DStV zum Koalitionsvertrag: Reverse-Charge-Verfahren

Die Koalitionspartner haben sich darauf verständigt, sich auf EU-Ebene für ein endgültiges Mehrwertsteuersystem einzusetzen. In diesem Zusammenhang fällt auch das Stichwort „Reverse-Charge“. Der DStV begrüßt die Idee der generellen Umkehr der Steuerschuldnerschaft.

Die Anzahl der Paragrafen zur Umsatzbesteuerung sind im Vergleich zur Ertragsbesteuerung überschaubar. Noch dazu ist die Umsatzsteuer – zumindest im Grundsatz – europäisch harmonisiert. Das klingt erstmal sehr vorteilhaft. Dennoch hat die Steuer ein großes Manko: Sie ist betrugsanfällig. Häufig angeführter Grund: Das System der Allphasen-Netto-Umsatzsteuer mit Vorsteuerabzug.

System der Umsatzsteuer bietet mehrere Problemfronten

Das Zusammenspiel von Umsatzsteuerzahlungen und Vorsteuererstattungen führt gleich zu zwei Gefahrenherden. Zum einen, dass geschuldete Umsatzsteuer nicht abgeführt wird, und zum anderen, dass Vorsteuerbeträge zu Unrecht vergütet werden. Gerade grenzüberschreitende Sachverhalte laden so Betrüger zu sog. Karussellgeschäften ein, die im Ergebnis dazu führen, dass Vorsteuer erstattet wird, obwohl fällige Umsatzsteuer durch sog. Missing Trader nicht abgeführt wurde.

Reverse-Charge-Verfahren zur Betrugseindämmung

Die EU-Kommission arbeitet seit geraumer Zeit an Vorschlägen für ein endgültiges Mehrwertsteuersystem, welches die derzeitige Aufteilung von steuerfreien innergemeinschaftlichen Lieferungen und steuerpflichtigen innergemeinschaftlichen Erwerben im B2B-Bereich ablösen soll. Stattdessen sollen solche Lieferungen als einheitliche steuerpflichtige Lieferung gelten, die nach dem Bestimmungslandprinzip besteuert werden soll.

Der Deutsche Steuerberaterverband e.V. (DStV) gab bereits in der Vergangenheit zu bedenken, dass eine solche Systemumstellung mit gravierenden Folgen für Unternehmen und ihre Berater einherginge. Die Berufskolleginnen und Berufskollegen müssten grenzüberschreitend tätige Mandanten hinsichtlich sämtlicher Mehrwertsteuersätze der EU-Länder beraten. Die Beratung in diesem Bereich wäre dadurch erschwert, dass die Regelungen der Mehrwertsteuersätze innerhalb der einzelnen EU-Mitgliedstaaten stark variieren. Die erst kürzliche Einigung der EU-Finanzministerinnen und -minister für noch mehr Flexibilität der Mehrwertsteuersätze dürfte die Situation weiter verschärfen (vgl. Pressemitteilung der EU-Kommission v. 07.12.2021). Gerade kleinere Kanzleien ohne grenzüberschreitendes Beratungsnetzwerk dürften Leidtragende bei der von der EU‑Kommission angedachten Systemumstellung werden.

Ein Ausweg aus diesem Dilemma könnte das Reverse-Charge-Verfahren bieten. Durch die Umkehr der Steuerschuldnerschaft im Wege dieses Verfahrens kämen für die Besteuerung des Leistungsempfängers schließlich die ihm vertrauten nationalen Regelungen zur Anwendung. Die insbesondere kleine Kanzleien treffende Herausforderung von unterschiedlichen Mehrwertsteuersätzen in anderen EU-Mitgliedstaaten würde so abgemildert.

Insofern begrüßt der DStV, dass die Koalitionspartner die Idee des Reverse-Charge-Verfahrens im endgültigen Mehrwertsteuersystem ins Feld führen. DStV-Präsident StB Torsten Lüth betont: „Das Reverse-Charge-Verfahren ist geeignet, umsatzsteuerlichen Karussellbetrug zu bekämpfen. Dadurch, dass beim Reverse-Charge-Verfahren Warenempfänger sowohl Schuldner der Mehrwertsteuer als auch Vorsteuerabzugsberechtigte sind, sinkt das Betrugsrisiko für Karussellgeschäfte.“ In diesem Zusammenhang sprach sich der DStV bereits in der Vergangenheit für die Einführung eines generellen Reverse-Charge-Verfahrens aus (vgl. DStV-Stellungnahme S 01/2018).

Lüth betont: „Wichtig ist, dass nicht nur einzelne Warengruppen unter das Reverse-Charge-Verfahren fallen – wie aktuell etwa geltend für Goldlieferungen mit einem bestimmten Feingehalt. Andernfalls ändern Betrüger ihre Geschäftsfelder oder es kommt zu innereuropäischen Verlagerungstendenzen. In beiden Fällen wäre man kaum einen Schritt weiter. Letztlich ist ein Reverse-Charge-Verfahren nur effektiv, wenn alle Waren und Dienstleitungen unter ein solches System fallen.“

Neue Problemfelder im Blick behalten

Zugegeben: Es wäre illusorisch zu glauben, die Einführung des Reverse‑Charge‑Verfahrens allein würde sämtlichen Umsatzbetrügereien den Gar ausmachen. Privatpersonen, die sich als Unternehmer ausgeben, könnten etwa gleichfalls Umsatzsteuerausfälle verursachen. Insofern müsste dringend sichergestellt sein, dass der Leistungsempfänger auch wirklich Unternehmer ist.

Nichtsdestotrotz erachtet der DStV das Reverse-Charge-Verfahren als sinnvollen Schritt, dem Umsatzsteuerkarussellbetrug entgegenzuwirken. In einem ersten Schritt wird jedoch abzuwarten sein, ob sich die EU-Mitgliedstaaten überhaupt (einstimmig) auf eine solch grundlegende Änderung der Mehrwertsteuersystemrichtlinie einigen können.

Quelle: DStV, Mitteilung vom 20.01.2022