten und der Lohnversteuerung zu Grunde gelegten Endpreis als Belege zum Lohnkonto aufzubewahren, zu dokumentieren und dem Arbeitnehmer auf Verlangen formlos mitzuteilen.

3.2. Endpreis i. S. d. § 8 Abs. 3 Satz 1 EStG
7 Endpreis i. S. d. § 8 Abs. 3 Satz 1 EStG ist der Preis, zu dem der Arbeitgeber oder der dem Abgabeort nächstansässige Abnehmer die konkrete Ware oder Dienstleistung fremden Letztverbrauchern im allgemeinen Geschäftsverkehr am Ende von Verkaufsverhandlungen durchschnittlich anbietet. Auf diesen Angebotspreis sind der gesetzliche Bewertungsabschlag von 4 Prozent und der gesetzliche Rabattfreibetrag von 1.080 Euro zu berücksichtigen (§ 8 Abs. 3 Satz 2 EStG).

8 Bei der Ermittlung des tatsächlichen Angebotspreises ist es nicht zu beanstanden, wenn als Endpreis i. S. d. § 8 Abs. 3 EStG der Preis angenommen wird, der sich ergibt, wenn der Preisnachlass, der durchschnittlich beim Verkauf an fremde Letztverbraucher im allgemeinen Geschäftsverkehr tatsächlich gewahrt wird, von dem empfohlenen Preis abgezogen wird.

Das BMF-Schreiben vom 18. Dezember 2009 (BStBl I 2010 Seite 20) zur Ermittlung des geldwerten Vorteils beim Erwerb von Kraftfahrzeugen vom Arbeitgeber in der Automobil-branche ist hinsichtlich des bisher zu berücksichtigenden Preisnachlasses in Hohe von 80 Prozent nicht mehr anzuwenden. Es gilt ansonsten unverändert fort.

9 Der Arbeitgeber hat die Grundlagen für den ermittelten und der Lohnversteuerung zu Grunde gelegten Endpreis als Belege zum Lohnkonto aufzubewahren, zu dokumentieren und dem Arbeitnehmer auf Verlangen formlos mitzuteilen.

3.3. Wahlrecht zwischen den Bewertungsmethoden nach § 8 Abs. 2 und Abs. 3 EStG
10 Der Arbeitnehmer kann den geldwerten Vorteil im Rahmen seiner Einkommensteuer-veranlagung nach § 8 Abs. 2 Satz 1 EStG (vgl. Rdnr. 4) bewerten. Der Arbeitnehmer hat den im Lohnsteuerabzugsverfahren der Besteuerung zu Grunde gelegten Endpreis i. S. d. § 8 Abs. 3 Satz 1 EStG und den Endpreis i. S. d. § 8 Abs. 2 Satz 1 EStG nachzuweisen (z. B. formlose Mitteilung des Arbeitgebers, Ausdruck eines günstigeren inländischen Angebots im Zeitpunkt des Zuflusses).

11 Dem Arbeitgeber bleibt es unbenommen, im Lohnsteuerabzugsverfahren den geldwerten Vorteil nach § 8 Abs. 3 Satz 1 EStG (vgl. Rdnr. 7) zu bewerten. Er ist nicht verpflichtet, den geldwerten Vorteil nach § 8 Abs. 2 Satz 1 EStG (vgl. Rdnr. 4) zu bewerten.

12 Beispiel
Ein Möbelhandelsunternehmen übereignet seinem Arbeitnehmer im Januar 2013 eine Schrankwand und im Februar 2013 eine Couch zu einem Preis von je 3.000 Euro. Bestell- und Liefertag fallen nicht auseinander. Der durch Preisauszeichnung angegebene Endpreis betragt jeweils 5.000 Euro. Das Möbelhandelsunternehmen gewahrt auf diese Möbelstücke durchschnittlich 10 Prozent Rabatt. Ein anderes inländisches Möbelhandelsunternehmen bietet diese Couch im Februar 2013 auf seiner Internetseite für 4.000 Euro an. Der Arbeitgeber hat die geldwerten Vorteile nach § 8 Abs. 3 Satz 1 EStG bewertet. Der Arbeitnehmer beantragt im Rahmen seiner Einkommensteuerveranlagung die Bewertung des geldwerten Vorteils für die Couch nach § 8 Abs. 2 Satz 1 EStG und legt einen Ausdruck des günstigeren Angebots vor.

Steuerliche Behandlung im Lohnsteuerabzugsverfahren:
Endpreis i. S. d. § 8 Abs. 3 Satz 1 EStG ist der am Ende von Verkaufsverhandlungen durchschnittlich angebotene Preis des Arbeitgebers in Hohe von jeweils 4.500 Euro (= 5.000 Euro abzgl. durchschnittlichem Rabatt von 10 Prozent). Zur Ermittlung des geldwerten Vorteils aus der Übereignung der Schrankwand ist der Endpreis um 180 Euro (= 4 Prozent) zu kürzen, so dass sich nach Anrechnung des vom Arbeitnehmer gezahlten Entgelts von 3.000 Euro ein Arbeitslohn von 1.320 Euro ergibt. Dieser Arbeitslohn überschreitet den Rabatt-Freibetrag von 1.080 Euro um 240 Euro, so dass dieser Betrag für Januar 2013 zu versteuern ist. Zur Ermittlung des geldwerten Vorteils aus der Übereignung der Couch ist der Endpreis von 4.500 Euro um 180 Euro (= 4 Prozent) zu kürzen, so dass sich nach Anrechnung des vom Arbeitnehmer gezahlten Entgelts von 3.000 Euro ein Arbeitslohn von 1.320 Euro ergibt. Der Rabatt-Freibetrag kommt nicht mehr in Betracht, da er bereits bei der Ermittlung des geldwerten Vorteils aus der Übereignung der Schrankwand berücksichtigt wurde. Daher ist ein Arbeitslohn von 1.320 Euro für Februar 2013 zu versteuern.

Steuerliche Behandlung im Veranlagungsverfahren:
Endpreis i. S. d. § 8 Abs. 2 Satz 1 EStG ist die nachgewiesene günstigste Marktkondition in Höhe von 4.000 Euro. Zur Ermittlung des geldwerten Vorteils aus der Übereignung der Couch ist der Endpreis nicht zu kürzen, so dass sich nach Anrechnung des vom Arbeitnehmer gezahlten Entgelts ein Arbeitslohn von 1.000 Euro (statt bisher 1.320 Euro) ergibt. Die Freigrenze für Sachbezüge nach § 8 Abs. 2 Satz 9 EStG ist überschritten, so dass ein Arbeitslohn von 1.000 Euro zu versteuern ist. Der bisher versteuerte Arbeitslohn (vgl. Zeile 3 des Ausdrucks der elektronischen Lohnsteuerbescheinigung für 2013) ist durch das Finanzamt um 320 Euro zu mindern.

Quelle: BMF

Reparaturkosten infolge Falschbetankung neben der Entfernungspauschale als Werbungskosten abziehbar

Das Niedersächsische Finanzgericht (NFG) hat mit Urteil vom 24.04.2013 (Az.: 9 K 218/12) einer Klage zur steuerlichen Abzugsfähigkeit von Kfz-Reparaturaufwendungen stattgegeben. Die Kosten waren dem Kläger wegen eines durch eine Falschbetankung auf dem Weg zur Arbeitsstelle verursachten Motorschadens entstanden. Das Gericht hat sich dabei gegen die zu diesem Problemkreis bisher ergangene FG-Rechtsprechung und die Auffassung der Finanzverwaltung gestellt.

Der Kläger hatte auf dem Weg von seinem Wohnort zur Arbeitsstelle beim Tanken aus Unachtsamkeit statt Diesel Benzin in sein Fahrzeug eingefüllt. Als der Motor kurze Zeit nach Fortsetzung der Fahrt „unregelmäßig“ lief, bemerkte er das Unglück. Der Kläger gelangte noch bis zu einer nahe gelegenen Werkstatt, die den Motorschaden reparierte. Die Versicherung lehnte eine Erstattung der Reparaturkosten (ca. 4.300 Euro) wegen der Sorgfaltspflichtverletzung des Klägers ab. Das Finanzamt meinte, neben der Entfernungspauschale (sog. Pendlerpauschale) seien nur Kosten eines Unfalls zum Werbungskostenabzug zuzulassen. Die Falschbetankung sei aber kein Unfall.

Das NFG stand vor dem Rechtsproblem, dass nach dem Wortlaut der Vorschrift des § 9 Abs. 2 Satz 1 EStG mit dem Ansatz der verkehrsmittelunabhängigen Entfernungspauschale seit dem Jahr 2001 sämtliche Kosten für Wege zwischen Wohnung und Arbeitsstätte abgegolten sein sollten. Die seit Einführung der Entfernungspauschale hierzu ergangene FG-Rechtsprechung und ein Teil der steuerrechtlichen Literatur haben mit Blick auf diesen Wortlaut Ausnahmen stets abgelehnt. Die Finanzverwaltung hat gleichwohl im Grundsatz Unfallkosten neben der Entfernungspauschale zum Werbungskostenabzug zugelassen.

Der 9. Senat des NFG hat dagegen die durch den Ansatz der Entfernungspauschale erfolgte Abgeltungswirkung auf die gewöhnlichen (laufenden) Kfz-Kosten, die einer Pauschalierung zugänglich sind, begrenzt und damit im Wege der Gesetzesauslegung die Rechtslage wiederhergestellt, die vor 2001 seit mehreren Jahrzehnten bestand. Danach waren neben der früheren Kilometerpauschale stets außergewöhnliche Wegekosten (z. B. Motorschaden, Diebstahl, Unfall) als Werbungskosten abzugsfähig.

Nach Überzeugung des Gerichts entspricht diese Auslegung dem in den Gesetzesmaterialien ausreichend klar zum Ausdruck kommenden objektivierten Willen des Gesetzesgebers. Im Übrigen ist eine solche Auslegung – so die Finanzrichter – auch verfassungsrechtlich geboten, da anderenfalls § 9 Abs. 2 Satz 1 EStG einem Abzugsverbot für Werbungskosten gleichkomme. Für eine solche Durchbrechung des objektiven Nettoprinzips fehle aber die erforderliche sachliche Rechtfertigung.

Das NFG hat die Revision zum Bundesfinanzhof (BFH) wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache und Fortbildung des Rechts zugelassen. Ein Az. des BFH ist derzeit noch nicht bekannt.

Quelle: FG Niedersachsen, Pressemitteilung vom 17.05.2013 zum Urteil 9 K 218/12 vom 24.04.2013

Abzug von außergewöhnlichen Kfz-Kosten als Werbungskosten neben der Entfernungspauschale / Umfang der Abgeltungswirkung des § 9 Abs. 2 Satz 1 EStG
1. Durch eine Falschbetankung auf dem Weg vom Wohnort zur Arbeitsstelle und den dadurch herbeigeführten Motorschaden verursachte Reparaturaufwendungen sind als Werbungskosten gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG steuermindernd bei den Einkünften des Klägers aus nichtselbständiger Arbeit zu berücksichtigen (entgegen seit Einführung der Entfernungspauschale ergangener FG-Rechtsprechung; entgegen BMF-Schreiben vom 3. Januar 2013 IV C 5 – S 2351/09/10002 – DOK 2012/11700915, FR 2013, 190 Tz. 4).2. Außergewöhnliche Wegekosten, die einer Pauschalierung grundsätzlich nicht zugänglich sind, sind nicht durch den Ansatz der Entfernungspauschale von 0,30 Euro (§ 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG) abgegolten, denn sie werden durch die in § 9 Abs. 2 Satz 1 EStG gesetzlich normierte Abgeltungswirkung nicht erfasst.3. Der in den Gesetzesbegründungen anlässlich der Einführung der Entfernungspauschale im Jahr 2001 und den folgenden Gesetzesänderungen des § 9 EStG zum Ausdruck kommende objektivierte Wille des Gesetzgebers gebietet eine entsprechende Auslegung des § 9 Abs. 2 Satz 1 EStG gegen den scheinbar klaren Wortlaut.

4. Da außergewöhnliche Wegekosten bei beruflicher Veranlassung grundsätzlich Werbungskosten gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG darstellen, würde bei einer durch die bisherige FG-Rechtsprechung vorgenommenen (einschränkenden) Auslegung ansonsten § 9 Abs. 2 Satz 1 EStG in seiner Wirkung einem Abzugsverbot für Werbungskosten gleichkommen.

5. Zur Vermeidung eines sachlich nicht gerechtfertigten Verstoßes gegen das objektive Nettoprinzip ist daher § 9 Abs. 2 Satz 1 EStG in verfassungskonformer Weise über den Wortlaut hinaus so auszulegen, dass lediglich laufende Kfz- und Wegekosten, die grundsätzlich einer Pauschalierung zugänglich sind, von der Abgeltungswirkung erfasst werden.

Niedersächsisches Finanzgericht 9. Senat, Urteil vom 24.04.2013, 9 K 218/12

§ 9 Abs 1 S 1 EStG, § 9 Abs 1 S 3 Nr 4 EStG, § 9 Abs 2 S 1 EStG

Tatbestand

1
Streitig ist der Werbungskostenabzug von Reparaturkosten, die infolge einer Falschbetankung auf einer Fahrt zwischen Wohnung und Arbeitsstätte entstanden sind.
2
Die Kläger sind Eheleute, die im Streitjahr 2010 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt werden. Die Kläger beziehen beide Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Der Kläger ist Angestellter der X-AG.
3
Im Rahmen der Einkommensteuererklärung  für das Streitjahr 2010 beantragte der Kläger den Abzug von 4.264 € für die Reparatur seines Pkw´s als Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit. Nach den Angaben des Klägers war die Reparatur durch eine Falschbetankung auf dem Weg zur Arbeitsstätte verursacht.
4
Der Steuererklärung beigefügt war eine Unfall-/Schadenmeldung an die X- Versicherungsvermittlungs-GmbH. Danach hatte der Kläger am 5. November 2009 auf dem Weg zur Arbeitsstelle in W an der Tankstelle in C irrtümlich anstatt Diesel Benzin getankt und diese Falschbetankung erst kurz vor F bemerkt, als das Fahrzeug „unregelmäßig“ fuhr. Der Pkw wurde nach der Schadensschilderung des Klägers anschließend beim Autohaus W in F zur Reparatur abgegeben.
5
Nach den Feststellungen des Senats ereigneten sich sowohl die Falschbetankung als auch der anschließende Motorschaden am 5. November 2009 auf dem  Weg vom Wohnort des Klägers in R zur Arbeitsstelle in W. Dieser Sachverhalt ist zwischen den Beteiligten auch unstreitig (vgl. Protokoll der mündlichen Verhandlung von 24. April 2013).
6
Die Reparaturkosten betrugen nach der Rechnung des Autohauses W vom 30. November 2009 insgesamt 4.263,19 € (Arbeitspreis: 614,87 €; Materialkosten: 2.967,64 € inkl. 15,26 € für Betankung nach Reparatur; Umsatzsteuer: 680,68 €). Bezüglich der Einzelpositionen wird auf die Rechnung vom 30. November 2009 Bezug genommen.
7
Der Steuererklärung beigefügt war zudem ein Schreiben der X-AG vom 4. Januar 2010, in dem mitgeteilt wurde, dass der Kläger für seinen Schaden unbeschränkt selbst hafte und die Reparaturkosten selbst zu zahlen habe.
8
Das beklagte Finanzamt ließ die Aufwendungen nicht zum Abzug zu. Diese Entscheidung wurde damit begründet, dass die Kosten mit dem Ansatz der Kilometerpauschale abgegolten seien und es sich auch nicht um einen Verkehrsunfall gehandelt habe.
9
Der gegen den entsprechenden Einkommensteuerbescheid 2010 gerichtete Einspruch hatte keinen Erfolg.
10
Mit der vorliegenden Klage verfolgen die Kläger ihr Begehren auf Abzug der Reparaturkosten als Werbungskosten weiter. Zur Begründung tragen sie im Wesentlichen Folgendes vor:
11
Die durch die Falschbetankung verursachten Reparaturkosten seien wie Unfallkosten zu behandeln und damit steuerlich neben der Entfernungspauschale abzugsfähig. Ein Unfall sei ein unerwünschtes, von außen auf einen und/oder mehrere Menschen oder Dinge rasch einwirkendes Ereignis, dass zu einem unfreiwilligen Schaden führe. Genauso sei die Falschbetankung passiert. Für den Abzug solcher Unfallkosten als Werbungskosten sei es grundsätzlich ohne Bedeutung, ob neben der beruflichen Veranlassung weitere Umstände den Unfall herbeigeführt hätten, insbesondere, ob der Unfall auf das Verhalten eines Dritten oder eines Naturereignisses zurückzuführen seien. Auch das eigene Verhalten des Steuerpflichtigen, z.B. bei der Unfallverursachung, sei steuerlich ohne Bedeutung, wenn und solange dieses Verhalten nicht dem Bereich der privaten Lebensführung zuzurechnen sei. Das sei vorliegend nicht der Fall. Der Schaden sei auch nicht abwendbar gewesen. Zu einem Unfall zählten nicht nur Verkehrsunfälle, sondern auch vergleichbare Ereignisse.
12
Die Kläger beantragen,
13
den Einkommensteuerbescheid 2010 in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom 2. Juli 2012 abzuändern und weitere Werbungskosten in Höhe von 4.248 € bei den Einkünften des Klägers aus nichtselbständiger Arbeit steuermindernd zu berücksichtigen und die Einkommensteuer entsprechend herabzusetzen.
14
Der Beklagte beantragt,
15
die Klage abzuweisen.
16
Der Beklagte weist darauf hin, dass gemäß § 9 Abs. 2 Satz 1 EStG klargestellt sei, dass durch die Entfernungspauschalen sämtliche Aufwendungen abgegolten seien, die durch die Wege zwischen Wohnung und Arbeitsstätte und durch die Familienheimfahrten veranlasst seien. Auf die Frage, ob der entstandene Schaden am Fahrzeug durch die Falschbetankung mit einem Unfall vergleichbar sei, komme es nicht an. Im Übrigen habe der Kläger eine erhebliche Sorgfaltspflichtverletzung begangen. Das habe auch dazu geführt, dass die Versicherung den Schaden nicht übernommen habe. Der Schaden sei abwendbar gewesen, wenn der Kläger nicht losgefahren wäre. Der beantragte Werbungskostenabzug führe vorliegend ausschließlich zur Belastung der Allgemeinheit und sei deshalb zu versagen. Bezüglich des weiteren Vorbringens verweist der Beklagte auf seinen Einspruchsbescheid vom 2. Juli 2012.
 

Entscheidungsgründe

17
1. Die Klage ist begründet.
18
Der angefochtene Einkommensteuerbescheid 2010 vom 23. Dezember 2011 und die Einspruchsentscheidung vom 2. Juli 2012 sind rechtwidrig und verletzen die Kläger in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 Finanzgerichtsordnung – FGO -).
19
Die durch die Falschbetankung auf dem Weg vom Wohnort zur Arbeitsstelle und den dadurch herbeigeführten Motorschaden verursachten Reparaturaufwendungen sind als Werbungskosten gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG steuermindernd bei den Einkünften des Klägers aus nichtselbständiger Arbeit zu berücksichtigen (§ 19 Abs. 1 Satz 1 EStG).
20
a. Nach § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG sind Werbungskosten Aufwendungen zur Erwerbung, Sicherung und Erhaltung von Einnahmen. Zu den Erwerbsaufwendungen zählen beruflich veranlasste Fahrtkosten. Sie sind nach § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG mit den tatsächlich entstandenen Aufwendungen oder mit 0,30 € pro gefahrenen Kilometer als Werbungskosten abzugsfähig. Allerdings begrenzt § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG die Abzugsfähigkeit der Aufwendungen des Arbeitnehmers für Fahrten zwischen Wohnung und regelmäßiger Arbeitsstätte (ab VZ 2014: erste Tätigkeitsstätte). Diese sind nur in Höhe der Entfernungspauschale abzugsfähig.
21
Bei den streitbefangenen Reparaturkosten, die infolge der Falschbetankung auf dem Weg zur Arbeitsstelle entstanden sind, handelt es sich dagegen um außergewöhnliche, nicht durch die vorgenannten Kilometerpauschbeträge abgegoltenen Aufwendungen.
22
Mit diesen Kilometerpauschbeträgen gemäß § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG sind nach der ständigen Rechtsprechung des BFH dazu die normalen, voraussehbaren Kosten, die dem Arbeitnehmer bei Benutzung des eigenen privaten PKW für berufliche Zwecke entstehen, abgegolten. Deshalb können insbesondere Kraftfahrzeugsteuern, Haftpflichtversicherungsprämien, übliche Reparaturkosten, Parkgebühren und Absetzung für Abnutzung nicht neben den Kilometer-Pauschbeträgen als Werbungskosten abgezogen werden. In den Pauschbeträgen sind indessen nicht berücksichtigt Unfallkosten und sonstige Kosten, die ihrer Natur nach außergewöhnlich sind und sich einer Pauschalierung entziehen (vgl. BFH-Urteil vom 29. Januar 1982 VI R 133/79, BStBl II 1982, 325, m.w.N.; BFH-Urteil vom 22. September 2010 VI R 54/09, BStBl. II 2011, 354). Zu den durch diese Norm nicht abgegoltenen Aufwendungen gehören – ähnlich den Reparaturkosten bei Motorschäden (vgl. hierzu BFH-Urteil vom 29. Januar 1982 VI R 133/79, BStBl II 1982, 325, m.w.N) – auch die im Streitfall durch die Falschbetankung verursachten Aufwendungen. Auch derartige Kosten sind einer Pauschalierung nicht zugänglich und können daher neben der Entfernungspauschale als (normale) Werbungskosten gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG abgezogen werden, denn sie sind ohne Zweifel durch das Arbeitsverhältnis veranlasst. Entscheidend ist insoweit der Anlass der Fahrt (vgl. BFH-Urteil vom 28. Oktober 1994 VI R 54/94, BFH/NV 1995, 668 betr. Pkw-Unfallschaden bei der Fahrt zu einer Betriebsveranstaltung).
23
Da nach den Feststellungen des Senats sowohl die Falschbetankung als auch der dadurch verursachte Motorschaden am 5. November 2009 auf dem (direkten) Weg zur Arbeitsstelle in W stattgefunden haben, steht diese Veranlassung durch das Arbeitsverhältnis fest.
24
Entgegen der Auffassung des Beklagten steht dem Werbungskostenabzug nicht entgegen, dass die Falschbetankung und damit der Schaden am Motor ggf. durch ein grob fahrlässiges Handeln des Klägers verursacht worden ist (vgl. BFH-Urteil vom 24. Mai 2007 VI R 73/05, BStBl. II 2007, 766 betr. Schadensfahrt unter Alkoholeinfluss). Ausnahmsweise kommt der Werbungskostenabzug nur dann nicht in Betracht, wenn das auslösende Moment die alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit war. Hierfür hat der Senat keine Anhaltspunkte.
25
Ebenso hat der Senat keine Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger in Kenntnis der Falschbetankung losgefahren ist und damit der Schaden vermeidbar gewesen wäre.
26
Da die Kläger in der mündlichen Verhandlung ihren Klageantrag eingeschränkt haben und auf Hinweis des Senats die Betankungskosten von 15,26 € nicht mehr geltend machen, ist im Übrigen die Höhe des Werbungskostenabzugs zwischen den Beteiligten unstreitig. Insoweit hat auch der Senat keine Bedenken, da es sich um reine Reparaturkosten handelt.
27
b. Entgegen der Auffassung des Beklagten sind derartige außergewöhnliche Wegekosten nicht durch den Ansatz der Entfernungspauschale von 0,30 € (§ 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG in der für das Streitjahr geltenden Fassung) abgegolten, denn sie werden durch die in § 9 Abs. 2 Satz 1 EStG in der für das Streitjahr geltenden Fassung gesetzlich normierte Abgeltungswirkung nicht erfasst.
28
aa. Gemäß § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 Sätze 1 und 2 EStG (in der für das Streitjahr geltenden Fassung) sind Werbungskosten auch die Aufwendungen des Arbeitnehmer für die Wege zwischen Wohnung und Arbeitsstätte. Zur Abgeltung dieser Aufwendungen ist für jeden Arbeitstag, an dem der Arbeitnehmer die Arbeitsstätte aufsucht, eine Entfernungspauschale für jeden vollen Kilometer der Entfernung zwischen Wohnung und Arbeitsstätte von 0,30 € anzusetzen, höchstens jedoch 4.500 € im Kalenderjahr; ein höherer Betrag ist anzusetzen, soweit der Arbeitnehmer einen eigenen oder ihm zur Nutzung überlassenen Pkw benutzt. Gemäß § 9 Abs. 2 Satz 1 EStG gilt, dass durch die Entfernungspauschalen sämtliche Aufwendungen abgegolten sind, die durch die Wege zwischen Wohnung und Arbeitsstätte und durch die Familienheimfahrten veranlasst sind.
29
Die Rechtsentwicklung bis zu der vorstehenden Gesetzesfassung, die historische Gesetzesentstehung und die jeweiligen gesetzgeberischen Motive geben nach Überzeugung des Senats Aufschluss über das Verständnis der streitentscheidenden Vorschriften.
30
(1) Nach der bis einschließlich zum Veranlagungszeitraum 2000 geltenden Fassung des § 9 Abs. 1 Satz 3  EStG unterschied der Gesetzgeber vom Verkehrsmittel abhängig wie folgt:
31
„Werbungskosten sind auch …
32
4. Aufwendungen des Arbeitnehmers für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte. Fährt der Arbeitnehmer an einem Arbeitstag mehrmals zwischen Wohnung und Arbeitsstätte hin und her, so sind die zusätzlichen Fahrten nur zu berücksichtigen, soweit sie durch einen zusätzlichen Arbeitseinsatz außerhalb der regelmäßigen Arbeitszeit oder durch eine Arbeitszeitunterbrechung von mindestens vier Stunden veranlaßt sind. Hat ein Arbeitnehmer mehrere Wohnungen, so sind die Fahrten von oder zu einer Wohnung, die nicht der Arbeitsstätte am nächsten liegt, nur zu berücksichtigen, wenn sie den Mittelpunkt der Lebensinteressen des Arbeitnehmers bildet und nicht nur gelegentlich aufgesucht wird. Bei Fahrten mit einem eigenen oder zur Nutzung überlassenen Kraftfahrzeug sind die Aufwendungen mit den folgenden Pauschbeträgen anzusetzen:
33
a)bei Benutzung eines Kraftwagens 0,70 Deutsche Mark,
34
b)bei Benutzung eines Motorrads oder Motorrollers 0,33 Deutsche Mark“
35
Mit diesen Kilometerpauschbeträgen waren nach der ständigen Rechtsprechung des BFH dazu die normalen, voraussehbaren Kosten, die dem Arbeitnehmer bei Benutzung des eigenen privaten PKW für berufliche Zwecke entstehen, abgegolten. Deshalb konnten insbesondere Kraftfahrzeugsteuern, Haftpflichtversicherungsprämien, übliche Reparaturkosten, Parkgebühren und Absetzung für Abnutzung nicht neben den Kilometer-Pauschbeträgen als Werbungskosten abgezogen werden. In den Pauschbeträgen waren indessen nicht berücksichtigt Unfallkosten und sonstige Kosten, die ihrer Natur nach außergewöhnlich sind und sich einer Pauschalierung entziehen (vgl. etwa BFH-Urteile vom 29. Januar 1982 VI R 133/79, BStBl. II 1982, 325, m.w.N. betr. Motorschaden; vom 22. September 2010 VI R 54/09, BStBl. II 2011, 354 betr. Kosten eines Chauffeurs; vom 21. August 2012 VIII R 33/09, BFH/NV 2013, 114 betr. Unfallkosten). Diese außergewöhnlichen Kosten waren daneben als Werbungskosten gemäß § 9  Abs. 1 Satz 1 EStG abzugsfähig.
36
Dieser Auffassung war auch die Finanzverwaltung gefolgt (siehe H 42 – außergewöhnliche Kosten – LStH 2000).
37
(2) Durch das Gesetz zur Einführung der Entfernungspauschale erfolgte aus umwelt- und verkehrspolitischen Gründen ab dem Veranlagungszeitraum 2001 eine Umstellung der steuerlichen Berücksichtigung von Aufwendungen für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte sowie für Familienheimfahrten von einem Kilometerpauschbetrag auf eine einheitliche verkehrsmittelunabhängige Entfernungspauschale. Aus sozialen Erwägungen wurde die Entfernungspauschale auf 0,80 DM angehoben, um die zusätzlichen Belastungen der Kraftfahrzeugnutzer durch die erhöhten Treibstoffkosten abzufedern (BT-Drucks. 14/4242 S. 5).
38
Die Regelung des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG lautete nun wie folgt:
39
„4. Aufwendungen des Arbeitnehmers für die Wege zwischen Wohnung und Arbeitsstätte. Zur Abgeltung dieser Aufwendungen ist für jeden Arbeitstag, an dem der Arbeitnehmer die Arbeitsstätte aufsucht, eine Entfernungspauschale für jeden vollen Kilometer der Entfernung zwischen Wohnung und Arbeitsstätte von 0,70 DM für die ersten 10 Kilometer und 0,80 DM für jeden weiteren Kilometer anzusetzen, höchstens jedoch 10.000 DM; ein höherer Betrag als 10.000 DM ist anzusetzen, soweit der Arbeitnehmer einen eigenen oder ihm zur Nutzung überlassenen Kraftwagen benutzt. … „
40
Zusätzlich wurden die Sätze 1 und 2 wie folgt in § 9 Abs. 2 EStG neu eingefügt:
41
„(2) Durch die Entfernungspauschalen sind sämtliche Aufwendungen abgegolten, die durch die Wege zwischen Wohnung und Arbeitsstätte und durch die Familienheimfahrten veranlasst sind. Aufwendungen für die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel können angesetzt werden, soweit sie den als Entfernungspauschale abziehbaren Betrag übersteigen. …“
42
Nach dem Regierungsentwurf des Gesetzes zur Einführung einer Entfernungspauschale war zunächst dem neuen § 9 Abs. 2 Satz 1 EStG nach einem Semikolon angefügt worden:
43
„dies gilt auch für Aufwendungen in Folge eines Verkehrsunfalls.“
44
Nach der Begründung dieses Entwurfs sollten mit der Entfernungspauschale sämtliche Aufwendungen, die durch die Wege zwischen Wohnung und Arbeitsstätte bzw. Familienheimfahrten veranlasst sind, abgegolten sein. Sie sollte danach auch ein Beitrag zur Steuervereinfachung sein, weil sie zukünftig Rechtsstreitigkeiten zwischen den Steuerpflichtigen und dem Finanzamt über die Berücksichtigung besonderer Kosten (z.B. Kosten für Abholfahrten)und außergewöhnlicher Kosten (z.B. Unfallkosten) bei den Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte und Familienheimfahrten vermeidet (vgl. BT-Drucks. 14/4242, S. 6).
45
Auf Empfehlung des Finanzausschusses des Deutschen Bundestages wurde jedoch später der zweite Halbsatz des § 9 Abs. 2 Satz 1 EStG im Regierungsentwurf wieder gestrichen, „um eine Schlechterstellung von Pkw-Nutzern gegenüber der ursprünglichen Regelung“ zu vermeiden (vgl. BT-Drucks. 14/4631 S.11).
46
Diesem Willen des Gesetzgebers Rechnung tragend hat die Finanzverwaltung die Gesetzesfassung des § 9 Abs. 2 Satz 1 EStG so ausgelegt, dass zumindest Unfallkosten als außergewöhnliche Kosten auch weiterhin neben der Entfernungspauschale zu berücksichtigen sind (vgl. BMF 11. Dezember 2001 IV C 5-S 2351-300/01, BStBl. I 2001, 994 Tz. 3).
47
(3) Im Steueränderungsgesetz 2007 vom 19. Juli 2006 (BStBl. I 2006, 432) wurden ab VZ 2007 die Aufwendungen für Wege zwischen Wohnung und Arbeitsstätte nicht mehr als Werbungskosten anerkannt. Diese Aufwendungen wurden als Entfernungspauschale nur noch ab dem 20 km Entfernung „wie“ Werbungskosten berücksichtigt (vgl. § 9 Abs. 2 EStG in der Fassung des StÄndG 2007).
48
In der Gesetzesbegründung heißt es hierzu (BT-Drucks. 16/1545, 14 linke Spalte 2. Absatz):
49
In den Beratungen zum Gesetz zur Einführung einer Entfernungspauschale (BGBl. 2000 I S. 1918) ist zum Ausdruck gebracht worden, dass neben der Entfernungspauschale weiterhin Unfallkosten als außergewöhnliche Kosten berücksichtigt werden sollen (Bundestagsdrucksache 14/4631), obwohl § 9 Abs. 2 Satz 1 EStG bestimmt, dass mit der Entfernungspauschale sämtliche Aufwendungen für das Zurücklegen der Wege zwischen Wohnung und Arbeitsstätte und für Familienheimfahrten abgegolten sind. An dieser Ausnahmeregelung wird, auch im Hinblick auf die Streichung der Sonderregelung für die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel, nicht mehr festgehalten. Ab 2007 sollen auch die Unfallkosten unter die Abgeltungswirkung fallen. Nach der Gesetzesänderung soll die Ausnahmeregelung nach Textziffer 3 des BMF-Schreibens vom 11. Dezember 2001 (BStBl I S. 994) aufgehoben werden.“
50
(4) Nachdem das Bundesverfassungsgericht mit Urteil vom 9. Dezember 2008 (2 BvL 1/07, 2 BvL 2/07, 2 BvL 1/08, 2 BvL 2/08, BVerfGE 122, 210) die unter (3) dargestellte Gesetzeslage für verfassungswidrig erklärt und vorläufig durch die vor 2007 bestehende Regelungslage ersetzt hatte, führte der Gesetzgeber durch das Gesetz zur Fortführung der Gesetzeslage 2006 bei der Entfernungspauschale die alte Gesetzeslage rückwirkend ab 2007 fort.
51
Im allgemeinen Teil der Gesetzesbegründung heißt es unter anderem (BT-Drucks. 16/12099 S. 6):
52
Der wesentliche materielle Unterschied zu der vorläufigen Regelung des Bundesverfassungsgerichts besteht darin, dass nach der Gesetzeslage 2006
53
– Aufwendungen für die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel auch abziehbar sind, soweit sie den als Entfernungspauschale abziehbaren Betrag übersteigen, und
54
– Unfallkosten als außergewöhnliche Aufwendungen nicht durch die Entfernungspauschale abgegolten sind.“
55
56
Durch die Entfernungspauschale sind weiterhin sämtliche Aufwendungen abgegolten, die durch die Wege zwischen Wohnung und regelmäßiger Arbeitsstätte und Familienheimfahrten entstehen
57
Entsprechend diesem gesetzgeberischen Willen lässt die Finanzverwaltung Unfallkosten auf dem Weg zwischen Wohnung und Arbeitsstätte wieder als außergewöhnliche Aufwendungen gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG zum Werbungskostenabzug zu. Sonstige gewöhnliche (z.B. Parkkosten, Finanzierungskosten, Versicherungsbeiträge, Beiträge für Kraftfahrerverbände) oder außergewöhnliche Aufwendungen (z.B. Diebstahl, Motorschaden) sollen aber von der Abgeltungswirkung des § 9 Abs. 2 Satz 1 EStG erfasst sein (so BMF-Schreiben vom 3. Januar 2013 IV C 5 – S 2351/09/10002 – DOK 2012/11700915, FR 2013, 190 Tz. 4).
58
bb. Seit der Einführung der Entfernungspauschale ist die steuerliche Bewertung der vorstehenden Gesetzesentwicklung im Hinblick auf die Frage der Reichweite der Abgeltungswirkung des § 9 Abs. 2 Satz 1 EStG umstritten.
59
(1) Soweit ersichtlich hatte sich der Bundesfinanzhof für Zeiträume ab VZ 2001 nicht mit Fällen der Abgeltungswirkung für außergewöhnliche Kosten für Wege zwischen Wohnung und Arbeitsstätte zu befassen. Im Übrigen vertritt der Bundesfinanzhof in ständiger Rechtsprechung die Auffassung, dass sich aus der Formulierung in § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 Satz 2 “zur Abgeltung … ist für jeden Arbeitstag … anzusetzen“ unmissverständlich ergebe, dass der  Abzugsbetrag ungeachtet tatsächlich höherer oder niedriger Aufwendungen je Arbeitstag berücksichtigt werde. Dies wird nach Auffassung des BFH zudem durch § 9 Abs. 2 Satz 1 EStG bestätigt. Danach greift die Abgeltungswirkung der Entfernungspauschale auch dann ein, wenn wegen atypischer Dienstzeiten Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte zweimal arbeitstäglich erfolgen. Sämtliche Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte seien damit abgegolten. Eine Einschränkung des Anwendungsbereiches im Wege einer teleologischen Reduktion auf „normale“ oder „typische“ Arbeitsverhältnisse sei nicht möglich. Der Gesetzgeber sei von Verfassungswegen nicht verpflichtet, für atypische Dienstzeiten eine Ausnahme von der Abgeltungswirkung der Entfernungspauschale vorzunehmen (vgl. BFH-Beschluss vom 11. September 2003 VI B 101/03, BStBl. II 2003, 893 betreffend Abgeltungswirkung der Entfernungspauschale bei einem Opernchorsänger; BFH-Beschluss vom 11. September 2012 VI B 43/12, BFH/NV 2012, 2023). Im Urteil vom 15. April 2010 (VI R 20/08, BStBl. II 2010, 805) hat der BFH die Abgeltungsreichweite der Entfernungspauschale insoweit präzisiert, als regelmäßig sämtliche mit dem Betrieb des Fahrzeugs verbundenen Aufwendungen abgegolten sind. Diese Abgeltungswirkung erfasse auch eine Leasingsonderzahlung. Dagegen ist nach Auffassung des BFH der Abzug der Kosten für ein in der Semestergebühr gegebenenfalls enthaltendes Semesterticket nicht von der Abgeltungswirkung des § 9 Abs. 2 Satz 1 EStG erfasst, wenn die Entrichtung eines gegebenenfalls in der Semestergebühr mitenthaltenen Betrags für ein Semesterticket auf einem anderen Veranlassungszusammenhang (z.B. der für das Studium erforderlichen Erlangung  des Studentenstatus) beruht (vgl. BFH-Urteil vom 22. September 2011 III R 38/08, BStBl. II 2012, 338).
60
(2) Die bislang mit der Rechtsproblematik befassten Finanzgerichte sind bis auf eine Ausnahme (siehe unten) der Auffassung, dass durch außergewöhnliche Ereignisse wie Diebstahl, Unfall oder Motorschaden verursachte Aufwendungen nicht zusätzlich als Werbungskosten neben der Entfernungspauschale geltend gemacht werden können (vgl. u.a. FG München, Urteil vom 21. April 2009 13 K 4357/07, juris, betr. Motorschaden aufgrund vorzeitigem Verschleiß; FG Hamburg, Urteil vom 5. Juli 2006 1 K 4/06, EFG 2006, 1822 betr. auf der Fahrt zur Arbeit gestohlener PKW; FG Nürnberg, Urteil vom 4. März 2010 4 K 1497/08, EFG 2010, 1125 betr. Verkehrsunfall auf dem Weg zur Arbeit; Hessisches Finanzgericht, Urteil vom 18. März 2005 8 K 4194/04, DStRE 2006, 258 betr. Diebstahl eines Motorrollers; FG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 29. Mai 2008 3 K 1699/05, DStRE 2008, 1498 betr. Kfz-Unfall).
61
Soweit ersichtlich, ist nur das FG Schleswig–Holstein (Urteil vom 30. September 2009 2 K 386/07, DStRE 2010, 147) der Auffassung, dass die Abgeltungswirkung des § 9 Abs. 2 Satz 1 EStG nur gewöhnliche Kosten umfasst, die durch die Wege zwischen Wohnung und Arbeitsstätte entstehen. Danach könnten außergewöhnliche Kosten neben der Entfernungspauschale abgezogen werden. Diese Auffassung stützt sich auf die ältere Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes zur Rechtslage bis einschließlich VZ 2000. Im dortigen Streitfall spielte dies jedoch keine Rolle, da die streitbefangenen Mautgebühren  als gewöhnliche Kosten angesehen und damit als mit der Entfernungspauschale abgegolten gewertet wurden. Eine Auseinandersetzung mit der bereits zur Zeit der Urteilsabfassung  vielfachen entgegenstehenden FG-Rechtsprechung zur Erfassung auch der außergewöhnlichen Kosten und dem entgegenstehenden Wortlaut des § 9 Abs. 2 Satz 1 EStG erfolgte nicht.
62
Die übrige FG-Rechtsprechung stellt in erster Linie auf den Wortlaut des § 9 Abs. 2 Satz 1 EStG ab. Dieser eindeutige Wortlaut schließe die Geltendmachung weiterer – auch außergewöhnlicher – Aufwendungen aus (vgl. FG Nürnberg, Urteil vom 4. März 2010, a.a.O., m.w.N.). Die frühere Rechtsprechung des BFH, die neben den alten Kilometerbeträgen den Ansatz außergewöhnlicher Aufwendungen gestattete, beziehe sich auf einen anderen Gesetzestext und sei daher durch die Neufassung des § 9 Abs. 2 Satz 1 EStG mit Wirkung ab dem 1. Januar 2001 überholt (so ausdrücklich FG München, Urteil vom 21. April 2009, a.a.O.; FG Nürnberg, Urteil vom 4. März 2010, a.a.O.).
63
Durch die Entfernungspauschale seien nach der ausdrücklichen Bestimmung und nach dem unmissverständlichen Wortsinn sämtliche Aufwendungen für die Wege zwischen Wohnung und Arbeitsstätte abgegolten. Diese der Steuervereinfachung dienende Abgeltungswirkung habe angesichts des Wortlauts der Vorschrift zur Folge, dass außergewöhnliche Aufwendungen neben der Entfernungspauschale nicht mehr abziehbar seien. Neben dem Wortsinn des § 9 Abs. 2. Satz 1 EStG spreche auch die Systematik des Gesetzes dagegen, außergewöhnliche Kosten neben den Pauschalen für abzugsfähig zu halten. Ausnahmen von der in § 9 Abs. 2 Satz 1 EStG geregelten umfassenden Abgeltungswirkung seien in § 9 Abs. 2 Sätze 2 und 3 EStG geregelt. Daraus werde deutlich, dass eine Ausnahme für außergewöhnliche Kosten, wenn es denn eine geben sollte, dort bei den weiteren Ausnahmen hätte geregelt werden können und müssen. Das sei jedoch nicht geschehen, was auch jenseits des klaren Wortlauts dafür spreche, dass es für außergewöhnliche Kosten keine Ausnahme geben solle (vgl. Hessisches FG, Urteil vom 18. März 2005, a.a.O.).
64
Auch aus der Entstehungsgeschichte des Gesetzes soll sich nach der Auffassung der vorgenannten FG-Rechtsprechung nichts anderes ergeben. Zwar ergebe sich aus der Gesetzesbegründung, dass eine Schlechterstellung von PKW-Benutzern gegenüber der ursprünglichen Regelung nicht gewollt sei (BT-Drucksache 14/4631, S.11). Da die Abgeltungswirkung nun aber ausdrücklich gesetzlich verankert sei, liege die Schlussfolgerung nahe, dass darüber hinausgehende Aufwendungen nicht mehr abziehbar sein sollen. Ein möglicherweise bestehender anderweitiger Wille des Finanzausschusses helfe nicht über den klaren Wortlauts des §  9 Abs. 2 Satz 1 EStG hinweg. Es seien auch keine vernünftigen Gründe dafür ersichtlich, dass der Gesetzgeber angesichts des klaren Wortlautes nicht das zum Ausdruck gebracht habe, was er zum Ausdruck habe bringen wollen (vgl. Hessisches FG, Urteil vom 18. März 2005, a.a.O.).
65
Die Gesetzeshistorie könne nicht zur Begründung eines dem klaren Wortlaut des Gesetzes widersprechenden Ergebnisses herangezogen werden. Das Bundesverfassungsgericht habe wiederholt ausgesprochen, dass die Gesetzesmaterialien mit Vorsicht, nur unterstützend und insgesamt nur insofern herangezogen werden dürften, als sie auf einen objektiven Gesetzesinhalt schließen lassen. Der sogenannte Wille des Gesetzgebers bzw. der am Gesetzgebungsverfahren Beteiligten, könne bei der Interpretation nur insoweit berücksichtigt werden, als er im Text Niederschlag gefunden habe. Die Materialien dürften nicht dazu verleiten, die subjektiven Vorstellungen der gesetzgebenden Instanzen dem objektiven Gesetzesinhalt gleichzusetzen. Auch der BFH folge dieser Formel vom objektivierten Willen des Gesetzgebers. Eine Auslegung gegen den eindeutigen Gesetzeswortlaut sei nur in einem äußerst beschränkten Maße, und zwar dann zulässig, wenn die wortgetreue Auslegung zu einem offenbar unrichtigen bzw. zu einem jeder wirtschaftlichen Vernunft widersprechenden Ergebnis führen würde, dass dem Sinn und Zweck der Vorschrift und dem Willen des Gesetzgebers zuwiderlaufe (vgl. FG Nürnberg, Urteil vom 4. März 2010, a.a.O., unter Bezugnahme auf BFH-Urteil vom 3. September 1999 I B 169/98, BFH/NV 2000, 42).
66
Nach Auffassung der bisherigen FG-Rechtsprechung bestätigt der objektivierte Regelungswille, der in dem eindeutigen Wortlaut („sämtliche Aufwendungen“) seinen Niederschlag gefunden habe, schließlich auch denSinn und Zweck der Entfernungspauschale gemäß § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG. Sie diene dadurch der Vereinfachung, dass grundsätzlich nur noch die Entfernung zwischen Wohnung und Arbeitsstätte und die Anzahl der Arbeitstage festgestellt werden müsse. Dadurch entfalle für den Steuerpflichtigen das Erfordernis, seine Aufwendungen zu belegen und für die Verwaltung eine  diesbezügliche Überprüfung. Sinn und Zweck der Einführung der Abgeltungswirkung in § 9 Abs. 2 Satz 1 EStG sollte nach den gesetzgeberischen Motiven auch die Vermeidung zukünftiger Rechtsstreitigkeiten zwischen Steuerpflichtigen und dem Finanzamt über die Berücksichtigung besonderer Kosten (z.B. Kosten für Abholfahrten) und außergewöhnliche Kosten (z. B. Unfallkosten) bei den Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte sein (vgl. FG Münster, Urteil vom 19. Dezember 2012 11 K 1785/11 F, EFG 2013, 419, Rev. eingelegt, Az. des BFH: VIII R 12/13 betr. sog. Dreiecksfahrten). Wenn jedoch eine derartige Typisierung zur Verwaltungsvereinfachung vorgenommen werde, seien auch Unschärfen und von dem typischen Geschehensablauf abweichende Konstellationen  hinzunehmen. Der Gesetzgeber dürfe sich im Übrigen grundsätzlich am Regelfall orientieren und sei nicht gehalten, allen Besonderheiten jeweils durch Sonderregelungen Rechnung zu tragen. Der Gesetzgeber habe vor allem bei der Ordnung von Massenerscheinungen und deren Abwicklung einen Raum für generalisierende, typisierende und pauschalierende Regelungen. Dabei fordere der Gleichheitssatz nicht eine immer mehr individualisierende und spezialisierende Gesetzgebung, die letztlich die Gleichmäßigkeit des Gesetzesvollzugs gefährde. Es habe dem Gesetzgeber auch unter dem Blickwinkel des Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) freigestanden, für die Fahrten zwischen Wohnung und regelmäßiger Arbeitsstätte eine typisierende Abgeltungsregelung zu treffen, auch wenn dadurch nicht in allen Fällen die tatsächlich angefallenen Aufwendungen abgedeckt werden, selbst wenn es sich hierbei um nach der früheren Rechtslage berücksichtigungsfähige außergewöhnliche Aufwendungen handele (vgl. Hessisches FG, Urteil vom 18. März 2005, a.a.O.).
67
Selbst Unfallkosten auf dem Weg zwischen Wohnung und Arbeitsstätte werden nach der FG-Rechtsprechung trotz großzügiger Handhabung durch die Finanzverwaltung aus den vorstehenden Gründen nicht zum Werbungskostenabzug zugelassen (vgl. FG Nürnberg, Urteil vom 4. März 2010 a.a.O.; möglicherweise anderer Auffassung: FG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 29. Mai 2008 3 K 1699/05, DStRE 2008, 1498 betr. Anrechnung von Entschädigungsleistungen der privaten Vollkaskoversicherung auf entstandene Unfallkosten).
68
(3) Die Auffassungen zum Umfang der Abgeltungswirkung des § 9 Abs. 2 Satz 1 EStG sind in der steuerrechtlichen Literatur geteilt.
69
(a) Teilweise wird ausgehend vom Wortlaut des § 9 Abs. 2 Satz 1 EStG und dem Fehlen einer Abgeltungsregelung bis 2001 geschlossen, dass über die Entfernungspauschale hinaus ein Abzug auch außergewöhnlicher Aufwendungen unter Berufung auf die Grundvorschrift des § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG nicht möglich ist (so u.a. Bergkemper in Hermann/Heuer/Raupach, Kommentar zum EStG/KStG, § 9 Anm. 641; ders., FR 2011, 288, 289; Zimmer in Littmann/Bitz/Pust, Kommentar zum EStG, Stand Febr. 2013, 98 Erg. Lfg., § 9 Rz. 901; Urban, FR 2011, 289; Kettler, DStZ 2002, 677; Fuchsen, StB 2001, 122). Dies bedeute eine Schlechterstellung gegenüber der bis 2000 geltenden Rechtspraxis. Die Systematik (andere Ausnahmen sind explizit im Gesetz aufgeführt) und der Regelungszweck (Steuervereinfachung) werden zudem als Begründung angeführt. Die Entstehungsgeschichte des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG sei nicht entscheidend, weil es bei der Auslegung eines Gesetzes in erster Linie nicht auf den historischen, sondern einen objektivierten Willen des Gesetzgebers ankomme (so ausdrücklich Zimmer, a.a.O.).
70
(b) Ein anderer Teil, insbesondere der Kommentarliteratur, ist dagegen der Auffassung, dass auch nach Einführung des § 9 Abs. 2 Satz 1 EStG Aufwendungen, die ihrer Natur durch außergewöhnliche, nicht pauschalierbare Ereignisse entstehen, neben der Entfernungspauschale zu berücksichtigen sind (so Thürmer in: Blümich, Kommentar zum EStG/KStG/GewStG, § 9 EStG Rz. 510; Schmidt/Drenseck, EStG, 30. Auflage 2011, § 9  Rz. 126; Schmidt/Loschelder, EStG, 32. Auflage 2013, § 9 Rz. 126 jeweils unter Berufung auf BFH-Urteil vom 22. September 2010 VI R 54/09, BStBl. II 2011, 354; Frotscher, EStG-Kommentar, § 9 Rz. 148; v. Bornhaupt in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG-Kommentar, § 9 Rdnr. F90 ff.). Ungewöhnliche Kosten führten zu einer ungleichen Belastung des Steuerpflichtigen und müssten daher neben der Entfernungspauschale ansetzbar sein (so Frotscher, a.a.O.). Zudem werden die Gesetzesmaterialien zur Begründung herangezogen (so v. Bornhaupt in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, a.a.O.).
71
cc. Nach der Überzeugung des Senats werden die streitbefangenen Reparaturkosten als außergewöhnliche Kosten entgegen der von den vorgenannten Finanzgerichten und einem Teil der steuerrechtlichen Literatur vertretenen Auffassung nicht von der Abgeltungswirkung des § 9 Abs. 2 Satz 1 EStG erfasst.
72
(1) Zunächst ist den Vertretern der gegenteiligen Auffassung zuzugestehen, dass der Wortlaut des § 9 Abs. 2 Satz 1 EStG („sämtliche Aufwendungen“) scheinbar eine vom Senat vorgenommene Auslegung nicht zulässt (so wohl u.a. Bergkemper in Hermann/Heuer/Raupach, § 9 EStG Anm. 641; ders. FR 2011, 288, 289; Urban, FR 2011, 289). Maßgebend für die Interpretation einer gesetzlichen Vorschrift ist aber nicht nur der reine Wortlaut, sondern entscheidend ist der in ihm zum Ausdruck kommende objektivierte Wille des Gesetzgebers (vgl. BFH-Urteil vom 21. Oktober 2010 IV R 23/08, BFHE 231, 544, BStBl II 2011, 277). Der Feststellung dieses Willens dienen die Auslegung aus dem Wortlaut der Norm (grammatikalische Auslegung), aus dem Zusammenhang (systematische Auslegung), aus ihrem Zweck (teleologische Auslegung) sowie aus den Gesetzesmaterialien (vgl. hierzu Kanzler, FR 2007, 525) und der Entstehungsgeschichte (historische Auslegung). Zur Erfassung des Inhalts einer Norm darf sich der Richter dieser verschiedenen Auslegungsmethoden gleichzeitig und nebeneinander bedienen (vgl. BFH-Urteil vom 21. Oktober 2010, a.a.O.; Geserich, Beihefter zu DStR Heft 31/2011, 59).
73
Gegen den Wortlaut ist die Auslegung eines Gesetzes deshalb nur ausnahmsweise möglich, wenn nämlich die wortgetreue Auslegung zu einem sinnwidrigen (offenbar unrichtigen bzw. zu einem jeder wirtschaftlichen Vernunft widersprechenden, so unverständlichen Ergebnis führen würde, dass ein verständiger Steuerpflichtiger das Gesetz nicht so hätte auffassen können) Ergebnis führt, dass vom Gesetzgeber offensichtlich nicht beabsichtigt sein kann, oder wenn sonst anerkannte Auslegungsmethoden, etwa eine verfassungskonforme Auslegung, dies verlangen (Geserich, a.a.O., m.w.N.).
74
Aus Sicht des Senats wird der objektivierte Wille des Gesetzgebers in Bezug auf die Vorschrift des § 9 Abs. 2 Satz 1 EStG nur im Zusammenhang mit der historischen Gesetzesentwicklung und der diesbezüglichen Gesetzesbegründung deutlich. Wie bereits unter 1. b. aa. oben dargestellt wurde, waren zunächst bis zum Jahr 2000 mit den unterschiedlichen Kilometerpauschsätzen für Kraftwagen bzw. Motorräder oder Motorroller lediglich die normalen, voraussehbaren Kosten, die dem Arbeitnehmer bei der Benutzung der Verkehrsmittel für Wege zwischen Wohnung und Arbeitsstätte entstehen, abgegolten. Ausnahmsweise ließ das Gesetz in § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG a.F. auch mehrmalige Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte an einem Arbeitstag zum Werbungskostenabzug zu. Außergewöhnliche Kosten, die ihrer Natur nach einer Pauschalierung nicht zugänglich waren (z.B. Motorschaden, Unfallkosten und Ähnliches), waren daneben entsprechend der langjährigen höchstrichterlichen Rechtsprechung als Werbungskosten gem. § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG abzugsfähig. Mit der Gesetzesänderung ab dem Veranlagungszeitraum 2001 und der Einführung der einheitlichen, verkehrsmittelunabhängigen Entfernungspauschale wollte der Gesetzgeber mit der erstmaligen Einführung einer Abgeltungswirkung in § 9 Abs. 2 Satz 1 EStG offensichtlich eine Steuervereinfachung erzielen, und zwar zunächst im Hinblick auf die Vermeidung von Rechtsstreitigkeiten zwischen dem Steuerpflichtigen und dem Finanzamt über die Berücksichtigung besonderer Kosten (z.B. Kosten für Abholfahrten) und außergewöhnliche Kosten (z.B. Unfallkosten) bei Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte (BT-Drucks. 14/4242, Seite 6). Im Entwurf der Bundesregierung enthielt § 9 Abs. 2 Satz 1 EStG insoweit jedoch nach dem Semikolon den Nachsatz „dies gilt auch für Aufwendungen in Folge eines Verkehrsunfalls“. Ausweislich der vorgenannten Gesetzesbegründung ist klar zum Ausdruck gekommen, dass die Unfallkosten lediglich als Beispiel für außergewöhnliche Wegekosten gemeint sind. Um eine Schlechterstellung gegenüber der vorgenannten Rechtslage bis einschließlich VZ 2000 zu vermeiden, wurde dieser Nachsatz schließlich in der endgültigen Gesetzesfassung wieder weggelassen. Dadurch hat der Gesetzgeber in objektivierbarer Weise zum Ausdruck gebracht, dass mit dem schließlich Gesetz gewordenen Wortlaut des § 9 Abs. 2 Satz 1 EStG – anders als zunächst beabsichtigt – außergewöhnliche Kosten wie Unfallkosten nicht von der Abgeltungswirkung erfasst werden sollen. Anders wäre nicht erklärlich, warum der Gesetzgeber in der Ausgangsfassung des Regierungsentwurfes die Notwendigkeit gesehen hatte, die Unfallkosten ausdrücklich in die Umfang der Abgeltungswirkung mit aufzunehmen. Diesen Willen des Gesetzgebers entsprechend hat auch das maßgeblich an Gesetzesvorhaben beteiligte Bundesfinanzministerium gehandelt und zumindest Unfallkosten als außergewöhnliche Kosten auch weiterhin neben der Entfernungspauschale berücksichtigt. So gesehen ist auch nicht verwunderlich, dass der entgegenstehende Wortlaut der Regelung aus Kreisen der Finanzverwaltung als offensichtliches Redaktionsversehen dargestellt wird (vgl. Morsch, DStR 2001, 245). Danach war eine derartige Ausweitung der Abzugsbeschränkung vom Gesetzgeber gerade nicht beabsichtigt.
75
Das wird auch dadurch erkennbar, dass bei der Bemessung der Entfernungspauschale der Höhe nach der Gesetzgeber – gegenüber der bis VZ 2000 geltenden Kilometerpauschale – lediglich eine Steigerung der Benzinkosten berücksichtigt hat. Eine Einrechnung eines Betrags für außergewöhnliche Kosten hat – zutreffender Weise (weil nicht pauschalierungsfähig) – gar nicht stattgefunden.
76
Zweifel an diesem objektivierten Willen des Gesetzgebers, der in verunglückter Weise scheinbar im Wortlaut keinen klaren und eindeutigen Niederschlag gefunden hat, können aus Sicht des Senates nicht bestehen, denn der Gesetzgeber hat in mehrfacher Weise bei späteren Gesetzesänderungen in den Begründungen zum Ausdruck gebracht, dass weiterhin außergewöhnliche Kosten für Wege zwischen Wohnung und Arbeit abzugsfähig sein sollen (so z.B. in der Gesetzesbegründung zum Steueränderungsgesetz 2007, BT-Drucks. 16/1545, 14). Ab dem VZ 2007 sollten ausdrücklich auch die Unfallkosten unter die Abgeltungswirkung fallen.
77
Noch deutlicher wird dieser objektivierte Wille in der Gesetzesbegründung zum Gesetz zur Fortführung der Gesetzeslage 2006 bei der Entfernungspauschale (BT-Drucksache 16/12099, Seite 6). Hier führt der Gesetzgeber weiterhin aus, dass bis 2006 und auch zukünftig Unfallkosten als außergewöhnliche Aufwendungen nicht durch die Entfernungspauschale abgegolten sind. Durch die Entfernungspauschale sollen weiterhin sämtliche Aufwendungen abgegolten werden, die durch die Wege zwischen Wohnung und regelmäßiger Arbeitsstätte und Familienfahrten entstehen. Dies kann (bei gleichzeitiger Geltung des unveränderten Wortlauts „sämtliche Aufwendungen“) nur so verstanden werden, dass nach dem Willen des Gesetzgebers die üblichen, normalen, einer Pauschalierung zugänglichen Aufwendungen abgegolten sein sollen, nicht jedoch außergewöhnliche Kfz-Kosten wie z.B. Unfallkosten. So hat auch das Bundesfinanzministerium die aktuelle Gesetzesfassung – bezogen auf die Unfallkosten – im BMF-Schreiben vom 3. Januar 2013 (FR 2013, 190 Tz. 4) ausgelegt.
78
Im Ergebnis gebieten die vorgenannten Gesetzesentwicklungen und –begründungen aus Sicht des Senates zwingend eine Auslegung dahingehend, dass außergewöhnliche Aufwendungen nicht mit der Entfernungspauschale abgegolten sind.
79
Sinn und Zweck und Systematik des § 9 Abs. 2 Satz 1 EStG stehen dem nicht entgegen. Wie die Entscheidungen des BFH und der Finanzgerichte im Anschluss an die Gesetzesänderung im Jahr 2001 zeigen, bleibt der Steuervereinfachungszweck des § 9 Abs. 2 Satz 1 EStG erhalten. Dies gilt sowohl hinsichtlich sämtlicher laufenden Kfz-Kosten als auch hinsichtlich der Problematik von Mehrfach-, Umweg-, Dreiecks- oder Abholfahrten.
80
Aus systematischer Sicht vermag der Senat nicht zu erkennen, dass die Gesetzessystematik dem gefundenen Auslegungsergebnis widerspricht. Allein aus der Aufnahme weiterer tatsächlich neben der Entfernungspauschale zu berücksichtigender Kosten für die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel kann nicht geschlossen werden, dass alle anderen Kosten vom Werbungskostenabzug ausgeschlossen sein sollen.
81
(2) Obwohl für den Senat nicht bindend, hat die Finanzverwaltung den Umfang der Abgeltungswirkung in ähnlicher Weise interpretiert, insbesondere ausgehend ebenfalls von der Gesetzeshistorie und der Gesetzesbegründung, jedoch beschränkt auf die Unfallkosten. Entgegen der Auffassung des Klägers kann der Senat jedoch nicht prüfen, ob die im vorliegenden Streitfall relevanten Reparaturkosten unfallkostenähnlich sind und der Kläger aus diesem Grund ebenfalls in den für ihn sachlichen Anwendungsbereich des BMF-Schreibens vom 3. Januar 2013 gelangt. Norminterpretierende oder typisierende Verwaltungsvorschriften oder BMF-Schreiben mit materiell-rechtlichem Inhalt dürfen durch die Gerichte weder wie Gesetze ausgelegt noch verändert werden (BFH-Beschluss vom  15. März 2011 VI B 145/10, BFH/NV 2011, 983).
82
Für eine solche Beschränkung der Abzugsfähigkeit außergewöhnlicher Wegekosten im Rahmen des § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG auf Unfallkosten ergeben sich für den Senat dagegen auch keinerlei Anhaltspunkte im Gesetz oder der Steuerrechtsprechung. Nach der Terminologie des EStG sind Unfallkosten keine eigenständige Kategorie von Erwerbsaufwendungen, die einer gesonderten steuerlichen Behandlung zugänglich wären. Sie stellen vielmehr – so schon die BFH-Rechtsprechung für VZ bis 2000 – eine (wenn auch die wohl praxisrelevanteste) Fallgruppe der außergewöhnlichen Wegekosten dar, die nicht vorhersehbar und für den Steuerpflichtigen unabwendbar sind (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 28. Oktober 1994 VI R 54/94, BFH/NV 1995, 668).
83
Diese Rechtsauffassung wird bestätigt durch die Gesetzesbegründung des Regierungsentwurfs des Gesetzes zur Einführung einer Entfernungspauschale. Hier heißt es in der Begründung zur Ausgangsfassung des § 9 Abs. 2 Satz 1 EStG (vgl. BT-Drucks. 14/4242, S. 6) wörtlich:
84
„Sie ist deshalb auch ein Beitrag zur Steuervereinfachung, weil sie zukünftig Rechtsstreitigkeiten zwischen den Steuerpflichtigen und dem Finanzamt über die Berücksichtigung besonderer Kosten (z.B. Kosten für Abholfahrten) und außergewöhnlicher Kosten (z.B. Unfallkosten) bei den Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte und Familienheimfahrten vermeidet.“
85
(3) Da die streitbefangenen Reparaturkosten unstreitig Werbungskosten gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG darstellen (s.o.), würde bei einer durch die bisherigen FG-Rechtsprechung vorgenommenen (einschränkenden) Auslegung ansonsten § 9 Abs. 2 Satz 1 EStG in seiner Wirkung einem Abzugsverbot für Werbungskosten gleichkommen (vgl. z.B. zur Verfassungswidrigkeit des Abzugsverbot des § 20 Abs. 9 Satz 1 EStG: FG Baden-Württemberg, Urteil vom 17. Dezember 2012 9 K 1637/10, Rev. eingelegt, Az. des BFH: VIII R 13/13; zur Verfassungswidrigkeit des Abzugsverbots des § 9 Abs. 6 EStG siehe Bergkemper in Herrmann/Heuer/Raupach, § 9 EStG, Anm. 711 u. Kreft in Herrmann/Heuer/Raupach, § 9 EStG, Anm. 9). Ein damit einhergehender Verstoß gegen das objektive Nettoprinzip wäre jedoch nicht gerechtfertigt.
86
Die vom Gesetzgeber (einzig) angeführten Vereinfachungszwecke können lediglich eine geringfügige Mehrbelastung rechtfertigen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 12. Oktober 2010 1 BvR 12/07, BVerfGE 127, 224 unter D.III.3.b.dd. der Entscheidungsgründe). Ein Ausschluss aller außergewöhnlichen Wegekosten vom Werbungskostenabzug verlässt diesen dem Gesetzgeber eröffneten Rahmen jedoch deutlich. Die Fälle von Aufwendungen in Folge von Unfall, Diebstahl oder Motorschaden auf dem Weg zur Arbeitsstelle erscheinen dem Senat zum einen nicht vernachlässigbar gering. Zum anderen hätte der Gesetzgeber nicht in ausreichendem Maße dargelegt, dass es sich nur um eine kleine Zahl von Fällen handelt, die im Rahmen einer Pauschalierung aufgehen kann. Eine entsprechende Erhebung hierzu ist dem Senat jedenfalls nicht bekannt.
87
Außerdem tritt durch eine Einbeziehung der außergewöhnlichen Wegekosten in die Abgeltungswirkung ein großer Vereinfachungseffekt nicht ein. Die außergewöhnlichen Wegekosten beruhen auf einem besonderen, isolierten Ereignis. Deshalb sind die Kosten in aller Regel leicht von den übrigen laufenden Kfz-Kosten zu trennen. Nur der einheitliche berufliche Anlass – die Fahrt zur Arbeitsstelle – verbindet die laufenden mit den außergewöhnlichen Kosten.
88
Auch unter diesem Aspekt kann § 9 Abs. 2 Satz 1 EStG in verfassungskonformer Weise daher über den scheinbar klaren Wortlaut der Vorschrift hinaus nur so ausgelegt werden, dass lediglich laufende Kfz- und Wegekosten, die grundsätzlich einer Pauschalierung zugänglich sind, von der Abgeltungswirkung erfasst werden.
89
Im Ergebnis folgt der Senat in diesem Punkt der Auffassung von Frotscher (ESt-Kommentar, § 9 Rz. 148), der ebenfalls in einer Einbeziehung außergewöhnlicher Kosten in die Pauschalierung einen Verstoß gegen das Prinzip der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit sieht. Danach belasten ungewöhnliche Kosten die Steuerpflichtigen ungleich und müssen daher als Einzelkosten neben der Pauschale angesetzt werden.
90
(4) Für die vorgenommene Auslegung des § 9 Abs. 2 Satz 1 EStG spricht nach Überzeugung des Senats auch, dass für den Fall, dass der Gesetzgeber tatsächlich eine Beschränkung der Abzugsfähigkeit der Wegekosten und damit eine Schlechterstellung gegenüber der jahrzehntelang bestehenden BFH-Rechtsprechung gewollt hätte, dies deutlich entweder im Gesetz selber (wie zunächst beabsichtigt durch den Nachsatz) oder zumindest in der Gesetzesbegründung hätte zum Ausdruck gebracht müssen werden. Das Gegenteil ist der Fall. Objektiv erkennbar ist das in den Gesetzesbegründungen der Folgeänderungen bewusst nicht geschehen, da sich der Gesetzgeber vielmehr für den Erhalt der Abzugsfähigkeit der Unfallkosten als Teil der außergewöhnlichen Kosten ausgesprochen hat.
91
Nach alledem hat die Klage in vollem Umfang Erfolg.
92
Die Neuberechnung bzw. Neufestsetzung der Einkommensteuer 2010 wird dem beklagten Finanzamt gemäß § 100 Abs. 2 Sätze 2 und 3 Finanzgerichtsordnung (FGO) übertragen.
93
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
94
3. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 151 Abs. 3 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozessordnung.
95
4. Die Revision war wegen grundsätzlicher Bedeutung und Fortbildung des Rechts zuzulassen (§ 115 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 FGO). Im Rahmen des Revisionsverfahrens hätte der BFH die Möglichkeit, den derzeitigen, aus Sicht des Senats unhaltbaren Rechtszustand zu beenden und für Rechtsklarheit zu sorgen. Nach aktueller Rechtslage entscheidet die Finanzverwaltung (über den Wortlaut hinweg) nach eigenem, nicht überprüfbaren und nicht justiziablen Ermessen, welche Reparaturkosten über den Begriff „Unfallkosten“ als außergewöhnliche Wegekosten abzugsfähig sind und welche nicht.

Rückwirkung einer Rechnungsberichtigung (EuGH)

Die Finanzbehörde kann den Vorsteuerabzug verweigern, wenn der Unternehmer eine unvollständige Rechnungen besitzt und diese erst nach Erlass einer ablehnenden Verwaltungsentscheidung vervollständigt (EuGH, Urteil v. 8.5.2013 – Rs. C-271/12, Petroma Transports u.a.).

Urteil

1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (ABl. L 145, S. 1) in der durch die Richtlinie 94/5/EG des Rates vom 14. Februar 1994 (ABl. L 60, S. 16) geänderten Fassung (im Folgenden: Sechste Richtlinie) sowie des Grundsatzes der Neutralität.

2 Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Petroma Transports SA, Martens Énergie SA, Martens Immo SA, Martens SA und F. Martens, G. Martens und T. Martens, die zusammen die Martens-Gruppe bilden, einerseits und dem Belgischen Staat andererseits über dessen Weigerung, ihnen das Recht auf Vorsteuerabzug für innerhalb der Martens-Gruppe erbrachte Dienstleistungen zu gewähren.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

3 Nach Art. 2 Nr. 1 der Sechsten Richtlinie unterliegen der Mehrwertsteuer „Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen, die ein Steuerpflichtiger als solcher im Inland gegen Entgelt ausführt“.

4 Der in Abschnitt VII („Steuertatbestand und Steueranspruch“) der Richtlinie enthaltene Art. 10 sieht vor:

„(1) Im Sinne dieser Richtlinie gilt als

a) Steuertatbestand: der Tatbestand, durch den die gesetzlichen Voraussetzungen für den Steueranspruch verwirklicht werden;

b) Steueranspruch: der Anspruch, den der Fiskus nach dem Gesetz gegenüber dem Steuerschuldner von einem bestimmten Zeitpunkt ab auf die Zahlung der Steuer geltend machen kann, selbst wenn Zahlungsaufschub gewährt werden kann.

(2) Der Steuertatbestand und der Steueranspruch treten zu dem Zeitpunkt ein, zu dem die Lieferung des Gegenstands oder die Dienstleistung bewirkt wird. …“

5 Art. 17 („Entstehung und Umfang des Rechts auf Vorsteuerabzug“) der Sechsten Richtlinie bestimmt:

„(1) Das Recht auf Vorsteuerabzug entsteht, wenn der Anspruch auf die abziehbare Steuer entsteht.

(2) Soweit die Gegenstände und Dienstleistungen für Zwecke seiner besteuerten Umsätze verwendet werden, ist der Steuerpflichtige befugt, von der von ihm geschuldeten Steuer folgende Beträge abzuziehen:

a) die geschuldete oder entrichtete Mehrwertsteuer für Gegenstände und Dienstleistungen, die ihm von einem anderen Steuerpflichtigen geliefert wurden oder geliefert werden bzw. erbracht wurden oder erbracht werden,

…“

6 Art. 18 der Sechsten Richtlinie, der die Einzelheiten der Ausübung des Rechts auf Vorsteuerabzug betrifft, sieht vor:

„(1) Um das Recht auf Vorsteuerabzug ausüben zu können, muss der Steuerpflichtige

a) über die nach Artikel 17 Absatz 2 Buchstabe a abziehbare Steuer eine nach Artikel 22 Absatz 3 ausgestellte Rechnung besitzen;

(2) Der Vorsteuerabzug wird vom Steuerpflichtigen global vorgenommen, indem er von dem Steuerbetrag, den er für einen Erklärungszeitraum schuldet, den Betrag der Steuer absetzt, für die das Abzugsrecht entstanden ist, und wird nach Absatz 1 während des gleichen Zeitraums ausgeübt.

(3) Die Mitgliedstaaten legen die Bedingungen und Einzelheiten fest, nach denen einem Steuerpflichtigen gestattet werden kann, einen Abzug vorzunehmen, den er nach den Absätzen 1 und 2 nicht vorgenommen hat.

…“

7 In Art. 21 Nr. 1 Buchst. a und c der Sechsten Richtlinie heißt es:

„Die Mehrwertsteuer schuldet

1. im inneren Anwendungsbereich

a) der Steuerpflichtige, der einen steuerpflichtigen Umsatz bewirkt, mit Ausnahme der in Artikel 9 Absatz 2 Buchstabe e) genannten Umsätze, die von einem im Ausland ansässigen Steuerpflichtigen erbracht werden. …

c) jede Person, die die Mehrwertsteuer in einer Rechnung oder einem ähnlichen Dokument ausweist …“

8 Art. 22 der Sechsten Richtlinie in der Fassung ihres Art. 28h sieht vor:

„Pflichten im inneren Anwendungsbereich

(1) a) Jeder Steuerpflichtige hat die Aufnahme, den Wechsel und die Beendigung seiner Tätigkeit als Steuerpflichtiger anzuzeigen.

(2) a) Jeder Steuerpflichtige hat Aufzeichnungen zu führen, die so ausführlich sind, dass sie die Anwendung der Mehrwertsteuer und die Überprüfung durch die Steuerverwaltung ermöglichen.

(3) a) Jeder Steuerpflichtige hat für die Lieferung von Gegenständen und die Dienstleistungen, die er an einen anderen Steuerpflichtigen oder an eine nichtsteuerpflichtige juristische Person bewirkt, eine Rechnung oder ein an deren Stelle tretendes Dokument auszustellen. …

b) Die Rechnung muss getrennt den Preis ohne Steuer und den auf die einzelnen Steuersätze entfallenden Steuerbetrag sowie gegebenenfalls die Steuerbefreiung ausweisen.

c) Die Mitgliedstaaten legen die Kriterien fest, nach denen ein Dokument als Rechnung betrachtet werden kann.

(8) Die Mitgliedstaaten können unter Beachtung der Gleichbehandlung der von Steuerpflichtigen im Inland und zwischen Mitgliedstaaten bewirkten Umsätze weitere Pflichten vorsehen, die sie als erforderlich erachten, um eine genaue Erhebung der Steuer sicherzustellen und Steuerhinterziehungen zu vermeiden, sofern diese Pflichten im Handelsverkehr zwischen den Mitgliedstaaten nicht zu Förmlichkeiten beim Grenzübertritt führen.

…“

Belgisches Recht

9 Art. 3 § 1 Ziff. 1 des Königlichen Erlasses Nr. 3 vom 10. Dezember 1969 über Vorsteuerabzüge für die Anwendung der Mehrwertsteuer (Moniteur belge vom 12. Dezember 1969) sieht vor:

„§ 1 Steuerpflichtige müssen für die Ausübung ihres Rechts auf Vorsteuerabzug:

1. für die Steuer auf Güter und Dienstleistungen, die ihnen geliefert bzw. erbracht werden, eine gemäß Art. 5 des Königlichen Erlasses Nr. 1 vom 29. Dezember 1992 (über Maßnahmen im Hinblick auf die Gewährleistung der Zahlung der Mehrwertsteuer [Moniteur belge vom 31. Dezember 1992, S. 27976, im Folgenden: Königlicher Erlass Nr. 1]) ausgestellte Rechnung besitzen.“

10 Gemäß Art. 5 § 1 Ziff. 6 des Königlichen Erlasses Nr. 1 enthält die Rechnung „die Angaben, die notwendig sind, um den Umsatz und den Satz der geschuldeten Steuer zu bestimmen, insbesondere gebräuchliche Bezeichnung der gelieferten Güter und der erbrachten Dienstleistungen, Menge und Gegenstand der Dienstleistungen“.

Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

11 F. Martens, G. Martens und T. Martens sind die Rechtsnachfolger von J.‑P. Martens, der unter der Firma „Margaz“ ein Einzelunternehmen betrieb. Aus diesem Unternehmen entwickelte sich die Martens-Gruppe, deren Gesellschaften verschiedene Tätigkeiten ausübten wie z. B. den Kauf, Verkauf und Transport von Erdölprodukten sowie die Erbringung von Bauleistungen. Petroma Transports SA war die Hauptgesellschaft der Martens-Gruppe, was den Personalbestand anbelangt, und erbrachte mehrere Dienstleistungen an die anderen Gesellschaften dieser Gruppe. Es wurden Verträge geschlossen, um den Einsatz dieses Personals im Rahmen der Dienstleistungen innerhalb der Gruppe zu regeln. Diese Verträge sahen eine Vergütung dieser Dienstleistungen auf der Grundlage der vom Personal geleisteten Arbeitsstunden vor.

12 Bei den ab dem Jahr 1997 durchgeführten Kontrollen stellte die belgische Steuerverwaltung sowohl in Bezug auf die direkten Steuern als auch auf die Mehrwertsteuer die Rechnungen innerhalb der Gruppe und die sich daraus ergebenden Abzüge ab dem Steuerjahr 1994 hauptsächlich mit der Begründung in Frage, dass die Rechnungen unvollständig seien und dass nicht festgestellt werden könne, dass sie tatsächlichen Leistungen entsprächen. Die meisten dieser Rechnungen wiesen einen Gesamtbetrag aus ohne Angabe des Preises je Einheit und der Anzahl der vom Personal der diese Dienstleistungen erbringenden Gesellschaften geleisteten Arbeitsstunden, was jede Kontrolle der genauen Erhebung der Steuer durch die Steuerverwaltung verhinderte.

13 Diese wies daher die von den Dienstleistungsempfängern durchgeführten Abzüge u. a. wegen Verstößen gegen Art. 5 § 1 Ziff. 6 des Königlichen Erlasses Nr. 1 und Art. 3 § 1 Ziff. 1 des Königlichen Erlasses Nr. 3 vom 10. Dezember 1969 über Vorsteuerabzüge für die Anwendung der Mehrwertsteuer zurück.

14 Im Anschluss daran wurden von diesen Unternehmen zusätzliche Informationen vorgelegt, die jedoch von der Steuerverwaltung nicht als ausreichende Grundlage für den Abzug der verschiedenen Mehrwertsteuerbeträge angesehen wurden. Die Verwaltung war nämlich der Auffassung, dass es sich entweder um privatschriftliche Verträge über die Erbringung von Dienstleistungen gehandelt habe, die verspätet nach Durchführung der Steuerprüfungen und nach der Mitteilung der Berichtigungen, die diese Verwaltung vorzunehmen beabsichtigt habe, vorgelegt worden seien und die demnach kein sicheres Datum gehabt hätten und Dritten nicht hätten entgegengehalten werden können, oder um Rechnungen, die nach ihrer Ausstellung im Stadium des Verwaltungsverfahrens handschriftlich durch Angaben zur Anzahl der vom Personal geleisteten Arbeitsstunden, zum Stundensatz und zur Art der erbrachten Dienstleistungen vervollständigt worden seien und daher keine Beweiskraft gehabt hätten.

15 Am 2. Februar 2005 erließ das Tribunal de première instance de Mons mehrere Urteile. Zwar gab es für bestimmte Rechnungen dem Steuerpflichtigen recht, es bestätigte jedoch die Versagung des Mehrwertsteuerabzugs gegenüber den Dienstleistungsempfängern.

16 Infolge neuer Anträge, die die Rückerstattung der von den Dienstleistungserbringern gezahlten Steuern zum Gegenstand hatten, beschloss das Gericht, das mündliche Verfahren wiederzueröffnen. Mit Urteil vom 23. Februar 2010 entschied das Tribunal de première instance de Mons in den verbundenen Rechtssachen und wies die Klagen auf Rückerstattung als unbegründet ab. Diese Dienstleistungserbringer legten daher gegen dieses Urteil Berufung ein.

17 Unter diesen Umständen hat die Cour d’appel de Mons beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1. Hat ein Mitgliedstaat das Recht, den Vorsteuerabzug gegenüber steuerpflichtigen Dienstleistungsempfängern abzulehnen, die Rechnungen besitzen, die zwar lückenhaft sind, aber durch die Vorlage von Informationen zum Beweis des tatsächlichen Vorliegens, der Natur und des Betrags der berechneten Umsätze (Verträge, Wiederherstellung von Zahlen aufgrund von Erklärungen an das nationale Amt für soziale Sicherheit, Informationen über die Funktionsweise der betroffenen Unternehmensgruppe …) vervollständigt sind?

2. Muss ein Mitgliedstaat, der den Vorsteuerabzug gegenüber steuerpflichtigen Dienstleistungsempfängern aufgrund der Ungenauigkeit der Rechnungen ablehnt, nicht feststellen, dass die Rechnungen dann ebenfalls zu ungenau sind, um die Mehrwertsteuer zahlen zu können? Ist folglich ein Mitgliedstaat, um den Grundsatz der Neutralität der Mehrwertsteuer zu gewährleisten, nicht gehalten, den Gesellschaften, die die so in Frage gestellten Dienstleistungen erbracht haben, die Erstattung der an ihn gezahlten Mehrwertsteuer zu bewilligen?

Zu den Vorlagefragen

Vorbemerkungen

18 Es ist festzustellen, dass das vorlegende Gericht nicht die Bestimmungen des Unionsrechts angibt, deren Auslegung es begehrt.

19 Dennoch geht aus dem Vorlagebeschluss und aus dem Zusammenhang, in den sich das Ausgangsverfahren einfügt, hervor, dass die Vorlagefragen die Auslegung der Bestimmungen der Sechsten Richtlinie sowie des Grundsatzes der Steuerneutralität betreffen.

20 Da aus diesem Beschluss auch hervorgeht, dass die ersten streitigen Rechnungen mit dem 31. März 1994 datiert sind, sind die fraglichen Bestimmungen in ihrer zu diesem Zeitpunkt anwendbaren Fassung auszulegen.

Zur ersten Frage

21 Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Bestimmungen der Sechsten Richtlinie dahin auszulegen sind, dass sie einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren fraglichen entgegenstehen, wonach das Recht auf Mehrwertsteuerabzug steuerpflichtigen Dienstleistungsempfängern verweigert werden kann, die unvollständige Rechnungen besitzen, wenn diese anschließend durch die Vorlage von Informationen zum Beweis des tatsächlichen Vorliegens, der Natur und des Betrags der berechneten Umsätze vervollständigt werden.

22 Vorab ist darauf hinzuweisen, dass das Recht auf Vorsteuerabzug ein Grundprinzip des durch das Unionsrecht geschaffenen gemeinsamen Mehrwertsteuersystems ist, das grundsätzlich nicht eingeschränkt werden kann und das für die gesamte Steuerbelastung der vorausgehenden Umsatzstufen sofort ausgeübt werden kann (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 6. Dezember 2012, Bonik, C‑285/11, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnrn. 25 und 26 und die dort angeführte Rechtsprechung).

23 Durch diese Abzugsregelung soll der Unternehmer nämlich vollständig von der im Rahmen seiner wirtschaftlichen Tätigkeit geschuldeten oder entrichteten Mehrwertsteuer entlastet werden. Das gemeinsame Mehrwertsteuersystem gewährleistet auf diese Weise die Neutralität hinsichtlich der steuerlichen Belastung aller wirtschaftlichen Tätigkeiten unabhängig von ihrem Zweck und ihrem Ergebnis, sofern diese Tätigkeiten selbst der Mehrwertsteuer unterliegen (vgl. Urteile vom 29. April 2004, Faxworld, C‑137/02, Slg. 2004, I‑5547, Randnr. 37, und vom 22. Dezember 2010, Dankowski, C‑438/09, Slg. 2010, I‑14009, Randnr. 24).

24 Aus Art. 17 Abs. 2 der Sechsten Richtlinie geht somit hervor, dass jeder Steuerpflichtige das Recht hat, die Beträge abzuziehen, die ihm für die ihm gelieferten Gegenstände oder erbrachten Dienstleistungen als Mehrwertsteuer in Rechnung gestellt worden sind, soweit diese Gegenstände oder Dienstleistungen für Zwecke seiner besteuerten Umsätze verwendet werden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 23. April 2009, PARAT Automotive Cabrio, C‑74/08, Slg. 2009, I‑3459, Randnr. 17 und die dort angeführte Rechtsprechung).

25 Hinsichtlich der Modalitäten der Ausübung des Abzugsrechts sieht Art. 18 Abs. 1 Buchst. a der Sechsten Richtlinie vor, dass der Steuerpflichtige eine nach Art. 22 Abs. 3 der Richtlinie ausgestellte Rechnung besitzen muss.

26 Nach dem Wortlaut von Art. 22 Abs. 3 Buchst. b der Sechsten Richtlinie muss die Rechnung getrennt den Preis ohne Steuer und den auf die einzelnen Steuersätze entfallenden Steuerbetrag sowie gegebenenfalls die Steuerbefreiung ausweisen. Abs. 3 Buchst. c dieses Artikels ermächtigt die Mitgliedstaaten, die Kriterien festzulegen, nach denen ein Dokument als Rechnung betrachtet werden kann. Außerdem können die Mitgliedstaaten nach Art. 22 Abs. 8 weitere Pflichten vorsehen, die sie als erforderlich erachten, um die genaue Erhebung der Steuer sicherzustellen und Steuerhinterziehungen zu vermeiden.

27 Was die Ausübung des Rechts auf Vorsteuerabzug betrifft, folgt daraus, dass die Sechste Richtlinie sich darauf beschränkt, eine Rechnung zu fordern, die bestimmte Angaben enthält, und dass die Mitgliedstaaten befugt sind, zusätzliche Angaben zu verlangen, um die genaue Erhebung der Mehrwertsteuer und ihre Überprüfung durch die Steuerverwaltung zu sichern (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 14. Juli 1988, Jeunehomme und EGI, 123/87 und 330/87, Slg. 1988, 4517, Randnr. 16).

28 Die Ausübung des Rechts auf Vorsteuerabzug darf jedoch nur insoweit davon abhängig gemacht werden, dass die Rechnung über die in Art. 22 Abs. 3 Buchst. b der Sechsten Richtlinie geforderten Angaben hinaus noch weitere Angaben enthält, als dies erforderlich ist, um die Erhebung der Mehrwertsteuer und ihre Überprüfung durch die Steuerverwaltung zu sichern. Außerdem dürfen solche Angaben nicht durch ihre Zahl oder ihre technische Kompliziertheit die Ausübung des Rechts zum Vorsteuerabzug praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren (Urteil Jeunehomme und EGI, Randnr. 17).

29 In Bezug auf die im Ausgangsverfahren in Rede stehende nationale Regelung ist festzustellen, dass der belgische Staat von der in Art. 22 Abs. 8 der Sechsten Richtlinie vorgesehenen Möglichkeit Gebrauch gemacht hat, da gemäß Art. 5 § 1 Ziff. 6 des Königlichen Erlasses Nr. 1 die Rechnung die Angaben enthalten muss, die notwendig sind, um den Umsatz und den Satz der geschuldeten Steuer, insbesondere gebräuchliche Bezeichnung der gelieferten Güter und der erbrachten Dienstleistungen, Menge und Gegenstand der Dienstleistungen zu bestimmen.

30 Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, zu überprüfen, ob die von dieser Regelung verlangten zusätzlichen Angaben mit den in Randnr. 28 des vorliegenden Urteils genannten Erfordernissen in Einklang stehen.

31 Außerdem hat der Gerichtshof zwar in Randnr. 41 des Urteils vom 15. Juli 2010, Pannon Gép Centrum (C‑368/09, Slg. 2010, I‑7467), entschieden, dass die Mitgliedstaaten die Ausübung des Rechts auf Vorsteuerabzug nicht nach eigenem Gutdünken von der Erfüllung von Voraussetzungen betreffend den Inhalt der Rechnungen abhängig machen dürfen, die in der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. L 347, S. 1) nicht ausdrücklich vorgesehen sind, doch ist festzustellen, dass nach den Bestimmungen im Ausgangsverfahren, die damals in Kraft waren, die Mitgliedstaaten die Kriterien festlegen durften, nach denen ein Dokument als Rechnung betrachtet werden kann.

32 Aus dem Vorlagebeschluss geht hervor, dass die Ausübung des Rechts auf Vorsteuerabzug den steuerpflichtigen Dienstleistungsempfängern mit der Begründung verweigert wurde, dass die fraglichen Rechnungen nicht ausreichend präzise und vollständig gewesen seien. Insbesondere stellt das vorlegende Gericht fest, dass die meisten dieser Rechnungen nicht den Preis je Einheit und die Anzahl der vom Personal der Dienstleistungsunternehmen erbrachten Arbeitsstunden angegeben hätten, was jede Kontrolle der genauen Erhebung der Steuer durch die Finanzverwaltung verhindert habe.

33 Die Kläger des Ausgangsverfahrens machen geltend, dass das Fehlen bestimmter, von der nationalen Regelung verlangter Angaben auf den Rechnungen nicht geeignet sei, das Recht auf Vorsteuerabzug in Frage zu stellen, wenn das tatsächliche Vorliegen, die Natur und der Umfang der Umsätze später der Steuerverwaltung dargelegt worden seien.

34 In der Tat verbietet das gemeinsame Mehrwertsteuersystem nicht, fehlerhafte Rechnungen zu berichtigen. Wenn alle für das Recht auf Vorsteuerabzug notwendigen materiell-rechtlichen Voraussetzungen erfüllt sind und der Steuerpflichtige der betreffenden Behörde vor Erlass ihrer Entscheidung eine berichtigte Rechnung zugeleitet hat, kann ihm dieses Recht daher grundsätzlich nicht mit der Begründung abgesprochen werden, dass die ursprüngliche Rechnung einen Fehler enthielt (vgl. in diesem Sinne Urteil Pannon Gép Centrum, Randnrn. 43 bis 45).

35 Allerdings ist in Bezug auf den Rechtsstreit des Ausgangsverfahrens festzustellen, dass die notwendigen Informationen, mit denen die Rechnungen vervollständigt und in Ordnung gebracht werden sollten, vorgelegt wurden, nachdem die Steuerverwaltung ihre ablehnende Entscheidung über den Vorsteuerabzug erlassen hatte, so dass vor Erlass dieser Entscheidung die dieser Verwaltung zugeleiteten Rechnungen noch nicht berichtigt worden waren, damit diese die genaue Erhebung der Mehrwertsteuer sowie ihre Kontrolle sicherstellen konnte.

36 Daher ist auf die erste Frage zu antworten, dass die Bestimmungen der Sechsten Richtlinie dahin auszulegen sind, dass sie einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren fraglichen nicht entgegenstehen, wonach das Recht auf Abzug der Mehrwertsteuer steuerpflichtigen Dienstleistungsempfängern verweigert werden kann, die unvollständige Rechnungen besitzen, auch wenn diese durch die Vorlage von Informationen zum Beweis des tatsächlichen Vorliegens, der Natur und des Betrags der berechneten Umsätze nach Erlass einer solchen ablehnenden Entscheidung vervollständigt werden.

Zur zweiten Frage

37 Mit seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob der Grundsatz der Steuerneutralität dahin auszulegen ist, dass er die Steuerverwaltung daran hindert, die Erstattung der von einem Dienstleistungserbringer entrichteten Mehrwertsteuer zu verweigern, obwohl die Ausübung des Rechts auf Abzug der Vorsteuer, mit der diese Dienstleistungen belastet worden waren, den Empfängern dieser Dienstleistungen wegen der Unregelmäßigkeiten verweigert wurde, die in den von diesem Dienstleistungserbringer ausgestellten Rechnungen festgestellt wurden.

38 Es stellt sich also die Frage, ob zur Sicherstellung des Grundsatzes der Steuerneutralität der Mehrwertsteueranspruch gegenüber dem Dienstleistungserbringer von der tatsächlichen Ausübung des Rechts auf Vorsteuerabzug durch den Dienstleistungsempfänger abhängig gemacht werden kann.

39 Nach Art. 2 Abs. 1 der Sechsten Richtlinie unterliegen Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen der Mehrwertsteuer, wenn sie von einem Steuerpflichtigen als solchen im Inland gegen Entgelt ausgeführt werden. Aus Art. 10 Abs. 2 dieser Richtlinie geht hervor, dass der Steuertatbestand und der Steueranspruch zu dem Zeitpunkt eintreten, zu dem die Lieferung des Gegenstands oder die Dienstleistung bewirkt wird.

40 Nach ständiger Rechtsprechung wird die Mehrwertsteuer auf jede Dienstleistung und jede Lieferung von Gegenständen erhoben, die ein Steuerpflichtiger gegen Entgelt ausführt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 29. Oktober 2009, SKF, C‑29/08, Slg. 2009, I‑10413, Randnr. 46 und die dort angeführte Rechtsprechung).

41 Daher ist festzustellen, dass, wie der belgische Staat und die Europäische Kommission in ihren schriftlichen Erklärungen zu Recht ausführen, aus diesen Vorschriften der Sechsten Richtlinie hervorgeht, dass das gemeinsame Mehrwertsteuersystem den Mehrwertsteueranspruch gegenüber dem steuerpflichtigen Dienstleister nicht von der tatsächlichen Ausübung des Rechts auf Vorsteuerabzug durch den steuerpflichtigen Dienstleistungsempfänger abhängig macht.

42 Aus Randnr. 13 des vorliegenden Urteils geht hervor, dass die Ausübung des Rechts auf Abzug der Mehrwertsteuer, mit der die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Dienstleistungen belastet wurden, das die Dienstleistungsempfänger normalerweise hätten in Anspruch nehmen können, ihnen wegen des Fehlens bestimmter verpflichtender Angaben auf den vom Dienstleistungserbringer ausgestellten Rechnungen verweigert wurde.

43 Da im Ausgangsverfahren das tatsächliche Vorliegen der der Mehrwertsteuer unterliegenden Dienstleistungen bestätigt wurde, war die auf diese Umsätze entfallende Mehrwertsteuer fällig und wurde zu Recht an die Steuerverwaltung entrichtet. In diesem Zusammenhang kann der Grundsatz der Steuerneutralität nicht herangezogen werden, um die Erstattung einer Mehrwertsteuer in einer Situation wie der im Ausgangsverfahren zu rechtfertigen. Jede andere Auslegung wäre geeignet, Situationen zu begünstigen, die die genaue Erhebung der Mehrwertsteuer verhindern können, was nach Art. 22 der Sechsten Richtlinie gerade vermieden werden soll.

44 Demnach ist auf die zweite Frage zu antworten, dass der Grundsatz der Steuerneutralität einer Steuerverwaltung nicht verwehrt, die Erstattung der von einem Dienstleistungserbringer entrichteten Mehrwertsteuer zu verweigern, obwohl den Empfängern dieser Dienstleistungen die Ausübung des Rechts auf Abzug der Mehrwertsteuer, mit der diese Dienstleistungen belastet worden waren, wegen Unregelmäßigkeiten verweigert wurde, die in den von diesem Dienstleistungserbringer ausgestellten Rechnungen festgestellt wurden.

Kosten

45 Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Zweite Kammer) für Recht erkannt:

1. Die Bestimmungen der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage in der durch die Richtlinie 94/5/EG des Rates vom 14. Februar 1994 geänderten Fassung sind dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren fraglichen nicht entgegenstehen, wonach das Recht auf Abzug der Mehrwertsteuer steuerpflichtigen Dienstleistungsempfängern verweigert werden kann, die unvollständige Rechnungen besitzen, auch wenn diese durch die Vorlage von Informationen zum Beweis des tatsächlichen Vorliegens, der Natur und des Betrags der berechneten Umsätze nach Erlass einer solchen ablehnenden Entscheidung vervollständigt werden.

2. Der Grundsatz der Steuerneutralität verwehrt einer Steuerverwaltung nicht, die Erstattung der von einem Dienstleistungserbringer entrichteten Mehrwertsteuer zu verweigern, obwohl den Empfängern dieser Dienstleistungen die Ausübung des Rechts auf Abzug der Mehrwertsteuer, mit der diese Dienstleistungen belastet worden waren, wegen Unregelmäßigkeiten verweigert wurde, die in den von diesem Dienstleistungserbringer ausgestellten Rechnungen festgestellt wurden.

Höhere Notar- und Anwaltsgebühren beschlossen (Bundestag)

Der Bundestag hat am 16.5.2013 auch den Gesetzentwurf zur zweiten Modernisierung des Kostenrechts (BT-Drucks. 17/11471 neu) in der vom Rechtsausschuss geänderten Fassung (BT-Drucks. 17/13537) angenommen. Damit werden die Gebühren für das Beurkundungsverfahren grds. als Notargebühren geregelt. Gerichtsgebühren in der freiwilligen Gerichtsbarkeit werden im Wesentlichen als Verfahrensgebühren gestaltet.

Die Wertgebühren des Gerichts- und Notarkostengesetzes, nach den Tabellen des Gerichtskostengesetzes und des Familiengerichtskostengesetzes sowie die Mindestgebühr im Mahnverfahren werden teilweise deutlich über die Vorschläge der Regierung hinaus erhöht. Die Wertgebühren für die Rechtsanwälte erhöhte der Bundestag um zusätzliche zwei Prozent.

Das Gesetz muss noch den Bundesrat passieren und kann dann am 1. Juli 2013 in Kraft treten.

Quelle: Bundestag online

Steuerabkommen mit den Cookinseln und Grenada angenommen (Bundestag)

Der Bundestag hat am 16.5.2013 die Gesetzentwürfe der Bundesregierung zum Abkommen v. 3.4.2012 mit den Cookinseln über die Unterstützung in Steuer- und Steuerstrafsachen durch Informationsaustausch (BT-Drucks. 17/12958) und zum Abkommen v. 3.2.2011 mit Grenada über den Informationsaustausch in Steuersachen (BT-Drucks. 17/12959) angenommen.

Er folgte dabei einer Empfehlung des Finanzausschusses. Die Vertragsstaaten verpflichten sich, auf Ersuchen alle für ein Besteuerungsverfahren oder ein Steuerstrafverfahren erforderlichen Informationen zu erteilen.

Quelle: Bundestag online

A. Problem und Ziel

Sind grenzüberschreitende Sachverhalte aufzuklären, können Beteiligte und andere Personen im Ausland nur im Wege zwischenstaatlicher
Amts- und Rechtshilfe zur Sachverhaltsaufklärung herangezogen werden. Die Möglichkeit, Amts- und Rechtshilfe anderer Staaten oder Gebiete beanspruchen zu können, ist umso bedeutender, als grenzüberschreitende Sachverhalte alltäglich geworden sind. Zwischenstaatliche
Amts- und Rechtshilfe wird regelmäßig auf der Grundlage zwei- oder
mehrseitiger völkerrechtlicher Vereinbarungen geleistet.

B. Lösung

Die Cookinseln haben den OECD-Standard zu Transparenz und effektivem Informationsaustausch für Besteuerungszwecke vollumfänglich
anerkannt und sich bereit erklärt, ihn in Abkommen mit OECD –
Mitgliedstaaten umzusetzen. Das am 3. April 2012 mit den Cookinseln
unterzeichnete Abkommen über die Unterstützung in Steuer- und
Steuerstrafsachen durch Informationsaustausch verpflichtet jede
Vertragspartei, der anderen Vertragspartei auf Ersuchen alle für ein
Besteuerungsverfahren oder ein Steuerstrafverfahren erforderlichen
Informationen zu erteilen. Das Abkommen enthält alle Kernelemente
des OECD-Standards, wie er sich aus dem Musterabkommen für den
Auskunftsaustausch (2002) ergibt.

Gesetzentwurf
der Bundesregierung
Entwurf eines Gesetzes
zu dem Abkommen vom 3. April 2012
zwischen der Bundesrepublik Deutschland
und den Cookinseln
über die Unterstützung in Steuer- und Steuerstrafsachen
durch InformationsaustauschDrucksache 17/12958 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
Mit dem vorliegenden Vertragsgesetz soll das Abkommen die für die
Ratifikation erforderliche Zustimmung der gesetzgebenden Körperschaften erlangen.

C. Alternativen

Keine.

D. Haushaltsausgaben ohne Erfüllungsaufwand

Keine.
Mithilfe des Informationsaustauschs, den das Abkommen künftig ermöglicht, werden Steuerausfälle verhindert.

E. Erfüllungsaufwand

Grundsätzlich wird durch das Abkommen kein eigenständiger Er –
füllungsaufwand begründet, da es lediglich die Rechts- und Amtshilfe
in Steuersachen der Vertragsparteien zum Gegenstand hat. Informa –
tionspflichten für Unternehmen werden weder eingeführt noch ver –
ändert oder abgeschafft. Darüber hinaus führt das Abkommen weder
für Unternehmen noch für Bürgerinnen und Bürger oder für die Steuerverwaltungen der Länder zu messbarem zusätzlichen Erfüllungsaufwand.

F. Weitere Kosten

Die Wirtschaft ist durch das Gesetz nicht unmittelbar betroffen. Unternehmen, insbesondere mittelständischen Unternehmen, entstehen
durch dieses Gesetz keine direkten und auch keine indirekten Kosten.
Auswirkungen auf Einzelpreise und Preisniveau, insbesondere das Verbraucherpreisniveau, sind nicht zu erwarten.Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/12958Deutscher Bundestag –

17. Wahlperiode – 5 – Drucksache 17/12958
Der Bundestag hat mit Zustimmung des Bundesrates das folgende Gesetz beschlossen:
Artikel 1
Dem in Wellington am 3. April 2012 unterzeichneten Abkommen zwischen der
Bundesrepublik Deutschland und den Cookinseln über die Unterstützung in
Steuer- und Steuerstrafsachen durch Informationsaustausch wird zugestimmt.
Das Abkommen wird nachstehend veröffentlicht.
Artikel 2
(1) Dieses Gesetz tritt am Tag nach der Verkündung in Kraft.
(2) Der Tag, an dem das Abkommen nach seinem Artikel 12 Absatz 2 in Kraft
tritt, ist im Bundesgesetzblatt bekannt zu geben.
Entwurf
Gesetz
zu dem Abkommen vom 3. April 2012
zwischen der Bundesrepublik Deutschland
und den Cookinseln
über die Unterstützung in Steuer- und Steuerstrafsachen
durch Informationsaustausch
Vom 2013Drucksache 17/12958 – 6 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
Begründung zum Vertragsgesetz
Zu Artikel 1
Auf das Abkommen ist Artikel 59 Absatz 2 Satz 1 des Grundgesetzes anzuwenden, da es sich auf Gegenstände der Bundesgesetzgebung bezieht.
Die Zustimmung des Bundesrates ist nach Artikel 108 Absatz 5 Satz 2 des
Grundgesetzes erforderlich, da das Abkommen Verfahrensregelungen enthält,
die sich auch an die Landesfinanzbehörden richten.
Zu Artikel 2
Die Bestimmung des Absatzes 1 entspricht dem Erfordernis des Artikels 82 Absatz 2 Satz 1 des Grundgesetzes.
Nach Absatz 2 ist der Zeitpunkt, zu dem das Abkommen nach seinem Artikel 12
Absatz 2 in Kraft tritt, im Bundesgesetzblatt bekannt zu geben.
Schlussbemerkung
Unternehmen, insbesondere mittelständischen Unternehmen, entstehen durch
dieses Gesetz keine direkten und auch keine indirekten Kosten.
Auswirkungen auf Einzelpreise und das Preisniveau, insbesondere auf das Verbraucherpreisniveau, sind von dem Gesetz nicht zu erwarten.
Das Vorhaben entspricht einer nachhaltigen Entwicklung, indem es das Steueraufkommen des Gesamtstaates sichert.Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 7 – Drucksache 17/12958
Die Bundesrepublik Deutschland
und
die Cookinseln –
in dem Wunsch, die Bedingungen des Informationsaustauschs
in allen Steuersachen zu verbessern und zu erleichtern –
sind wie folgt übereingekommen:
Artikel 1
Geltungsbereich des Abkommens
Die zuständigen Behörden der Vertragsstaaten leisten einander Unterstützung durch den Austausch von Informationen, die
für die Durchführung des jeweiligen Rechts der Vertragsstaaten
betreffend die unter dieses Abkommen fallenden Steuern voraussichtlich erheblich sind, einschließlich Informationen, die für die
Festsetzung, Veranlagung und Erhebung dieser Steuern, für die
Vollstreckung von Steuerforderungen oder für Ermittlungen in
oder die Verfolgung von Steuerstrafsachen voraussichtlich erheblich sind. Die Rechte und Schutzmaßnahmen, die Personen
durch die Gesetze oder die Verwaltungspraxis des ersuchten
Vertragsstaats gewährleistet werden, bleiben anwendbar.
Artikel 2
Zuständigkeit
Der ersuchte Vertragsstaat ist nicht zur Erteilung von Informationen verpflichtet, die seinen Behörden nicht vorliegen und sich
auch nicht im Besitz oder in der Verfügungsmacht von Personen
in seinem Hoheitsbereich befinden.
Artikel 3
Unter das Abkommen fallende Steuern
(1) Dieses Abkommen gilt für folgende Steuern:
a) in Bezug auf die Bundesrepublik Deutschland
– die Einkommensteuer,
– die Körperschaftsteuer,
– die Gewerbesteuer,
– die Vermögensteuer,
– die Erbschaftsteuer,
– die Umsatzsteuer und
– die Versicherungsteuer,
einschließlich der darauf erhobenen Zuschläge;
b) in Bezug auf die Cookinseln
– die Einkommensteuer (personal income tax),
– die Körperschaftsteuer (company income tax),
– die Abzugsteuer auf Dividenden, Zinsen und Lizenzgebühren (withholding tax on dividends, interest and royalties)
sowie
– die Umsatzsteuer (value added tax).
(2) Dieses Abkommen gilt auch für alle Steuern gleicher oder
im Wesentlichen ähnlicher Art, die nach der Unterzeichnung des
Abkommens neben den bestehenden Steuern oder an deren
Stelle erhoben werden, sofern die Vertragsstaaten dies vereinbaren. Die zuständigen Behörden der Vertragsstaaten unterrichten
einander über wesentliche Änderungen bei den unter dieses Abkommen fallenden Besteuerungs- und damit zusammenhängenden Informationsbeschaffungsmaßnahmen.
Artikel 4
Begriffsbestimmungen
(1) Für die Zwecke dieses Abkommens, sofern nichts anderes
bestimmt ist,
a) bedeutet „Bundesrepublik Deutschland“ das Gebiet, in dem
das Steuerrecht der Bundesrepublik Deutschland gilt;
b) bedeutet „Cookinseln“ das Hoheitsgebiet der Cookinseln;
c) bedeutet „zuständige Behörde“
(i) in Bezug auf die Bundesrepublik Deutschland das Bundesministerium der Finanzen oder die Behörde, an die es
seine Befugnisse delegiert hat; in Steuerstrafsachen ist
dies das Bundesministerium der Justiz oder die Behörde,
an die es seine Befugnisse delegiert hat;
(ii) in Bezug auf die Cookinseln den Leiter der Steuerbehörde (Collector of Inland Revenue) oder seinen autorisierten Vertreter;
d) umfasst „Person“ natürliche Personen, Gesellschaften und
alle anderen Personenvereinigungen;
e) bedeutet „Gesellschaft“ eine juristische Person oder einen
Rechtsträger, der für die Besteuerung wie eine juristische
Person behandelt wird;
f) bedeutet „börsennotierte Gesellschaft“ eine Gesellschaft, deren Hauptaktiengattung an einer anerkannten Börse notiert
ist und deren notierte Aktien von jedermann ohne Weiteres
erworben oder veräußert werden können. Aktien können „von
jedermann“ erworben oder veräußert werden, wenn der Erwerb oder die Veräußerung von Aktien weder implizit noch
explizit auf eine begrenzte Investorengruppe beschränkt ist;
g) bedeutet „Hauptaktiengattung“ die Aktiengattung oder Aktiengattungen, die eine Mehrheit der Stimmrechtsanteile und
des Wertes der Gesellschaft darstellen;
h) bedeutet „anerkannte Börse“ eine Börse, auf die sich die zuständigen Behörden der Vertragsstaaten verständigen;
i) bedeutet „Investmentfonds oder Investmentsystem für gemeinsame Anlagen“ eine Investitionsform für gemeinsame
Anlagen, ungeachtet der Rechtsform. Der Ausdruck „öffentlicher Investmentfonds oder öffentliches Investmentsystem
für gemeinsame Anlagen“ bedeutet einen Investmentfonds
beziehungsweise ein Investmentsystem für gemeinsame Anlagen, bei dem die Fondsanteile, Gesellschaftsanteile oder
sonstigen Anteile am Fonds beziehungsweise System ohne
Weiteres von jedermann erworben, veräußert oder zurückgekauft werden können. Fondsanteile, Gesellschaftsanteile oder
sonstige Anteile am Fonds beziehungsweise System können
ohne Weiteres „von jedermann“ erworben, veräußert oder zurückgekauft werden, wenn der Erwerb, die Veräußerung oder
der Rückkauf weder implizit noch explizit auf eine begrenzte
Anlegergruppe beschränkt ist;
j) bedeutet „Steuer“ eine Steuer, für die das Abkommen gilt;
k) bedeutet „ersuchender Vertragsstaat“ den um Informationen
ersuchenden Vertragsstaat;
l) bedeutet „ersuchter Vertragsstaat“ den Vertragsstaat, der um
Erteilung von Informationen ersucht wird;
m) bedeutet „Informationsbeschaffungsmaßnahmen“ die Ge –
setze und Verwaltungs- oder Gerichtsverfahren, die einen
Vertragsstaat zur Einholung und Erteilung der erbetenen Informationen befähigen;
n) bedeutet „Informationen“ Tatsachen, Erklärungen, Unter –
lagen oder Aufzeichnungen jeder Art;
o) bedeutet „Steuersachen“ alle Steuersachen einschließlich
Steuerstrafsachen;
p) bedeutet „Steuerstrafsachen“ Steuersachen im Zusammenhang mit vorsätzlichem Verhalten, das nach dem Strafrecht
des ersuchenden Vertragsstaats strafbewehrt ist;
q) bedeutet „Strafrecht“ sämtliche nach dem jeweiligen Recht
der Vertragsstaaten als solche bezeichneten strafrechtlichen
Bestimmungen, unabhängig davon, ob sie im Steuerrecht, im
Strafgesetzbuch oder in anderen Gesetzen enthalten sind.
(2) Jeder in diesem Abkommen nicht definierte Ausdruck hat,
wenn der Zusammenhang nichts anderes erfordert, die Bedeutung, die ihm zu dem Zeitpunkt, zu dem das Ersuchen gestellt
wurde, nach dem Recht dieses Vertragsstaats zukam, wobei die
Bedeutung nach dem anzuwendenden Steuerrecht dieses Vertragsstaats den Vorrang vor einer Bedeutung hat, die dem Ausdruck nach anderem Recht dieses Vertragsstaats zukommt.
Artikel 5
Informationsaustausch
(1) Auf Ersuchen der zuständigen Behörde eines Vertragsstaats erteilt die zuständige Behörde des anderen Vertragsstaats
Informationen für die in Artikel 1 genannten Zwecke. Diese Informationen werden ohne Rücksicht darauf erteilt, ob der ersuchte
Vertragsstaat diese Informationen für seine eigenen steuerlichen
Zwecke benötigt oder ob das Verhalten, das Gegenstand der Ermittlungen ist, nach dem Recht des ersuchten Vertragsstaats
eine Straftat darstellen würde, wäre es im Hoheitsgebiet des
ersuchten Vertragsstaats erfolgt.
(2) Reichen die der zuständigen Behörde des ersuchten
Vertragsstaats vorliegenden Informationen nicht aus, um dem
Auskunftsersuchen entsprechen zu können, so ergreift dieser
Vertragsstaat nach eigenem Ermessen alle geeigneten Informationsbeschaffungsmaßnahmen, die erforderlich sind, um dem
ersuchenden Vertragsstaat die erbetenen Informationen zu erteilen, auch wenn der ersuchte Vertragsstaat diese Informationen
zum betreffenden Zeitpunkt nicht für seine eigenen steuerlichen
Zwecke benötigt.
(3) Auf ausdrückliches Ersuchen der zuständigen Behörde des
ersuchenden Vertragsstaats erteilt die zuständige Behörde des
ersuchten Vertragsstaats nach diesem Artikel Informationen in
Form von Zeugenaussagen und beglaubigten Kopien von Originaldokumenten in dem nach ihrem Recht zulässigen Umfang.
(4) Beide Vertragsstaaten gewährleisten, dass ihre zustän –
digen Behörden nach diesem Abkommen die Befugnis haben,
folgende Informationen auf Ersuchen einzuholen oder zu er teilen:
a) Informationen von Banken, anderen Finanzinstituten oder
Personen, einschließlich Bevollmächtigten und Treuhändern,
die als Vertreter oder Treuhänder handeln;
b) (i) Informationen über die Eigentumsverhältnisse an Gesellschaften, Personengesellschaften und anderen Personen;
dies umfasst bei Investmentfonds oder Investmentsystemen für gemeinsame Anlagen Informationen über Gesellschaftsanteile, Fondsanteile und sonstige Anteile;
(ii) bei Trusts umfasst dies Informationen über Treugeber,
Treuhänder, Protektoren und Treuhandbegünstigte; bei
Stiftungen Informationen über Stifter, Mitglieder des
Stiftungsrats und Begünstigte;
dies gilt unter der Voraussetzung, dass dieses Abkommen keine
Verpflichtung der Vertragsstaaten begründet, Informationen über
die Eigentumsverhältnisse börsennotierter Gesellschaften oder
öffentlicher Investmentfonds beziehungsweise -systeme für gemeinsame Anlagen einzuholen oder zu erteilen, es sei denn, diese Informationen können ohne unverhältnismäßig große Schwierigkeiten eingeholt werden.
(5) Jedes Auskunftsersuchen ist möglichst detailliert abzufassen und hat folgende schriftliche Angaben zu enthalten:
a) die Bezeichnung der Person, die Gegenstand der Prüfung
oder Ermittlung ist;
b) den Zeitraum, für den die Informationen erbeten werden;
c) die Art der erbetenen Informationen und die Form, in der die
Informationen dem ersuchenden Vertragsstaat vorzugsweise
zu übermitteln sind;
d) den steuerlichen Zweck, für den die Informationen erbeten
werden;
e) die Gründe für die Annahme, dass die erbetenen Informationen für die Durchführung des Steuerrechts des ersuchenden
Vertragsstaats in Bezug auf die unter Buchstabe a bezeich –
nete Person voraussichtlich erheblich sind;
f) die Gründe für die Annahme, dass die erbetenen Informationen im ersuchten Vertragsstaat vorliegen oder sich im Besitz
oder in der Verfügungsmacht einer Person im Hoheitsbereich
des ersuchten Vertragsstaats befinden;
g) den Namen und die Anschrift von Personen, soweit bekannt,
in deren Besitz sich die erbetenen Informationen vermutlich
befinden;
h) eine Erklärung, dass das Ersuchen dem Recht und der Verwaltungspraxis des ersuchenden Vertragsstaats entspricht,
dass die erbetenen Informationen, würden sie sich im
Hoheitsbereich des ersuchenden Vertragsstaats befinden,
von der zuständigen Behörde des ersuchenden Vertragsstaats nach dessen Recht eingeholt werden könnten und
dass das Ersuchen diesem Abkommen entspricht;
i) eine Erklärung, dass der ersuchende Vertragsstaat alle in
seinem eigenen Hoheitsgebiet zur Verfügung stehenden
Maßnahmen zur Einholung der Informationen ausgeschöpft
hat, ausgenommen solche, die unverhältnismäßig große
Schwierigkeiten mit sich bringen würden.
(6) Die zuständige Behörde des ersuchten Vertragsstaats
übermittelt der zuständigen Behörde des ersuchenden Vertragsstaats die erbetenen Informationen so umgehend wie möglich.
Um eine umgehende Antwort sicherzustellen,
a) bestätigt die zuständige Behörde des ersuchten Vertragsstaats der zuständigen Behörde des ersuchenden Vertragsstaats den Eingang eines Ersuchens schriftlich und unterrichtet die zuständige Behörde des ersuchenden Vertragsstaats
innerhalb von 60 Tagen nach Erhalt des Ersuchens über
etwaige Mängel des Ersuchens;
b) unterrichtet die zuständige Behörde des ersuchten Vertragsstaats die zuständige Behörde des ersuchenden Vertragsstaats unverzüglich, wenn sie die erbetenen Informationen
nicht innerhalb von 90 Tagen nach Eingang des Ersuchens
einholen und erteilen konnte, und zwar auch dann, wenn die
Informationsbeschaffung auf Hindernisse stößt oder von der
zuständigen Behörde des ersuchten Vertragsstaats verweigert wird, unter Angabe der Gründe für ihre Erfolglosigkeit,
die Hindernisse oder ihre Verweigerung der Informations –
erteilung.
(7) Die zuständige Behörde des ersuchten Vertragsstaats bestätigt der zuständigen Behörde des ersuchenden Vertragsstaats
den Eingang des Ersuchens und bemüht sich nach besten Kräften, dem ersuchenden Vertragsstaat innerhalb der kürzesten vertretbaren Frist die erbetenen Informationen zu übermitteln.
Artikel 6
Steuerprüfungen im Ausland
(1) Der ersuchende Vertragsstaat kann mit angemessener Vorankündigung darum ersuchen, dass der ersuchte Vertragsstaat,
soweit dies nach dessen Recht zulässig ist, Vertretern der zuständigen Behörde des ersuchenden Vertragsstaats die Einreise
in das Hoheitsgebiet des ersuchten Vertragsstaats zur Befragung
natürlicher Personen und Prüfung von Unterlagen gestattet, vorbehaltlich der schriftlichen Zustimmung der betroffenen natür –
lichen oder anderen Personen. Die zuständige Behörde des ersuchenden Vertragsstaats unterrichtet die zuständige Behörde des
ersuchten Vertragsstaats über Zeitpunkt und Ort des geplanten
Treffens mit den betroffenen natürlichen Personen.
(2) Auf Ersuchen der zuständigen Behörde des ersuchenden
Vertragsstaats kann die zuständige Behörde des ersuchten Vertragsstaats gestatten, dass Vertreter der zuständigen Behörde
des ersuchenden Vertragsstaats während des relevanten Teils
einer Steuerprüfung im ersuchten Vertragsstaat anwesend sind.
(3) Wird dem in Absatz 2 bezeichneten Ersuchen stattgegeben, so unterrichtet die zuständige Behörde des die Prüfung
durchführenden ersuchten Vertragsstaats so bald wie möglich
die zuständige Behörde des ersuchenden Vertragsstaats über
Zeitpunkt und Ort der Prüfung, über die mit der Durchführung der
Prüfung beauftragte Behörde beziehungsweise den damit beauftragten Bediensteten sowie über die vom ersuchten Vertragsstaat
für die Durchführung der Prüfung vorgeschriebenen Verfahren
und Bedingungen. Alle Entscheidungen im Zusammenhang mit
der Durchführung der Steuerprüfung werden vom die Prüfung
durchführenden ersuchten Vertragsstaat getroffen.
Artikel 7
Möglichkeit der Ablehnung eines Ersuchens
(1) Die zuständige Behörde des ersuchten Vertragsstaats kann
die Unterstützung ablehnen, wenn
a) das Ersuchen nicht in Übereinstimmung mit diesem Abkommen gestellt wurde,
b) der ersuchende Vertragsstaat nicht alle in seinem eigenen
Gebiet zur Verfügung stehenden Maßnahmen zur Einholung
der Informationen ausgeschöpft hat, es sei denn, der Rückgriff auf derartige Maßnahmen würde unverhältnismäßig
große Schwierigkeiten mit sich bringen, oder
c) die Erteilung der erbetenen Informationen der öffentlichen
Ordnung des ersuchten Vertragsstaats widerspräche.
(2) Dieses Abkommen verpflichtet einen ersuchten Vertragsstaat nicht
a) zur Übermittlung von Angaben, die einem Aussageverweigerungsrecht unterliegen, oder zur Preisgabe eines Handels-,
Industrie-, Gewerbe- oder Berufsgeheimnisses oder eines
Geschäftsverfahrens, mit der Maßgabe, dass die in Artikel 5
Absatz 4 bezeichneten Informationen nicht allein schon
deshalb als ein solches Geheimnis oder Geschäftsverfahren
gelten, oder
b) zur Durchführung von Verwaltungsmaßnahmen, die von seinen Gesetzen oder seiner Verwaltungspraxis abweichen,
weit die Verpflichtungen eines Vertragsstaats nach Artikel 5
Absatz 4 durch diesen Buchstaben nicht berührt werden.
(3) Ein Auskunftsersuchen darf nicht aus dem Grund abgelehnt werden, dass die dem Ersuchen zugrunde liegende Steuerforderung streitig ist.
(4) Der ersuchte Vertragsstaat ist nicht zur Einholung und Erteilung von Informationen verpflichtet, die die zuständige Behörde des ersuchenden Vertragsstaats nach ihrem Recht nicht einholen könnte, wenn sich die erbetenen Informationen im
Hoheitsbereich des ersuchenden Vertragsstaats befänden.
(5) Der ersuchte Vertragsstaat kann ein Auskunftsersuchen
ablehnen, wenn die Informationen vom ersuchenden Vertragsstaat zur Durchführung einer Bestimmung seines Steuerrechts
oder einer damit zusammenhängenden Anforderung erbeten
werden, die einen Bürger des ersuchten Vertragsstaats gegen-
über einem Bürger des ersuchenden Vertragsstaats unter den
gleichen Umständen benachteiligt.
Artikel 8
Vertraulichkeit
(1) Alle von den zuständigen Behörden der Vertragsstaaten
erteilten und empfangenen Informationen sind vertraulich zu behandeln und ebenso zu schützen wie die aufgrund des innerstaatlichen Rechts der Vertragsstaaten eingeholten Informationen.
(2) Diese Auskünfte dürfen nur den Personen oder Behörden
(einschließlich Gerichten und Verwaltungsbehörden) zugänglich
gemacht werden, die mit den in Artikel 1 bezeichneten Aufgaben
befasst sind, und von diesen Personen oder Behörden nur für die
in Artikel 1 bezeichneten Zwecke verwendet werden; hierzu gehört die Entscheidung über Rechtsbehelfe. Für diese Zwecke
dürfen die Informationen in einem verwaltungs- oder strafrechtlichen Ermittlungsverfahren, einem öffentlichen Gerichtsverfahren oder einer Gerichtsentscheidung offengelegt werden, sofern
dies nach dem jeweiligen Recht der Vertragsstaaten vorgesehen
ist.
(3) Diese Informationen dürfen ohne ausdrückliche schriftliche
Zustimmung der zuständigen Behörde des ersuchten Vertragsstaats nicht für andere als die in Artikel 1 bezeichneten Zwecke
verwendet werden.
(4) Die einem ersuchenden Vertragsstaat nach diesem Abkommen erteilten Informationen dürfen keinem anderen Hoheitsbereich bekannt gegeben werden.
(5) Personenbezogene Daten dürfen übermittelt werden, soweit dies zur Durchführung dieses Abkommens erforderlich ist
und vorbehaltlich des Rechts des übermittelnden Vertragsstaats.
Artikel 9
Kosten
Die zuständigen Behörden der Vertragsstaaten verständigen
sich über angefallene Kosten der geleisteten Unterstützung (einschließlich angemessener Kosten für Dritte und externe Berater,
unter anderem im Zusammenhang mit Rechtsstreitigkeiten).
Artikel 10
Verständigungsverfahren
(1) Treten zwischen den Vertragsstaaten Schwierigkeiten oder
Zweifel bezüglich der Durchführung oder Auslegung des Abkommens auf, so bemühen sich die zuständigen Behörden, die Angelegenheit in gegenseitigem Einvernehmen zu regeln.
(2) Über die in Absatz 1 bezeichneten Vereinbarungen hinaus
können sich die zuständigen Behörden der Vertragsstaaten auf
die nach den Artikeln 5, 6 und 9 anzuwendenden Verfahren verständigen.

(3) Die zuständigen Behörden der Vertragsstaaten können zur
Herbeiführung einer Einigung nach diesem Artikel unmittelbar
miteinander verkehren.
(4) Bei Bedarf verständigen sich die Vertragsstaaten über Verfahren zur Streitbeilegung.
Artikel 11
Protokoll
Das angefügte Protokoll ist Bestandteil dieses Abkommens.
Artikel 12
Inkrafttreten
(1) Dieses Abkommen bedarf der Ratifikation; die Ratifika –
tionsurkunden werden so bald wie möglich ausgetauscht.
(2) Dieses Abkommen tritt am Tag des Austauschs der Ratifikationsurkunden in Kraft und ist in beiden Vertragsstaaten anzuwenden
a) auf Steuerstrafsachen und
b) auf alle anderen unter Artikel 1 fallenden Angelegenheiten,
jedoch nur in Bezug auf die am oder nach diesem Tag beginnenden Veranlagungszeiträume oder, soweit es keinen Veranlagungszeitraum gibt, in Bezug auf alle am oder nach diesem Tag entstehenden Steuern.
Artikel 13
Kündigung
(1) Jeder Vertragsstaat kann das Abkommen durch ein Kün –
digungsschreiben an den anderen Vertragsstaat kündigen.
(2) Die Kündigung wird am ersten Tag des Monats wirksam,
der auf einen Zeitabschnitt von drei Monaten nach Eingang der
Kündigung beim anderen Vertragsstaat folgt.
(3) Wird das Abkommen gekündigt, so bleiben die Vertragsstaaten in Bezug auf die nach dem Abkommen eingeholten
Informationen an Artikel 8 gebunden.
Geschehen zu Wellington am 3. April 2012 in zwei Urschriften,
jede in deutscher und englischer Sprache, wobei jeder Wortlaut
gleichermaßen verbindlich ist.
Die Bundesrepublik Deutschland und die Cookinseln (die „Vertragsstaaten“) haben anlässlich der Unterzeichnung des Abkommens zwischen den beiden Staaten über die Unterstützung in
Steuer- und Steuerstrafsachen durch Informationsaustausch
nachstehende Bestimmungen vereinbart, die Bestandteil des Abkommens sind:
1. In Bezug auf Artikel 5 Absatz 5 Buchstabe a wird davon ausgegangen, dass die Bezeichnung der Person, die Gegenstand der Prüfung oder Ermittlung ist, anhand anderer identifizierender Angaben als des Namens festgestellt werden
kann.
2. In Bezug auf Artikel 8 Absatz 5 gelten folgende zusätzliche
Bestimmungen:
a) Die empfangende Stelle darf diese Daten gemäß Artikel 8
Absatz 3 nur zu dem von der übermittelnden Stelle angegebenen Zweck verwenden und unterliegt dabei den
durch die übermittelnde Stelle vorgeschriebenen und mit
Artikel 8 übereinstimmenden Bedingungen.
b) Ungeachtet der Bestimmungen des Artikels 8 Absatz 3
können die Informationen für andere Zwecke verwendet
werden, wenn sie nach dem Recht beider Vertragsstaaten für diese anderen Zwecke verwendet werden dürfen
und die zuständige Behörde des übermittelnden Vertragsstaats dieser Verwendung zugestimmt hat. Ohne vorherige Zustimmung des übermittelnden Vertragsstaats ist
eine Verwendung für andere Zwecke nur zulässig, wenn
sie zur Abwehr einer im Einzelfall bestehenden dringenden Gefahr für das Leben, die körperliche Unversehrtheit
oder die persönliche Freiheit einer Person oder zum
Schutz bedeutender Vermögenswerte erforderlich ist und
Gefahr im Verzug besteht. In diesem Fall ist die zuständige Behörde des übermittelnden Vertragsstaats unverzüglich um nachträgliche Genehmigung der Zweckänderung
zu ersuchen. Wird die Genehmigung verweigert, ist die
weitere Verwendung der Information für den anderen
Zweck unzulässig, und die empfangende Stelle hat die
übermittelten Daten unverzüglich zu löschen. Ein durch
die Verwendung der Informationen für den anderen
Zweck verursachter Schaden ist zu ersetzen.
c) Die übermittelnde Stelle ist verpflichtet, auf die Richtigkeit der zu übermittelnden Daten und ihre voraussichtliche Erheblichkeit im Sinne des Artikels 1 sowie die Verhältnismäßigkeit in Bezug auf den mit der Übermittlung
verfolgten Zweck zu achten. Voraussichtlich erheblich
sind die Daten, wenn im konkreten Fall die ernstliche
Möglichkeit besteht, dass der andere Vertragsstaat ein
Besteuerungsrecht hat, und keine Anhaltspunkte dafür
vorliegen, dass die Daten der zuständigen Behörde des
anderen Vertragsstaats bereits bekannt sind oder dass
Protokoll
zum Abkommen
zwischen der Bundesrepublik Deutschland
und den Cookinseln
über die Unterstützung in Steuer- und Steuerstrafsachen
durch Informationsaustausch
die zuständige Behörde des anderen Vertragsstaats ohne
die Information von dem Gegenstand des Besteuerungsrechts Kenntnis erlangt. Erweist sich, dass unrichtige Daten oder Daten, die nicht übermittelt werden durften,
übermittelt worden sind, so ist dies der empfangenden
Stelle unverzüglich mitzuteilen. Diese ist verpflichtet, solche Daten unverzüglich zu berichtigen beziehungsweise
zu löschen.
d) Auf Ersuchen unterrichtet die empfangende Stelle die
übermittelnde Stelle im Einzelfall über die Verwendung
der übermittelten Daten und die dadurch erzielten Ergebnisse.
e) Die empfangende Stelle hat den Betroffenen über die Datenerhebung bei der übermittelnden Stelle zu unterrichten. Der Betroffene muss nicht unterrichtet werden, sofern und solange insgesamt davon ausgegangen wird,
dass das öffentliche Interesse an der Nichtunterrichtung
des Betroffenen sein Informationsinteresse überwiegt.
f) Der Betroffene ist auf Antrag über die zu seiner Person
übermittelten Daten sowie über deren vorgesehene Verwendung zu unterrichten. Buchstabe e Satz 2 gilt entsprechend.
g) Wird jemand im Zusammenhang mit der Übermittlung
von Daten im Rahmen des Datenaustauschs nach diesem
Abkommen rechtswidrig geschädigt, haftet ihm hierfür die
empfangende Stelle nach ihrem innerstaatlichen Recht.
Die empfangende Stelle kann sich im Verhältnis zum Geschädigten zu ihrer Entlastung nicht darauf berufen, dass
der Schaden durch die übermittelnde Stelle verursacht
wurde.
h) Die übermittelnde und die empfangende Stelle sind verpflichtet, die Übermittlung und den Empfang personenbezogener Daten aktenkundig zu machen.
i) Soweit das für die übermittelnde Stelle geltende innerstaatliche Recht in Bezug auf die übermittelten personenbezogenen Daten besondere Löschungsfristen enthält,
weist diese Stelle die empfangende Stelle darauf hin. In
jedem Fall sind die übermittelten personenbezogenen Daten zu löschen, sobald sie für den Zweck, für den sie
übermittelt wurden, nicht mehr erforderlich sind.
j) Die übermittelnde und die empfangende Stelle sind verpflichtet, die übermittelten personenbezogenen Daten
wirksam gegen unbefugten Zugang, unbefugte Veränderung und unbefugte Bekanntgabe zu schützen.
3. Gemäß Artikel 9 des Abkommens wird gemeinsam beschlossen, dass reguläre Kosten der Beantwortung eines Auskunftsersuchens vom ersuchten Vertragsstaat zu tragen sind.
Diese regulären Kosten umfassen in der Regel interne Verwaltungskosten der zuständigen Behörde und geringfügige
externe Kosten, wie beispielsweise Kurierkosten. Alle angemessenen Kosten, die Dritten bei der Erledigung des Auskunftsersuchens entstehen, gelten als außergewöhnliche
Kosten und sind vom ersuchenden Vertragsstaat zu tragen.
Zu den außergewöhnlichen Kosten zählen unter anderem folgende Kosten:
a) angemessene Gebühren, die für die Beschäftigung von
Mitarbeitern durch Dritte zur Unterstützung bei der Erledigung des Ersuchens erhoben werden;
b) angemessene Gebühren, die Dritte für Recherchearbeiten erheben;
c) angemessene Gebühren, die Dritte für das Kopieren von
Unterlagen erheben;
d) angemessene Kosten für die Inanspruchnahme von
Sachverständigen, Dolmetschern oder Übersetzern;
e) angemessene Kosten für die Übermittlung von Unterlagen an den ersuchenden Vertragsstaat;
f) angemessene Prozessführungskosten des ersuchten Vertragsstaats im Zusammenhang mit einem bestimmten
Auskunftsersuchen;
g) angemessene Kosten für eidliche mündliche Zeugenaussagen oder Zeugenaussagen vor Gericht; und
h) angemessene, in Übereinstimmung mit den nach anzuwendendem Recht zulässigen Sätzen festgesetzte Kosten und Aufwendungen von Personen, die freiwillig zur
Befragung, eidlichen mündlichen Zeugenaussage oder
Zeugenaussage vor Gericht im Zusammenhang mit einem
bestimmten Auskunftsersuchen erscheinen.
Die zuständigen Behörden konsultieren einander in besonderen Fällen, in denen außergewöhnliche Kosten oberhalb eines Betrags von 500 US-$ zu erwarten sind, um zu klären,
ob der ersuchende Vertragsstaat das Ersuchen weiterverfolgen und die Kosten tragen möchte.
4. Förmliche Mitteilungen, einschließlich Auskunftsersuchen, im
Zusammenhang mit oder gemäß dem geschlossenen Abkommen sind unter den nachfolgend angegebenen Anschriften oder einer anderen Anschrift, die ein Vertragsstaat dem
anderen Vertragsstaat gegebenenfalls mitteilt, schriftlich und
unmittelbar an die zuständige Behörde des anderen Vertragsstaats zu richten. Alle einem Auskunftsersuchen folgenden
Mitteilungen werden je nach Zweckmäßigkeit in schriftlicher
oder mündlicher Form an die jeweils zuständige Behörde
oder ihre bevollmächtigten Dienststellen gerichtet.
Zuständige Behörde
für die
Bundesrepublik Deutschland:
Bundeszentralamt für Steuern
53221 Bonn
in Bezug auf
Steuerstrafsachen:
Bundesamt für Justiz
53094 Bonn
Zuständige Behörde
für die
Cookinseln:
Collector of Inland Revenue
Cook Islands
in Bezug auf
Steuerstrafsachen:

I. Allgemeines
1. Ziele und Bedeutung des Abkommens
Gegenstand des am 3. April 2012 unterzeichneten Abkommens ist die gegenseitige behördliche Unterstützung
in Steuer- und Steuerstrafsachen durch Informationsaustausch auf Ersuchen im Einzelfall.
Die Finanzbehörden haben steuerlich relevante Sach –
verhalte aufzuklären. Ihre Befugnisse sind jedoch auf das
Inland beschränkt. Sind grenzüberschreitende Sachverhalte aufzuklären, können Beteiligte oder auskunftspflichtige Dritte, die im Ausland ansässig sind, von den Finanzbehörden nicht wie im Inland ansässige Beteiligte oder
auskunftspflichtige Dritte zur Mitwirkung bei der Sach –
verhaltsaufklärung herangezogen werden. Die Finanz –
behörden sind dann auf die Unterstützung ausländischer
Behörden angewiesen. Fehlt die Bereitschaft anderer
Staaten oder Gebiete, Unterstützung für Besteuerungszwecke zu gewähren, wird dadurch Steuerhinterziehung
begünstigt oder gefördert. Die gegenseitige Unterstützung bei der Sachverhaltsaufklärung für Besteuerungszwecke ist umso bedeutender, als grenzüberschreitende
Sachverhalte alltäglich geworden sind.
Die Cookinseln haben sich am 22. März 2002 gegenüber
der OECD zur Akzeptanz der Grundsätze zu Transparenz
und effektivem Informationsaustausch verpflichtet. Mit
der Unterzeichnung des Abkommens vom 3. April 2012
sind die Cookinseln dieser Verpflichtung auch im Verhältnis zu Deutschland nachgekommen.
2. Die Gliederung des Abkommens
Inhalt, Aufbau und textliche Ausgestaltung des Abkommens entsprechen weitgehend dem OECD-Musterabkommen für den Auskunftsaustausch aus dem Jahr 2002.
Das Abkommen berechtigt jede Vertragspartei, die andere Vertragspartei um Auskunft oder Informationen in einer
konkreten Steuersache zu ersuchen, die Gegenstand
einer Ermittlung oder Untersuchung ist. Auskünfte werden in jedem Verfahrensstadium erteilt, d. h. sowohl im
Steuerfestsetzungsverfahren als auch im Steuerstrafverfahren.
II. Zu den einzelnen Artikeln des Abkommens
Zu Artikel 1
Dieser Artikel umschreibt in allgemeiner Form das Ziel des
Abkommens, gegenseitige Amts- und Rechtshilfe durch
Informationsaustausch zu leisten. Der Informationsaustausch ist nicht auf Personen beschränkt, die im Gebiet
einer Vertragspartei ansässig sind.
Zu Artikel 2
Dieser Artikel bestimmt, dass eine Vertragspartei nicht
verpflichtet ist, Auskünfte zu erteilen, über die ihre Behörden nicht verfügen und die sich auch nicht im Besitz einer
Person im Hoheitsbereich dieser Vertragspartei befinden.
Zu Artikel 3
A b s a t z 1 bezeichnet die Steuern, für die das Abkommen gilt. Auf deutscher Seite sind dies die Einkommensteuer, Körperschaftsteuer, Gewerbesteuer, Vermögensteuer, Erbschaftsteuer, Umsatzsteuer und Versicherungsteuer einschließlich der auf diese Steuern erhobenen Zuschläge. Zu den Steuern im Sinne des Abkommens
gehören nicht Zölle und Verbrauchsteuern.
A b s a t z 2 bestimmt, dass das Abkommen nach gesonderter Vereinbarung der Vertragsparteien auch für Steuern
gleicher oder ähnlicher Art gilt, die nach der Unterzeichnung des Abkommens erhoben werden. Die Vertragsparteien informieren sich über bedeutende Steuerrechts –
änderungen.
Zu Artikel 4
A b s a t z 1 definiert verschiedene, für die Anwendung
des Abkommens grundlegende Begriffe.
A b s a t z 2 enthält die aus den Doppelbesteuerungsabkommen bekannte Auslegungsregel, die auf das innerstaatliche Recht als subsidiäre Auslegungsquelle verweist.
Zu Artikel 5
Dieser Artikel enthält die Bedingungen, unter denen Auskünfte und Informationen auf Ersuchen erteilt werden.
A b s a t z 1 bestimmt, dass sich die Vertragsparteien auf
Ersuchen Auskünfte für die in Artikel 1 genannten Zwecke
erteilen. Ein automatischer oder ein spontaner Auskunftsaustausch ist nicht Gegenstand des Abkommens. Um
Auskünfte kann sowohl für Zwecke des Besteuerungsverfahrens als auch für Zwecke eines Steuerstrafverfahrens
ersucht werden. Die Auskünfte sind unabhängig davon zu
erteilen, ob im Falle eines Steuerstrafverfahrens das zugrunde liegende Verhalten des Steuerpflichtigen auch im
ersuchten Staat eine Straftat darstellen würde, oder ob
die ersuchte Vertragspartei die ersuchten Informationen
für eigene steuerliche Zwecke benötigt.
Nach A b s a t z 2 hat die zuständige Behörde der
ersuchten Vertragspartei, wenn sie nicht im Besitz der
erbetenen Informationen ist, alle geeigneten Maßnahmen
zu treffen, um die Informationen zu beschaffen, auch
wenn die ersuchte Vertragspartei die ersuchten Informationen für eigene steuerliche Zwecke nicht benötigt.
Nach A b s a t z 3 kann eine Vertragspartei auch darum
ersuchen, die Auskünfte in Form von Zeugenaussagen
oder beglaubigten Kopien zu erhalten.
A b s a t z 4 verpflichtet die Vertragsparteien, sicherzustellen, dass Bankinformationen und Informationen über
die Eigentumsverhältnisse an Gesellschaften und anderen
Rechtsträgern stets zugänglich sind und damit auf Er –
suchen zur Verfügung gestellt werden können. Ausgenommen hiervon sind Auskünfte über die Eigentumsverhältnisse in Bezug auf börsennotierte Gesellschaften oder
öffentliche Investmentfonds oder -systeme. Die Aufzählung der Banken und anderen Institute und Personen gemäß Buchstabe a stellt keine abschließende Aufzählung
dar. Sie ist insbesondere nicht als eine Beschränkung der
Befugnisse aus Absatz 1 zu verstehen.
Denkschrift zum AbkommenDrucksache 17/12958 – 18 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
A b s a t z 5 nennt die für ein Auskunftsersuchen notwendigen Angaben und Erklärungen. Hierdurch soll die ersuchte Vertragspartei nicht nur in die Lage versetzt werden, die ersuchten Informationen einzuholen, sondern
auch überprüfen zu können, dass die erbetenen Informationen tatsächlich für die Besteuerung voraussichtlich erheblich sind. Nummer 1 des Protokolls zum Abkommen
stellt klar, dass die Identität der Person, der die Ermittlung
oder Untersuchung gilt, üblicherweise durch den Namen,
aber auch durch andere hinreichend bestimmende Merkmale nachgewiesen werden kann.
Nach A b s a t z 6 übermittelt die ersuchte Behörde die
gewünschten Informationen so schnell wie möglich. Des
Weiteren bestätigt die ersuchte Behörde den Eingang des
Ersuchens schriftlich und unterrichtet die ersuchende Vertragspartei innerhalb von 60 Tagen nach Eingang des Ersuchens über etwaige Mängel und ebenso für den Fall,
dass das Ersuchen nicht innerhalb von 90 Tagen nach
Eingang beantwortet werden kann oder die Auskunftserteilung verweigert wird.
Nach A b s a t z 7 verpflichten sich die Vertragsparteien,
sich um Auskunftserteilung innerhalb der kürzesten Frist
zu bemühen.
Zu Artikel 6
A b s a t z 1 eröffnet die Möglichkeit, Vertreter einer Vertragspartei in den Hoheitsbereich der anderen Vertragspartei zum Zwecke der Befragung von Personen und der
Prüfung von Unterlagen zu entsenden. Voraussetzung
hierfür ist, dass dies nach dem Recht der ersuchten Vertragspartei zulässig ist und die betroffenen Personen dem
im Voraus schriftlich zugestimmt haben. Die Entscheidung über das Ersuchen und darüber, welche Bedingungen und Voraussetzungen gegebenenfalls einzuhalten
sind, obliegt ausschließlich der ersuchten Vertragspartei.
Darüber hinaus kann eine Vertragspartei entsprechend
A b s a t z 2 darum ersuchen, dass Vertreter ihrer zuständigen Behörde bei einer Steuerprüfung in der ersuchten
Vertragspartei anwesend sind. Über dieses Ersuchen entscheidet ebenfalls ausschließlich die ersuchte Vertragspartei.
A b s a t z 3 beschreibt das Verfahren für den Fall, dass
einem Ersuchen nach Absatz 2 stattgegeben wird.
Zu Artikel 7
Dieser Artikel bestimmt die Grenzen der Verpflichtung zur
Auskunftserteilung.
Nach A b s a t z 1 ist die ersuchte Vertragspartei nicht
verpflichtet, einem Ersuchen nachzukommen, das nicht
in Übereinstimmung mit den Vorschriften des Abkommens gestellt wurde, bei dem die ersuchende Vertragspartei nicht alle ihre eigenen Möglichkeiten ausgeschöpft
hat, die Informationen zu beschaffen, oder die Erteilung
der Auskünfte der öffentlichen Ordnung der ersuchten
Vertragspartei entgegenstehen würde.
Nach A b s a t z 2 besteht für eine Vertragspartei keine
Verpflichtung zur Auskunftserteilung, wenn die Informationen einem Aussageverweigerungsrecht unterliegen
oder die Preisgabe eines Handels-, Industrie-, Gewerbeoder Berufsgeheimnisses oder eines Geschäftsverfahrens
darstellen würden. Allerdings erlauben Ersuchen um
Bankauskünfte und um Auskünfte über die Eigentumsverhältnisse an Gesellschaften und anderen Rechtsträgern
nicht schon als solche eine Auskunftsverweigerung unter
Berufung auf ein Berufs- oder Geschäftsgeheimnis.
A b s a t z 3 regelt, dass ein Auskunftsersuchen nicht mit
der Begründung abgelehnt werden kann, dass die zugrunde liegende Steuerforderung streitig ist.
A b s a t z 4 legt fest, dass die Auskunftserteilung abgelehnt werden kann, wenn die ersuchende Vertragspartei
im umgekehrten Fall die Auskünfte nach ihren innerstaatlichen Rechtsvorschriften nicht erteilen könnte.
Die ersuchte Vertragspartei kann nach A b s a t z 5 ein
Auskunftsersuchen ablehnen, wenn die Auskünfte der
Anwendung von Vorschriften des Steuerrechts der ersuchenden Vertragspartei dienen, die Bürger der ersuchten
Vertragspartei diskriminieren.
Zu Artikel 8
A b s a t z 1 verpflichtet zur vertraulichen Behandlung
empfangener und erteilter Auskünfte.
Nach A b s a t z 2 dürfen die übermittelten Informationen
nur den Personen oder Behörden zugänglich gemacht
werden, die mit den jeweiligen Maßnahmen nach Artikel 1
befasst sind. Die Auskünfte können jedoch in einem
öffentlichen Gerichtsverfahren oder in einer Gerichtsentscheidung offengelegt werden.
Nach A b s a t z 3 dürfen die erlangten Informationen für
andere als in Artikel 1 genannte Zwecke nur nach ausdrücklicher schriftlicher Zustimmung der ersuchten Vertragspartei verwendet werden.
Nach A b s a t z 4 dürfen die erteilten Auskünfte keinem
anderen Hoheitsbereich, also anderen Staaten oder Gebieten, bekannt gegeben werden.
Nach A b s a t z 5 dürfen personenbezogene Daten nur
übermittelt werden, soweit dies für die Durchführung des
Abkommens erforderlich und nach dem Recht der übermittelnden Vertragspartei möglich ist. Ergänzende Bestimmungen zu der Übermittlung von personenbezogenen Daten enthält Nummer 2 des Protokolls zum
Abkommen.
Zu Artikel 9
Dieser Artikel regelt die Frage der Kosten, die einer Vertragspartei im Zusammenhang mit der Beschaffung von
Informationen und der Erteilung von Auskünften ent –
stehen. Näheres bestimmt Nummer 3 des Protokolls zum
Abkommen. Danach trägt die ersuchte Vertragspartei die
regulären Kosten der Erledigung des Auskunftser –
suchens, außergewöhnliche Kosten die ersuchende Vertragspartei.
Zu Artikel 10
Dieser Artikel gibt den zuständigen Behörden die Möglichkeit, Schwierigkeiten oder Zweifel, die sich bei der
Durchführung oder Auslegung des Abkommens ergeben,
einvernehmlich zu regeln. Darüber hinaus können sich die
zuständigen Behörden auf Verfahren zur Durchführung
der Artikel 5, 6 und 9 verständigen.
Zu Artikel 11
Das Protokoll ist Bestandteil des Abkommens.Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 19 – Drucksache 17/12958
Zu Artikel 12
Dieser Artikel enthält die Bestimmungen über das Inkrafttreten und die erstmalige Anwendung des Abkommens.
Nach A b s a t z 2 tritt das Abkommen am Tag des Austauschs der Ratifikationsurkunden in Kraft. Eine Auskunftserteilung in Bezug auf das normale Besteuerungsverfahren ist für Veranlagungszeiträume möglich, die ab
dem Inkrafttreten beginnen. Soweit kein Veranlagungszeitraum besteht, erfolgt eine Auskunftserteilung nur für
ab dem Inkrafttreten des Abkommens entstehende Steueransprüche.
Für Steuerstrafsachen werden Auskünfte ab dem Inkrafttreten des Abkommens erteilt.
Zu Artikel 13
Dieser Artikel regelt die Kündigung des Abkommens.
Nach A b s a t z 1 kann jeder Vertragsstaat das Abkommen kündigen.
A b s a t z 2 bestimmt den Zeitpunkt des Außerkrafttretens des Abkommens nach erfolgter Kündigung. Dieser
ist der erste Tag des Monats, der nach Ablauf von drei
Monaten nach Zugang der Kündigung folgt.
A b s a t z 3 bestimmt, dass die Vertragsparteien auch im
Falle einer Kündigung des Abkommens an die Geheimhaltungspflichten des Artikels 8 im Hinblick auf die erhaltenen Auskünfte gebunden bleiben.Gesamtherstellung: H. Heenemann GmbH & Co., Buch- und Offsetdruckerei, Bessemerstraße 83–91, 12103 Berlin, www.heenemann-druck.de
Vertrieb: Bundesanzeiger Verlagsgesellschaft mbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de
ISSN 0722-8333

Finanzgericht Köln entscheidet Musterverfahren zum Werbungskostenabzug bei Abgeltungssteuer

Finanzgericht Köln entscheidet Musterverfahren zum Werbungskostenabzug bei Abgeltungssteuer

Pressemitteilung vom 17. April 2013

Das Finanzgericht Köln hat heute entschieden, dass Aufwendungen im Zusammenhang mit Kapitalerträgen, die dem Steuerpflichtigen vor dem 1.1.2009 zugeflossen sind, weiterhin unbeschränkt als (nachträgliche) Werbungskosten abgezogen werden können. Das im Jahr 2009 mit der Abgeltungssteuer bei den Einkünften aus Kapitalvermögen eingeführte Abzugsverbot für Werbungskosten (§ 20 Absatz 9 EStG) findet auf diese Ausgaben keine Anwendung.

Der Kläger hat Kapitaleinkünfte für das Streitjahr 2010 in Höhe von 11.000 € erklärt. Daneben machte er Steuerberatungskosten in Höhe von 12.000 € als Werbungskosten geltend, die im Rahmen einer Selbstanzeige von Kapitalerträgen der Jahre 2002 bis 2008 entstanden sind. Das Finanzamt gewährte lediglich den Sparer-Pauschbetrag. Die Anerkennung der tatsächlich entstandenen Werbungskosten lehnte es unter Hinweis auf ein einschlägiges Schreiben des Bundesfinanzministeriums ab. Danach sei das mit der Abgeltungssteuer eingeführte Werbungskostenabzugsverbot im Hinblick auf das geltende Abflussprinzip auch anzuwenden, wenn die ab 2009 entstandenen Kosten früher zugeflossene Kapitalerträge betreffen.

Der 7. Senat des Finanzgerichts Köln gab der Klage statt (7 K 244/12). Es begründete seine Entscheidung insbesondere mit dem Wortlaut der einschlägigen Anwendungsregelung (§ 52a Absatz 10 Satz 10 EStG). Diese sehe ausdrücklich vor, dass die entsprechenden Vorschriften der Abgeltungssteuer erstmals auf nach dem 31.12.2008 zufließende Kapitalerträge anzuwenden seien. Neben den tatsächlichen Werbungskosten in Bezug auf die Einkünfte vor 2009 gewährte der Senat dem Kläger für die Kapitalerträge aus 2010 zusätzlich den Sparer-Pauschbetrag. Denn hier kämen im Grunde zwei Besteuerungssysteme nebeneinander zur Anwendung. Für den nach Abzug des Pauschbetrages und der (nachträglichen) Werbungskosten entstehenden Verlust bei den Einkünften aus Kapitalvermögen greife auch die Verlustabzugsbeschränkung des § 20 Absatz 6 EStG nicht ein. Auch diese komme nur für Kapitalerträge zur Anwendung, die nach 2008 zugeflossen seien.

Der 7. Senat hat gegen das Urteil die Revision beim Bundesfinanzhof in München zugelassen. Das schriftliche Urteil wird den Beteiligten demnächst zugestellt und auf der Homepage des Finanzgerichts Köln (www.fg-koeln.nrw.de) veröffentlicht werden.

Unter dem Aktenzeichen 8 K 1937/11 ist beim Finanzgericht Köln ein weiteres Verfahren zu derselben Problematik anhängig.

Urteil veröffentlicht am 17.05.2013

Vollständige Entscheidung:
7 K 244/12

Finanzgericht Köln, 7 K 244/12

Datum:
17.04.2013
Gericht:
Finanzgericht Köln
Spruchkörper:
7. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
7 K 244/12

Tenor:
Der Einkommensteuerbescheid 2010 vom 26.10.2011 wird unter teilweiser Aufhebung der hierzu ergangenen Einspruchsentscheidung vom 04.01.2012 dahingehend geändert, dass der Besteuerung ohne Anwendung der Verlustabzugsbeschränkung des § 20 Abs. 6 EStG Einkünfte aus Kapitalvermögen in Höhe von
-2.243 € zugrunde gelegt werden.
Die Berechnung der festzusetzenden Steuer wird dem Beklagten auferlegt.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte.
Die Revision wird zugelassen.
Das Urteil ist wegen der Kosten ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des Kostenerstattungsanspruchs des Klägers abwenden, soweit nicht der Kläger zuvor Sicherheit in derselben Höhe leistet.

1
Tatbestand
2
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob das Werbungskostenabzugsverbot des § 20 Abs. 9 Satz 1 EStG auch dann zur Anwendung kommt, wenn Ausgaben, die nach dem 31.12.2008 getätigt wurden, mit Kapitalerträgen zusammenhängen, die dem Steuerpflichtigen bereits vor dem 01.01.2009 zugeflossen sind.
3
Der Kläger wurde im Streitjahr 2010 zusammen mit seiner Ehefrau zur Einkommensteuer veranlagt.
4
Im Rahmen der Einkommensteuererklärung für das Streitjahr erklärte der Kläger Einkünfte aus Kapitalvermögen in Höhe von insgesamt 10.554 € und seine Ehefrau in Höhe von 805 €. Sie beantragten beide die Günstigerprüfung gemäß § 32d Abs. 6 EStG. Der Kläger beantragte außerdem die Berücksichtigung von Rechtsanwalts- und Steuerberatungskosten in Höhe von insgesamt 13.856,96 € als Werbungskosten bei den Einkünften aus Kapitalvermögen. Die Kosten sind dem Kläger im Zusammenhang mit einer strafbefreienden Selbstanzeige für die Veranlagungszeiträume 2002 bis 2008 entstanden, bei der Einnahmen aus Kapitalvermögen nacherklärt wurden. Zwischen den Beteiligten ist mittlerweile unstreitig, dass die Kosten i.H.v. 12.000 € ausschließlich auf die Ermittlung der nachzuerklärenden Einkünfte aus Kapitalvermögen für die Jahre 2002 bis 2008 entfallen. Die entsprechenden Rechnungen wurden vom Kläger in vollem Umfang im Jahr 2010 beglichen.
5
Der Beklagte setzte die Einkommensteuer 2010 mit Bescheid vom 23.09.2011 auf 4.123 € fest. Die Berücksichtigung der geltend gemachten Steuerberatungskosten lehnte er zunächst pauschal mit dem Hinweis ab, dass sie in Zusammenhang mit einem Steuerstrafverfahren stünden.
6
Der hiergegen eingelegte Einspruch des Klägers vom 05.10.2011 führte zu dem angefochtenen Änderungsbescheid vom 26.10.2011, der zum Gegenstand des Einspruchsverfahrens wurde (§ 365 Abs. 3 AO). In dem Änderungsbescheid wurde die Einkommensteuer 2010 aus hier nicht mehr streitigen Gründen auf 2.964 € herabgesetzt. Die geltend gemachten Rechtsanwalts- und Steuerberatungskosten wurden weiterhin nicht berücksichtigt. In der Einspruchsentscheidung vom 04.01.2012 stützte der Beklagte die Nichtanerkennung dieser Kosten nunmehr auf § 20 Abs. 9 Satz 1 EStG, wonach neben dem Sparer-Pauschbetrag der Abzug tatsächlich entstandener Werbungskosten ausgeschlossen sei. Unerheblich sei insoweit, dass die Kosten Kapitalerträge beträfen, die in den Veranlagungszeiträumen 2002 bis 2008 zugeflossen seien. Werbungskosten seien nämlich in dem Jahr abzusetzen, in dem sie geleistet worden seien (Abflussprinzip, § 11 Abs. 2 S. 1 EStG). Würden Ausgaben in 2009 oder später geleistet, fielen diese auch dann unter das Abzugsverbot des § 20 Abs. 9 EStG, wenn sie mit Kapitalerträgen der Vorjahre zusammenhingen. Der Beklagte verwies insoweit auf das Schreiben des Bundesministerium der Finanzen vom 22.12.2009 zu „Einzelfragen zur Abgeltungssteuer“ (BStBl I 2010, 94, Rz. 322).
7
Mit der vorliegenden Klage macht der Kläger weiterhin die Berücksichtigung der Rechtsanwalts- und Steuerberatungskosten als Werbungskosten bei den Einkünften aus Kapitalvermögen geltend. Werbungskosten, die Kapitalerträge beträfen, die vor dem 01.01.2009 zugeflossen seien, seien in vollem Umfang im Streitjahr zu berücksichtigen. Der Beklagte könne sich bei der Versagung der Abzugsfähigkeit nicht auf § 52a Abs. 10 S. 10 EStG berufen. Danach seien die Regelungen in § 20 Abs. 3 bis Abs. 9 EStG in der Fassung des Gesetzes vom 19.12.2008 nämlich erstmals auf nach dem 31.12.2008 zufließende Kapitalerträge anzuwenden. Somit gelte § 20 Abs. 9 EStG also schon nach dem Wortlaut der einschlägigen Anwendungsregelung nicht für Kapitalerträge, die Veranlagungszeiträume vor 2009 beträfen (Hinweis auf Hamacher/Dahm in Korn, EStG, § 20 EStG Rn. 464).
8
Der Kläger beantragt,
9
den Einkommensteuerbescheid 2010 vom 26.10.2011 unter teilweiser Aufhebung der hierzu ergangenen Einspruchsentscheidung vom 04.01.2012 dahingehend zu ändern, dass bei den Einkünften aus Kapitalvermögen zusätzlich zum Sparer-Pauschbetrag i.H.v. 1.602 € Werbungskosten i.H.v. 12.000 € ohne Anwendung der Verlustabzugsbeschränkung des § 20 Abs. 6 EStG berücksichtigt werden,
10
im Unterliegensfall die Revision zuzulassen.
11
Der Beklagte beantragt,
12
die Klage abzuweisen,
13
Im Unterliegensfall die Revision zuzulassen.
14
Entscheidungsgründe
15
Die Klage ist in vollem Umfang begründet.
16
Der Kläger wird durch den angefochtenen Einkommensteuerbescheid 2010 in seinen Rechten verletzt (§ 100 Abs. 1 FGO). Der Beklagte hat zu Unrecht die vom Kläger in 2010 verausgabten Rechtsanwalts- und Steuerberatungskosten nicht i.H.v. 12.000 € als Werbungskosten bei den Einkünften aus Kapitalvermögen berücksichtigt. Die Kosten sind dabei zusätzlich zu dem Sparer-Pauschbetrag für Ehegatten abzugsfähig. Die Verlustabzugsbeschränkung des § 20 Abs. 6 EStG kommt nicht zur Anwendung.
17
Nach § 2 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 EStG sind die Einkünfte im Bereich der Überschusseinkunftsarten durch Abzug der Werbungskosten von den Einnahmen zu ermitteln. Werbungskosten sind Aufwendungen zur Erwerbung, Sicherung und Erhaltung der Einnahmen. Sie sind bei der Einkunftsart abzuziehen, bei der sie erwachsen sind (§ 9 Abs. 1 S. 1 und 2 EStG).
18
Nach § 2 Abs. 2 S. 2 EStG i. d. F. des Unternehmenssteuerreformgesetzes vom 14.08.2007 (BGBl. I 2007, S. 1912) tritt bei Einkünften aus Kapitalvermögen § 20 Abs. 9 EStG vorbehaltlich der Regelung in § 32d Abs. 2 EStG an die Stelle der §§ 9 und 9a EStG. Nach § 20 Abs. 9 S. 1 EStG ist bei der Ermittlung der Einkünfte aus Kapitalvermögen ein Sparer-Pauschbetrag von 801 € abzuziehen; der Abzug der tatsächlichen Werbungskosten ist ausgeschlossen. Ehegatten, die zusammen zur Einkommensteuer veranlagt werden, wird ein gemeinsamer Sparer-Pauschbetrag von 1.602 € gewährt (§ 20 Abs. 9 S. 2 EStG). Gemäß § 52a Abs. 2 EStG ist § 2 Abs. 2 i. d. F. des Unternehmenssteuerreformgesetzes vom 14.08.2007 (BGBl. I 2007, S. 1912) zwar ab dem Veranlagungszeitraum 2009 anzuwenden. § 52a Abs. 10 Satz 10 EStG sieht allerdings vor, dass § 20 Abs. 9 EStG erstmals auf nach dem 31.12.2008 zufließende Kapitalerträge Anwendung findet.
19
Vor dem Hintergrund dieser Regelungen kann der Kläger bei der Ermittlung der Einkünfte aus Kapitalvermögen (§ 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 EStG) im Streitjahr die Kosten für die Ermittlung der nacherklärten Einkünfte aus den Jahren 2002 bis 2008 in Höhe von 12.000 € uneingeschränkt als Werbungskosten i. S. des § 9 Abs. 1 S. 1 und 2 EStG berücksichtigen. Da § 20 Abs. 9 EStG nach § 52a Abs. 10 Satz 10 EStG erst auf Kapitalerträge anzuwenden ist, die nach dem 31.12.2008 zufließen, kommt die Einschränkung des § 2 Abs. 2 S. 2 EStG i. d. F. des Unternehmenssteuerreformgesetzes vom 14.08.2007 (BGBl. I 2007, S. 1912) im Streitfall nicht zum Tragen.
20
Gemäß § 9 Satz 1 EStG setzt ein Abzug von Steuerberatungskosten als Werbungskosten bei den Einkünften aus Kapitalvermögen (§ 20 EStG) voraus, dass der Steuerpflichtige die Steuerberatungskosten zur Erwerbung, Sicherung oder Erhaltung der Kapitalerträge aufgewendet hat. Dies ist nach ständiger Rechtsprechung des BFH dann gegeben, wenn die Aufwendungen für Steuerberatung durch die Ermittlung der Kapitaleinkünfte veranlasst sind und nicht Entgelt für die Erstellung einer Einkommensteuererklärung darstellen (vgl. BFH-Urteil vom 20.11.2012 VIII R 29/10, BFH/NV 2013, 630; BFH-Beschluss vom 18.05.2011 X B 124/10, BFH/NV 2011, 1838, m.w.N.). Solche (Ermittlungs-)Aufwendungen des Steuerpflichtigen stehen in einem mehr oder weniger engen Zusammenhang mit der Erzielung der Einkünfte selbst. Die Ermittlung der Einkünfte umfasst dabei vor allem die Kosten der Buchführungsarbeiten und der Überwachung der Buchführung, die Ermittlung von Ausgaben oder Einnahmen, die Anfertigung von Zusammenstellungen, die Aufstellung von Bilanzen oder von Einnahmeüberschussrechnungen, die Beantwortung der sich dabei ergebenden Steuerfragen und die Kosten der Beratung. Das Übertragen der Ergebnisse aus der jeweiligen Einkunftsermittlung in die entsprechende Anlage zur Einkommensteuererklärung und das übrige Ausfüllen der Einkommensteuererklärung gehören dagegen nicht zur Einkunftsermittlung. Die hierauf entfallenden Kosten sowie Aufwendungen, die die Beratung in Tarif- oder Veranlagungsfragen betreffen oder im Zusammenhang mit der Ermittlung von Sonderausgaben und außergewöhnlichen Belastungen stehen, sind als Kosten der privaten Lebensführung gemäß § 12 Nr. 1 EStG steuerlich nicht zu berücksichtigen (vgl. BFH-Urteil vom 20.11.2012 VIII R 29/10, BFH/NV 2013, 630; BFH-Beschluss vom 18.05.2011 X B 124/10, BFH/NV 2011, 1838, m.w.N; BFH Urteile vom 12.07.1989 X R 35/86, BStBl II 1989, 967, und vom 18.11.1965 IV 151/64 U, BStBl III 1966,190; FG Hamburg, Urteil vom 27.01.2011 2 K 13/10, EFG 2011, 1421; siehe auch BMF-Schreiben vom 21.12.2007 IV B 2-S 2144/07/0002, 2007/0586772, BStBl I 2008, 256).
21
In diesem Rahmen werden generell auch Kosten für die Erstattung einer Selbstanzeige nach § 371 AO als Werbungskosten anerkannt, soweit sie auf die Ermittlung der nachzuerklärenden Einkünfte entfallen. Beratungskosten für die Geltendmachung und die Durchsetzung der strafbefreienden Wirkung der Selbstanzeige stehen dagegen wie Strafverteidigungskosten nicht im unmittelbaren Zusammenhang mit dem Besteuerungsverfahren und können daher nicht steuermindernd berücksichtigt werden (vgl. BFH-Urteil vom 20.09.1989 X R 43/86, BStBl II 1990, 20; OFD Frankfurt, Vfg. vom 03.03.2010 S 2221 A-37-St 218, juris) .
22
Unter Anwendung dieser Grundsätze stellen die Rechtsanwalts- und Steuerberatungskosten im Streitfall i. H. v. 12.000 € Werbungskosten bei den Einkünften aus Kapitalvermögen (§ 9 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 20 EStG) dar. Die geltend gemachten Kosten beziehen sich in dieser Höhe unstreitig ausschließlich auf die Ermittlung der nacherklärten Kapitaleinkünfte. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers hat insoweit in der mündlichen Verhandlung auch nachvollziehbar erläutert, dass beim Kläger die Ermittlung der Einnahmen besonders aufwändig gewesen sei, weil ihm die Banken keine zusammenfassenden Aufstellungen zur Verfügung gestellt hätten. Beratungskosten für die Gel-tendmachung und die Durchsetzung der strafbefreienden Wirkung der Selbstanzeige oder allgemeine Erklärungskosten sind in diesem Betrag nicht (mehr) enthalten.
23
Die Abzugsbeschränkung des § 20 Abs. 9 S. 1 EStG kommt in Bezug auf die Rechtsanwalts- und Steuerberatungskosten nicht zur Anwendung. § 2 Abs. 2 Satz 2 EStG sieht zwar vor, dass bei den Einkünften aus Kapitalvermögen § 20 Abs. 9 EStG an die Stelle der §§ 8 bis 9a EStG tritt. Diese Regelung geht im Streitfall allerdings insoweit ins Leere, als es um die Berücksichtigung von Werbungskosten geht, die Kapitalerträge betreffen, die vor dem 01.01.2009 zugeflossen sind. Dass die geltend gemachten Beratungskosten i.H.v. 12.000 € im Streitfall ausschließlich Kapitalerträge betreffen, die dem Kläger bis zum 31.12.2008 zugeflossen sind und diese Kapitalerträge mittlerweile in den jeweiligen Jahren auch zutreffend der Besteuerung unterworfen wurden, ist zwischen den Beteiligten unstreitig.
24
Eine Anwendung des Abzugsbeschränkung nach § 20 Abs. 9 EStG auf Werbungskosten, die im Zusammenhang mit Kapitaleinkünften stehen, die den Steuerpflichtigen bis zum 01.01.2009 zugeflossen sind, kommt nach dem eindeutigen Wortlaut der Regelung in § 52a Abs. 10 Satz 10 EStG nicht in Betracht (1). Die Voraussetzungen für eine steuerverschärfende Auslegung gegen den Wortlaut der Regelung liegen im Streitfall nicht vor (2).
25
1. Nach § 52a Abs. 10 Satz 10 EStG ist § 20 Abs. 3 bis 9 EStG in der Fassung des Artikels 1 des Jahressteuergesetzes 2009 vom 19.12.2008 (BGBl. I 2008, 2794) erstmals auf nach dem 31.12.2008 zufließende Kapitalerträge anzuwenden. Über die Abziehbarkeit von tatsächlichen Werbungskosten i. S. von § 20 Abs. 9 Satz 1 Halbsatz 2 EStG entscheidet demnach nicht der Zeitpunkt des Abflusses der betreffenden Aufwendungen. Maßgeblich ist vielmehr, wann die den Aufwendungen zuzuordnenden Kapitalerträge zufließen. Ist dies ein Zeitpunkt vor dem 31.12.2008, können Aufwendungen, die in einem objektiven Zusammenhang mit den Kapitalerträgen stehen und subjektiv zu deren Förderung erfolgten, auch dann als Werbungskosten berücksichtigt werden, wenn sie nach dem 01.01.2009 geleistet werden. § 52a Abs. 10 Satz 10 EStG schränkt insofern nach seinem eindeutigen Wortlaut die Möglichkeit des Abzugs nachträglicher Werbungskosten nicht ein (vgl. Finanzgericht Düsseldorf, Urteil vom 14.11.2012 2 K 3893/11 E, juris; Finanzgericht Rheinland-Pfalz, Urteil vom 14.12.2011, 2 K 1176/11, EFG 2012, 1146; Hamacher/Dahm in Corn/Carlé/Stahl/Strahl, EStG, § 20 Rz. 464). § 52a Abs. 10 Satz 10 EStG wählt als Anknüpfungspunkt für die zeitliche Gel-tung der Absätze drei bis neun des § 20 EStG ausdrücklich den Zufluss der Kapitalerträge und nicht den Abfluss der (tatsächlichen) Werbungskosten. Ob (tatsächliche) Werbungskosten gemäß § 20 Abs. 9 Satz 1 HS 2 EStG vom Abzug ausgeschlossen werden, richtet sich daher entscheidend danach, wann die Kapitalerträge zugeflossen sind, zu deren Erwerb die Kosten aufgewendet wurden. Dementsprechend wird auch in der Literatur im Wesentlichen übereinstimmend und unproblematisch davon ausgegangen, dass für Werbungskosten, die Kapitalerträge der Jahre vor 2009 betreffen, weiterhin die bisherigen Regelungen in Bezug auf die Abzugsfähigkeit gelten (vgl. Schmidt/Weber-Grellet, EStG, § 20 Rz. 211; Findeis/Karlstedt, BB 2011, 2075, 2078 f.; Eggers, NWB 8/2011, 646, 647 f.; a. A. Jochum in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 20 Rz. K 77).
26
Die Finanzverwaltung vertritt in ihren BMF-Schreiben zu „Einzelfragen der Abgeltungssteuer“ vom 22.12.2009 (IV C 1-S 2252/08/10004, 2009/0860687) und 09.10.2012 (IV C 1-S 2252/10/10013, 2011/0948384) unter Hinweis auf das Abflussprinzip (§ 11 Absatz 2 Satz 1 EStG) zwar die Auffassung, dass Ausgaben auch dann unter das Abzugsverbot des § 20 Abs. 9 EStG fallen sollen, wenn sie mit Kapitalerträgen der Vorjahre zusammenhängen (BStBl I 2010, 94 und BStBl I 2012, 953, jeweils unter Rz. 322). Sie lässt hierbei jedoch eine Auseinandersetzung mit dem eindeutigen Wortlaut der Anwendungsregelung vermissen. Inwieweit sich eine entsprechende Ausdehnung des Anwendungsbereichs des § 20 Abs. 9 EStG über den Wortlaut des § 52a Abs. 10 Satz 10 EStG hinaus überhaupt aus dem Abflussprinzip ergeben könnte, erschließt sich dem Gericht nicht. Regelungsinhalt der Vorschrift des § 11 EStG ist lediglich die zeitliche Zurechnung von Einnahmen und Ausgaben, mithin die Bestimmung des Besteuerungszeitpunkts. Ob und in welcher Höhe überhaupt steuerbare und steuerpflichtige Einnahmen und abziehbare Ausgaben vorliegen, ist nach anderen Vorschriften zu entscheiden (vgl. Schmidt/Heinicke EStG § 11 Rz 1). Die Frage der Anwendung des Abzugsverbots aus § 20 Abs. 9 Satz1 EStG kann sich daher nicht aus § 11 Abs. 2 EStG beantworten. Aus § 11 Abs. 2 Satz 1 EStG ergibt sich insoweit lediglich, dass der Kläger die Werbungskosten, die auf Kapitalerträge vor 2009 entfallen, erst bzw. nur im Kalenderjahr der Zahlung und somit im Streitjahr steuermindernd berücksichtigen kann. Aus § 11 Abs. 2 Satz 1 EStG kann aber nach Auffassung des Gerichts keinerlei Hinweis darauf gewonnen werden, welche Regelungen in Bezug auf die Abzugsfähigkeit dieser Kosten im Abflussjahr einschlägig sind. Insoweit kommt es ausschließlich auf die einschlägigen Anwendungsvorschriften und somit im Streitfall auf § 52a Abs. 10 Satz 10 EStG an.
27
2. Die Regelung des § 52a Abs. 10 Satz 10 EStG lässt sich nicht über den Wortlaut hinaus im Sinne der Verwaltungsauffassung dahin auslegen, dass nach dem 31.12.2008 abgeflossene Ausgaben auch dann unter das Abzugsverbot des § 20 Abs. 9 EStG fallen, wenn sie mit Kapitalerträgen der Vorjahre zusammenhängen.
28
Die Auslegung eines Gesetzes gegen den Wortlaut ist nämlich nur ausnahmsweise dann möglich, wenn die wortgetreue Auslegung zu einem sinnwidrigen Ergebnis führt, das vom Gesetzgeber nicht beabsichtigt sein kann (vgl. BFH-Urteil vom 17.6.2010 VI R 50/09, BStBl II 2011, 43, m.w.N.).
29
Diese Voraussetzung ist im Streitfall nicht erfüllt. Es spricht nämlich alles dafür, dass der Wortlaut des § 52a Abs. 10 Satz 10 EStG dem Gesetzeszweck entspricht.
30
Diese Überzeugung des Senats ergibt sich insbesondere auch unter Heranziehung der Gesetzesbegründung. Darin wird zur Einführung der Abgeltungssteuer ausgeführt, der Gesetzgeber wolle – im Hinblick auf die guten Erfahrungen mit einer Abgeltungssteuer in anderen Ländern der Europäischen Union – mit der Reform den Transfer von Kapitalvermögen der privaten Haushalte ins Ausland verhindern und eine moderne Besteuerung der privaten Kapitaleinkommen einführen (BT-Drs. 16/4841, S. 30). Zu diesem Zweck war es zwar auch erklärtes Ziel der Abgeltungssteuer, neben einer erheblichen steuerlichen Entlastung auch eine drastische Vereinfachung des Besteuerungsverfahrens von Kapitaleinkünften herbeizuführen (BT-Drs. 16/4841, Seite 35).
31
Aus der Gesetzesbegründung zu § 20 Abs. 9 EStG ergibt sich allerdings deutlich, dass diese Vereinfachung erst dort greifen soll, wo Kapitalerträge tatsächlich bereits der Abgeltungssteuer unterlegen haben. Der Gesetzgeber rechtfertigt das grundsätzliche Verbot des Abzugs der tatsächlich entstandenen Werbungskosten nämlich damit, dass durch die Einführung des Sparer-Pauschbetrages zum einen eine Typisierung hinsichtlich der Höhe der Werbungskosten in den unteren Einkommensgruppen vorgenommen werde. In den oberen Einkommensgruppen würden die Werbungskosten dagegen durch den relativ niedrigen Proportionalsteuersatz von 25 % mit abgegolten (BT-Drs. 16/4841, 57). Hierdurch hat der Gesetzgeber zum Ausdruck gebracht, dass das Abzugsverbot (nur) dann gerechtfertigt ist, wenn Einnahmen zufließen, für welche die Besonderheiten des Abgeltungsverfahrens, nämlich der einheitliche Sparer-Pauschbetrag bzw. die Abgeltungsteuer von 25 v. H., zu beachten sind (vgl. Finanzgericht Düsseldorf, Urteil vom 14.11.2012 2 K 3893/11 E, juris; Finanzgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 17.12.2012, 9 K 1637/10, juris). In diesem Sinne hat er in § 52a Abs. 10 Satz 10 EStG den Anwendungsbereich des § 20 Abs. 9 EStG folgerichtig auf Kapitalerträge beschränkt, die nach dem 31.12.2008 zufließen. Die bis einschließlich 2008 zugeflossenen Einnahmen aus Kapitalvermögen unterlagen nämlich nicht dem niedrigen Abgel-tungssteuersatz von 25 %, sondern der regulären Steuerprogression. Dementsprechend hat der Gesetzgeber mit seiner Anwendungsregelung – sachgerecht – zugelassen, dass die hiermit in Zusammenhang stehenden Ausgaben auch in den Veranlagungszeiträumen ab 2009 steuermindernd und progressionswirksam berücksichtigt werden können. Dadurch trägt er auch dem im Einkommensteuerrecht zu beachtenden objektiven Nettoprinzip Rechnung (vgl. hierzu Beschluss des BVerfG vom 06.07.2010 2 BvL 13/09, BGBl I 2010, 1157; Finanzgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 17.12.2012, 9 K 1637/10, juris; Eggers, NWB 8/2011, 646, 648 f.).
32
Dieses Ergebnis wird letztlich auch durch die Gesetzesbegründung zu der Anwendungsvorschrift des § 52a Abs. 10 Satz 10 (ursprünglich Satz 8) bestätigt (BT-Drs. 16/4841, Seite 73). Darin heißt es lediglich: „( § 52a Abs. 10) Satz 8 enthält die Anwendungsregelung für die neuen oder teilweise neu gefassten Absätze 3 bis 9 des § 20 (Anwendung auf nach dem 31. Dezember 2008 zufließenden Kapitalerträge)“.
33
Die danach zulässige Berücksichtigung der Rechtsanwalts- und Steuerberatungskosten in Höhe von 12.000 € als Werbungskosten bei den Einkünften aus Kapitalvermögen führt im Streitfall beim Kläger und seiner mit ihm veranlagten Ehefrau zu einem Verlust bei den Einkünften aus Kapitalvermögen i.H.v. 2.243 €. Dieser Verlust ergibt sich daraus, dass von den für 2010 im Rahmen der beantragten Günstigerprüfung des § 32d Abs. 6 EStG zu berücksichtigenden Kapitalerträgen i.H.v. insgesamt 11.359 € zunächst der Sparer-Pauschbetrag für Ehegatten i.H.v. 1.602 € (§ 20 Abs. 9 S. 2 EStG) abzuziehen ist. Für diese, nach dem 31.12.2008 zugeflossenen Einnahmen aus Kapitalvermögen gilt die Regelung des § 20 Abs. 9 EStG nach den o.g. Ausführungen uneingeschränkt. Anstelle der Berücksichtigung tatsächlicher Werbungskosten ist bei der Ermittlung der Einkünfte aus Kapitalvermögen bei Ehegatten ein Sparer-Pauschbetrag i.H.v. 1.602 € „als Werbungskosten“ abzuziehen (§ 20 Abs. 9 S.1 und S. 2 EStG). Die Berücksichtigung des Sparer-Pauschbetrages wird im Streitfall auch nicht ganz oder teilweise in Bezug auf den Kläger deshalb ausgeschlossen, weil der Kläger für die Kapitalerträge vor 2009 die tatsächlichen Kosten geltend machen kann.
34
Beide „Besteuerungssyteme“ kommen nämlich insoweit nebeneinander zur Anwendung. Dies ergibt sich nach Überzeugung des Senats aus dem zuvor dargestellten Willen des Gesetzgebers bei Einführung der Abgeltungssteuer i.V. mit dem objektiven Nettoprinzip. Der Sparer-Pauschbetrag soll im Hinblick auf eine Vereinfachung des Besteuerungsverfahrens bei Kapitalvermögen dort typisierend und ausschließend wirken, wo Kapitalerträge (bereits) der Abgeltungssteuer unterlegen haben. Dies betrifft im Streitfall die in 2010 zugeflossenen Einnahmen i.H.v. 11.359 €. Für diese Einnahmen hat der Kläger entsprechend der gesetzlichen Regelung keine tatsächlichen Werbungskosten geltend gemacht. Seiner Ehefrau und ihm steht diesbezüglich (zumindest) der Sparer-Pauschbetrag für Ehegatten uneingeschränkt zu. Ob der Kläger darüber hinaus im Hinblick auf die Entscheidung des Finanzgerichts Baden-Württemberg vom 17.12.2012 (9 K 1637/10, juris) in Bezug auf die Einkünfte aus 2010 noch höhere tatsächliche Kosten geltend machen könnte, weil der individuelle Steuersatz unter 25% liegt, kann im Streitfall offen bleiben. Der Kläger hat für die Einkünfte aus 2010 in Kennt-nis des o.g. Urteils des Finanzgericht Baden-Württemberg keine über 1.602 € hinausgehenden tatsächlichen Werbungskosten geltend gemacht.
35
Zieht man nach Berücksichtigung des Sparer-Pauschbetrages die Werbungskosten i.H.v. 12.000 € ab, die die Jahre 2002 bis 2008 betreffen, verbleiben negative Einkünfte aus Kapitalvermögen von 2.243 €.
36
Dieser Verlust unterliegt nicht der Abzugsbeschränkung des § 20 Abs. 6 EStG und kann im Streitjahr uneingeschränkt mit positiven Einkünften aus anderen Einkunftsarten verrechnet werden. § 20 Abs. 6 EStG wurde wie die Abzugsbeschränkung des § 20 Abs. 9 EStG im Rahmen der Einführung der Abgeltungssteuer durch das Unternehmenssteuerreformgesetzes vom 14.08.2007 (BGBl. I 2007, S. 1912) in das Einkommensteuergesetz aufgenommen. Auch für sie ist die Anwendungsvorschrift des § 52a Abs. 10 Satz 10 EStG einschlägig. D.h., sie ist ebenfalls erstmals auf nach dem 31.12.2008 zufliessende Kapitalerträge anzuwenden. Auch insoweit kommt eine Anwendung auf Verluste, die mit früheren Kapitalerträgen zusammenhängen, nicht in Betracht. Die Ausführungen zu § 20 Abs. 9 EStG geltend entsprechend.
37
Die Neuberechnung der für 2010 festzusetzenden Einkommensteuer wird wegen des nicht unerheblichen Aufwands des Gerichts bei deren Ermittlung dem Beklagten übertragen, § 100 Abs. 2 Satz 2 FGO.
38
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
39
Die Revisionszulassung folgt aus § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache.
40
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit hat ihre Rechtsgrundlage in §§ 151, 155 FGO i.V.m. §§ 708 Nr.10, 711 S.1 ZPO.

Recherchemöglichkeiten bei Einkünften aus Kapitalvermögen und privaten (Wertpapier-) Veräußerungsgeschäften

Zur steuerlichen Beurteilung von Kapitalanlagen ist es häufig erforderlich, Emissionsbedin‐
gungen oder weitere Daten des Emittenten der Kapitalanlage zu kennen (z. B. für die Beurtei‐
lung, ob es sich um eine Finanzinnovation handelt). Insbesondere wenn es sich bereits um
ältere Daten handelt, sind diese i. d. R. nicht im Internet recherchierbar.
Mittlerweile wurde der Oberfinanzdirektion eine kostenpflichtige Testlizenz für den Zugriff auf
Wertpapiergattungsdaten (Wertpapierstammdaten und Wertpapiertermindaten) zur Verfü‐
gung gestellt. Hierdurch können die für die Besteuerung notwendigen Wertpapierdaten abge‐
rufen werden.
Entsprechende Anfragen können zusammen mit den vorliegenden Unterlagen für das jeweilige
Wertpapier per E-Mail (mailto:christian.anemueller@fv.nrw.de oder mailto:Meike.Manne‐
feld@fv.nrw.de) oder Fax (0800/1009267-5603) an die Oberfinanzdirektion gerichtet werden.
Da jede Abfrage Kosten verursacht, wird darum gebeten, folgende kostenlose Recherche‐
möglichkeiten vorrangig zu nutzen:
124 VerwaltungsanweisungenFinanzinnovationen
Ob ein Zertifikat eine Finanzinnovation darstellt ist anhand der § 20 Abs. 1 Nr. 7 und § 20 Abs.
2 Satz 1 Nr. 4 EStG zu überprüfen. Maßgebend ist u. a., ob ein Ertrag oder eine (teilweise)
Kapitalrückzahlung garantiert wird.
Aufgrund der Rechtsprechung des BFH kommt die Anwendung der Marktrendite bei der Ver‐
äußerung oder Abtretung von Finanzinnovationen nur in Betracht, wenn eine Emissionsrendite
nicht vorliegt oder von den Stpfl. nicht nachgewiesen werden kann und eine Trennung von
Ertrags- und Vermögensebene nicht ohne Schwierigkeiten möglich ist.
Die entsprechenden Daten können z. T. unter www.finanzen.net eingesehen werden.
Erträge aus Anteilen an Investmentvermögen
VZ ab 2004
Nach § 5 Abs. 1 Nr. 3 InvStG müssen die Besteuerungsgrundlagen des Investmentvermögens
im elektronischen Bundesanzeiger bekannt gemacht werden.
Die veröffentlichten Besteuerungsgrundlagen können kostenfrei über das Intranet (www.ebun‐
desanzeiger.de) abgerufen werden.
Die Daten werden hierbei i. d. R. über die Suchfunktion mit Hilfe der ISIN oder der Bezeichnung
des Investmentvermögens ermittelt.
Hinweis: Nach den derzeitigen Praxiserfahrungen führt die Suche nicht zum Ergebnis, wenn
z. B. die ISIN mit Leerzeichen veröffentlicht wird. Weiterhin veröffentlichen einige Investment‐
vermögen die Besteuerungsgrundlagen ausschließlich unter dem Namen.
Werden die Besteuerungsgrundlagen tatsächlich nicht im elektronischen Bundesanzeiger ver‐
öffentlicht, sind die Erträge nach § 6 InvStG anzusetzen (Pauschalbesteuerung; vgl. auch
Rdnrn. 122-131 des BMF-Schreibens vom 18. 8. 2009, BStBl I 2009, 931).
VZ bis 2003
Die Erträge von inländischen Investmentvermögen nach dem KAGG wurden bis VZ 2000 re‐
gelmäßig im BStBl I veröffentlicht, für die übrigen Jahre sind die ungeprüften Besteuerungs‐
grundlagen im Intranet (Steuer/Einkommensteuer/Inhalt) einsehbar.
Die Besteuerung der Erträge aus Anteilen an ausländischen Investmentvermögen nach dem
AuslInvestmG ist davon abhängig, inwieweit die Anteile im Inland öffentlich vertrieben werden
durften bzw. die Fonds im Inland registriert waren und die Besteuerungsgrundlagen nachge‐
wiesen wurden (§§ 17, 18 AuslInvestmG).
Die Ermittlung und Nachprüfung der Erträge aus Anteilen an ausländischen Investmentver‐
mögen obliegt nach § 5 Abs. 1 Nr. 4 FVG dem Bundeszentralamt für Steuern (BZSt,
www.bzst.de).
Erträge bis zum Jahr 1999 wurden (tlw. ungeprüft) im BStBl veröffentlicht.
Die Höhe der Erträge kann wie folgt ermittelt werden:
• Die Erträge Luxemburger und sonstiger ausländischer Investmentfonds deutscher Proveni‐
enz sind im Intranet abrufbar (Steuer / Zulagen und Nebengesetze / Investmentsteuer‐
recht).
• Bei anderen ausländischen Investmentfonds können die anzusetzenden Besteuerungs‐
grundlagen regelmäßig bei der Investmentgesellschaft angefordert werden.
Wertpapierdienstleister / Onlinebanken
Viele Institute veröffentlichen Kurse (auch für vergangene Jahre) und einen Teil der maßgeb‐
enden Wertpapierstammdaten.
Beispiele: www.onvista.de, www.comdirect.de, www.s-investor.de.
Verwaltungsanweisungen 125Historische Wertpapierkurse
Historische Wertpapierkurse können bei www.onvista.de nach Aufruf des aktuellen Charts des
jeweiligen Wertpapiers unter dem Punkt „weitere Chartfunktionen“ – „Kurshistorie – Einzel‐
kursabfrage“ in Erfahrung gebracht werden.
EStG § 20 Abs. 1 Nr. 7, Abs. 2 Satz 1 Nr. 4; InvstG § 5 Abs. 1 Nr. 3; AuslInvestmG §§ 17, 18.

OFD Münster, Kurzinformation Einkommensteuer Nr. 008/2007 vom 31. 1. 2013.

Schleswig-Holstein: Neue Kontonummern und Bankleitzahlen für Zahlungen an Finanzämter

Daueraufträge ans Finanzamt überprüfen: Neue Kontonummern und Bankleitzahlen für Zahlungen an Finanzämter

Daueraufträge ans Finanzamt überprüfen: Neue Kontonummern und Bankleitzahlen für Zahlungen an Finanzämter

Kiel. Die Konten der schleswig-holsteinischen Finanzämter, die bisher bei den Bundesbankfilialen Kiel und Lübeck angebunden waren, werden bei der Filiale der Bundesbank
in Hamburg neu eingerichtet. Betroffen sind die Konten der Finanzämter Bad Segeberg, Eckernförde-Schleswig (Hauptstelle Eckernförde), Elmshorn, Itzehoe, Kiel-Nord, Kiel-Süd, Lübeck, Neumünster, Ostholstein, Plön, Ratzeburg, Rendsburg, Stormarn und Pinneberg. Bürgerinnen und Bürger, die für diese Finanzämter Daueraufträge eingerichtet haben, werden gebeten, ihre Daueraufträge an die neuen Bankverbindungen anzupassen. Diese können auf der Internetseite des Finanzministeriums (www.schleswig-holstein.de/fm), beim betreffenden Finanzamt oder auf aktuellen Steuerbescheiden in Erfahrung gebracht werden.

Verwirklichung des Tatbestandes der Erzielung von Einkünften aus Vermietung und Verpachtung

Wer unentgeltlich für eine ihm nahestehende, nicht kreditwürdige Person seinen Namen für den Erwerb und die Finanzierung eines Mietshauses übernimmt und dieser Person die Vermietung überlässt, erzielt selbst keine Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung. Das gilt auch dann, wenn die Darlehensvaluta von seinem hierzu von der nahestehenden Person aufgefüllten Konto abgebucht werden und so nach einer Überschussprognose ohne Berücksichtigung der Tilgung rechnerisch Überschüsse erzielt werden.

Niedersächsisches Finanzgericht 2. Senat, Urteil vom 27.11.2012, 2 K 5/12

§ 21 Abs 1 Nr 1 EStG, § 598 BGB, § 535 BGB

Tatbestand

1
Die Beteiligten streiten um die nach einer Steuerfahndungsprüfung angenommene Erzielung von zusätzlichen Einkünften aus Vermietung und Verpachtung.
2
Die Klägerin erwarb 1983 das Eigentum an dem Hausgrundstück .. in P. und hat es im Mai 2009 ohne Erzielung eines über die Übernahme von Grundschulden hinaus gehenden Kaufpreises an den Zeugen S. übertragen. Die Klägerin hatte zudem bei der B-Bank zwei Darlehen über insgesamt 300.000 DM aufgenommen, die zur Kaufpreisfinanzierung und Finanzierung umfangreicher Sanierungsarbeiten dienten. S., bis Ende 1987 der langjährige Lebensgefährte der Klägerin, sanierte das Haus nach dem Erwerb und vermietet seitdem die beiden Wohnungen und ferner den im Erdgeschoss belegenen Kiosk. Die Klägerin bevollmächtigte ihn auf seinen Wunsch 1997 ausdrücklich, sich um das Grundstück, seine Verwaltung und Vermietung zu kümmern. In den achtziger Jahren hatte sie noch negative Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung geltend gemacht.
3
S. zahlte bis einschließlich 2001 monatlich 2000 DM und in den nachfolgenden Streitjahren 1.050 € monatlich bar auf ein Konto der Klägerin bei der B-Bank. Dieses Konto diente nur der Deckung von Aufwendungen in Bezug auf das vorgenannte Haus in P. Jeweils 997,02 € buchte die B-Bank zu Gunsten der Darlehenskonten monatlich ab. Ferner zahlte die Klägerin die Gebäudeversicherung in Höhe von etwa 400 € jährlich und wandte geringe Beträge für Kontoführungsgebühren und Überziehungszinsen auf.
4
Bis heute wird das vorgenannte Verfahren aus den Streitjahren praktiziert. Das verbliebene Darlehen wird weiterhin durch Abbuchungen von monatlich 997,02 € vom Konto der Klägerin bedient und das Konto dafür durch S. monatlich mit 1.000 € aufgefüllt. Der Grundstücksübertragungsvertrag vom Mai 2009 ist insgesamt nicht vollzogen worden; die darlehensfinanzierende Bank war und ist nicht bereit, S. als neuen Darlehensnehmer zu akzeptieren.
5
Das gegen die Klägerin wegen Nichterklärens von Einkünften aus der Vermietung des Hauses in P. eingeleitete Steuerstrafverfahren wurde durch in der Hauptverhandlung verkündeten Beschluss nach § 153 Abs. 2 StPO eingestellt.
6
Aufgrund der Erkenntnisse der Steuerfahndung erließ der Beklagte die angefochtenen Änderungsbescheide für die Streitjahre, in denen er entsprechend einer Überschuss-Kalkulation unter Berücksichtigung der AfA, der Schuldzinsen und der Gebäudeversicherung Einkünfte der Klägerin aus Vermietung und Verpachtung des Hauses in P. in Höhe von etwa 2.000 bis 4.000 € jährlich ansetzte und dementsprechend die Einkommensteuern der Kläger erhöhte.
7
Für die Zeit ab 2009 hat der Beklagte hingegen nach Darstellung der Kläger keine Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung in Bezug auf das Hausgrundstück in P. der Klägerin zugerechnet.
8
Gegen diese Änderungsbescheide legten die Kläger Einspruch ein, mit dem sie vortrugen, dass die Klägerin niemals Einnahmen aus dem Objekt in P. bezogen habe. Wirtschaftlicher Nutznießer sei allein S. gewesen; Darlehensnehmerin sei die Klägerin nur gewesen, weil S. keine Darlehenszusagen erhalten habe.
9
Den Einspruch wies der Beklagte zurück. Er führte zur Begründung aus, S. sei nicht als wirtschaftlicher Eigentümer des Grundstücks in P. anzusehen. Vielmehr überlasse die Klägerin ihm das Grundstück gegen Zahlungen und verwirkliche damit den Steuertatbestand des § 21 EStG. Dass nur S. gegenüber den Mietern in P. in Erscheinung trete sei unerheblich; es läge ein Mietverhältnis zwischen der Klägerin und S. einerseits und zwischen S. und den Mietern anderseits vor.
10
Mit der Klage verfolgen die Kläger ihr Begehren auf Aufhebung der angefochtenen Änderungsbescheide weiter. Sie wiederholen und vertiefen ihre Ausführungen aus dem Einspruchsverfahren. Es fehle der Klägerin an der Einkünfteerzielungsabsicht.
11
Der Beklagte verteidigt die angefochtenen Bescheide und führt zur Begründung aus, dass S. weder wirtschaftlicher Eigentümer noch Eigenbesitzer des Hauses in P. gewesen sei. Es fehle dafür an einem dinglichen Nutzungsrecht; die jederzeit widerrufbare Vollmacht reiche nicht aus.
12
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch den Berichterstatter einverstanden erklärt.
13
Das Gericht hat durch Vernehmung des Zeugen S. und Inaugenscheinnahme eines Schreibens Beweis erhoben.
 

Entscheidungsgründe

14
I. Die Klage ist im vollen Umfang begründet. Die angefochtenen Einkommensteuerbescheide und der sie bestätigende Einspruchsbescheid sind rechtswidrig und verletzten die Kläger in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 FGO).
15
Die Klägerin hat in Bezug auf ihr Hauseigentum in P. in den Streitjahren keine Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung (§ 21 Abs. 1 Nr. 1 EStG) erzielt, so dass die nur insoweit zum Nachteil der Kläger abgeänderten Einkommensteuerbescheide im vollen Umfang aufzuheben sind.
16
Entgegen der Auffassung des Beklagten kommt es nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs, der der Senat folgt, für die Zurechnung von Einkünften aus Vermietung und Verpachtung nicht entscheidend darauf an, ob der Steuerpflichtige rechtlicher oder wirtschaftlicher Eigentümer des Mietobjekts ist. Maßgebend ist vielmehr, wer den Tatbestand der Erzielung von Einkünften aus Vermietung und Verpachtung verwirklicht. Diesen Tatbestand verwirklicht, wer die rechtliche oder tatsächliche Macht hat, ein Gebäude(teil) oder ein anderes der in § 21 EStG genannten Wirtschaftsgüter anderen entgeltlich auf Zeit zur Nutzung zu überlassen und Träger der Rechte und Pflichten des Vermieters oder Verpächters aus einem Miet- beziehungsweise Pachtvertrag ist (vgl. Urteile des Bundesfinanzhofs vom 26. Oktober 1971, VIII R 137/70; BStBl. II 1972, 215; 13. Mai 1980, VIII R 63/79; BStBl. II 1981, 295, 15. April 1986, IX R 52/83, BStBl. II 1986, 605; 31. Oktober 1989, IX R 216/84, BStBl. II 1992, 506; 13. Oktober 1992, IX R 17/88, BFH/NV 1993, 227; 16. April 2002, IX R 53/98, BFH/NV 2002, 1152; 11. März 2003, IX R 16/99, BFH/NV 2003, 1043; 6. September 2006, IX R 13/05, BFH/NV 2007, 406; Lindberg in Frotscher, EStG-Praxiskommentar, Rz. 47 zu § 21).
17
Dass die Klägerin in den Streitjahren den Tatbestand der Erzielung von Einkünften aus Vermietung und Verpachtung verwirklicht hat, lässt sich nicht feststellen. Sie war nicht Trägerin der Rechte und Pflichten einer Vermieterin oder Verpächterin aus einem entsprechenden Vertragsverhältnis.
18
1. Der Senat ist nach der durchgeführten Beweisaufnahme davon überzeugt, dass die Klägerin nur aufgrund ihres damaligen Näheverhältnisses zu S. ihm für die von ihm beabsichtigte Anschaffung und Vermietung des Hauses ihren Namen beziehungsweise ihre Kreditwürdigkeit zur Verfügung gestellt hat und es trotz ihrer Trennung von S. hierbei geblieben ist.
19
Der Senat folgt der entsprechenden Aussage des Zeugen S. Ernsthafte Anhaltspunkte, die gegen die Glaubwürdigkeit des Zeugen sprechen, sind nicht ersichtlich. Der Zeuge hat sich sachlich, flüssig und insgesamt nachvollziehbar geäußert. Es war auch in Bezug auf die Klägerin, seine ehemalige Lebensgefährtin, keine besondere Be- oder Entlastungstendenz erkennbar.
20
Der Zeuge hat insbesondere nachvollziehbar geschildert, dass ihm von der örtlichen Sparkasse eine Finanzierung verweigert wurde, dass auch seine Hausbank, die B-Bank, nicht bereit war, ihm den Hausankauf und die offenbar erheblichen Sanierungskosten zu finanzieren. Durch die Inaugenscheinnahme des entsprechenden Schreibens der Sparkasse konnte auch festgestellt werden, dass es 1983 verfasst worden sein dürfte. Dass in dieser Situation die Klägerin als damalige Lebensgefährtin ohne eigenes wirtschaftliches Interesse bereit war, das Haus (formell) in ihrem Namen zu erwerben und Darlehensnehmerin des zur Finanzierung des Kaufs und der Sanierung erforderlichen Kredite zu werden, aber allein S. von Anfang an die Lasten des Grundstücks tragen und seine Erträge vereinnahmen sollte, ist deswegen ebenfalls nachvollziehbar. Hierzu passt die für eine Grundstückskauffinanzierung eher ungewöhnliche Abrede in der ursprünglichen Zweckerklärung zu der für die B-Bank bestellten Grundschuld, dass diese auch für alle Forderungen der B-Bank gegen S. als Sicherheit dienen solle und die Darlehensvaluta auch an S. ausgezahlt werden sollten.
21
Der Zeuge hat auch die relativ ungewöhnliche Situation schlüssig erklärt, dass er glatte DM- bzw. €-Beträge auf das besondere Konto der Klägerin zur Bedienung der aufgenommenen Darlehen einzahlt, weil er auch die Mieten überwiegend in bar kassiert und sich keine Kleinbeträge wiedergeben lassen will. Zudem deckt er so andere Aufwendungen der Klägerin (Kontoführungsgebühren, Hausversicherung) per saldo ab. Aus geringen Differenzen zu Gunsten der Klägerin allein – in den Streitjahren im Umfang von gut 200 € jährlich – kann daher nicht auf wirtschaftliches Eigeninteresse der Klägerin geschlossen werden.
22
Da – wie sich aus den vorliegenden Kontoauszügen ergibt – der B-Bank die Darlehensraten im Wege des Bankeinzuges zufließen, ist auch die Aussage des Zeugen S. glaubhaft, dass er nicht direkt die Darlehensraten bei der B-Bank bedienen kann, weil diese auf eine Zahlung durch die Klägerin – der Darlehensnehmerin – bestehe.
23
Der vorgenannten Überzeugungsbildung des Senats steht nicht entgegen, dass die Klägerin nach dem von ihr selbst eingereichten Schreiben ihrer früheren Steuerberaterin in den achtziger Jahren negative Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung geltend gemacht hat. Dies lässt sich zum einen aus dem Umstand erklären, dass der Zeuge S. nach seinen Angaben formal erst ab 1997 die Mietverträge in dem Haus in P. im eigenen Namen abgeschlossen hat und zum anderen aus dem auch von ihm angedeuteten Umstand, dass jedenfalls er der Auffassung gewesen sein will, dass Mieteinnahmen steuerrechtlich immer nur dem formellen Hauseigentümer zuzurechnen seien.
24
2. Die entsprechenden, 1983 getroffenen und bis heute weitgehend unverändert durchgeführten, Abreden mündlichen Vereinbarungen zwischen der Klägerin und S. können weder zivil- noch steuerrechtlich als Miet- oder Pachtverhältnis eingeordnet werden.
25
a) Zivilrechtlich kommt es hierfür zwar nicht auf die von den Beteiligten gewährte Bezeichnung an. Vielmehr ist entscheidend, ob die getroffene Vereinbarung dem gesetzlichen Typus eines Miet- oder Pachtvertrages i.S.d. BGB (§§ 535, 581) entspricht. Hierfür ist die entgeltliche Nutzungsüberlassung eines unbeweglichen Gegenstandes auf Zeit zentral (vgl. nur Weidenkaff in Palandt, BGB, 71. Aufl. 2012, Einf. v. § 535, Rz. 2, 15ff.). Nach § 535 Abs. 1 S. 2f. BGB treffen den Vermieter zudem die Lasten der Mietsache und er hat für ihren Erhalt zu sorgen; dies gilt grundsätzlich auch für die Pacht (§§ 581 Abs. 1, 582 BGB, vgl. Weidenkaff, a.a.O., Rz. 6f zu § 582).
26
Die zwischen der Klägerin und ihrem damaligen Lebensgefährten S. 1983 getroffenen und auch nach der Trennung seit 1988 letztlich bis heute fortgeführten mündlichen Abreden lassen sich wirtschaftlich und auch rechtlich nur so verstehen, dass die Klägerin nur formal gegenüber der finanzierenden B-Bank als Grundstückserwerberin und Darlehensnehmerin auftreten sollte. Alle Nutzungen und Lasten des Hausgrundstücks sollten hingegen nur S. treffen; auch Erhalt und die (vorherige) Sanierung des Hauses war nicht Sache der Klägerin.
27
Entscheidend kommt noch hinzu, dass diese Zurverfügungstellung des Namens und der Kreditwürdigkeit auch nicht – was nach § 535 Abs. 2, 581 Abs. 1 S. 2 BGB zentraler Bestandteil eines Miet- oder Pachtvertrages wäre – entgeltlich erfolgen sollte, sondern sich allein aus dem damaligen Näheverhältnis zwischen der Klägerin und S. erklärt. Aufgrund der Darlehensvereinbarungen zieht die B-Bank die Kreditraten monatlich von einem Konto der Klägerin ein. Hierfür wird dieses Konto von S. in gleichen Zeitabständen aufgefüllt; geringe Überschüsse erklären sich weitgehend aus der Einzahlung glatter Beträge durch S., in den Streitjahren insbesondere aus einer großzügigen Umrechnung von 2.000 DM (= rechnerisch 1.022,58 €) auf 1.050 €.
28
Zivilrechtlich stellen die zwischen der Klägerin und S. getroffenen Abreden daher die Einräumung eines obligatorischen Nutzungsrechts an dem Hausgrundstück in P. durch einen – unentgeltlichen und formlosen – Leihvertrag (§ 598 BGB) dar.
29
b) Dieser zivilrechtlichen Wertung ist steuerrechtlich zu folgen, wie sich aus der eingangs zitierten Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs ergibt.
30
aa) Der als (Wohnungs- und Kiosk-)Vermieter auftretende S. hat eine gesicherte Rechtsposition aus dem so von ihm mit der Klägerin vereinbarten obligatorischen unentgeltlichen Nutzungsrecht, so dass er Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung der beiden Wohnungen und des Kiosk in dem Haus in P. erzielt (vgl. zum Ausreichen dieser Position und ihrer Begründung durch formlose Leihe BFH-Urteile vom 25. Oktober 1998, IX R 132/85, BFH/NV 1989, 295; 27. Juni 1996, IV R 82/95, BFH/NV 1997, 101; 16. April 2002, IX R 53/98, BFH/NV 2002, 1152; Lindberg, a.a.O., Rz. 84).
31
bb) Da die Klägerin nicht Trägerin der Rechte und Pflichten einer Vermieterin oder Verpächterin aus einem entsprechenden Vertragsverhältnis ist, erzielt sie hingegen – schon in objektiver Hinsicht – keine Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung. Räumt der Eigentümer einem Anderen für die unentgeltliche Nutzung eines Gebäudes oder Gebäudeteils – auch durch einen formlos geschlossenen Leihvertrag – eine gesicherte Rechtsposition ein, hat der Eigentümer keine Einkünfte aus § 21 EStG (vgl. v.g. BFH-Urteile vom 25. Oktober 1988 und 16. April 2002).
32
Auf den weiter erforderlichen, von der Klägerin in Abrede gestellten, subjektiven Tatbestand der Absicht, entsprechende Einkünfte zu erzielen, kommt es daher nicht an.
33
Nur ergänzend verweist der Senat insoweit darauf, dass die diesbezüglich grundsätzlich ohne Betrachtung von Tilgungsleistungen anzustellenden Überschussprognosen in anderen Fallkonstellationen entwickelt wurden, in denen die Finanzbehörde die Einkünfteerzielungsabsicht des Verluste geltend machenden Steuerpflichtigen bestreitet und zudem wirtschaftlich der Steuerpflichtige durch die Tilgungsleistungen regelmäßig einen – wenn auch grundsätzlich nicht steuerbaren – Vermögenszuwachs (ratierlich weniger belastetes und damit für ihn werthaltigeres Grundvermögen) erlangt.
34
In der hier gegebenen Fallkonstellation kann daher für die Frage der subjektiven Einkünfteerzielungsabsicht, des Strebens nach einem Totalüberschuss in der Nutzungsperiode (vgl. hierzu Drüen in Kirchhoff/Söhn/Mellinghoff, EStG-Loseblattkommentar, Rz. B 160ff. zu § 21), nicht außer Betrachtung bleiben, dass sich die Vorgänge im Kontext des Hauses in P. für die Klägerin von Anfang an als (betriebs-)wirtschaftlich neutral dargestellt haben und auch darstellen sollten. Die von S. aus den von ihm kassierten Mieteinnahmen getragenen Darlehenszinsen und weiteren Hauslasten werden von ihm in Erfüllung des Verwendungsersatzanspruchs der Klägerin gemäß § 601 BGB nur über ihr Konto an die B-Bank und andere Gläubiger (Hausversicherer) weiter geleitet. Inzwischen hat sich die Klägerin durch den Notarvertrag aus dem Mai 2009 auch ausdrücklich verpflichtet, S. das Grundstück ohne Realisierung eines Wertzuwachses – nur gegen Schuldübernahme beziehungsweise nach deren Tilgung ohne jede Gegenleistung – zu übertragen.
35
c) Der Senat braucht auch nicht näher zu erörtern, ob die zu Gunsten der Klägerin in den Streitjahren auf ihrem Konto letztlich verbliebenen geringen Beträge von gut 200 € jährlich steuerpflichtige sonstige Einkünften nach § 22 Nr. 3 EStG – als ihr von S. gleichsam aufgedrängtes Entgelt für die Fortführung der 1983 getroffenen Abreden – führen könnten.
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Soweit ersichtlich liegen diese Beträge jeweils unter der jährlichen Freigrenze von 256 € bzw. 500 DM.
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II. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO. Der Ausspruch der vorläufigen Vollstreckbarkeit hat seine Rechtsgrundlage in § 151 Abs. 1 und 3 FGO i. V. m. § 708 Nr. 10 ZPO.
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Gründe für die Zulassung der Revision (§ 115 FGO) liegen nicht vor. Die Entscheidung beruht auf den tatsächlichen Besonderheiten des Einzelfalles.