Archiv der Kategorie: Steuern & Recht

Zu den Voraussetzungen für das Vorliegen einer Gruppe von Erwerbern mit gleichgerichteten Interessen in Sinne des § 8c Abs. 1 Satz 3 KStG.

Niedersächsisches Finanzgericht 6. Senat, Urteil vom 26.02.2015, 6 K 424/13

§ 10d Abs 4 S 4 EStG, § 10d Abs 4 S 5 EStG, § 8c Abs 1 S 3 KStG

Tatbestand

1
Streitig ist die Anwendung von § 8c Abs. 1 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG).

2
Die Klägerin, eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung, wurde im Jahr 2002 gegründet. Gegenstand ihres Unternehmens ist nach dem Inhalt des Gesellschaftsvertrages die „Haltung und Verwaltung von Beteiligungen an anderen Unternehmen, insbesondere im …, und die Vornahme aller damit in Zusammenhang stehenden Geschäfte“.

3
Gründungsgesellschafter der Klägerin waren S zu 2/3 und P zu 1/3.

4
In 2006 übertrugen S einen Teil seiner Geschäftsanteile auf die Hans S GmbH und P seine gesamten Anteile an die P GmbH. Nach der Übertragung stellten sich die Beteiligungsverhältnisse wie folgt dar:

5
S 205.000 EUR 6,67 %
P GmbH 1.025.000 EUR 33,33 %
Hans S GmbH 1.845.000 EUR   60,00 %
Summe 3.075.000 EUR 100,00 %
6
Die Hans S GmbH war bzw. ist eine zum S-Unternehmensverbund gehörende Gesellschaft. Die P GmbH war bzw. ist eine Herrn P gehörende Gesellschaft.

7
In 2006 und 2007 fanden diverse Anteilsübertragungen statt. Zum 31.12.2007 gestalteten sich die Beteiligungsverhältnisse wie folgt:

8
ABC Beteiligungs GmbH 1.629.750 EUR 53,00 %
M GmbH 319.050 EUR 10,38 %
G 319.050 EUR 10,38 %
P GmbH 319.050 EUR 10,38 %
S Verwaltungs GmbH & CO KG 205.000 EUR 6,67 %
S GmbH 114.050 EUR 3,71 %
XY1 GmbH 92.250 EUR 3,00 %
X 61.500 EUR 2,00 %
XY2 GmbH      15.300 EUR     0,50 %
Summe 3.075.000 EUR 100,00 %
9
Die der S Vermögensverwaltung GmbH & Co. KG sowie der S GmbH gehörenden Geschäftsanteile machten zusammen 10,38 % des Stammkapitals der Klägerin aus. Alleiniger Gesellschafter beider Gesellschaften war und ist Herr S.

10
Die M GmbH ist der Familie M zuzurechnen, die somit an der Klägerin mittelbar zu 10,38 % beteiligt war.

11
Die XY1 GmbH ist Dritten zuzurechnen.

12
Am 09.11.2010 veräußerte die XY2 GmbH ihre Beteiligung an die ABC Beteiligungs GmbH. Zum 31.12.2010 gestalteten sich die Beteiligungsverhältnisse wie folgt:

13
ABC Beteiligungs GmbH 1.645,050 EUR 53,50 %
M GmbH 319.050 EUR 10,38 %
G 319.050 EUR 10,38 %
P GmbH 319.050 EUR 10,38 %
S Verwaltungs GmbH & Co. KG 205.000 EUR 6,67 %
S GmbH 114.050 EUR 3,71 %
XY1 GmbH 92.250 EUR 3,00 %
X      61.500 EUR     2,00 %
Summe 3.075.000 EUR 100,00 %
14
Die Beteiligungsverhältnisse der ABC Beteiligungs GmbH stellten sich wie folgt dar:

15
Die ABC Beteiligungs GmbH wurde in 2007 gegründet. Gründungsgesellschafter waren A (37,73 %), B (37,73 %) und die C Unternehmensbeteiligungs AG (24,54 %).

16
In 2010 veräußerten die Gründungsgesellschafter – die C Unternehmensbeteiligungs AG (drei Geschäftsanteile in Höhe von jeweils 2.050 EUR) durch notariellen Vertrag vom 01.07.2010 sowie A (drei Geschäftsanteile in Höhe von jeweils 3.150 EUR) und B (drei Geschäftsanteile in Höhe von jeweils 3.150 EUR) durch Vertrag vom 30.08.2010 – ihre Anteile jeweils zu je 1/3 an die S GmbH, die G GmbH und die M GmbH. Wegen der Einzelheiten wird insofern auf die notariellen Verträge vom 01.07.2010 (UR … des Notars …) und vom 30.08.2010 (UR … des Notars …) Bezug genommen.

17
Zum 31.12.2010 waren an der ABC Beteiligungs GmbH folgende Gesellschafter beteiligt:

18
S GmbH 8.350 EUR 33,33 %
G GmbH 8.350 EUR 33,33 %
M GmbH   8.350 EUR   33,33 %
Summe 25.050 EUR 100,00 %
19
Die G GmbH ist dem Familienstamm G zuzuordnen.

20
Wegen der Darstellung der Beteiligungsverhältnisse wird auf die drei als Anlage 1 zum Schriftsatz vom 24.01.2014 übersandten Organigramme (Bl. 19 – 21 GA) Bezug genommen.

21
Die Klägerin ist seit ihrer Gründung zu 100 % an der Beta GmbH beteiligt. Bei dieser Gesellschaft handelt es sich um ein Kunststoff verarbeitendes Unternehmen, das jährlich Gewinne erwirtschaftet und ausgeschüttet.

22
Die Klägerin selbst erzielte Verluste. Wegen der Entwicklung der körperschaft- und gewerbesteuerlichen Verlustvorträge wird auf Anlage 2 des Schriftsatzes vom 24.01.2014 (Bl. 22 GA) Bezug genommen.

23
Der Beklagte erkannte die Verluste zunächst wie erklärt an.

24
In 2012 führte das Finanzamt (FA) für Großbetriebsprüfung … bei der Klägerin eine Außenprüfung der Veranlagungszeiträume 2007 – 2010 durch. In deren Rahmen stellte der Außenprüfer fest, dass in 2010 die Gründungsgesellschafter der ABC Beteiligungs GmbH ihre Geschäftsanteile in zwei notariellen Verträgen zu 1/3 an die S GmbH, die G GmbH und die M GmbH veräußert hatten. Durch die Veräußerungen der Geschäftsanteile an der ABC Beteiligungs GmbH seien mittelbar auch 53 % der Anteile an der Klägerin veräußert worden. Nach Auffassung des Außenprüfers handele es sich bei den drei Erwerbern um eine Gruppe von Erwerbern mit gleichgerichteten Interessen im Sinne des § 8c Abs. 1 Satz 3 KStG mit der Folge, dass die bis August 2010 nicht genutzten Verluste gem. § 8c Abs. 1 Satz 2 KStG vollständig nicht mehr abziehbar seien. Dementsprechend seien im Veranlagungszeitraum 2010 8/12 der laufenden Verluste (negative Einkünfte in Höhe von 213.046 EUR bzw. ein Gewerbeverlust in Höhe von 179.150 EUR) und die auf den 31.12.2009 festgestellten vortragsfähigen Verlustvorträge zur Körperschaftsteuer in Höhe von 3.403.145 EUR sowie die verbleibenden vortragsfähigen Gewerbeverluste in Höhe von 1.857.732 EUR nicht mehr abziehbar.

25
Soweit der Prüfer darüber hinaus Feststellungen traf, sind diese nicht streitbefangen.

26
Der Beklagte schloss sich der Auffassung der Außenprüfung an und erließ am 17.10.2012 entsprechendgeänderte Bescheide über die Körperschaftsteuer 2010, die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrages zur Körperschaftsteuer auf den 31.12.2010, den Gewerbesteuermessbetrag 2010 und die gesonderte Feststellung des vortragsfähigen Gewerbeverlustes auf den 31.12.2010.

27
Die Einsprüche hiergegen wies der Beklagte durch Einspruchsbescheide vom 18.11.2013 als unbegründet zurück. Der Abzugsfähigkeit der bis zum 30.08.2010 entstandenen Verluste stehe § 8c KStG entgegen.

28
Durch den Wechsel der Gesellschafter der ABC Beteiligungs GmbH seien im Jahr 2010 mittelbar insgesamt 53 % der Anteile an der Klägerin an drei Erwerber veräußert worden. Bei den drei Erwerbern handele es sich um eine Erwerbergruppe mit gleichgerichteten Interessen i.S.d. § 8c Abs. 1 Satz 3 KStG.

29
Die Gesetzesbegründung (BT-Drucksache 16/5491, 22) sehe in einer gemeinschaftlichen Beherrschung der Verlustkörperschaft ein Indiz für ein gleichgerichtetes Interesse. Nach Literaturmeinung sei eine solche Beherrschung anzunehmen, wenn konkrete Vereinbarungen mündlicher oder schriftlicher Art getroffen würden, die auf eine Poolung der Interessen der Gesellschafter ausgerichtet seien. Auch das BMF vertrete mit Schreiben vom 04.07.2008 (BStBl I 2008, 737) die Auffassung, dass von einer Erwerbergruppe mit gleichgerichtetem Interesse regelmäßig auszugehen sei, wenn eine Abstimmung zwischen den Erwerbern stattgefunden habe, wobei kein Vertrag vorliegen müsse. Nach diesem BMF-Schreiben lägen gleichgerichtete Interessen z.B. vor, wenn mehrere Erwerber einer Körperschaft zur einheitlichen Willensbildung zusammenwirkten. Indiz gleichgerichteter Interessen sei auch die gemeinsame Beherrschung der Körperschaft, vgl. H 36 KStH 2006 („Beherrschender Gesellschafter – gleichgerichtete Interessen“).

30
Unter H 36 „Beherrschender Gesellschafter“ Unterpunkt „gleichgerichtete Interessen“ KStH 2006 werde für den Fall einer verdeckten Gewinnausschüttung geregelt, wann gleichgerichtete Interessen vorlägen. Das sei der Fall, wenn die Gesellschafter bei der Bemessung der dem einzelnen Gesellschafter jeweils zuzubilligenden Tantieme im Zusammenwirken gemeinsame Interessen verfolgten. Als Indiz für ein solches Zusammenwirken reichten die übereinstimmende Höhe der Gehälter und das zeitliche Zusammenfallen der Beschlussfassung aus.

31
Vorliegend hätten alle drei Erwerber ihre Anteile in zwei einheitlichen Vorgängen erworben, wobei jeder Erwerber von jedem der drei Veräußerer ein Drittel der veräußerten Anteile gekauft habe. Dies hätte ohne Abstimmung der Gesellschafter nicht erfolgen können. Vielmehr müssten die Erwerber sich vor dem Erwerb der Anteile zusammengesetzt und ihre Interessen abgestimmt haben, um diese einheitlichen Erwerbsvorgänge durchführen zu können.

32
Darüber hinaus lägen analog zu den in H 36 KStH für eine verdeckte Gewinnausschüttung sprechenden Indizien im Falle der Klägerin die übereinstimmende Höhe der Beteiligungsquote sowie das – nicht nur – zeitliche Zusammenfallen der Kaufvereinbarungen vor.

33
Entgegen der Auffassung der Klägerin müssten die gleichgerichteten Interessen sich nicht auf den Erhalt des Verlustvortrages der Körperschaft richten (vgl. BMF-Schreibens vom 04.07.2008 Rn. 27). Es sei daher unerheblich, ob vorliegend der Erwerb der mittelbaren Beteiligung an der Beta GmbH ausschlaggebend für den Erwerb durch die Gesellschafter gewesen sei. Maßgeblich sei lediglich das Bestehen gleichgerichteter Interessen. In welche Richtung diese gleichgerichteten Interessen verfolgt worden seien, sei unerheblich.

34
Auch habe das FA nicht gegen seine Nachweispflichten verstoßen. Die Erwerbsvorgänge hätten ohne Absprache der Erwerber nicht durchgeführt werden können. Dass Absprachen erfolgt seien, stehe somit außer Frage. Welcher Art diese Absprachen gewesen seien und welche gemeinsamen Ziele durch die Absprachen verfolgt werden sollten, sei jedoch nicht von Bedeutung. Insofern bedürfe es keiner Nachweise des FA.

35
Nach Rn. 27 des BMF-Schreibens sei von einer Erwerbergruppe mit gleichgerichteten Interessen regelmäßig auszugehen, wenn eine Abstimmung zwischen den Erwerbern stattgefunden habe. Aus dieser Formulierung ergebe sich, dass der Prozess der Abstimmung zeitlich vor dem Erwerb der Anteile begonnen haben könne, im Regelfall aber nur bis zum Zeitpunkt des Anteilserwerbs zu betrachten sei. Die Beteiligten müssten zu diesem abschließenden Zeitpunkt auch die Erwerber der Anteile sein. Diese Interpretation im BMF-Schreiben lege zugleich das gesetzliche Tatbestandsmerkmal der Gruppe von Erwerbern aus.

36
Im Streitfall seien die drei Erwerberstämme, die Firmengruppen M, S und G, am 31.12.2007 bereits zu jeweils 10,38 % an der Klägerin beteiligt gewesen. Sie hätten dann in zwei Verträgen am 01.07.und am 30.08.2010 die Anteile der ABC GmbH vollständig erworben und ihre mittelbare Beteiligung an der Klägerin auf jeweils 28,04 % erhöht. In dieser offensichtlich abgesprochenen und sich über einen längeren Zeitraum erstreckenden Vorgehensweise liege eine Abstimmung i.S.d. BMF-Schreibens.

37
Die Argumentation der Klägerin zur Beherrschung der Gesellschaft durch die Erwerbergruppe sei nicht zielführend, da für die Beurteilung der Abstimmung lediglich der Zeitraum bis zum Erwerb der Anteile zu betrachten sei. Eine eventuelle Beherrschung nach Erwerb der Anteile erfolge außerhalb des Beurteilungszeitraums.

38
Es liege auch kein Ausnahmefall i.S.d. § 8c Abs. 1 Satz 6 KStG vor. Hierfür sei nämlich erforderlich, dass der nach § 8c Abs. 1 Sätze 1 und 2 KStG nicht abziehbare Verlust die zum Zeitpunkt des schädlichen Beteiligungserwerbs vorhandenen im Inland steuerpflichtigen stillen Reserven des Betriebsvermögens der Körperschaft nicht übersteige. Entsprechend der Begründung des Gesetzentwurfs zum Wachstumsbeschleunigungsgesetz seien die stillen Reserven aus Beteiligungsbesitz aufgrund der Beschränkung auf die im Falle einer Realisierung im Inland steuerpflichtigen stillen Reserven grundsätzlich nicht zu berücksichtigen, da Gewinne aus der Veräußerung von Anteilen nach § 8b Abs. 2 KStG das Einkommen nicht erhöhten (vgl. BT-Drucksache 17/15, 19).

39
Hieran fehle es vorliegend, da die stillen Reserven aus der Beteiligung an der Beta GmbH und somit aus einem Beteiligungsbesitz resultierten, der bei Realisierung der stillen Reserven nach § 8b Abs. 2 KStG zu steuerfreien Gewinnen führe.

40
Hiergegen richtet sich die Klage, mit der sich die Klägerin gegen die Anwendung von § 8c Abs. 1 KStG wendet.

41
Unmittelbar hätten sich die Beteiligungsverhältnisse im Streitjahr unstreitig nicht schädlich entwickelt. Auch mittelbar habe kein schädlicher Erwerb stattgefunden.

42
Zwar seien in 2010 100 % der Anteile an der ABC Beteiligungs GmbH von deren Gründungsgesellschaftern zu je 1/3 auf die S GmbH, die G GmbH und die M GmbH übertragen worden. Dies habe mittelbar zu einer Übertragung von 53 % des Stammkapitals an der Klägerin geführt. Jeder Erwerber habe aber nur 1/3 der Anteile und damit mittelbar 17,67 % der Anteile an der Klägerin erworben. Die von § 8c Abs. 1 Satz 1 KStG geforderten „mehr als 25 %“ sei von keinem Erwerber erreicht worden. Die Erwerber seien auch – das sei unstreitig – nicht als nahestehende Personen i.S.d. § 8c Abs. 1 Satz 1 KStG einzuordnen.

43
Die S GmbH, die G GmbH und die M GmbH seien auch keine Gruppe von Erwerbern mit gleichgerichteten Interessen.

44
Welche Fälle unter diesen unbestimmten Rechtsbegriff fielen, sei in der Literatur umstritten. Einhellige Auffassung sei, dass das reine gemeinschaftliche Halten der Beteiligung an einer Verlustgesellschaft nicht ausreiche, um gleichgerichtete Interessen anzunehmen. Auch ein gemeinsames Interesse an der wirtschaftlichen Entwicklung der Gesellschaft genüge nicht. Anderenfalls wären regelmäßig die Verlustvorträge börsennotierter Aktiengesellschaften gefährdet.

45
Suchanek (in: Herrmann/Heuer/Raupach, KStG, § 8c Rn. 39) sei der Auffassung, gleichgerichtete Interessen lägen nur dann vor, wenn konkrete Vereinbarungen mündlicher oder schriftlicher Art getroffen worden seien, die auf die Poolung der Interessen der Gesellschaft ausgerichtet seien. Es seien strenge Maßstäbe anzulegen. Diese Voraussetzung sei nicht allein durch langjährig praktizierte übereinstimmende Stimmrechtsausübung in Gesellschafterversammlungen erfüllt.

46
Umstände, die unter diesem Gesichtspunkt gleichgerichtete Interessen bekundeten, seien bisher von dem Beklagten nicht vorgetragen worden.

47
Um gleichgerichtete Interessen zu bekunden, müsse der Zweck der Interessen-/ Stimmrechtsbündelung außerdem auf die Nutzung steuerrechtlicher Verlustvorträge gerichtet sein (vgl. Suchanek in: Herrmann/Heuer/Raupach, KStG, § 8c Rn. 39; Lang in Ernst/Young, KStG, § 8c Rn. 84.4; van Lishaut in: FR 2008, 789, 798). Wäre dies nicht der Fall, würde der Zweck des § 8c Abs. 1 Satz 3 KStG, Missbräuche zu verhindern, nicht erfüllt.

48
Dötsch (in Dötsch/Pung/Möhlenbrock, KStG, § 8c Rn. 95 ff.) weise darauf hin, das gleichgerichtete Interessen der Erwerbergruppe im Regelfall darin bestünden, die Verlustgesellschaft unter Nutzung der steuerlichen Verlustvorträge wieder in die Gewinnzone zu führen, um den Wert der erworbenen Anteile zu steigern und frühzeitig Ausschüttungen zu erhalten. Dies könne z.B. durch eine gemeinsam beschlossene Gewinnverlagerung hinein in die Verlustgesellschaft erfolgen.

49
Im konkreten Fall hätten sich die Erwerber nicht zusammengeschlossen, um eine Verlustgesellschaft zu erwerben und die Verluste – zum Beispiel durch Hineinleiten von Gewinnen – zu nutzen. Dies wäre z.B. der Fall, wenn eine Gewinn erzielende Gesellschaft unter die Verlustgesellschaft gehängt würde. Die Gewinngesellschaft müsste wiederum sämtlichen Gesellschaftern der Verlustgesellschaft gehören, um Quotenverschiebungen zu vermeiden. Im konkreten Fall sei die Gesellschaftsstruktur nicht geändert worden. Außerdem seien die drei Erwerber an der Klägerin schon vor dem Anteilserwerb zu je 10,38 % beteiligt gewesen. Die Beteiligung sei lediglich aufgestockt worden. Es seien keine Neugesellschafter hinzugetreten.

50
Die Erwerber hätten die Anteile an der ABC Beteiligungs GmbH allein deshalb erworben, um ihren Einfluss auf die Beta GmbH mittelbar über die ABC Beteiligungs GmbH und die Klägerin zu erweitern. Der Kauf der Anteile an der ABC Beteiligungs GmbH sei aus Sicht der Erwerber ein günstiges Geschäft gewesen. Bemessungsgrundlage für den Kaufpreis sei der Firmenwert gewesen. Die Verlustvorträge bzw. die steuerlichen Vorteile aus etwaigen Verlusten seien nicht in den Kaufpreis eingepreist worden.

51
Dies zeige sich auch daran, dass jeder Erwerber der Anteile an der ABC Beteiligungs GmbH 1/3 der Anteile erworben habe. Aus dem Organigramm sei ersichtlich, dass die Gesellschafterstämme S, M und G an der Klägerin zu je 10,38 % beteiligt gewesen seien. Diese Beherrschungsverhältnisse sollten auch mittelbar über die ABC Beteiligungs GmbH fortgesetzt werden. Die Fortsetzung gleichlaufender Beherrschungsverhältnisse sei das Motiv des abgestimmten Erwerbs.

52
Der Beklagte sei der Auffassung, als Indiz für gleichgerichtete Interessen könne die gemeinsame Beherrschung der Körperschaft herangezogen werden. Dies solle aus dem BMF-Schreiben vom 4.07.2008 (BStBl I 2008, 737, Rn. 27) folgen.

53
Zudem übersehe der Beklagte, dass in dem BMF-Schreiben auf H 36 Stichwort: „Beherrschender Gesellschafter – gleichgerichtete Interessen“ KStH 2006 verwiesen werde. Dort sei ausgeführt, in welchen Fällen gleichgerichtete Interessen vorlägen. Das BMF stelle ebenfalls – zusätzlich zu dem gemeinsamen Halten der Anteile – darauf ab, dass eine Abstimmung zwischen den Erwerbern vorliegen müsse (Suchanek in: Herrmann/Heuer/Raupach, KStG, § 8c Rn. 39).

54
Gemeinsames Beherrschen sei aber etwas anderes als gemeinsames Halten einer Beteiligung. Gemeinsames Beherrschen setze voraus, dass die Anteilseigner einen ihren Interessen entsprechenden Willen bei der Körperschaft herbeiführten (Dötsch in Dötsch/Pung/Mühlenbrock, KStG, § 8c Rn. 94). Allein die Möglichkeit der Beherrschung genüge nicht. Erforderlich sei, dass die Gesellschafter bei gesellschaftsrechtlichen Maßnahmen tatsächlich zusammenarbeiteten (Frotscher/Maas, KStG, § 8c Rn. 86a ff.; Lang in Ernst/Young, KStG, § 8c Rz. 84.5).

55
Selbst wenn die Rechtsauffassung des Beklagten zuträfe, lägen die Voraussetzungen eines gemeinsamen Beherrschens im Streitfall nicht vor.

56
Sollte die vom Beklagten vertretene Auffassung zutreffen und § 8c Abs. 1 Sätze 1 – 3 KStG anzuwenden sein, hätte dies zur Folge, dass in allen Fällen, in denen mehrere Käufer im zeitlichem Zusammenhang Gesellschaftsanteile erwürben, gleiche Interessen vorlägen. Diese Auffassung sei unzutreffend und mache die Ausnahme zur Regel.

57
Auch in der Praxis führe die Auffassung des Beklagten zu Ergebnissen, die nicht von § 8c Abs. 1 Sätze 1 – 3 KStG erfasst sein könnten. Allein der zeitliche Zusammenhang des Erwerbs könne nicht genügen, gemeinsame Interessen zu unterstellen.

58
Regelmäßig seien beispielsweise in Gesellschaftsverträgen von Kapitalgesellschaften sog. Vinkulierungsklauseln enthalten. Übertragungen an Dritte könnten in vielen Fällen nur durch Zustimmung der übrigen Gesellschafter vorgenommen werden.

59
Finde einer der Altgesellschafter einen Erwerber, der seine Anteile erwerben möchte, und wollten auch die übrigen Gesellschafter ihre Anteile veräußern, hätten diese die Möglichkeit, ihre Zustimmung zur Übertragung davon abhängig zu machen, dass auch ihre Anteile veräußert würden.

60
Könne der Erwerber aus finanziellen Gründen nicht sämtliche Anteile der Altgesellschafter erwerben oder möchte er dies aus unternehmerischen Überlegungen heraus nicht, wäre ein Verkauf durch die Altgesellschafter vollständig gescheitert. In vielen Fällen sei es somit aus praktischen Gesichtspunkten heraus nur möglich, sämtliche Anteile der Altgesellschafter in einem Schritt auf verschiedene Erwerber zu veräußern. Die Erwerber würden sich wohl in fast allen Fällen kennen. Bei einer Investition in eine Beteiligung seien regelmäßig alle Erwerber darauf bedacht, keine unbekannten Dritten als Mitgesellschafter zu bekommen.

61
In der Praxis würden regelmäßig zunächst die übrigen Gesellschafter gefragt, ob diese die Anteile übernehmen wollten. Oft bestünden auch Vorkaufsrechte.

62
Würde bei jedem Verkauf von mehr als 50 % der Geschäftsanteile an verschiedene Erwerber angenommen, dass diese gleichgerichtete Interessen verfolgten, wäre eine Anteilsveräußerung unter Vermeidung der § 8c Abs. 1 Sätze 1 und 2 KStG nicht möglich. Praktisch wäre fast jeder Anteilsverkauf vom Anwendungsbereich des § 8c KStG erfasst.

63
Nach Auffassung der Finanzverwaltung führe praktisch jeder Anteilsverkauf, der das Quorum von 25 % bzw. 50 % erreiche, zur Anwendung des § 8c KStG. Die Finanzverwaltung verkenne, dass das Tatbestandsmerkmal einer Gruppe von Erwerbern mit gleichgerichteten Interessen einen Ausnahmetatbestand darstelle. Grundsätzlich müsse ein Erwerber (ggf. zusammen mit einer dieser nahestehenden Person) die Anteile übernehmen. Nur ganz ausnahmsweise genüge ein Verkauf durch mehrere Erwerber, wenn diese gleichgerichtete Interessen verfolgten.

64
Ausnahmetatbestände seien eng auszulegen. Die Auslegung durch die Finanzverwaltung werde dem nicht gerecht. Sollte die Auslegung der Finanzverwaltung richtig sein, hätte § 8c KStG auch wie folgt formuliert werden können: „Werden innerhalb von fünf Jahren mittelbar oder unmittelbar mehr als 25 % des gezeichneten Kapitals übertragen, sind die bis zum schädlichen Beteiligungserwerb nicht ausgeglichenen oder abgezogenen negativen Einkünfte nicht mehr abziehbar.“

65
Ausweislich des Gesetzestextes werde jedoch tatsächlich das Abzugsverbot von der Anteilsübertragung auf einen Erwerber abhängig gemacht.

66
Selbst wenn § 8c Abs. 1 Sätze 1 – 3 KStG anzuwenden wäre, wären die Verluste nach § 8c Abs. 1 Satz 6 KStG weiterhin abzugsfähig.

67
Die stillen Reserven bei den Gesellschaften resultierten im Wesentlichen aus der Beteiligung an der Beta GmbH. Der gemeine Wert dieser Beteiligung übersteige die von § 8c Abs. 1 Sätze 1 und 2 KStG betroffenen Verluste.

68
§ 8c Abs. 1 Satz 7 KStG definiere stille Reserven als Unterschiedsbetrag zwischen dem gesamten in der steuerlichen Gewinnermittlung ausgewiesenen Eigenkapital und dem auf diese Anteile entfallenden gemeinen Werte der Anteile. Maßgebend sei somit der Wert der Anteile.

69
Mangels Börsennotierung habe eine Bewertung nach § 11 Abs. 2 Sätze 1, 2 BewG zu erfolgen. Grundsätzlich sei der gemeine Wert aus Verkäufen innerhalb eines Jahres vor dem Bewertungsstichtag abzuleiten. Am 09.11.2010 habe die ABC Beteiligungs GmbH 0,5 % der Anteile von der XY2 GmbH zu einem Kaufpreis von … EUR erworben. Hochgerechnet ergebe sich ein gemeiner Wert sämtlicher Anteile an der Klägerin von … EUR.

70
Das Eigenkapital habe zum 31.12.2009 2.XXX.XXX EUR, der Jahresfehlbetrag 2010 habe … EUR betragen. Bei Ansatz von 8/12 des Jahresfehlbetrages 2010 habe das Eigenkapital zum 31.08.2010 … EUR betragen. Die stillen Reserven betrügen demnach … EUR und überstiegen die Verlustvorträge damit bei weitem.

71
Alternativ könne der Wert der Beteiligung nach § 11 Abs. 2 Sätze 3, 4 i.V.m. §§ 199 f. BewG, also mit dem vereinfachten Ertragswertverfahren ermittelt werden. Eine Bewertung nach diesem Verfahren habe einen gemeinen Wert von … EUR ergeben. Insoweit sei eine Bewertung der Beta GmbH und der Klägerin vorgenommen worden. Die Beta GmbH sei an weiteren Tochtergesellschaften beteiligt. Diese Beteiligungen seien aus Vereinfachungsgründen mit den Anschaffungskosten bewertet worden, obwohl der Wert der Tochtergesellschaften die Anschaffungskosten übersteige.

72
Die stillen Reserven seien zwar auf Ebene der Klägerin im Falle einer Veräußerung der Anteile an der Beta GmbH nach § 8b Abs. 2 und 3 KStG steuerfrei. Dies stehe der Anwendung des § 8c Abs. 1 Satz 6 KStG – entgegen der Auffassung des Beklagten – jedoch nicht entgegen. Nach § 8b KStG seien stille Reserven in die Prüfung einzubeziehen. Dies folge schon daraus, dass die stillen Reserven zumindest auf Ebene der Anteilseigner nach Maßgabe des Teileinkünfteverfahrens bzw. der Abgeltungssteuer versteuert würden (Lang in Ernst & Young, KStG, § 8c Rz. 133; Watermeyer in GmbH-StB 2010, 132).

73
Zumindest müssten 5 % der stillen Reserven berücksichtigt werden. Insoweit wäre ein etwaiger Veräußerungsgewinn nach § 8b Abs. 3 Satz 1 KStG steuerpflichtig (Lang in Ernst & Young, KStG, § 8c Rz. 134; Suchanek in Herrmann/Heuer/Raupach, KStG, § 8c Rn. 57; Sistermann-Brinkmann in DStR 2009, 2006, 133, 2006 136 sowie Bien /Wagner in BB 2009, 2627, 2631).

74
Die Klägerin beantragt,

75
den Körperschaftsteuerbescheid 2010 vom 17.10.2012 in Gestalt des Einspruchsbescheides vom 18.11.2013 dahingehend zu ändern, dass der Körperschaftsteuerfestsetzung ein negativer Gesamtbetrag der Einkünfte in Höhe von 319.569 EUR (anstelle von bisher minus 106.523 EUR) zugrunde gelegt wird,

76
den Bescheid über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zur Körperschaftsteuer zum 31.12.2010 vom 17.10.2012 in Gestalt des Einspruchsbescheides vom 18.11.2013 dahingehend zu ändern, dass der verbleibende Verlustvortrag zur Körperschaftsteuer zum 31.12.2010 um 3.616.191 EUR (die Summe aus 213.046 EUR und 3.403.145 EUR) erhöht auf 3.722.714 EUR festgestellt wird,

77
den Bescheid über den Gewerbesteuermessbetrag 2010 vom 17.10.2012 in Gestalt des Einspruchsbescheides vom 18.11.2013 dahingehend zu ändern, dass der Festsetzung ein Gewerbeverlust in Höhe von 268.751 EUR (anstelle eines Gewerbeverlustes von bisher 89.601 EUR) zugrunde gelegt wird und

78
den Bescheid über die gesonderte Feststellung des vortragsfähigen Gewerbeverlustes zum 31.12.2010 vom 17.10.2012 in Gestalt des Einspruchsbescheides vom 18.11.2013 dahingehend zu ändern, dass der vortragsfähige Gewerbeverlust zum 31.12.2010 um 2.036.882 (die Summe aus 179.150 EUR und 1.857.732 EUR) erhöht auf 2.126.483 EUR festgestellt wird.

79
Der Beklagte beantragt,

80
die Klage abzuweisen.

81
Der Beklagte bezieht sich zur Begründung seines Antrages auf den Einspruchsbescheid.

Entscheidungsgründe

82
Die Klage ist zulässig und begründet.

83
I. Die Klage ist auch zulässig, soweit sie sich gegen die Bescheide für 2010 über Körperschaftsteuer und den Gewerbesteuermessbetrag richtet.

84
Die Klägerin ist insofern gemäß § 40 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) klagebefugt. Zwar fehlt es für die Anfechtung eines auf null lautenden Steuerbescheides bzw. Messbescheides regelmäßig an der für die Zulässigkeit einer Klage erforderlichen Beschwer (von Groll in Gräber, FGO, 7. Aufl. 2010, § 40 Rz 88 m.w.N.). Etwas anderes gilt aber ausnahmsweise dann, wenn sich die Steuerfestsetzung nicht in der Konkretisierung des Steuerschuldverhältnisses erschöpft (BFH-Urteil vom 23.04.2008 X R 32/06, BFHE 221, 102, BStBl II 2009, 7), etwa weil der zugrunde gelegte Gewinn eine verbindliche Entscheidungsgrundlage für andere Bescheide bildet (BFH-Urteil vom 09.09.2010 IV R 38/08, BFH/NV 2011, 423). Diese Voraussetzungen sind vorliegend gegeben.

85
Der dem Körperschaftsteuerbescheid 2010 als Besteuerungsgrundlage zugrunde gelegte negative Gesamtbetrag der Einkünfte hat Bindungswirkung für den Bescheid über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zur Körperschaftsteuer zum 31.12.2010.

86
Gem. § 10d Abs. 4 Satz 4 des Einkommensteuergesetzes (EStG) in der Fassung des Jahressteuergesetzes vom 08.12.2010 (BGBl I 2010, 1768) i. V. m. § 8 Abs. 1 Satz 1 KStG sind bei der Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags auf den Schluss eines Veranlagungszeitraums die Besteuerungsgrundlagen so zu berücksichtigen, wie sie den Steuerfestsetzungen des jeweiligen Veranlagungszeitraums zugrunde gelegt worden sind; dabei gelten die Vorschriften des § 171 Abs. 10, des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nummer 1 und   § 351 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO) sowie des § 42 FGO entsprechend. Aus dieser Bindungswirkung der der Körperschaftsteuerfestsetzung zugrunde gelegten Besteuerungsgrundlage – hier des negativen Gesamtbetrages der Einkünfte in 2010 – für die Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zur Körperschaftsteuer auf den Schluss des Verlustentstehungsjahres – hier auf den 31.12.2010 – folgt eine sachliche Beschwer, die die Steuerpflichtige auch bei Vorliegen eines Nullbescheides zur Anfechtung berechtigt (ebenso: Heuermann in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 10d D 93; Hallerbach in Hermann/Heuer/Raupach, EStG, § 10d Rn 43 und 127 a.E.; Schlenker in Blümich, EStG, § 10d Rn 227; Seer in Tipke/Kruse, FGO, § 40 Rn 55; Meyer und Ball, DStR 2011, 345 ff; Sikorski, NWB 2011, 2191 ff; anderer Ansicht Nöcker, AO-StB 2014, 54 ff). Indem § 10d Abs. 4 Satz 4 2. Halbsatz EStG die entsprechende Geltung von § 351 Abs. 2 AO und § 42 FGO anordnet, gibt er vor, dass eine Änderung der nach § 10d Abs. 4 Satz 4 1. Halbsatz EStG bindenden Besteuerungsgrundlagen – hier der negative Gesamtbetrag der Einkünfte in 2010 – nur durch Anfechtung des Körperschaftsteuerbescheides, nicht durch Anfechtung des Verlustfeststellungsbescheides erreicht werden kann (Heuermann in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 10d D 93).

87
Etwas anderes folgt zur Überzeugung des Senates auch nicht aus § 10d Abs. 4 Satz 5 EStG.

88
Gem. § 10d Abs. 4 Satz 5 EStG in der Fassung vom 08.12.2010 dürfen die Besteuerungsgrundlagen bei der Feststellung nur insoweit abweichend von Satz 4 berücksichtigt werden, wie die Aufhebung, Änderung oder Berichtigung der Steuerbescheide ausschließlich mangels Auswirkung auf die Höhe der festzusetzenden Steuer unterbleibt. Damit erlaubt § 10d Abs. 4 Satz 5 EStG den Ansatz von vom Steuerbescheid abweichenden Besteuergrundlagen im Verlustfeststellungsbescheid nur, soweit eine Aufhebung, Änderung oder Berichtigung der Steuerfestsetzung ausschließlich mangels Auswirkung auf die Höhe der festzusetzenden Steuer unterbleibt; d. h., die an sich nach dem steuerlichen Verfahrensrecht zugelassene Korrektur der Besteuerungsgrundlagen erfolgt allein deshalb nicht, weil sich diese nicht auf die Steuer auswirken (Heuermann in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 10d D 94). Dementsprechend darf der Änderung nicht die Bestandskraft des Steuerbescheides entgegenstehen.

89
Danach war die Klägerin durch den angefochtenen Körperschaftsteuerbescheid sachlich beschwert und damit klagebefugt.

90
Entsprechendes gilt gem. § 35b Abs. 2 Sätze 2 und 3 GewStG im Hinblick auf die Anfechtung des Gewerbesteuermessbescheides 2010.

91
II. Die Klage ist begründet.

92
Die Bescheide für 2010 über Körperschaftsteuer und den Gewerbesteuermessbetrag sowie die gesonderten Feststellungen des verbleibenden Verlustvortrags zur Körperschafsteuer zum 31.12.2010 und des vortragsfähigen Gewerbeverlustes zum 31.12.2010 vom 17.10.2012 in Gestalt der Einspruchsbescheide vom 18.11.2013 sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten, § 100 Abs. 1 Satz 1 FGO.

93
Zu Unrecht hat der Beklagte in den Bescheiden die Verluste der Klägerin bis August 2010 unter unmittelbaren Anwendung von § 8c Abs. 1 Sätze 2 und 3 KStG bzw. unter Anwendung in Verbindung mit § 10a Satz 10 Gewebesteuergesetz (GewStG) als nicht abziehbar behandelt.

94
Werden innerhalb von fünf Jahren mittelbar oder unmittelbar mehr als 50 % des gezeichneten Kapitals, der Mitgliedschaftsrechte, der Beteiligungsrechte oder der Stimmrechte an einer Körperschaft an einen Erwerber oder diesem nahe stehende Personen übertragen oder liegt ein vergleichbarer Sachverhalt vor, sind nach § 8c Abs. 1 Satz 2 KStG bis zum schädlichen Beteiligungserwerb nicht ausgeglichene oder abgezogene negativen Einkünfte (nicht genutzte Verluste) vollständig nicht mehr abziehbar.

95
Als ein Erwerber im Sinne dieser Vorschrift gilt auch eine Gruppe von Erwerbern mit gleich gerichteten Interessen, § 8c Abs. 1 Satz 3 KStG.

96
Dabei findet § 8c Abs. 1 KStG gem. § 34 Abs. 7b Satz 1 KStG erstmals auf Anteilsübertragungen nach dem 31.12.2007 Anwendung.

97
Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 8c Abs. 1 Sätze 1 oder 2 KStG werden im Streitjahr durch keinen Erwerber allein erfüllt. Die S GmbH, die G GmbH und die M GmbH haben aufgrund der notariellen Verträge vom 01.07.2010 und vom 30.08.2010 von den drei Gründungsgesellschaftern jeweils Gesellschaftsanteile an der ABC Beteiligungs GmbH im Gesamtumfang 1/3 und damit – aufgrund der Beteiligung der ABC Beteiligungs GmbH an der Klägerin von 53 % – mittelbar 17,67 % der Anteile der Klägerin erworben. Die von § 8c Abs. 1 Satz 1 KStG geforderten „mehr als 25 %“ hat keiner von ihnen hierdurch erreicht, weil die vor 2008 erworbenen Anteile gem. § 34 Abs. 7b Satz 1 KStG nicht der Anwendung des § 8c Abs. 1 KStG unterliegen.

98
Im Streitfall könnten die Voraussetzungen eines schädlichen Beteiligungserwerbs daher nur vorliegen, wenn die Erwerbe der S GmbH, der G GmbH und die M GmbH zusammenzurechnen wären, weil es sich bei ihnen um eine Gruppe von Erwerbern mit gleichgerichteten Interessen in Sinne des § 8c Abs. 1 Satz 3 KStG handelt.

99
Unter welchen Voraussetzungen das Vorliegen einer Gruppe von Erwerbern mit gleichgerichteten Interessen in Sinne des § 8c Abs. 1 Satz 3 KStG anzunehmen ist, ist bisher – soweit ersichtlich – nicht Gegenstand veröffentlichter Rechtsprechung der Finanzgerichte und des BFH.

100
Nach einhelliger Auffassung ist das reine gemeinschaftliche Halten der Beteiligung an einer Verlustgesellschaft nicht ausreichend, um gleichgerichtete Interessen anzunehmen (vgl. Suchanek in Herrmann/Heuer/Raupach, KStG, § 8c Rn. 39).

101
Auch ein gemeinsames Interesse an der wirtschaftlichen Entwicklung der Gesellschaft genügt nicht (Frotscher/Maas, KStG, § 8c Rn. 87c ff.). Anderenfalls wären regelmäßig die Verlustvorträge börsennotierter Aktiengesellschaften gefährdet.

102
Nach der Gesetzesbegründung (BT-Drucksache 16/5491, 22) sei ein Indiz für gleichgerichtete Interessen von Erwerbern gegeben, wenn die Kapitalgesellschaft von den Erwerbern beherrscht werde.

103
Auch das BMF vertritt in seinem Schreiben vom 04.07.2008 (IV C 7-S 2745-a/08/10001, 2008/0349554, BStBl I 2008, 736) die Auffassung, dass von einer Erwerbergruppe mit gleichgerichtetem Interesse regelmäßig auszugehen sei, wenn eine Abstimmung zwischen den Erwerbern stattgefunden habe, wobei kein Vertrag vorliegen müsse. Gleichgerichtete Interessen lägen danach z.B. vor, wenn mehrere Erwerber einer Körperschaft zur einheitlichen Willensbildung zusammenwirkten. Indiz gleichgerichteter Interessen sei auch die gemeinsame Beherrschung der Körperschaft. Insofern bezieht sich das BMF auf Hinweis (H) 36 in den Körperschaftsteuerhinweisen (KStH) 2006 Stichwort „Beherrschender Gesellschafter“ Unterpunkt „gleichgerichtete Interessen“. Dort wird darauf hingewiesen, dass in Fällen, in denen mehrere Gesellschafter einer Kapitalgesellschaft mit gleichgerichteten Interessen zusammenwirken, um eine ihren Interessen entsprechende einheitliche Willensbildung herbeizuführen, auch ohne Hinzutreten besonderer Umstände eine beherrschende Stellung anzunehmen sei. Gleichgerichtete wirtschaftliche Interessen lägen auch vor, wenn die Gesellschafter bei der Bemessung der dem einzelnen Gesellschafter jeweils zuzubilligenden Tantieme im Zusammenwirken gemeinsame Interessen verfolgten. Als Indiz für ein solches Zusammenwirken reichten die übereinstimmende Höhe der Gehälter und das zeitliche Zusammenfallen der Beschlussfassung aus.

104
Nach Auffassung des erkennenden Senates liegt eine Gruppe von Erwerbern mit gleichgerichteten Interessen ausgehend von der Gesetzesbegründung dann vor, wenn mehrere Erwerber bei und im Hinblick auf den Erwerb von Anteilen an einer Verlustgesellschaft zusammenwirken und diese Gruppe im Anschluss an den Erwerb (durch Stimmbindungsvereinbarungen, Konsortialverträge oder andere verbindliche Abreden) einen beherrschenden einheitlichen Einfluss bei der Verlustgesellschaft ausüben kann. Maßgeblicher Zeitpunkt ist dabei – wegen der Anknüpfung des Tatbestandes an den Anteilserwerb – der Erwerbszeitpunkt. Spätestens zu diesem Zeitpunkt müssen die Erwerber Abreden im Hinblick auf das spätere gemeinsame Beherrschen der Gesellschaft getroffen haben.

105
Die Möglichkeit des Beherrschens genügt nicht; maßgebend ist, ob die Gruppe von Erwerbern die Gesellschaft tatsächlich beherrscht (im Ergebnis ebenso Lang in Ernst/Young, KStG, § 8c Rn. 84.4; Suchanek in: Herrmann/Heuer/Raupach, Kommentar zum KStG, § 8c Rn. 39; Frotscher in Frotscher/Maas, KStG, § 8c Rn. 87c ff.; Dötsch in Dötsch/Pung/ Möhlenbrock, KStG, § 8c Rn. 95 ff.; Olbing in Streck, KStG 8. Aufl. 2014, § 8c, Rn 17).

106
Ausschlaggebend für dieses Verständnis des § 8c Abs. 1 Satz 3 KStG ist der Gesetzeszweck der Vorschrift, den Anwendungsbereich des § 8c Abs. 1 Sätze 1 und 2 KStG zur Verhinderung von Missbräuchen zu erweitern.

107
So knüpft der Tatbestand des § 8c Abs. 1 KStG ausweislich seiner Sätze 1 und 2 vorrangig an den Erwerb von Anteilen an einen Erwerber an. Zur Verhinderung von Missbräuchen erweitert § 8c Abs. 1 Satz 3 KStG den Anwendungsbereich des § 8c Abs. 1 KStG auf eine Gruppe von Erwerbern, die unter der Voraussetzung gleichgerichteter Interessen als ein Erwerber gilt. Dieser Tatbestand ist als Ausnahmetatbestand daher eng auszulegen. Anderenfalls würde der zeitnahe Verkauf von mehr als 25 % bzw. 50 % der Geschäftsanteile an verschiedene Erwerber regelmäßig zur Anwendung des § 8c Abs. 1 Sätze 1 und 2 KStG führen.

108
Bei Anwendung dieser Rechtsgrundsätze liegen die Voraussetzungen des § 8c Abs. 1 Satz 3 KStG im Streitfall nicht vor.

109
Vorliegend waren die drei Erwerber, die Firmengruppen M, S und G, am 31.12.2007 bereits zu jeweils 10,38 % an der Klägerin beteiligt und sie erwarben aufgrund der notariellen Verträge vom 01.07.2010 und vom 30.08.2010 von den Gründungsgesellschaftern jeweils 1/3 der Anteile an der ABC GmbH und damit mittelbar jeweils weitere 17,67 % der Anteile der Klägerin.

110
Dass die Erwerberstämme die Erwerbe in 2010 abgesprochen haben, folgt bereits aus dem Umstand, dass sie die Anteile aufgrund der gemeinsam geschlossenen Verträge erwarben. Dass die Erwerberstämme darüber hinaus gleiche Interessen – insbesondere in der Willensbildung innerhalb des Unternehmens der Klägerin – zu den maßgeblichen Zeitpunkten des Erwerbs der Beteiligungen verfolgten, hat die Außenprüfung nicht festgestellt. Dies wird weder von dem Beklagten noch von der Klägerin vorgetragen und dies kann der Senat auch nicht anhand der Akten feststellen. Der zeitgleiche, in denselben Verträge und mit gleichen Beteiligungsquoten vereinbarte Hinzuerwerb ist zur Überzeugung des Senates kein hinreichendes Indiz für die Annahme gleichgerichteter Interessen der Erwerber. Insofern kann nicht ausgeschlossen werden, dass den Altgesellschaftern – wie vorgetragen – der Hinzuerwerb angeboten und aufgrund eines Interessenausgleiches unter ihnen auch zu gleichen Beteiligungsquoten ermöglicht wurde. Weitergehende Anhaltspunkte dafür, dass die Erwerber über das Halten der gemeinsamen Beteiligung an der Klägerin Absprachen zur Verfolgung gemeinsamer wirtschaftlicher Interessen getroffen haben, sind nicht ersichtlich.

111
Allein die Möglichkeit der Beherrschung der Klägerin durch die drei Erwerberstämme aufgrund der von Ihnen mittelbar gehalten Mehrheit der Stimmrechte (insgesamt repräsentieren sie Ende 2010 84,62 % der Stimmen) erfüllt – wie oben dargestellt – nicht die Voraussetzungen des Tatbestandsmerkmals „gleichgerichteter Interessen“. Dabei darf nicht übersehen werden, dass sich insbesondere in Dreier-Konstellation – wie vorliegend – auch wechselnde Mehrheiten bilden können.

112
Soweit der Beklagte unter Hinweis auf die vom BMF in seinem Schreiben vom 04.07.2008 (IV C 7-S 2745-a/08/10001, 2008/0349554, BStBl I 2008, 736) in H 36 KStH 2006 in Bezug genommene Darstellung der BFH-Rechtsprechung zur Bewilligung von Tantiemen durch Minderheitsgesellschafter meint, die Konstellation der Rechtsprechungsfälle sei vergleichbar der Konstellation des Streitfalls, teilt der erkennende Senat diese Auffassung nicht. Denn anders als in den Tantiemefällen, in denen sich Minderheitsgesellschafter zu Mehrheiten zusammenschließen, um sich gegenseitig Vorteile in Form von Tantiemezusagen zu bewilligen, fehlt es vorliegend gerade an Anhaltspunkten für eine gemeinsame Stimmrechtsausübung als Ausdruck tatsächlicher Beherrschung.

113
Auch der Umstand, dass im Streitfall die von den drei Erwerberstämmen im Streitjahr hinzuerworbenen mittelbaren Anteile den Erwerbern durch ihre Beteiligung – von je 1/3 der Anteile – an der ABC GmbH vermittelt werden, hält der Senat für unschädlich. Insofern fehlt es an Regelungen in den Gesellschaftsverträgen der ABC GmbH und der Klägerin, die eine einheitliche Stimmrechtsausübung oder Stimmrechtsbindungen zum Gegenstand haben.

114
Nach allem sind im Streitfall die Voraussetzungen einer Gruppe von Erwerbern mit gleichgerichteten Interessen im Sinne des § 8c Abs. 1 Satz 3 KStG nicht erfüllt.

115
Ob die Annahme gleichgerichteter Interessen darüber hinaus erfordert, dass der Zweck der Interessen-/ Stimmrechtsbündelung – wie teilweise vertreten – außerdem auf die Nutzung steuerrechtlicher Verlustvorträge gerichtet sein muss, weil nur so dem Gesetzeszweck der Verhinderung missbräuchlicher Gestaltungen genügt werde (vgl. Suchanek in: Herrmann/Heuer/Raupach, KStG, § 8c Rn. 39; Lang in Ernst/Young, KStG, § 8c Rn. 84.4; van Lishaut in: FR 2008, 789, 798), kann im Ergebnis daher dahin stehen.

116
2. Eine Entscheidung über das Vorliegen der Voraussetzungen des § 8c Abs. 1 Satz 3 KStG konnte auch nicht unter Hinweis auf § 8c Abs. 1 Sätze 6 – 8 KStG dahinstehen, da die Voraussetzungen dieser Vorschrift zur Überzeugung des Senates nicht gegeben sind. Nach § 8c Abs. 1 Satz 6 KStG kann ein nicht abziehbarer nicht genutzter Verlust abweichen von den Sätzen 1 und 2 abgezogen werden, soweit er bei einem schädlichen Beteiligungserwerb im Sinne des Satzes 1 die anteiligen und bei einem schädlichen Beteiligungserwerb im Sinne des Satzes 2 die gesamten zum Zeitpunkt des schädlichen Beteiligungserwerb vorhandenen im Inland steuerpflichtigen stillen Reserven des Betriebsvermögens der Körperschaft nicht übersteigt. Stille Reserven im Sinne des § 8c Abs. 1 Satz 6 KStG sind der Unterschiedsbetrag zwischen dem in der steuerlichen Gewinnermittlung ausgewiesenen Eigenkapital und dem auf dieses Eigenkapital jeweils entfallenen gemeinen Wert der Anteile an der Körperschaft, soweit diese im Inland steuerpflichtig ist.

117
Aufgrund der Beschränkung auf die im Falle einer Realisierung im Inland steuerpflichtigen stillen Reserven sind die stillen Reserven aus Beteiligungsbesitz grundsätzlich nicht zu berücksichtigen, da Gewinne aus der Veräußerung von Anteilen nach § 8b Abs. 2 KStG das Einkommen nicht erhöhen (so die Begründung des Gesetzentwurfs zum Wachstumsbeschleunigungsgesetz, BT-Drucksache 17/15, 19; ebenso Dötsch in Dötsch/ Pung/Möhlenbrock, KStG, § 8c Rn. 76n m.w.N.).

118
Danach liegen vorliegend die Voraussetzungen des § 8c Abs. 1 Sätze 6 – 8 KStG nicht vor. Die Klägerin als Holdinggesellschaft verfügt – das ist unstreitig – nur über stille Reserven in ihren Beteiligungsgesellschaften und der Gewinn aus der Veräußerung von deren Anteilen vermag nach § 8b Abs. 2 KStG nicht das Einkommen der Klägerin zu erhöhen.

119
3. Da § 8c Abs. 1 Sätze 2 und 3 KStG aus den o.g. Gründen im Streitfall nicht anzuwenden ist, bedarf es keiner Entscheidung über die Frage, ob der erkennende Senat die Norm – ebenso wie das Finanzgericht Hamburg § 8c Abs. 1 Satz 1 KStG in seinem Vorlagebeschluss vom 04.04.2011 2 K 33/10 (DStR 2011, 1172; beim BVerfG anhängiges Normenkontrollverfahren 2 BvL 6/11) – für unvereinbar mit Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) ansieht.

120
III. Der Höhe nach sind die nicht ausgeglichenen Verluste bis August 2010, denen der Beklagte im Rahmen der angefochtenen Bescheide die Abzugsfähigkeit unter unmittelbaren Anwendung von § 8c Abs. 1 Sätze 2 und 3 KStG bzw. unter Anwendung in Verbindung mit § 10a Satz 10 (GewStG) versagt hat, unstreitig.

121
Zur Überzeugung des Senates gebietet es die Rechtsklarheit, die Änderung der Besteuerungsgrundlagen – entgegen § 10d Abs. 4 Satz 5 EStG – zu tenorieren, auch wenn eine Änderung der festgesetzten Steuer bzw. des Messbetrages in den Nullbescheiden 2010 über die Körperschaftsteuer und den Gewerbesteuermessbetrag nicht erfolgt. Dies entspricht im Übrigen auch der Praxis der Finanzverwaltung, die geänderte Nullbescheide bei Änderung der Besteuerungsgrundlagen im Sinne des § 10d Abs. 4 Satz 4 EStG erstellt, und der Rechtsprechung zu § 7b EStG (vgl. BFH Urteil vom 20.12.1994, BFHE 177, 44, BStBl II 1995, 537).

122
IV. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.

123
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 155 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

124
Die Revision wird gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen.

125
Die Entscheidung über Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren beruht auf § 139 Abs. 3 Satz 3 FGO.

Umsatzsteuer : Die Vermittlung von osteuropäischen Pflegekräften und die Umsatzsteuerpflicht.

Niedersächsisches Finanzgericht 5. Senat, Urteil vom 20.11.2014, 5 K 32/13

§ 4 UStG

Tatbestand

1
Streitig ist die Umsatzsteuerpflicht von Betreuungsleistungen für pflegebedürftige Personen.

2
Die Klägerin betreibt seit 2008 eine „Seniorendienstleistungsagentur“ (Vermittlung von Pflegekräften und Haushaltshilfen) und „Seniorenservice“ (Vermittlung von Begleitpersonen) mit dem Namen „X“. Bei den Pflegekräften/Haushaltshilfen handelt es sich vorwiegend um Frauen mit polnischer Staatsangehörigkeit und Wohnsitz in Polen. Die Klägerin sah diese Pflegekräfte bzw. Haushaltshilfen als selbstständige Gewerbetreibende an. In ihren Umsatzsteuer-Erklärungen waren deshalb lediglich die den Betreuungsbedürftigen berechnete Organisationsgebühren sowie von den Betreuungskräften zu zahlende Servicegebühren (Differenzen zwischen Geldzugängen von den Betreuungsbedürftigen und Auszahlung an die Betreuerinnen) erfasst worden.

3
Die Klägerin gab für die Streitjahre 2008 bis 2010 Umsatzsteuererklärungen ab (am 10. Februar 2010 für 2008, am 26. Oktober 2010 für 2009 und am 31. Oktober 2011 für 2010). Der Beklagte stimmte zunächst den eingereichten Umsatzsteuererklärungen, soweit sie Erstattungsbeträge auswiesen, für die Streitjahre zu. Danach ergaben sich Umsatzfestsetzungen in Höhe von ./.1.057,06 EUR (2008), 11.941,76 EUR (2009) und 14.297,49 EUR (2010).

4
Im Jahr 2011 führte der Beklagte eine Umsatzsteuersonderprüfung bei der Klägerin durch. Gleichzeitig fand eine Lohnsteueraußenprüfung statt. Am 2. März 2011 wurde durch das Finanzamt für Fahndung und Strafsachen ein steuerstrafrechtliches Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Umsatzsteuerhinterziehung für die Jahre 2008, 2009 und die Voranmeldungszeiträume Januar bis Dezember 2010 sowie wegen des Verdachts der Lohnsteuerhinterziehung für die Anmeldungszeiträume 2008 sowie Januar 2009 – Dezember 2010 eingeleitet. Das Hauptzollamt A – Finanzkontrolle Schwarzarbeit – leitete am 1. September 2010 ein Ermittlungsverfahren gegen die Klägerin wegen des Verdachts des Vorhaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelten, der gleichzeitigen Beschäftigung von mehr als fünf Ausländern ohne Genehmigung sowie der Beschäftigung von Ausländern ohne Arbeitsgenehmigung/EU ein, was im Rahmen der dortigen Ermittlungen am 18. November 2010 zur Beschlagnahme von Buchführungs- und anderen Unterlagen führte.

5
Der Umsatzsteuersonderprüfer stellte fest, dass die Klägerin vorwiegend mit Frauen zusammenarbeitete, die ihren Wohnsitz in Polen hatten. Der Ablauf ihrer Tätigkeit stellte sich wie folgt dar: Entweder die polnische Frau (Betreuerin bzw. Pflege- oder Betreuungskraft) oder ein Betreuungsbedürftiger bzw. ein Vertreter dieser Person nahm Kontakt zur Agentur der Klägerin auf. Die Agentur suchte oder hatte bereits eine entsprechende Stelle für die Betreuerin bzw. eine passende Betreuerin für den Betreuungsbedürftigen. Es wurden dann drei Verträge geschlossen. Die Klägerin schloss mit dem Betreuungsbedürftigen bzw. dem Vertreter einen sog. Vermittlungsvertrag. Des Weiteren schloss die Klägerin mit der Betreuerin einen sog. Dienstleistungs- und Servicevertrag, der die Vermittlung sowie einen Büroservice beinhaltete. Als dritten Vertrag wurde zwischen der Betreuerin und der betreuungsbedürftigen Person bzw. deren Vertreter einen Vertrag über die Dienstleistungen, die die Betreuerin im Haushalt der Betreuungsbedürftigen zu erbringen hatte (24 Stunden-Betreuung), geschlossen. Der Umsatzsteuersonderprüfer fand in den Unterlagen der Klägerin Musterverträge und einzelne entsprechend abgeschlossene Verträge. Die Vergütungsstruktur hatte danach folgende Ausgestaltung: Die Betreuungsvergütung zahlte die zu betreuende Person an die Klägerin. Ebenso zahlte sie an die Klägerin einmalig eine sog. Organisationsgebühr. Die Klägerin leitete nach Abzug einer laufend zu zahlenden Servicegebühr, die im Dienstleistungs- und Servicevertrag in absoluter Höhe festgelegt und von der Höhe der Betreuungsvergütung unabhängig war, die restliche Betreuungsvergütung an die Betreuungskraft weiter. Der Preis für die Betreuungsleistungen war verhandelbar. Die Vertragsmuster hatten folgenden Inhalt:

6
1. Vertrag zwischen der Betreuungskraft und der Klägerin
7
„Dienstleistungsvertrag

8
zwischen: Frau, ______________ geb. am _______________
9
Legitimation Nr.: ____________

10
folgend Auftraggeber genannt –
11
und: X,

12
folgend Auftragsnehmer genannt –
13
wird im Folgenden vertraglich vereinbart:

14
§ 1 Gegenstand

15
Die Vertragsparteien sind jeweils selbständige, gegenseitig weder Weisungsgebunden noch sonst abhängig voneinander tätig werdende, freie Unternehmer. Nachfolgend wird ausschließlich die Rechtsbeziehung zwischen der X und einzelnen Auftraggebern geregelt. Der Auftragsnehmer handelt für den Auftraggeber nicht als Vertreter, Erfüllungs- oder Verrichtungsgehilfe, außer dies ist gesondert in einer Vollmacht geregelt.

16
§ 2 Vertragsdauer

17
Der Vertrag wird vom __________ bis zum _____________ geschlossen.

18
§ 3 Leistungen

19
1. Bereitstellung von Technik und Personal, alle Sekretariatsarbeiten (z. B. Korrespondenz, Erfassung, Datenpflege, Archiv, Entgegennahmen der Gespräche, Voice-System – Verwaltung) und beratende Tätigkeiten, Betriebsstättennachweis, Rechnungsabwicklung, Herstellung des Kundenkontaktes.
20
§ 4 Gebühren

21
1. Die monatliche Gebühr für den Service beträgt: ( 30 Tage ) Euro zuzüglich 19 % MwSt..
22
2. Fremdgebühren für den Auftraggeber werden gesondert in Rechnung gestellt.
23
3. In der vereinbarten Mindestlaufzeit wird bei vorzeitiger Vertragsbeendigung durch den Auftraggeber, eine Vergütung von 580,00 Euro fällig. (Die Mindestlaufzeit ist dem aktuellen Haushaltshilfe – Betreuungsvertrag zu entnehmen).
24
4. Stellt der Auftragsnehmer eine Übergangsunterkunft, so wird diese ab der zweiten Übernachtung mit 25 Euro berechnet.
25
§ 5 Fälligkeit/Zahlungsbedingungen

26
Die monatlichen Grundpreise werden vom Auftraggeber sofort nach Erhalt der Rechnung entrichtet.

27
§ 6 Kündigungsfristen

28
1. Der Vertrag ist fest über die vereinbarte Auftragszeit abgeschlossen. Nach Beendigung des Dienstleistung – Auftrages ist der Auftragsnehmer nicht mehr verpflichtet Nachrichten und Informationen, welche für den Auftraggeber eingehen, an diesen weiterzuleiten. Ein außerordentliches Kündigungsrecht besteht für beide Parteien, grundsätzlich nach erfolgloser vorheriger Abmahnung.
29
2. Da es sich bei der Auftraggeberin um ein selbstständig tätig werdendes Unternehmen handelt, tritt dieses nach Vertragsbeendigung kein Wettbewerbsverbot zu der Auftragnehmerin. Der Auftragsgeberin bleibt es also möglich, nach Vertragsende weiterhin selbstständig tätig zu werden. Das Erfordernis einer Vereinbarung einer Karenzentschädigung entfällt somit ebenfalls.
30
§ 7 Haftung

31
1. Keine Haftung wird übernommen für Leistungen von Partner-Unternehmen, für die der Büroservice lediglich als Mittler auftritt. Hier haften die Partner-Unternehmen gemäß ihren eigenen Vertragsbedingungen und AGB. Im Übrigen haftet der Auftragsnehmer grundsätzlich nur für Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit, soweit gesetzlich vorgeschrieben.
32
2. Stellt ein Versicherungsträger oder ein anderer berechtigter Dritter fest, dass eine versicherungspflichtige Beschäftigung vorliegt, wird die Haftung der Auftragsnehmerin auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit für Schäden des Auftraggebers begrenzt, die diesem aus dem vorliegen einer versicherungspflichtigen Beschäftigung entstanden sind oder entstehen können.
33
§ 8 Datenschutz und Urheberrechte

34
1. Der Auftraggeber erteilt dem Auftragsnehmer die Erlaubnis, sich im Namen des Auftraggebers und mit dessen Namen zu melden. Insoweit verzichtet der Auftraggeber auf entsprechende Namens- und Urheberrechte.
35
2. Der Auftraggeber erteilt dem Vertragspartner eine Genehmigung, im Rahmen des Büroservice erfasste und bearbeitete Daten an Dritte nach Weisung und Wunsch des Auftraggebers weiterzugeben. Die datenschutzrechtlichen Vorschriften sind zu berücksichtigen. Dies gilt bis zum schriftlichen Widerruf.
36
§ 9 Salvatorische Klausel / Teilnichtigkeit

37
Sollten Bestimmungen dieser Allgemeinen Geschäftsbedingungen oder des Dienstleistungsvertrages unwirksam, nichtig oder nicht durchführbar sein, soll die unwirksame, nichtige oder nicht durchführbare Bestimmung durch eine dem Auftragszweck am nächsten kommende wirksame Bestimmung ersetzt werden. Die Gültigkeit der Übrigen Bestimmungen bzw. der Übrigen Auftragsbestandteile wird hierdurch nicht berührt.

38
§ 10 Gerichtsstand

39
Für den Dienstleistungsauftrag gilt deutsches Recht. Gerichtsstand in allen Angelegenheiten ist A.

40
Auftragsnehmer Auftraggeber“
41
1. Vertrag zwischen der pflegebedürftigen Person und der Klägerin
42
„Vermittlungsvertrag

43
zwischen

X

44
in folgenden X genannt –
45
und

46
Herrn/Frau
47
im Folgenden kurz „Auftraggeber“ genannt –
§ 1

48
Vorbemerkungen:

49
Die X vermittelt Betreuungspersonal und Haushaltshilfen für die Rund- um – die Uhr-Betreuung im eigenen Heim. Vermittlungsgegenstand ist ein Vertrag über die Betreuung mit freiberuflichen Mitarbeitern, die auf die häusliche Betreuung spezialisiert sind. Bei den Mitarbeitern handelt es sich sowohl um freiberufliche Betreuungskräfte/Pflegekräfte und Haushaltshilfen aus Deutschland als auch um freiberufliche osteuropäische Betreuungskräfte/Haushalshilfen aus EU-Beitragsländern. Die X selbst beschäftigt kein eigenes Personal.

§ 2

50
Gegenstand des Vertrages

51
Der Auftraggeber beauftragt die X mit der Vermittlung einer freiberuflichen deutschen oder einer freiberuflichen osteuropäischen Pflege- bzw. einer Betreuungskraft aus einem EU-Beitrittsland. Aufgrund der Vermittlung will der Auftraggeber mit der X ein Vertragsverhältnis begründen, mit dem Ziel, eine Pflegekraft bzw. Betreuungskraft/Haushaltshilfe für die Rund-um-die-Uhr-Betreuung gestellt zu bekommen, und zwar für folgende Tätigkeitsbereiche:

52
Körperpflege (Hilfe bei Hygiene, Ankleiden, Essen an reichen etc.)
53
Hauswirtschaftliche Versorgung (einkaufen, kochen etc.)
54
Individuelle Betreuung.
55
Die X steht dem Auftraggeber während der gesamten Laufzeit, vom bis zum dieses Vertragsverhältnisses, mit Rat und Tat zur Seite.
56
Bei Verlängerung des Vertrages ab dem                                entsteht eine zusätzliche Gebühr in Höhe von € inkl. 10 % MwSt. Eine Verlängerung dieses Vertrags hat schriftlich, spätestens jedoch bis zum                              , zu erfolgen.
§ 3

57
Vergütung:

58
Bei Vertragsabschluss wird eine Organisationsgebühr in Höhe von Euro (incl. 19 % MwSt.) fällig, die bei Vertragsunterzeichnung gezahlt werden muss. Der Auftraggeber weiß, dass die Betreuungskraft/Haushaltshilfe die X beauftragt hat, fällig werdende Honorare in Empfang zu nehmen.
59
Der Auftraggeber hat somit die aus dem Betreuungsvertrag fällig werdenden Honorare direkt auf das Konto der Agentur zu überweisen.

§ 4

60
Widerrufsrecht:

61
Der Auftraggeber kann seine heutige Vertragserklärung innerhalb von zwei Wochen nach Erhalt ohne Angaben von Gründen in Textform (z.B. Brief, Fax, E-Mail) widerrufen. Die Frist beginnt mit Erhalt dieser Widerrufsbelehrung. Zur Wahrung der Widerrufsfrist  genügt die rechtzeitige Absendung des Widerrufs an die X

§ 5

62
Schriftformklausel:

63
Änderungen oder Ergänzungen des Vertrages sind nur wirksam, wenn sie schriftlich abgeschlossen oder schriftlich wechselseitig bestätigt worden sind.

§ 6

64
Sonstiges:

65
Im Übrigen gelten zwischen den Vertragspartnern die Allgemeinen Geschäftsbedingungen der X, die auf der Rückseite dieses Vertrages abgedruckt sind und die er Auftraggeber zur Kenntnis genommen hat. , den
66
(SeniorendienstleistungsX) (Auftraggeber)
67
Allgemeine Geschäftsbedingungen

I.

68
Leistungen:

69
Die X vermittelt Betreuungskräfte (Haushaltshilfen) für die Rund-um-die-Uhr-Betreuung im eigenen Heim. Vermittlungsgegenstand ist ein Vertrag über die Betreuung mit freiberuflichen Arbeitskräften die auf die häusliche Betreuung spezialisiert sind. Bei diesen Arbeitskräften handelt es sich um deutsch und polnisch sprechende freiberufliche Betreuungskräfte und Haushaltshilfen aus Deutschland als auch um osteuropäische Arbeitskräfte aus den EU-Beitrittsländern. Die Agentur selbst beschäftigt kein eigenes Betreuungspersonal/Haushaltshilfen.

70
Die Agentur stellt die Kontakte zwischen den deutschen und osteuropäischen freiberuflichen Kräften (Dienstleisterinnen) und den Auftraggeber her. Weiter übernimmt die Agentur die Vertragsverhandlungen zwischen dem Auftraggeber und den ausgesuchten Kräften (Dienstleisterinnen) und steht dem Auftraggeber -soweit gewünscht und notwendig- während der gesamten Laufzeit des begründeten Vertragsverhältnisses freiwillig -ohne, dass dadurch ein Rechtsanspruch begründet wird- mit Rat und Tat zur Seite.

II

71
Vergütung.

72
Für die im Rahmen eines abgeschlossenen Vermittlungsvertrages von der X erbrachten Leistungen hat der Vertragspartner nur die vereinbarte Organisationsgebühr zu zahlen. Weitere Leistungen werden der Agentur, wie vereinbart vom Auftraggeber unmittelbar vergütet.

III.

73
Haftung:

74
Die Agentur vermittelt ausschließlich eine Betreuungskraft/Haushaltshilfe (Dienstleisterinnen). Leistungsstörungen mit den vermittelten Dienstleisterinnen sind von der Agentur nicht zu vertreten.

IV.

75
Beendigung des Vertragsverhältnisses:

76
Der Vermittlungsvertrag wird vom geschlossen. Bei Verlängerung des Vertrages auf unbestimmte Zeit hat der Vertrag dann eine Mindestlaufzeit von 30 Tagen. Die Verlängerung hat als Anhang zum Vertrag schriftlich bis zum zu erfolgen. Der verlängerte Vermittlungsvertrag endet dann durch Kündigung oder durch den Tod des Pflegebedürftigen. Ein Reha- bzw. ein Krankenhausaufenthalt ist kein sofortiger Kündigungsgrund. Die Kündigung hat schriftlich zu erfolgen. Er kann, nach der Mindestlaufzeit von der Vertragspartei mit einer Frist von 14 Tagen zum Monatsende gekündigt werden. Eine sofortige Kündigung aus wichtigem Grund bleibt unberührt.
V.

77
Pflichten des Auftraggebers:

78
Der Auftraggeber verpflichtet sind, keine von der X vermittelte Kraft abzuwerben, d.h. weder mit einer Kraft direkt einen Betreuungsvertrag abzuschließen, noch nach Beendigung eines Betreuungsvertrages selbst und direkt mit dieser Kraft einen neuen Betreuungsvertrag abzuschließen. Für den Fall der Zuwiderhandlung verpflichtet sich der Auftraggeber eine Vertragsstrafe von 3000,00 € zu zahlen. Die Geltendmachung eines weitergehenden Schadenersatzanspruches bleibt unberührt.

VI.

79
Widerrufsrecht:

80
Der Vertragspartner kann seine schriftliche Vertragserklärung innerhalb von zwei Wochen ohne Angabe von Gründen in Textform (z.B. Brief, Fax, E-Mail) widerrufen. Die Frist beginnt frühestens mit Erhalt einer Widerrufsbelehrung. Zur Wahrung der Widerrufsfrist genügt die rechtzeitige Absendung des Widerrufs an die X.

VII.

81
Gerichtsstand:

82
Als Gerichtsstand wird A vereinbart: Leistungen:

83
3. Vertrag zwischen der pflegebedürftigen Person und der Betreuungskraft

84
„Haushaltshilfe / Betreuungsvertrag

85
zwischen

86
der freiberuflichen Betreuungskraft, ________________

87
-nachstehend kurz Auftragsnehmerin genannt-

88
und

89
________________________

90
-nachstehend kurz Auftraggeber / in genannt-

§ 1

91
Vorbemerkungen:

92
Die Betreuungskraft / Haushaltshilfe ist freiberuflich im Bereich der häuslichen Leistungen und Betreuung tätig. Sie sichert zu, dass in ihrer Person alle arbeitsrechtlichen, sonstigen behördlichen und steuerrechtlichen Voraussetzungen für die Ausübung der Tätigkeit erfüllt sind. Mit Abschluss dieses Vertrages beauftragt der Auftraggeber die Betreuungskraft die Rund-um-die-Uhr-Betreuung, in dessen Wohnung/Haus bzw. der zur betreuenden Person, vorzunehmen.

§ 2

93
Gegenstand des Vertrages:

94
Der Auftraggeber beauftragt die Betreuungskraft mit seiner Rund-um-die-Uhr-Betreuung und zwar für folgenden Tätigkeitsbereich:

95
Körperpflege (Hilfe bei Hygiene, Ankleiden, Essen an reichen etc.),
96
Hauswirtschaftlicher Versorgung (einkaufen, kochen, waschen, reinigen etc.),
97
Individuelle Betreuung nach Wünschen der zu betreuenden Person – oder nach Wünschen des Auftraggebers / in.

§ 3

98
Ort und Zeit der Dienstleistung:

99
Die Betreuungskraft / Haushaltshilfe hat ab dem im Hause des Auftraggebers ihren Dienst anzutreten. Die wöchentliche Arbeitszeit beträgt 40 Stunden. Die tägliche Arbeitszeit soll 8 Stunden, über den Tag verteilt, betragen. Die genauen Dienstzeiten werden im Einzelnen vor Ort zwischen den Vertragsparteien abgestimmt.
100
Der Auftraggeber erkennt an, dass der Betreuungskraft / Haushaltshilfe täglich mindestens 2 Stunden zur freien Verfügung bleiben müssen. Außerdem gelten in der Zeit von 22:00 Uhr bis 06:30 Uhr lediglich eine Ruhebereitschaft und keine Sitznachtwache.

101
Die Betreuungskraft / Haushaltshilfe wohnt in der Wohnung/ im Haus des Auftraggebers. Ihr wird ein eigenes Zimmer mit Schlafgelegenheit als persönlicher Bereich zur Verfügung gestellt.

102
Die Leistungen werden solange erbracht, wie vertraglich vereinbart, bzw. bis eine Vertragspartei das Vertragsverhältnis kündigt oder der Vertrag einvernehmlich aufgehoben wird.

§ 4

103
Vergütung:

104
Für die zu erbringenden Leistungen hat der Auftraggeber ein Honorar nach Maßgabe der folgenden Konditionen für die Betreuungsleistungen / hauswirtschaftliche Tätigkeit inklusive der gesetzlichen Mehrwertsteuer zu entrichten:

105
a) Honorar pro Tag beträgt €,
106
b) Sonderzuschlag für folgende Tage:
Heiligabend, beide Weihnachtsfeiertage, Silvester, Neujahr,
100%
Karfreitag bis Ostermontag,
Pfingstsonntag, Pfingstmontag
 50%
107
Fahrkostenpauschale
108
Die Preise verstehen sich zuzüglich freier Unterkunft im separaten Zimmer und Kost im angemessenen Umfang direkt im Haushalt des Auftraggebers für die Betreuungsperson.

109
Wird das Vertragsverhältnis vor Ablauf von 7 Tagen einvernehmlich aufgehoben oder aber erfolgt innerhalb dieser Zeit durch eine Vertragspartei eine Kündigung aus wichtigem Grunde, so erfolgt die Abrechnung des Vertragsverhältnisses für den gesamten vereinbarten Zeitraum.

110
Anreise- und Abreisetag der Betreuungskraft gelten jeweils als ein Arbeitstag.

111
Zusätzlich ist der Betreuungsperson durch den Auftraggeber ein Haushaltsgeld für die Haushaltsführung zur Verfügung zu stellen, über welches wöchentlich schriftlich unter Vorlage aller Belege abzurechnen ist.

112
In den vorbenannten Honoraren sind keine Sonderwünsche enthalten.

113
Das Honorar ist spätestens 7 Tage nach Erhalt der Rechnung zur Zahlung fällig. Die Zahlungen haben unbar zu erfolgen, und zwar auf das Konto der Firma.

114
Gewünschte Zusatzleistungen werden nach Absprache erbracht und gesondert honoriert. Auch das Honorar für Zusatzleistungen ist auf das vorbenannte Konto der Agentur zu überweisen.

§ 5

115
Dauer des Vertragsverhältnisses:

116
Das Vertragsverhältnis beginnt vom (evtl. Verlängerung bis zu Tagen nicht ausgeschlossen). Diese hat als „Anhang zum Vertrag“ bis zum schriftlich zu erfolgen.
117
Während der Dauer der Befristung kann das Vertragsverhältnis nicht ordnungsgemäß gekündigt werden. Das Recht zur außerordentlichen Kündigung aus wichtigem Grund bleibt für beide Parteien unberührt.
Besteht der wichtige Grund in der Verletzung einer Pflicht aus dem Vertrag, ist die fristlose Kündigung erst nach erfolgter Abmahnung zulässig.

§ 6

118
Pflichten des Auftraggebers:

119
Der Auftraggeber, /der/die zu betreuende Person, verpflichtet sich, keine von der X vermittelten Betreuungskräfte/Haushaltshilfen abzuwerben, d. h. weder mit der Betreuungskraft direkt einen Vertrag abzuschließen, noch nach Beendigung eines Vertrages selbst direkt mit der Kraft einen neuen Vertrag abzuschließen.
Für den Fall der Zuwiderhandlung verpflichtet sich der Auftraggeber, der/die betreute Person – eine Vertragsstrafe von 3.000,00 € zu zahlen. Die Geltendmachung eines weitergehenden Schadensersatzanspruches bleibt unberührt.

120
Sonstiges:

121
Für Rechtsstreitigkeiten aus diesem Vertrag gilt deutsches Recht.

122
Gerichtsstand ist der Ort der Leistungserbringung.

123
Änderungen oder Ergänzungen dieses Vertrages sind nur wirksam, wenn sie schriftlich geschlossen oder schriftlich wechselseitig bestätigt worden sind.

124
A, den
125
        (Betreuungskraft) (Auftraggeber)“
126
Des Weiteren stellte der Umsatzsteuersonderprüfer Folgendes fest: Die Betreuungskräfte hatten mit einer Ausnahme stets ein selbständiges Gewerbe angemeldet. Weihnachts- und Urlaubsgeld wurde an die Betreuungskräfte nicht gezahlt. Die Pflegetätigkeit selbst konnten die Betreuungskräfte inhaltlich unabhängig von der Klägerin ausgestalten.

127
Darüber hinaus stellte der Umsatzsteuersonderprüfer fest, dass die jeweilige Betreuerin sich schriftlich auf einem von der Klägerin erstellten Personalbogen um eine Tätigkeit bei der Klägerin beworben hatte. Sie hatte dazu einen entsprechenden Lebenslauf mit Ausbildungsnachweisen bzw. Nachweisen der bisherigen Tätigkeit, möglichem Einsatzbeginn und Verdienstvorstellung pro Monat eingereicht. Es war aber auch vorgekommen, dass sich die Klägerin bei den Betreuungskräften gemeldet und eine entsprechende Tätigkeit angeboten hatte. Die Klägerin hatte sich dann von den Betreuerinnen bevollmächtigen lassen, diese vor Behörden (insbesondere in Bezug auf die An-, Um- und Abmeldung eines Gewerbes vor den Meldebehörden, dem Ausländeramt und dem Finanzamt) umfassend zu vertreten. Die Betreuerinnen verfügten über keinen Betriebssitz und keine Büroausstattung. Sie hatten vielfach keine inländische Bankverbindung. Sie hatten auch keinerlei Werbemaßnahmen für ihre eigenen Tätigkeiten am Markt unternommen. Ebenso hatten sie auch keine Kundenakquise betrieben. Die Rechnungen der Betreuungskräfte waren durch die Klägerin geschrieben worden. Die Klägerin bewahrte diese Rechnungen sowie alle Dokumente/Unterlagen der Betreuerin auf. Die Aufbewahrung der den Betreuerinnen gehörenden Unterlagen erfolgte nach Aussage der Klägerin deshalb bei ihr, weil die Betreuerinnen diese Sachen sowieso verlegen oder wegwerfen würden. Diese Sachen seien aber noch für die Steuererklärungen der Betreuungskräfte benötigt worden.

128
Voraussetzung für eine Zusammenarbeit mit der Klägerin sei gewesen, dass die Betreuerinnen in Deutschland ein Gewerbe anmeldeten. Fast alle im Prüfungszeitraum ermittelten Betreuerinnen hatten jemals zuvor weder im Ausland noch im Inland ein Gewerbe angemeldet. In fast allen Fällen sind die Betreuerinnen von der Klägerin dazu angehalten worden, ein Gewerbe anzumelden. Als Betriebssitz wurde die Adresse der Klägerin oder die Adresse der Betreuungsbedürftigen genannt, in dessen Haushalt die Betreuerin während ihrer Tätigkeit wohnte.

129
Hinsichtlich der Bezahlung wurde festgestellt, dass die Betreuungsbedürftigen das für den jeweiligen Abrechnungszeitraum zu zahlende Entgelt zu Beginn des Abrechnungszeitraums oder vor Beginn dieses Zeitraums auf ein Konto der Klägerin gezahlt hatten. Dieses war bereits in den Vermittlungsverträgen zwischen den Betreuungsbedürftigen und der Klägerin geregelt.

130
Die Klägerin hat während der Außenprüfung diese Praxis damit begründet, dass die Betreuungsbedürftigen die Gewähr gehabt hätten, bei vorzeitiger Beendigung der Tätigkeit der Betreuerin ihr zu viel gezahltes Geld zurück zu bekommen, bzw. eine andere Betreuerin zu bekommen und die Klägerin selbst hätte die Gewähr gehabt, ihre Servicegebühr von der Betreuerin zu erhalten.

131
Erst nach Erbringen der Leistung durch die jeweilige Betreuerin wurde die an sie zu zahlenden Beträge ausgekehrt, wobei die Klägerin vorher ihre „Servicegebühr“ einbehalten hatte. Zum Teil waren auch Abschläge an die Betreuerinnen ausgezahlt worden, nach Auskunft der Klägerin jedoch immer nur soweit die Leistungen vorher erbracht worden waren. In vielen Fällen hatte die Klägerin Verrechnungen gegenüber den Betreuungsbedürftigen vorgenommen. Dabei ging es vornehmlich darum, dass innerhalb eines bereits vom Betreuungsbedürftigen bezahlten Zeitraums ein Wechsel der Betreuerin erfolgt war. In diesen Fällen wurden die Betreuungsbedürftigen von der Klägerin selbst angeschrieben. Auch wurden Betreuungsleistungen für einen Zeitraum abgerechnet, in dem bei einem Betreuungsbedürftigen mehrere Betreuungskräfte eingesetzt worden waren. Jedoch war aus der Rechnung nicht erkennbar, auf welche Kraft welcher Anteil des Entgelts entfallen war.

132
Die Klägerin hat die Einsätze der Betreuerinnen geleitet, hat die Verfahrensabläufe (z. B. den regelmäßigen Wechsel zweier Betreuerinnen) bestimmt, und hat auch bei Urlaub und Krankheit einer Betreuerin für Ersatz gesorgt. Die Betreuerinnen mussten lediglich die Klägerin entsprechend informieren. Sie brauchten aber nicht selbst für eine Ersatzkraft sorgen.

133
Die Klägerin führte umfangreiche Aufzeichnungen zu den Abrechnungen und erstellte Gewinnermittlungen. Ihr eigentlicher Gewinn resultierte aus den sog. Servicegebühren und der Organisationsgebühr. Diese wurden von ihr selbst bestimmt und betrugen bis zu 45 % der durch die Betreuungsbedürftigen zu zahlende Beträge.

134
Die vereinbarte Arbeitszeit konnte von den Betreuerinnen in gewissem Maße mitbestimmt werden. Es war jedoch nicht möglich einen Auftrag jederzeit selbst abzubrechen oder auszusetzen – es musste immer die Klägerin informiert werden. In den Serviceverträgen war vereinbart, dass die Betreuerinnen bei vorzeitiger Beendigung im ersten Monat eine Strafe von 580 € an die Klägerin zu zahlen hatten. Begründet wurde dies mit dem zusätzlichen Aufwand für die Suche einer anderen Betreuungskraft.

135
Die Abrechnungen gegenüber den Betreuungsbedürftigen bzw. deren Vertreter erfolgte mittels Berechnung von Tagespauschalen. Es wurden immer wieder die gleichen Pauschalen, bezogen auf die jeweiligen Tätigkeiten, berechnet. Die Betreuerinnen gaben in Befragungen des Zolls an, dass die Klägerin den Verdienst der jeweiligen Betreuerin festgelegt habe. Außerdem bekamen die Betreuerinnen nach eigenen Aussagen vorgefertigte Betreuungsverträge, in denen die Arbeitszeit, die Aufenthaltsdauer und die Tagespauschale bereits eingetragen waren.

136
Die Betreuerinnen betrieben selbst keinerlei Werbung. Werbemaßnahmen erfolgten durch die Klägerin unter dem Namen „Y“ in Form von Internetauftritten, Flyern, Visitenkarten und Zeitungsannoncen. Im Flyer und in Zeitungsannoncen hieß es u. a.: „Durch unser erfahrenes deutsches und osteuropäisches Pflege- und Betreuungspersonal …“ oder „Wir stellen ihnen qualifiziertes und zuverlässiges osteuropäisches Betreuungspersonal.“

137
Die Betreuerinnen hatten keinen Anspruch auf Krankengeld oder auf Urlaub. Sobald die zu pflegende Person verstarb oder ins Krankenhaus kam, hatte die Betreuungskraft zunächst kein Einkommen, bis sie eine neue Stelle durch die Agentur zugewiesen bekam.

138
Der Umsatzsteuersonderprüfer wie auch der Zoll und der Lohnsteueraußenprüfer kamen zu dem Ergebnis, dass es sich bei einer Gesamtbetrachtung der Verhältnisse und der tatsächlichen Durchführung der vorgenannten Leistungen nicht um eine Vermittlung, sondern um den Einsatz eigenen Personals gehandelt habe. Die Betreuerinnen seien nicht als Selbstständige anzusehen, sondern Arbeitnehmer der Klägerin. Hiernach ergaben sich nach Ansicht des Umsatzsteuersonderprüfers zusätzlich steuerpflichtige Umsätze in folgender Hohe: 30.850 EUR (2008), 88.431 EUR (2009) und 142.376 EUR (2010).

139
Der Beklagte erließ auf Grund der Prüfungsfeststellungen am 22. Dezember 2011 (für 2008 und 2009) und am 23. Dezember 2011 (für 2010) geänderte Umsatzsteuerbescheide für die Streitjahre. Der Vorbehalt der Nachprüfung wurde mit diesen Änderungsbescheiden aufgehoben. Die Umsatzsteuer 2008 wurde auf 4.884,25 EUR, die Umsatzsteuer 2009 auf 28.828,65 EUR und die Umsatzsteuer 2010 auf 41.867,13 EUR festgesetzt. Gegen die Änderungsbescheide legte die Klägerin Einspruch ein, der mit Einspruchsbescheid vom 11. September 2012 als unbegründet zurückgewiesen wurde. Dagegen erhob die Klägerin Klage.

140
Die Klägerin trägt vor, dass es sich bei den Betreuerinnen um selbstständig tätige Pflegekräfte und Haushaltshilfen handelte. Dafür spreche, dass die Betreuungskräfte gegenüber der Klägerin weder einen Anspruch auf Urlaub, noch einen Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall gehabt hätten. Die Betreuerinnen hätten auch Unternehmerinitiative und Unternehmerrisiko getragen. Der Betreuungsvertrag sei zwischen der Betreuungskraft und der zu betreuenden Person abgeschlossen worden. Die Klägerin sei gerade nicht Vertragspartner geworden. Damit hätten auch nur die zu betreuende Person aus dem Betreuungsvertrag die Leistung von der Betreuungskraft fordern können. Ebenso hätte  aus dem Betreuungsvertrag auch nur für die zu betreuende Person die Zahlungsverpflichtung bestanden, nicht jedoch für die Klägerin. Die Verträge seien nicht nur ordnungsgemäß abgeschlossen worden, sondern auch wie vertraglich vereinbart, ausgeführt worden.

141
Es habe kein persönliches Abhängigkeitsverhältnis der Betreuungskräfte zu der Klägerin bestanden. Die Betreuungskräfte hätten auch eigenständig An- und Abfahrten organisiert. Auch hätten sie vor Ort eigenständig die einzelnen Dienstleistungen und Abläufe mit den zu Betreuenden vereinbart. Hiervon habe die Klägerin keine Kenntnisse gehabt. Gleiches gelte für die Einsatzzeiten. Zusatzleistungen hätten die Betreuungskräfte gesondert in Rechnung stellen können. Die Betreuungskräfte hätten auch selbständig Ersatzkräfte organisieren können. Dies sei auch zum Teil geschehen. Die Vertragsmuster seien nur zur Verfügung gestellt worden. Diese hätten individuell angepasst werden können.

142
Die Betreuungskräfte hätten auch nicht auf Dauer für einen Auftraggeber gearbeitet. Die Personalbögen seien geführt worden, um die Anforderungsprofile der Familie auf die der Betreuungskräfte abzustimmen. Dies sei wegen der sensiblen Situation bei der Pflege und Betreuung erforderlich gewesen. Auch sei die Beanspruchung der Klägerin durch die Betreuungskräfte als Agentur für diverse Bürodienstleistungen der Situation geschuldet, dass bei einer ausländischen Tätigkeit es sich anbiete, einen entsprechend sprach- und behördenkundigen Dienstleister in Anspruch zu nehmen. Von Bedeutung sei auch, dass die Betreuungskräfte vor Ablauf der vereinbarten Zeit aus verschiedenen Gründen vorzeitig die Betreuung beendet hätten.

143
Die Zahlungsmodalitäten (Zahlungen über das Konto der Klägerin) seien dem Interesse der Betreuten geschuldet. Diese hätten nur die Rechnungen bezahlen und nicht – wie die Betreuungskräfte es wünschten -, die Zahlungen in verschiedenen Formen vornehmen müssen (z. B. Zahlung auf ein polnisches Bankkonto, Barzahlung oder Zahlung auf ein deutsches Bankkonto).

144
Die „Strafgebühr“, die bei vorzeitiger Beendigung des Vertrages mit der betreuten Person im ersten Monat zu zahlen gewesen sei, sei allein deshalb vereinbart worden, damit man auch von dem Vorhandensein der erforderlichen Qualifikationen der Betreuungskräfte ausgehen konnte. Es habe Fälle gegeben, in denen diese Qualifikationen von Anfang an nicht vorhanden waren, so dass das Vertragsverhältnis mit den Betreuten vorzeitig beendet worden sei.

145
Die Klägerin beantragt,

146
die Umsatzsteuerbescheide 2008 und 2009 vom 22. Dezember 2011 und den Umsatzsteuerbescheid 2010 vom 23. Dezember 2011 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 11. September 2012 aufzuheben.

147
Der Beklagte beantragt,

148
die Klage abzuweisen.

149
Der Beklagte trägt unter Bezugnahme auf die Einspruchsentscheidung vor, dass es sich bei der Tätigkeit im Rahmen einer Gesamtbetrachtung um einen nichtselbstständige Tätigkeit der Betreuerinnen gehandelt habe.

150
Die Deutsche Rentenversicherung Bund bewertete die osteuropäischen Pflegerinnen als Selbständige. Das strafrechtliche Ermittlungsverfahren wegen Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt (§ 266 a Strafgesetzbuch – StGB), wurde jedoch durch die Staatsanwaltschaft Hildesheim am 26. April 2012 wegen nicht nachzuweisender Arbeitnehmereigenschaft der osteuropäischen Pflegerinnen eingestellt (s. Az. Staatsanwaltschaft H …).

Entscheidungsgründe

151
I. Die Klage ist im Wesentlichen begründet.

152
Die Umsatzsteuerbescheide 2008 bis 2010 vom 22. Dezember 2011 bzw. vom 23. Dezember 2011 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 11. September 2012 sind rechtswidrig und verletzten die Klägerin in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 Finanzgerichtsordnung – FGO -). Bei den Entgelten für die Betreuung der Pflegebedürftigen, handelt es sich um durchlaufende Posten i. S. v. § 10 Abs. 1 Satz 6 UStG, die nicht zum steuerpflichtigen Entgelt der Klägerin gehören. Die Betreuerinnen übten ihre Tätigkeit als Betreuungskraft bzw. Haushaltshilfe selbständig aus.

153
Soweit eine Herabsetzung der Vorsteuerbeträge in den Streitjahren beantragt wurde, ist diese nicht vorzunehmen. Die Klägerin hat gegen die Änderungsbescheide aufgrund der Umsatzsteuersonderprüfung wegen der Kürzung der Vorsteuerbeträge keine Einwendungen erhoben.

154
1. Nach § 10 Abs. 1 Satz 6 UStG gehören Beträge, die der Unternehmer im Namen und für Rechnung eines anderen vereinnahmt und verausgabt (durchlaufende Posten) nicht zum steuerpflichtigen Entgelt. Ob ein solcher Fall gegeben ist, hängt bei Dienstleistungen davon ab, ob diese selbständig oder nichtselbständig durchgeführt wurden. Eine berufliche Tätigkeit wird nach der negativen Abgrenzung in § 2 Abs. 2 Nr. 1 UStG nicht selbständig ausgeübt, soweit natürliche Personen, einzeln oder zusammengeschlossen, einem Unternehmen so eingegliedert sind, dass sie den Weisungen des Unternehmers zu folgen verpflichtet sind. Eine selbständige Tätigkeit liegt dagegen vor, wenn sie auf eigene Rechnung und eigene Verantwortung ausgeübt wird (z. B. Urteil des Bundesfinanzhofs – BFH – vom 9. Oktober 1996 XI R 47/96, BStBl II 1997, 255; Urteil vom 10. März 2005 V R 29/03, BStBl. II 2005, 730). Dabei ist nach ständiger Rechtsprechung des BFH das Gesamtbild der Verhältnisse maßgebend (BFH-Urteil vom 30. Mai 1996 V R 2/95 – Opernsängerin -, BStBl II 1996, 493; vom 9. Oktober 2002 V R 73/01 – Rundfunkermittler -, BFH/NV 2003, 132, jeweils m. w. N.). Besonderes Gewicht hat u. a. das Merkmal des Unternehmerrisikos in der Form des Vergütungsrisikos (z. B. BFH-Urteil vom 2. Dezember 1998 X R 83/96, BStBl II 1999, 534 m. w. N.; Urteil vom 9. Oktober 2002 V R 73/01 – Rundfunkermittler -, BFH/NV 2003, 132; Urteil vom 17. Oktober 1996 V R 63/94 – Fahrlehrer -, BStBl II 1997, 188; Urteil vom 10. März 2005 V R 29/03, BStBl. II 2005, 730). Wird eine Vergütung für Ausfallzeiten nicht gezahlt, spricht dies für Selbständigkeit (BFH-Urteil vom 2. Dezember 1998 X R 83/96, BStBl II 1999, 534; Urteil vom 3. August 1978 VI R 212/75, BStBl II 1979, 131, m. w. N.; Urteil vom 10. März 2005 V R 29/03, BStBl. II 2005, 730). Hingegen ist der Steuerpflichtige nichtselbständig tätig, wenn er von einem Vermögensrisiko der Erwerbstätigkeit grundsätzlich freigestellt ist (z. B. BFH-Urteil vom 2. Dezember 1998 X R 83/96, BStBl II 1999, 534, m. w. N.). Die für und gegen die Selbständigkeit sprechenden Merkmale, die im Einzelfall unterschiedlich gewichtet werden können, sind gegeneinander abzuwägen (vgl. BFH-Urteil vom 29. Juni 2000 V R 28/99, BStBl II 2000, 597; Urteil vom 30. Mai 1996 V R 2/95 – Opernsängerin -, BStBl II 1996, 493). Indiz, aber nicht in erster Linie ausschlaggebend kann nach ständiger Rechtsprechung die sozial- und arbeitsrechtliche Einordnung der Tätigkeit als selbständig oder unselbständig sein (z. B. BFH-Urteil vom 20. April 1988 X R 40/81, BStBl II 1988, 804; Urteil vom 2. Dezember 1998 X R 83/96, BStBl II 1999, 534, m. w. N.; BFH-Beschluss vom. 29. Juli 2003 V B 22/03, V S 3/03 (PKH), BFH/NV 2003, 1615; zur Eigenständigkeit des Begriffs „Arbeitnehmer“ auf den verschiedenen Rechtsgebieten vgl. auch Urteil des Bundesgerichtshofs – BGH – vom 15. Dezember 1986 StbSt (R) 2/86, NJW 1987, 2751).

155
Die Frage der Selbständigkeit natürlicher Personen ist zwar grundsätzlich für die Umsatzsteuer, die Einkommensteuer und die Gewerbesteuer nach denselben Grundsätzen zu beurteilen (z. B. BFH-Urteil vom 2. Dezember 1998 X R 83/96, BStBl II 1999, 534; Urteil vom 30. Mai 1996 V R 2/95 – Opernsängerin -, BStBl II 1996, 493). Eine Bindung an die ertragssteuerrechtliche Beurteilung besteht für das Umsatzsteuerrecht jedoch nicht (insofern zu weitgehend Bundesministerium der Finanzen – BMF -, Schreiben vom 23. Dezember 2003, BStBl I 2004, 240, unter A.1).

156
2. Bei Beachtung dieser Grundsätze sind im Rahmen einer Gesamtbetrachtung der rechtlichen Verhältnisse und der tatsächlichen Durchführung den Merkmalen, die für eine Selbständigkeit der Tätigkeit stehen, höheres Gewicht beizumessen als den Merkmalen, die für eine unselbständige Tätigkeit sprechen. Insbesondere sind folgende Umstände von besonderem Gewicht für die Selbständigkeit der Tätigkeit der Betreuerinnen:

157
Die Tätigkeit der Betreuungskräfte werden auf eigene Rechnung und eigene Verantwortung ausgeübt (vgl. z. B. BFH vom 9. Oktober 1996 XI R 47/96, BStBl II 1997, 255; Urteil vom 10. März 2005 V R 29/03, BStBl. II 2005, 730). So haben die Betreuungskräfte selbst mit den Pflegebedürftigen oder deren Vertreter den Betreuungsvertrag abgeschlossen und somit hieraus einen eigenen Anspruch auf Zahlung des „Betreuungsgeldes“. § 1 des Mustervertrages zwischen der Betreuungskraft und der Klägerin zeigt, dass beide Parteien selbständig als freie Unternehmer tätig werden.

158
Des Weiteren tragen die Betreuungskräfte auch das Unternehmerrisiko, dem ein besonderes Gewicht zukommt (z. B. BFH-Urteil vom 2. Dezember 1998 X R 83/96, BStBl II 1999, 534 m. w. N.; Urteil vom 9. Oktober 2002 V R 73/01 – Rundfunkermittler -, BFH/NV 2003, 132; Urteil vom 17. Oktober 1996 V R 63/94 – Fahrlehrer -, BStBl II 1997, 188; Urteil vom 10. März 2005 V R 29/03, BStBl. II 2005, 730). Dies gilt insbesondere für das Vergütungsrisiko. Sollten die Betreuungsbedürftigen bzw. deren Vertreter nicht das „Betreuungsgeld“ zahlen, tragen die Betreuungskräfte selbst das Ausfallrisiko bzgl dieser Gelder.

159
Auch äußert sich das von den Betreuungskräften zu tragende Unternehmerrisiko darin, dass sie keinen Anspruch gegen die Klägerin auf Urlaub oder auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall hatten. Wurde eine Vergütung für Ausfallzeiten nicht gezahlt, spricht dies nämlich auch für eine Selbständigkeit (BFH-Urteil vom 2. Dezember 1998 X R 83/96, BStBl II 1999, 534; Urteil vom 30. Mai 1996 V R 2/95, BStBl. II 1996, 493; Urteil vom 3. August 1978 VI R 212/75, BStBl II 1979, 131, m. w. N.; Urteil vom 10. März 2005 V R 29/03, BStBl. II 2005, 730; vgl. auch OLG Frankfurt Beschluss vom 7. März 2014 1 Ws 179/13, juris Rz. 34 zur Strafbarkeit nach § 266 a StGB).

160
Für das von den Betreuerinnen zu tragende Unternehmerrisiko spricht des Weiteren der Vergütungsausfall im Krankheits- oder Todesfall des Betreuungsbedürftigen (vgl. OLG Frankfurt Beschluss vom 7. März 2014 1 Ws 179/13, juris Rz. 34 zur Strafbarkeit nach § 266 a StGB). Wie die Ermittlungen des Hauptzollamtes gezeigt haben (Bp-Akte Bl. 205), hatten die Betreuungskräfte keinen Anspruch auf Zahlung des vereinbarten Entgelts, wenn die zu pflegende Person verstarb oder ins Krankenhaus kam. Erst mit der Vereinbarung eines neuen Betreuungsvertrages erhielten sie wieder ein „Betreuungsgeld“. Zwar mag der Regelfall gewesen sein, dass die Betreuungskräfte im direkten Anschluss an eine solche Situation wieder eine neue Arbeitsstelle erhalten haben; gleichwohl war nicht ausgeschlossen, dass ein Vergütungsausfall eintreten konnte. Für die Annahme eines Unternehmerrisikos spricht weiter, dass die Pflegekräfte im Zusammenhang mit der Erbringung ihrer Arbeitskraft das Risiko des Ausfalls ihres Verdienstes bei „Kundeninsolvenz“ trugen. Zu dem Risiko des Verdienstausfalls bei „Kundeninsolvenz“ tritt – wenn auch in geringerem Umfang und geringer Wahrscheinlichkeit – ein Kapitalrisiko hinzu, weil sich der Einsatz von Reisekosten bei (vorzeitigem) Abbruch des „Einsatzauftrags“, etwa bei Versterben von Kunden oder deren Verlegung ins Krankenhaus oder Heim nicht lohnen konnte (vgl. OLG Frankfurt Beschluss vom 7. März 2014 1 Ws 179/13, juris Rz. 34 zur Strafbarkeit nach § 266 a StGB).

161
Die Betreuungskräfte unterlagen in der alltäglichen Arbeit nicht einer Weisungsgebundenheit bzgl. Ort, Zeit und Inhalt der Tätigkeit (BFH-Urteil vom 30. Mai 1996 V R 2/95, BStBl. II 1996, 493). Die Tätigkeit in den Haushalten der Pflegebedürftigen war so gestaltet, dass die Pflegekräfte selbständig den Haushalt führten. Sie trugen allein die Verantwortung bzgl. der einzelnen Tätigkeiten. Die Klägerin hatte keine Kenntnis über die tatsächlichen Abläufe zwischen den Betreuten und den Betreuerinnen. Diese wurden zwischen dem Betreuten und der Betreuungskraft direkt abgesprochen. Der – gerade im Hinblick auf die zeitliche Dimension des „Einsatzauftrags“ (24-Stunden-Service) – auch geforderten Fähigkeit der Pflegekraft zur Reaktion auf die – sich ggf. ständig verändernde – aktuelle Betreuungs- und/oder Pflegesituation steht zwangsläufig eine Flexibilität im Handeln gegenüber, die dieser gerade wegen der Individualität und Einzigartigkeit dieser Situation prinzipiell einen großen Entscheidungsbereich belässt. Solche erheblichen Handlungsspielräume sind jedoch für eine arbeitnehmertypische Leistungspflicht uncharakteristisch (OLG Frankfurt Beschluss vom 7. März 2014 1 Ws 179/13, juris Rz. 27 zur Strafbarkeit nach § 266 a StGB). Weiterhin spricht auch für die Selbständigkeit der Tätigkeit der Betreuungskräfte, dass deren Tätigkeit nicht einer „Kontrolle“ durch die Klägerin unterlag. Sie konnten auch in eigener Entscheidung für Ersatz sorgen. Auch diese Möglichkeit spricht für eine selbständige Tätigkeit (vgl. OLG Frankfurt Beschluss vom 7. März 2014 1 Ws 179/13, juris Rz. 30 zur Strafbarkeit nach § 266 a StGB).

162
Zwar sah die Betreuungsvereinbarung zwischen der Pflegekraft und dem Pflegebedürftigen die Regelung von Arbeitszeiten vor (Rund-um-die-Uhr-Betreuung – 40 Arbeitsstunden pro Woche – 8 Arbeitsstunden pro Tag – s. § 3 des Betreuungsvertrages); jedoch ergibt sich daraus keine feste Arbeitszeit im Sinne der BFH-Rechtsprechung (BFH-Urteil vom 30. Mai 1996 V R 2/95, BStBl. II 1996, 493; Urteil vom 14. Juni 1985 VI R 150-152/82, BStBl. II 1985, 661). Die Betreuungskräfte konnten innerhalb dieser Grenzen weitgehend selbst ihre Arbeitszeit bestimmen (vgl. zum Fall der Opernsängerin, die während der Proben und Aufführungen in dem Theaterbetrieb eingebunden war, BFH-Urteil vom 30. Mai 1996 V R 2/95, BStBl. II 1996, 493).

163
Weiterhin spricht für die Selbständigkeit der Betreuungskräfte, dass sie von der Klägerin sozialrechtlich als Selbständige behandelt wurden. Ihr Gewerbe wurde bei den Gemeinden angemeldet. Die Klägerin hatte auch eine sozialversicherungsrechtliche Anmeldung nicht vorgenommen. Diese sozialrechtliche Behandlung als Selbständige spricht ebenfalls als Indiz für eine selbständige Tätigkeit (vgl. z. B. BFH-Urteil vom 30. Mai 1996 V R 2/95, BStBl. II 1996, 493; Urteil vom 14. Juni 1985 VI R 150-152/82, BStBl. II 1985, 661; Urteil vom 20. April 1988 X R 40/81, BStBl II 1988, 804; Urteil vom 2. Dezember 1998 X R 83/96, BStBl II 1999, 534, m. w. N.; BFH-Beschluss vom 29. Juli 2003 V B 22/03, V S 3/03 (PKH), BFH/NV 2003, 1615).

164
Auch die Gestaltung der Festsetzung der Betreuungsvergütung als eine Leistung, die von der Höhe der Servicegebühr unabhängig war, spricht für die Selbständigkeit. Denn insoweit wird damit eine strenge Trennung zwischen der Betreuungsvergütung aufgrund des Betreuungsvertrages und der Servicegebühr aufgrund des Dienstleistungsvertrages dokumentiert.

165
3. Demgegenüber fallen die Merkmale, die für eine unselbständige Tätigkeit sprechen, nicht ins Gewicht.

166
So kommt den Tatsachen, dass die Klägerin die werbende Tätigkeit ausgeübt hat, die vertraglichen Grundlagen vorgegeben hat, die Zahlung der Betreuerinnenvergütungen durch die Betreuungsbedürftigen über ihr Bankkonto erfolgte, eine untergeordnete Bedeutung zu. Diese Maßnahmen waren der besonderen Situation der Betreuungskräfte geschuldet. Sie beherrschten größtenteils nur eingeschränkt die deutsche Sprache, hatten meistens kein eigenes Bankkonto in Deutschland und kannten sich mit den Rahmenbedingungen einer eigenständigen Tätigkeit in Deutschland nicht aus. Dies erforderte eine unterstützende Leistung, die die Klägerin mit ihrer Agentur erbrachte. Überdies bestand das Interesse der Klägerin – wie sie selbst vorträgt – an der Abwicklung der Zahlungen über ihr eigenes Bankkonto darin, ihre eigenen Zahlungsansprüche (Servicegebühr) gegenüber den Betreuungskräften sicher zu stellen. Auch kann letztlich zurücktreten, dass die Klägerin und nicht die Pflegekräfte selbst eine werbende Tätigkeit entfaltete – Kundenwerbung betrieb – und „Einsatzaufträge“ aquirierte, weil sie Kunden damit lediglich an die jeweiligen Pflegekräfte vermittelte und in diesem Zusammenhang für diese den Kontakt zu den Betreuten herstellte, (vgl. hierzu auch: Bundessozialgericht – BSG -, Urteil vom 28. September 2011 – B 12 R 17/09 R –, juris; OLG Frankfurt Beschluss vom 7. März 2014 1 Ws 179/13, juris Rz. 36 zur Strafbarkeit nach § 266 a StGB). Diese Leistung wurde mit dem Bezug der „Servicegebühren“ abgegolten.

167
Soweit in Nr. V der Allgemeinen Geschäftsbedingungen des Vermittlungsvertrages vereinbart wurde, dass die pflegebedürftige Person keinen gesonderten Betreuungsvertrag mit der Betreuungskraft bei Zahlung einer Strafe von 3.000 EUR abschließen durfte, so bezweckte diese vertragliche Regelung nur den Schutz der eigenen Ansprüche der Klägerin aus ihren Verträgen mit den Betreuungskräften und den Pflegebedürftigen. Sie ändert aber nichts an der grundsätzlich gewollten selbständig wirksamen vertraglichen Regelung zwischen der pflegbedürftigen Person und der Betreuungskraft, die den Dienstleistungen zunächst zugrundelag.

168
Auch sieht der Senat als nicht maßgeblich an, dass die Rechnungen über die Betreuungsleistungen durch die Klägerin erstellt wurden. Dies war gerade Gegenstand der Leistung der Klägerin gegenüber der Betreuungskraft, wofür diese die Servicegebühr zu zahlen hatte (vgl. OLG Frankfurt Beschluss vom 7. März 2014 1 Ws 179/13, juris Rz. 24 zur Strafbarkeit nach § 266 a StGB).

169
Soweit die Pflegekräfte in der Arbeitsorganisation der Klägerin eingebunden und sie als „ein Teil in der Kette der den jeweiligen Kunden zur Verfügung gestellten Pflegepersonen“ eingegliedert waren und deshalb zu einem „Pool“ von Einsatzkräften gehörten, besagt über deren Eingliederung in das Unternehmen der Klägerin nichts (vgl. zum Status in einem „Personalpool“ BSG – Urteil v. 28. Mai 2008 B 12 KR 13/07 R, juris; OLG Frankfurt Beschl. v. 7. März 2014 1 Ws 179/13, juris Rz. 32 zur Strafbarkeit nach § 266a StGB).

170
II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 136 Abs. 1 Satz 3 Finanzgerichtsordnung (FGO). Die Nebenentscheidungen folgen aus § 151 Abs. 1 und 3 FGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozessordnung.

171
III. Die Revision war nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zuzulassen.

Einkommensteuer: Altenteilsleistungen als Betriebsausgaben

Niedersächsisches Finanzgericht 4. Senat, Urteil vom 28.01.2015, 4 K 233/14

§ 10 Abs 1 Nr 1a EStG, § 12 EStG, § 323 ZPO, § 4 Abs 4 EStG

Tatbestand

1
Streitig ist, ob die vom Kläger aufgrund eines Wirtschaftsüberlassungsvertrags an seine Eltern erbrachten Leistungen als Betriebsausgaben bei den Einkünften aus Land- und Forstwirtschaft abziehbar sind.

2
Der Kläger wohnte im Streitjahr mit seinen Eltern in einem Haushalt und erzielte aus der Bewirtschaftung des im Eigentum seiner Eltern stehenden Hofes Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft. Den Gewinn ermittelte er durch Einnahmen-Überschussrechnung gemäß § 4 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) nach dem gemäß § 4a Abs. 1 Nr. 1 EStG bestimmten Wirtschaftsjahr. Der Betrieb besteht aus ca. 21 ha Eigenland, ca. 1,5 ha Hof- und Gebäudeflächen und ca. 20 ha Pachtland. Das Entgelt für das Pachtland betrug im Streitjahr ca. 3.350 EUR.

3
Durch Nutzungsüberlassungsvertrag vom 1. Juli 2008 überließen die Eltern dem Kläger als Vorstufe zur Hofübergabe die Bewirtschaftung des zuvor vom Vater des Klägers bewirtschafteten Hofes für die Zeit ab dem 1. Juli 2008 bis zum 30. Juni 2018. Überlassen wurde die Nutzung des gesamten landwirtschaftlichen Betriebes mit Ausnahme der Wohnung und es wurden die Pachtflächen einschließlich der Zahlungsansprüche unterverpachtet. Gemäß § 7 des Vertrags hatte der Kläger alle auf dem Betrieb ruhenden öffentlichen Abgaben und Lasten und die Versicherungsprämien für alle Gebäude und baulichen Anlagen zu übernehmen. In § 8 des Vertrages war folgende Gegenleistung für die Nutzungsüberlassung vereinbart:

4
„Der Nutzungsberechtigte übernimmt für die Dauer der Nutzungsüberlassung die Heizungs-, Strom-, Wasser-, Abwasser und Müllabfuhrkosten sowie die Unterhaltungsaufwendungen, die in der von den beiden Berechtigten auf der Hofstelle genutzten Wohnung anfallen. Außerdem werden vom Nutzungsberechtigten die Kosten der Lebenshaltung für die Überlasser übernommen.

5
Außer diesen unbaren Leistungen erhalten der Überlasser und dessen Ehepartner eine monatliche Barleistung in Höhe von 200,00 EUR insgesamt.

6
Der Betrag ist jeweils zum 5. Tag eines Kalendermonats fällig.

7
Ändern sich die wirtschaftlichen und geldlichen Verhältnisse allgemein in dem Maße, dass die Höhe der Barleistung nicht mehr angemessen ist, so kann jede Partei eine Anpassung verlangen.

8
Die Anpassung wird dabei sowohl unter Berücksichtigung der Richtwertdeckungsbeiträge der Landwirtschaftskammer Niedersachsen als auch des Preisindexes für die Lebenshaltungskosten aller privaten Haushalte in Deutschland nach den Angaben des Statistischen Bundesamtes vorgenommen.

9
Im Übrigen gelten die Bestimmungen des § 323 der Zivilprozessordnung als vereinbart.“

10
Die vereinbarte Barzahlung überwies der Kläger erstmals ab September 2008 als Dauerauftrag mit dem Verwendungszweck „Pacht“ auf ein Konto seiner Mutter. In seiner Buchführung buchte er Entnahmen für die Kosten der Lebenshaltung mit 9.425 EUR (Wj 2008/2009) bzw. 9.805 EUR (Wj 2009/2010). Wegen der Einzelheiten der Ermittlung wird auf die Seiten 9 der Einnahme-Überschussrechnungen verwiesen.

11
In der Einkommensteuererklärung für das Streitjahr 2009 erklärte der Kläger bei den Einkünften aus Land- und Forstwirtschaft einen Gewinn in Höhe von 18.709 EUR. Bei den Sonderausgaben machte er im Zusammenhang mit der Nutzungsüberlassung zunächst dauernde Lasten in Höhe von insgesamt 3.520 EUR (Barleistungen in Höhe von 2.400 EUR und Sachleistungen in Höhe von 1.120 EUR) geltend. Mit Einkommensteuerbescheid vom … setzte der Beklagte (das Finanzamt – FA -) die Einkommensteuer 2009 zwar unter Ansatz der vom Kläger erklärten Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft jedoch ohne Berücksichtigung der dauernden Lasten fest. Es vertrat die Ansicht, dass es sich bei dem Nutzungsüberlassungsvertrag um einen sog. Neuvertrag handele, bei dem die Leistungen nach Rz. 22 des Schreibens des Bundesministeriums der Finanzen (BMF) vom 11. März 2010 (BStBl I 2010, 227) nicht mehr abzugsfähig seien.

12
Den hiergegen eingelegten Einspruch wies das FA als unbegründet zurück. Das anschließende Klageverfahren, mit dem der Kläger zunächst weiter den Abzug der dauernden Lasten als Sonderausgaben begehrte, ruhte im Einverständnis der Beteiligten bis zur Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) im Revisionsverfahren X R 16/13. In diesem Verfahren bestätigte der BFH mit Urteil vom 25. Juni 2014 (BFHE 246, 172, BStBl II 2014, 889) die Auffassung des FA, dass nach der Neufassung des § 10 Abs. 1 Nr. 1a EStG durch das Jahressteuergesetz (JStG) 2008 die auf einem Wirtschaftsüberlassungsvertrag beruhenden Leistungen des Nutzungsberechtigten nicht mehr als Sonderausgaben abziehbar seien. Allerdings war der BFH der Ansicht, dass unter Berücksichtigung der Regelung in § 12 EStG noch zu prüfen sei, ob und ggf. in welcher Höhe die Altenteilsleistungen als Betriebsausgaben abziehbar seien.

13
Der Kläger macht geltend, dass die ihm nach § 8 des Nutzungsüberlassungsvertrages entstandenen Aufwendungen nunmehr als Betriebsausgaben abziehbar seien und sich der Gesamtbetrag im Streitjahr auf 8.560 EUR erhöhe, weil noch weitere Leistungen zu berücksichtigen seien. Er sei vertraglich zur Übernahme der Lebenshaltungskosten verpflichtet und deren Wert sei nach den von der OFD Niedersachsen veröffentlichten Nichtbeanstandungsgrenzen für unbare Altenteilsleistungen bei Land- und Forstwirten vom 22. Januar 2014 anzusetzen. Mit dem im Wirtschaftsüberlassungsvertrag verwendeten Begriff „Kosten der Lebenshaltung“ seien die Kosten der täglichen Lebenshaltung, also insbesondere der Beköstigung, gemeint.

14
Zwar seien die nach dem Vertrag geschuldeten Barleistungen für die Monate Juli und August 2008 nicht gezahlt worden; im Rahmen einer Gesamtwürdigung halte der vertraglich vereinbarte Wert der Gegenleistung einem Fremdvergleich aber stand. Der Betrieb werde im Nebenerwerb bewirtschaftet und die Gewinne hätten in den letzten Jahren durchschnittlich 15.000 EUR im Jahr betragen, während sich die dauernden Lasten und sonstigen Abgaben sich auf 6.000 EUR /Jahr beliefen.

15
Der Kläger beantragt,

16

17
Der Beklagte beantragt,

18
die Klage abzuweisen.

19
Der Beklagte ist der Auffassung, dass die aufgrund des Nutzungsüberlassungsvertrags vom Kläger erbrachten Altenteilsleistungen auch nicht als Betriebsausgaben abgezogen werden können und führt zur Begründung aus, dass der BFH im Urteil vom 25. Juni 2014 die Frage des Betriebsausgabenabzugs lediglich als hypothetisch in Betracht kommende Möglichkeit erörtert habe. Eine betriebliche Veranlassung der Leistungen sei jedoch nicht ersichtlich. Vielmehr teile man die Auffassung des Niedersächsischen Finanzgerichts, das mit Urteil vom 14. September 2005 (12 K 635/00, EFG 2006, 105) entschieden habe, dass bei Wirtschaftsüberlassungsverträgen die vereinbarte Gegenleistung lediglich die Versorgung des Empfängers sicherstellen solle und es damit an einem Pachtzins und folglich an einem Entgelt fehle. Auch im Streitfall sei die Versorgung der Hofeigentümer die im Vordergrund stehende Motivation, weil der Kläger nach dem Vertragsinhalt im Wesentlichen typische Altenteilsleistungen zu erbringen habe. Schon die Verpflichtung zur Zahlung einer monatlichen Barleistung in Höhe von 200 EUR sei unangemessen niedrig, dass diese nicht als Pachtzins qualifiziert werden könne und die Zahlungen unter das Abzugsverbot des § 12 Nr. 2 EStG fielen.

Entscheidungsgründe

20
I. Die Klage ist unbegründet. Der angefochtene Steuerbescheid verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, weil das FA die aufgrund des Nutzungsüberlassungsvertrages erbrachten Leistungen des Klägers an seine Eltern zu Recht weder als Betriebsausgaben noch als Sonderausgaben berücksichtigt hat.

21
1. Die vom Kläger aufgrund von § 8 des Nutzungsüberlassungsvertrags geschuldeten und erbrachten Bar- und Sachleistungen stellen dauernde Lasten dar. Dauernde Lasten sind wiederkehrende Leistungen, die auf einem besonderen Verpflichtungsgrund beruhen, aber ungleichmäßig und abänderbar sind und/oder deren Leistungsinhalt nicht zwingend in Geld oder vertretbaren Sachen besteht (Weber-Grellet in Schmidt, EStG 33. Auf. § 22, Rz. 47). Nach § 8 Abs. 1 des Nutzungsüberlassungsvertrages hatte der Kläger für die Übernahme der Bewirtschaftungsmöglichkeit neben der betragsmäßig festgelegten, monatlich zu zahlenden Barleistung weitere in wechselnder Höhe anfallende Verbrauchskosten sowie nicht näher spezifizierte Kosten für Unterhaltungsaufwendungen in der von den Eltern und ihm selbst genutzten Wohnung und die Kosten der Lebenshaltung der Eltern zu übernehmen.

22
2. Die dauernden Lasten sind entgegen der Auffassung des Klägers nicht als Betriebsausgaben abziehbar. Betriebsausgaben sind nach § 4 Abs. 4 EStG alle Aufwendungen, die durch den Betrieb des Steuerpflichtigen veranlasst sind. Dieser Veranlassungszusammenhang ist nach der neueren Rechtsprechung des BFH auch bei Leistungen aufgrund eines Wirtschaftsüberlassungsvertrags zwar auch gegeben, wenn der Hofeigentümer seinen land- und forstwirtschaftlichen Betrieb zu einem angemessenen – d.h. fremdüblichen – Entgelt an den Wirtschaftsübernehmer überlässt, weil sie dann als Gegenleistung für den Erwerb eines zur Einkünfteerzielung genutzten Wirtschaftsgutes gezahlt werden (BFH-Urteil vom 25. Juni 2014, X R 16/13, BFHE 246, 172, BStBl II 2014, 889, unter II.I. c) dd)). Im Streitfall kann jedoch dahingestellt bleiben, ob die vereinbarten Leistungen der Höhe nach fremdüblich sind, weil die in § 8 des Nutzungsüberlassungsvertrages getroffenen Regelungen zur Gegenleistung einem Fremdvergleich insgesamt nicht standhalten und die Leistungen des Klägers an seine Eltern als Zuwendungen im Sinne von § 12 Nr. 2 Alt. 2 EStG vom Abzug ausgeschlossen sind.

23
a) Die steuerliche Anerkennung eines wie im Streitfall mit einem nahen Angehörigen geschlossenen Vertrages setzt u.a. voraus, dass das Vereinbarte und die Durchführung einem Fremdvergleich standhalten (vgl. BFH-Urteil vom 19. August 2008 IX R 78/07, BStBl II 2009, 299; vom 22. Februar 2007 IX R 45/06, BStBl II 2011, 20 m.w.N.). Für Miet- oder Pachtverträge bedeutet dies, dass die in §§ 535, 581 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) bestimmten vertraglichen Hauptpflichten der Vertragsparteien, wie das Überlassen einer konkret bestimmten Sache und die Höhe der zu entrichtenden Pacht klar und eindeutig geregelt sein müssen (vgl. zu den insoweit übereinstimmenden Anforderungen an Mietverträge: BFH-Urteile vom 6. August 2013 VIII R 33/11, BFH/NV 2014, 151; vom 20. Oktober 1997 IX R 38/97, BStBl II 1998, 106). Diese an die Anerkennung von Angehörigenverträgen gestellten Anforderungen sind als Anhaltspunkte im Rahmen einer Gesamtbetrachtung bei der Entscheidung, ob die streitigen Aufwendungen in einem sachlichen Zusammenhang mit dem Erzielen von Einkünften stehen oder dem nicht steuerbaren privaten Bereich (§ 12 EStG) zugehörig sind, zu würdigen (vgl. BFH-Urteil vom 3. März 2004 X R 14/01, BFHE 205, 261, BStBl II 2004, 826). In diesem Zusammenhang sind an den Nachweis eines ernsthaften Vertragsverhältnisses umso strengere Anforderungen zu stellen, je mehr die Umstände auf eine private Veranlassung hindeuten (BFH-Urteil vom 06. August 2013 VIII R 33/11 BFH/NV 2014, 151). Für das Vorhandensein eines steuerrechtlich anzuerkennenden Vertragsverhältnisses als steuermindernde Tatsache trägt der Steuerpflichtige die volle Darlegungs- und Beweislast (vgl. BFH-Urteil vom 13. April 2010, VIII R 27/08 BFH/ NV 2010, 2038 m.w.N.).

24
b) Unter Beachtung dieser Grundsätze hält der zivilrechtlich wirksam zustande gekommene Nutzungsüberlassungsvertrag vom 1. Juli 2009 in Bezug auf den in § 8 des Vertrages vereinbarten Vertragsinhalt einem Fremdvergleich nicht stand.

25
aa) Schon die ausdrückliche Vereinbarung der Abänderbarkeit der Gegenleistung unter den Voraussetzungen des § 323 ZPO (in der im Streitjahr geltenden Fassung -a.F.-) ist nur unter nahen Angehörigen vorstellbar und muss deshalb als fremdunüblich angesehen werden. Die Abänderung vertraglich vereinbarter Altenteilsleistungen ist bei einer erheblichen Veränderung der für ihre Festsetzung maßgebend gewesenen allgemeinen Verhältnisse zulässig und dies gilt auch dann, wenn die Veränderung lediglich in den persönlichen Verhältnissen der Beteiligten eingetreten ist (Bundesgerichtshof, Beschluss vom 8. Oktober 1957, V BLw 12/57, BGHZ 25, 293, NJW 1957, 1798). Bei einer Abänderungsklage nach § 323 ZPO ist nicht nur das (gestiegene) Versorgungsbedürfnis des Vermögensübergebers, sondern auch die (ggf. verminderte) Leistungsfähigkeit des Vermögensübernehmers zu berücksichtigen (BFH-Beschluss vom 9. Mai 2007, X B 162/06 BFH/NV 2007, 1501 unter 1d)).

26
Die Möglichkeit der Abänderung nach § 323 ZPO a.F. trägt damit nicht nur den allgemeinen, von den Verhältnissen der Vertragsparteien unabhängigen Veränderungen in der Vertragsbeziehung Rechnung, sondern soll gerade der individuellen Entwicklung der Verhältnisse einer jeden Vertragspartei Rechnung tragen. Es ist im Geschäftsleben nur schwer vorstellbar, dass ein fremder Vermieter oder Verpächter eine Entgeltminderung aus allein in der Person des Mieters/Pächters liegenden Gründen akzeptieren würde, ebenso wenig würde sich ein Mieter/Pächter mit einer Miet- oder Pachterhöhung einverstanden erklären, weil z.B. der Vermieter/Verpächter aus allein in seiner Person liegenden Gründen mehr Geld benötigt.

27
bb) Auch die weiteren, in § 8 des Nutzungsüberlassungsvertrages getroffenen Regelungen werden den Anforderungen, die im Rahmen eines Fremdvergleichs gestellt werden, nicht gerecht, weil diesen nicht entnommen werden kann, welche Sachleistungen der Kläger überhaupt zu erbringen hat. Als vertragstypische Hauptpflicht ist nach den zivilrechtlichen Regelungen (z.B. § 535 Abs. 2, § 581 Abs. 1 S. 2 BGB) jedoch vorgesehen, dass die vereinbarte Gegenleistung entrichtet wird. Den vertraglichen Regelungen lässt sich nicht mit der gebotenen Eindeutigkeit entnehmen, welche Höhe die Gegenleistung, die der Kläger für die Nutzungsüberlassung zu erbringen hat, haben soll. Auch wenn es für die Anerkennung eines Vertrages generell unschädlich ist, wenn neben den Barzahlungen auch Sachleistungen vereinbart werden, weil diese ebenfalls zu den Entgelten im Sinne von § 21 EStG rechnen (BFH-Urteil vom 6. August 2013 VIII R 33/11 BFH/NV 2014, 151), müssen doch auch die Sachleistungen so genau bestimmbar sein, dass für die Vertragspartner feststellbar ist, welchen Geldwert diese haben, da anderenfalls die Angemessenheit von Leistung und Gegenleistung nicht überprüft werden kann.

28
Soweit als Gegenleistung die Übernahme der Hausneben- und Energiekosten vereinbart ist, können die vom Kläger insoweit zu übernehmenden Kosten im Rahmen einer Aufteilung der Gesamtkosten nach der Kopfzahl der im Haushalt lebenden Personen (vgl. Niedersächsisches FG, Urteil vom 31. März 2010 4 K 18/08, EFG 2010, 1610) noch bestimmt werden. Dagegen lässt sich die Höhe bzw. der Umfang der vom Kläger zu übernehmenden „Kosten der Lebenshaltung“ nicht ansatzweise ermitteln. Es bleibt schon unklar, welche Kostenfaktoren die Vertragsparteien dem Begriff „Kosten der Lebenshaltung“ überhaupt zugerechnet haben. Der Klägervertreter hat in der mündlichen Verhandlung ausgeführt, dass er selbst hierunter lediglich die Kosten der täglichen Lebenshaltung, also insbesondere der Beköstigung, versteht. Demgegenüber gehören zu den Lebenshaltungskosten nach allgemeiner Ansicht und dem Inhalt des vom Statistischen Bundesamt ermittelten Warenkorbs nicht nur die Ausgaben für Nahrungsmittel, sondern auch die Ausgaben für Wohnen, Bekleidung, Gesundheit, Freizeit und Unterhaltung, Bildung und Kultur und Kommunikation (www.destatis.de). Da nicht geregelt ist, welche der oben aufgeführten Kostenfaktoren überhaupt Bestandteil der Regelung sind, bleibt auch offen, mit welchem Wert die vom Kläger insoweit zu erbringenden Gegenleistung zu bewerten ist. Selbst wenn man unterstellt, dass der Kläger gegenüber seinen Eltern für sämtliche Kosten, die vom Statistischen Bundesamt den Kosten der Lebenshaltung zugerechnet werden, aufkommen wollte, sind diese dennoch nicht von vornherein der Höhe nach bestimmbar, weil diese darüber hinaus wesentlich von dem Ausgabeverhalten der Eltern abhängen und damit regelmäßige Wertschwankungen nach oben wie auch nach unten möglich sind. Die Eltern konnten allein durch ihr Ausgabeverhalten nach Belieben die Höhe der vom Kläger für die Nutzungsüberlassung an sie zu leistenden Aufwendungen und im Ergebnis die Höhe der Gegenleistung beeinflussen. Der Senat ist davon überzeugt, dass sich kein fremder Dritter auf eine derart unklare Regelung, die dem Nutzungsberechtigten in Bezug auf die Höhe der zu erbringenden Gegenleistung so gut wie keine Planungssicherheit bietet, eingelassen hätte.

29
Da der Kläger zudem auch nach § 1601 BGB seinen Eltern gegenüber zum Unterhalt verpflichtet ist, sind die aufgrund des Vertrages an seine Eltern geleisteten Zuwendungen als Zuwendungen im Sinne des § 12 Nr. 2 EStG vom Betriebsausgabenabzug ausgeschlossen.

30
2. Die Aufwendungen des Klägers sind nach der Entscheidung des BFH im Urteil vom 25. Juni 2014 (X R 16/13, BFHE 246, 172, BStBl II 2014, 889) auch nicht mehr als Sonderausgaben gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 1a EStG abziehbar. Der Senat folgt dieser Auffassung und verweist zur Vermeidung von Wiederholungen auf die Entscheidungsgründe des BFH-Urteils vom 25. Juni 2014. Nach alledem ist die Klage abzuweisen.

31
II. Die Kosten des Verfahrens hat der Kläger nach § 135 Abs. 1 FGO zu tragen. Die Revision wird zugelassen, weil die Frage, inwieweit die Vereinbarung der Abänderung nach § 323 ZPO im Rahmen eines Überlassungsvertrages der Annahme von Betriebsausgaben entgegensteht, nicht höchstrichterlich geklärt ist.

Aufwendungen für ein Dienstjubiläum als Werbungskosten

Niedersächsisches Finanzgericht 4. Senat, Urteil vom 03.12.2014, 4 K 28/14

§ 12 Nr 1 S 2 EStG, § 19 EStG, § 19 Abs 1 EStG, § 9 Abs 1 S 1 EStG

Tatbestand

1
Streitig ist, ob der Kläger die Aufwendungen, die ihm im Zusammenhang mit der Ausrichtung einer Feier anlässlich seines 40-jährigen Dienstjubiläums entstanden sind, als Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit (§ 19 des Einkommen-steuergesetzes [EStG]) abziehen kann.

2
Der Kläger war Beamter des Landes B. Im Streitjahr war er als Sachgebietsleiter für Vollstreckung und Steuerfahndung sowie als Vertreter des ständigen Vertreters des Vorstehers beim Finanzamt A eingesetzt und wurde bei diesem auch zur Einkommensteuer veranlagt. Neben den Einkünften aus nichtselbstständiger Arbeit erzielte er Einkünfte aus anderen nicht streitbefangenen Einkunftsarten.

3
Im April 2006 beging er sein 40-jähriges Dienstjubiläum und lud aus diesem Anlass an einem Montag für die Zeit von 11 bis 13 Uhr zu einer Feier in den Sozialraum des Finanzamtes A ein. Die Einladung richtete er per E-Mail an alle Amtsangehörigen des Finanzamts A sowie an die in dem Amtsgebäude ebenfalls tätigen Bediensteten des Finanzamts für Großbetriebsprüfung. Wegen des Inhalts der Einladung wird auf das als Anlage K 1 eingereichte Einladungsschreiben verwiesen. Zur Bewirtung der Gäste bestellte er für 50 Personen Häppchen und kaufte Wein und Sekt ein. Die ihm durch die Feier entstandenen Kosten in Höhe von insgesamt 830 EUR machte er für das Streitjahr als Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbstständiger Arbeit geltend.

4
Das Finanzamt A erkannte die Aufwendungen nicht als Werbungskosten an und setzte zunächst mit Einkommensteuerbescheid vom … und später mit geändertem Einkommensteuerbescheid vom … 2007 die Einkommensteuer fest. Gegen den geänderten Einkommensteuerbescheid legte der Kläger fristgerecht Einspruch ein und führte zur Begründung an, dass die im Einkommensteuerbescheid maschinell angebrachten Vorläufigkeitsvermerke rechtswidrig seien. Da wegen dieser Frage ein Revisionsverfahren beim Bundesfinanzhof (BFH) anhängig war, ließ das Finanzamt A das Einspruchsverfahren mit Zustimmung des Klägers bis zum Abschluss des Revisionsverfahrens ruhen.

5
Der Kläger verzog unterdessen in den Zuständigkeitsbereich des Beklagten. Nach Beendigung des beim BFH anhängigen Revisionsverfahrens nahm der Beklagte das Einspruchsverfahren wieder auf. Nunmehr beantragte der Kläger im Juni 2013 den Abzug der bislang nicht anerkannten Aufwendungen für die Jubiläumsfeier als Werbungskosten. Er trug hierzu vor, dass er der einzige Veranstalter gewesen sei und bis auf eine Person nur Kolleginnen und Kollegen aus dem Finanzamt A sowie der im Gebäude untergebrachten Dienststelle des Finanzamtes für Großbetriebsprüfung anwesend gewesen seien. Er habe eine Genehmigung durch den Vorsteher und die Geschäftsstelle erhalten. Eine Gästeliste habe es nicht gegeben, da er alle im Gebäude tätigen Personen eingeladen habe. Teilgenommen hätten bis auf einen kurz zuvor pensionierten Kollegen nur aktive Kolleginnen und Kollegen. Abgesehen von einem örtlichen Funktionsträger der Deutschen Steuergewerkschaft seien andere Personengruppen, wie z.B. Steuerberater, die örtliche Stadtverwaltung oder die Presse, nicht eingeladen worden. Er sei seit vielen Jahren Vertreter des ständigen Vertreters des Vorstehers und Schwerbehindertenvertreter gewesen und habe an Sitzungen des Personalrats teilgenommen, so dass diese Veranstaltung für ihn einen rein beruflichen Charakter gehabt habe. Hierfür spreche auch, dass keine Angehörigen und Freunde teilgenommen hätten. Nach der Rechtsprechung des BFH (Urteil vom 6. März 2008, VI R 68/06, BFH/NV 2008, 1316) stehe dieser beruflichen Veranlassung von Bewirtungsauf-wendungen auch nicht entgegen, dass er keine erfolgsabhängigen Einnahmen erziele.

6
Im Rahmen der Einspruchsbearbeitung stellte der Beklagte bei der Überprüfung der Werbungskosten fest, dass ein Betrag in Höhe von 126 EUR, der für die Anschaffung eines Samsung Drucker erklärt war, tatsächlich auf die Anschaffung einer Digitalkamera mit Wechselobjektiv entfiel. Der Beklagte war der Auffassung, dass diese Aufwendungen nicht beruflich veranlasst seien, setzte nach Androhung der Verböserung die Einkommensteuer entsprechend herauf und wies den Einspruch im Übrigen als unbegründet zurück.

7
Zur Begründung führte er im Wesentlichen aus, dass ein Werbungskostenabzug wegen der Regelung des § 12 Nr. 1 Satz 2 EStG ausgeschlossen sei, da die Aufwendungen die Lebensführung des Klägers beträfen und durch seine gesellschaftliche Stellung bedingt seien. Die Abgrenzung der beruflichen und privaten Veranlassung sei anhand einer Würdigung aller Umstände des Einzelfalls zu treffen. Der Anlass der betreffenden Veranstaltung sei ein Indiz. Aufwendungen für die Bewirtung von Gästen aus Anlass eines in der privaten Sphäre des Einladenden liegenden persönlichen Ereignisses seien grundsätzlich als nach § 12 Nr. 1 Satz 2 EStG nicht abzugsfähige Kosten der Lebensführung zu bewerten. Das Dienstjubiläum sei so ein Ereignis. Darüber sei auch von Bedeutung, wer als Gastgeber aufgetreten sei, wer die Gästeliste bestimmt habe und ob es sich bei den Gästen um Kollegen, Geschäftsfreunde oder Mitarbeiter des Steuerpflichtigen oder Arbeitgebers, um Angehörige des öffentlichen Lebens, der Presse, um Verbandsvertreter oder um private Bekannte oder Angehörige des Steuerpflichtigen gehandelt habe. Ebenso werde berücksichtigt, in wessen Räumlichkeiten bzw. an welchem Ort die Veranstaltung stattgefunden habe. Ein starkes Indiz für die berufliche Veranlassung der Bewirtung liege vor, wenn der Arbeitgeber die Veranstaltung ohne Mitspracherecht des betroffenen Beschäftigten organisiere und ausrichte. Im Gegensatz hierzu habe der Kläger seine Kollegen bewirtet und die Feier nach eigenem Ermessen und mit eigener Entscheidungsbefugnis ohne Einflussnahme durch den Dienstvorgesetzten ausrichten können und auch die Gästeliste selbst bestimmt.

8
Mit der Klage begehrt der Kläger unter Wiederholung und Vertiefung seines Vorbringens aus dem Vorverfahren den Abzug der Aufwendungen als Werbungskosten. Er ist der Ansicht, dass er selbst nicht als Gastgeber aufgetreten sei, weil er lediglich die ihm von seinem Arbeitgeber geboten Möglichkeiten genutzt habe. Die Gästeliste habe er nicht selbst bestimmt, weil die Einladung ohne Ausnahme an alle im Amtsgebäude tätigen Bediensteten gerichtet worden sei. Aus dem privaten Umfeld sei lediglich der Sohn seiner verstorbenen Partnerin bei dem Jubiläum anwesend gewesen, wobei dieser auch erst nach Ablauf der offiziellen Zeit erschienen sei. Soweit das Finanzamt darauf abstelle, dass alle Begegnungen der Pflege der persönlichen Beziehungen zu Mitarbeitern und Kollegen gedient hätten, könne dies kein Einfluss auf die Beurteilung der Abzugsfähigkeit der Kosten haben.

9
Soweit der BFH im Beschluss vom 24. September 2013 (Az. VI R 35/11, BFH/NV 2014, 500) die Versagung des Werbungskostenabzugs bei einem Priester bestätigt habe, sei dem entgegenzuhalten, dass der diesem Beschluss zugrunde liegende Sachverhalt in wesentlichen Punkten anders gelagert sei als sein Fall. So habe der Priester kein Dienstjubiläum, sondern den „Jahrestag des Empfangs der Priesterweihe“ begangen, welcher im Gegensatz zu seinem Dienstjubiläum ein höchstpersönliches Ereignis sei. Außerdem habe der Kläger im Gegensatz zu ihm die Feier nicht im Dienstgebäude durchgeführt, und diese sei nicht wie seine Veranstaltung auf zwei Stunden begrenzt gewesen, sondern habe 2 Tage gedauert. Schließlich seien die Gäste in dem Entscheidungsfall besonders ausgewählt worden und habe sich die Einladung auch an private Gäste sowie Familienmitglieder gerichtet, während er sich auf alle in dem Amtsgebäude tätigen Bediensteten beschränkt habe. Da er alle Amtsangehörigen eingeladen habe, habe er keine eigene Auswahl der Gäste getroffen, und der Umstand, dass es sich bei den Gästen um eine homogene Gruppe gehandelt habe und weder Person des öffentlichen Lebens, Steuerberater, Oberbehörden usw. noch Freunde und Familie eingeladen gewesen seien, belege die berufliche Veranlassung seiner Feier.

10
Der Beklagte hält unter Bezugnahme auf seine Begründung im Einspruchsbescheid an seiner im Vorverfahren vertretenden Auffassung fest und trägt ergänzend vor, dass insbesondere der Umstand, dass nicht die vorgesetzte Dienstbehörde, sondern der Kläger selbst die Kollegen, die er als Gäste bewirtet habe, bestimmt und eingeladen habe, ohne insoweit durch Anweisungen oder Vorgaben seines Dienstherrn eingeschränkt gewesen zu sein, ein Indiz für die private Veranlassung der Jubiläumsfeier sei. Wenn Angestellte und Beamte auf eigene Initiative und Kosten für Kollegen eine Feier organisierten, spreche vieles dafür, dass die privaten Gründe in den Vordergrund getreten seien, weil dann die Pflege der persönlichen Beziehungen zu Mitarbeitern und Kollegen einen hohen Stellenwert einnehme.

Entscheidungsgründe

11
Die Klage ist unbegründet.

12
I. Der angefochtene Bescheid verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, weil der Beklagte es zu Recht abgelehnt hat, die Aufwendungen für die Jubiläumsfeier als Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit zu berücksichtigen.

13
Gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG sind Werbungskosten Aufwendungen zur Erwerbung, Sicherung und Erhaltung der Einnahmen. Der BFH hat in ständiger Rechtsprechung und zuletzt im Beschluss vom 24. September 2013 VI R 325/11, BFH NV 2014, 500, ausgeführt, dass Werbungskosten vorliegen,

14
wenn zwischen den Aufwendungen und den steuerpflichtigen Einnahmen ein Veranlassungszusammenhang besteht. Davon ist auszugehen, wenn die Aufwendungen mit der Einkünfteerzielung objektiv zusammenhängen und ihr subjektiv zu dienen bestimmt sind, d. h. wenn sie wirtschaftlichen Zusammenhang mit den Einnahmen aus nichtselbstständiger Arbeit stehen. Maßgeblich dafür, ob ein solcher Zusammenhang besteht, ist zum einen die – wertende – Beurteilung des die betreffenden Aufwendungen „auslösenden Moments“, zum anderen dessen Zuweisung zur einkommensteuerrechtlich relevanten Erwerbsfähre. Dabei bilden die Gründe die den Steuerpflichtigen zu den Aufwendungen bewogen haben das auslösende Moment. Ergibt die Prüfung, dass die Aufwendungen nicht oder nur in unbedeutendem Maße auf privaten, der Lebensführung der Steuerpflichtigen zuzurechnenden Umständen beruhen, so sind sie als Werbungskosten grundsätzlich abzuziehen. Beruhen die Aufwendungen hingegen nicht oder in nur unbedeutendem Maße auf beruflichen Umständen, so sind sie nicht abziehbar.“

15
Der Senat teilt diese Auffassung und folgt der Rechtsprechung des BFH. Dementsprechend ist die Entscheidung, ob der Arbeitnehmer Aufwendungen aus beruflichem Anlass erbringt oder ob es sich um Aufwendungen für die Lebensführung handelt, anhand einer Würdigung aller Umstände des Einzelfalls zu treffen (BFH-Urteil vom 6. März 2008, VI R 68/06, BFH/NV 2008, 1316). Nach diesen Maßstäben sind die Aufwendungen des Klägers für die Feier des Dienstjubiläums nicht als beruflich veranlasst zu beurteilen, weil die private Veranlassung der Feier bei weitem überwiegt.

16
Die private Veranlassung der Feier ergibt sich zunächst aus deren Anlass. Der Kläger hat anlässlich seines 40-jährigen Dienstjubiläums hierzu eingeladen. Nach der vom Senat ebenfalls geteilten Rechtsprechung des BFH stellt ein Dienstjubiläum ein persönliches, durch die private Sphäre des Arbeitnehmers veranlasstes Ereignis dar, so dass die damit im Zusammenhang stehenden Aufwendungen regelmäßig als durch seine gesellschaftliche Stellung veranlasst beurteilt werden (BFH-Beschluss vom 24. September 2013, Az. VI R 325/11, BFH/NV 2014, 500 m.w.N.) Entgegen der Auffassung des Klägers gilt dies grund-sätzlich, und es kommt insbesondere im öffentlichen Dienst nicht darauf an, welcher Berufsgruppe ein Jubilar angehört, weil in allen Fällen der Dienstherr lediglich die Ableistung einer bestimmten Anzahl von Dienstjahren (25, 40 oder 50 Jahre) honoriert. Die Errechnung dieser Dienstjahre erfolgt in der Regel jedoch unter Berücksichtigung vielfältiger persönlicher und nicht betriebsbezogener Faktoren. Hieraus folgt, dass im Ergebnis die persönliche Ehrung einer Lebensleistung und nicht die Ehrung der konkret ausgeübten Berufstätigkeit im Vordergrund steht. Dieses rechtfertigt es, die mit der Feier eines Dienstjubiläums in Zusammenhang stehenden Kosten grundsätzlich als nicht abziehbare Kosten der Lebensführung zu bewerten.

17
Die Feier war auch nicht mittelbar durch die vom Kläger konkret ausgeübte Tätigkeit als Sachgebietsleiter veranlasst. Er war unstreitig nicht verpflichtet, aus Anlass seines Dienstjubiläums eine solche Feier auszurichten, sondern hätte vielmehr wie andere Kollegen auf diese verzichten können. Sie diente auch nicht dem Zweck, das Finanzamt A in der Öffentlichkeit zu repräsentieren. Letzteres folgert der Senat aus dem Umstand, dass die Feier im Sozialraum ohne Teilnahme amtsfremder Personen und damit im Ergebnis unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattgefunden hat. Dass der Dienstherr sich nicht an den Kosten der Jubiläumsfeier beteiligt hat, ist in diesem Zusammenhang ein weiterer Aspekt, der gegen die berufliche Veranlassung spricht.

18
Der Umstand, dass die Gästeliste ausschließlich durch die Entscheidung des Klägers bestimmt worden ist, ist ebenfalls ein Aspekt, der gegen die berufliche Veranlassung der Jubiläumsfeier spricht. Eine berufliche Veranlassung kann vorliegen, wenn die Zusammensetzung der Gästeliste durch den Vorgesetzten oder die vorgesetzte Dienstbehörde (mit-)getroffen wird. Der Kläger konnte aber allein ohne objektiv bestehende Einschränkungen darüber befinden, welche Gäste eingeladen werden. So wie er entscheiden konnte, alle Amtsangehörigen einzuladen, hätte er die Einladung auch auf ausgewählte Kollegen beschränken oder zu den Kollegen auch Freunde und Familie einladen können. Insoweit unterscheidet sich seine Feier von anderen Veranstaltungen, die zum Beispiel von Behördenleitern anlässlich ihres Eintritts in den Ruhestand oder aus anderen Anlässen ausgerichtet werden und bei denen die vorgesetzte Dienstbehörde konkrete Vorgaben für die Zusammensetzung der Gästeliste macht.

19
Die Einladung war an alle im Amtsgebäude tätigen Bediensteten gerichtet und somit auch an Personen, gegenüber denen der Kläger keine Weisungsbefugnis ausübte. Letzteres spricht für die Annahme, dass der Kläger mit der Feier ausschließlich die ihm nach seiner persönlichen Einschätzung obliegenden Repräsentationspflichten erfüllen wollte. Es ist zwar nachvollziehbar, dass sich der Kläger aufgrund der von ihm bekleideten Ämter verpflichtet gefühlt hat, die Einladung an alle Amtsangehörigen zu richten, und dass er dieses als Indiz für die berufliche Veranlassung wertet. Allerdings kann die subjektiv gefühlte Verpflichtung nicht als Abgrenzungskriterium für die Unterscheidung nach beruflicher oder privater Veranlassung herangezogen werden, weil die Abgrenzung nach objektiv feststellbaren Kriterien zu erfolgen hat.

20
Nach Würdigung der objektiv feststellbaren Gesamtumstände ist der Senat der Überzeugung, dass die Feier vorrangig der Kontaktpflege zu den Kollegen gedient hat und das Repräsentationsbedürfnis des Klägers bei der Entscheidung zur Durchführung der Feier im Vordergrund gestanden hat. Beides belegt den privaten Anlass der Feier, so dass die Klage abzuweisen ist.

21
II. Die Kosten des Verfahrens hat der Kläger als unterlegende Partei nach § 135 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung zu tragen.

Kürzung des Erholungsurlaubs wegen Elternzeit

Nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses kann der Arbeitgeber den Erholungsurlaub wegen Elternzeit nicht mehr kürzen. Die Regelung in § 17 Abs. 1 Satz 1 BEEG, wonach der Arbeitgeber den Erholungsurlaub, der dem Arbeitnehmer oder der Arbeitnehmerin für das Urlaubsjahr zusteht, für jeden vollen Kalendermonat der Elternzeit um ein Zwölftel kürzen kann, setzt voraus, dass der Anspruch auf Erholungsurlaub noch besteht. Daran fehlt es, wenn das Arbeitsverhältnis beendet ist und der Arbeitnehmer Anspruch auf Urlaubsabgeltung hat. Die bisherige Rechtsprechung zur Kürzungsbefugnis des Arbeitgebers auch nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses beruhte auf der vom Senat vollständig aufgegebenen Surrogatstheorie. Nach der neueren Rechtsprechung des Senats ist der Anspruch auf Urlaubsabgeltung nicht mehr Surrogat des Urlaubsanspruchs, sondern ein reiner Geldanspruch. Dieser verdankt seine Entstehung zwar urlaubsrechtlichen Vorschriften. Ist der Abgeltungsanspruch entstanden, bildet er jedoch einen Teil des Vermögens des Arbeitnehmers und unterscheidet sich in rechtlicher Hinsicht nicht von anderen Zahlungsansprüchen des Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber.

Die Klägerin war ab April 2007 gegen eine monatliche Bruttovergütung von zuletzt 2.000,00 Euro im Seniorenheim der Beklagten als Ergotherapeutin beschäftigt. Bei einer Fünftagewoche standen ihr im Kalenderjahr 36 Urlaubstage zu. Die Klägerin befand sich nach der Geburt ihres Sohnes im Dezember 2010 ab Mitte Februar 2011 bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit Ablauf des 15. Mai 2012 in Elternzeit. Mit Anwaltsschreiben vom 24. Mai 2012 verlangte sie von der Beklagten ohne Erfolg die Abrechnung und Abgeltung ihrer Urlaubsansprüche aus den Jahren 2010 bis 2012. Im September 2012 erklärte die Beklagte die Kürzung des Erholungsurlaubs der Klägerin wegen der Elternzeit.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat auf die Berufung der Klägerin das Urteil des Arbeitsgerichts abgeändert, die nachträgliche Kürzung des Erholungsurlaubs der Klägerin für unwirksam erachtet und dieser deshalb Urlaubsabgeltung i. H. v. 3.822,00 Euro brutto zugesprochen.

Die Revision der Beklagten hatte vor dem Neunten Senat des Bundesarbeitsgerichts keinen Erfolg. Die Beklagte konnte nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses am 15. Mai 2012 mit ihrer Kürzungserklärung im September 2012 den Anspruch der Klägerin auf Erholungsurlaub wegen der Elternzeit nicht mehr verringern. Auf die Beantwortung der vom Landesarbeitsgericht bejahten Frage, ob die in § 17 Abs. 1 Satz 1 BEEG geregelte Kürzungsbefugnis des Arbeitgebers mit dem Unionsrecht vereinbar ist, kam es nicht an.

Quelle: BAG, Pressemitteilung vom 19.05.2015 zum Urteil 9 AZR 725/13 vom 19.05.2015

 

Neue Geldwäsche-Richtlinie – Gegen Steuervergehen und Terrorfinanzierung

Die Endeigentümer von Unternehmen und Trusts sollen in öffentliche EU-Register aufgenommen werden, die Behörden und Personen mit „berechtigtem Interesse“, wie zum Beispiel investigative Journalisten, einsehen dürfen. Einer entsprechenden Vereinbarung mit dem Rat haben die Abgeordneten am 20.05.2015 zugestimmt. Mit dieser neuen Anti-Geldwäsche-Richtlinie sollen Terrorismusfinanzierung und Steuerstraftaten wirksamer bekämpft werden.

Neue Vorschriften für eine bessere Rückverfolgbarkeit von Geldtransfers wurden ebenfalls verabschiedet.

Mit der 4. Anti-Geldwäsche-Richtlinie werden die EU-Mitglieder erstmals dazu verpflichtet, zentrale Register mit Angaben zu den Nutznießern („wirtschaftlich Berechtigte“) von Unternehmen, Trusts und anderen Rechtspersonen einzurichten. Die Abgeordneten konnten diese Vorschrift, die in dem ursprünglichen Vorschlag der Kommission nicht enthalten war, in den Verhandlungen mit dem Rat erfolgreich durchsetzen.

Der Gesetzentwurf enthält auch besondere Berichtspflichten für Banken, Rechnungsprüfer, Rechtsanwälte, Immobilienmakler oder Spielcasinos (unter anderem) hinsichtlich „verdächtiger Transaktionen“ ihrer Kunden.

„Legitimes Interesse“ Voraussetzung für den Zugang zu den Registern
Die zentralen Register müssen für die zuständigen Behörden und die zentralen Meldestellen, für „Verpflichtete“ (wie z. B. Banken im Rahmen der Erfüllung der Sorgfaltspflichten gegenüber Kunden) und alle Personen oder Organisationen, die ein „berechtigtes Interesse“ nachweisen können (kann allerdings einer Online-Registrierung und der Zahlung einer Gebühr unterliegen), ohne Einschränkung zugänglich sein.

Um Zugang zu einem Register zu erhalten, muss eine Person oder Organisation (z.B. investigative Journalisten oder Nichtregierungsorganisationen) ein legitimes Interesse im Zusammenhang mit Geldwäsche, Terrorismusfinanzierung und damit zusammenhängende Vortaten – wie Bestechung, Steuerstraftaten und Betrug – nachweisen können.

Diese Personen oder Organisationen haben Zugang mindestens zum Namen, Monat und Jahr der Geburt, der Staatsangehörigkeit und dem Wohnsitzland des wirtschaftlichen Eigentümers sowie Art und Umfang des wirtschaftlichen Interesses. Auf der Grundlage „einer Einzelfallprüfung unter außergewöhnlichen Umständen“ kann der Zugang zu den Informationen verwehrt werden.

Im Fall von Trusts bleiben die Informationen eines Zentralregisters den Behörden und den „Verpflichteten“ vorbehalten.

Sondermaßnahmen für „politisch exponierte“ Personen
Der Text enthält auch klarere Regeln bezüglich „politisch exponierter“ Personen, bei denen aufgrund der Ämter, die sie bekleiden, ein erhöhtes Korruptionsrisiko besteht, wie beispielsweise Staats- und Regierungschefs, Regierungsmitglieder, hohe Richter, Parlamentsabgeordnete sowie ihre Familienmitglieder.

Bei risikoreichen Geschäftsbeziehungen mit erwähnten Personen können angemessene Maßnahmen ergriffen werden, um die Herkunft des Vermögens und der eingesetzten Gelder zu bestimmen.

Mehr Transparenz bei Geldtransfers
Die Abgeordneten haben auch über die „Geldtransfer-Verordnung“ abgestimmt, mit der die Rückverfolgbarkeit von Zahlern und Empfängern sowie ihrer Vermögenswerte verbessert werden soll.

Die nächsten Schritte
Die Mitgliedstaaten müssen die Geldwäsche-Richtlinie binnen zwei Jahren in nationales Recht umsetzen. Die Geldtransfer-Verordnung tritt 20 Tage nach der Veröffentlichung im Amtsblatt der EU in allen Mitgliedstaaten in Kraft.

Weitere Informationen finden Sie auf der Homepage des EU-Parlaments.

Quelle: EU-Parlament, Pressemitteilung vom 20.05.2015

 

Anwendungsfragen zu § 55 Abs. 4 InsO

Unter Bezugnahme auf das Ergebnis der Erörterungen mit den obersten Finanzbehörden der Länder gilt Folgendes:

I. Allgemeines
Durch das Haushaltsbegleitgesetz 2011 wurde § 55 InsO um folgenden Abs. 4 erweitert:

„(4) Verbindlichkeiten des Insolvenzschuldners aus dem Steuerschuldverhältnis, die von einem vorläufigen Insolvenzverwalter oder vom Schuldner mit Zustimmung eines vorläufigen Insolvenzverwalters begründet worden sind, gelten nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens als Masseverbindlichkeit.“

Diese neue Regelung ist auf alle Insolvenzverfahren anzuwenden, deren Eröffnung ab dem 1. Januar 2011 beantragt wurde.

Im Folgenden erläutert das BMF ausführlich die Konsequenzen, die sich aus dieser neuen Bestimmung ergeben. Es geht im Einzelnen auf folgende Punkte ein:

II. Anwendung
II.1 Betroffene Personen
II.2 Steuerrechtliche Stellung des vorläufigen Insolvenzverwalters
II.3 Verbindlichkeiten / Forderungen
II.4 Betroffene Steuerarten und steuerliche Nebenleistungen
II.4.1 Umsatzsteuer
II.4.1.1 Umsatzsteuerverbindlichkeiten aufgrund ausgeführter Lieferungen und sonstiger
II.4.1.2 Umsatzberichtigung wegen Uneinbringlichkeit aus Rechtsgründen (BFH-Urteil vom 24.09.2014 – V R 48/13)
II.4.1.3 Forderungseinzug bei der Besteuerung nach vereinbarten und nach vereinnahmten Entgelten im vorläufigen Insolvenzverfahren
II.4.1.4 Vorsteuerrückforderungsansprüche nach § 17 UStG
II.4.1.5 Berichtigung des Vorsteuerabzugs nach § 15a UStG
II.4.1.6 Verwertung von Sicherungsgut
II.4.2 Einkommen-, Körperschaft- und Gewerbesteuer
II.4.3 Lohnsteuer

III. Verfahrensrechtliche Fragen
III.1 Steuererklärungspflichten
III.2 Entstehung der Masseverbindlichkeiten
III.3 Zuordnung und Geltendmachung von Masseverbindlichkeiten nach § 55 Abs. 4 InsO bei der Umsatzsteuer
III.3.1 Berechnung und Verteilung von Masseverbindlichkeiten nach § 55 Abs. 4 InsO bei der Umsatzsteuer
III.3.2 Geltendmachung von Masseverbindlichkeiten nach § 55 Abs. 4 InsO bei der Umsatzsteuer
III.4 Geltendmachung von Masseverbindlichkeiten nach § 55 Abs. 4 InsO bei Ertragsteuern
III.4.1 Bekanntgabe
III.4.2 Leistungsgebot
III.4.3 Geltendmachung von Masseverbindlichkeiten nach § 55 Abs. 4 InsO bei der Lohnsteuer
III.5 Einwendungen gegen die Zuordnung als Masseverbindlichkeit nach § 55 Abs. 4 InsO
III.6 Aufrechnung gegen Steuererstattungsansprüche

IV. Anfechtung

Dieses Schreiben tritt mit sofortiger Wirkung an die Stelle des BMF-Schreibens vom 17.01.2012 – IV A 3 – S-0550 / 10 / 10020 – 05.

Das Schreiben im Volltext finden Sie auf der Homepage des BMF.

Quelle: BMF, Schreiben (koordinierter Ländererlass) IV A 3 – S-0550 / 10 / 10020-05 vom 20.05.2015

Ermittlung des Gewinns aus privaten Veräußerungsgeschäften in Fällen der rückwirkenden Verlängerung der Veräußerungsfrist bei Spekulationsgeschäften von 2 auf 10 Jahre

Mit Urteil vom 6. Mai 2014, IX R 39/13, hat der BFH abweichend von der Vereinfachungsregelung in Ziffer II.1 des BMF-Schreibens vom 20. Dezember 2010 (BStBl I 2011 S. 14) entschieden, dass Abschreibungen, die in der Zeit bis zur Verkündung des StEntlG 1999/2000/2002 am 31. März 1999 in Anspruch genommen worden sind, nicht dem steuerbaren Zeitraum zuzuordnen sind.

Im Einvernehmen mit den obersten Finanzbehörden der Länder wird Ziffer II. 1 des BMF-Schreibens vom 20. Dezember 2010 wie folgt gefasst:

„II.1. Vereinfachungsregelung

Regelmäßig ist der Umfang des steuerbaren Wertzuwachses entsprechend dem Verhältnis der Besitzzeit nach dem 31. März 1999 im Vergleich zur Gesamtbesitzzeit linear (monatsweise) zu ermitteln. Angefangene Monate der Gesamtbesitzzeit werden aus Vereinfachungsgründen aufgerundet. Angefangene Monate der Besitzzeit nach dem 31. März 1999 werden abgerun-det.
Seite 2
Beispiel 1:
Anschaffung eines unbebauten Grundstückes mit notariellem Kaufvertrag vom 15. Januar 1997 für 100.000 DM. Veräußerung mit notariellem Kaufvertrag am 3. August 1999 für 150.000 DM.
Lösung:
Die Gesamtbesitzzeit für das unbebaute Grundstück beträgt 30 volle und 1 angefangenen Monat = aufgerundet 31 Monate. Auf den Zeitraum 31. März 1999 bis 3. August 1999 entfallen 4 volle Monate und ein angefangener Monat = abgerundet 4 volle Monate. Der Wertzuwachs von 50.000 DM für das unbebaute Grundstück ist zu einem Anteil von 4/31 = 6.452 DM bei der Einkommensteuerfestsetzung zu berücksichtigen.
Sonderabschreibungen, erhöhte Absetzungen für Abnutzungen (AfA) sowie lineare und degressive AfA nach § 7 Absatz 4 und Absatz 5 EStG sind dem Zeitraum zuzuordnen, in dem sie steuerlich berücksichtigt worden sind.
Beispiel 2:
Anschaffung eines bebauten Grundstücks im Fördergebiet mit notariellem Kaufvertrag vom 4. Dezember 1996 für umgerechnet 180.000 Euro (Grund und Boden 20.000 Euro, Altbau 40.000 Euro, Sanierung 120.000 Euro). Die Sanierung ist am 31. August 1997 abgeschlossen worden (zugleich Übergang von Lasten und Nutzen). Das ausschließlich zu Vermietungs-zwecken genutzte Grundstück wird am 18. September 2003 für 200.000 Euro veräußert. Die Gesamtbesitzzeit für das bebaute Grundstück beträgt 81 volle Monate und 1 angefangener Monat; aufgerundet 82 Monate.
1997
40 % von 120.000 Euro 48.000 Euro Sonderabschreibung (§§ 3, 4 FördG)
2 % von 120.000 Euro x 4/12 800 Euro lineare AfA für die Sanierung (§ 7a Absatz 4
EStG)
2 % von 40.000 Euro x 4/12 266 Euro lineare AfA für den Altbau (§ 7 Absatz 4 EStG)
1998
1/9 von 71.200 Euro 7.911 Euro Restwert-AfA (§§ 3, 4 FördG)
2 % von 40.000 Euro 800 Euro lineare AfA für den Altbau (§ 7 Absatz 4 EStG)
Seite 3
1. Januar 1999 – 31. März 1999
1/9 von 71.200 Euro x 3/12 1.977 Euro Restwert-AfA (§§ 3, 4 FördG)
2 % von 40.000 Euro x 3/12 200 Euro lineare AfA für den Altbau (§ 7 Absatz 4 EStG)
1. April 1999 – 31. Dezember 1999
1/9 von 71.200 Euro x 9/12 5.934 Euro Restwert-AfA (§§ 3, 4 FördG)
2 % von 40.000 Euro x 9/12 600 Euro lineare AfA für den Altbau (§ 7 Absatz 4 EStG)
Gesamt 6.534 Euro
2000 – 2002
jährlich 1/9 von 71.200 Euro 7.911 Euro Restwert-AfA (§§ 3, 4 FördG)
jährlich 2 % von 40.000 Euro 800 Euro lineare AfA für den Altbau (§ 7 Absatz 4 EStG)
Gesamt 3 x 8.711 Euro
1. Januar 2003 – 18. September 2003
1/9 von 71.200 Euro x 9/12 5.934 Euro Restwert-AfA (§§ 3, 4 FördG)
2 % von 40.000 Euro x 9/12 600 Euro lineare AfA für den Altbau (§ 7 Absatz 4 EStG)
Gesamt 6.534 Euro
Lösung:
Ermittlung des Veräußerungsgewinns:
Veräußerungserlös 200.000 Euro
./. Anschaffungskosten ./. 180.000 Euro
= Wertzuwachs 20.000 Euro
Davon entfallen anteilig auf die Zeit ab 1. April 1999 53 volle Monate und 1 angefangener Monat = auf volle Monate abgerundet: 20.000 Euro x 53/82 = 12.926 Euro.
als Veräußerungserlös zu berücksichtigen 12.926 Euro
+ Rückgängigmachung der ab 1. April 1999 gewährten AfA:
1. April – 31. Dezember 1999 + 6.534 Euro
2000 – 2002 + 26.133 Euro
2003 + 6.534 Euro
steuerbarer Veräußerungsgewinn 52.127 Euro
Seite 4
Einer anteiligen Zuordnung der nach § 23 Absatz 3 Satz 1 EStG bei der Ermittlung der Ein-künfte aus Veräußerungsgeschäften abziehbaren Werbungskosten bedarf es nicht. Diese sind in vollem Umfang vom steuerbaren Veräußerungserlös abzuziehen.“
Dieses Schreiben ist auf alle offenen Fälle anzuwenden.
Das Schreiben wird im Bundessteuerblatt Teil I veröffentlicht.
Im Auftrag
Dieses Dokument wurde elektronisch versandt und ist nur im Entwurf gezeichnet.

Quelle: BMF, Schreiben (koordinierter Ländererlass) IV C 1 – S-2256 / 07 / 10001 :009 vom 18.05.2015, Anwendung des BFH-Urteils vom 6. Mai 2014, IX R 39/13

Steuerliche Behandlung von Arbeitgeberdarlehen

Das BMF-Schreiben aktualisiert die Verwaltungsregelungen zur steuerlichen Behandlung von Arbeitgeberdarlehen. Zudem wird klargestellt, dass die Grundsätze des BMF-Schreibens vom 16. Mai 2013 (BStBl I Seite 729) auch für den Bereich der Arbeitgeberdarlehen gelten. Das Schreiben ersetzt die BMF-Schreiben vom 15. April 1993, BStBl I Seite 339 sowie vom 1. Oktober 2008, BStBl I Seite 892, und ist in allen offenen Fällen anzuwenden.

1. Anwendungsbereich

2. Ermittlung des Zinsvorteils
2.1 Bewertung nach § 8 Absatz 2 EStG
2.1.1 Allgemeine Grundsätze
2.1.2 Ermittlung des Zinsvorteils
2.1.3 Einzelanfragen zur Ermittlung des Maßstabszinssatzes
2.2 Bewertung nach § 8 Absatz 3 EStG
2.2.1 Allgemeine Grundsätze
2.2.2 Ermittlung des Zinsvorteils
2.3 Wahlrechte zwischen den Bewertungsmethoden nach § 8 Absatz 2 und Absatz 3 EStG

3. Zufluss von Arbeitslohn

4. Versteuerung in Sonderfällen
4.1 Versteuerung bei fehlender Zahlung von Arbeitslohn
4.2 Versteuerung bei Ausscheiden aus dem Dienstverhältnis

5. Sicherheitenbestellung

6. Aufzeichnungserleichterungen für Kreditinstitute

7. Anrufungsauskunft

8. Zeitliche Anwendung
Dieses Schreiben ersetzt die BMF-Schreiben vom 15. April 1993, BStBl I Seite 339 sowie vom 1. Oktober 2008, BStBl I Seite 892, und ist in allen offenen Fällen anzuwenden.
1. Anwendungsbereich
1 Ein Arbeitgeberdarlehen liegt vor, wenn durch den Arbeitgeber oder aufgrund des Dienstverhältnisses durch einen Dritten an den Arbeitnehmer Geld überlassen wird und diese Geldüberlassung auf einem Darlehensvertrag beruht. Erhält der Arbeitnehmer durch solch ein Arbeitgeberdarlehen Zinsvorteile, sind sie zu versteuern. Der zur Anwendung des Lohnsteuerabzugsverfahrens verpflichtete Arbeitgeber hat die Lohnsteuer nach Maßgabe von § 38 Absatz 1 i. V. m. Absatz 4 Satz 3 EStG einzubehalten und abzuführen, sofern er sie nicht nach § 40 Absatz 1 EStG pauschal erhebt oder die Einkommensteuer nicht nach § 37b EStG pauschal erhoben wird.
2 Gehaltsvorschüsse im öffentlichen Dienst, die nach den Vorschussrichtlinien des Bundes oder der entsprechenden Richtlinien der Länder gewährt werden, sind Arbeitgeberdarlehen. Keine Arbeitgeberdarlehen sind dagegen insbesondere Reisekostenvorschüsse, vorschüssig gezahlter Auslagenersatz, Lohnabschläge und Lohnvorschüsse, wenn es sich hierbei um eine abweichende Vereinbarung über die Bedingungen der Zahlung des Arbeitslohns handelt.
www.bundesfinanzministerium.de
Seite 2
2. Ermittlung des Zinsvorteils
3 Bei Überlassung eines zinslosen oder zinsverbilligten Arbeitgeberdarlehens ist der geldwerte Vorteil (Zinsvorteil) zu ermitteln, der vom Arbeitnehmer als Arbeitslohn zu versteuern ist. Für die Ermittlung des Zinsvorteils ist zwischen einer Bewertung nach § 8 Absatz 2 EStG
(z. B. der Arbeitnehmer eines Einzelhändlers erhält ein zinsverbilligtes Arbeitgeberdarlehen) und einer Bewertung nach § 8 Absatz 3 Satz 1 EStG (z. B. der Bankangestellte erhält von seinem Arbeitgeber ein zinsverbilligtes Arbeitgeberdarlehen mit Ansatz des Rabatt-Freibetrags) zu unterscheiden. Der Arbeitnehmer erlangt keinen steuerpflichtigen Zinsvorteil, wenn der Arbeitgeber ihm ein Darlehen zu einem marktüblichen Zinssatz (Maßstabszinssatz) gewährt (BFH-Urteil vom 4. Mai 2006 -VI R 28/05 -, BStBl II Seite 781).
4 Zinsvorteile, die der Arbeitnehmer durch Arbeitgeberdarlehen erhält, sind Sachbezüge. Sie sind als solche zu versteuern, wenn die Summe der noch nicht getilgten Darlehen am Ende des Lohnzahlungszeitraums 2.600 € übersteigt.
Beispiel: Ein Arbeitgeber gewährt seinem Arbeitnehmer ein zinsloses Darlehen in Form eines Gehaltsvorschusses in Höhe von 2.000 €. Die daraus resultierenden Zinsvorteile sind nicht als Arbeitslohn zu versteuern, da der Darlehensbetrag am Ende des Lohnzahlungszeitraums die Freigrenze von 2.600 € nicht übersteigt.
2.1 Bewertung nach § 8 Absatz 2 EStG
2.1.1 Allgemeine Grundsätze
5 Sachbezüge sind mit den um übliche Preisnachlässe geminderten üblichen Endpreisen am Abgabeort anzusetzen (§ 8 Absatz 2 Satz 1 EStG). Von einem üblichen Endpreis ist bei einem Darlehen auszugehen, wenn sein Zinssatz mit dem Maßstabszinssatz (Rdnr. 3 Satz 3) vergleichbar ist; der pauschale Abschlag i. H. v. 4 % nach R 8.1 Absatz 2 Satz 3 LStR ist vorzunehmen. Solch ein üblicher Endpreis kann sich aus dem Angebot eines Kreditinstituts am Abgabeort ergeben.
Als üblicher Endpreis gilt auch der günstigste Preis für ein vergleichbares Darlehen mit nachgewiesener günstigster Marktkondition, zu der das Darlehen unter Einbeziehung allgemein zugänglicher Internetangebote (z. B. Internetangebote von Direktbanken) an Endverbraucher angeboten wird, ohne dass individuelle Preisverhandlungen im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses berücksichtigt werden. Bei dieser Ermittlung kommt der pauschale Abschlag i. H. v. 4 % nach R 8.1 Absatz 2 Satz 3 LStR nicht zur Anwendung.
Seite 3
6
Hat der Arbeitgeber den Zinsvorteil nach dem üblichen Endpreis am Abgabeort bewertet (Rdnr. 5 Satz 2), kann der Arbeitnehmer dennoch die Zinsvorteile im Rahmen seiner Einkommensteuerveranlagung mit dem niedrigeren günstigsten Preis am Markt i. S. d. Rdnr. 5 Satz 4 bewerten und dem Finanzamt nachweisen (z. B. durch Ausdruck des in einem Internet-Vergleichsportal ausgewiesenen individualisierten günstigeren inländischen Kreditangebots zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses). Ein solcher Nachweis ist auch dann zulässig, wenn der Arbeitgeber bereits den aus seiner Sicht günstigsten Preis am Markt i. S. d. Rdnr. 5 Satz 4 angesetzt hat und der Arbeitnehmer einen noch niedrigeren günstigsten Preis am Markt berücksichtigt haben möchte. Das günstigere inländische Angebot muss in einem zeitlichen Zusammenhang mit der Gewährung des Arbeitgeberdarlehens stehen. Aus Vereinfachungsgründen ist es nicht zu beanstanden, wenn dieses Angebot bis zu 10 Tage vor der Kreditanfrage beim Arbeitgeber und bis zu 10 Tage nach dem Vertragsabschluss des Arbeitgeberdarlehens eingeholt wird.
7
Der Arbeitgeber hat die Unterlagen für den ermittelten und der Lohnversteuerung zu Grunde gelegten Endpreis sowie die Berechnung der Zinsvorteile zu dokumentieren, als Belege zum Lohnkonto aufzubewahren und dem Arbeitnehmer auf Verlangen formlos mitzuteilen.
2.1.2 Ermittlung des Zinsvorteils
8
Bei nach § 8 Absatz 2 Satz 1 EStG zu bewertenden Zinsvorteilen im Zusammenhang mit Arbeitgeberdarlehen bemisst sich der geldwerte Vorteil nach dem Unterschiedsbetrag zwischen dem Maßstabszinssatz für vergleichbare Darlehen am Abgabeort (Rdnr. 5 Satz 2) oder dem günstigsten Preis für ein vergleichbares Darlehen am Markt (Rdnr. 5 Satz 4) und dem Zinssatz, der im konkreten Einzelfall vereinbart ist. Vergleichbar in diesem Sinne ist ein Darlehen, das dem Arbeitgeberdarlehen insbesondere hinsichtlich der Kreditart (z. B. Wohnungsbaukredit, Konsumentenkredit/Ratenkredit, Überziehungskredit), der Laufzeit des Darlehens, der Dauer der Zinsfestlegung, der zu beachtenden Beleihungsgrenze und des Zeitpunktes der Tilgungsverrechnung im Wesentlichen entspricht. Die Einordung des jeweiligen Darlehens (Kreditart) richtet sich allein nach dem tatsächlichen Verwendungszweck.
9
Bei Arbeitgeberdarlehen mit Zinsfestlegung ist grundsätzlich für die gesamte Vertragslaufzeit der Maßstabszinssatz für vergleichbare Darlehen am Abgabeort (Rdnr. 5 Satz 2) oder der günstigste Preis für ein vergleichbares Darlehen am Markt (Rdnr. 5 Satz 4) bei Vertragsabschluss maßgeblich. Werden nach Ablauf der Zinsfestlegung die Zinskonditionen desselben Darlehens neu vereinbart (Prolongation), ist der Zinsvorteil neu zu ermitteln. Dabei ist der neu vereinbarte Zinssatz mit dem Maßstabszinssatz für vergleichbare Darlehen am
Seite 4 �Abgabeort (Rdnr. 5 Satz 2) oder dem günstigsten Preis für ein vergleichbares Darlehen am Markt (Rdnr. 5 Satz 4) im Zeitpunkt der Prolongationsvereinbarung zu vergleichen. Bei Arbeitgeberdarlehen mit variablem Zinssatz ist für die Ermittlung des Zinsvorteils im Zeitpunkt der vertraglichen Zinssatzanpassung der neu vereinbarte Zinssatz mit dem jeweils aktuellen Maßstabszinssatz für vergleichbare Darlehen am Abgabeort (Rdnr. 5 Satz 2) oder dem jeweils günstigsten Preis für ein vergleichbares Darlehen am Markt (Rdnr. 5 Satz 4) zu vergleichen.
10 Bei der Prüfung, ob die für Sachbezüge anzuwendende 44 €-Freigrenze (§ 8 Absatz 2 Satz 11 EStG) überschritten wird, sind Zinsvorteile aus der Überlassung eines zinslosen oder zinsverbilligten Arbeitgeberdarlehens vorbehaltlich der Rdnr. 4 einzubeziehen.
11 Ein nach Beachtung der Rdnr. 4 und der Rdnr. 10 ermittelter steuerpflichtiger Zinsvorteil aus der Überlassung eines zinslosen oder zinsverbilligten Arbeitgeberdarlehens i. S. d. § 8 Absatz 2 EStG kann nach § 37b EStG pauschal besteuert werden (vgl. hierzu BMF-Schreiben vom 19. Mai 2015, BStBl I Seite …1). Der Arbeitgeber kann die Entscheidung, § 37b Absatz 2 EStG innerhalb eines Kalenderjahres anzuwenden, nicht zurücknehmen.
12 Aus Vereinfachungsgründen wird es nicht beanstandet, wenn bei einer Bewertung nach Rdnr. 5 Satz 2 für die Feststellung des Maßstabszinssatzes die bei Vertragsabschluss von der Deutschen Bundesbank zuletzt veröffentlichten Effektivzinssätze -also die gewichteten Durchschnittszinssätze -herangezogen werden, die unter
http://www.bundesbank.de/Redaktion/DE/Downloads/Statistiken/Geld_Und_Kapitalmaerkte/ Zinssaetze_Renditen/S11BATGV.pdf?__blob=publicationFile veröffentlicht sind. Von dem sich danach ergebenden Effektivzinssatz kann nach R 8.1 Absatz 2 Satz 3 LStR ein pauschaler Abschlag von 4 % vorgenommen werden. Aus der Differenz zwischen diesem Maßstabszinssatz und dem Zinssatz, der im konkreten Einzelfall vereinbart ist, sind die Zinsverbilligung und der Zinsvorteil zu ermitteln, wobei die Zahlungsweise der Zinsen (z. B. monatlich, jährlich) unmaßgeblich ist. Zwischen den einzelnen Arten von Krediten (z. B. Wohnungsbaukredit, Konsumentenkredit/Ratenkredit) ist zu unterscheiden.
13 Beispiel:
Ein Arbeitnehmer erhält im März 2015 ein Arbeitgeberdarlehen von 30.000 € zu einem Effektivzinssatz von 2 % jährlich (Laufzeit 4 Jahre mit monatlicher Tilgungsverrechnung und monatlicher Fälligkeit der Zinsen). Der bei Vertragsabschluss im März 2015 von der Deutschen Bundesbank für Konsumentenkredite mit anfänglicher Zinsbindung von über
1 Fundstelle/Seitenzahl ergänzen
Seite 5 �einem Jahr bis zu fünf Jahren veröffentlichte Effektivzinssatz (Erhebungszeitraum Januar 2015) beträgt 4,71 %.
Nach Abzug des pauschalen Abschlags von 4 % ergibt sich ein Maßstabszinssatz von 4,52 % (Ansatz von zwei Dezimalstellen – ohne Rundung). Die Zinsverbilligung beträgt somit 2,52 % (4,52 % abzüglich 2 %). Danach ergibt sich im März 2015 ein Zinsvorteil von 63 € (2,52 % von 30.000 € x 1/12). Dieser Vorteil ist – da die 44 €-Freigrenze überschritten ist – lohnsteuerpflichtig. Der Zinsvorteil ist jeweils bei Tilgung des Arbeitgeberdarlehens für die Restschuld neu zu ermitteln.
2.1.3 Einzelanfragen zur Ermittlung des Maßstabszinssatzes
14 Einzelanfragen zur Ermittlung des Maßstabszinssatzes für vergleichbare Darlehen am Abgabeort sind bei der Deutschen Bundesbank unter
https://www.bundesbank.de/Navigation/DE/Service/Kontakt/kontakt_node.html?contact_id=1 6148 möglich.
2.2 Bewertung nach § 8 Absatz 3 EStG
2.2.1 Allgemeine Grundsätze
15 Der Zinsvorteil aus der Überlassung eines zinslosen oder zinsverbilligten Darlehens kann nach § 8 Absatz 3 EStG ermittelt werden, wenn der Arbeitgeber Darlehen gleicher Art und mit Ausnahme des Zinssatzes -zu gleichen Konditionen (insbesondere Laufzeit des Darlehens, Dauer der Zinsfestlegung, Zeitpunkt der Tilgungsverrechnung) überwiegend an betriebsfremde Dritte vergibt und der Zinsvorteil nicht nach § 40 EStG pauschal besteuert wird.
16 Endpreis i. S. d. § 8 Absatz 3 EStG für die von einem Kreditinstitut gegenüber seinen Mitarbeitern erbrachten Dienstleistungen ist grundsätzlich der Preis, der für diese Leistungen im Preisaushang des Kreditinstituts oder der kontoführenden Zweigstelle angegeben ist. Dieser Preisaushang ist für die steuerliche Bewertung auch der Dienstleistungen maßgebend, die vom Umfang her den Rahmen des standardisierten Privatkundengeschäfts übersteigen, es sei denn, dass für derartige Dienstleistungen in den Geschäftsräumen offen zugängliche besondere Preisverzeichnisse ausgelegt werden. Es ist zur Ermittlung des Zinsvorteils nach § 8 Absatz 3 EStG zulässig, von dem im Preisaushang dargestellten Preis abzuweichen. Rdnr. 7 und 8 des BMF-Schreibens vom 16. Mai 2013 (BStBl I Seite 729), wonach am Ende von Verkaufsverhandlungen durchschnittlich gewährte Preisnachlässe zu berücksichtigen sind, gilt auch für die Ermittlung des Zinsvorteils nach § 8 Absatz 3 EStG für die von einem
Seite 6
Kreditinstitut gegenüber seinen Mitarbeitern erbrachten Dienstleistungen. Der Abschlag von 4 % nach § 8 Absatz 3 Satz 1 EStG ist stets vorzunehmen.
2.2.2 Ermittlung des Zinsvorteils
17
Wird der Zinsvorteil nach § 8 Absatz 3 EStG bewertet, bemisst sich der Zinsvorteil nach dem Unterschiedsbetrag zwischen dem nach Rdnr. 16 ermittelten und um 4 % geminderten Effektivzinssatz, den der Arbeitgeber fremden Letztverbrauchern im allgemeinen Geschäftsverkehr für Darlehen vergleichbarer Kreditart (z. B. Wohnungsbaukredit, Konsumentenkredit) anbietet (Maßstabszinssatz), und dem Zinssatz, der im konkreten Einzelfall vereinbart ist. Bei Arbeitgeberdarlehen mit Zinsfestlegung ist grundsätzlich der Maßstabszinssatz bei Vertragsabschluss für die gesamte Vertragslaufzeit maßgeblich. Im Falle der Prolongation ist der neu vereinbarte Zinssatz mit dem Maßstabszinssatz im Zeitpunkt der Prolongationsvereinbarung zu vergleichen. Bei Arbeitgeberdarlehen mit variablem Zinssatz ist für die Ermittlung des Zinsvorteils im Zeitpunkt der vertraglichen Zinssatzanpassung der neu vereinbarte Zinssatz mit dem jeweils aktuellen Maßstabszinssatz zu vergleichen.
18
Der Arbeitgeber hat die Unterlagen für den ermittelten und der Lohnversteuerung zu Grunde gelegten Endpreis sowie die Berechnung des Zinsvorteils zu dokumentieren, als Belege zum Lohnkonto aufzubewahren und dem Arbeitnehmer auf Verlangen formlos mitzuteilen.
19
Wird der Zinsvorteil aus der Überlassung eines zinslosen oder zinsverbilligten Darlehens nach § 40 Absatz 1 EStG pauschal versteuert, so ist der Zinsvorteil nach § 8 Absatz 2 Satz 1 EStG zu bewerten (vgl. Tz. 2.1, Rdnr. 5 bis 13). Dies gilt auch, wenn der Arbeitgeber Darlehen überwiegend betriebsfremden Dritten überlässt. Sind die Voraussetzungen für die Lohnsteuerpauschalierung erfüllt, insbesondere weil ein Pauschalierungsantrag gestellt worden ist, kann diese Bewertungsmethode auch dann gewählt werden, wenn keine pauschale Lohnsteuer anfällt. In den Fällen des § 8 Absatz 3 EStG ist es auch dann nicht zulässig, die Steuer nach § 37b Absatz 2 EStG zu pauschalieren, wenn der Arbeitgeber nach R 8.2 Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 LStR die Bewertung des geldwerten Vorteils nach § 8 Absatz 2 EStG wählt und der Zinsvorteil nicht nach § 40 Absatz 1 EStG pauschal versteuert worden ist.
20
Zinsvorteile sind als sonstige Bezüge i. S. d. § 40 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 EStG anzusehen, wenn der maßgebende Zinszahlungszeitraum den jeweiligen Lohnzahlungszeitraum überschreitet.
21
Wird der Zinsvorteil nur zum Teil pauschal versteuert, weil die Pauschalierungsgrenze des § 40 Absatz 1 Satz 3 EStG überschritten ist, so ist bei der Bewertung des individuell zu
Seite 7 �versteuernden Zinsvorteils der Teilbetrag des Darlehens außer Ansatz zu lassen, für den die Zinsvorteile unter Anwendung der Tz. 2.1. (Rdnr. 5 bis 13) pauschal versteuert werden.
22 Beispiel:
Ein Kreditinstitut überlässt seinem Arbeitnehmer am 1. Januar 2015 ein Arbeitgeberdarlehen von 150.000 € zum Effektivzinssatz von 2 % jährlich (Laufzeit 4 Jahre mit jährlicher Tilgungsverrechnung und vierteljährlicher Fälligkeit der Zinsen). Darlehen gleicher Art bietet das Kreditinstitut fremden Kunden im allgemeinen Geschäftsverkehr zu einem Effektivzinssatz von 4,5 % an. Der nachgewiesene günstigste Zinssatz für vergleichbare Darlehen am Markt (i. S. d. Rdnr. 5 Satz 4) wurde im Internet bei einer Direktbank mit 4 % ermittelt.
Das Kreditinstitut beantragt die Besteuerung nach § 40 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 EStG. Der Zinsvorteil ist insoweit nach § 8 Absatz 2 Satz 1 EStG zu ermitteln. Die nach Tz. 2.1.2 ermittelte Zinsverbilligung beträgt 2 % (marktüblicher Zinssatz 4 %, abzüglich Zinslast des Arbeitnehmers von 2 %). Der pauschale Abschlag i. H. v. 4 % nach R 8.1 Absatz 2 Satz 3 LStR kommt nicht in Betracht.
Der Zinsvorteil im Kalenderjahr 2015 beträgt 3.000 € (2 % von 150.000 €). Mangels anderer pauschal besteuerter Leistungen kann der Zinsvorteil des Arbeitnehmers bis zum Höchstbetrag von 1.000 € pauschal besteuert werden (Pauschalierungsgrenze). Ein Zinsvorteil von 1.000 € ergibt sich unter Berücksichtigung der nach Tz. 2.1.2 ermittelten Zinsverbilligung von 2 % für ein Darlehen von 50.000 € (2 % von 50.000 € = 1.000 €). Mithin wird durch die Pauschalbesteuerung nur der Zinsvorteil aus einem Darlehensteilbetrag von
50.000 € abgedeckt. Der Zinsvorteil aus dem restlichen Darlehensteilbetrag von 100.000 € ist individuell zu versteuern. Der zu versteuernde Betrag ist wie folgt zu ermitteln:
Nach Abzug eines Abschlags von 4 % (§ 8 Absatz 3 Satz 1 EStG) vom Angebotspreis des
Arbeitgebers von 4,5 % ergibt sich ein Maßstabszinssatz von 4,32 %.
100.000 € Darlehen x Maßstabszinssatz 4,32 % 4.320 €
./. Zinslast des Arbeitnehmers 100.000 € x 2 % 2.000 €
Zinsvorteil 2.320 €
./. Rabattfreibetrag (§ 8 Absatz 3 Satz 2 EStG) 1.080 €
zu versteuernder Zinsvorteil (Jahresbetrag) 1.240 €
vierteljährlich als sonstiger Bezug der Lohnsteuer
zu unterwerfen 310 €
Seite 8
Der Zinsvorteil ist jeweils bei Tilgung des Arbeitgeberdarlehens für die Restschuld neu zu ermitteln.
2.3 Wahlrechte zwischen den Bewertungsmethoden nach § 8 Absatz 2 und Absatz 3 EStG
23
Hinsichtlich der Wahlmöglichkeit des Arbeitnehmers für die Ermittlung des Zinsvorteils nach § 8 Absatz 2 Satz 1 oder Absatz 3 EStG gilt das BMF-Schreiben vom 16. Mai 2013 (BStBl I Seite 729) entsprechend.
24
Der Arbeitnehmer kann den Zinsvorteil im Rahmen seiner Einkommensteuerveranlagung nach § 8 Absatz 2 Satz 1 EStG (vgl. Rdnr. 5 -13) bewerten. In diesen Fällen hat der Arbeitnehmer den Endpreis nachzuweisen, den der Arbeitgeber im Lohnsteuerabzugsverfahren zu Grunde gelegt hat (z. B. durch eine formlose Mitteilung des Arbeitgebers).
25
Dem Arbeitgeber bleibt es unbenommen, im Lohnsteuerabzugsverfahren den Zinsvorteil nach § 8 Absatz 3 Satz 1 EStG (vgl. Rdnr. 15 -18) zu bewerten. Er ist dann nicht verpflichtet, den Zinsvorteil nach § 8 Absatz 2 Satz 1 EStG (vgl. Rdnr. 5 -13) zu bewerten. Ermittelt der Arbeitgeber den Vorteil nach § 8 Absatz 2 Satz 1 EStG, kann er einen um übliche Preisnachlässe geminderten üblichen Endpreis am Abgabeort i. S. d. Rdnr. 5 Satz 2 ansetzen. Er ist dann nicht verpflichtet, den günstigsten Preis am Markt i. S. d. Rdnr. 5 Satz 4 zu ermitteln.
3. Zufluss von Arbeitslohn
26
Als Zuflusszeitpunkt ist der Fälligkeitstermin der Zinsen als Nutzungsentgelt für die Überlassung eines zinsverbilligten Darlehens anzusehen (vgl. Beispiel unter Tz. 2.2.2, Rdnr. 22). Bei der Überlassung eines zinslosen Darlehens ist der Zufluss in dem Zeitpunkt anzunehmen, in dem das Entgelt üblicherweise fällig wäre. Es kann davon ausgegangen werden, dass das Entgelt üblicherweise zusammen mit der Tilgungsrate fällig wäre. Wird ein Arbeitgeberdarlehen ohne Tilgungsleistung (endfälliges Darlehen) gewährt, kann für die Entscheidung, ob der Zinsvorteil am Ende der Laufzeit oder monatlich, vierteljährlich oder jährlich zufließt, grundsätzlich dem der Vereinbarung zugrundeliegenden Willen der Beteiligten gefolgt werden.
Seite 9
4. Versteuerung in Sonderfällen
4.1 Versteuerung bei fehlender Zahlung von Arbeitslohn
27 Erhält der Arbeitnehmer keinen anderen laufenden Arbeitslohn (z. B. bei Beurlaubung, Elternzeit), ist der im Kalenderjahr erhaltene Zinsvorteil bei Wiederaufnahme der Arbeitslohnzahlung zu versteuern oder andernfalls spätestens nach Ablauf des Kalenderjahres nach § 41c EStG zu behandeln.
4.2 Versteuerung bei Ausscheiden aus dem Dienstverhältnis
28 Scheidet der Arbeitnehmer aus dem Dienstverhältnis aus und besteht das vergünstigte Arbeitgeberdarlehen weiter, so hat der Arbeitgeber dies dem Betriebsstättenfinanzamt anzuzeigen, wenn er aufgrund des beendeten Dienstverhältnisses die Lohnsteuer für die Zinsvorteile nicht einbehalten kann (§ 41c Absatz 4 Satz 1 Nummer 1 EStG).
5. Sicherheitenbestellung
29 Setzt der Zinssatz des vergleichbaren Darlehens eine Sicherheitenbestellung (z. B. eine Grundschuldbestellung) voraus, ist der Verzicht des Arbeitgebers auf eine solche Bestellung ein steuerpflichtiger geldwerter Vorteil. In die Bewertung des geldwerten Vorteils einbezogen werden insbesondere die üblichen Kosten und Gebühren des Grundbuchamts und des Notars für eine dingliche Sicherung des Arbeitgeberdarlehens. Diese Beträge können regelmäßig mit den im Internet bereitgestellten Notar-/Grundbuchkostenrechnern ermittelt werden. Ein Abschlag ist nicht vorzunehmen. Als Zuflusszeitpunkt ist das Auszahlungsdatum des Arbeitgeberdarlehens anzusetzen. Ein geldwerter Vorteil für die ersparte Löschung einer Sicherheitenbestellung ist aus Vereinfachungsgründen nicht anzusetzen.
6. Aufzeichnungserleichterungen für Kreditinstitute
30 Das Betriebsstättenfinanzamt kann auf Antrag eines Kreditinstituts Ausnahmen von der Aufzeichnung der geldwerten Vorteile zulassen, die sich aus der unentgeltlichen oder verbilligten

Kontenführung, Nutzung von Geldautomaten sowie der Ausgabe von Kreditkarten,

Depotführung bis zu einem Depotnennwert von 60.000 € (maßgebend ist der Depotnennwert, nach dem die Depotgebühren berechnet werden),

Überlassung von Schließfächern und Banksafes und
• Beschaffung und Rücknahme von Devisen durch Barumtausch
ergeben.
Seite 10
31 Voraussetzung hierfür ist, dass
a) der durchschnittliche Betrag des Vorteils aus den von der Aufzeichnung befreiten Dienstleistungen unter Berücksichtigung des Preisabschlags nach § 8 Absatz 3 EStG von 4 % je Arbeitnehmer ermittelt wird (Durchschnittsbetrag).
Der Durchschnittsbetrag ist jeweils im letzten Lohnzahlungszeitraum eines Kalenderjahres aus der summarischen Erfassung sämtlicher aufzeichnungsbefreiter Vorteile der vorangegangenen 12 Monate für die Arbeitnehmer eines Kreditinstituts (einschließlich sämtlicher inländischer Zweigstellen) zu ermitteln. Dabei sind auch die Vorteile einzubeziehen, die der Arbeitgeber Personen einräumt, die mit den Arbeitnehmern verbunden sind. Falls erforderlich, können für alleinstehende und verheiratete Arbeitnehmer unterschiedliche Durchschnittsbeträge festgesetzt werden.
Hat ein Kreditinstitut mehrere lohnsteuerliche Betriebsstätten, so ist der Aufzeichnungsverzicht und ggf. die Festsetzung des Durchschnittsbetrags mit den anderen Betriebsstättenfinanzämtern abzustimmen.
b) der Arbeitgeber im letzten Lohnzahlungszeitraum des Kalenderjahres den Betrag pauschal nach § 40 Absatz 1 EStG versteuert, um den die Summe der Vorteile aus den nicht aufzeichnungsbefreiten Dienstleistungen und dem Durchschnittsbetrag bei den einzelnen Arbeitnehmern den Rabattfreibetrag von 1.080 € übersteigt. Dabei ist der übersteigende Betrag wenigstens bis zur Höhe des Durchschnittsbetrags pauschal zu versteuern. Soweit die Vorteile pauschal versteuert werden, sind sie nach § 8 Absatz 2 EStG zu bewerten.
7. Anrufungsauskunft
32 Für Sachverhalte zur steuerlichen Behandlung von Arbeitgeberdarlehen kann eine
Anrufungsauskunft i. S. d. § 42e EStG eingeholt werden.
8. Zeitliche Anwendung
33 Dieses Schreiben ersetzt die BMF-Schreiben vom 15. April 1993, BStBl I Seite 339 sowie
vom 1. Oktober 2008, BStBl I Seite 892, und ist in allen offenen Fällen anzuwenden.
Seite 11 �Dieses Schreiben wird im Bundessteuerblatt Teil I veröffentlicht. Im Auftrag
Dieses Dokument wurde elektronisch versandt und ist nur im Entwurf gezeichnet.

Quelle: BMF, Schreiben (koordinierter Ländererlass) IV C 5 – S-2334 / 07 / 0009 vom 19.05.2015

Steuerliche Maßnahmen zur Unterstützung der Opfer des Erdbebens in Nepal

Das Erdbeben in Nepal im April 2015 hat sehr große Schäden an der Infrastruktur verursacht, die nach der Naturkatastrophe eine humanitäre Katastrophe befürchten lassen. Die Demokratische Bundesrepublik Nepal (Nepal) hat ausdrücklich um internationale Unterstützung gebeten.

Im Einvernehmen mit den obersten Finanzbehörden der Länder werden die zur Unterstützung der Opfer des Erdbebens in Nepal getroffenen Verwaltungsregelungen in diesem Schreiben zusammengefasst.

Sie gelten für die nachfolgenden Unterstützungsmaßnahmen, die vom 25. April 2015 bis 31. Dezember 2015 durchgeführt werden.

I. Steuerliche Behandlung von Zuwendungen aus dem Betriebsvermögen

1. Zuwendungen an Geschäftspartner
Wendet der Steuerpflichtige seinen von dem Erdbeben in Nepal unmittelbar betroffenen Geschäftspartnern zum Zwecke der Aufrechterhaltung der Geschäftsbeziehungen unentgeltlich Leistungen aus seinem Betriebsvermögen zu, sind die Aufwendungen in voller Höhe als Betriebsausgaben abziehbar. § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 EStG ist insoweit aus Billigkeitsgründen nicht anzuwenden.

2. Sonstige Zuwendungen
Erfüllt die Zuwendung des Steuerpflichtigen unter diesen Gesichtspunkten nicht die Voraussetzungen für den Betriebsausgabenabzug, so ist aus allgemeinen Billigkeitserwägungen die Zuwendung von Wirtschaftsgütern oder sonstigen betrieblichen Nutzungen und Leistungen (nicht hingegen Geld) des Unternehmers aus einem inländischen Betriebsvermögen an den durch das Erdbeben in Nepal unmittelbar geschädigten Unternehmer als Betriebsausgabe zu behandeln, die ohne Rücksicht auf § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 EStG abgezogen werden darf.

II. Lohnsteuer
Aus Billigkeits- und Vereinfachungsgründen gilt Folgendes:

1. Unterstützung an Arbeitnehmer
Beihilfen und Unterstützungen des Arbeitgebers an seine Arbeitnehmer können nach R 3.11 LStR steuerfrei sein. R 3.11 Abs. 2 LStR ist auf Unterstützungen, die von dem Erdbeben in Nepal betroffene Arbeitnehmer von ihrem Arbeitgeber erhalten, mit folgender Maßgabe anzuwenden:

  • Die in R 3.11 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 bis 3 LStR genannten Voraussetzungen brauchen nicht vorzuliegen,
  • die Unterstützungen sind bis zu einem Betrag von 600 Euro je Kalenderjahr steuerfrei. Der 600 Euro übersteigende Betrag gehört nicht zum steuerpflichtigen Arbeitslohn, wenn unter Berücksichtigung der Einkommens- und Familienverhältnisse des Arbeitnehmers ein besonderer Notfall vorliegt. Im Allgemeinen kann bei den durch das Erdbeben in Nepal betroffenen Arbeitnehmern von einem besonderen Notfall ausgegangen werden.

Auf Unterstützungen, die in Form von sonst steuerpflichtigen Zinsvorteilen oder in Form von Zinszuschüssen gewährt werden, ist die vorstehende Regelung ebenfalls anzuwenden. Zinszuschüsse und Zinsvorteile bei Darlehen, die zur Beseitigung von Schäden durch das Erdbeben in Nepal aufgenommen worden sind, sind deshalb ebenfalls nach R 3.11 Abs. 2 LStR steuerfrei, und zwar während der gesamten Laufzeit des Darlehens. Voraussetzung hierfür ist, dass das Darlehen die Schadenshöhe nicht übersteigt. Bei längerfristigen Darlehen sind Zinszuschüsse und Zinsvorteile insgesamt nur bis zu einem Betrag in Höhe des Schadens steuerfrei. Die steuerfreien Leistungen sind im Lohnkonto aufzuzeichnen (§ 4 Abs. 2 Nr. 4 Satz 1 LStDV); dabei ist auch zu dokumentieren, dass der die Leistung empfangende Arbeitnehmer durch das Erdbeben in Nepal zu Schaden gekommen ist.

2. Arbeitslohnspende
Verzichten Arbeitnehmer auf die Auszahlung von Teilen des Arbeitslohns oder auf Teile eines angesammelten Wertguthabens

  1. zugunsten einer Beihilfe des Arbeitgebers an von dem Erdbeben in Nepal betroffene Arbeitnehmer des Unternehmens (Nr. 1) oder
  2. zugunsten einer Zahlung des Arbeitgebers auf ein Spendenkonto einer spendenempfangsberechtigten Einrichtung im Sinne des § 10b Abs. 1 Satz 2 EStG, bleiben diese Lohnteile bei der Feststellung des steuerpflichtigen Arbeitslohns außer Ansatz, wenn der Arbeitgeber die Verwendungsauflage erfüllt und dies dokumentiert. Der außer Ansatz bleibende Arbeitslohn ist im Lohnkonto aufzuzeichnen (§ 4 Abs. 2 Nr. 4 Satz 1 LStDV). Auf die Aufzeichnung kann verzichtet werden, wenn stattdessen der Arbeitnehmer seinen Verzicht schriftlich erklärt hat und diese Erklärung zum Lohnkonto genommen worden ist.

Der außer Ansatz bleibende Arbeitslohn ist nicht in der Lohnsteuerbescheinigung (§ 41b Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 EStG) anzugeben. Die steuerfrei belassenen Lohnteile dürfen im Rahmen der Einkommensteuerveranlagung nicht als Spende berücksichtigt werden.

Das Sozialversicherungsrecht sieht nach der geltenden Rechtslage für Arbeitslohnspenden ins Ausland keine Freistellung von der Beitragspflicht vor.

III. Spenden

Vereinfachter Zuwendungsnachweis
Für alle Sonderkonten, die von inländischen juristischen Personen des öffentlichen Rechts, inländischen öffentlichen Dienststellen oder von den amtlich anerkannten Verbänden der freien Wohlfahrtspflege einschließlich ihrer Mitgliedsorganisationen eingerichtet wurden, gilt ohne betragsmäßige Beschränkung der vereinfachte Zuwendungsnachweis. Nach § 50 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Buchstabe a EStDV genügt in diesen Fällen als Nachweis der Bareinzahlungsbeleg oder die Buchungsbestätigung (z. B. Kontoauszug) eines Kreditinstitutes oder der PC-Ausdruck bei Online-Banking. Nach § 50 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Buchstabe b Satz 1 EStDV gilt der vereinfachte Zuwendungsnachweis auch, soweit bis zur Errichtung eines Sonderkontos Zuwendungen auf ein anderes Konto der genannten Zuwendungsempfänger geleistet wurden.

Haben auch nicht steuerbegünstigte Spendensammler Spendenkonten eingerichtet und zu Spenden aufgerufen, sind diese Zuwendungen steuerlich abziehbar, wenn das Spendenkonto als Treuhandkonto geführt wird und die Zuwendungen anschließend entweder an eine nach § 5 Abs. 1 Nr. 9 des Körperschaftsteuergesetzes steuerbefreite Körperschaft, Personenvereinigung oder Vermögensmasse oder an eine inländische juristische Person des öffentlichen Rechts bzw. eine inländische öffentliche Dienststelle weitergeleitet werden. Zur Erstellung von Zuwendungsbestätigungen muss dem Zuwendungsempfänger auch eine Liste mit den einzelnen Spendern und dem jeweiligen Anteil an der Spendensumme übergeben werden.

Unter folgenden Voraussetzungen ist bei Spendensammlungen nicht steuerbegünstigter Spendensammler über ein als Treuhandkonto geführtes Spendenkonto auch ein vereinfachter Zuwendungsnachweis möglich:

Die gesammelten Spenden werden auf ein Sonderkonto einer inländischen juristischen Person des öffentlichen Rechts, einer inländischen öffentlichen Dienststelle oder eines amtlich anerkannten Verbandes der freien Wohlfahrtspflege einschließlich seiner Mitgliedsorganisationen überwiesen. Nach § 50 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Buchstabe b Satz 2 EStDV genügt als Nachweis in diesen Fällen der Bareinzahlungsbeleg oder die Buchungsbestätigung des Kreditinstituts des Spenders zusammen mit einer Kopie des Barzahlungsbelegs oder der Buchungsbestätigung des Kreditinstituts des nicht steuerbegünstigten Spendensammlers.

IV. Spendenaktionen von gemeinnützigen Körperschaften für durch das Erdbeben in Nepal geschädigte Personen
Einer gemeinnützigen Körperschaft ist es grundsätzlich nicht erlaubt, Mittel für steuerbegünstigte Zwecke zu verwenden, die sie nach ihrer Satzung nicht fördert (§ 55 Abs. 1 Nr. 1 AO). Ruft eine gemeinnützige Körperschaft, die nach ihrer Satzung keine hier in Betracht kommenden Zwecke – wie insbesondere mildtätige Zwecke – verfolgt (z. B. Sportverein, Musikverein, Kleingartenverein oder Brauchtumsverein), zu Spenden zur Hilfe für die Opfer des Erdbebens in Nepal auf und kann sie die Spenden nicht zu Zwecken, die sie nach ihrer Satzung fördert, verwenden, gilt Folgendes: Es ist unschädlich für die Steuerbegünstigung einer Körperschaft, die nach ihrer Satzung keine zum Beispiel mildtätigen Zwecke fördert oder regional gebunden ist, wenn sie Mittel, die sie im Rahmen einer Sonderaktion für die Hilfe für Opfer des Erdbebens in Nepal erhalten hat, ohne entsprechende Änderung ihrer Satzung für den angegebenen Zweck verwendet. Hierzu reicht es aus, wenn die Spenden entweder an eine steuerbegünstigte Körperschaft, die zum Beispiel mildtätige Zwecke verfolgt, oder an eine inländische juristische Person des öffentlichen Rechts bzw. eine inländische öffentliche Dienststelle zur Hilfe für die Opfer des Erdbebens in Nepal weitergeleitet werden. Die gemeinnützige Einrichtung, die die Spenden gesammelt hat, muss entsprechende Zuwendungsbestätigungen für Spenden, die sie für die Hilfe für Opfer des Erdbebens in Nepal erhält und verwendet, bescheinigen. Auf die Sonderaktion ist in der Zuwendungsbestätigung hinzuweisen.

V. Umsatzsteuer
Das Umsatzsteuerrecht ist in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union insbesondere durch die Vorschriften der Richtlinie 2006/112/EG des Rates über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem vom 28. November 2006 (Mehrwertsteuer-Systemrichtlinie) weitgehend harmonisiert. Die Mitgliedstaaten sind verpflichtet, die dort getroffenen Regelungen in nationales Recht umzusetzen. Die Mehrwertsteuer-Systemrichtlinie kennt keine Möglichkeit, die es einem Mitgliedstaat zur Bewältigung von Naturkatastrophen, wenn auch nur zeitlich und sachlich begrenzt, gestatten würde, von den verbindlichen Richtlinienvorschriften abzuweichen.

Sachliche Billigkeitsmaßnahmen bei unentgeltlichen Zuwendungen aus einem Unternehmen nach § 3 Abs. 1b und Abs. 9a UStG sind daher ebenso wenig möglich wie eine Ausweitung der Steuervergütung nach § 4a UStG.

Quelle: BMF, Schreiben (koordinierter Ländererlass) IV C 4 – S-2223 / 07 / 0015 :013 vom 19.05.2015