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Umsatzsteuerfreiheit von ärztlichen Leistungen des Klägers im Bereich der plastischen Chirurgie

Finanzgericht Köln, 15 K 4521/07

Datum: 28.02.2013
Gericht: Finanzgericht Köln
Spruchkörper: 15. Senat
Entscheidungsart: Urteil
Aktenzeichen: 15 K 4521/07
Tenor:

Unter Änderung der angefochtenen Umsatzsteuerbescheide 2001 und 2002 vom 18.10.2005 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 05.12.2007 werden die Umsatzsteuern nach Maßgabe der Entscheidungsgründe dieses Urteils neu festgesetzt und die Berechnung dem Beklagten auferlegt.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens zu 80 % und der Beklagte zu 20 %.

1Tatbestand

2Zwischen den Beteiligten ist die Umsatzsteuerfreiheit von ärztlichen Leistungen des Klägers im Bereich der plastischen Chirurgie streitig.

3In den Streitjahren 1999 bis 2002 war der Kläger Chefarzt der Abteilung für Plastische Chirurgie und Handchirurgie des A-Krankenhauses in B. Er verfügte bereits damals über langjährige Erfahrungen auf dem Gebiet der plastischen, rekonstruktiven und kosmetischen Chirurgie sowie der Handchirurgie, so dass er über einen internationalen Patientenstamm verfügte. Zwischenzeitlich ist der Kläger in die Türkei verzogen.

4Auf der Grundlage der Prüfungsanordnung vom 29.07.2004 führte der Beklagte beim Kläger eine Betriebsprüfung durch. Zur Aufklärung des Sachverhalts forderte der Betriebsprüfer den Kläger zunächst auf, beispielhaft für die Monate November und Dezember 2000 und 2002 sämtliche Rechnungen vorzulegen. Bei den daraufhin vorgelegten Rechnungen deckte der Kläger die Indikationen der Patienten ab. Im weiteren Verlauf der Prüfung legte der Kläger sodann ausgewählte Rechnungen ambulanter Behandlungen mit nunmehr sichtbaren Indikationen vor, deren Rechnungsbeträge relativ gering waren, und später reichte er nochmals ausgewählte Rechnungen ein. Eine darüber hinaus gehende Vorlage weiterer Rechnungen lehnte der Kläger ab. Im Einzelnen wird auf Textziffer 2.2.2. des Betriebsprüfungsberichts vom 21.06.2005 verwiesen

5Schließlich wertete der Betriebsprüfer die vorliegenden Unterlagen mit Einverständnis des Klägers aus. Seiner Beurteilung, ob eine umsatzsteuerpflichtige oder eine umsatzsteuerfreie Leistung vorlag, legte er die Wertung zu Grunde, ob die Behandlung nach der Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) abgerechnet worden war. Soweit die Rechnungen einen Rechnungsbetrag „kosmetische Teilbehandlung“ oder den Vermerk „Die Kosten der kosmetischen Behandlung können nicht von der Krankenkasse übernommen werden“ auswiesen, behandelte er diesen Teilbetrag als umsatzsteuerpflichtig. Bei der Schätzung ermittelte der Betriebsprüfer den prozentualen Anteil der Rechnungsbeträge für umsatzsteuerpflichtige Leistungen an der jeweiligen Rechnungsgesamtsumme für ambulante und stationäre Behandlungen der Monate November bis Dezember 2000 und 2002 und übertrug das Ergebnis auf die einzelnen Prüfungsjahre. Danach berechnete sich folgendes Ergebnis:

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Honorare lt. EUR 1999 2000 2001 2002
abgerundet TDM TDM TDM TEuro
ambulante Re. (Kto. a) 449 505 538 222
ustpfl. 19 % lt. Bp (Anl. 2) 85 95 102 42
stationäre Re. (Kto. b) 1.559 1.883 1.616 897
aconto stationäre Re. (Kto. c) 328 23
ustpfl. lt. Bp (Anl. 1 u. 3) (39 %) 49 % (59 %) 65 %
= 735 933 953 583
Summe brutto 820 1.028 1.055 625
enthaltene USt 113.103 DM 141.793 DM 145.517 DM 86.206 €
geschätzte VorSt lt. Bp 10.856 DM 15.240 DM 16.790 DM 10.241 €
USt-Nacherhebung lt. Bp 102.247 DM 126.553 DM 128.727 DM 75.965 €

7Im Einzelnen wird auf den Betriebsprüfungsbericht unter Textziffer 2.2.3. und die Anlagen 1 bis 3 verwiesen.

8Daraufhin erließ der Beklagte am 18.10.2005 erstmalige Umsatzsteuerbescheide für die Streitjahre und setzte die Umsatzsteuern wie folgt fest:

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1999 / DM 2000 / DM 2001 / DM 2002 / €
USt 113.103,36 141.793,12 145.517,28 86.206,88
VorSt 10.856,00 15.240,00 16.790,00 10.241,00
festgesetzte USt 102.247,00 126.553,00 128.727,00 75.965,00

10Hiergegen legte der Kläger fristgerecht Einsprüche ein und vertrat die Auffassung, dass Schönheitsoperationen steuerfrei seien, wenn ein therapeutisches Ziel im Vordergrund stehe. Daher habe er auch Operationen abgelehnt, wenn Operationen aus seiner Sicht ohne ein solches Ziel angestrebt worden seien. Ein Indiz könne die regelmäßige Übernahme der Kosten durch die Krankenversicherung sein. Die darüber hinausgehenden privatrechtlich vereinbarten Honorare, die die Krankenkassenleistungen ergänzt hätten, seien nicht abweichend zu beurteilen. In der Vergangenheit habe eine medizinische Indikation nicht dokumentiert werden müssen. Eine Nachbearbeitung und Darlegung der Indikationsgründe würde an die Grenze des zu Leistenden stoßen und zudem die ärztliche Schweigepflicht tangieren. Teilweise seien Patientendaten nicht mehr vorhanden, so dass die Rekonstruktion allein aus der Erinnerung heraus erfolgen müsste.

11Hilfsweise begehrte der Kläger den Erlass der Steuern aus sachlichen und persönlichen Gründen.

12Im Mai 2006 führte das Finanzamt für Steuerfahndung und Steuerstrafsachen B beim Kläger für die Jahre 2001 bis 2005 eine Durchsuchung durch, bei der die Fahndungsbeamten u.a. auch die Patientenunterlagen der Streitjahre beschlagnahmten.

13Der Beklagte wies den Einspruch mit Einspruchsentscheidung vom 05.12.2007 als unbegründet zurück. Ästhetisch-plastische Leistungen eines Chirurgen (Schönheitsoperationen) seien nicht nach § 4 Nr. 14 des Umsatzsteuergesetzes – UStG – steuerfrei, wenn nicht nach den Umständen des Einzelfalls eine medizinische Indikation vorliege. Nach den Grundsätzen des Urteils des Europäischen Gerichtshofs – EuGH – vom 14. September 2000 (C-384/98, UR 2000, 432) reiche es nicht aus, dass die Operationen nur von einem Arzt ausgeführt werden könnten. Vielmehr müssten sie der medizinischen Behandlung einer Krankheit oder einer anderen Gesundheitsstörung und damit dem Schutz der menschlichen Gesundheit dienen. Nur in diesen Fällen liege eine ärztliche Ausübung der Heilkunde vor. Die streitigen Schönheitsoperationen des Klägers seien nicht medizinisch indiziert gewesen, da die Kosten nicht von den Sozialversicherungsträgern getragen worden seien. Dies gelte insbesondere für die Rechnungen, in denen der Hinweis angebracht sei, dass die Kosten der kosmetischen Behandlung nicht von der Krankenversicherung erstattet werden könnten (z.B. Rechnung vom 18.11.2002, Nr. d). Gleiches gelte für andere Rechnungen, die Zuschläge wegen kosmetischer Teilbehandlung enthielten (z.B. Rechnung vom 20.11.2000, Nr. e). Insoweit stelle der Kläger seine Aussage in Abrede, dass er kosmetische Behandlungen ohne medizinische Notwendigkeit ablehne. Anders seien die Zusätze auf den Rechnungen nicht zu erklären. Die allgemeine Aussage des Klägers, er führe entsprechende Behandlungen nur bei medizinischen Indikationen, durch und er sei aufgrund seiner psychologischen Zusatzausbildung in der Lage, auch die entsprechenden Indikationen festzustellen, sei nicht ausreichend. Schließlich sei aufgrund der Internetpräsentation davon auszugehen, dass er nicht nur in Fällen der medizinischen Indikation Schönheitsoperationen durchgeführt habe. Damit habe er – der Beklagte – zu Recht von der Möglichkeit der Schätzung Gebrauch gemacht, da der Kläger nicht in hinreichendem Maße seiner Mitwirkungspflicht nachgekommen sei. Auch die Schätzung der Höhe nach, anhand der Rechnungsbeträge, die nicht nach der ärztlichen Gebührenordnung abgerechnet worden seien, begegne keine Bedenken.

14Hiergegen hat der Kläger am 30.11.2007 die vorliegende Klage erhoben, mit der er sein Begehren auf Aufhebung der Umsatzsteuerbescheide 1999 bis 2002 weiter verfolgt. Er weist darauf hin, dass erstmals durch das Urteil des Finanzgerichts Berlin vom 12. November 2002 (7 K 7264/02) die Frage entschieden worden sei, wann ärztliche Leistungen (Schönheitsoperationen) als umsatzsteuerpflichtig zu behandeln seien. Der Bundesfinanzhof habe über die Revision erst durch Urteil vom 15. Juli 2004 (V R 27/03, BStBl II 2004, 862) eine höchstrichterliche Klärung herbeigeführt. Aus diesem Grunde seien die medizinischen Aufzeichnungen in Bezug auf eine medizinische Indikation bei Schönheitschirurgen nur schwer nachvollziehbar und im Nachhinein nur schwer zu überprüfen. Der Kläger habe im Rahmen der Betriebsprüfung anhand der Patientendatei versucht darzulegen und vorzutragen, dass sämtliche Leistungen medizinisch indiziert gewesen seien.

15Sodann sei Ende Mai 2006 – nach Abschluss der Betriebsprüfung – eine Steuerfahndungsmaßnahme bei ihm, dem Kläger, durchgeführt worden, in dessen Rahmen die gesamten Patientenunterlagen beschlagnahmt worden seien. Daher sei es dem Kläger nun nicht mehr möglich, substantiiert zu den einzelnen Rechnungen Stellung zu nehmen. Allerdings sei die Auffassung des Betriebsprüfers, dass lediglich die nach GOÄ-abgerechneten Leistungen steuerfrei seien, nicht haltbar. Im Bereich der „Schönheitschirurgie“ hätten die Abrechnungssätze der GOÄ praktisch kaum Bedeutung, da die hier erbrachten Leistungen gegenüber den Patienten privat aufgrund einer Gebühren- und Honorarvereinbarung abgerechnet werden würden. Er, der Kläger, sei aufgrund seines fachlichen Rufs in der Lage, entsprechende private Zusatzvereinbarungen nach § 2 Abs. 2 GOÄ über die Höhe der Behandlungskosten zu treffen. Daher komme es entscheidend auf die Art der Leistungen an und nicht darauf, ob nach den Ziffern der GOÄ abgerechnet worden sei. Denn anderenfalls würden umsatzsteuerfreie Leistungen an Personen ausgeschlossen sein, die nicht der gesetzlichen Krankenversicherung unterliegen. Der Art nach handele es sich um Leistungen, die in den Leistungskatalog der GOÄ aufgenommen seinen. Darüber hinaus seien die Leistungen auch nach dem sog. Einheitlichen Bewertungsmaßstab (EBM) der Kassenärztlichen Vereinigung abrechenbar, der nach § 92 Abs. 1 des V. Sozialgesetzbuches durch die Bundesausschüsse die zur Sicherung der ärztlichen Versorgung erforderlichen Richtlinien erlassen. Werde eine in den Katalog aufgenommene Leistung von einem Arzt ausgeführt, könne dies als Indiz herangezogen werden, dass eine notwendige Heilmaßnahme vorliege. Es werde nochmals darauf hingewiesen, dass er, der Kläger, auch Patienten abgewiesen habe, wenn aus seiner Sicht keine medizinische Indikation vorgelegen habe.

16Der Beklagte verlange vom Kläger daher etwas Unmögliches, wenn er rückwirkend darlegen solle, dass Operationen seit dem Jahr 1999 bis 2002 medizinisch indiziert gewesen seien. Eine Nachbearbeitung der Indikationsgründe stoße an die Grenze des zu Leistenden und darüber hinaus an die Grenze der ärztlichen Schweigepflicht. Zudem seien die Patientenunterlagen beschlagnahmt worden und stünden ihm – dem Kläger – nicht zur Verfügung. Eine Herausgabe der Behandlungsakten sei bislang nicht erfolgt (s. Bl. 53 d. FG-Akte).

17Nachdem dem Kläger im Laufe des Klageverfahrens die Rechnungen wieder zugänglich gemacht wurden, trägt er zu einzelnen Rechnungen wie folgt vor:

18Aus der Rechnung vom 02.11.2000 (Nr. f) mit einem Rechnungsbetrag von 17.000 € sei erkennbar, dass sämtliche Leistungen nach der GOÄ aufgeschlüsselt worden seien (Teilbetrag 5.407,18 DM). Behandelt worden sei eine „knotige fibrozystische Mastopathie“, die als Krankheit von den Krankenkassen regelmäßig anerkannt werde. Allerdings sei mit der Patientin eine Honorarvereinbarung getroffen worden. Der Patientin sei es so möglich gewesen, den nach den Schlüsseln der GOÄ aufgelisteten Teilbetrag bei ihrer Krankenkasse einzureichen. Allerdings lägen dem darüber hinausgehenden Honoraranspruch keinerlei gesonderte Leistungen zu Grunde. Er – der Kläger – könne und wolle seinen Geschäftsbetrieb nicht zu den Gebührensätzen der gesetzlichen Krankenversicherung unterhalten. Daher behandele er ausschließlich Privatpatienten, mit denen er eine Honorarvereinbarung treffe. Diese trügen die Honorare, die über den Sätzen der gesetzlichen Krankenversicherung lägen, selbst.

19Darüber hinaus gäbe es Rechnungen, die lediglich einen Gesamtbetrag auswiesen, so etwa die Rechnung mit der Nummer g. In diesen Fällen seien die Patienten volle Selbstzahler. Häufig handele es sich hierbei um ausländische Patienten, die nicht krankenversichert gewesen seien. Daher werde regelmäßig über das vereinbarte Honorar per Vorkasse abgerechnet, so dass es einer schriftlichen Honorarvereinbarung standesrechtlich nicht bedürfe. Bei der o.g. Rechnung seien jedoch die Gebührenziffern 491, 2064, 2073 und 2382 einschlägig. Dies gelte auch für weitere Rechnungen. Im Einzelnen wird auf die Rechnungen nebst handschriftlichen Ergänzungen des Klägers unter Blatt 63 bis 141 der Prozessakte verwiesen.

20Für die Behauptung, dass es sich in den streitgegenständlichen Fällen um einheitliche medizinische Leistungen handele, beantragt der Kläger Beweis zu erheben durch Einholung eines Sachverständigengutachtens (s. Bl. 215 d. Prozessakte).

21Zur Höhe des Schätzungsergebnisses trägt der Kläger vor, dass der Beklagte im Jahr 2000 lediglich stationäre Behandlungen beurteilt habe und die ambulanten Behandlungen unberücksichtigt gelassen habe. Aus dem Jahr 2002 sei jedoch erkennbar, dass die ambulanten Behandlungen lediglich zu 13,30 % umsatzsteuerpflichtig gewesen sein sollen. Somit liege der Prozentsatz der – angeblich – steuerpflichtigen Leistungen in 2000 von 49,2 % deutlich zu hoch.

22Soweit weitere Nachweise zur medizinischen Indikation erforderlich seien, müssten ihm – dem Kläger – auch die Patientenunterlagen (in Kopie) übergeben werden (s. Bl. 189 der Prozessakte).

23Schließlich sei der Antrag auf Erlass der Umsatzsteuern gemäß § 163 der Abgabenordnung – AO – bislang nicht entschieden worden. Zur Begründung wird auf den Grundsatz von Treu und Glauben Bezug genommen.

24Der Kläger beantragt sinngemäß,

25die Umsatzsteuerbescheide 1999 bis 2002 vom 18.10.2005 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 05.12.2007 aufzuheben

26hilfsweise die Revision zuzulassen.

27Der Beklagte beantragt,

28die Klage abzuweisen.

29Unter Beibehaltung der Rechtsauffassung aus dem Verwaltungsverfahren weist der Beklagte darauf hin, dass der Kläger etwaige Honorarvereinbarung vorlegen möge, die seinen Vortrag belegen. Aus den vorliegenden Rechnungen sei vielmehr erkennbar, dass der Kläger selbst die Rechnungen durch den Ausweis „zuzügl. kosmetischer Teilbehandlung“ aufteile. Bei einer einheitlichen Leistung müsste hingegen das höhere Entgelt etwa durch einen höheren als den üblichen Faktor 1,8 oder 2,3 berechnet werden. Sämtliche beschlagnahmte Unterlagen befänden sich bei der Steuerfahndungsstelle B, bei der der Kläger jederzeit Einsicht nehmen und Kopien anfertigen könne.

30Auch der Höhe nach sei die Schätzung nicht zu beanstanden, da für das Streitjahr 2000 ein Prozentsatz von 19 % bei den ambulanten Behandlungen ermittelt worden sei. Dieser setze sich zusammen aus den Rechnungen ohne GOÄ-Leistungen und den Teilrechnungen ohne GOÄ.

31Mit Schreiben vom 31.05.2011 übersendet der Beklagte Aufstellungen über die Rechnungen der Streitjahre, in denen der Kläger nach seiner Auffassung über nicht medizinisch indizierte Leistungen abgerechnet habe. Insoweit wird auf Blatt 228 bis 233 der Prozessakte verwiesen.

32Zur Vorbereitung des Erörterungstermins vom 25.06.2012 hat die Berichterstatterin beispielhaft 35 Rechnungen der Streitjahre ausgewählt und den Beteiligten übersandt. Zu den einzelnen Rechnungen hat der Kläger mit Schriftsatz vom 20.06.2012 im Einzelnen Stellung genommen (s. Bl. 290 bis 302 der Prozessakte). Im Erörterungstermin hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers dargestellt, dass der Kläger zunächst höhere – als nach der GOÄ vorgesehene – Honorare durch einen erhöhten Faktor abgerechnet habe (z.B. Faktor 12 in der Rechnung vom 07.12.1999 Nr. 861). Dies habe jedoch dazu geführt, dass die Krankenkasse derartige Rechnungen den Patienten insgesamt nicht erstattet habe, so dass er später dazu übergegangen sei, den höheren Honoraranteil als „kosmetische Teilbehandlung“ zu deklarieren. Weitere Leistungen – als die nach GOÄ –habe der Kläger nicht abrechnen dürfen, da dies durch das Abrechnungssystem imA-Krankenhaus nicht möglich gewesen sei. Auch vor dem Hintergrund etwaiger Haftungsansprüche der Patienten sei eine anderweitige Abrechnung undenkbar. Bei stationären Aufenthalten seien weitere Kosten entstanden, etwa für Anästhesie und die Bettbelegung.

33Nachdem der Erörterungstermin nicht zu einer einvernehmlichen Lösung des Streitstreits geführt hat, hat die Berichterstatterin mit Verfügung vom 15.10.2012 den Kläger aufgefordert, zu sämtlichen Rechnungen der Streitjahre, in denen ein zusätzlicher Betrag für „kosmetische Teilbehandlungen“ ausgewiesen ist, die medizinische Indikation der Leistung anhand der Patientenunterlagen nachzuweisen (s. Bl. 358 der Prozessakte). Dieser Aufforderung ist der Kläger bis zum heutigen Tag der mündlichen Verhandlung nicht nachgekommen. Er beruft sich dabei auf § 203 Abs. 1 Nr. 1 des Strafgesetzbuches – StGB – und weist auf das Urteil des Finanzgerichts Rheinland-Pfalz vom 12. Januar 2012 (6 K 1917/07) hin. Zudem sei die Aufforderung des Gerichts unverhältnismäßig, da der Kläger für die Streitjahre noch keine Beweisvorsorge habe treffen müssen. Erst im November 2002 habe erstmals das Finanzgericht Berlin über die Streitfrage entschieden.

34Den Antrag des Klägers auf Erlass der Umsatzsteuern 1999 bis 2002 gemäß § 163 AO hat der Beklagte mit Verfügung vom 14.11.2012 abgelehnt (s. Bl. 367 der Prozessakte).

35Die vorliegenden Rechnungen der Streitjahre hat die Berichterstatterin zur Vorbereitung auf die mündliche Verhandlung in der Weise einer Prüfung unterzogen, als dass sie die Rechnungen, die keinerlei Leistungen nach GOÄ, und solche, die Leistungen nach GOÄ und zusätzlich einen Betrag für „kosmetische Teilbehandlungen“ enthalten, in Tabellen für ambulante und stationäre Behandlungen getrennt erfasst hat, soweit dies nicht bereits durch die Betriebsprüfung geschehen war. Die Summe dieser Leistungen ergibt im Verhältnis zu den Umsätzen laut Gewinn- und Verlustrechnung überschlägig folgende Prozentsätze:

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1999 2000 2001 2002
ambulante Behandlungen 15 % 20 % 25 % 18 %
stationäre Behandlungen keine Rechnungen 47 % 30 % 12 %

37In zwei Telefonaten der Berichterstatterin mit dem Prozessbevollmächtigten des Klägers vor der mündlichen Verhandlung hat dieser auf Nachfrage erklärt, dass der Kläger derzeit keine weiteren Angaben zu den einzelnen Leistungen machen wolle und könne. Er sehe sich dazu wegen des Zeitablaufs nicht in der Lage. Eine Aufbereitung der Patientenunterlagen, z.B. mit Anonymisierungen, sei bislang nicht in Vorbereitung und erscheine in Anbetracht der Namensnennungen der Patienten auf den Rechnungen auch schwierig.

38Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Schriftsätze der Beteiligten, die beigezogenen Akten des Beklagten sowie das Protokoll des Erörterungstermins vom 25.06.2012 und das Protokoll der mündlichen Verhandlung Bezug genommen.

39Entscheidungsgründe

40Die Klage ist teilweise begründet.

41Die angefochtenen Umsatzsteuerbescheide 2001 bis 2002 in Gestalt der Einspruchsentscheidung sind nur teilweise rechtswidrig und verletzten den Kläger insoweit in seinen Rechten, § 100 Abs. 1 Satz 1 FGO. Im Übrigen sind die angefochtenen Umsatzsteuerbescheide 1999 und 2000 und die dazu ergangene Einspruchsentscheidung rechtmäßig.

42I. Dem Grunde nach hat der Beklagte zu Recht die Leistungen des Klägers als umsatzsteuerpflichtig behandelt, deren medizinische Indikation nicht hinreichend vom Kläger nachgewiesen worden ist. Dies gilt sowohl für die Rechnungen der ambulanten und stationären Behandlungen, in denen lediglich ein Gesamthonorar ausgewiesen ist, als auch für die Rechnungen, in denen ein Teilbetrag als „kosmetische Teilbehandlungen“ dargestellt worden ist.

431. Von den unter § 1 Abs. 1 Nr. 1 des Umsatzsteuergesetzes in der in den Streitjahren geltenden Fassung – UStG – fallenden Umsätzen sind u.a. steuerfrei, die Umsätze aus der Tätigkeit als Arzt, § 4 Nr. 14 Satz 1 UStG.

44§ 4 Nr. 14 Satz 1 UStG setzt bei richtlinienkonformer Auslegung nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs – BFH – und des Europäischen Gerichtshofs – EuGH -, der sich der erkennende Senat anschließt, voraus, dass der Unternehmer eine Heilbehandlung im Bereich der Humanmedizin durch ärztliche oder arztähnliche Leistungen erbringt und dass er dafür die erforderliche Qualifikation besitzt (vgl. BFH-Urteile vom 07.07.2005 V R 23/04, BFHE 211, 69, BStBl II 2005, 904; vom 18.08.2005 V R 71/03, BFHE 211, 543, BStBl II 2006, 143; vom 01.02.2007 V R 64/05, BFH/NV 2007, 1203; BFH-Beschluss vom 18.02.2008 V B 35/06, BFH/NV 2008, 1001; Urteil des– EuGH – vom 27.04.2006 C-443/04 und C-444/04, Solleveld und van den Hout-van Eijnsbergen, Slg. 2006, I-3617, BFH/NV Beilage 2006, 299 Rn. 37 m.w.N.).

45Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin i.S. des Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. c der im Streitjahr geltenden Sechsten Richtlinie des Rates zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern77/388/EWG (6. EG-Richtlinie) umfassen nach der Rechtsprechung des EuGH, der sich der BFH angeschlossen hat, nur Tätigkeiten, die zum Zweck der Vorbeugung, der Diagnose, der Behandlung und, soweit möglich, der Heilung von Krankheiten oder Gesundheitsstörungen für bestimmte Patienten ausgeführt werden (vgl. nur BFH-Urteile vom 30.06.2005 V R 1/02, BFHE 210, 188, BStBl II 2005, 675; vom 13.07.2006 V R 7/05, BFHE 214, 458, BStBl II 2007, 412; BFH-Beschluss vom 31.07.2007 V B 98/06, BFHE 217, 94, BStBl II 2008, 35, jeweils m.w.N.; jüngst aber BFH-Beschluss vom 19.12.2012 V S 30/12, BFH-Veröffentlichungen vom 06.03.2013- nach Urteilsverkündung -). Wird eine ärztliche Leistung in einem Zusammenhang erbracht, der die Feststellung zulässt, dass ihr Hauptziel nicht der Schutz der Gesundheit ist, findet die Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 14 Satz 1 UStG bzw. Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. c der 6. EG-Richtlinie auf diese Leistung keine Anwendung (BFH-Beschluss vom 31.07.2007 V B 98/06, BFHE 217, 94, BStBl II 2008, 35). In Übereinstimmung hiermit hat der BFH im Urteil vom 15. Juli 2004 (V R 27/03, BFHE 206, 471, BStBl II 2004, 862) bereits entschieden, dass es für die Umsatzsteuerfreiheit von Schönheitsoperationen nicht ausreicht, dass die Operationen nur von einem Arzt ausgeführt werden können, sondern dass sie vielmehr dem Schutz der menschlichen Gesundheit dienen müssen.

46Nach der Rechtsprechung des EuGH sind die Steuerbefreiungen des Art. 13 der 6. EG-Richtlinie im Übrigen autonome gemeinschaftsrechtliche Begriffe, die eine von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat unterschiedliche Anwendung des Mehrwertsteuersystems vermeiden sollen (ständige Rechtsprechung, vgl. nur EuGH-Urteile vom 20.11.2003 C-212/01, Unterpertinger, Slg. 2003, I-13859, BFH/NV Beilage 2004, 111 Rn. 34; vom 14.06.2007 C-445/05, Haderer, BFH/NV Beilage 2007, 394, UR 2007, 592 Rn. 17). Ob ein bestimmter Umsatz der Mehrwertsteuer zu unterwerfen oder von ihr zu befreien ist, kann folglich nicht davon abhängen, wie der Begriff der Gesundheit durch die Weltgesundheitsorganisation definiert wird.

47Wie das Finanzgericht Rheinland-Pfalz in seinem nicht rechtskräftigen Urteil vom 12. Januar 2012 (EFG 2012, 1783, Rev. V R 16/12) ausführt, kommt es entscheidend auf die Zweckrichtung der jeweiligen Maßnahme an.

48Wenn eine Maßnahme sowohl gesundheitlichen als auch ästhetischen Zwecken diene, schließe dies die Steuerbefreiung nicht von vornherein aus. Diene eine Maßnahme allerdings vorwiegend anderen Zwecken als der Behandlung oder Vorbeugung einer Krankheit bzw. Gesundheitsstörung, so ist die Steuerbefreiung zu versagen. Dies folge aus der Formulierung im ersten Leitsatz des EuGH-Urteils C-307/01, wonach die Steuerbefreiung für ärztliche Leistungen nur dann gelte, wenn diese in erster Linie dem Schutz der Gesundheit dienen, sowie aus den Ausführungen unter Ziffer 60, wonach Schutz, Wiederherstellung oder Aufrechterhaltung der Gesundheit das Hauptziel der Maßnahme sein müssen. Liege der Hauptzweck nicht im Schutz, der Wiederherstellung oder der Aufrechterhaltung der Gesundheit, dann sei die Leistung auch dann nicht steuerbefreit, wenn sie mittelbar zu diesen Zielen beitrage, z.B. weil bei der Erstellung eines nicht begünstigten Gutachtens eine Diagnose gestellt oder berichtigt werde.

49Bei Umsätzen, denen Leistungen mit begünstigter und nicht begünstigter Zielrichtung zugrunde liegen, sei also der Schwerpunkt der Leistung maßgeblich dafür, ob der Umsatz steuerfrei oder steuerpflichtig sei, wonach das Hauptziel der Maßnahme der Schutz der Gesundheit sein müsse. Maßgebend für die Qualifizierung einer Leistung als „heilberufliche Tätigkeit” sei somit das jeweils mit der Leistung verfolgte Ziel. Wird eine solche Leistung in einem Zusammenhang erbracht, der die Feststellung zulässt, dass ihr Hauptziel nicht der Schutz einschließlich der Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung der Gesundheit sei, finde die Befreiung keine Anwendung. Dass die betreffende Leistung neben einem anderen Hauptzweck zugleich auch zum Schutz der Gesundheit des Betroffenen beigetragen habe, reiche nicht aus (BFH-Beschluss vom 31.07.2007 V B 98/06, BStBl II 2008, 35).

50Diesen Ausführungen in der Rechtsprechung schließt sich der Senat an. Daran anknüpfend legt der Senat den Tatbestand des § 4 Nr. 14 Satz 1 UStG restriktiv aus, da es sich bei der Vorschrift um eine Ausnahme zum Regeltatbestand der Umsatzsteuerpflichtigkeit einer unternehmerischen Leistung handelt, die einer besonderen Rechtfertigung bedarf. Der Befreiungstatbestand für ärztliche Leistungen dient letztlich der Subventionierung sozialnützlicher Leistungen, so dass nur solche Leistungen von der Umsatzsteuer befreit werden dürfen, denen sich der Patient nicht entziehen kann. Hierunter fallen gerade keine ärztlichen Maßnahmen, die der Rücknahme von Alterserscheinungen, Verbesserung der Körperform, kosmetischen Korrekturen von Normabweichungen vom individuellen oder gesellschaftlichen Schönheitsideal oder dem Wohlbefinden dienen (vgl. auch Urteil des FG Köln vom 14.02.2008 3 K 3767/04, EFG 2009, 704).

512. Aufgrund des Ausnahmecharakters des Befreiungstatbestandes des § 4 Nr. 14 Satz 1 UStG ist es Sache des Steuerpflichtigen, die tatsächlichen Voraussetzungen für die begehrte Steuerbefreiung darzulegen und nachzuweisen, da er die objektive Beweislast trägt. (vgl. BFH-Beschluss vom 18.02.2008 V B 35/06, BFH/NV 2008, 1001, ebenso Urteil des FG Rheinland-Pfalz vom 12.01.2012 6 K 1917/07, EFG 2012, 1783).

52Zwar hat der Senat die medizinische Indikation der einzelnen Leistungen im Streitfall im Rahmen seiner Pflicht zur Aufklärung des Sachverhalts festzustellen, § 76 Abs. 1 Satz 2 FGO. Jedoch ist der Kläger unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes auch insoweit verpflichtet, an der Aufklärung des Sachverhalts mitzuwirken, § 76 Abs. 1 Sätze 2 und 3 FGO. Der Umfang der Mitwirkungspflichten richtet sich dabei nach den Umständen des Einzelfalls. Diese ist umso größer, wenn der Kläger eine Steuervergünstigung begehrt, die an bestimmte, von ihm geltend zu machende und von ihm darzulegende Umstände oder Tatsachen anknüpft (vgl. BFH-Beschluss vom 18.02.2008 V B 35/06, BFH/NV 2008, 1001; Stapperfend in Gräber, FGO, 7. Aufl. 2010, § 76 Rn. 37 m.w.N.). Bestehen Zweifel an der medizinischen Indikation, trifft den Steuerpflichtigen daher eine erhöhte Mitwirkungspflicht. Gelangt der Senat nicht zur vollen Überzeugung von der medizinischen Indikation der ärztlichen Leistungen (§ 96 Abs. 1 Satz 1 FGO), geht dies zu Lasten des Klägers.

533. Im Streitfall liegen dem Senat zur Feststellung der medizinischen Indikation der Einzelleistungen des Klägers die Rechnungen über ambulante und stationäre Behandlungen der Streitjahre 1999 bis 2002, mit Ausnahme der Rechnungen für stationäre Behandlungen des Jahres 1999, vor. Dabei sind die Namen der Patienten erkennbar und eine Diagnose des Klägers und die erfolgte Therapie mit medizinischem Vokabular beschrieben. Der schriftlichen Aufforderung des Gerichts vom 15.10.2012, die medizinische Indikation der erbrachten Leistungen anhand der in den Räumlichkeiten der Steuerfahndung B befindlichen Patientenunterlagen zu belegen, ist der Kläger bis zum heutigen Tag der mündlichen Verhandlung nicht nachgekommen. Er hat zu den streitgegenständlichen Rechnungen die Patientenunterlagen weder in vollständiger oder teilweiser anonymisierter Form beigefügt. Stattdessen beruft er sich allgemein auf seine ärztliche Schweigepflicht, die ihm eine Vorlage dieser Unterlagen verwehre. Als weiteres Argument für seine ablehnende Haltung führt er an, dass er für die Streitjahre keine Beweisvorsorge treffen musste und es daher nahezu unmöglich sei, im Nachhinein die vom Gericht geforderten einzelfallbezogenen Feststellungen zu treffen.

54Der Senat konnte auf der Grundlage der vorliegenden Rechnungen nicht ohne Zweifel feststellen, dass mit sämtlichen Rechnungen, in denen keine Abrechnungen nach GOÄ erfolgt sind oder diese durch einen Pauschalbetrag für „kosmetische Teilbehandlungen“ ergänzt wurden, ausschließlich über medizinisch indizierte Leistungen des Kläger abgerechnet wurde. Die Behauptungen des Klägers, sämtliche von ihm erbrachten Leistungen bei der ambulanten und stationären Behandlung von Patienten ließen sich unter den Katalog der GOÄ subsumieren, lassen sich letztlich nicht überprüfen. Der Kläger konnte nicht hinreichend darlegen, dass es sich bei den „kosmetischen Teilbehandlungen“ lediglich um erhöhte – umsatzsteuerlich unschädliche – Honorare handelt, nicht aber um zusätzliche kosmetische Leistungen. Zugunsten des Klägers geht der Senat bereits davon aus, dass die nach GOÄ abgerechneten Leistungen sämtlich medizinisch indiziert waren. Ohne die (ggf. anonymisierten) Patientenunterlagen ist es dem Gericht nicht möglich, in den mit Zweifel behafteten Fällen eine Feststellung zur medizinischen Indikation der Leistungen des Klägers zu treffen.

554. Soweit der Kläger seine fehlende Mitwirkung auf die gemäß § 203 StGB strafbewehrte ärztliche Schweigepflicht stützt, kann diese kann nicht dazu führen, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen des Steuerbefreiungstatbestandes gemäß § 4 Nr. 14 Satz 1 UStG als erwiesen gelten. Dabei kann der Senat im Ergebnis offen lassen, ob der Kläger sich im Rahmen des Besteuerungsverfahrens zu Recht auf seine ärztliche Schweigepflicht berufen kann.

56a. Zwar haben der IX. und im Anschluss der VIII. Senat des BFH in ihren Urteilen vom 14. Mai 2002 (IX R 31/00, BFHE 198, 319, BStlBl II 2002, 712) und vom 28. Oktober 2009 (VIII R 78/05, BFHE 227, 338, BStBl II 2010, 455) entschieden, dass einem Berufsgeheimnisträger, z.B. einem Arzt, Rechtsanwalt oder Steuerberater, die Verweigerungsrechte nach den §§ 102, 104 Abs. 1 AO in eigenen und fremden Steuersachen zustehen. Zur Begründung zieht der BFH die weitestgehend gleich gestaltete Vorschrift des § 53 Abs. 1 Strafprozessordnung heran. Nur ausnahmsweise gelte etwa im Rahmen des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 des Einkommensteuergesetzes – EStG – beim Nachweis von Bewirtungsaufwendungen etwas anderes. Die erforderlichen Angaben zu Teilnehmern und Anlass der Bewirtungen sei in der Regel nicht von der anwaltlichen Schweigepflicht umfasst, da die Angaben ausnahmsweise materiell-rechtliche Tatbestandsvoraussetzung für den Betriebsausgabenabzug seien. Insoweit gehe der BFH von einer konkludenten Einwilligung der Bewirteten in die Offenbarung aus (vgl. BFH-Urteil vom 26.02.2004 IV R 50/01, BFHE 205, 234, BStBl II 2004, 502).

57Allerdings gehen die Verweigerungsrechte der Berufsgeheimnisträger nicht so weit, dass gar keine Nachweise, z.B. Postausgangsbücher, vorgelegt werden müssten. Vielmehr könne der Verschwiegenheitspflicht der Berufsgeheimnisträger dadurch genügt werden, dass die vorzulegenden Nachweise in der Art und Weise aufbereitet werden, dass die Identität des Mandanten gewahrt werde, etwa durch Anonymisierung der Unterlagen (so BFH-Urteil vom 14.05.2002 IX R 31/00, BFHE 198, 319, BStBl II 2002, 712 unter II.2.).

58Hingegen hat das Finanzgericht Rheinland-Pfalz in seinem Urteil vom 12. Januar 2012 gerade die Vorlage anonymisierter Patientenunterlagen für nicht ausreichend erachtet, um den Nachweis der medizinischen Indikation der ärztlichen Leistungen im Rahmen des § 4 Nr. 14 Satz 1 UStG zu führen. Der Senat hielt es für die Sachaufklärung für erforderlich, dass nach einer Einwilligung der Patienten in die nicht neutralisierten Unterlagen durch das Gericht und ggf. einen Sachverständigen Einblick genommen und bei Bedarf eine Anamnese mit Vorstellung des Patienten und körperlicher Untersuchung durchgeführt werden kann (vgl. Urteil vom 12.01.2012 6 K 1917/07, EFG 2012, 1783).

59b. Demgegenüber hat der V. Senat des BFH zur Beweislast des Unternehmers im Rahmen des § 4 Nr. 14 Satz 1 UStG wiederholt entschieden, dass der feststellungsbelastete Kläger die Nachteile zu tragen habe, wenn die für die Umsatzsteuerbefreiung erforderlichen Feststellungen, beispielsweise wegen Berufung auf die ärztliche Schweigepflicht, nicht möglich sein sollten (vgl. BFH-Urteil vom 02.04.1998 V R 66/97, BFHE 185, 543, BStBl II 1998, 632 und BFH-Beschluss vom 18.02.2008 V B 35/06, BFH/NV 2008, 1001).

60c. Da der Kläger weder anonymisierte Patientenunterlagen zum Nachweis vorgelegt hat, noch Einwilligungen der Patienten in die Offenlegung ihrer Unterlagen veranlasst sieht der Senat nach der zuvor aufgezeigten Rechtsprechungspraxis keine Möglichkeit, die medizinische Indikation der streitigen Leistungen als erwiesen anzusehen. Der Kläger verweigert im Streitfall allgemein die Mitwirkung an der Aufklärung des Sachverhalts, indem er sich ganz pauschal auf seine ärztliche Schweigepflicht und die tatsächliche Unmöglichkeit bei der Aufklärung wegen Zeitablaufs beruft. Dieses Verhalten des Klägers zeichnete sich bereits während der Betriebsprüfung ab, als er der Bitte des Betriebsprüfers, zunächst die Rechnungen für zwei Monate der Jahre 2000 und 2002 vorzulegen, nicht hinreichend entsprach. Auch im Verlauf der Prüfung legte der Kläger Rechnungen nur schleppend vor. Dabei ging er offensichtlich von der fehlerhaften Vorstellung aus, dass von ihm als Arzt erbrachte Leistungen grundsätzlich umsatzsteuersteuerfrei und nur in Ausnahmefällen steuerpflichtig seien. Dieses möglicherweise falsche Rechtsverständnis der Umsatzsteuerordnung ändert jedoch nichts an seiner Nachweispflicht für jede einzelne ärztliche Leistung.

61In diesem Zusammenhang erscheint die Berufung auf die ärztliche Schweigepflicht beim Kläger eher eine Schutzbehauptung zu sein, da durch die vorliegenden Rechnungen insgesamt die Namen der Patienten und die Diagnosen und Therapien offenbart worden sind. Zwar würden die Patienten durch die Behandlungsunterlagen weiter individualisiert werden, allerdings hätte der Kläger eine Anonymisierung kritischer Unterlage in Erwägung ziehen können. Beim Senat ist allerdings der Eindruck entstanden, dass der Kläger einen weitergehenden Arbeitsaufwand zum Nachweis der medizinischen Indikation scheut.

62Soweit der Kläger vorträgt, er habe in den Streitjahren noch keine Beweisvorsorge treffen müssen, da weder eine gefestigte finanzgerichtliche noch eine höchstrichterliche Rechtsprechung des BFH vorlag, kann der Senat diesem Argument nicht folgen. Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass die Befreiungsvorschrift des § 4 Nr. 14 Satz 1 UStG unverändert während der gesamten Streitjahre galt. Bereits im September 2000 legte der EuGH die korrespondierende europarechtliche Regelung des Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. c der 6. EG-Richtlinie dahingehend aus, dass medizinischen Leistungen, die nicht in der medizinischen Betreuung von Personen durch das Diagnostizieren und Behandeln einer Krankheit oder einer anderen Gesundheitsstörung bestehen, nicht in den Anwendungsbereich der Befreiungsvorschrift fallen (EuGH-Urteil vom 14.09.2000 C-384/98, Slg 2000, I-6795, HFR 2000, 918). Diese Rechtsprechung wurde durch das Urteil des EuGH vom 10. September 2002 fortgeführt (C-141/00, Slg 2002, I-6833, HFR 2002, 1146) und sodann vom Finanzgericht Berlin in seinem Urteil vom 12. November 2002 (7 K 7264/02, DStRE 2003, 376) bei der Auslegung des nationalen Rechts herangezogen. Damit zeichnete sich bereits seit September 2000 eine Konkretisierung der Tatbestandsvoraussetzungen „Umsätze aus der Tätigkeit als Arzt“ ab, die vom Kläger zu berücksichtigen gewesen wäre.

635. Schließlich war das Gericht nicht verpflichtet, dem Beweisantrag des Klägers auf Einholung eines Sachverständigengutachtens zu folgen (s. Bl. 215 d. Prozessakten), da diesem ohne die vom Kläger konkret aufbereiteten Patientenunterlagen die tragfähige Basis gefehlt hätte (s. allgemein: Urteil des Niedersächsischen FG vom 02.02.2012 16 K 10148/07, n.v., Rev. V R 33/12). Der Beweisantrag bezieht sich nicht auf Tatsachen, die eine Aufklärung des Sachverhalts ermöglichen könnten. Er ist somit unsubstantiiert. Nach § 82 FGO i.V.m. § 403 der Zivilprozessordnung wird der Beweis durch die Bezeichnung der zu begutachtenden Punkte angetreten. Dazu müssen die zu begutachtenden Tatsachen wenigstens summarisch bezeichnet werden, so dass aus dem Antrag in Umrissen das Ziel und der Inhalt der vom Gutachter zu beantwortenden Fragen deutlich wird (vgl. Koch in Gräber, FGO, 7. Auflage 2010, § 82 Rn. 33 m.w.N. aus der Rechtsprechung). Diesen Anforderungen genügt der pauschal gehaltene Beweisantrag des Klägers nicht. Er beabsichtigt mit dem Beweisantrag vielmehr, die ihm obliegende Aufbereitung der Unterlagen im Rahmen seiner prozessualen Mitwirkungspflicht einem Sachverständigen zu übertragen. Es obliegt allerdings dem Kläger, die Tatsachenbasis für eine Beweisaufnahme zu schaffen. Er hat weder konkret für die zu begutachtenden Leistungen, über die mit einem Pauschalhonorar abgerechnet wurde, konkret dargelegt, welche Leistungen nach GOÄ im Einzelnen einschlägig sein sollen, noch hat er für die Leistungen, über die teilweise mit dem Zusatzbetrag „kosmetische Teilbehandlung“ abgerechnet wurde, angegeben, auf welche GOÄ-Leistungen der Zusatzbetrag entfallen soll. Darüber hinaus verkennt der Kläger, dass allein die Einordnung einer ärztlichen Leistung nach GOÄ durch den zu behandelnden Arzt noch nicht zwingend dessen medizinische Indikation feststellt.

64II. Da der Kläger dem Grunde nach nicht für alle von ihm erbrachten ärztlichen Leistungen die erforderlichen Nachweise i.S.d. § 4 Nr. 14 Satz 1 UStG erbringen konnte und der Senat damit nicht in der Lage war, für jede einzelne Leistung der Streitjahre die medizinische Indikation der Leistungen festzustellen, war die Höhe der medizinisch nicht indizierten Leistungen zu schätzen. Dabei macht der Senat von seiner eigenen Schätzungsbefugnis nach § 96 Abs. 1 Satz 1 2. Halbsatz FGO i.V.m. § 162 – AO Gebrauch. Als Schätzungsmethode hält der Senat die vom Beklagten gewählte Berechnung für hinreichend vertretbar, so dass zugunsten des Klägers sämtliche Leistungen, die nach GOÄ abgerechnet worden sind, als medizinisch indiziert und damit als umsatzsteuerfrei im Sinne des § 4 Nr. 14 Satz 1 UStG gelten. Nicht nach GOÄ abgerechnete Gesamt- oder Teilhonorarbeträge werden zum Zwecke der Schätzung als umsatzsteuerpflichtig behandelt.

65Die zur Vorbereitung auf die mündliche Verhandlung vorgenommene Überprüfung der vorliegenden Rechnungen hat die vom Beklagten zu Grunde gelegten Schätzungsergebnisse bei den ambulanten Behandlungen von 19 % umsatzsteuerpflichtigen Leistungen in allen Streitjahren weitestgehend bestätigt. Da jeder Schätzung eine gewisse Unschärfe anhaftet und die Berechnungen des Senats lediglich Abweichungen von maximal 6 % ergaben, sieht sich der Senat nicht veranlasst, eine Korrektur der Schätzungsergebnisse des Beklagten vorzunehmen.

66Gleiches gilt für das Schätzungsergebnis des Jahres 2000 bei den stationären Behandlungen. Allerdings weichen die vom Senat auf einer breiteren Schätzungsbasis ermittelten Werte für die Streitjahre 2001 und 2002 bei den stationären Behandlungen nach unten ab, so dass sich der Senat veranlasst sah, das Schätzungsergebnis des Beklagten zu korrigieren. Aufgrund der Unschärfen, die mit einer Schätzung verbunden sind, legt der Senat daher den niedrigsten vom Beklagten geschätzten Prozentsatz an umsatzsteuerpflichtigen Leistungen aus dem Jahr 1999 von 39 % auch für die Streitjahre 2001 und 2002 zu Grunde. Da für das Streitjahr 1999 keine Rechnungen für stationäre Behandlungen vorlagen, kann der Senat beim Schätzungsergebnis der Betriebsprüfung von 39 % keinen Fehler erkennen, der einen abweichenden Prozentsatz rechtfertigen würde.

67III. Die Berechnung der neu festzusetzenden Umsatzsteuerbeträge für 2001 und 2002 war dem Beklagten ermessensgerecht gemäß § 100 Abs. 2 Satz 2 FGO nach Maßgabe der Gründe dieser Entscheidung aufzuerlegen, da die Ermittlung der festzusetzenden Beträge einen nicht unerheblichen Aufwand für das Gericht bedeuten würde. Bei der Berechnung sind folgende Prozentsätze für die umsatzsteuerpflichtigen Leistungen zu Grunde zu legen:

68Ambulante Behandlungen

69

2001: 19 %
2002: 19 %

70Stationäre Behandlungen

71

2001: 39 %
2002: 39 %

72Die jeweiligen Vorsteuerbeträge sind gemäß der Berechnungsmethode aus dem Betriebsprüfungsbericht, dort Anlagen 1 und 3, entsprechend niedriger zu schätzen.

73IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 136 Abs. 1 Satz 1 FGO.

74V. Die Revision wurde nicht zugelassen, da kein Revisionsgrund nach § 115 Abs. 2 FGO gegeben ist.

Vorsteuervergütung: Anforderungen an einen ordnungsgemäßen Antrag

Finanzgericht Köln, 2 K 3985/04

Datum: 10.11.2011
Gericht: Finanzgericht Köln
Spruchkörper: 2. Senat
Entscheidungsart: Urteil
Aktenzeichen: 2 K 3985/04
Nachinstanz:
Bundesfinanzhof, V B 20/12
Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Streitwert wird auf 704.092 € festgesetzt.

1Tatbestand

2Streitig sind die Vorsteuervergütungsansprüche der Klägerin für die Zeiträume 01-03/2002, 04-06/2002, 07-09/2002 sowie 10-12-/2002.

3Die Klägerin ist in Belgien ansässig. Sie wurde durch einen „Vertrag über einen zeitweiligen Zusammenschluss“ vom 4. Februar 2000 zwischen der A S.A. (im Folgenden: A) mit Sitz in D und der B Suisse S.A. (im Folgenden: B) mit Sitz in C (vgl. Gerichtsakte des Parallelverfahrens 2 K 106/04, Bl. 102 ff.) gegründet.

4Mit Anträgen vom 2. Mai 2003 beantragte die Klägerin unter der Bezeichnung „E“ beim Bundesamt für Finanzen – BfF – (seit dem 1. Januar 2006 Bundeszentralamt für Steuern – BZSt -) gemäß § 18 Abs. 9 des Umsatzsteuergesetzes – UStG – in Verbindung mit §§ 59 ff. der Umsatzsteuerdurchführungsverordnung – UStDV – die Vergütung von Vorsteuern für die Zeiträume 01-03/2002 in Höhe von 195.293,95 Euro, 04-06/2002 in Höhe von 208.144,13 Euro, 07-09/2002 in Höhe von 150.963,56 Euro und 10-12/2002 in Höhe von 149.691,05 Euro.

5Als Geschäftsgegenstand gab sie den „Verkauf von Elektrizität“ an. Eintragungen in Abschnitt 9 Buchst. a) des Vordrucks enthalten die Anträge nicht.

6Mit Bescheiden vom 8. Juni 2004 lehnte das BfF die Anträge mit der Begründung ab, dass die Klägerin durch den Kauf und Weiterverkauf von Strom im Inland steuerbare Umsätze bewirkt habe und entsprechend das allgemeine Besteuerungsverfahren anzuwenden sei.

7Gegen die Ablehnungsbescheide legte die Klägerin Einsprüche ein und trug vor, die Annahme, sie habe bei deutschen Stromlieferanten Strom eingekauft, gehe fehl. Tatsache sei, dass sie Strom aus Belgien zu ihren Kunden in Deutschland geliefert habe. Es handle sich damit um innergemeinschaftliche Lieferungen, die in Belgien (Beginn des Transports) und nicht in Deutschland steuerbar seien.

8Mit Einspruchsentscheidungen vom 5. Juli 2004 wies das BfF die Einsprüche als unbegründet zurück.

9Mit der gegen die Einspruchsentscheidungen erhobenen Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter.

10Zur Begründung führt die Klägerin zuletzt Folgendes aus:

11Entgegen der Rechtsansicht des Beklagten seien ihre Vorsteuervergütungsanträge nicht deshalb unwirksam, weil der Abschnitt 9 Buchst. a) des Vordrucks nicht ausgefüllt worden sei.

12Der Abschnitt 9 Buchst. a) des Vordrucks frage nach zwei Informationen. Zum einen habe der Antragsteller zu bestätigen, dass die Eingangsleistungen für die unternehmerischen Zwecke als Unternehmer verwendet worden seien. Diese Bestätigung der Verwendung der Eingangsleistungen für unternehmerische Zwecke sei auf dem Antragsformular bereits vorgedruckt. Eine solche Erklärung gebe der Antragsteller durch seine Unterschrift unter den Antrag mit ab. Zum anderen biete der Abschnitt 9 Buchst. a) zwei Zeilen Platz, um den konkreten Anlass der unternehmerischen Verwendung der Eingangsleistungen zu erläutern. Hier werde nur eine pauschale Erklärung abgefragt. Im Streitfall wäre die zutreffende Erläuterung in Abschnitt 9 Buchst. a) des Vordrucks „Lieferung von Strom“ gewesen. Eine entsprechende Erklärung habe sie, die Klägerin, in ihren Vorsteuervergütungsanträgen nicht abgegeben.

13Für die Wirksamkeit eines Vorsteuervergütungsantrags sei es aber nicht erforderlich, dass alle angefragten Angaben gemacht würden. Sofern die angefragte Information über das hinausgehe, was das Gesetz als Tatbestandsvoraussetzung vorsehe, sei die angefragte Angabe keine Wirksamkeitsvoraussetzung. Die pauschale Angabe des Anlasses der unternehmerischen Verwendung diene dazu, die Nachvollziehbarkeit der Angabe zu erhöhen. Auch ohne die Angabe würden jedoch alle Angaben vorliegen, aus denen sich ergebe, dass die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt seien. Selbst wenn sie, die Klägerin, die geforderte Angabe nicht gemacht hätte, würde dies die Wirksamkeit des Antrages nicht berühren.

14Ihre Anträge hätten jedoch auch ohne die Angabe in Abschnitt 9 Buchst. a) den Erklärungswert, dass die Eingangsleistungen für die Lieferung von Strom verwandt worden seien. Die einzige Geschäftstätigkeit der Klägerin bestehe in der Lieferung von Strom. Dies habe sie in Zeile 2 der Vorsteuervergütungsanträge so auch erklärt. Zudem sei in der Zeile 2 der Anlage zu den Vorsteuervergütungsanträgen fast ausschließlich die Eingangsleistung mit „Durchleitung von Strom“ angegeben worden. Diese Angaben hätten den konkludenten Erklärungswert, dass die Eingangsleistungen anlässlich von Stromlieferungen bezogen worden seien.

15Die Annahme eines solchen Erklärungswertes werde auch dadurch belegt, dass der Beklagte den Antrag auf Vorsteuervergütung für das Jahr 2000 zunächst gewährt habe, den Antrag demnach für schlüssig gehalten habe.

16Im Übrigen ergebe eine systematische sowie verfassungs- und europarechtskonforme Auslegung der maßgeblichen Regelungen, dass die fehlende Angabe des Anlasses der unternehmerischen Verwendung der Eingangsleistungen nicht zur Unwirksamkeit des Antrags führe.

17Entgegen der Rechtsansicht des Beklagten seien die Eingangsleistungen der Netzbetreiber ihr, der Klägerin, zuzurechnen. Sie sei zivilrechtlich eine nicht rechtsfähige Gesellschaft. Aufgrund der fehlenden Rechtsfähigkeit sei es ihr nicht möglich, Verträge allein im eigenen Namen abzuschließen. Die Rechtsfähigkeit sei für die umsatzsteuerliche Qualifikation als Unternehmer aber auch nicht erforderlich. Entscheidend sei vielmehr, dass sie bei den Verträgen über die Lieferung von Strom an Endkunden ganz überwiegend bereits bei Vertragsschluss gegenüber den Leistungsempfängern als leistender Unternehmer aufgetreten sei. Soweit dies nicht in den Rahmenverträgen mit den Netzbetreibern zum Ausdruck komme, seien die entsprechenden Rahmenverträge auf sie, die Klägerin, übergeleitet und die Leistungsempfänger hierüber informiert worden. Fortan sei sie gegenüber den Endkunden als leistender Unternehmer aufgetreten. Entsprechend sei die Abrechnung der Leistungen durch sie erfolgt. Die Rahmenverträge mit den Netzbetreibern seien teilweise von der B abgeschlossen worden. Gegenüber den Netzbetreibern sei jedoch der Bezug der Leistungen steuerlich für sie, die Klägerin, offen gelegt worden. Daher hätten die Netzbetreiber ihre Rechnungen an sie adressiert. Außerdem seien auch die entsprechenden Zahlungen von dem Bankkonto, welches auf ihren Namen geführt worden sei, überwiesen worden. Sie, die Klägerin, sei daher auch Leistungsempfängerin der Eingangsleistungen gewesen.

18Die vom Beklagten angesprochene unterschiedliche vertragliche Ausgestaltung in den Streitjahren beruhe auf einem veränderten Vorgehen bei der Akquisition auf dem deutschen Strommarkt. So sei tatsächlich die B als ihre Beauftragte für sie tätig geworden und habe in ihrem Namen Eingangsleistungen erworben. Die F SA sei wiederum von der B beauftragt gewesen, diese zu vertreten und Eingangsleistungen im Namen der Klägerin zu vereinbaren. Die Beauftragten hätten gegenüber den Netzbetreibern deutlich gemacht, dass – abweichend vom Zivilrecht – die Leistungen steuerlich für sie, die Klägerin, bezogen würden. Die Bevollmächtigten seien hierfür gegenüber den Netzbetreibern steuerlich im Namen der Klägerin aufgetreten. Nur weil ihre Beauftragten in ihrem Namen aufgetreten seien, hätten die Netzbetreiber die Rechnungen auch an sie, die Klägerin, adressiert.

19Die Klägerin beantragt,

20

  • 211 die Ablehnungsbescheide vom 8. Juni 2004 betreffend die Vergütungszeiträume 01-03/2002, 04-06/2002, 07-09/2002, 10-12/2002, jeweils in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 5. Juli 2004, mit der Maßgabe abzuändern, dass die Vergütung für die Zeiträume

22

01-03/2002 auf 195.293,95 Euro,
04-06/2002 auf 208.144,13 Euro
07-09/2002 auf 150.963,56 Euro sowie
10-12/2002 auf 149.691,05 Euro

23festgesetzt wird und

24

  • 252 die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren für notwendig zu erklären.

26Der Beklagte beantragt,

27die Klage abzuweisen.

28Zur Begründung trägt der Beklagte zuletzt Folgendes vor:

29Nach der ergänzenden Sachverhaltsaufklärung durch die Klägerin gehe er, der Beklagte, nunmehr davon aus, dass die Klägerin in den streitigen Jahren im Inland keine schädlichen Umsätze bewirkt habe.

30Dennoch seien die geltend gemachten Vorsteuerbeträge nicht vergütungsfähig.

31Mangels ordnungsgemäßer Eintragungen in Abschnitt 9 Buchst. a) lägen bereits keine wirksamen Vorsteuervergütungsanträge vor. Entgegen der Rechtsauffassung der Klägerin seien die Angaben im Abschnitt 9 Buchst. a) des Vordrucks nicht bereits dann ordnungsgemäß erklärt, wenn der Vordrucktext nicht ergänzt worden sei. Vielmehr sei in Abschnitt 9 Buchst. a) des Vordrucks anzugeben, aus welchem Anlass die in der Anlage zum Vergütungsantrag aufgeführten Gegenstände oder sonstigen Leistungen verwendet worden seien. Dies ergebe sich bereits aus den gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben. Das Muster des Vergütungsantrags im Anhang A der Achten Richtlinie (79/1072/EWG) sehe nämlich zwei Leerzeilen zur Eintragung der erforderlichen Angaben vor. Hierbei handele es sich um die Mindestanforderungen für einen ordnungsgemäßen Vergütungsantrag, die für dessen Wirksamkeit erforderlich seien. Im vorliegenden Fall wäre die Angabe zum Verwendungszweck auch deshalb notwendig gewesen, weil die Klägerin teilweise Vorsteuern aus Leistungen beantrage, die aufgrund von Verträgen mit Dritten und nicht mit der Klägerin erbracht worden seien. Denn aufgrund des Umstandes, dass lediglich Verträge zwischen dem Leistungserbringer und einem Dritten vorlägen, wäre die Erklärung der Klägerin, dass die Leistungen für ihre Zwecke als Unternehmerin verwendet worden seien, um so mehr erforderlich gewesen.

32Die beantragte Vorsteuervergütung sei im Übrigen auch deshalb nicht zu gewähren, weil ein Großteil der von der Klägerin eingereichten Rechnungen auf Verträgen beruhe, die nicht die Klägerin selbst geschlossen habe. Vertragspartner der jeweiligen Netzbetreiber als Leistungserbringer seien z.B. die B oder die F SA gewesen. Auch wenn die Klägerin als nicht rechtsfähiger Zusammenschluss keine Verträge eingehen könne, folge hieraus nicht, dass die von den Leistungserbringern mit der B und der F SA abgeschlossenen Verträge der Klägerin als Leistungsempfängerin zuzurechnen seien. Die Klägerin könne nur für Leistungen aus solchen Verträgen als Leistungsempfängerin angesehen werden, aus denen hervorgehe, dass diese im Rahmen der geschlossenen Liefergemeinschaft eingegangen worden seien, d.h. im Namen der B und der A mit dem jeweiligen Leistungserbringer geschlossen worden seien. Eine solche Vertragsgestaltung sei jedoch nur in manchen Fällen gewählt worden. Auch die Rechnungserteilung an die Klägerin genüge für eine Annahme, dass auch die A in den Vertrag miteinbezogen und die Klägerin somit als Leistungsempfängerin anzusehen sei, nicht. Insbesondere sei hieraus nicht erkennbar, wann und inwieweit dem Leistungserbringer offengelegt worden sei, dass die Leistungen an die Klägerin und nicht allein an die B hätten erfolgen sollen.

33Entscheidungsgründe

34I. Die Klage ist unbegründet.

351. Die Ablehnungsbescheide vom 8. Juni 2004 in Gestalt der Einspruchsentscheidungen vom 5. Juli 2004 sind rechtmäßig und verletzten die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 101 Satz 1 Finanzgerichtsordnung – FGO -).

36Der Beklagte hat die von der Klägerin beantragte Vorsteuervergütung nach § 18 Abs. 9 UStG in Verbindung mit §§ 59 ff. UStDV in den jeweils für den Vergütungszeitraum 2002 geltenden Fassungen zu Recht abgelehnt.

372. Dabei kann offen gelassen werden, ob bzw. inwieweit die Klägerin hinsichtlich der geltend gemachten Vorsteuerbeträge nach § 18 Abs. 9 Satz 1 UStG 2002 i.V.m. § 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG 2002 vorsteuerabzugsberechtigt war. Denn die Klägerin hat jedenfalls wegen der fehlenden Eintragungen in Abschnitt 9 Buchst. a) der amtlichen Vordrucke für den Vergütungsantrag innerhalb der Ausschlussfrist des § 18 Abs. 9 Satz 3 UStG 2002 keine wirksamen Vergütungsanträge gestellt.

38a) Das Bundesministerium der Finanzen hat auf der Grundlage der nach § 18 Abs. 9 Satz 1 UStG 2002 eingeräumten Ermächtigung u.a. in § 61 Abs. 1 UStDV 2002 bestimmt, dass der Unternehmer die Vergütung nach amtlich vorgeschriebenem Vordruck beim Bundeszentralamt für Steuern oder bei dem nach § 5 Abs. 1 Nr. 8 Satz 2 des Finanzverwaltungsgesetzes zuständigen Finanzamt zu beantragen hat.

39Gemäß § 18 Abs. 9 Satz 3 UStG 2002 ist der Vergütungsantrag binnen sechs Monaten nach Ablauf des Kalenderjahres zu stellen, in dem der Vergütungsanspruch entstanden ist. Hierbei handelt es sich um eine nicht verlängerbare Ausschlussfrist (vgl. BFH-Urteil vom 21. Oktober 1999 V R 76/98, BFHE 190, 239, BStBl II 2000, 214; Stadie in Rau/Dürrwächter/Flick/Geist, Umsatzsteuergesetz, § 18 UStG Rz. 881.2 m.w.N.).

40b) Vorliegend lief diese Frist am 30. Juni 2003 ab, da die Klägerin einen Vergütungsanspruch aus Rechnungen aus dem Jahre 2002 geltend macht.

41Innerhalb dieser Frist hat es die Klägerin versäumt, formwirksame Vergütungsanträge zu stellen. Die beim Beklagten im Mai 2003 eingegangenen Anträge für die Vergütungszeiträume 01-03/2002, 04-06/2002, 07-09/2002 und 10-12/2002 enthalten nicht alle für einen ordnungsgemäßen Vergütungsantrag erforderlichen Erklärungen. Insoweit fehlen in den Vergütungsanträgen die notwendigen Angaben in Abschnitt 9 Buchst. a) des amtlich vorgeschriebenen Vordrucks.

42aa) Die Klägerin hat im amtlichen Vordruck keine Angaben in Abschnitt 9 Buchst. a) dazu gemacht, für welche Zwecke des Unternehmens sie die aufgeführten Gegenstände und sonstigen Leistungen verwendet hat.

43bb) Ohne die Angaben in Abschnitt 9 Buchst. a) des Vordrucks ist ein Vergütungsantrag unwirksam, da er nicht alle vorgesehenen entscheidungserheblichen Angaben und Erklärungen enthält und damit nicht den gesetzlichen Anforderungen entspricht.

44(1) Durch die Angaben in Abschnitt 9 des Vergütungsantrags soll – wie auch durch die übrigen inhaltlichen Anforderungen – sichergestellt werden, dass der innerhalb der Ausschlussfrist einzureichende Antrag alle Angaben enthält, die für die Entscheidung der Finanzbehörde im Regelfall entscheidungserheblich sind. Eine Prüfung des Vergütungsantrags muss grundsätzlich anhand der Angaben im Antragsformular selbst möglich sein. Insoweit genügt ein Verweis auf die sonstigen Angaben im Antrag oder die dem Antrag beigefügten Rechnungen gerade nicht.

45(2) Der BFH (Urteil vom 21. Oktober 1999 V R 76/98, BFHE 190, 239, BStBl II 2000, 214) hat für den Fall, dass ein Vorsteuervergütungsantrag entgegen der Vorgabe im amtlichen Vordruck nicht die nach Abschnitt 9 Buchst. c) erforderliche Verpflichtungserklärung des Unternehmers enthielt, jeden unrechtmäßig empfangenen Betrag zurückzuzahlen, entschieden, dass ein solcher Antrag unwirksam ist.

46(3) Entsprechendes gilt auch für den Fall, dass die Angaben zu Abschnitt 9 Buchst. a) des amtlichen Vordrucks fehlen bzw. die im Vordruck vorgesehenen Formularfelder nicht ausgefüllt wurden. Auch diese Erklärungen sind für die Entscheidung über die beantragte Vorsteuervergütung erheblich.

47(α) Die Erklärung in Abschnitt 9 Buchst. a) des amtlichen Vordrucks dient der Darlegung, dass die fraglichen Lieferungen und sonstigen Leistungen von anderen Unternehmern für das Unternehmen des Antragstellers ausgeführt worden sind (vgl. § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG 2002). Denn die Vergütung von Vorsteuerbeträgen erfordert als allgemeine materiell-rechtliche Voraussetzung für den Vorsteuerabzug, dass die geltend gemachten Vorsteuerbeträge überhaupt gemäß § 15 UStG abziehbar sind. Im Zweifelsfall hat der antragstellende Unternehmer diese Voraussetzungen nachweisen.

48Zunächst lässt sich bereits daran zweifeln, ob bei fehlender Eintragung in Abschnitt 9 Buchst. a) überhaupt eine entsprechende Erklärung zur Verwendung der erhaltenen Gegenstände bzw. sonstigen Leistungen für Zwecke des Unternehmens abgegeben wurde. Aus der Formulierung im Vordruck ergibt sich bereits grammatikalisch, dass der Satz nach dem Wort „anlässlich“ einer Ergänzung bedarf. Ohne einen Eintrag des „Anlasses“ ist der Satz und damit die Erklärung zu Abschnitt 9 Buchst. a) jedenfalls unvollständig.

49Soweit man ohne weitere Eintragungen in Abschnitt 9 Buchst. a) zumindest eine Erklärung des antragstellenden Unternehmens dahingehend, dass die Lieferungen oder sonstigen Leistungen unternehmerischen Zwecken dienten, erkennen mag, genügt diese allgemeine Angabe aber nicht. Indem im amtlichen Vordruck nach dem Wort „anlässlich“ Raum für ergänzende Eintragungen vorgesehen ist, wird gerade deutlich, dass der Gesetzgeber die allgemeine Erklärung, dass die Dienstleistungen oder Güter für unternehmerische Zwecke in Anspruch genommen bzw. bezogen wurden, nicht für ausreichend erachtet hat, sondern vielmehr die Vorsteuervergütung von weiteren Angaben abhängig machen wollte. Aufgrund der im amtlichen Formular vorgesehen Erklärung sollte der Antragsteller auch die Angaben zur konkreten Tätigkeit im Inland, bei welcher die geltend gemachten Vorsteuerbeträge angefallen sind, mit seiner Unterschrift bestätigen. Die Angaben in Abschnitt 9 Buchst. a) sind auch erforderlich, um der Finanzverwaltung effektive Überprüfungsmöglichkeiten bzgl. der Voraussetzungen für den Vorsteuervergütungsanspruch zu eröffnen. Hierzu bedarf es konkreter Angaben zum Anlass der vom Antragsteller im Inland in Anspruch genommenen Dienstleistungen oder bezogenen Güter.

50(β) Diese Auslegung entspricht auch den gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben.

51Für Antragsteller, die wie die Klägerin in einem Mitgliedstaat der EU ansässig sind, ist insoweit die Achte Richtline des Rates vom 6. Dezember 1979 (79/1072/EWG, ABl. EG Nr. L 331/1979, 11, – Achte Richtlinie -) maßgeblich.

52Das der Achten Richtline im Anhang A beigefügte Muster eines Vergütungsantrags enthält in Abschnitt 9 Buchst. a) die auch im deutschen Vordruck enthaltenen Erklärungen des Antragstellers. Im Anhang C sind desweiteren Mindestinformationen, die in die Erläuterung aufzunehmen sind, aufgeführt. Unter Punkt F. wird dabei ausgeführt, dass der Antragsteller unter Nr. 9 Buchstabe a) des Formulars die Art der Tätigkeit oder des Gewerbezweigs anzugeben hat, für die er die Güter erworben bzw. die Leistungen er- bracht hat, auf die sich der Antrag auf Steuervergütung bezieht. Beispielhaft sind erwähnt „Beteiligungen an der Ausstellung  … in … vom … bis …, Stand Nr.“; „grenzüberschreitende Güterbeförderung von … nach … am …“. Dies spricht dafür, dass die Mitgliedstaaten gemeinschaftsrechtlich verpflichtet sind, die Erstattung der geltend gemachten Vorsteuerbeträge vom Vorliegen der entsprechenden Erklärungen des Antragstellers abhängig zu machen (s.a. BFH-Urteil vom 21. Oktober 1999 V R 76/98, BFHE 190, 239, BStBl II 2000, 214 zur nach Abschnitt 9 Buchst. c) erforderlichen Verpflichtungserklärung).

53cc) Entgegen der Rechtsansicht der Klägerin kann nach den obigen Grundsätzen die notwendige Erklärung in Abschnitt 9 Buchst. a) im Streitfall auch nicht durch andere Angaben in den streitigen Vergütungsanträgen bzw. in den Anlagen zu diesen Anträgen ersetzt werden.

54(1) Die Angabe der allgemeinen Geschäftstätigkeit der Klägerin in Zeile 2 der streitigen Vergütungsanträge mit der Eintragung „Verkauf von Elektrizität“ kann die durch Unterschrift zu bestätigende und vom Beklagten konkret nachprüfbare Erklärung, dass die Dienstleistungen der inländischen Netzbetreiber von der Klägerin tatsächlich anlässlich von Stromlieferungen an inländische Endkunden in Anspruch genommen wurden, nicht ersetzen. Das gleiche gilt auch für die in Zeile 2 der Anlagen zu den Vergütungsanträgen enthaltene Bezeichnung der Eingangsleistung – „Durchleitung von Strom“ -.

55(2) Im Übrigen weist der Beklagte in diesem Zusammenhang zutreffend darauf hin, dass die durch Unterschrift zu bestätigende Erklärung in Abschnitt 9 Buchst. a) gerade im Streitfall für die hinreichende Darlegung, dass die inländischen Netzbetreiber sonstige Leistungen für das Unternehmen der Klägerin ausgeführt haben und die Klägerin daher nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 1 UStG 2002 zur Geltendmachung der Vorsteuerbeträge berechtigt ist, erforderlich gewesen wäre. Denn die meisten von der Klägerin zum Nachweis ihrer Vorsteuerabzugsberechtigung eingereichten Rahmenverträge mit den inländischen Netzbetreibern weisen nicht die Klägerin sondern vielmehr die B bzw. die F SA als Vertragspartner und somit umsatzsteuerrechtliche Leistungsempfänger aus.

56c) Der Klägerin ist im Hinblick auf die versäumte Ausschlussfrist nach § 18 Abs. 9 Satz 3 UStG 2002 auch keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 110 AO zu gewähren.

57aa) War jemand ohne Verschulden verhindert, eine gesetzliche Frist einzuhalten, so ist ihm nach § 110 Abs. 1 Satz 1 AO auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Das Verschulden eines Vertreters ist dem Vertretenen zuzurechnen (§ 110 Abs. 1 Satz 2 AO). Der Antrag ist innerhalb eines Monats nach Wegfall des Hindernisses zu stellen (§ 110 Abs. 2 Satz 1 AO). Die Tatsachen zur Begründung des Antrags sind bei der Antragstellung oder im Verfahren über den Antrag glaubhaft zu machen. Innerhalb der Antragsfrist ist die versäumte Handlung nachzuholen (§ 110 Abs. 2 Satz 3 AO). Ist dies geschehen, so kann Wiedereinsetzung auch ohne Antrag gewährt werden (§ 110 Abs. 2 Satz 4 AO). Nach einem Jahr seit Ende der versäumten Handlung kann die Wiedereinsetzung nicht mehr beantragt oder die versäumte Handlung nicht mehr nachgeholt werden, außer wenn dies vor Ablauf der Jahresfrist infolge höherer Gewalt unmöglich war (§ 110 Abs. 3 AO).

58bb) Im Streitfall ist eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand schon deshalb nicht möglich, weil seitens der Klägerin keine Gründe vorgetragen wurden und auch sonst keine Umstände ersichtlich sind, weshalb sie gehindert gewesen wäre, innerhalb der Ausschlussfrist bis zum 30. Juni 2003 ordnungsgemäße Vergütungsanträge einschließlich der Erklärungen zu Abschnitt 9 Buchst. a) einzureichen und dabei gerade die in den im Vordruck zur Ergänzung, Ausfüllung bzw. zum Ankreuzen vorgesehenen Feldern verlangten Eintragungen vorzunehmen. Gegen eine schuldlose Fristversäumnis spricht dabei insbesondere, dass auch für einen steuerrechtlichen Laien bei Lektüre des Antragsformulars klar sein muss, dass in Abschnitt 9 Buchst. a) Angaben gemacht werden müssen. Denn aus dem Wort „anlässlich“ und der folgenden Freizeile ergibt sich, dass der Satz einer Ergänzung bedarf.

59II. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.

60III. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 52, 63 des Gerichtskostengesetzes.

61IV. Die Revision zum Bundesfinanzhof war nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO mangels grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache nicht zuzulassen. Die Rechtsfrage, ob ein Antrag auf Vorsteuervergütung unwirksam ist, der nicht alle Angaben und Erklärungen enthält, die nach dem amtlichen Vordruck erforderlich sind, ist durch das BFH-Urteil vom  21. Oktober 1999 (V R 76/98, a.a.O.) bereits geklärt.

Vorsteuervergütung: Anforderungen an einen ordnungsgemäßen Antrag

Finanzgericht Köln, 2 K 106/04

Datum: 10.11.2011
Gericht: Finanzgericht Köln
Spruchkörper: 2. Senat
Entscheidungsart: Urteil
Aktenzeichen: 2 K 106/04
Nachinstanz:
Bundesfinanzhof, V B 19/12
Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Streitwert wird auf 528.448 € festgesetzt.

1Der Tatbestand des Urteils vom 10.11.2011 wurde duch Beschluss vom 15.02.2012 wie folgt ergänzt:

2Die von der Klägerin zusammen mit ihrem Antrag vom 12. Februar 2001 auf Vergütung von Vorsteuern für den Zeitraum Januar bis Dezember 2000 in Höhe von 50.960,07 DM beim Beklagten eingereichten Originalrechnungen der G GmbH aus dem Jahr 2000 liegen dem Senat vor. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf den Inhalt dieser Originalrechnungen Bezug genommen.

3Gründe

4Der von der Klägerin rechtzeitig gestellte Antrag (§ 108 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung – FGO -) auf Berichtigung des Tatbestandes des Urteils des Senats vom 10.11.2011 ist erfolgreich. Eine weitere Begründung des unanfechtbaren Beschlusses (§ 108 Abs. 2 Satz 2 FGO) ist gemäß § 113 Abs. 2 FGO nicht erforderlich.

5Tatbestand

6Streitig sind die Vorsteuervergütungsansprüche der Klägerin für die Zeiträume 01-12/2000, 01-06/2001, 07-09/2001 und 10-12/2001.

7Die Klägerin ist in Belgien ansässig. Sie wurde durch einen „Vertrag über einen zeitweiligen Zusammenschluss“ vom 4. Februar 2000 zwischen der A S.A. (im Folgenden: A) mit Sitz in D und der B Suisse S.A. (im Folgenden: B) mit Sitz in C (vgl. Gerichtsakte, Bl. 102 ff.) gegründet.

8Mit Antrag vom 12. Februar 2001 beantragte die Klägerin unter der Bezeichnung „E“ beim Bundesamt für Finanzen – BfF – (seit dem 1. Januar 2006 Bundeszentralamt für Steuern – BZSt -) gemäß § 18 Abs. 9 des Umsatzsteuergesetzes – UStG – in Verbindung mit §§ 59 ff. der Umsatzsteuerdurchführungsverordnung – UStDV – erstmals die Vergütung von Vorsteuern für den Zeitraum Januar bis Dezember 2000 in Höhe von 50.960,07 DM. Als Geschäftsgegenstand gab sie den „Verkauf von Elektrizität“ an. Eintragungen in Abschnitt 9 Buchst. a) des Vordrucks enthält der Antrag nicht. Dem Antrag waren Rechnungen der G GmbH mit Sitz in H und eine Unternehmerbescheinigung – ausgestellt am 6. Dezember 2000 – beigefügt, die die Klägerin (E) als Umsatzsteuerpflichtige ausweist. Der Unternehmensgegenstand ist hier mit „Geschäftsführung Verträge elektrische Lieferung“ angegeben. Auf Nachfrage des BfF teilte die Klägerin, nunmehr unter der Bezeichnung „E1“, die Namen und Anschriften der Leistungsempfänger im Inland, die mit Strom beliefert worden waren, unter Beifügung der diesbezüglichen Ausgangsrechnungen mit.

9Bis Februar 2002 reichte die Klägerin beim BfF Vorsteuervergütungsanträge für die Zeiträume 01-06/2001 in Höhe von 155.201,58 €, 07-09/2001 in Höhe von 222.811,41 € und 10-12/2001 in Höhe von 124.552,60 € ein. Auch diese Anträge enthalten in Abschnitt 9 Buchst. a) keine Eintragungen. Die geltend gemachten Vorsteuerbeträge betreffen Netznutzungsgebühren, die deutsche Netzbetreiber in Rechnung gestellt hatten.

10Mit Bescheid vom 4. Juli 2002 setzte das BfF die Vergütung für den Zeitraum Januar bis Dezember 2000 zunächst wie beantragt fest.

11Ebenfalls am 4. Juli 2002 lehnte das BfF eine Vergütung für die Zeiträume des Jahres 2001 ab. Zur Begründung führte es aus, die Klägerin habe bei Stromlieferanten Strom eingekauft und diesen direkt an deutsche Abnehmer liefern lassen. Der Ort der Lieferung bestimme sich nach § 3 Abs. 7 UStG. Stromlieferungen würden an dem Ort bewirkt, an dem sie im Zähler (Übergabepunkt) registriert würden. Daher seien im Inland steuerpflichte Lieferungen bewirkt worden, die der Anwendung des Vorsteuer-Vergütungsverfahrens entgegenstehen würden. Die Klägerin habe das allgemeine Besteuerungsverfahren beim Finanzamt J durchzuführen.

12Gegen den Ablehnungsbescheid legte die Klägerin Einspruch ein und trug vor, die Annahme, sie habe bei deutschen Stromlieferanten Strom eingekauft, gehe fehl. Tatsache sei, dass sie Strom aus Belgien zu ihren Kunden in Deutschland geliefert habe. Es handle sich damit um innergemeinschaftliche Lieferungen, die in Belgien (Beginn des Transports) und nicht in Deutschland steuerbar seien.

13Mit Schreiben vom 9. September 2002 übersandte die Klägerin – nach entsprechender Aufforderung durch das BfF – u.a. Kopien der Vereinbarungen über die Netznutzungsgebühren. Zugleich wies sie darauf hin, dass die Vereinbarungen über die Durchleitungsgebühren von der B, ihrer Partnerin in der stillen Gesellschaft E, mit den Netzbetreibern ausgehandelt worden seien. In den in Kopie eingereichten Rahmenverträgen, in welchen der jeweilige Netzbetreiber und B, letztere bezeichnet als Lieferant, die Belieferung von Kunden im Netz des Netzbetreibers mit elektrischer Energie regeln, wird die Klägerin als (weitere) Vertragspartnerin nicht genannt.

14Mit Schreiben vom 14. November 2002 teilte das BfF mit, dass die Einsprüche seiner Ansicht nach keine Aussicht auf Erfolg hätten. Die Klägerin trete als sog. Innengesellschaft (stille Gesellschaft) nicht nach außen auf; sie sei daher keine Unternehmerin im Sinne des § 2 Abs. 1 UStG.

15Ebenfalls am 14. November 2002 erließ das BfF nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 der Abgabenordnung – AO – einen auf diese Begründung gestützten Änderungsbescheid, mit dem die Vergütung für den Zeitraum Januar bis Dezember 2000 auf Null DM festgesetzt wurde und gegen den die Klägerin am 16. Dezember 2002 ebenfalls Einspruch einlegte.

16Mit Einspruchsentscheidungen vom 4. Mai 2004 wies das BfF die Einsprüche als unbegründet zurück. Zur Begründung berief es sich nunmehr nicht auf eine fehlende Unternehmereigenschaft der Klägerin, sondern wiederum darauf, dass die Klägerin im Inland steuerbare Umsätze (Stromlieferungen) getätigt habe, die der Anwendung des Vorsteuer-Vergütungsverfahrens entgegenständen.

17Mit der gegen diese Einspruchsentscheidungen erhobenen Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter.

18Zur Begründung führt die Klägerin zuletzt Folgendes aus:

19Entgegen der Rechtsansicht des Beklagten seien ihre Vorsteuervergütungsanträge nicht deshalb unwirksam, weil der Abschnitt 9 Buchst. a) des Vordrucks nicht ausgefüllt worden sei.

20Der Abschnitt 9 Buchst. a) des Vordrucks frage nach zwei Informationen. Zum einen habe der Antragsteller zu bestätigen, dass die Eingangsleistungen für die unternehmerischen Zwecke als Unternehmer verwendet worden seien. Diese Bestätigung der Verwendung der Eingangsleistungen für unternehmerische Zwecke sei auf dem Antragsformular bereits vorgedruckt. Eine solche Erklärung gebe der Antragsteller durch seine Unterschrift unter den Antrag mit ab. Zum anderen biete der Abschnitt 9 Buchst. a) zwei Zeilen Platz, um den konkreten Anlass der unternehmerischen Verwendung der Eingangsleistungen zu erläutern. Hier werde nur eine pauschale Erklärung abgefragt. Im Streitfall wäre die zutreffende Erläuterung in Abschnitt 9 Buchst. a) des Vordrucks „Lieferung von Strom“ gewesen. Eine entsprechende Erklärung habe sie, die Klägerin, in ihren Vorsteuervergütungsanträgen nicht abgegeben.

21Für die Wirksamkeit eines Vorsteuervergütungsantrags sei es aber nicht erforderlich, dass alle angefragten Angaben gemacht würden. Sofern die angefragte Information über das hinausgehe, was das Gesetz als Tatbestandsvoraussetzung vorsehe, sei die angefragte Angabe keine Wirksamkeitsvoraussetzung. Die pauschale Angabe des Anlasses der unternehmerischen Verwendung diene dazu, die Nachvollziehbarkeit der Angabe zu erhöhen. Auch ohne die Angabe würden jedoch alle Angaben vorliegen, aus denen sich ergebe, dass die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt seien. Selbst wenn sie, die Klägerin, die geforderte Angabe nicht gemacht hätte, würde dies die Wirksamkeit des Antrages nicht berühren.

22Ihre Anträge hätten jedoch auch ohne die Angabe in Abschnitt 9 Buchst. a) den Erklärungswert, dass die Eingangsleistungen für die Lieferung von Strom verwandt worden seien. Die einzige Geschäftstätigkeit der Klägerin bestehe in der Lieferung von Strom. Dies habe sie in Zeile 2 der Vorsteuervergütungsanträge so auch erklärt. Zudem sei in der Zeile 2 der Anlage zu den Vorsteuervergütungsanträgen fast ausschließlich die Eingangsleistung mit „Durchleitung von Strom“ angegeben worden. Diese Angaben hätten den konkludenten Erklärungswert, dass die Eingangsleistungen anlässlich von Stromlieferungen bezogen worden seien.

23Die Annahme eines solchen Erklärungswertes werde auch dadurch belegt, dass der Beklagte den Antrag auf Vorsteuervergütung für das Jahr 2000 zunächst gewährt habe, den Antrag demnach für schlüssig gehalten habe.

24Im Übrigen ergebe eine systematische sowie verfassungs- und europarechtskonforme Auslegung der maßgeblichen Regelungen, dass die fehlende Angabe des Anlasses der unternehmerischen Verwendung der Eingangsleistungen nicht zur Unwirksamkeit des Antrags führe.

25Entgegen der Rechtsansicht des Beklagten seien die Eingangsleistungen ihr, der Klägerin, zuzurechnen. Sie sei zivilrechtlich eine nicht rechtsfähige Gesellschaft. Aufgrund der fehlenden Rechtsfähigkeit sei es ihr nicht möglich, Verträge allein im eigenen Namen abzuschließen. Die Rechtsfähigkeit sei für die umsatzsteuerliche Qualifikation als Unternehmer aber auch nicht erforderlich. Entscheidend sei vielmehr, dass sie bei den Verträgen über die Lieferung von Strom an Endkunden ganz überwiegend bereits bei Vertragsschluss gegenüber den Leistungsempfängern als leistender Unternehmer aufgetreten sei. Soweit dies nicht in den Rahmenverträgen zum Ausdruck komme, seien die entsprechenden Rahmenverträge auf sie, die Klägerin, übergeleitet und die Leistungsempfänger hierüber informiert worden. Fortan sei sie gegenüber den Endkunden als leistender Unternehmer aufgetreten. Entsprechend sei die Abrechnung der Leistungen durch sie erfolgt. Die Rahmenverträge mit den Netzbetreibern seien teilweise von der B abgeschlossen worden. Gegenüber den Netzbetreibern sei jedoch der Bezug der Leistungen steuerlich für sie, die Klägerin, offen gelegt worden. Daher hätten die Netzbetreiber ihre Rechnungen an sie adressiert. Außerdem seien auch die entsprechenden Zahlungen von dem Bankkonto, welches auf ihren Namen geführt worden sei, überwiesen worden. Sie, die Klägerin, sei daher auch Leistungsempfängerin der Eingangsleistungen gewesen.

26Die vom Beklagten angesprochene unterschiedliche vertragliche Ausgestaltung in den Streitjahren beruhe auf einem veränderten Vorgehen bei der Akquisition auf dem deutschen Strommarkt. So sei tatsächlich die B als ihre Beauftragte für sie tätig geworden und habe in ihrem Namen Eingangsleistungen erworben. Die F SA sei wiederum von der B beauftragt gewesen, diese zu vertreten und Eingangsleistungen im Namen der Klägerin zu vereinbaren. Die Beauftragten hätten gegenüber den Netzbetreibern deutlich gemacht, dass – abweichend vom Zivilrecht – die Leistungen steuerlich für sie, die Klägerin, bezogen würden. Die Bevollmächtigten seien hierfür gegenüber den Netzbetreibern steuerlich im Namen der Klägerin aufgetreten. Nur weil ihre Beauftragten in ihrem Namen aufgetreten seien, hätten die Netzbetreiber die Rechnungen auch an sie, die Klägerin, adressiert.

27Die Klägerin beantragt,

28

  • 291 den Änderungsbescheid vom 14. November 2002 betreffend den Vergütungszeitraum 01-12/2000 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 4. Mai 2004 aufzuheben,
  • 302 die Ablehnungsbescheide vom 4. Juli 2002 betreffend die Vergütungszeiträume 01-06/2001, 07-09/2001, 10-12/2001, jeweils in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 4. Mai 2004, mit der Maßgabe abzuändern, dass die Vergütung für die Zeiträume

31

01-06/2001 auf 155.201,58 Euro,
07-09/2001 auf 222.811,41 Euro sowie
10-12/2001 auf 124.552,60 Euro

32festgesetzt wird und

33

  • 343 die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren für notwendig zu erklären.

35Der Beklagte beantragt,

36die Klage abzuweisen.

37Zur Begründung trägt der Beklagte zuletzt Folgendes vor:

38Nach der ergänzenden Sachverhaltsaufklärung durch die Klägerin gehe er, der Beklagte, nunmehr davon aus, dass die Klägerin in den streitigen Jahren im Inland keine schädlichen Umsätze bewirkt habe.

39Dennoch seien die geltend gemachten Vorsteuerbeträge nicht vergütungsfähig.

40Mangels ordnungsgemäßer Eintragungen in Abschnitt 9 Buchst. a) lägen bereits keine wirksamen Vorsteuervergütungsanträge vor. Entgegen der Rechtsauffassung der Klägerin seien die Angaben im Abschnitt 9 Buchst. a) des Vordrucks nicht bereits dann ordnungsgemäß erklärt, wenn der Vordrucktext nicht ergänzt worden sei. Vielmehr sei in Abschnitt 9 Buchst. a) des Vordrucks anzugeben, aus welchem Anlass die in der Anlage zum Vergütungsantrag aufgeführten Gegenstände oder sonstigen Leistungen verwendet worden seien. Dies ergebe sich bereits aus den gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben. Das Muster des Vergütungsantrags im Anhang A der Achten Richtlinie (79/1072/EWG) sehe nämlich zwei Leerzeilen zur Eintragung der erforderlichen Angaben vor. Hierbei handele es sich um die Mindestanforderungen für einen ordnungsgemäßen Vergütungsantrag, die für dessen Wirksamkeit erforderlich seien. Im vorliegenden Fall wäre die Angabe zum Verwendungszweck auch deshalb notwendig gewesen, weil die Klägerin teilweise Vorsteuern aus Leistungen beantrage, die aufgrund von Verträgen mit Dritten und nicht mit der Klägerin erbracht worden seien. Denn aufgrund des Umstandes, dass lediglich Verträge zwischen dem Leistungserbringer und einem Dritten vorlägen, wäre die Erklärung der Klägerin, dass die Leistungen für ihre Zwecke als Unternehmerin verwendet worden seien, um so mehr erforderlich gewesen.

41Die beantragte Vorsteuervergütung sei im Übrigen auch deshalb nicht zu gewähren, weil ein Großteil der für die Vergütungszeiträume Juli bis September und Oktober bis Dezember 2001 eingereichten Rechnungen auf Verträgen beruhe, die nicht die Klägerin selbst geschlossen habe. Vertragspartner der jeweiligen Leistungserbringer seien z.B. die B oder die F SA gewesen. Auch wenn die Klägerin als nicht rechtsfähiger Zusammenschluss keine Verträge eingehen könne, folge hieraus nicht, dass die von den Leistungserbringern mit der B und der F SA abgeschlossenen Verträge der Klägerin als Leistungsempfängerin zuzurechnen seien. Die Klägerin könne nur für Leistungen aus solchen Verträgen als Leistungsempfängerin angesehen werden, aus denen hervorgehe, dass diese im Rahmen der geschlossenen Liefergemeinschaft eingegangen worden seien, d.h. im Namen der B und der A mit dem jeweiligen Leistungserbringer geschlossen worden seien. Eine solche Vertragsgestaltung sei jedoch nur in manchen Fällen gewählt worden. Auch die Rechnungserteilung an die Klägerin genüge für eine Annahme, dass auch die A in den Vertrag miteinbezogen und die Klägerin somit als Leistungsempfängerin anzusehen sei, nicht. Insbesondere sei hieraus nicht erkennbar, wann und inwieweit dem Leistungserbringer offengelegt worden sei, dass die Leistungen an die Klägerin und nicht allein an die B hätten erfolgen sollen.

42Entscheidungsgründe

43I. Die Klage ist unbegründet.

44Die Ablehnungsbescheide vom 4. Juli 2002 und vom 14. November 2002 in Gestalt der Einspruchsentscheidungen vom 4. Mai 2004 sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 101 Satz 1 Finanzgerichtsordnung – FGO -).

45Der Beklagte hat die von der Klägerin beantragte Vorsteuervergütung nach § 18 Abs. 9 UStG in Verbindung mit §§ 59 ff. UStDV in den jeweils für die Vergütungszeiträume 2000 und 2001 geltenden Fassungen zu Recht abgelehnt.

46Im Hinblick auf den Vergütungszeitraum 2000 hat der Beklagte den am 4. Juli 2002 zunächst erlassenen Vergütungsbescheid durch den mit der Klage angefochtenen Bescheid vom 14. November 2002 gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO zu Recht geändert, da dem Beklagten erst nachträglich bekannt wurde, dass die Klägerin hinsichtlich der geltend gemachten Vorsteuerbeträge nicht vorsteuerabzugsberechtigt war (vgl. unter 1.).

47Bezüglich der Vergütungszeiträume 01-06/2001, 07-09/2001 und 10-12/2001 kann offen gelassen werden, ob bzw. inwieweit die Klägerin hinsichtlich der geltend gemachten Vorsteuerbeträge nach § 18 Abs. 9 Satz 1 UStG 2001 i.V.m. § 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG 2001 vorsteuerabzugsberechtigt war. Denn die Klägerin hat jedenfalls wegen der fehlenden Eintragungen in Abschnitt 9 Buchst. a) der amtlichen Vordrucke für den Vergütungsantrag innerhalb der Ausschlussfrist des § 18 Abs. 9 Satz 3 UStG 2001 keine wirksamen Vergütungsanträge gestellt (vgl. unter 2.).

481. Gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO sind Steuerbescheide aufzuheben oder zu ändern, soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer höheren Steuer führen.

49a)  Tatsache i. S. von § 173 Abs.1 Nr. 1 AO ist dabei jeder Lebensvorgang, der insgesamt oder teilweise den gesetzlichen Steuertatbestand oder ein einzelnes Merkmal dieses Tatbestandes erfüllt. Hierunter fallen Zustände, Vorgänge, Beziehungen und Eigenschaften materieller und immaterieller Art (ständige BFH-Rechtsprechung, vgl. z. B. BFH-Urteile vom 5. August 2004 VI R 90/02, BFH/NV 2005, 501 und vom 30. Oktober 2003 III R 24/02, BStBl II 2004, 394).

50Die objektive Beweislast (Feststellungslast) für die tatsächlichen Voraussetzungen des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO trägt dabei zwar grundsätzlich die beklagte Behörde (vgl. BFH-Urteil vom 6. Dezember 1994 IX R 11/91, BStBl II 1995, 192). Vor einer Entscheidung nach den Regeln der Feststellungslast ist jedoch vorrangig regelmäßig der entscheidungserhebliche Sachverhalt aufzuklären oder, soweit dies nicht gelingt, eine Reduzierung des Beweismaßes unter Berücksichtigung von Mitwirkungspflichtverletzungen vorzunehmen. Das ausreichende Beweismaß kann sich dabei auf eine „größtmögliche Wahrscheinlichkeit“ verringern (BFH-Urteil vom 23. März 2011 X R 44/09, BFHE 233, 297, BStBl II 2011, 884, m.w.N.).

51Die Grundsätze über eine Reduzierung des Beweismaßes gelten für sämtliche Tatsachenfeststellungen, insbesondere auch für die Feststellung, ob die tatsächlichen Voraussetzungen für die Anwendung der Korrekturvorschrift des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO erfüllt sind (BFH-Urteil vom 23. März 2011 X R 44/09, a.a.O., m.w.N.).

52b) Auf der Grundlage dieser Rechtsprechung des BFH hat der erkennende Senat im Streitfall unter Zugrundelegung eines reduzierten Beweismaßes die Überzeugung gewonnen (§ 96 Abs. 1 Satz 1 FGO), dass die Tatbestandsvoraussetzungen des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO für eine Änderung des zunächst erlassenen Vergütungsbescheids vom 4. Juli 2002 vorliegen.

53aa) Die Reduktion des maßgeblichen Beweismaßes auf eine „größtmögliche Wahrscheinlichkeit“ ist im Streitfall gerechtfertigt, da der entscheidungserhebliche Sachverhalt aufgrund von Mitwirkungspflichtverletzungen der Klägerin nicht vollständig aufgeklärt werden konnte. Die Klägerin hat im Hinblick auf die streiterhebliche Frage, ob sie im Vergütungszeitraum 2000 umsatzsteuerrechtlich Leistungsempfängerin der vom Netzbetreiber, der G GmbH, erbrachten sonstigen Leistungen war, lediglich ein an die B gerichtetes Schreiben der G GmbH vom 23. Dezember 1999, das Antwortschreiben der B vom 27. Dezember 1999 sowie eine an die „E1“ gerichtete Rechnung der G GmbH vom 9. August 2001 vorgelegt. Weitere Nachweise, insbesondere einen zwischen ihr, der Klägerin, und der G GmbH bestehenden Rahmenvertrag über die Durchleitung von Strom im Netz der G-GmbH hat die Klägerin trotz entsprechender Aufforderungen durch den Beklagten und durch den Berichterstatter (vgl. z.B. Aktenvermerk vom 13. Januar 2011, Gerichtsakte, S. 542, 543) nicht bei Gericht eingereicht.

54bb) Unter Zugrundelegung des reduzierten Beweismaßes ist dem beklagten BZSt im Streitfall erst nachträglich bekannt geworden, dass die Klägerin hinsichtlich der für den Vergütungszeitraum 2000 geltend gemachten Vorsteuerbeträge nach § 18 Abs. 9 Satz 1 UStG 2000 i.V.m. § 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG 2000 nicht vorsteuerabzugsberechtigt war.

55(1) Nach § 18 Abs. 9 Satz 1 des UStG 2000 kann zur Vereinfachung des Besteuerungsverfahrens das Bundesministerium der Finanzen mit Zustimmung des Bundesrates durch Rechtsverordnung die Vergütung der Vorsteuerbeträge (§ 15 UStG 2000) an im Ausland ansässige Unternehmer, abweichend von § 16 und von § 18 Abs. 1 bis 4 UStG 2000, in einem besonderen Verfahren regeln. Von dieser Ermächtigung hat der Verordnungsgeber in §§ 59 ff. der UStDV 2000 Gebrauch gemacht.

56Die Anwendbarkeit des Vorsteuer-Vergütungsverfahren nach § 18 Abs. 9 Satz 1 UStG 2000 setzt damit im Grundsatz voraus, dass die in der Rechnung i.S. des § 14 UStG 2000 gesondert ausgewiesene Steuer für Lieferungen oder sonstige Leistungen als Vorsteuer nach § 15 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 UStG 2000 abzugsfähig ist (vgl. BFH-Urteil vom 10. April 2003, V R 35/01, BStBl II 2003, 782).

57Gemäß § 15 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 UStG 2000 kann ein Unternehmer die ihm in Rechnungen im Sinne des § 14 gesondert ausgewiesene Steuer für Lieferungen oder sonstige Leistungen, die von anderen Unternehmern für sein Unternehmen ausgeführt worden sind, als Vorsteuerbetrag abziehen.

58Vorsteuerabzugsberechtigt ist demnach nur der Leistungsempfänger (vgl. § 14 Abs. 1 Nr. 2 UStG 2000). Dies ist regelmäßig derjenige, der aus dem schuldrechtlichen Vertragsverhältnis, welches dem Leistungsaustausch zugrunde liegt, berechtigt und verpflichtet ist (vgl. ständige Rechtsprechung des BFH, z.B. BFH-Urteil vom 1. Oktober 1998 V R 31/98, BFHE 187, 78, BStBl II 2008, 497 m.w.N.).

59(2) Im Streitfall ergibt sich aus den von der Klägerin erst nach dem Vergütungsbescheid vom 4. Juli 2002 für den Vergütungszeitraum Januar bis Dezember 2000 beim Beklagten eingereichten Unterlagen aber mit größtmöglicher Wahrscheinlichkeit, dass in diesem Vergütungszeitraum nicht die Klägerin, sondern vielmehr die B aus einem Rahmenvertrag über die Durchleitung von Strom mit dem Netzbetreiber, der G GmbH, berechtigt und verpflichtet war.

60α) Das von der Klägerin zum Nachweis des Abschlusses eines Rahmenvertrags mit der G GmbH vorgelegte Schreiben der G GmbH vom 23. Dezember 1999 mit dem Betreff „Durchleitung für K“ war an die B und nicht an die Klägerin gerichtet. Das Antwortschreiben vom 27. Dezember 1999 trägt ebenfalls nur den Briefkopf der B. Außerdem ist zwischen der Grußformel des Schreibens – „Mit freundlichen Grüßen“ – und den Unterschriften der Herren L und N wieder nur die B als Absender des Schreibens genannt. Ein Hinweis darauf, dass die Klägerin und nicht etwa die B Vertragspartner der G GmbH sein soll, fehlt in beiden Schreiben.

61Aufgrund dieser beiden Schreiben lässt sich daher mit größtmöglicher Wahrscheinlichkeit folgern, dass das Vertragsverhältnis über die Durchleitung von Strom für den Endkunden K GmbH ab dem 1. Januar 2000 bzw. 1. Februar 2000 zwischen der G GmbH und der B zustande kam.

62β) Gegen diese Schlussfolgerung spricht auch nicht die von der Klägerin eingereichte Rechnung der G GmbH vom 9. August 2001. Zwar ist diese Rechnung an die „E1“ gerichtet. Ohne weitere Nachweise kann aus dieser Rechnungserteilung allein aber keinesfalls geschlossen werden, dass bereits im streitigen Vergütungszeitraum 2000 ein Vertragsverhältnis zwischen der G GmbH und der Klägerin bestand.

63γ) Für die obige Schlussfolgerung spricht im Übrigen auch der eigene Sachvortrag der Klägerin.

64Nach diesem Vortrag seien zwar die B und die F SA als Beauftragte für sie, die Klägerin, tätig geworden und hätten in ihrem Namen die Eingangsleistungen erworben. Jedoch hätten die Beauftragten gegenüber den Netzbetreibern deutlich gemacht, dass – abweichend vom Zivilrecht – die Leistungen steuerlich für sie, die Klägerin, bezogen würden. Die Beauftragten seien hierfür gegenüber den Netzbetreibern steuerlich im Namen der Klägerin aufgetreten.

65Auch dieser Vortrag zeigt, dass aus den schuldrechtlichen Vertragsverhältnissen mit den Netzbetreibern nicht die Klägerin berechtigt und verpflichtet werden sollte. Wenn man den Vortrag der Klägerin als wahr unterstellt, sollten wohl lediglich die „steuerliche Abwicklung“ und die Geldflüsse über sie erfolgen.

66δ) Entgegen der Rechtsansicht der Klägerin ist sie im Hinblick auf die Leistungen der G GmbH auch nicht allein deshalb als Leistungsempfängerin anzusehen, weil es sich bei ihr – so die Klägerin – um eine in Belgien zivilrechtlich nicht rechtsfähige Gesellschaft gehandelt habe.

67Dabei kann offen bleiben, ob der Vortrag der Klägerin zu ihrer fehlenden zivilrechtlichen Rechtsfähigkeit in Belgien überhaupt zutreffend ist. Denn auch wenn dieser Hinweis zuträfe, ergäbe sich vorliegend keine andere Rechtsfolge.

68Nach Auffassung des Senats kann bei der umsatzsteuerrechtlichen Beurteilung des Einwands der Klägerin auf die Rechtsprechung des BFH zu zivilrechtlich nicht rechtsfähigen Gemeinschaften zurückgegriffen werden.

69Sind mehrere Personen als Mitglieder einer Gemeinschaft Auftraggeber einer Leistung, so werden nach dieser Rechtsprechung des BFH bei fehlender Rechtsfähigkeit der Gemeinschaft zivilrechtlich zwar die einzelnen Gemeinschafter nach §§ 420 432 Bürgerliches Gesetzbuch – BGB – Gläubiger der zu erbringenden Leistung. Umsatzsteuerrechtlich kommt im Grundsatz allerdings eine davon abweichende Beurteilung deswegen in Betracht, weil eine Gemeinschaft trotz ihrer fehlenden zivilrechtlichen Rechtsfähigkeit Unternehmer i.S. des § 2 Abs. 1 UStG 2000 sein kann (BFH-Urteile vom 25. März 1993 V R 42/89, BFHE 172, 134, BStBl II 1993, 729 und vom 9. September 1993 V R 63/89, BFH/NV 1994, 589).

70Sind in einem solchen Fall nur die Gemeinschafter unternehmerisch tätig, so sind sie – entsprechend der zivilrechtlichen Rechtslage – Leistungsempfänger i.S. des § 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG 2000. Sind demgegenüber sowohl die Gemeinschaft als auch die Gemeinschafter Unternehmer, muss festgestellt werden, ob die Gemeinschaft oder der Gemeinschafter den Vorsteuerabzug aus dem fraglichen Leistungsbezug beanspruchen kann. Denn der Vorsteuerabzug kann nicht beiden Unternehmern gleichzeitig zustehen (BFH-Urteile vom 1. Oktober 1998 V R 31/98, a.a.O., und vom 19. Dezember 1991 V R 35/87, BFH/NV 1992, 569).

71Wenn man diese Rechtsprechungsgrundsätze auf den Streitfall überträgt, müsste selbst für den Fall, dass die Klägerin bereits im streitigen Vergütungszeitraum 2000 Unternehmerin i.S. des § 2 Abs. 1 UStG 2000 war, festgestellt werden, ob sie als „Gemeinschaft“ oder aber die B als einer ihrer „Gemeinschafter“ den Vorsteuerabzug beanspruchen kann. In diesem Zusammenhang wäre nach Überzeugung des Senats aber wiederum darauf abzustellen, dass gegenüber dem Netzbetreiber, der G GmbH, nach den von der Klägerin vorgelegten Unterlagen (vgl. oben unter Punkt α)) allein die B als Vertragspartner aufgetreten ist. Die G GmbH musste demnach unter Berücksichtigung und richtiger Würdigung aller ihr im streitigen Vergütungszeitraum 2000 bekannten Umstände die B für den Leistungsempfänger halten.

722. Die Klägerin hat innerhalb der Ausschlussfrist nach § 18 Abs. 9 Satz 3 UStG 2001 keine wirksamen Vergütungsanträge für die Vergütungszeiträume 01-06/2001, 07-09/2001 und 10-12/2001 gestellt, weil Eintragungen in Abschnitt 9 Buchst. a) der amtlichen Vordrucke fehlen.

73a) Das Bundesministerium der Finanzen hat auf der Grundlage der nach § 18 Abs. 9 Satz 1 UStG 2001 eingeräumten Ermächtigung u.a. in § 61 Abs. 1 UStDV 2001 bestimmt, dass der Unternehmer die Vergütung nach amtlich vorgeschriebenem Vordruck beim Bundeszentralamt für Steuern oder bei dem nach § 5 Abs. 1 Nr. 8 Satz 2 des Finanzverwaltungsgesetzes zuständigen Finanzamt zu beantragen hat.

74Gemäß § 18 Abs. 9 Satz 3 UStG 2001 ist der Vergütungsantrag binnen sechs Monaten nach Ablauf des Kalenderjahres zu stellen, in dem der Vergütungsanspruch entstanden ist. Hierbei handelt es sich um eine nicht verlängerbare Ausschlussfrist (vgl. BFH-Urteil vom 21. Oktober 1999 V R 76/98, BFHE 190, 239, BStBl II 2000, 214; Stadie in Rau/Dürrwächter/Flick/Geist, Umsatzsteuergesetz, § 18 UStG Rz. 881.2 m.w.N.).

75b) Vorliegend lief diese Frist am 30. Juni 2002 ab, da die Klägerin einen Vergütungsanspruch aus Rechnungen aus dem Jahre 2001 geltend macht.

76Innerhalb dieser Frist hat es die Klägerin versäumt, formwirksame Vergütungsanträge zu stellen. Die beim Beklagten bis Februar 2002 eingegangenen Anträge für die Vergütungszeiträume 01-06/2001, 07-09/2001 und 10-12/2001 enthalten nicht alle für einen ordnungsgemäßen Vergütungsantrag erforderlichen Erklärungen. Insoweit fehlen in den Vergütungsanträgen die notwendigen Angaben in Abschnitt 9 Buchst. a) des amtlich vorgeschriebenen Vordrucks.

77aa) Die Klägerin hat im amtlichen Vordruck keine Angaben in Abschnitt 9 Buchst. a) dazu gemacht, für welche Zwecke des Unternehmens sie die aufgeführten Gegenstände und sonstigen Leistungen verwendet hat.

78bb) Ohne die Angaben in Abschnitt 9 Buchst. a) des Vordrucks ist ein Vergütungsantrag unwirksam, da er nicht alle vorgesehenen entscheidungserheblichen Angaben und Erklärungen enthält und damit nicht den gesetzlichen Anforderungen entspricht.

79(1) Durch die Angaben in Abschnitt 9 des Vergütungsantrags soll – wie auch durch die übrigen inhaltlichen Anforderungen – sichergestellt werden, dass der innerhalb der Ausschlussfrist einzureichende Antrag alle Angaben enthält, die für die Entscheidung der Finanzbehörde im Regelfall entscheidungserheblich sind. Eine Prüfung des Vergütungsantrags muss grundsätzlich anhand der Angaben im Antragsformular selbst möglich sein. Insoweit genügt ein Verweis auf die sonstigen Angaben im Antrag oder die dem Antrag beigefügten Rechnungen gerade nicht.

80(2) Der BFH (Urteil vom 21. Oktober 1999 V R 76/98, BFHE 190, 239, BStBl II 2000, 214) hat für den Fall, dass ein Vorsteuervergütungsantrag entgegen der Vorgabe im amtlichen Vordruck nicht die nach Abschnitt 9 Buchst. c) erforderliche Verpflichtungserklärung des Unternehmers enthielt, jeden unrechtmäßig empfangenen Betrag zurückzuzahlen, entschieden, dass ein solcher Antrag unwirksam ist.

81(3) Entsprechendes gilt auch für den Fall, dass die Angaben zu Abschnitt 9 Buchst. a) des amtlichen Vordrucks fehlen bzw. die im Vordruck vorgesehenen Formularfelder nicht ausgefüllt wurden. Auch diese Erklärungen sind für die Entscheidung über die beantragte Vorsteuervergütung erheblich.

82(α) Die Erklärung in Abschnitt 9 Buchst. a) des amtlichen Vordrucks dient der Darlegung, dass die fraglichen Lieferungen und sonstigen Leistungen von anderen Unternehmern für das Unternehmen des Antragstellers ausgeführt worden sind (vgl. § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG 2001). Denn die Vergütung von Vorsteuerbeträgen erfordert als allgemeine materiell-rechtliche Voraussetzung für den Vorsteuerabzug, dass die geltend gemachten Vorsteuerbeträge überhaupt gemäß § 15 UStG abziehbar sind. Im Zweifelsfall hat der antragstellende Unternehmer diese Voraussetzungen nachweisen.

83Zunächst lässt sich bereits daran zweifeln, ob bei fehlender Eintragung in Abschnitt 9 Buchst. a) überhaupt eine entsprechende Erklärung zur Verwendung der erhaltenen Gegenstände bzw. sonstigen Leistungen für Zwecke des Unternehmens abgegeben wurde. Aus der Formulierung im Vordruck ergibt sich bereits grammatikalisch, dass der Satz nach dem Wort „anlässlich“ einer Ergänzung bedarf. Ohne einen Eintrag des „Anlasses“ ist der Satz und damit die Erklärung zu Abschnitt 9 Buchst. a) jedenfalls unvollständig.

84Soweit man ohne weitere Eintragungen in Abschnitt 9 Buchst. a) zumindest eine Erklärung des antragstellenden Unternehmens dahingehend, dass die Lieferungen oder sonstigen Leistungen unternehmerischen Zwecken dienten, erkennen mag, genügt diese allgemeine Angabe aber nicht. Indem im amtlichen Vordruck nach dem Wort „anlässlich“ Raum für ergänzende Eintragungen vorgesehen ist, wird gerade deutlich, dass der Gesetzgeber die allgemeine Erklärung, dass die Dienstleistungen oder Güter für unternehmerische Zwecke in Anspruch genommen bzw. bezogen wurden, nicht für ausreichend erachtet hat, sondern vielmehr die Vorsteuervergütung von weiteren Angaben abhängig machen wollte. Aufgrund der im amtlichen Formular vorgesehen Erklärung sollte der Antragsteller auch die Angaben zur konkreten Tätigkeit im Inland, bei welcher die geltend gemachten Vorsteuerbeträge angefallen sind, mit seiner Unterschrift bestätigen. Die Angaben in Abschnitt 9 Buchst. a) sind auch erforderlich, um der Finanzverwaltung effektive Überprüfungsmöglichkeiten bzgl. der Voraussetzungen für den Vorsteuervergütungsanspruch zu eröffnen. Hierzu bedarf es konkreter Angaben zum Anlass der vom Antragsteller im Inland in Anspruch genommenen Dienstleistungen oder bezogenen Güter.

85(β) Diese Auslegung entspricht auch den gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben.

86Für Antragsteller, die wie die Klägerin in einem Mitgliedstaat der EU ansässig sind, ist insoweit die Achte Richtline des Rates vom 6. Dezember 1979 (79/1072/EWG, ABl. EG Nr. L 331/1979, 11, – Achte Richtlinie -) maßgeblich.

87Das der Achten Richtline im Anhang A beigefügte Muster eines Vergütungsantrags enthält in Abschnitt 9 Buchst. a) die auch im deutschen Vordruck enthaltenen Erklärungen des Antragstellers. Im Anhang C sind des Weiteren Mindestinformationen, die in die Erläuterung aufzunehmen sind, aufgeführt. Unter Punkt F. wird dabei ausgeführt, dass der Antragsteller unter Nr. 9 Buchstabe a) des Formulars die Art der Tätigkeit oder des Gewerbezweigs anzugeben hat, für die er die Güter erworben bzw. die Leistungen erbracht hat, auf die sich der Antrag auf Steuervergütung bezieht. Beispielhaft sind erwähnt „Beteiligungen an der Ausstellung  … in … vom … bis …, Stand Nr.“; „grenzüberschreitende Güterbeförderung von … nach … am …“. Dies spricht dafür, dass die Mitgliedstaaten gemeinschaftsrechtlich verpflichtet sind, die Erstattung der geltend gemachten Vorsteuerbeträge vom Vorliegen der entsprechenden Erklärungen des Antragstellers abhängig zu machen (s.a. BFH-Urteil vom 21. Oktober 1999 V R 76/98, BFHE 190, 239, BStBl II 2000, 214 zur nach Abschnitt 9 Buchst. c) erforderlichen Verpflichtungserklärung).

88cc) Entgegen der Rechtsansicht der Klägerin kann nach den obigen Grundsätzen die notwendige Erklärung in Abschnitt 9 Buchst. a) im Streitfall auch nicht durch andere Angaben in den streitigen Vergütungsanträgen bzw. in den Anlagen zu diesen Anträgen ersetzt werden.

89(1) Die Angabe der allgemeinen Geschäftstätigkeit der Klägerin in Zeile 2 der streitigen Vergütungsanträge mit der Eintragung „Verkauf von Elektrizität“ kann die durch Unterschrift zu bestätigende und vom Beklagten konkret nachprüfbare Erklärung, dass die Dienstleistungen der inländischen Netzbetreiber von der Klägerin tatsächlich anlässlich von Stromlieferungen an inländische Endkunden in Anspruch genommen wurden, nicht ersetzen. Das gleiche gilt auch für die in Zeile 2 der Anlagen zu den Vergütungsanträgen enthaltene Bezeichnung der Eingangsleistung – „Durchleitung von Strom“ -.

90(2) Im Übrigen weist der Beklagte in diesem Zusammenhang zutreffend darauf hin, dass die durch Unterschrift zu bestätigende Erklärung in Abschnitt 9 Buchst. a) gerade im Streitfall für die hinreichende Darlegung, dass die inländischen Netzbetreiber sonstige Leistungen für das Unternehmen der Klägerin ausgeführt haben und die Klägerin daher nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 1 UStG 2001 zur Geltendmachung der Vorsteuerbeträge berechtigt ist, erforderlich gewesen wäre. Denn die meisten von der Klägerin zum Nachweis ihrer Vorsteuerabzugsberechtigung eingereichten Rahmenverträge mit den inländischen Netzbetreibern weisen nicht die Klägerin sondern vielmehr die B bzw. die F SA als Vertragspartner und somit umsatzsteuerrechtliche Leistungsempfänger aus.

91c) Der Klägerin ist im Hinblick auf die versäumte Ausschlussfrist nach § 18 Abs. 9 Satz 3 UStG 2001 auch keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 110 AO zu gewähren.

92aa) War jemand ohne Verschulden verhindert, eine gesetzliche Frist einzuhalten, so ist ihm nach § 110 Abs. 1 Satz 1 AO auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Das Verschulden eines Vertreters ist dem Vertretenen zuzurechnen (§ 110 Abs. 1 Satz 2 AO). Der Antrag ist innerhalb eines Monats nach Wegfall des Hindernisses zu stellen (§ 110 Abs. 2 Satz 1 AO). Die Tatsachen zur Begründung des Antrags sind bei der Antragstellung oder im Verfahren über den Antrag glaubhaft zu machen. Innerhalb der Antragsfrist ist die versäumte Handlung nachzuholen (§ 110 Abs. 2 Satz 3 AO). Ist dies geschehen, so kann Wiedereinsetzung auch ohne Antrag gewährt werden (§ 110 Abs. 2 Satz 4 AO). Nach einem Jahr seit Ende der versäumten Handlung kann die Wiedereinsetzung nicht mehr beantragt oder die versäumte Handlung nicht mehr nachgeholt werden, außer wenn dies vor Ablauf der Jahresfrist infolge höherer Gewalt unmöglich war (§ 110 Abs. 3 AO).

93bb) Im Streitfall ist eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand schon deshalb nicht möglich, weil seitens der Klägerin keine Gründe vorgetragen wurden und auch sonst keine Umstände ersichtlich sind, weshalb sie gehindert gewesen wäre, innerhalb der Ausschlussfrist bis zum 30. Juni 2002 ordnungsgemäße Vergütungsanträge einschließlich der Erklärungen zu Abschnitt 9 Buchst. a) einzureichen und dabei gerade die in den im Vordruck zur Ergänzung, Ausfüllung bzw. zum Ankreuzen vorgesehenen Feldern verlangten Eintragungen vorzunehmen. Gegen eine schuldlose Fristversäumnis spricht dabei insbesondere, dass auch für einen steuerrechtlichen Laien bei Lektüre des Antragsformulars klar sein muss, dass in Abschnitt 9 Buchst. a) Angaben gemacht werden müssen. Denn aus dem Wort „anlässlich“ und der folgenden Freizeile ergibt sich, dass der Satz einer Ergänzung bedarf.

94II. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.

95III. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 52, 63 des Gerichtskostengesetzes.

96IV. Die Revision zum Bundesfinanzhof war nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO mangels grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache nicht zuzulassen. Die Rechtsfrage, ob ein Antrag auf Vorsteuervergütung unwirksam ist, der nicht alle Angaben und Erklärungen enthält, die nach dem amtlichen Vordruck erforderlich sind, ist durch das BFH-Urteil vom  21. Oktober 1999 (V R 76/98, a.a.O.) bereits geklärt.

Einheitliche und gesonderte Feststellung von Besteuerungsgrundlagen: Fall von geringer Bedeutung, wenn Höhe und Aufteilung des festzustellenden Betrages feststehen

Finanzgericht Köln, 1 K 1585/10

Datum: 29.01.2013
Gericht: Finanzgericht Köln
Spruchkörper: 1. Senat
Entscheidungsart: Urteil
Aktenzeichen: 1 K 1585/10
Tenor:

Der Bescheid über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Grundlagen der Einkommensbesteuerung für das Jahr 1996 vom 30.10.2009 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 23.04.2010 wird aufgehoben.

Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte.

Die Revision wird zugelassen.

1Tatbestand2Die Kläger sind Geschwister. Sie unterhielten seit 1984 Gemeinschaftskonten bei der A Bank AG (in B, Lichtenstein) und erzielten erhebliche Zinseinkünfte, die sie nicht erklärten. Am 30.10.2008 erstatteten sie hierüber eine Selbstanzeige. In der nachfolgenden Steuerfahndungsprüfung kam es zu einer einvernehmlichen Schätzung der Zinseinnahmen für 1996 i.H.v. 140.000 DM sowie der Werbungskosten i.H.v. 7.000 DM. Dies wurde im Bericht der Steuerprüfung vom 18.8.2009 festgehalten.

3Daraufhin änderte der Beklagte mit Bescheid vom 17.9.2009 für das Streitjahr die Einkommensteuer entsprechend der einvernehmlichen Schätzung der Zinseinkünfte. Auch für die Folgejahre erfolgten entsprechende Änderungen. Auf den Einspruch der Kläger wurde der Bescheid für das Streitjahr 1996 aufgehoben. Am 30.10.2009 erließ der Beklagte einen Bescheid über die gesonderte und einheitliche Feststellung der Zinseinkünfte der Kläger entsprechend der einvernehmlichen Schätzung im Steuerfahndungsprüfungsverfahren und eine hälftige Aufteilung. Auf dieser Grundlage ergingen erneute Einkommensteuerbescheide.

4Gegen den Feststellungsbescheid erhoben die Kläger am 23.12.2009 Einspruch, über den der Beklagte am 23.4.2010 abschlägig entschied: Für die Feststellung sei Verjährung noch nicht eingetreten, da die Kläger für das Streitjahr keine Feststellungserklärung abgegeben hätten und die Verjährungsfrist deshalb erst mit Ablauf des dritten Jahres nach Ablauf des Jahres begonnen habe, das auf das Jahr der Entstehung der Steuer folgte, also mit Ablauf des Jahres 2000. Die Feststellung sei unstrittig erforderlich, nur aus technischen Gründen sei sie erst am 30.10.2009 zustande gekommen. Die Aufhebung der Einkommensteuerbescheide vom 17.9.2009 sei nur zur Behebung des Verfahrensmangels erfolgt.

5Hiergegen richtet sich die Klage vom 19.5.2010. Die Kläger tragen vor, ein Feststellungsbescheid sei nicht gerechtfertigt, da es sich um einen Fall geringer Bedeutung im Sinne von § 180 Abs. 3 Nr. 2 AO handele. Zudem hätten die Kläger aufgrund der Einkommensteuerbescheide vom 17.9.2009 darauf vertraut, dass der Beklagte auf eine Feststellung verzichte und der Steueranspruch deshalb verjährt sei. Dies Vertrauen verdiene Schutz.

6Die Kläger beantragen,

7den Bescheid über die gesonderte und einheitliche Feststellung der Besteuerungsgrundlagen 1996 vom 30.10.2009 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 23.4.2010 aufzuheben und dem Beklagten die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

8Der Beklagte beantragt,

9die Klage abzuweisen,

10hilfsweise die Zulassung der Revision.

11Er macht geltend, es liege kein Fall geringer Bedeutung vor. Maßgeblich sei nicht der einzelne Veranlagungszeitraum, sondern der “Steuerfall“ insgesamt, der sich vorliegend über etliche Jahre erstrecke, von denen mehrere noch im Streit stünden. Zudem dürfe auch für das Streitjahr nicht auf den Zeitpunkt nach Abschluss der Steuerfahndungsprüfung abgestellt werden. Maßgeblich sei vielmehr der Beginn und der Verlauf der Prüfung, worin große Unklarheit geherrscht habe, bis es schließlich zu der einvernehmlichen Schätzung gekommen sei. Der Verzicht auf eine Feststellung in derartigen Fällen wäre auch unpraktikabel, insbesondere wenn, anders als bei Eheleuten, verschiedene Veranlagungsbezirke im Finanzamt zuständig seien. Vertrauensschutz zu Gunsten der Kläger komme nicht in Betracht. Der Erlass der ursprünglichen Einkommensteuerbescheide habe auf einem technischen Versehen beruht. Die Feststellung sei als Grundlage für die Besteuerung von vornherein beabsichtigt gewesen.

12Entscheidungsgründe

13Die Klage ist begründet.

14Die angefochtenen Feststellungsbescheide sind rechtswidrig und verletzen die Kläger in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 S. 1 FGO).

15I.              Die Feststellung hätte nicht ergehen dürfen. Gegenstand sind zwar Einkünfte, an denen mehrere Personen, nämlich die Kläger, beteiligt sind (§ 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a AO), jedoch gilt die letztere Vorschrift nicht, wenn es sich um einen Fall geringer Bedeutung im Sinne von § 180 Abs. 3 Nr. 2 S. 1 AO handelt. Dies ist vorliegend der Fall. § 180 Abs. 3 Nr. 2 S. 1 AO nennt selbst den entscheidenden Gesichtspunkt zur Beurteilung eines Falles als von „geringer Bedeutung“: Er liegt insbesondere dann vor, wenn Höhe und Aufteilung des festgestellten Betrags feststehen. Dies war vorliegend zum Zeitpunkt des Erlasses des Feststellungsbescheids der Fall, da eine zwischen den Beteiligten einvernehmliche Schätzung der Einkünfte stattgefunden hatte und die hälftige Aufteilung problemlos und unstreitig war. Auslegungsleitend für die Frage der „geringen Bedeutung“ ist nicht die Höhe der Einkünfte, sondern die Frage ob die Gefahr abweichender Entscheidungen besteht, die einheitliche Feststellung also überflüssig und verfahrensunökonomisch wäre.

16Siehe hierzu und zu den folgenden Grundsätzen Tipke-Kruse AO (Loseblattkommentar) Rn. 50 zu § 180 AO sowie die Bundestagsdrucksache 10/1636, 46 (zitiert in Tipke-Kruse a.a.O. Rn. 49 zu § 180 AO).

17Indizien hierfür sind, dass die Besteuerungsgrundlagen bereits ermittelt sind und sich voraussichtlich nicht mehr verändern werden, dass die Verhältnisse leicht überschaubar sind und keine Zurechnungsprobleme bestehen, ferner die Zuständigkeit des Wohnsitzfinanzamts auch für die einheitliche Feststellung sowie Kurzfristigkeit. Gegenindizien sind insbesondere streitige Sach- und Rechtsfragen sowie die Zuständigkeit verschiedener Finanzämter.

18Siehe dazu Tipke-Kruse a.a.O. mit den Nachweisen der Rechtsprechung des BFH.

19Vorliegend sind die genannten Gegenindizien nicht gegeben, da durch die einvernehmliche Schätzung die vorher streitigen Sachfragen ausgeräumt wurden und der Beklagte sowohl für die Feststellung als auch für die Besteuerung beider Kläger zuständig ist. Die Indizien für „geringe Bedeutung“ sind hingegen überwiegend und im maßgeblichen Umfang erfüllt. Im Zeitpunkt des Ergehens des Feststellungsbescheids waren die Besteuerungsgrundlagen durch die einvernehmliche Schätzung ermittelt und werden sich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auch nicht mehr ändern. Zu diesem Zeitpunkt waren die Verhältnisse dementsprechend auch überschaubar. Zurechnungsprobleme haben nie bestanden. Das Element der Kurzfristigkeit, dass im BFH-Urteil vom 26.10.1971 VIIIR 137/70, BStBl II 1972,215 aufgeführt wird, mag vorliegend insofern fraglich sein, als es sich nicht um einen einzelnen Fall der Einkommensteuererzielung handelte, sondern die Einkünftegemeinschaft sich über mehrere Jahre erstreckte. Dem kommt nach Auffassung des Senats jedoch keine entscheidende Bedeutung zu, da die hier betroffenen und festgestellten Zinseinkünfte im überschaubaren Zeitraum des Streitjahres erzielt wurden. Hinzu kommt, dass die zitierte BFH-Entscheidung vor 1987 erging, also bevor der Gesetzgeber durch die Neufassung der Abgabenordnung die Gewichtung der Auslegung des Begriffs „geringe Bedeutung“ neu geregelt und klargestellt hatte.

20Der Senat folgt der Auffassung des Beklagten, es sei nicht auf das einzelne Steuerjahr, sondern auf den gesamten Steuerfall abzustellen, nicht. Im deutschen Einkommensteuerrecht gilt der Grundsatz der Abschnittsbesteuerung. Dementsprechend erließ der Beklagte auch für jedes einzelne Steuerjahr je gesonderte Feststellungsbescheide. Deren Rechtmäßigkeit ist dementsprechend auch je gesondert unter Zugrundelegung der Maßstäbe des § 180 Abs. 3 Nr. 2 AO zu prüfen.

21Ebenso wenig folgt der Senat der Auffassung des Beklagten, für die Bewertung nach § 180 Abs. 3 Nr. 2 AO komme es auf einen Zeitpunkt vor der Steuerfahndungsprüfung an, zu dem der Fall noch unübersichtlich gewesen sei. Für die Beurteilung, ob ein Feststellungsbescheid erforderlich ist und deshalb ergehen darf und muss, sind wie für alle Verwaltungsakte die Umstände maßgeblich, die zum Zeitpunkt des Erlasses (oder der Entscheidung, vom Erlass abzusehen) erkennbar sind. Im Zeitpunkt des Erlasses des hier streitigen Feststellungsbescheids war aber nach Auffassung des Senats erkennbar, dass er nicht erforderlich und deshalb auch nicht rechtmäßig war.

22Die vom Beklagten aufgeführten Praktikabilitätserwägungen überzeugen den Senat nicht. Wenn, wie vorliegend, ein und dasselbe Finanzamt sowohl für die Feststellung als auch für die Besteuerung zuständig ist, kann eine allfällige Abstimmung unter den Veranlagungsbezirken problemlos erfolgen.

23II.              Die Kläger sind durch den rechtswidrigen Feststellungsbescheid auch in ihren Rechten verletzt. Zwar sind die hierauf beruhenden Einkommensteuerbescheide für das Streitjahr bestandskräftig, jedoch sind sie bei Aufhebung des Grundlagenbescheids gemäß § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO entsprechend anzupassen. Vorliegend hat ausschließlich der Grundlagenbescheid die Verjährung des Steueranspruchs auf die festgestellten Zinseinkünfte verhindert. Wird er nun aufgehoben, sind die Einkommensteuerbescheide in der Weise anzupassen, dass nunmehr der Verjährung des Steueranspruchs auf die festgestellten Zinseinkünfte Rechnung zu tragen ist.

24III.              Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO, die Zulassung der Revision auf § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO.

Voraussetzungen für eine Zusammenveranlagung – Ermittlung der Wesentlichkeitsgrenze nach § 1 Absatz 3 EStG

Einkommensteuer: Wesentlichkeitsgrenze; Berücksichtigung von niederländischem Arbeitslosengeld und negativen Einkünften aus selbstgenutztem Wohnraum

Finanzgericht Köln, 1 K 3219/11

Datum: 29.01.2013
Gericht: Finanzgericht Köln
Spruchkörper: 1. Senat
Entscheidungsart: Urteil
Aktenzeichen: 1 K 3219/11

Tenor: Der Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2009 vom 18.8.2010 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 19.9.2011 wird aufgehoben. Der Beklagte wird verpflichtet für das Jahr 2009 eine Zusammenveranlagung durchzuführen. Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte.

1
Tatbestand
2
Die in den Niederlanden wohnhafte Klägerin erzielte im Streitjahr 2009 in Deutschland Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit i.H.v. 15.032 € (Bruttoarbeitslohn 15.952 € abzgl. 920 € Arbeitnehmer-Pauschbetrag). In den Niederlanden erzielte sie nicht der deutschen Besteuerung unterliegende Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit i.H.v. 9.482 € und Arbeitslosengeld in Höhe von 3.768 €. Beides wurde in den Niederlanden besteuert. Mit ihrer Einkommensteuererklärung für das Streitjahr beantragte die Klägerin zunächst die getrennte Veranlagung von ihrem ebenfalls in den Niederlanden wohnhaften Ehemann, welcher in Deutschland eine Kfz-Werkstatt betreibt und daraus im Jahr 2009 einen Verlust aus Gewerbebetrieb von – 13.457 € erzielt hatte. In den Niederlanden erhielt der Ehemann der Klägerin im Streitjahr nicht der deutschen Besteuerung unterliegendes – in den Niederlanden steuerpflichtiges – Krankengeld in Höhe von 13.425 €. Entsprechende Bescheinigungen der niederländischen Steuerbehörden nach § 1 Abs. 3 Satz 5 EStG befinden sich in den Steuerakten des Beklagten.
3
Mit Bescheid vom 18.08.2010 wurde die Einkommensteuer für das Streitjahr antragsgemäß auf 2.127,00 € festgesetzt. In die Erläuterungen zum Einkommensteuerbescheid 2009 wurde aufgenommen, dass eine Einzelveranlagung nach den Vorschriften der beschränkten Steuerpflicht durchgeführt wurde.
4
Im Rahmen des hiergegen geführten Einspruchsverfahrens reichte die Klägerin eine von ihr und ihrem Ehemann unterschriebene Einkommensteuererklärung ein und beantragte die Zusammenveranlagung mit ihrem Ehemann. Der Einspruch wurde mit Einspruchsentscheidung vom 19.9.2011 als unbegründet zurückgewiesen. Die Klägerin und ihr Ehemann seien nicht nach § 1 Abs. 3 EStG als unbeschränkt einkommensteuerpflichtig zu behandeln. Die Voraussetzungen für eine Zusammenveranlagung nach § 1 a Abs. 1 Nr. 2 S. 3 i. V. m. § 26 Abs. 1 S. 1 EStG seien damit nicht gegeben. Zu Recht sei daher eine Einzelveranlagung durchgeführt worden.
5
Im Rahmen des hiergegen geführten Klageverfahrens trägt die Klägerin vor, entgegen der Auffassung des Beklagten seien die Voraussetzungen für eine Zusammenveranlagung erfüllt da das in den Niederlanden ihrem Ehemann zugeflossene Krankengeld bei der Ermittlung der Einkünftegrenze im Sinne des §§ 1 Abs. 3 EStG ausscheide. Die Ermittlung der Einkunftsgrenzen des § 1 Abs. 3 EStG erfolge nach deutschem Recht. Die Einkünfte müssten hiernach in Deutschland steuerbar und steuerpflichtig sein. Das ausländische Krankengeld sei – im Gegensatz zu dem in den Niederlanden gezahlte Arbeitslosengeld, welches nicht nach § 3 EStG steuerbefreit sei – gemäß § 3 Nr. 1a EStG steuerfrei und bleibe somit bei der Ermittlung der Einkünfte unberücksichtigt. Einzubeziehen seien alle bei unterstellter Inlandsbesteuerung nach den EStG im Kalenderjahr anzusetzenden inländischen und ausländischen Einkünfte, die bei unbeschränkter Steuerpflicht nach deutschem Recht ohne DBA steuerbar und steuerpflichtig seien, unabhängig davon, welchem Staat das Besteuerungsrecht zustehe. Die Aufteilung nach inländischen bzw. ausländischen Einkünften erfolge erst in einem zweiten Schritt. Da das Krankengeld erst gar nicht in die Einkünfteermittlung eingehe, erübrige sich eine Zuordnung. Dementsprechend seien die nicht der deutschen Steuer unterliegenden Einkünfte niedriger als 15.668,- €.
6
Die Klägerin beantragt,
7
den Einkommensteuerbescheid 2009 vom 18.8.2010 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 19.9.2011 aufzuheben und für das Streitjahr erklärungsgemäß eine Zusammenveranlagung durchzuführen.
8
Der Beklagte beantragt,
9
die Klage abzuweisen.
10
Bezugnehmend auf die Einspruchsentscheidung führt er aus, nach § 1 Abs. 3 EStG würden auf Antrag auch natürliche Personen als unbeschränkt einkommensteuerpflichtig behandelt, die im Inland weder einen Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt hätten, soweit sie inländische Einkünfte im Sinne des § 49 EStG erzielten. Dies gelte allerdings nur, wenn ihre Einkünfte im Kalenderjahr mindestens zu 90% der deutschen Einkommensteuer unterlägen oder die nicht der deutschen Einkommensteuer unterliegenden Einkünfte 7.834 €, bei Ehegatten 15.668,- €, nicht überstiegen. Bei der Ermittlung der Einkünfte blieben nicht der deutschen Einkommensteuer unterliegende Einkünfte, die im Ausland nicht besteuert würden, unberücksichtigt, soweit vergleichbare Einkünfte im Inland steuerfrei seien. Da sowohl das in den Niederlanden bezogene Arbeitslosengeld wie auch das Krankengeld in den Niederlanden besteuert würden, seien beide Leistungen in die Ermittlung der nicht der deutschen Einkommensteuer unterliegenden Einkünfte nach § 1 Abs. 3 S. 2 EStG einzubeziehen.
11
Entscheidungsgründe
12
Die Klage ist begründet.
13
Der Beklagte hat es zu Unrecht abgelehnt im Streitjahr 2009 die Zusammenveranlagung der Klägerin mit ihrem Ehemann durchzuführen.
14
Nach § 1a Abs. 1 Nr. 2 EStG können nicht dauernd getrennt lebende Ehegatten auf Antrag gemäß §§ 26 Abs. 1 Satz 1, 26b EStG u.a. zusammenveranlagt werden, wenn sie die die Voraussetzungen der sog. fiktiven unbeschränkten Einkommensteuerpflicht nach § 1 Abs. 3 EStG erfüllen. Insbesondere – nur dies ist hier streitig – sind hierbei die Einkunftsgrenzen des § 1 Abs. 3 Satz 2 EStG zu beachten. Nach § 1a Abs. 1 Nr. 2 Satz 3 EStG ist auf die Einkünfte beider Ehegatten abzustellen und der Grundfreibetrag zu verdoppeln.
15
Eine Zusammenveranlagung ist danach möglich, wenn entweder die Einkünfte beider Ehegatten im Kalenderjahr mindestens zu 90% der deutschen Einkommensteuer unterliegen (sogenannte relative Wesentlichkeitsgrenze) oder die nicht der deutschen Einkommensteuer unterliegenden Einkünfte den Betrag von 15.668,- € nicht übersteigen (sogenannte absolute Wesentlichkeitsgrenze).
16
Die Einkünfteermittlung nach § 1 Abs. 3 S. 2 EStG vollzieht sich in zwei Stufen. Zunächst ist in einem ersten Schritt die Summe der Welteinkünfte zu ermitteln. Diese sind sodann in einem zweiten Schritt in die Einkünfte, die der deutschen Einkommensteuer unterliegen, und die Einkünfte, bei denen dies nicht der Fall ist, aufzuteilen.
17
Bei der Ermittlung der Welteinkünfte sind sämtliche Einkünfte, unabhängig davon, ob sie im In- oder im Ausland erzielt wurden, nach deutschem Recht zu ermitteln. § 1a Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 1 Abs. 3 S. 2 EStG enthält keine spezielle Regelung, wie die Einkünfte zu ermitteln sind, so dass der Begriff der Einkünfte dem deutschen Einkommensteuerrecht zu entnehmen ist (BFH-Urteil vom 20.8.2008 I R 78/07, BStBl II 2009,708 m. w. N). Nicht zu berücksichtigen sind daher insbesondere Zuflüsse, die nicht unter die Einkunftsarten des § 2 Abs. 1 EStG fallen, nach § 3 EStG steuerfrei sind oder nach DBA von der Besteuerung freigestellt sind (vgl. Stapperfend in H/H/R, § 1 EStG, Tz. 265). Hieraus folgt, dass zu den für die absolute Wesentlichkeitsgrenze nach § 1 Abs. 3 Satz 2 EStG zu ermittelnden, nicht der deutschen Besteuerung unterliegenden Einkünften nur solche zählen, die bei unterstellter deutscher Besteuerung auch im Inland steuerbar wären. Ob diese Einkünfte im Ausland steuerbar und steuerpflichtig sind ist hierbei unbeachtlich. Darüberhinaus bleiben bei der Ermittlung der Einkünfte nach § 1 Abs. 3 S. 2 EStG auch solche nicht der deutschen Einkommensteuer unterliegenden Einkünfte unberücksichtigt, die im Ausland nicht besteuert werden, soweit vergleichbare Einkünfte im Inland steuerfrei sind (§ 1 Abs. 3 S. 4 EStG).
18
Vorliegend sind die Voraussetzungen für eine Zusammenveranlagung erfüllt. Entgegen der Ansicht des Beklagten ist die absolute Wesentlichkeitsgrenze nicht überschritten, da die nach § 1 Abs. 3 S. 2 EStG zu berücksichtigenden nicht der deutschen Einkommensteuer unterliegenden Einkünfte weniger als 15.668,- € betragen.
19
Unstreitig ist bei der Ermittlung der Welteinkünfte der Kläger (erste Stufe) neben den in Deutschland erzielten Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit und aus Gewerbebetrieb auch das niederländische Arbeitslosengeld in die Berechnung mit einzubeziehen, da es, weil nicht aufgrund der in § 3 Nr. 2 EStG aufgeführten Vorschriften gewährt, bei unterstellter inländischer Besteuerung nach deutschem Einkommensteuerrecht nicht steuerbefreit wäre. Nicht zu den Welteinkünften der Kläger zählt allerdings das dem Ehemann der Klägerin in den Niederlanden zugeflossene Krankengeld in Höhe von 13.425,- €, da dieses, deutsches Einkommensteuerrecht zugrunde gelegt, nach § 3 Nr. 1 a EStG steuerfrei wäre. Hiernach ist die Leistung aus einer Krankenversicherung – und um eine solche handelt es sich bei dem Krankengeld – uneingeschränkt steuerfrei.
20
Entgegen der Auffassung des Beklagten führt auch § 1 Abs. 3 Satz 4 EStG nicht dazu, dass das Krankengeld bei der Berechnung des Welteinkommens zu berücksichtigen ist und zwar – so der Beklagte – im Umkehrschluss, weil es sich bei dem Krankengeld um Einkünfte handelt, die in den Niederlanden besteuert werden. Diese Vorschrift, die in Umsetzung des EuGH-Urteils Meindl (EuGHE I 2007, 1107) eingeführt wurde und die Ausübung des Wahlrechtes nach § 1 Abs. 3 EStG einem erweiterten Personenkreis ermöglichen sollte, betrifft Einkünfte, die im Ausland steuerfrei sind und deren deutsche Entsprechungen auch nach deutschem Einkommensteuerrecht steuerfrei wären. Der Grund für die Nichtberücksichtigung solcher Einkünfte ist, dass der ausländische Staat an solche Einkünfte, weil steuerfrei, keine steuerlichen Vergünstigungen knüpfen kann und dies auch nach deutscher steuerrechtlicher Auffassung nicht können würde. Der europäische Gedanke gebietet es daher solche Einkünfte, die nicht bereits bei der Ermittlung der Welteinkünfte nach § 1 Abs. 3 Satz 2 EStG außer Acht zu lassen sind, unter den Voraussetzungen des § 1 Abs. 3 S. 4 EStG unberücksichtigt zu lassen, um zu verhindern, dass der Betroffene aufgrund der jeweiligen Regelungen in keinem der beiden Staaten in den Genuss steuerlicher Vergünstigungen kommen kann. Diese Vorschrift kann aber nicht im Umkehrschluss dazu führen, dass in Deutschland steuerfreie Einkünfte – entgegen der Vorgabe das Welteinkommen nach deutschem Steuerrecht zu ermitteln – nur deshalb berücksichtigt werden, weil sie im Ausland steuerpflichtig sind. Eine solche Auslegung wird zum einen vom Wortlaut der Vorschrift nicht gedeckt und steht zum anderen der oben geschilderten Systematik der zweistufigen Prüfung entgegen. Das Urteil des EuGH in der Sache Meindl (a.a.O.) hat keine Auswirkung auf den Grundsatz, dass die Beurteilung der Frage ob die im Ausland erzielten Einkünfte einer Behandlung als unbeschränkt einkommensteuerpflichtig entgegenstehen, nach deutschem Steuerrecht und nicht nach dem Recht des Wohnsitzstaates zu beurteilen ist (vgl. hierzu FG Köln v. 20.4.2012, 4 K 1943/09, EFG 2012, 1677).
21
Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung (FGO).

Betriebsveranstaltung

Anhebung der 110-EUR-Freigrenze: Bund der Steuerzahler hakt nach

Sekt oder Selters: Bei Überschreiten der 110-EUR-Freigrenze feiert das Finanzamt mit

Seit 2002 wurde die Freigrenze für Betriebsveranstaltungen nicht mehr angepasst. Nun legte der Bundesfinanzhof in einem Urteil (VI R 79/10) dar, dass der steuerfreie Höchstbetrag „alsbald“ auf der Grundlage von Erfahrungswerten angepasst werden sollte.

Damit „alsbald“ möglichst schnell bedeutet, fragte der Bund der Steuerzahler (BdSt) beim Bundesministerium der Finanzen (BMF) nach, wann die Freigrenze überprüft werden soll.

Bisher gilt eine Freigrenze von 110 EUR je Betriebsveranstaltung. Das heißt, bis zu diesem Betrag liegt für den Arbeitnehmer kein lohnsteuerpflichtiger Vorteil vor. Diese Grenze liegt seit mehr als 10 Jahren der Besteuerung zugrunde. Eine Anpassung an die Preisentwicklung ist mehr als überfällig. Um die Dringlichkeit zu verdeutlichen und um eine schnelle Überprüfung durch das BMF zu erreichen, hat der BdSt nachgefragt, wann eine Überprüfung stattfinden soll.

Weiterhin regte der BdSt an, dass die Freigrenzen und Höchstbeträge grundsätzlich einer regelmäßigen Prüfung unterzogen und gegebenenfalls an die tatsächlichen Verhältnisse angepasst werden sollen.

 

BFH, Urteil vom 12.12.2012, VI R 79/10, BFH/NV 2012 S. 637

Kosten einer Betriebsveranstaltung als Arbeitslohn

Leitsatz
1. Kosten eines Arbeitgebers aus Anlass einer Betriebsveranstaltung sind bei Überschreiten einer Freigrenze in vollem Umfang als Arbeitslohn zu werten. Die Freigrenze beträgt auch im Jahr 2007 noch 110 €.
2. Eine Anpassung der Freigrenze an die Geldentwertung ist nicht Aufgabe der Gerichte.
3. In die Ermittlung, ob die Freigrenze überschritten ist, sind die den Arbeitgeber treffenden Gesamtkosten der Veranstaltung einzubeziehen und zu gleichen Teilen sämtlichen teilnehmenden Arbeitnehmern zuzurechnen, sofern die entsprechenden Leistungen Lohncharakter haben und nicht individualisierbar sind.
Gesetze
EStG § 8 Abs. 2 Satz 1
EStG § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1
EStG § 40 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2

Instanzenzug
Hessisches FG vom 1. September 2010 10 K 381/08 (EFG 2011, 443) BFH VI R 79/10
Gründe
I.
1 Streitig ist, ob Aufwendungen des Arbeitgebers für eine Betriebsveranstaltung zu Arbeitslohn führen.
2 Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist eine Partnerschaftsgesellschaft von Rechtsanwälten mit Niederlassungen in A, B und C. Sie veranstaltet jährlich für ihre Mitarbeiter am Standort A ein Sommerfest und in der Adventszeit eine Weihnachtsfeier. Für das Sommerfest im Streitjahr (2007) mietete sie…entsprechende Räumlichkeiten, organisierte Speisen, Getränke und Live-Musik sowie die An- und Abreise der Teilnehmer. Laut Teilnehmerliste nahmen 302 Personen an der Veranstaltung teil. Es handelte sich dabei um 252 Arbeitnehmer der Klägerin, 44 Partner bzw. Gäste oder sog. Externe sowie 6 Mitarbeiter einer mit der Klägerin assoziierten Wirtschaftsprüfungsgesellschaft. Die Kosten beliefen sich auf insgesamt 52.877 €, je Teilnehmer auf durchschnittlich 175 €.
3 Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt —FA—) vertrat die Auffassung, dass die Zuwendungen anlässlich des Sommerfestes lohnsteuerpflichtig seien. Das FA erhob daher mit Bescheid vom 9. Januar 2008 entsprechend § 40 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) pauschal Lohnsteuer in Höhe von 11.005 € nach.
4 Das Finanzgericht (FG) wies die dagegen gerichtete Klage mit den in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2011, 443 veröffentlichten Gründen ab.
5 Mit der Revision rügt die Klägerin die Verletzung materiellen Rechts.
6 Sie beantragt, das angefochtene Urteil und den angefochtenen Nachforderungsbescheid aufzuheben.
7 Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
8 Das Bundesministerium der Finanzen hat den Beitritt zum Verfahren gemäß § 122 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) erklärt.
II.
9 Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FGO ).
10 Die tatsächlichen Feststellungen des FG rechtfertigen nicht den Schluss, dass die Leistungen der Klägerin anlässlich der Betriebsveranstaltung in vollem Umfang als steuerpflichtiger Arbeitslohn zu qualifizieren sind. Allerdings hat das FG zutreffend entschieden, dass die Freigrenze auch im Streitjahr 110 € beträgt.
11 1. Die Nachforderung von Lohnsteuer beim Arbeitgeber durch Steuerbescheid kommt in Betracht, wenn die Lohnsteuer vorschriftswidrig nicht angemeldet worden ist und es sich um eine eigene Steuerschuld des Arbeitgebers handelt. Eine eigene Steuerschuld des Arbeitgebers liegt auch vor, wenn die Voraussetzungen für eine Pauschalierung der Lohnsteuer nach § 40 EStG gegeben sind (Urteil des Bundesfinanzhofs —BFH— vom 30. April 2009 VI R 55/07 , BFHE 225, 58 , BStBl II 2009, 726).
12 Nach § 40 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 EStG kann der Arbeitgeber die Lohnsteuer mit einem Pauschsteuersatz von 25 % erheben, wenn er Arbeitslohn aus Anlass von Betriebsveranstaltungen zahlt. Maßgeblich ist insoweit § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG .
13 2. Nach § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG gehören u.a. Bezüge und Vorteile, die für eine Beschäftigung im öffentlichen oder privaten Dienst gewährt werden, zu den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit. Dem Tatbestandsmerkmal „für” ist nach ständiger Rechtsprechung zu entnehmen, dass ein dem Arbeitnehmer vom Arbeitgeber zugewendeter Vorteil Entlohnungscharakter für das Zurverfügungstellen der Arbeitskraft haben muss, um als Arbeitslohn angesehen zu werden. Es ist allerdings nicht erforderlich, dass der Einnahme eine konkrete Dienstleistung des Arbeitnehmers zugeordnet werden kann (BFH-Urteile vom 21. Januar 2010 VI R 2/08 , BFHE 228, 80 , BStBl II 2010, 639; vom 22. März 1985 VI R 170/82, BFHE 143, 544 , BStBl II 1985, 529; vom 21. Februar 1986 VI R 21/84, BFHE 146, 87 , BStBl II 1986, 406).
14 a) Arbeitslohn liegt nach ständiger Rechtsprechung des BFH u.a. dann nicht vor, wenn die Arbeitnehmer durch Sachzuwendungen des Arbeitgebers bereichert werden, der Arbeitgeber jedoch mit seinen Leistungen ganz überwiegend ein eigenbetriebliches Interesse verfolgt (BFH-Urteile vom 22. Oktober 1976 VI R 26/74 , BFHE 120, 379 , BStBl II 1977, 99; vom 17. September 1982 VI R 75/79, BFHE 137, 13 , BStBl II 1983, 39; in BFHE 228, 80 , BStBl II 2010 , 639 ; vom 21. Januar 2010 VI R 51/08, BFHE 228, 85 , BStBl II 2010, 700; jeweils m.w.N.; s. auch Drenseck in Festschrift für Lang, Köln 2010, 477, 482; Schmidt/Krüger, EStG , 31. Aufl., § 19 Rz 30 ff.; Eisgruber in Kirchhof, EStG , 11. Aufl., § 19 Rz 64 ff.; Pflüger in Herrmann/Heuer/Raupach, § 19 EStG Rz 225 ff.).
15 b) Ebenfalls in ständiger Rechtsprechung bejaht der Senat bei Zuwendungen aus Anlass von Betriebsveranstaltungen ein eigenbetriebliches Interesse des Arbeitgebers, sofern er die Aufwendungen tätigt, um den Kontakt der Arbeitnehmer untereinander und damit das Betriebsklima zu fördern (BFH-Urteile in BFHE 143, 544 , BStBl II 1985, 529; in BFHE 146, 87 , BStBl II 1986, 406; vom 25. Mai 1992 VI R 85/90, BFHE 167, 542 , BStBl II 1992, 655; vom 6. Dezember 1996 VI R 48/94, BFHE 182, 142 , BStBl II 1997, 331; vom 16. November 2005 VI R 68/00, BFHE 212, 51 , BStBl II 2006, 440; VI R 151/99, BFHE 211, 321 , BStBl II 2006, 439; VI R 157/98, BFHE 212, 48 , BStBl II 2006, 437; VI R 118/01, BFHE 212, 55 , BStBl II 2006, 444; VI R 151/00, BFHE 211, 325 , BStBl II 2006, 442; vom 15. Januar 2009 VI R 22/06, BFHE 224, 136 , BStBl II 2009, 476; in BFHE 225, 58 , BStBl II 2009, 726). Maßgebend für diese Beurteilung ist, dass die fraglichen Zuwendungen der Belegschaft als ganzer angeboten und dass die Vorteile unabhängig von der Dauer der Betriebszugehörigkeit sowie der Stellung und Leistung im Betrieb gewährt werden. In diesem Fall fehlt es regelmäßig an einer Beziehung der Arbeitgeberleistung zur individuellen Arbeitsleistung der betroffenen Arbeitnehmer und damit an der Entlohnung (BFH-Urteil in BFHE 146, 87 , BStBl II 1986, 406).
16 c) Geldwerte Vorteile, die den Arbeitnehmern bei Betriebsveranstaltungen zufließen, können allerdings dann als Ertrag ihrer individuellen Dienstleistung angesehen werden, wenn eine Betriebsveranstaltung lediglich zum Anlass genommen wird, die Arbeitnehmer zusätzlich zu entgelten. Nach der früheren Rechtsprechung des Senats war dies der Fall, wenn bei solchen Veranstaltungen der „übliche Rahmen von Aufwendungen” der Höhe nach überschritten wird (BFH-Urteile in BFHE 143, 544 , BStBl II 1985, 529; vom 22. März 1985 VI R 82/83, BFHE 143, 550 , BStBl II 1985, 532).
17 d) Später hat der Senat die lohnsteuerrechtliche Wertung derartiger Zuwendungen nicht mehr davon abhängig gemacht, ob die Vorteilsgewährung der Höhe nach üblich ist, sondern er hat eine Freigrenze angenommen, bei deren Überschreitung die Zuwendungen in vollem Umfang als steuerpflichtiger Arbeitslohn zu qualifizieren sind (BFH-Urteile in BFHE 167, 542 , BStBl II 1992, 655; in BFHE 182, 142 , BStBl II 1997, 331; in BFHE 212, 51 , BStBl II 2006, 440; in BFHE 211, 321 , BStBl II 2006, 439; in BFHE 212, 48 , BStBl II 2006, 437; in BFHE 212, 55 , BStBl II 2006, 444; in BFHE 211, 325 , BStBl II 2006, 442; in BFHE 224, 136 , BStBl II 2009, 476; in BFHE 225, 58 , BStBl II 2009, 726; s. auch Küttner/Thomas, Personalbuch 2012, Stichwort Betriebsveranstaltung, Rz 3). Der Senat ging bisher davon aus, dass er mit der Festlegung der Freigrenze die Befugnisse richterlicher Rechtsanwendung nicht überschritten hat (BFH-Urteile in BFHE 167, 542 , BStBl II 1992, 655; in BFHE 211, 325 , BStBl II 2006, 442).
18 e) Für die Jahre 1983 bis 1992 hatte der BFH die Freigrenze auf 150 DM beziffert. Die Finanzverwaltung hatte bald nach dem Ergehen des Senatsurteils in BFHE 167, 542 , BStBl II 1992, 655 mit Wirkung ab 1993 die Freigrenze auf 200 DM heraufgesetzt. Ab Veranlagungszeitraum 2002 legt die Finanzverwaltung eine Freigrenze von 110 € je Veranstaltung zugrunde (BFH-Urteil in BFHE 211, 325 , BStBl II 2006, 442; s. für das Streitjahr R 72 Abs. 4 Satz 2 der Lohnsteuer-Richtlinien —LStR— 2005). Der BFH hatte seinerseits für die Jahre 1996 und 1997 die Freigrenze auf 200 DM festgelegt (BFH-Urteil in BFHE 211, 325 , BStBl II 2006, 442; zum Jahr 2001 s. BFH-Urteil in BFHE 225, 58 , BStBl II 2009, 726).
19 In die Ermittlung, ob die Freigrenze überschritten ist, sind grundsätzlich die den Arbeitgeber treffenden Gesamtkosten der Veranstaltung einzubeziehen und zu gleichen Teilen sämtlichen Teilnehmern zuzurechnen (BFH-Urteile in BFHE 167, 542 , BStBl II 1992, 655 mit Hinweis auf Abschn. 72 Abs. 4 LStR 1990 ; in BFHE 212, 48 , BStBl II 2006, 437; in BFHE 212, 55 , BStBl II 2006 , 444 ). Nach § 8 Abs. 2 Satz 1 EStG sind Einnahmen, die nicht in Geld bestehen, mit den üblichen Endpreisen am Abgabeort anzusetzen. Bei diesem Wert, der im Schätzungsweg zu ermitteln ist, handelt es sich um den Betrag, den ein Fremder unter gewöhnlichen Verhältnissen für Güter gleicher Art im freien Verkehr aufwenden muss. Nach Auffassung des Senats ist es grundsätzlich nicht zu beanstanden, den Wert der dem Arbeitnehmer durch den Arbeitgeber anlässlich einer Betriebsveranstaltung zugewandten Leistungen anhand der Kosten zu schätzen, die der Arbeitgeber dafür seinerseits aufgewendet hat. Denn es kann im Regelfall davon ausgegangen werden, dass auch ein Fremder diesen Betrag für die Veranstaltung hätte aufwenden müssen. Sofern sich ein Beteiligter für die Bewertung auf eine abweichende Wertbestimmung beruft, muss er konkret darlegen, dass eine Schätzung des üblichen Endpreises am Abgabeort anhand der vom Arbeitgeber aufgewandten Kosten dem objektiven Wert der Veranstaltung nicht entspricht (BFH-Urteil vom 18. August 2005 VI R 32/03 , BFHE 210, 420 , BStBl II 2006, 30, zur Zuwendung einer Reise).
20 3. Die Festlegung einer höheren Freigrenze für das Streitjahr durch den Senat kommt nicht in Betracht.
21 Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) sind Finanzgerichte im Steuerrecht zur Typisierung befugt, sofern es sich dabei um Gesetzesauslegung handelt (Entscheidungen des BVerfG vom 31. Mai 1988 1 BvR 520/83 , BVerfGE 78, 214; vom 4. Februar 2005 2 BvR 1572/01, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 2005, 352 ; s. auch BFH-Urteile vom 21. September 2011 I R 7/11 , BFHE 235, 273 , BFH/NV 2012, 310 ; vom 27. Januar 2010 IX R 31/09, BFHE 229, 90 , BStBl II 2011, 28; vom 15. März 2005 X R 39/03, BFHE 209, 320 , BStBl II 2005, 817; Sunder-Plassmann in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 1 FGO Rz 144; Kanzler, Finanz-Rundschau 2009, 527 ; Pahlke, Beiheft zum Deutschen Steuerrecht, Heft 31/2011, 66).
22 Es kann hier dahinstehen, ob an der, wie erwähnt, bisher vom Senat vertretenen Auffassung, dass sich die Rechtsprechung mit der Bildung der genannten Freigrenze noch im Rahmen ihrer Ermächtigung zur typisierenden Gesetzesauslegung bewegt, zukünftig uneingeschränkt festgehalten werden kann. Denn der Senat ist der Meinung, dass zumindest eine ständige Anpassung des Höchstbetrags an die Geldentwicklung nicht Aufgabe des Gerichts ist, zumal auch der Gesetz- und Verordnungsgeber Pauschbeträge nicht laufend, sondern allenfalls von Zeit zu Zeit korrigiert (BFH-Urteile in BFHE 182, 142 , BStBl II 1997, 331; in BFHE 211, 325 , BStBl II 2006, 442). Der Senat hält auch zur Gewährleistung von Rechtsanwendungsgleichheit und Rechtssicherheit für den streitigen Zeitraum an dem Höchstbetrag von 110 € fest, zumal nach seiner Einschätzung der Betrag noch ausreicht, um im Rahmen einer Betriebsveranstaltung den Kontakt der Arbeitnehmer untereinander und damit das Betriebsklima zu fördern (gl.A. Zimmermann, EFG 2011, 446 ). Er ist jedoch zu der Überzeugung gelangt, dass die Finanzverwaltung erwägen sollte, alsbald den Höchstbetrag, ab dem Zuwendungen des Arbeitgebers bei Betriebsveranstaltungen beim teilnehmenden Arbeitnehmer in vollem Umfang als lohnsteuerpflichtiger Arbeitslohn zu qualifizieren sind, neu und auf der Grundlage von Erfahrungswissen zu bemessen. Im Übrigen behält sich der Senat vor, ggf. seine bisherige Rechtsprechung zur Zulässigkeit typisierender Gesetzesauslegung im hier fraglichen Bereich zu überprüfen.
23 4. Hält der Senat danach zunächst an der Bedeutung und Wirksamkeit einer Freigrenze prinzipiell fest, besteht jedoch Anlass, auf Folgendes hinzuweisen:
24 Es muss sich bei den Kosten des Arbeitgebers, die in die Ermittlung, ob die Freigrenze überschritten ist, einbezogen werden, um Arbeitslohn aus Anlass einer Betriebsveranstaltung handeln. Nach der Rechtsprechung des BFH sind nur solche Leistungen des Arbeitgebers, die den Rahmen und das Programm der Betriebsveranstaltung betreffen, zu berücksichtigen. Leistungen, die nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit der Betriebsveranstaltung stehen und durch die der Arbeitnehmer deshalb nicht bereichert ist (s. dazu BFH-Urteil vom 14. November 2012 VI R 56/11 , zur amtlichen Veröffentlichung bestimmt), sind kein Lohn und daher weder in die Ermittlung, ob die Freigrenze überschritten ist, einzubeziehen noch gemäß § 40 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 EStG zu besteuern (BFH-Urteil vom 7. November 2006 VI R 58/04 , BFHE 215, 249 , BStBl II 2007, 128). Entsprechendes gilt für Aufwendungen des Arbeitgebers, die nicht direkt der Betriebsveranstaltung zuzuordnen sind (z.B. Kosten der Buchhaltung oder für die Beschäftigung eines „Event-Managers”). Zudem ist zu beachten, dass eine Betriebsveranstaltung Elemente einer sonstigen betrieblichen Veranstaltung enthalten kann, die nicht zur Lohnzuwendung führt (BFH-Urteil in BFHE 225, 58 , BStBl II 2009, 726, m.w.N.).
25 In die angesprochene Gesamtkostenermittlung dürfen im Übrigen nur solche Kosten des Arbeitgebers einfließen, die untrennbar Kosten der Betriebsveranstaltung sind. Individualisierbare und als Arbeitslohn zu berücksichtigende Leistungen sind gesondert zu erfassen, ggf. unter Beachtung von § 8 Abs. 2 Satz 9 EStG .
26 5. Die Sache ist nicht spruchreif.
27 Das FG hat zwar festgestellt, dass sich die Gesamtkosten der Veranstaltung auf 52.877 € beliefen. Dem Urteil lassen sich jedoch keine Angaben zur Struktur der Kosten entnehmen. Insbesondere steht nicht fest, ob, nach Maßgabe der genannten Grundsätze, die entsprechenden Leistungen insgesamt in unmittelbarem Zusammenhang mit der Betriebsveranstaltung standen und deshalb Lohncharakter anzunehmen ist. Auch ist nicht geklärt, welche Leistungen untrennbare Teile der Betriebsveranstaltung sind und welche einzelnen Arbeitnehmern zugeordnet werden können. Soweit sich etwa den Unterlagen entnehmen lässt, dass auch Kosten für Fahrten mit Taxen angesetzt wurden, weist der Senat daraufhin, dass es sich dabei allenfalls um Zuwendungen an einzelne Arbeitnehmer handeln kann.
28 Das FG wird demnach im zweiten Rechtsgang nach den genannten Grundsätzen die Ermittlung der als Arbeitslohn zu beurteilenden Gesamtkosten der Betriebsveranstaltung und die Aufteilung des Gesamtbetrags auf die Arbeitnehmer der Klägerin, soweit sie teilgenommen haben, erneut vornehmen. Nur wenn das FG zu dem Ergebnis gelangt, dass der Höchstbetrag von 110 € überschritten wurde, sind die Gesamtkosten in vollem Umfang als Arbeitslohn zu werten und können gemäß § 40 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 EStG pauschal versteuert werden.

Anwendung von BMF-Schreiben, die bis zum 8. April 2013 ergangen sind

BMF, Schreiben (koordinierter Ländererlass) IV A 2 – O-2000 / 12 / 10001 vom 09.04.2013

Unter Bezugnahme auf das Ergebnis der Erörterungen mit den obersten Finanzbehörden der Länder gilt zur Anwendung der bis zum Tage dieses Schreibens ergangenen BMF-Schreiben das Folgende:

Für Steuertatbestände, die nach dem 31. Dezember 2011 verwirklicht werden, sind die bis zum Tage dieses BMF-Schreibens ergangenen BMF-Schreiben anzuwenden, soweit sie in der Positivliste (Anlage 1, gemeinsame Positivliste der BMF-Schreiben und gleich lautenden Erlasse der obersten Finanzbehörden der Länder) aufgeführt sind. Die nicht in der Positivliste aufgeführten BMF-Schreiben werden für nach dem 31. Dezember 2011 verwirklichte Steuertatbestände aufgehoben. Für vor dem 1. Januar 2012 verwirklichte Steuertatbestände bleibt die Anwendung der nicht in der Positivliste aufgeführten BMF-Schreiben unberührt, soweit sie nicht durch ändernde oder ergänzende BMF-Schreiben überholt sind.

BMF-Schreiben in diesem Sinne sind Verwaltungsvorschriften, die die Vollzugsgleichheit im Bereich der vom Bund verwalteten, der von den Ländern verwalteten und der von den Ländern im Auftrag des Bundes verwalteten Steuern sicherstellen sollen. Die Aufhebung der BMF-Schreiben bedeutet keine Aufgabe der bisherigen Rechtsauffassung der Verwaltung, sondern dient der Bereinigung der Weisungslage. Sie hat deklaratorischen Charakter, soweit die BMF-Schreiben bereits aus anderen Gründen keine Rechtswirkung mehr entfalten. Die in der Anlage zum o. a. BMF-Schreiben vom 27. März 2012 aufgeführten und nicht mehr in der aktuellen Positivliste enthaltenen BMF-Schreiben sind nachrichtlich in der Anlage 2 (gemeinsame Liste der im BMF-Schreiben vom 27. März 2012 (BStBl I S. 370) und in den gleich lautenden Erlassen der obersten Finanzbehörden der Länder vom 13. Juni 2012 (BStBl I S. 645) aufgeführten und nicht mehr in der aktuellen Positivliste enthaltenen BMF-Schreiben und gleich lautenden Erlassen der obersten Finanzbehörden der Länder) aufgeführt.

Dieses Schreiben wird im Bundessteuerblatt Teil I veröffentlicht. Es wird erstmals unter demselben Datum wie die dementsprechenden gleich lautenden Erlasse der obersten Finanzbehörden der Länder zur Anwendung von gleich lautenden Erlassen der obersten Finanzbehörden der Länder herausgegeben.

Anlage 1:
Gemeinsame Positivliste der BMF-Schreiben und gleich lautenden Erlasse der obersten Finanzbehörden der Länder, Stand:08.04.2013

Anlage 2:
Gemeinsame Liste der im BMF-Schreiben vom 27. März 2012 (BStBl I S. 370) und in den gleich lautenden Erlassen der obersten Finanzbehörden der Länder vom 13. Juni 2012 (BStBl I S. 645) aufgeführten und nicht mehr in der aktuellen Positivliste enthaltenen BMF-Schreiben und gleich lautenden Erlassen der obersten Finanzbehörden der Länder, Stand: 08.04.2013

Siehe auch das BMF-Schreiben (koordinierter Ländererlass) IV A 2 – O-2000 / 12 / 10001 vom 09.04.2013 „Anwendung von gleich lautenden Erlassen der obersten Finanzbehörden der Länder, die bis zum 8. April 2013 ergangen sind“

Quelle: BMF

Voller Kostenabzug bei Fahrten zu verschiedenen Tätigkeitsorten auch für Selbständige!

FG Münster, Pressemitteilung vom 15.04.2013 zum Urteil 4 K 4834/10 E vom 22.03.2013

Mit Urteil vom 22. März 2013 (Az. 4 K 4834/10 E) hat der 4. Senat des Finanzgerichts Münster selbständige Unternehmer in Bezug auf Fahrten zwischen Wohnung und Betriebsstätte Arbeitnehmern gleichgestellt. Die Abzugsbeschränkung nach § 4 Abs. 5 Nr. 6 EStG ist nach Ansicht des Gerichtes auf maximal einen Tätigkeitsort beschränkt.

Die Klägerin hatte im Auftrag einer städtischen Musikschule nebenberuflich Musikkurse bzw. Musik-AGs an verschiedenen Schulen und Kindergärten gegeben. Für die Fahrten zu den insgesamt sechs verschiedenen Einrichtungen, die sie etwa einmal wöchentlich aufsuchte, nutzte sie ihren Privatwagen. Hierfür machte sie 0,30 Euro pro gefahrenen Kilometer als Betriebsausgaben geltend. Das Finanzamt erkannte jedoch lediglich die Hälfte dieser Kosten an, da es sich um Fahrten zwischen Wohnung und Betriebsstätten handele.

Der 4. Senat gab der Klage statt und gewährte der Klägerin den vollen Betriebsausgabenabzug für die Fahrten. Die sechs Einrichtungen – so der Senat -, in denen die Klägerin unterrichte, seien keine Betriebsstätten im Sinne der Abzugsbeschränkung. Eine Kürzung des Betriebsausgabenabzugs sei nur gerechtfertigt, wenn sich der Unternehmer – anders als die Klägerin – auf die immer gleichen Wege einstellen könne, etwa durch Bildung von Fahrgemeinschaften, Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel oder gezielte Wohnsitznahme. Insoweit gelte dasselbe wie bei Arbeitnehmern, die nach der neueren Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs auch nur eine regelmäßige Arbeitsstätte haben können. Keiner der von der Klägerin angefahrenen Tätigkeitsorte habe jedoch gegenüber den anderen eine derart zentrale Bedeutung, dass er als Mittelpunkt der freiberuflichen Tätigkeit angesehen werden könne.

Der Senat hat die Revision zum Bundesfinanzhof zugelassen.

Quelle: FG Münster

Dienstwagenbesteuerung: Anscheinsbeweis bei Nutzung durch GmbH-Geschäftsführer

FG Münster, Pressemitteilung vom 15.04.2013 zum Urteil 13 K 4396/10 vom 21.02.2013

Die private Kraftfahrzeugnutzung durch den Gesellschafter-Geschäftsführer einer GmbH ist als Arbeitslohn zu versteuern, wenn feststeht, dass zumindest für gelegentliche Fahrten eine Nutzung erlaubt war. Das hat der 13. Senat des Finanzgerichts Münster mit Urteil vom 21. Februar 2013 (Az. 13 K 4396/10 E) entschieden.

Der Kläger ist zu 50 % an einer GmbH beteiligt und neben dem weiteren Gesellschafter einzelvertretungsberechtigter Geschäftsführer. Die GmbH stellt ihm für betriebliche Zwecke ein Fahrzeug zur Verfügung. Der Anstellungsvertrag des Klägers enthält keine Regelungen über eine private Fahrzeugnutzung. Das Finanzamt nahm die Überlassung des ausschließlich dem Kläger zugeordneten Fahrzeugs auch für Privatfahrten an und berechnete den Arbeitslohn nach der sog. 1 %-Methode. Der Kläger wendete hiergegen ein, dass die GmbH mündlich ein Privatnutzungsverbot ausgesprochen habe. Mit seinem Mitgesellschafter habe er für etwaige Privatfahrten vereinbart, dass diese in ein Fahrtenbuch einzutragen seien. Zudem befinde sich in seinem Privatvermögen ein Motorrad. Auch könne er die Pkw seiner Ehefrau und seines Sohnes nutzen.

Das Gericht wies die Klage ab. Aufgrund der widersprüchlichen Angaben des Klägers und der Zeugenaussage des Mitgesellschafters stehe fest, dass zumindest eine gelegentliche private Nutzung erlaubt gewesen und deshalb gerade kein generelles Verbot ausgesprochen worden sei. Daher folge aus dem Anscheinsbeweis, dass der Kläger den Dienstwagen tatsächlich privat genutzt habe. Die Nutzungsmöglichkeiten anderer Fahrzeuge widerlegten diesen Anscheinsbeweis nicht, da die Fahrzeuge der Ehefrau und des Sohnes dem Kläger nicht zur freien Verfügung gestanden hätten und das Motorrad nicht dieselben Nutzungsmöglichkeiten eröffne wie der Dienstwagen.

Quelle: FG Münster

Ermäßigter Umsatzsteuersatz auf den Verkauf von Erstexemplaren an den Buchautor

FG Münster, Pressemitteilung vom 15.04.2013 zum Urteil 15 K 3276/10 vom 12.03.2013

Mit Urteil vom 12. März 2013 (Az. 15 K 3276/10 U) hat der 15. Senat des Finanzgerichts Münster entschieden, dass der Verkauf von Erstexemplaren durch einen Verlag an Buchautoren, die hierfür zur Abdeckung der Druckkosten einen höheren Preis als den Ladenpreis zahlen, keinen Gestaltungsmissbrauch darstellt.

Die Klägerin betreibt einen Verlag, der Bücher herstellt und verbreitet. Um bei neu aufgelegten Werken zumindest die Druckkosten ersetzt zu bekommen, verpflichteten sich die Buchautoren im Regelfall, jeweils 50 Erstexemplare zu einem über dem späteren Ladenpreis liegenden Preis abzunehmen. Das Finanzamt teilte die hierfür entrichteten Entgelte in einen dem ermäßigten Steuersatz unterliegenden Kaufpreis für Buchlieferungen und in einen sog. Druckkostenzuschuss auf, der dem Regelsteuersatz unterliege. Alleiniges Ziel der vertraglichen Vereinbarungen mit den Buchautoren sei – so das Finanzamt – die Steuerumgehung. Daher liege ein Gestaltungsmissbrauch nach § 42 AO vor.

Dem folgte das Gericht nicht und gab der Klage statt. Die Herstellung der Bücher und die Lieferung an die Autoren zu den jeweils vereinbarten Preisen seien insgesamt nur mit 7 % zu versteuern (§ 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG i. V. m. Nr. 49 der Anlage 2). Da eine einheitliche Leistung vorliege, sei eine Aufspaltung in mehrere Hauptleistungen nicht zulässig. Allein der tatsächlich vereinbarte Preis sei für die Bemessung des Entgelts maßgeblich. Die Vereinbarung höherer Preise zur Abdeckung der Druckkosten stelle ein beachtliches außersteuerliches Motiv für die Ausgestaltung der Verträge dar. Ein Gestaltungsmissbrauch liege daher nicht vor. Der Senat hat die Revision zum Bundesfinanzhof zugelassen.

Quelle: FG Münster