BFH: 6 Prozent Zinsen sind verfassungswidrig – auch bei Aussetzung

Da ist er wieder, der Zinssatz von 6 %. Seit 2019 beträgt der Zinssatz für Nachzahlungs- und Erstattungszinsen nur noch 1,8 Prozent, also 0,15 Prozent pro Monat. Dies ist auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts zurückzuführen, das die ursprünglich hohen 6 % pro Jahr als verfassungswidrig eingestuft hatte. Nun könnte ein weiteres Urteil folgen, diesmal für die sogenannten Aussetzungszinsen. Grund dafür ist ein Beschluss des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 08.05.2024 (Az.: VIII R 9/23).

Was ist passiert?

Der VIII. Senat des BFH hält den gesetzlichen Zinssatz von 6 % pro Jahr für Aussetzungszinsen für verfassungswidrig und hat die Angelegenheit dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) vorgelegt. Diese Entscheidung könnte erhebliche Auswirkungen auf Steuerpflichtige und die steuerrechtliche Praxis haben.

Grundsätzliches zu Aussetzungszinsen

Im Steuerrecht haben Einspruch und Klage gegen Steuerbescheide keine aufschiebende Wirkung. Das bedeutet, dass Steuerpflichtige die festgesetzte Steuer trotz Rechtsmittelverfahren zunächst zahlen müssen.

Eine sogenannte Aussetzung der Vollziehung (AdV) kann jedoch angeordnet werden, wenn ernsthafte Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines Steuerbescheids bestehen. Wird die Steuerzahlung ausgesetzt und der Steuerpflichtige verliert das Verfahren, fallen Aussetzungszinsen an. Diese betragen bisher 0,5 % pro Monat, also 6 % pro Jahr (§ 237 i.V.m. § 238 Abs. 1 Satz 1 AO).

Der Streitfall

Im aktuellen Verfahren hatte ein Steuerpflichtiger seinen Einkommensteuerbescheid für 2012 angefochten. Das Finanzamt setzte die Vollziehung des Bescheids aus. Als die Klage des Steuerpflichtigen letztlich erfolglos blieb, wurden für den Zeitraum der Aussetzung — vom 01.01.2019 bis zum 15.04.2021 — Aussetzungszinsen in Höhe von 6 % pro Jahr festgesetzt. Der Steuerpflichtige wehrte sich gegen diese Festsetzung mit dem Argument, der Zinssatz sei verfassungswidrig.

Bisherige Rechtsprechung des BVerfG zur Zinshöhe

Das Bundesverfassungsgericht hatte bereits mit Beschluss vom 08.07.2021 (Az.: 1 BvR 2237/14) die Höhe der Nachzahlungs- und Erstattungszinsen für Zeiträume ab dem 01.01.2014 als unvereinbar mit dem Grundgesetz erklärt (§ 233a i.V.m. § 238 Abs. 1 Satz 1 AO). Infolgedessen wurde der Zinssatz für diese Verzinsungstatbestände ab dem 01.01.2019 auf 1,8 % pro Jahr reduziert. Allerdings bezog sich diese Entscheidung nicht ausdrücklich auf Aussetzungszinsen.

Wie urteilte der BFH?

Der BFH sieht den Zinssatz von 6 % p.a. für Aussetzungszinsen ebenfalls als verfassungswidrig an. Zwei wesentliche Argumente sind dabei ausschlaggebend:

  1. Niedrigzinsphase:
    • Während einer strukturellen Niedrigzinsphase, wie sie seit Jahren herrscht, ist ein Zinssatz von 6 % pro Jahr evident unverhältnismäßig. Der gesetzliche Zinssatz ist nicht mehr erforderlich, um einen möglichen Liquiditätsvorteil des Steuerpflichtigen auszugleichen.
  2. Ungleichbehandlung:
    • Steuerpflichtige, die Aussetzungszinsen zahlen müssen, werden ungleich behandelt im Vergleich zu solchen, die Nachzahlungszinsen zahlen. Denn während Nachzahlungszinsen seit dem 01.01.2019 nur noch mit 1,8 % pro Jahr berechnet werden, verbleiben die Aussetzungszinsen bei 6 %. Diese Zinssatzspreizung ist verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt.

Ausblick: Entscheidung des BVerfG steht aus

Das Bundesverfassungsgericht muss nun über die Verfassungsmäßigkeit des Zinssatzes für Aussetzungszinsen entscheiden. Sollte das Gericht der Argumentation des BFH folgen, wäre eine gesetzliche Anpassung auch in diesem Bereich unvermeidlich.

Fazit

Die erneute Diskussion um den 6 %-Zinssatz zeigt, wie dringend eine Reform der steuerlichen Verzinsungsregelungen insgesamt notwendig ist. Für Steuerpflichtige, die von hohen Aussetzungszinsen betroffen sind, könnte eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts finanzielle Entlastung bringen. Bis dahin sollten Betroffene, die hohe Aussetzungszinsen zahlen müssen, prüfen lassen, ob es Sinn macht, diese Bescheide anzufechten oder ruhen zu lassen.

Falls Sie Fragen zur aktuellen Rechtslage oder zu Möglichkeiten der Anfechtung haben, stehen wir Ihnen gern zur Verfügung!