Steuerliche Behandlung von Berufskraftfahrern

Steuerliche Behandlung von Berufskraftfahrern nach dem deutschluxemburgischen Doppelbesteuerungsabkommen (DBA-Luxemburg).

Zur Erzielung einer abkommenkonformen Abgrenzung der Besteuerungsrechte bei Berufskraftfahrern wurde mit der luxemburgischen Finanzverwaltung eine Verständigungsvereinbarung getroffen, die seit dem 01.09.2011 gilt. Diese ist auf alle Fälle anzuwenden, die zum Zeitpunkt ihres Inkrafttretens noch nicht abgeschlossen oder die Gegenstand eines Verständigungsverfahrens sind (OFD Frankfurt/M. v. 09.01.2013 – S 1301 A – LU.02 – St 56).

OFD Frankfurt/M. v. 09.01.2013 – S 1301 A – LU.02 – St 56

Erweiterung der Verständigungsvereinbarung auf Lokomotivführer und Begleitpersonal – Verständigungsvereinbarung vom 8. September 2011

Bezug: BMF-Schreiben vom 19.09.2011, BStBl 2011 I S. 849 OFD-Rundverfügung vom 01.11.2006 – S 1301 A – LU.02 – St 58; OFD-Rundverfügung vom 23.11.2005 – S 1301 A – LU.02 – St 58; OFD-Rundverfügung vom 09.10.2006 – S 1300 A – 50 – St 58

 

Kapitelübersicht
Allgemeines
Verständigungsvereinbarung zum DBA Luxemburg
Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen vom 19. September 2011 – IV B 3 – S 1301 LUX/07/10002

Allgemeines
Einzelheiten zur Besteuerung des Arbeitslohns nach den DBA bei Berufskraftfahrern enthält auch Tz. 7 des BMF-Schreibens vom 14.09.2006 – IV B 6 – S 1300 – 367/06 – zur „Steuerlichen Behandlung des Arbeitslohns nach den Doppelbesteuerungsabkommen” (vgl. Rundvfg. vom 09.10.2006 – Kartei DBA, AStG S 1300 DBA Allgemeines, Besteuerung von Arbeitslohn, Karte 39).

Berufskraftfahrer halten sich während der Arbeitsausübung in oder bei ihrem Fahrzeug auf. Das Fahrzeug ist daher ihre regelmäßige Arbeitsstätte. Der Ort der Arbeitsausübung des Berufskraftfahrers bestimmt sich nach dem jeweiligen Aufenthalts- bzw. Fortbewegungsort des Fahrzeugs.

Berufskraftfahrer mit Wohnsitz in Deutschland sind nach § 1 Abs. 1 Satz 1 EStG in Deutschland unbeschränkt einkommensteuerpflichtig. Die Steuerpflicht erstreckt sich auf sämtliche Einkünfte i. S. des § 2 Abs. 1 EStG.

Gemäß Artikel 20 Abs. 2 i. V. mit Art 10 Abs. 1 des DBA-Luxemburg sind die Einkünfte eines im Inland wohnenden Berufskraftfahrers mit luxemburgischen Arbeitgeber bei der Besteuerung in Deutschland insoweit von der Steuer freizustellen (unter Progressionsvorbehalt), als die Arbeit in Luxemburg ausgeübt worden ist.

Verständigungsvereinbarung zum DBA Luxemburg

Zur nachstehenden Verständigungsvereinbarung ist eine Rechtsverordnung (KonsVerLUXV) ergangen. Die unten aufgeführte Verständigungsvereinbarung ist in deutsches innerstaatliches Recht transformiert worden und für alle Besteuerungssachverhalte ab dem 17.10.2011 (§ 11 KonsVerLUXV) anzuwenden.

Zur Erzielung einer abkommenkonformen Abgrenzung der Besteuerungsrechte wurde mit der luxemburgischen Finanzverwaltung die nachstehende Verständigungsvereinbarung getroffen, die seit dem 01.09.2011 gilt. Diese ist auf alle Fälle anzuwenden, die zum Zeitpunkt ihres Inkrafttretens noch nicht abgeschlossen oder die Gegenstand eines Verständigungsverfahrens sind.

Anbei übersende ich die mit der luxemburgischen Finanzverwaltung am 7. September 2011 geschlossene Verständigungsvereinbarung zum Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerungen und über gegenseitige Amts- und Rechtshilfe auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen sowie der Gewerbesteuern und der Grundsteuern vom 23. August 1958 in der Fassung des Ergänzungsprotokolls vom 15. Juni 1973 und des Änderungsprotokolls vom 11. Dezember 2009 betreffend die Besteuerung der Löhne von Berufskraftfahrern, Lokomotivführern und Begleitpersonal, die in einem der beiden Vertragsstaaten ansässig und für ein in dem anderen Vertragsstaat ansässiges Unternehmen tätig sind.

Hinsichtlich der Umsetzung der Verständigungsvereinbarung haben beide Seiten eine Umsetzungsvereinbarung getroffen. Unter anderem wird die luxemburgische Finanzverwaltung den zuständigen deutschen Behörden hiernach Informationen über die betreffenden Berufskraftfahrer, Lokomotivführer und das Begleitpersonal spontan mitteilen. Die Umsetzungsvereinbarung übersende ich diesem Schreiben anliegend ebenfalls zur Kenntnis.

Die Verständigungsvereinbarung ist am 8. September 2011 in Kraft getreten und ist auch auf alle Fälle anzuwenden, die zu diesem Zeitpunkt noch nicht abgeschlossen oder die Gegenstand eines Verständigungsverfahrens sind. Sie ersetzt die Vereinbarung betreffend die Besteuerung der Löhne von Berufskraftfahrern vom März 2005.

Anlage 1.

Verständigungsvereinbarung zum Abkommen vom 23.8.1958 in der Fassung des Ergänzungsprotokolls vom 15.6.1973 zwischen dem Großherzogtum Luxemburg und der Bundesrepublik Deutschland zur Vermeidung der Doppelbesteuerung betreffend die Besteuerung der Löhne von Berufskraftfahrern, die in einem der beiden Vertragsstaaten ansässig und für ein in dem anderen Vertragsstaat ansässiges Unternehmen tätig sind.

Zur Beseitigung von Schwierigkeiten bei der Abgrenzung des Besteuerungsrechts der Vertragsstaaten nach dem Ausübungsort der nichtselbständigen Tätigkeit bei Berufskraftfahrern, die in einem der Vertragsstaaten ansässig sind und ihre nichtselbständige Tätigkeit für ein in dem anderen Vertragsstaat ansässigen Arbeitgeber ausüben, verständigen sich die zuständigen Behörden gem. Art. 26 Abs. 3 des Abkommens vom 23.8.1958 zwischen dem Großherzogtum Luxemburg und der Bundesrepublik Deutschland zur Vermeidung der Doppelbesteuerungen und über gegenseitige Amts- und Rechtshilfe auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen sowie der Gewerbesteuern und der Grundsteuern in der Fassung des Ergänzungsprotokolls vom 15.6.1973 wie folgt:

  1. Der Arbeitslohn, der auf Arbeitstage entfällt, an denen der Berufskraftfahrer seine Tätigkeit ausschließlich in dem Vertragsstaat ausgeübt hat, in dem er seinen Wohnsitz hat, wird in diesem Vertragsstaat besteuert.
  2. Der Arbeitslohn, der auf Arbeitstage entfällt, an denen der Berufskraftfahrer seine Tätigkeit ausschließlich in dem Vertragsstaat ausgeübt hat, in dem der Arbeitgeber des Berufskraftfahrers seinen Wohnsitz hat, wird in diesem Vertragsstaat besteuert.
  3. Der Arbeitslohn, der auf Arbeitstage entfällt, an denen der Berufskraftfahrer seine Tätigkeit ausschließlich
    1. in einem oder mehreren Drittstaaten, oder
    2. in einem oder mehreren Drittstaaten und in dem Vertragsstaat, in dem der Berufskraftfahrer seinen Wohnsitz hat, ausgeübt hat, wird in dem Vertragsstaat besteuert, in dem der Berufskraftfahrer seinen Wohnsitz hat. Drittstaat im Sinne dieser Vereinbarung ist jeder Staat mit Ausnahme der beiden Vertragsstaaten
  4. Der Arbeitslohn, der auf Arbeitstage entfällt, an denen der Berufskraftfahrer seine Tätigkeit teilweise in dem Vertragsstaat ausgeübt hat, in dem der Arbeitgeber des Berufskraftfahrers seinen Wohnsitz hat, und teilweise
    1. in dem Vertrags Staat, in dem der Berufskraftfahrer seinen Wohnsitz hat,
    2. in einem oder mehreren Drittstaaten, oder
    3. in dem Vertragsstaat, in dem der Berufskraftfahrer seinen Wohnsitz hat, und in einem oder mehreren Drittstaaten, wird, unabhängig von der jeweiligen Verweildauer des Berufskraftfahrers in den einzelnen Staaten, zu gleichen Teilen auf die entsprechenden Staaten aufgeteilt. Das anteilige Besteuerungsrecht wird sodann gemäß den Nummern 1 bis 3 den Vertragsstaaten zugewiesen.
  5. Das Besteuerungsrecht für den Arbeitslohn, der auf freie Tage (wie z. B. Samstage, Sonntage, Feiertage, Urlaubstage) des Berufskraftfahrers entfällt, steht den Vertragsstaaten in dem Verhältnis zu, in dem der Arbeitslohn nach den Tätigkeitstagen gemäß den Nummern 1 bis 4 für das gesamte Kalenderjahr auf die Vertragsstaaten aufgeteilt worden ist. Das Besteuerungsrecht des Krankengeldes steht dem Vertragsstaate zu, in dem der Berufskraftfahrer der Sozialversicherungspflicht unterliegt.
  6. Im Sinne dieser Vereinbarung sind Fahrten des Berufskraftfahrers zwischen Wohnung und Arbeitsstätte nicht als Ausübung seiner nichtselbständigen Tätigkeit anzusehen. Regelmäßige Arbeitsstätte des Berufskraftfahrers ist das Fahrzeug.
  7. Die Vereinbarung gilt sinngemäß für die Fälle, in denen der Berufskraftfahrer mit Wohnsitz in einem der beiden Vertragsstaaten für seine Tätigkeit zu Lasten einer in dem anderen Vertragsstaat befindlichen Betriebsstätte des Arbeitgebers entlohnt wird.
  8. Diese Vereinbarung tritt mit Unterzeichnung durch beide zuständigen Behörden der Vertragsstaaten in Kraft und ist für Steuerjahre anzuwenden, die am oder nach dem 1.7.2005 beginnen. In der Bundesrepublik Deutschland ist die Vereinbarung zudem innerhalb eines Jahres nach Abschluss der Verständigungsvereinbarung auf Antrag auf alle abgeschlossenen Fälle anzuwenden.
  9. Nach Ablauf von drei Jahren werden die zuständigen Behörden die Regelungen gemeinsam auf ihre Zweckmäßigkeit überprüfen.

Anlage 2

Umsetzung der Verständigungsvereinbarung

Beide Vertragsparteien werden die Öffentlichkeit, insbesondere die Verbände, Arbeitgeber und Gewerkschaften über diese Verständigungsvereinbarung in geeigneter Weise informieren. Die Vertragsparteien beabsichtigen, den Inhalt dieser Verständigungsvereinbarung insbesondere den luxemburgischen Arbeitgebern und den in Deutschland ansässigen Berufskraftfahrern in hinreichendem Umfang bekannt zu machen. Die betroffenen luxemburgischen Arbeitgeber und die in Deutschland ansässigen Berufskraftfahrer sollen durch geeignete Informationen in die Lage versetzt werden, die Vorgaben dieser Verständigungsvereinbarung zu beachten, so dass eine zutreffende Besteuerung sicher gestellt ist. Zur Erreichung dieses Ziels sollen den betreffenden Arbeitgebern die Regelungen dieser Verständigungsvereinbarung in einem Rundschreiben der luxemburgischen Finanzverwaltung näher erläutert werden. Dieses Rundschreiben wird darauf hinweisen, dass luxemburgische Arbeitgeber die Lohnsteuer für ihre in Deutschland ansässigen Berufskraftfahrer unter Berücksichtigung dieser Vereinbarung zu berechnen und darüber hinaus auf der Lohnbescheinigung den Teil des Arbeitslohns auszuweisen haben, der nicht der luxemburgischen, sondern der deutschen Steuer unterliegt. Dieser Betrag ist unter „Autres exemptions” (Buchst. C Nr. 2) auf der Lohnsteuerbescheinigung anzugeben. Die in Deutschland ansässigen Arbeitnehmer sind im Rahmen ihrer Einkommensteuererklärung verpflichtet, den Anteil des Arbeitslohns, welcher der deutschen Steuer unterliegt, nachzuweisen, insbesondere durch Vorlage der vom luxemburgischen Arbeitgeber erteilten Lohnbescheinigung. Die luxemburgische Finanzverwaltung erteilt Auskünfte auf Anfragen der deutschen Finanzverwaltung, die aufgrund konkreter Anhaltspunkte für die fehlende Beachtung der Verständigungsvereinbarung durch in Deutschland ansässige Berufskraftfahrer notwendig werden.

Ich bitte, auf der Bezugsverfügung vom 09.10.2006 (Karteikarte S 1300 DBA Allgemeines, Besteuerung von Arbeitslohn, Karte 1) einen Hinweis auf die vorliegende Karteikarte anzubringen.

Die folgende Rundverfügung ist auszusondern:

Rdvfg. vom 19.12.1996 (S 1300 A – 50 – St III la)  – Kartei DBA, AStG S 1300 DBA Allgemeines, Besteuerung von Arbeitslohn, Karte 4

Medizinische Maßnahmen als außergewöhnliche Belastungen

Einkommensteuer: Medizinische Maßnahmen als außergewöhnliche Belastungen (FinMin)

Behandlungen, die lediglich aus kosmetischen Erwägungen heraus – ohne medizinische Notwendigkeit und ohne therapeutisches Ziel – vorgenommen werden, sind keine Krankheitskosten, sondern Kosten der privaten Lebensführung (Finanzministerium Schleswig-Holstein v. 12.03.2013 – Kurzinfo ESt 6/2013VI 313 – S 2284 – 187).

Ministerium der Finanzen Schleswig-Holstein v. 12.03.2013 – Kurzinfo ESt 6/2013VI 313 – S 2284 – 187

Aufwendungen für eine medizinische Maßnahme, die nicht zweifelsfrei der Linderung oder Heilung einer Krankheit dient, als außergewöhnliche Belastungen i. S. des§ 33 EStG; Voraussetzungen für den Nachweis der Zwangsläufigkeit

 

Mir ist die Frage gestellt worden, welche Nachweise Steuerpflichtige für Aufwendungen aufgrund von plastischen Operationen und anderen Operationen im Bereich der Schönheitspflege (z. B. Fettabsaugung) zu erbringen haben, um diese Aufwendungen als Krankheitskosten nach § 33 EStG berücksichtigen zu können.

Aufwendungen für Heilbehandlungen werden typisierend als außergewöhnliche Belastungen nach § 33 EStG berücksichtigt, ohne dass die Aufwendungen dem Grunde und der Höhe nach geprüft werden. Heilbehandlungen sind Maßnahmen, die entweder der Heilung einer Krankheit dienen oder den Zweck verfolgen, die Krankheit erträglich zu machen und ihre Folgen zu lindern (BFH-Urteil vom 17. Juli 1981, VI R 77/78, BStBl 1981 II S. 711). Der Begriff der Heilbehandlung umfasst dabei alle Eingriffe und andere Behandlungen, die nach den Erkenntnissen und Erfahrungen der Heilkunde und nach den Grundsätzen eines gewissenhaften Arztes zu dem Zweck angezeigt sind und vorgenommen werden, Krankheiten, Leiden, Körperschäden, körperliche Beschwerden oder seelische Störungen zu verhüten, zu erkennen, zu heilen oder zu lindern.

Hiervon abzugrenzen sind Behandlungen, die lediglich aus kosmetischen Erwägungen heraus – ohne medizinische Notwendigkeit und ohne therapeutisches Ziel – vorgenommen werden. Die Aufwendungen für derartige Behandlungen fallen nicht unter den Begriff der Heilbehandlung und sind somit keine Krankheitskosten, sondern Kosten der privaten Lebensführung, die nach § 12 Nummer 1 EStGsteuerlich unbeachtlich sind.

Ist nicht eindeutig erkennbar, ob die medizinische Maßnahme der Heilung oder Linderung einer Krankheit dient, befindet sich der Steuerpflichtige nach allgemeinen Verfahrensgrundsätzen im Zweifel in der Beleg- und Nachweispflicht darüber, dass es sich bei seinen Aufwendungen um Krankheitskosten handelt.

Bis zur Änderung seiner langjährigen Rechtsprechung mit den Urteilen 11. November 2010, VI R 16/09, BStBl 2011 II S. 966 und VI R 17/09, BStBl 2011 II S. 969 forderte der BFH in diesen Fällen zum Nachweis der Aufwendungen stets ein vor der Behandlung ausgestelltes amts- oder vertrauensärztliches Attest (u. a. BFH-Urteil vom 24. November 2006, III B 57/06, BFH/NV 2007 S. 438, betreffend Aufwendungen für eine Fettabsaugung). Mit der Änderung seiner Rechtsprechung hält der BFH nicht mehr an diesem formalisierten Nachweisverlangen fest.

Im Steuervereinfachungsgesetz 2011 wurden in Reaktion auf diese Rechtsprechungsänderung in § 64 Absatz 1 EStDV die derzeit geltenden Verwaltungsanweisungen (R 33.4 EStR 2008) zum Nachweis von Krankheitskosten im Wesentlichen gesetzlich festgeschrieben.

Der Anwendungskatalog des § 64 Absatz 1 EStDV enthält jedoch keine Regelung für Operationen aller Art, d. h. es gibt keine Regelung nach der ein vor Beginn der Maßnahme ausgestelltes amts- oder vertrauensärztliches Attest gefordert werden kann.

Es ist daher wie folgt zu verfahren:

Der Steuerpflichtige hat die Zweckbestimmung seiner Behandlung anhand geeigneter Unterlagen nachzuweisen.

Ein Attest des behandelnden Arztes genügt grundsätzlich nicht. Sofern die Behandlung medizinisch indiziert ist, ist davon auszugehen, dass dem Steuerpflichtigen entsprechende Befundberichte vorliegen und er diese zum Nachweis der medizinischen Notwendigkeit vorlegen kann.

Die Umstände des Einzelfalles sind zu berücksichtigen (Art der Maßnahme, Krankheitsbild, Gründe für die fehlende Erstattung).

Der Nachweis einer medizinischen Indikation gilt auf jeden Fall dann als erbracht, wenn sich die Krankenversicherung oder der Beihilfeträger an den Behandlungskosten beteiligt hat.

Sollte die medizinische Notwendigkeit der Behandlung streitig werden, dann erleichtert ein bereits vor Beginn der Behandlung ausgestelltes amtsärztliches Gutachten oder eine ärztliche Bescheinigung des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung zur medizinischen Notwendigkeit der Behandlung die Nachweisführung.

Fristverlängerung und vorzeitige Anforderung für Steuererklärungen 2012

Steuererklärungsfristen für das Kalenderjahr 2012, Fristverlängerung und vorzeitige Anforderung für Steuererklärungen 2012

1. Steuererklärungsfristen für das Kalenderjahr 2012

Die gleich lautenden Erlasse der obersten Finanzbehörden der Länder (außer Hes
sen) vom 2.1.2013 über Steuererkiärungsfristen 2012 (Fristenerlass 2012^ sind im
Bundessteuerblatt l 2013, S. 66, veröffentlicht.

2. Fristverlängerungen

Unverändert zu dem Verfahren im Vorjahr wird die gesetzliche Abgabefrist des 31.5.2013 für Steuerpflichtige, die steuerlich vertreten werden, einheitlich allgemein auf den 31.12.2013 verlängert. Diese allgemeine Fristverlängerung gilt auch für Angehörige der steuerberatenden Berufe in eigener Sache. Fristverlängerungen über den 31.12.2013 hinaus sind nur ausnahmsweise auf begründete Einzelanträge hin bis zum 28.2.2014 zu gewähren; Arbeitsüberlastung oder personelle Engpässe reichen dabei als Begründung nicht aus.

Eine über den 28.2.2014 hinausgehende Fristverlängerung kommt grundsätzlich nicht in Betracht (vgl. Abschn. II Abs. 3 Satz 2 des Fristenerlass 2012V

 

3. Vorzeitige Anforderung von Steuererklärungen

3.1 Auswahl der Fälle

Gemäß Abschnitt II Abs. 2 des Fristenerlasses 2012 sollen insbesondere in den Fäl
len die Steuererklärungen vorzeitig angefordert werden, in denen für den vorangegan
genen Veranlagungszeitraum die erforderlichen Erklärungen verspätet oder nicht ab
gegeben wurden.

3.1.1 Finanzämter für Körperschaften

Es werden in allen Fällen, in denen die Körperschaftsteuer- oder die Feststellungser
klärungen für 2011 nicht bis zum 31.3.2013 abgegeben worden sind, die entsprechen
den Steuererklärungen für 2012 maschinell zum 31.8.2013 vorzeitig angefordert. Die
se Vorgaben berücksichtigen unter Fortführung des Verfahrens im Vorjahr die beson
deren Rahmenbedingungen in den Finanzämtern für Körperschaften.
Die maschinell erstellten Anforderungsschreiben (Muster siehe Anlage) werden zen
tral versandt. Die Absendung erfolgt voraussichtlich im April 2013. Zweitschriften für
die Akten werden nicht ausgedruckt.

3.1.2 Regional zuständige Finanzämter

Es werden in allen Fällen, in denen die Einkommensteuer- oder die Feststellungser
klärungen für 2011 nicht bis zum 30.4.2013 abgegeben worden sind, die entsprechen
den Erklärungen für 2012 maschinell zum 15.10.2013 vorzeitig angefordert. Diese
Vorgaben berücksichtigen unter Fortführung des Verfahrens im Vorjahr die besonde
ren Rahmenbedingungen in den regional zuständigen Finanzämtern.
Die maschinell erstellten Anforderungsschreiben (Muster siehe Anlage) werden zen
tral versandt. Die Absendung erfolgt voraussichtlich im Mai 2013. Zweitschriften für
die Akten werden nicht ausgedruckt.

3.1.3 Personelle vorzeitige Anforderung

Darüber hinaus bleibt eine personelle vorzeitige Anforderung zulässig, wenn dies
nach den Verhältnissen des Einzelfalles zweckmäßig erscheint (vgl. Abschn. II Abs. 2
Satz 1 des Fristenerlass 2012). Hierfür steht die Unifa-Vorlajge „Steuererklärung(en)
Abgabe vorzeitig“ im Dokumentenmanager unter
– Arbeitnehmerstelle\Anforderung Steuererklärung\
– VeranlagungWiforderung Steuererklärung\
– KörperschaftsteuerstelleWiforderung Steuererklärung\
zur Verfügung.
Im Fall einer Betriebseinstellung sind die Betriebssteuererklärungen immer vorzeitig
anzufordern.

3.2 Bearbeitungszeit vorzeitig angeforderter Erklärungen

Die vorzeitig angeforderten Steuererklärungen sind ohne Rücksicht auf das steuerli
che Ergebnis möglichst innerhalb von zwei Monaten nach Eingang zu bearbeiten.
3.3 Keine Fristverlängerung vorzeitig angeforderter Erklärungen
Bei vorzeitig angeforderten Steuererklärungen kommt eine Fristverlängerung nur in
Einzelfällen in Betracht, wenn aufgrund außergewöhnlicher Umstände in der Person
des Steuerpflichtigen oder des Angehörigen der steuerberatenden Berufe ein zwin
gender Ausnahmefall vorliegt. Ein zwingender Ausnahmefall liegt insbesondere nicht
vor, wenn Arbeitsüberlastung oder personelle Engpässe geltend gemacht werden.

3.4 Keine Erinnerungen für ausstehende vorzeitig angeforderte Erklärungen

Nach ergebnislosem Fristablauf erfolgt keine Erinnerung an die Abgabe ausstehender
Erklärungen. Es können sodann ohne weiteres erforderliche Maßnahmen – Zwangs
geldverfahren (§ 328 AO) oder Schätzung der Besteuerungsgrundlageh (§ 162 AO)
und Festsetzung eines Verspätungszuschlags (§ 152 AO) – ergriffen werden.
Arbeitslisten ausstehender Erklärungen werden kurzfristig nach Fristablauf ausgege
ben.

3.5 Information an Kammern und Verbände

Die Steuerberaterkammer Berlin, der Steuerberaterverband Berlin-Brandenburg e.V.
und der Berlin-Brandenburger Verband der Steuerberater, Wirtschaftsprüfer und ver
eidigten Buchprüfer e.V. werden über diese Regelung informiert.

Abgrenzung von Lieferungen und sonstigen Leistungen bei der Abgabe von Speisen und Getränken

Umsatzsteuer: Abgrenzung von Lieferungen und sonstigen Leistungen bei der Abgabe von Speisen und Getränken; Konsequenzen des EuGH-Urteils vom 10. März 2011 – C-497/09 u. a – sowie der BFH-Urteile vom 8. Juni 2011, XI R 37/08, 30. Juni 2011, V R 3/07, V R 35/08, V R 18/10, 12. Oktober 2011, V R 66/09, und vom 23. November 2011, XI R 6/08 sowie der Verordnung (EU) Nr. 282/11 des Rates vom 15. März 2011 (ABl. EU Nr. L 77 S. 1)

Mit Urteilen vom 10. März 2011, C-497/09 u. a., 8. Juni 2011, XI R 37/08, 30. Juni 2011, V R 3/07, V R 35/08, V R 18/10, 12. Oktober 2011, V R 66/09, und vom 23. November 2011, XI R 6/08, haben der EuGH und der BFH zur Abgrenzung von Lieferungen und sonstigen Leistungen bei der Abgabe von Speisen und Getränken Recht gesprochen1.
Unter Bezugnahme auf das Ergebnis der Erörterung mit den obersten Finanzbehörden der Länder gilt Folgendes:

I. Anwendung der Urteile

Neben den genannten Urteilen ist für nach dem 30. Juni 2011 ausgeführte Umsätze Artikel 6 der Verordnung (EU) Nr. 282/11 des Rates vom 15. März 2011, ABl. EU Nr. L 77 S. 1, (MwStVO) zu berücksichtigen. Nach Artikel 6 Abs. 1 MwStVO gilt die Abgabe zubereiteter oder nicht zubereiteter Speisen und/oder von Getränken zusammen mit ausreichenden unterstützenden Dienstleistungen, die deren sofortigen Verzehr ermöglichen, als sonstige
1 Die Urteile werden zeitgleich im Bundessteuerblatt II veröffentlicht.

Leistung. Die Abgabe von Speisen und/oder Getränken ist nur eine Komponente der gesamten Leistung, bei der der Dienstleistungsanteil überwiegt. Auf die Zubereitung kommt es demnach nicht an. Soweit die genannten Urteile für die Beurteilung eines Umsatzes an die Komplexität der Zubereitung von Speisen anknüpfen, sind sie für nach dem 30. Juni 2011 ausgeführte Umsätze nicht mehr anzuwenden.

II. Änderung des Umsatzsteuer-Anwendungserlasses

Abschnitt 3.6 des Umsatzsteuer-Anwendungserlasses vom 1. Oktober 2010 (BStBl I S. 846), der zuletzt durch das BMF-Schreiben vom 7. März 2013 – IV D 2 – S 7105/11/10001 (2013/0213861) – geändert worden ist, wird wie folgt gefasst:
„3.6. Abgrenzung von Lieferungen und sonstigen Leistungen bei der Abgabe von Speisen und Getränken

(1) Verzehrfertig zubereitete Speisen können sowohl im Rahmen einer ggfs. ermäßigt besteuerten Lieferung als auch im Rahmen einer nicht ermäßigt besteuerten sonstigen Leistung abgegeben werden. Die Abgrenzung von Lieferungen und sonstigen Leistungen richtet sich dabei nach allgemeinen Grundsätzen (vgl. Abschnitt 3.5). Nach Artikel 6 Abs. 1 MwStVO gilt die Abgabe zubereiteter oder nicht zubereiteter Speisen und/oder von Getränken zusam-men mit ausreichenden unterstützenden Dienstleistungen, die deren sofortigen Verzehr ermöglichen, als sonstige Leistung. Die Abgabe von Speisen und/oder Getränken ist nur eine Komponente der gesamten Leistung, bei der der Dienstleistungsanteil qualitativ überwiegt. Ob der Dienstleistungsanteil qualitativ überwiegt, ist nach dem Gesamtbild der Verhältnisse des Umsatzes zu beurteilen. Bei dieser wertenden Gesamtbetrachtung aller Umstände des Einzelfalls sind nur solche Dienstleistungen zu berücksichtigen, die sich von denen unterscheiden, die notwendig mit der Vermarktung der Speisen verbunden sind (vgl. Absatz 3). Dienstleistungselemente, die notwendig mit der Vermarktung von Lebensmitteln verbunden sind, bleiben bei der vorzunehmenden Prüfung unberücksichtigt (vgl. Absatz 2). Ebenso sind Dienstleistungen des speiseabgebenden Unternehmers oder Dritter, die in keinem Zusammen-hang mit der Abgabe von Speisen stehen (z. B. Vergnügungsangebote in Freizeitparks, Leistungen eines Pflegedienstes oder Gebäudereinigungsleistungen außerhalb eigenständiger Cateringverträge), nicht in die Prüfung einzubeziehen.

(2) Insbesondere folgende Elemente sind notwendig mit der Vermarktung verzehrfertiger Speisen verbunden und im Rahmen der vorzunehmenden Gesamtbetrachtung nicht zu berücksichtigen:
− Darbietung von Waren in Regalen;
− Zubereitung der Speisen;
− Transport der Speisen und Getränke zum Ort des Verzehrs einschließlich der damit in Zusammenhang stehenden Leistungen wie Kühlen oder Wärmen, der hierfür erforderlichen Nutzung von besonderen Behältnissen und Geräten sowie der Vereinbarung eines festen Lieferzeitpunkts;
− Übliche Nebenleistungen (z. B. Verpacken, Beigabe von Einweggeschirr oder -besteck);
− Bereitstellung von Papierservietten;
− Abgabe von Senf, Ketchup, Mayonnaise, Apfelmus oder ähnlicher Beigaben;
− Bereitstellung von Abfalleimern an Kiosken, Verkaufsständen, Würstchenbuden usw.;
− Bereitstellung von Einrichtungen und Vorrichtungen, die in erster Linie dem Verkauf von Waren dienen (z. B. Verkaufstheken und -tresen sowie Ablagebretter an Kiosken, Verkaufsständen, Würstchenbuden usw.);
− bloße Erstellung von Leistungsbeschreibungen (z. B. Speisekarten oder -pläne);
− allgemeine Erläuterung des Leistungsangebots;
− Einzug des Entgelts für Schulverpflegung von den Konten der Erziehungsberechtigten.
Die Abgabe von zubereiteten oder nicht zubereiteten Speisen mit oder ohne Beförderung, jedoch ohne andere unterstützende Dienstleistungen, stellt stets eine Lieferung dar (Artikel 6 Abs. 2 MwStVO). Die Sicherstellung der Verzehrfertigkeit während des Transports (z. B. durch Warmhalten in besonderen Behältnissen) sowie die Vereinbarung eines festen Zeit-punkts für die Übergabe der Speisen an den Kunden sind unselbständiger Teil der Beförde-rung und daher nicht gesondert zu berücksichtigen. Die Abgabe von Waren aus Verkaufsautomaten ist stets eine Lieferung.

(3) Nicht notwendig mit der Vermarktung von Speisen verbundene und damit für die Annahme einer Lieferung schädliche Dienstleistungselemente liegen vor, soweit sich der leistende Unternehmer nicht auf die Ausübung der Handels- und Verteilerfunktion des Lebensmitteleinzelhandels und des Lebensmittelhandwerks beschränkt (vgl. BFH-Urteil vom 24. 11. 1988, V R 30/83, BStBl 1989 II S. 210). Insbesondere die folgenden Elemente sind nicht notwendig mit der Vermarktung von Speisen verbunden und daher im Rahmen der Gesamtbetrachtung zu berücksichtigen:
− Bereitstellung einer die Bewirtung fördernden Infrastruktur (vgl. Absatz 4);
− Servieren der Speisen und Getränke;
− Gestellung von Bedienungs-, Koch- oder Reinigungspersonal;
− Durchführung von Service-, Bedien- oder Spülleistungen im Rahmen einer die Bewirtung fördernden Infrastruktur oder in den Räumlichkeiten des Kunden;
− Nutzungsüberlassung von Geschirr oder Besteck;
− Überlassung von Mobiliar (z. B. Tischen und Stühlen) zur Nutzung außerhalb der Geschäftsräume des Unternehmers;
− Reinigung bzw. Entsorgung von Gegenständen, wenn die Überlassung dieser Gegen-stände ein berücksichtigungsfähiges Dienstleistungselement darstellt (vgl. BFH-Urteil vom 10. 8. 2006, V R 55/04, BStBl 2007 II S. 480);
− Individuelle Beratung bei der Auswahl der Speisen und Getränke;
− Beratung der Kunden hinsichtlich der Zusammenstellung und Menge von Mahlzeiten für einen bestimmten Anlass.
Erfüllen die überlassenen Gegenstände (Geschirr, Platten etc.) vornehmlich Verpackungs-funktion, stellt deren Überlassung kein berücksichtigungsfähiges Dienstleistungselement dar. In diesem Fall ist auch die anschließende Reinigung bzw. Entsorgung der überlassenen Gegenstände bei der Gesamtbetrachtung nicht zu berücksichtigen.
Bereitstellung einer die Bewirtung fördernden Infrastruktur

(4) Die Bereitstellung einer die Bewirtung fördernden Infrastruktur stellt ein im Rahmen der Gesamtbetrachtung zu berücksichtigendes Dienstleistungselement dar. Zu berücksichtigen ist dabei insbesondere die Bereitstellung von Vorrichtungen, die den bestimmungsgemäßen Ver-zehr der Speisen und Getränke an Ort und Stelle fördern sollen (z. B. Räumlichkeiten, Tische und Stühle oder Bänke, Bierzeltgarnituren). Auf die Qualität der zur Verfügung gestellten Infrastruktur kommt es nicht an. Daher genügt eine Abstellmöglichkeit für Speisen und Getränke mit Sitzgelegenheit für die Annahme einer sonstigen Leistung (vgl. BFH-Urteil vom 30. 6. 2011, V R 18/10, BStBl 2013 II S. ___). Daneben sind beispielsweise die Bereitstellung von Garderoben und Toiletten in die Gesamtbetrachtung einzubeziehen. Eine in erster Linie zur Förderung der Bewirtung bestimmte Infrastruktur muss nicht einer ausschließlichen Nutzung durch die verzehrenden Kunden vorbehalten sein. Duldet der Unternehmer daneben eine Nutzung durch andere Personen, steht dies einer Berücksichtigung nicht entgegen. Vor-richtungen, die nach ihrer Zweckbestimmung im Einzelfall nicht in erster Linie dazu dienen, den Verzehr von Speisen und Getränken zu erleichtern (z. B. Stehtische und Sitzgelegenhei-ten in den Wartebereichen von Kinofoyers sowie die Bestuhlung in Kinos, Theatern und Stadien, Parkbänke im öffentlichen Raum, Nachttische in Kranken- und Pflegezimmern), sind nicht zu berücksichtigen (vgl. BFH-Urteil vom 30. 6. 2011, V R 3/07, BStBl 2013 II). Dies gilt auch dann, wenn sich an diesen Gegenständen einfache, behelfsmäßige Vorrichtungen befinden, die den Verzehr fördern sollen (z. B. Getränkehalter, Ablagebretter). Nicht zu berücksichtigen sind außerdem behelfsmäßige Verzehrvorrichtungen, wie z. B. Verzehrtheken ohne Sitzgelegenheit oder Stehtische. Sofern die Abgabe der Speisen und Getränke zum Verzehr vor Ort erfolgt, kommt es jedoch nicht darauf an, dass sämtliche bereitgestellte Einrichtungen tatsächlich genutzt werden. Vielmehr ist das bloße Zur-Verfügung-Stellen ausreichend. In diesem Fall ist auf sämtliche Vor-Ort-Umsätze der allgemeine Steuersatz anzuwenden. Für die Berücksichtigung einer die Bewirtung fördernden Infrastruktur ist die Zweckabrede zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses maßgeblich. Bringt der Kunde zum Ausdruck, dass er eine Speise vor Ort verzehren will, nimmt diese anschließend jedoch mit, bleibt es bei der Anwendung des allgemeinen Umsatzsteuersatzes. Werden Speisen sowohl unter Einsatz von nicht zu berücksichtigenden Infrastrukturelementen (z. B. in Wartebereichen von Kinos) als auch hiervon getrennt in Gastronomiebereichen abgegeben, ist eine gesonderte Betrachtung der einzelnen Bereiche vorzunehmen.

(5) Die in Absatz 3 genannten Elemente sind nur dann zu berücksichtigen, wenn sie dem Kunden vom speiseabgebenden Unternehmer im Rahmen einer einheitlichen Leistung zur Verfügung gestellt werden und vom Leistenden ausschließlich dazu bestimmt wurden, den Verzehr von Lebensmitteln zu erleichtern (vgl. BFH-Urteil vom 30. 6. 2011, V R 18/10, BStBl 2013 II). Von Dritten erbrachte Dienstleistungselemente sind grundsätzlich nicht zu berücksichtigen. Voraussetzung für eine Nichtberücksichtigung ist, dass der Dritte unmittelbar gegenüber dem verzehrenden Kunden tätig wird. Es ist daher im Einzelfall – ggf. unter Berücksichtigung von getroffenen Vereinbarungen – zu prüfen, inwieweit augenscheinlich von einem Dritten erbrachte Dienstleistungselemente dem speiseabgebenden Unternehmer zuzurechnen sind. Leistet der Dritte an diesen Unternehmer und dieser wiederum an den Kunden, handelt es sich um ein Dienstleistungselement des speiseabgebenden Unternehmers, das im Rahmen der Gesamtbetrachtung zu berücksichtigen ist.

(6) Die in den Absätzen 1 bis 5 dargestellten Grundsätze gelten gleichermaßen für Imbissstände wie für Verpflegungsleistungen in Kindertagesstätten, Schulen und Kantinen, Krankenhäusern, Pflegeheimen oder ähnlichen Einrichtungen, bei Leistungen von Catering-Unternehmen (Partyservice) und Mahlzeitendiensten („Essen auf Rädern“). Sie gelten ebenso für unentgeltliche Wertabgaben. Ist der Verzehr durch den Unternehmer selbst als sonstige Leistung anzusehen, liegt eine unentgeltliche Wertabgabe § 3 Abs. 9a Nr. 2 UStG vor, die dem allgemeinen Steuersatz unterliegt. Für unentgeltliche Wertabgaben nach § 3 Abs. 1b UStG – z. B. Entnahme von Nahrungsmitteln durch einen Gastwirt zum Verzehr in einer von der Gaststätte getrennten Wohnung – kommt der ermäßigte Steuersatz in Betracht. Auf die jährlich im BStBl Teil I veröffentlichten Pauschbeträge für unentgeltliche Wertabgaben (Sachentnahmen) wird hingewiesen (vgl. Abschnitt 10.6 Abs. 1 Satz 6).

Beispiel 1:
Der Betreiber eines Imbissstandes gibt verzehrfertige Würstchen, Pommes frites usw. an seine Kunden in Pappbehältern oder auf Mehrweggeschirr ab. Der Kunde erhält dazu eine Serviette, Einweg- oder Mehrwegbesteck und auf Wunsch Ketchup, Mayonnaise oder Senf. Der Imbissstand verfügt über eine Theke, an der Speisen im Stehen eingenommen werden können. Der Betreiber hat vor dem Stand drei Stehtische aufgestellt. 80% der Speisen werden zum sofortigen Verzehr abgegeben. 20 % der Speisen werden zum Mit-nehmen abgegeben.

Unabhängig davon, ob die Kunden die Speisen zum Mitnehmen oder zum Verzehr an Ort und Stelle erwerben, liegen insgesamt begünstigte Lieferungen im Sinne des § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG vor. Die erbrachten Dienstleistungselemente (Bereitstellung einfachster Verzehrvorrichtungen wie einer Theke und Stehtischen sowie von Mehrweggeschirr) führen bei einer wertenden Gesamtbetrachtung des Vorgangs auch hinsichtlich der vor Ort verzehrten Speisen nicht zur Annahme einer sonstigen Leistung (vgl. BFH-Urteil vom 8. 6. 2011, XI R 37/08, BStBl 2013 II, und vom 30. 6. 2011, V R 35/08, BStBl 2013 II). Die Qualität der Speisen und die Komplexität der Zubereitung haben auf die Beurteilung des Sachverhalts keinen Einfluss.

Beispiel 2:
Wie Beispiel 1, jedoch verfügt der Imbissstand neben den Stehtischen über aus Bänken und Tischen bestehende Bierzeltgarnituren, an denen die Kunden die Speisen einnehmen können.
Soweit die Speisen zum Mitnehmen abgegeben werden, liegen begünstigte Lieferungen im Sinne des § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG vor. Soweit die Speisen zum Verzehr vor Ort abgegeben werden, liegen nicht begünstigte sonstige Leistungen im Sinne des § 3 Abs. 9 UStG vor. Mit der Bereitstellung der Tische und der Sitzgelegenheiten wird die Schwelle zum Restaurationsumsatz überschritten (vgl. BFH-Urteil vom 30. 6. 2011, V R 18/10, BStBl 2013 II). Auf die tatsächliche Inanspruchnahme der Sitzgelegenheiten kommt es nicht an. Maßgeblich ist die Absichtserklärung des Kunden, die Speisen vor Ort verzehren zu wollen.

Beispiel 3:
Der Catering-Unternehmer A verabreicht in einer Schule auf Grund eines mit dem Schul-träger geschlossenen Vertrags verzehrfertig angeliefertes Mittagessen. A übernimmt mit eigenem Personal die Ausgabe des Essens, die Reinigung der Räume sowie der Tische, des Geschirrs und des Bestecks.
Es liegen nicht begünstigte sonstige Leistungen im Sinne des § 3 Abs. 9 UStG vor. Neben den Speisenlieferungen werden Dienstleistungen erbracht, die nicht notwendig mit der Vermarktung von Speisen verbunden sind (Bereitstellung von Verzehrvorrichtungen, Reinigung der Räume sowie der Tische, des Geschirrs und des Bestecks) und die bei Gesamtbetrachtung des Vorgangs das Lieferelement qualitativ überwiegen.

Beispiel 4:
Ein Schulverein bietet in der Schule für die Schüler ein Mittagessen an. Das verzehrfertige Essen wird von dem Catering-Unternehmer A dem Schulverein in Warmhaltebehältern zu festgelegten Zeitpunkten angeliefert und anschließend durch die Mitglieder des Schulvereins an die Schüler ausgegeben. Das Essen wird von den Schülern in einem Mehrzweck-raum, der über Tische und Stühle verfügt, eingenommen. Der Schulverein übernimmt auch die Reinigung der Räume sowie der Tische, des Geschirrs und des Bestecks.

Der Catering-Unternehmer A erbringt begünstigte Lieferungen im Sinne des § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG, da sich seine Leistung auf die Abgabe von zubereiteten Speisen und deren Beförderung ohne andere unterstützende Dienstleistungen beschränkt.

Der Schulverein erbringt sonstige Leistungen im Sinne des § 3 Abs. 9 UStG. Neben den Speisenlieferungen werden Dienstleistungen erbracht, die nicht notwendig mit der Vermarktung von Speisen verbunden sind (Bereitstellung von Verzehrvorrichtungen, Reinigung der Räume sowie der Tische, des Geschirrs und des Bestecks) und die bei Gesamt-betrachtung des Vorgangs das Lieferelement qualitativ überwiegen. Bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen können die Umsätze dem ermäßigten Steuersatz nach § 12 Abs. 2 Nr. 8 UStG unterliegen.

Beispiel 5:
Wie Beispiel 4, jedoch beliefert der Catering-Unternehmer A den Schulverein mit Tief-kühlgerichten. Er stellt hierfür einen Tiefkühlschrank und ein Auftaugerät (Regeneriertechnik) zur Verfügung. Die Endbereitung der Speisen (Auftauen und Erhitzen) sowie die Ausgabe erfolgt durch den Schulverein.

Der Catering-Unternehmer A erbringt begünstigte Lieferungen im Sinne des § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG. Die Bereitstellung der Regeneriertechnik stellt eine Nebenleistung zur Speisenlieferung dar.

Beispiel 6:
Ein Unternehmer beliefert ein Krankenhaus mit Mittag- und Abendessen für die Patienten. Er bereitet die Speisen nach Maßgabe eines mit dem Leistungsempfänger vereinbarten Speiseplans in der Küche des auftraggebenden Krankenhauses fertig zu. Die Speisen wer-den zu festgelegten Zeitpunkten in Großgebinden an das Krankenhauspersonal übergeben, das den Transport auf die Stationen, die Portionierung und Ausgabe der Speisen an die Patienten sowie die anschließende Reinigung des Geschirrs und Bestecks übernimmt. Es liegen begünstigte Lieferungen im Sinne des § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG vor, da sich die Leistung des Unternehmers auf die Abgabe von zubereiteten Speisen ohne andere unterstützende Dienstleistungen beschränkt. Die durch das Krankenhauspersonal erbrachten Dienstleistungselemente sind bei der Beurteilung des Gesamtvorgangs nicht zu berücksichtigen.

Beispiel 7:
Sachverhalt wie im Beispiel 6. Ein Dritter ist jedoch verpflichtet, das Geschirr und Besteck in der Küche des Krankenhauses zu reinigen.

Soweit dem Unternehmer die durch den Dritten erbrachten Spülleistungen nicht zuzurechnen sind, beschränkt sich seine Leistung auch in diesem Fall auf die Abgabe von zubereiteten Speisen ohne andere unterstützende Dienstleistungen. Es liegen daher ebenfalls begünstigte Lieferungen an das Krankenhaus vor.

Beispiel 8:
Ein Unternehmer bereitet mit eigenem Personal die Mahlzeiten für die Patienten in der angemieteten Küche eines Krankenhauses zu, transportiert die portionierten Speisen auf die Stationen und reinigt das Geschirr und Besteck. Die Ausgabe der Speisen an die Patienten erfolgt durch das Krankenhauspersonal.

Es liegen begünstigte Lieferungen im Sinne des § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG vor. Die Reinigung des Geschirrs und Bestecks ist im Rahmen der Gesamtbetrachtung nicht zu berücksichtigen, da die Überlassung dieser Gegenstände kein berücksichtigungsfähiges Dienstleistungselement darstellt.

Beispiel 9:
Eine Metzgerei betreibt einen Partyservice. Nachdem der Unternehmer die Kunden bei der Auswahl der Speisen, deren Zusammenstellung und Menge individuell beraten hat, bereitet er ein kalt-warmes Büffet zu. Die fertig belegten Platten und Warmhaltebehälter wer-den von den Kunden abgeholt oder von der Metzgerei zu den Kunden geliefert. Die leeren Platten und Warmhaltebehälter werden am Folgetag durch den Metzger abgeholt und gereinigt.

Es liegen begünstigte Lieferungen im Sinne des § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG vor, da sich die Leistung des Unternehmers auf die Abgabe von zubereiteten Speisen, ggf. deren Beförderung sowie die Beratung beschränkt. Die Überlassung der Platten und Warmhaltebehälter besitzt vornehmlich Verpackungscharakter und führt bei der Gesamtbetrachtung des Vorgangs auch zusammen mit dem zu berücksichtigenden Dienstleistungselement „Beratung“ nicht zu einem qualitativen Überwiegen der Dienstleistungselemente. Da die Platten und Warmhaltebehälter vornehmlich Verpackungsfunktion besitzen, ist deren Reinigung nicht zu berücksichtigen.

Beispiel 10:
Sachverhalt wie Beispiel 9, zusätzlich verleiht die Metzgerei jedoch Geschirr und/oder Besteck, das vor Rückgabe vom Kunden zu reinigen ist.

Es liegen nicht begünstigte sonstige Leistungen im Sinne des § 3 Abs. 9 UStG vor. Das Geschirr erfüllt in diesem Fall keine Verpackungsfunktion. Mit der Überlassung des Geschirrs und des Bestecks in größerer Anzahl tritt daher ein Dienstleistungselement hinzu, durch das der Vorgang bei Betrachtung seines Gesamtbildes als nicht begünstigte sonstige Leistung anzusehen ist. Unerheblich ist dabei, dass das Geschirr und Besteck vom Kunden gereinigt zurückgegeben wird (vgl. BFH-Urteil vom 23. 11. 2011, XI R 6/08, BStBl 2013 II).

Beispiel 11:
Der Betreiber eines Partyservice liefert zu einem festgelegten Zeitpunkt auf speziellen Wunsch des Kunden zubereitete, verzehrfertige Speisen in warmem Zustand für eine Feier seines Auftraggebers an. Er richtet das Buffet her, indem er die Speisen in Warmhaltevorrichtungen auf Tischen des Auftraggebers anordnet und festlich dekoriert.
Es liegen nicht begünstigte sonstige Leistungen im Sinne des § 3 Abs. 9 UStG vor. Die Überlassung der Warmhaltevorrichtungen erfüllt zwar vornehmlich eine Verpackungsfunktion. Sie führt bei der vorzunehmenden Gesamtbetrachtung des Vorgangs zusammen mit den zu berücksichtigenden Dienstleistungselementen (Herrichtung des Büffets, Anordnung und festliche Dekoration) jedoch zu einem qualitativen Überwiegen der Dienstleistungselemente.

Beispiel 12:
Der Betreiber eines Partyservice liefert auf speziellen Wunsch des Kunden zubereitete, verzehrfertige Speisen zu einem festgelegten Zeitpunkt für eine Party seines Auftraggebers an. Der Auftraggeber erhält darüber hinaus Servietten, Einweggeschirr und -besteck. Der Betreiber des Partyservice hat sich verpflichtet, das Einweggeschirr und -besteck abzuholen und zu entsorgen.

Es liegen nicht begünstigte sonstige Leistungen im Sinne des § 3 Abs. 9 UStG vor. Bei der vorzunehmenden Gesamtbetrachtung des Vorgangs überwiegen die zu berücksichtigenden Dienstleistungselemente (Überlassung von Einweggeschirr und -besteck in größerer Anzahl zusammen mit dessen Entsorgung) das Lieferelement qualitativ.

Beispiel 13:
Wie Beispiel 12, jedoch entsorgt der Kunde das Einweggeschirr und -besteck selbst.
Es liegen begünstigte Lieferungen im Sinne des § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG vor. Da der Kunde die Entsorgung selbst übernimmt, beschränkt sich die Leistung des Unternehmers auf die Abgabe von zubereiteten Speisen und deren Beförderung ohne andere unter-stützende Dienstleistungen.

Beispiel 14:
Ein Mahlzeitendienst übergibt Einzelabnehmern verzehrfertig zubereitetes Mittag- und Abendessen in Warmhaltevorrichtungen auf vom Mahlzeitendienst zur Verfügung gestelltem Geschirr, auf dem die Speisen nach dem Abheben der Warmhaltehaube als Einzelportionen verzehrfertig angerichtet sind. Dieses Geschirr wird – nach einer Vorreinigung durch die Einzelabnehmer – zu einem späteren Zeitpunkt vom Mahlzeitendienst zurückgenommen und endgereinigt.

Es liegen begünstigte Lieferungen im Sinne des § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG vor. Da das Geschirr vornehmlich eine Verpackungsfunktion erfüllt, überwiegt seine Nutzungsüberlassung sowie Endreinigung das Lieferelement nicht qualitativ. Auf das Material oder die Form des Geschirrs kommt es dabei nicht an.

Beispiel 15:
Ein Mahlzeitendienst übergibt Einzelabnehmern verzehrfertig zubereitetes Mittag- und Abendessen in Transportbehältnissen und Warmhaltevorrichtungen, die nicht dazu bestimmt sind, dass Speisen von diesen verzehrt werden. Die Ausgabe der Speisen auf dem Geschirr der Einzelabnehmer und die anschließende Reinigung des Geschirrs und Bestecks in der Küche der Einzelabnehmer übernimmt der Pflegedienst des Abnehmers. Zwischen Mahlzeiten- und Pflegedienst bestehen keine Verbindungen.

Es liegen begünstigte Lieferungen im Sinne des § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG vor, da sich die Leistung des Mahlzeitendienstes auf die Abgabe von zubereiteten Speisen und deren Beförderung ohne andere unterstützende Dienstleistungen beschränkt. Die Leistungen des Pflegedienstes sind bei der Beurteilung des Gesamtvorgangs nicht zu berücksichtigen.

Beispiel 16:
Verschiedene Unternehmer bieten in einem zusammenhängenden Teil eines Einkaufszentrums diverse Speisen und Getränke an. In unmittelbarer Nähe der Stände befinden sich Tische und Stühle, die von allen Kunden der Unternehmer gleichermaßen genutzt werden können (sog. „Food Court“). Für die Rücknahme des Geschirrs stehen Regale bereit, die von allen Unternehmern genutzt werden.

Soweit die Speisen zum Mitnehmen abgegeben werden, liegen begünstigte Lieferungen im Sinne des § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG vor. Soweit die Speisen zum Verzehr vor Ort abgegeben werden, liegen nicht begünstigte sonstige Leistungen im Sinne des § 3 Abs. 9 UStG vor. Maßgeblich ist die Absichtserklärung des Kunden, die Speisen mitnehmen oder vor Ort verzehren zu wollen. Die gemeinsam genutzte Infrastruktur ist allen Unternehmern zuzurechnen. Einer Berücksichtigung beim einzelnen Unternehmer steht nicht entgegen, dass die Tische und Stühle auch von Personen genutzt werden, die keine Speisen oder Getränke verzehren.“

Dieses Schreiben tritt mit Wirkung vom 1. Juli 2011 an die Stelle der Schreiben vom 16. Oktober 2008 – IV B 8 – S 7100/07/10050 (2008/0541679) – (BStBl I S. 949) und vom 29. März 2010 – IV D 2 – S 7100/07/10050 (2010/0227270) – (BStBl I S. 330). Beruft sich der Unternehmer für vor dem 1. Oktober 2013 ausgeführte Umsätze auf eine nach diesen Schreiben günstigere Besteuerung, wird dies nicht beanstandet.

Dieses Schreiben wird im Bundessteuerblatt Teil I veröffentlicht und steht ab sofort für eine Übergangszeit auf den Internetseiten des Bundesministeriums der Finanzen (http://www.bundesfinanzministerium.de) unter der Rubrik Themen – Steuern – Steuerarten – Umsatzsteuer – zum Herunterladen bereit.

Zum Vorliegen eines Steuerstundungsmodells

Das Halten einer Schuldverschreibung über die Beteiligung an einer verwaltenden Personengesellschaft kann ein Steuerstundungsmodell im Sinne des § 15b EStG darstellen. § 15b EStG ist nicht verfassungswidrig (FG Hessen, Urteil v. 17.10.2012 – 1 K 2343/08; Revision anhängig).

 

1. Der Senat kann in der Sache über die Klage entscheiden. Insbesondere war nicht den Anträgen der Beteiligten zu folgen und das Ruhen des Verfahrens bis zu einer Entscheidung des BFH in dem dort anhängigen Revisionsverfahren 1 R 39/11 gegen ein Urteil des FG Baden-Württemberg vom 30. März 2011 (4 K 1723/09, DStRE 2012, 315) anzuordnen.

Gemäß § 155 Finanzgerichtsordnung (FGO) in Verbindung mit § 251 Satz 1 Zivilprozessordnung (ZPO) hat das Gericht das Ruhen des Verfahrens anzuordnen, wenn die Beteiligten dies beantragen und anzunehmen ist, dass wegen des Schwebens von Vergleichsverhandlungen oder aus sonstigen wichtigen Gründen diese Anordnung zweckmäßig ist. Die Beteiligten halten die Anordnung der Verfahrensruhe für geboten, weil der dem genannten Revisionsverfahren zu Grunde liegende Sachverhalt dem vorliegenden vergleichbar sei. Dem vermag der Senat nicht zu folgen. Zwar lag dem Urteil des FG Baden-Württemberg ausweislich des mitgeteilten Sachverhalts ebenfalls eine Kapitalanlage im Wege der Beteiligung an einer vermögensverwaltenden Kommanditgesellschaft, die ihrerseits in zu 100 % fremdfinanzierte, speziell entwickelte, an ein Referenzaktivum geknüpfte und einen festen sowie einen variablen Zins beinhaltende Schuldverschreibungen investiert hatte, zu Grunde. Indessen war, abweichend vom vorliegenden Sachverhalt, an der dortigen vermögensverwaltenden KG als weiterer Gesellschafter eine ausländische Familienstiftung mit Sitz in Liechtenstein beteiligt. Das FG Baden-Württemberg hat sich in dem Urteil mit der Frage eines Steuerstundungsmodells nicht auseinandergesetzt, sondern aufgrund des von ihm festgestellten Sachverhalts einen Missbrauch rechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten i.S.d. § 42 Abgabenordnung (AO) angenommen. Dem Revisionsverfahren gegen dieses Urteil liegt die Frage zu Grunde, ob ein steuerrechtlicher Gestaltungsmissbrauch vorliegt, wenn der Stiftungszweck einer ausländischen Stiftung erst nach 8 Jahren erfüllt wird und ob bejahendenfalls für solch eine rechtsmissbräuchlich gegründete Stiftung eine Feststellung von Verlusten ausgeschlossen ist. Der Senat vermag angesichts dessen derzeit nicht zu erkennen, ob sich die Entscheidung im Revisionsverfahren überhaupt mit der hier maßgeblichen Frage des Vorliegens eines Steuerstundungsmodells befasst.

2. Die Klage ist unbegründet.

Die Feststellung von unter § 20 Abs. 2 b EStG i.V.m. § 15 b EStG fallende Werbungskosten der Klägerin in Höhe von … € und eines nicht ausgleichs-/abzugsfähigen Verlustes der Kommanditistin der Klägerin für das Streitjahr 2006 in gleicher Höhe gemäß § 20 Abs. 2 b EStG i.V.m. § 15 b EStG im angefochtenen Bescheid vom 9. Juli 2008 über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen und des verrechenbaren Verlustes der Klägerin ist nicht rechtswidrig und verletzt die Klägerin daher nicht in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 S. 1 FGO).

a) Gemäß § 15 b Abs. 4 Satz 1 EStG ist der nach Abs. 1 dieser Vorschrift nicht ausgleichsfähige Verlust im Zusammenhang mit einem Steuerstundungsmodell jährlich gesondert festzustellen. Diese Feststellung ist einheitlich durchzuführen, wenn es sich bei dem Steuerstundungsmodell um eine Gesellschaft im Sinne des § 180 Abs. 1 Nr. 2 a AO handelt und die Feststellung mit der gesonderten und einheitlichen Feststellung der Einkünfte verbunden wird (§ 15 b Abs. 4 Satz 5, 2. Halbsatz EStG).

b) Der Senat ist nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens überzeugt, dass es sich bei der Gründung der Klägerin zum Zwecke des Erwerbs einer zu 100 % fremdfinanzierten Inhaberschuldverschreibung mit Bonusabrede bei Kopplung des variablen Bonuszins an die Entwicklung eines Indexwertes durch deren einzige Kommanditistin im Dezember des Streitjahres und dem Erwerb der „Inhaberschuldverschreibung 2006/2016 mit Bonuszinsabrede” der L durch die Klägerin um ein Steuerstundungsmodell i.S.d. § 15 b Abs. 1 EStG handelt.

aa) Bei der von der Klägerin erworbenen „Inhaberschuldverschreibung 2006/2016 mit Bonuszinsabrede” handelt es sich um eine Kapitalanlage, aus der sie Einkünfte im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG in der im Streitjahr geltenden Fassung erzielt, da die Zinserträge den in einer der anderen Ziffern des § 20 Abs. 1 EStG genannten Einkünften nicht zugerechnet werden können.

Nach der Vorschrift des durch Art. 1 Nr. 13 Buchst. b des Jahressteuergesetzes 2007 vom 13. Dezember 2006 ( BGBl 2006 I S. 2878) in § 20 EStG eingeführten und gemäß § 52 Abs. 37 d EStG erstmals für den Veranlagungszeitraum 2006 anzuwendenden Abs. 2 b Satz 1 ist auf die Einkünfte aus Kapitalvermögen nach den vorhergehenden Absätzen § 15 b EStG sinngemäß anzuwenden mit der Folge, dass bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 15 b EStG negative Einkünfte aus Kapitalvermögen im Sinne des § 20 Absätze 1 und 2 EStG der eingeschränkten Verlustverrechnung unterliegen.

bb) Gemäß § 15 b Abs. 1 EStG dürfen Verluste in Verbindung mit einem Steuerstundungsmodell weder mit Einkünften aus Gewerbebetrieb noch mit Einkünften aus anderen Einkunftsarten ausgeglichen werden und auch nicht nach § 10 d EStG abgezogen werden. Die Verluste mindern jedoch die Einkünfte, die der Steuerpflichtige in den folgenden Wirtschaftsjahren aus derselben Einkunftsquelle erzielt.

Ein Steuerstundungsmodell iSd § 15 b Abs. 1 EStG liegt vor, wenn aufgrund einer modellhaften Gestaltung steuerliche Vorteile in Form negativer Einkünfte erzielt werden sollen (§ 15 b Abs. 2 Satz 1 EStG). Dies ist der Fall, wenn dem Steuerpflichtigen aufgrund eines vorgefertigten Konzepts die Möglichkeit geboten werden soll, zumindest in der Anfangsphase der Investition Verluste mit übrigen Einkünften zu verrechnen (§ 15 b Abs. 2 Satz 2 EStG). Dabei ist es ohne Belang, auf welchen Vorschriften die negativen Einkünfte beruhen (§ 15 b Abs. 2 Satz 3 EStG).

Dem vorliegenden Erwerb der Schuldverschreibung der L liegt ein vorgefertigtes Konzept zugrunde.

Allerdings definiert das Gesetz diesen Begriff nicht. Auch in der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 16/107, S. 6, 7) und in den Erläuterungen der Bundesregierung in den Beratungen im Finanzausschuss im Gesetzgebungsverfahren (BT-Drs. 106/254, S. 5) wird der Begriff des vorgefertigten Konzepts nicht definiert, sondern vorausgesetzt, wenn in diesem Zusammenhang davon gesprochen wird, dass für die Modellhaftigkeit das Vorhandensein eines vorgefertigten Konzepts, das auf die Erzielung steuerlicher Vorteile ausgerichtet sei, spreche, und dass das Konzept typischerweise, wenn auch nicht zwingend, durch die beispielhaft aufgezählten Medien (Anlegerprospekt, Katalog, Verkaufsunterlagen, Beratungsbögen usw.) vermarktet werde.

Das Anwendungsschreiben des BMF zu § 15 b EStG vom 17. Juli 2007 (a.a.O.) führt hierzu unter Tz 8 aus, dass für die Frage der Modellhaftigkeit vor allem die Kriterien „vorgefertigtes Konzept” und „gleichgerichtete Leistungsbeziehungen, die im Wesentlichen identisch sind”, maßgeblich seien. Für die Modellhaftigkeit typisch sei die Bereitstellung eines Bündels an Haupt-, Zusatz- und Nebenleistungen. Zusatz- oder Nebenleistungen führten dann zur Modellhaftigkeit eines Vertragswerks, wenn sie es nach dem zugrunde liegenden Konzept ermöglichten, den sofort abziehbaren Aufwand zu erhöhen. Im Übrigen wird der Begriff in Tz 10 Satz 5 negativ dahingehend abgegrenzt, dass es sich nicht um ein vorgefertigtes Konzept handele, wenn der Anleger die einzelnen Leistungen und Zusatzleistungen sowie deren Ausgestaltung vorgebe.

Dabei orientieren sich einerseits sowohl die Gesetzesbegründung als auch das BMF-Anwendungsschreiben ersichtlich an den klassischen Anlageformen, insb. Fondsgesellschaften, indem sie das Vokabular des Anwendungsschreibens des BMF vom 22. August 2001 (BStBl I 2001, 588) zur Vorgängervorschrift des § 2 b EStG übernehmen, das seinerseits in erster Linie auf die Beteiligung von Steuerpflichtigen an Verlustzuweisungsgesellschaften in der Regel in der Form geschlossener Fonds abstellt.

Andererseits sollen nach dem Willen des Gesetzgebers auch Anlage- und Investitionstätigkeiten mit modellhaftem Charakter von Einzelpersonen von der Regelung erfasst werden (BT-Drs 16/107, S. 6). Insoweit beschränken sich die Erläuterungen im BMF-Schreiben vom 17. Juli 2007 (Tz 7) indessen wiederum auf die Nennung einer bereits im BMF-Schreiben vom 22. August 2001 (Tz 11, 12) beschriebenen Investition in eine mit einem Darlehen gekoppelte Lebens- und Rentenversicherung gegen Einmalbetrag.

Jedenfalls lässt sich der Begründung des Gesetzes und den Erläuterungen der Bundesregierung in den Beratungen im Finanzausschuss im Gesetzgebungsverfahren der Wille des Gesetzgebers entnehmen, Steuerstundungsmodellen, die ein extrem hohes Verlustverrechnungspotential in der Anfangsphase einer Investition generieren, die Anerkennung zu versagen, und in diesem Zusammenhang nicht nur die klassischen Anlageformen, insb. Fondgesellschaften, sondern auch Einzelinvestitionen zu erfassen.

Nach dem Sprachgebrauch ist der Begriff des Konzepts als Plan für ein bestimmtes Vorhaben zu begreifen. Es ist das Ergebnis eines Prozesses des Erkennens und Entwickelns von Zielen und daraus abgeleiteten Strategien und Maßnahmen zur Umsetzung eines größeren strategisch zu planenden Vorhabens (vgl. z.B. die Erläuterungen in „Wikipedia” zu den Begriffen Konzept und Konzeption).

Ein Konzept in diesem Sinne ist vorgefertigt, wenn der Anwender es vorfindet und zumindest die wesentlichen Grundlagen für ein geplantes Vorhaben einsetzen kann und nicht erst selbst die Strategien und Maßnahmen zur Umsetzung seines Vorhabens entwickeln muss.

Der Senat versteht daher unter einem vorgefertigten Konzept im Kontext der gesetzlichen Regelung unter Berücksichtigung des skizzierten gesetzgeberischen Willens einen Gesamtplan eines vom an der Anlage Interessierten verschiedenen Dritten, der durch die Entwicklung einzelner oder einer Vielzahl aufeinander abgestimmter Leistungen und Maßnahmen die Erreichung des angestrebten Ziels – hier das Generieren hoher verrechenbarer Verluste in der Anfangsphase einer Investition – ermöglichen soll und der jedenfalls in seinen wesentlichen Grundzügen vom Interessenten verwendet werden kann und auch in einer Vielzahl anderer Fälle unabhängig von der äußeren Gestaltung im Einzelnen verwendbar ist. Dabei ist das Bewerben und Vermarkten eines derartigen Plans kein ausschlaggebendes Kriterium. Dem Anbieten gegenüber einem größeren Verkehrskreis mittels unterschiedlicher Medien kann allenfalls indizielle Bedeutung zukommen.

cc) Bei Anwendung dieser Begrifflichkeiten stellt die vorliegend streitige Investition in eine Schuldverschreibung über die Beteiligung an einer vermögensverwaltenden Personengesellschaft eine modellhafte Gestaltung im Sinne des § 15 b Abs. 2 Satz 1 EStG dar.

Die für einen Gesamtplan sprechenden Merkmale dieser Gestaltung sind:

(Neu-)Gründung einer vermögensverwaltenden Personengesellschaft (hier: GmbH & Co.KG) durch den Kunden als einzigen – geschäftsführenden – Gesellschafter unter Verwendung einer vom Berater zur Verfügung gestellten bzw. vermittelten Vorrats-GmbH bei Identität der gezeichneten und eingezahlten Gesellschafter-Einlage mit dem Anlagebetrag;

Erwerb einer Schuldverschreibung durch die Personengesellschaft (vorzugsweise von einem Anbieter mit einer Niederlassung im Ausland – hier: …) mit befristeter Laufzeit;

Zu 100 % Fremdfinanzierung des Erwerbs der Schuldverschreibung durch Aufnahme eines Darlehens mit identischer Laufzeit bei dem gleichen Institut (bzw. der Muttergesellschaft);

Vereinbarung eines hohen Disagio – hier: … % des für den Erwerb der Anleihe vorgesehenen Darlehensbetrages – das nicht gezahlt, sondern auf den Darlehensbetrag aufgeschlagen und bei Auszahlung des Darlehens einbehalten wird. Dadurch entsteht ein hoher Anfangsverlust;

Vorschüssige Zahlung der Darlehenszinsen bei gleichzeitiger nachschüssiger Zahlung der Guthabenzinsen aus der Anleihe, wodurch sich der Anfangsverlust weiter erhöht;

Zahlung zweier feststehender (garantierter) Bonusbeträge und eines variablen, an die Entwicklung des Wertes eines Index gekoppelten Bonusbetrages bei Endfälligkeit der Anleihe.

Diese Merkmale dienen in ihrem Zusammenwirken ausschließlich der steueroptimierten Kapitalanlage:

Der Kunde – hier: die Kommanditistin der Klägerin – gibt vor, welchen Anlagebetrag er zur Verfügung hat. Sodann werden die Gründung der Personengesellschaft, der Erwerb der Anleihen durch die Personengesellschaft und die Darlehensverträge zur Finanzierung des Erwerbs vorbereitet, wobei Emittent und Darlehensgeber identisch oder, wie hier, zumindest eng miteinander verflochten sind. Dabei werden die Anleihebedingungen für den Erwerb der Schuldverschreibungen und die Darlehensverträge zur 100 % igen Fremdfinanzierung des Erwerbs so aufeinander abgestimmt, dass bezogen auf den Anlagebetrag ein höchstmöglicher, sich bei der Besteuerung des Anlegers zu Beginn der Investition auswirkender, Verlust erzielt werden kann, der zum Ende des Investitionszeitraums zumindest wieder ausgeglichen wird.

Der Anlagebetrag – hier: … € – entspricht dem gezeichneten und eingezahlten Eigenkapital und ergibt gleichzeitig den im ersten Jahr der Laufzeit des Darlehens vorschüssig zu zahlenden, einen steuerlichen Verlust in entsprechender Höhe generierenden, Zinsbetrag. Es ist der einzige Betrag, der im Rahmen der Investition vom Anleger tatsächlich aufgebracht werden muss.

Gleichzeitig wird im Darlehensvertrag ein hohes Disagio – hier: … % des für den Erwerb der Anleihe benötigten Darlehensbetrages – vereinbart, das den Anleger tatsächlich nicht belastet, sondern auf den Darlehensbetrag aufgeschlagen und vom Institut einbehalten wird. Dadurch erhöht sich der steuerliche Verlust im Erstjahr.

Während der identischen Laufzeit der Anleihe und des Darlehens beträgt der Saldo der in den Anleihebedingungen vereinbarten, nachschüssig auszuschüttenden, Guthabenzinsen und der vorschüssig zu zahlenden Darlehenszinsen – hier: jeweils … € – aufgrund der aufeinander abgestimmten Verträge vom zweiten Jahr bis zum vorletzten Jahr der Laufzeit immer null. Im Zusammenhang mit den während der Laufzeit der Schuldverschreibung und des Darlehens anfallenden Gebühren und Steuerberatungskosten werden im Investitionszeitraum weitere – wenn auch deutlich niedrigere – Verluste aus der Kapitalanlage generiert.

Im Zeitpunkt der – gleichzeitigen – Endfälligkeit der Anleihe und des Darlehens werden keine Darlehenszinsen mehr fällig. Der Anleger erhält den letzten laufenden Guthabenzinsbetrag – hier: … € – und zwei feststehende Bonusbeträge. Davon entspricht der Bonusbetrag von hier … € dem Darlehenszinsbetrag des Erstjahres, der Bonusbetrag von hier … € dem Differenzbetrag zwischen dem laufenden Guthabenzins von … € und dem Disagio von hier … €. Die Ausschüttung beträgt insgesamt … € und entspricht exakt dem für 2006, dem Erstjahr der Laufzeit der Verträge, in die Einnahme-Überschussrechnung eingestellten Verlust.

Darüber hinaus ist der variable, an die Entwicklung eines Index gekoppelte Bonus für den Gesamtplan von Bedeutung. Er dient der Darstellung der für die steuerliche Anerkennung der Investition erforderlichen Gewinnerzielungsabsicht. Diese wäre ohne die Aussicht auf eine weitere Bonuszahlung nicht begründbar. Denn die dargestellte Neutralisierung der Ergebnisse der Investition und der Kreditaufnahme führt dazu, dass keine Mittel zum Ausgleich der während des Investitionszeitraums anfallenden Kosten für Gebühren und Beratungskosten, die von der Klägerin in einer Prognoseberechnung (Bl. 96 bis 98 Feststellungsakte) mit … € beziffert wurden, zur Verfügung stehen.

Der Senat hat in diesem Zusammenhang nicht zu entscheiden, ob im Hinblick darauf, dass der Bonus an die Wertentwicklung eines Wertpapier-/Aktienindex gekoppelt ist und für die Höhe des Bonus allein der Indexwert an einem Stichtag – hier: 20. Dezember 2016 – maßgebend ist, das Vorliegen einer Gewinnerzielungsabsicht überhaupt angenommen werden kann. Zwar ist die Gewinnerzielungsabsicht vorrangig vor dem Vorliegen eines Steuerstundungsmodells zu prüfen. Dies ist jedoch in erster Linie Aufgabe der Finanzbehörden. Der Senat sieht sich in diesem Klageverfahren an einer solchen Entscheidung aufgrund des Verbots der Verböserung im finanzgerichtlichen Verfahren gehindert, da er das Vorliegen eines Steuerstundungsmodells bejaht und die Klage deshalb keinen Erfolg hat. Im Falle der Verneinung der Gewinnerzielungsabsicht wäre der angefochtene Bescheid über die gesonderte und einheitliche Feststellung der Besteuerungsgrundlagen der Klägerin vollständig aufzuheben mit der Folge, dass auch der beschränkte Verlustausgleich entfiele.

Aus diesem Grund war der vom Vertreter des FA im Termin zur mündlichen Verhandlung gestellte Antrag auf Gewährung einer Frist zur Stellungnahme zum Vorbringen des Prozessbevollmächtigten der Klägerin zur Gewinnerzielungsabsicht im Schriftsatz vom 8. Oktober 2012 abzulehnen.

Die Gründung der Klägerin durch die Kommanditistin diente in erster Linie dazu, dem FA gegenüber darzustellen, dass die Investition in Inhaberschuldverschreibungen auf einer individuellen Entscheidung der Kommanditistin beruhte und sich die Art der Investition erst im Zuge intensiver Beratungen herauskristallisiert habe und weiterentwickelt worden sei, also nicht auf ein bereits vorgefundenes Konzept zurückgegriffen wurde.

Darüber hinaus diente die Einschaltung der Klägerin der Minimierung der für die Kommanditistin mit der Anlage verbundenen etwaigen Risiken. Weitergehende, insbesondere wirtschaftliche Gründe für die Investition der Kommanditistin in die Inhaberschuldverschreibungen über die Beteiligung an der Klägerin vermag der Senat nicht zu erkennen. Die Einschaltung der Komplementärin hatte wirtschaftlich keinen Sinn, da sie weder an der Klägerin noch an deren laufenden Ergebnis und erst recht nicht an einem Liquidationsgewinn beteiligt war. Es bestanden auch praktisch keine Haftungsrisiken aufgrund der Freistellungsvereinbarung mit der Klägerin. Wesentliche Entscheidungsbefugnisse hatte sie ebenfalls nicht, da für den maßgeblichen Bereich der Vermögensverwaltung die geschäftsführende Kommanditistin geschäftsführungsbefugt war.

Für die Kommanditistin macht die Beteiligung an der Klägerin über die Haftungsbeschränkung hinaus wirtschaftlich ebenfalls keinen Sinn, da von vornherein beabsichtigt war, dass die Klägerin in den nächsten neun Jahren ausschließlich Verluste erzielen werde.

dd) Dass die Kommanditistin der Klägerin bei ihrer Investition in die Inhaberschuldverschreibungen der L auf ein vorgefertigtes Konzept zurückgreifen konnte, das lediglich noch auf ihre Bedürfnisse angepasst wurde, ergibt sich für den Senat aus folgendem:

Nach dem Vorbringen der Klägerin wurde deren Kommanditistin von ihren damaligen Kapitalanlageberatern an das Beraterbüro D verwiesen. Nach telefonischer Kontaktaufnahme mit Rechtsanwalt B. am 17. November 2006 erteilte sie am 18. November 2006 den Auftrag zur Vorbereitung des Erwerbs einer sogenannten „Asset Linked Note” (Bl. 107 Feststellungsakte) und, nachdem eine zur Emittierung und Finanzierung der Investition bereite Bank gefunden war, am 11. Dezember 2006 den Auftrag zur konkreten Umsetzung des Anlagemodells mit der G (Bl. 106 Feststellungsakte). Hieraus geht zur Überzeugung des Senats eindeutig hervor, dass die Vermittlung der Kommanditistin an D durch ihre Kapitalanlageberater einzig der Kapitalanlage über das vorbeschriebene Modell der zu 100 % fremdfinanzierten Inhaberschuldverschreibung mit Bonuszinsabrede diente. Dieses Modell stand bei den Verhandlungen von D mit den verschiedenen als Partner in Betracht kommenden Banken nach der Auftragserteilung vom 18. November 2006 selbst nie zur Disposition. Bestätigt wird dies durch die schriftlichen Erklärungen des Herrn … vom 19. Juni 2008 (Bl. 105 Feststellungsakte) und des Herrn …, dem heutigen Geschäftsführer der Komplementärin der Klägerin, vom 16. Juni 2008 (Bl. 104 Feststellungsakte). Beide waren im Streitjahr als Kapitalanlageberater für die Klägerin tätig. Beide bestätigen in ihren Erklärungen, dass es bei den Verhandlungen mit den Banken durch D ausschließlich um den Erwerb einer „Asset Linked Note” ging. Die Wahl sei auf die G gefallen, weil diese die besten Konditionen, insbesondere niedrige Kosten, gehabt habe, und in der Lage gewesen sei, den Erwerb der Inhaberschuldverschreibungen noch im Streitjahr umzusetzen.

Danach beschränkten sich die Verhandlungen darauf, das Konzept der zu 100 % fremdfinanzierten Inhaberschuldverschreibung mit Bonuszinsabrede hinsichtlich der Höhe des Anlagebetrages, den die Kommanditistin der Klägerin investieren wollte bzw. konnte, der Zinsen und Kosten und der Laufzeit der Anlage so auf die Verhältnisse der Kommanditistin abzustimmen, dass die Anlage bezogen auf das Ziel der Steuerersparnis in der Anfangsphase bestmögliche Ergebnisse erzielte.

Demgegenüber stand zur Überzeugung des Senats das eigentliche Konzept zur Erreichung dieses Ziels mit seinen oben beschriebenen einzelnen Merkmalen in seinen wesentlichen Grundlagen von Anfang an fest.

Hierfür sprechen auch der in den Verwaltungsvorgängen befindliche E-Mail-Verkehr vom 11. bis 13. Dezember 2006 innerhalb D und zwischen D und G, sowie die Kürze des zeitlichen Ablaufs von der Auftragserteilung über die Gründung der Klägerin bis zur Zeichnung der Anleihen und dem Abschluss des Darlehensvertrages.

Der E-Mail-Verkehr vom 11. Dezember 2006 (dem Tag der Beauftragung durch die Kommanditistin; Bl. 112 Feststellungsakte) und 12. Dezember 2006 (Bl. 110, 111 Feststellungsakte) innerhalb D verdeutlicht, dass das Anlagekonzept mit seinen vorbeschriebenen Merkmalen längst entwickelt war und es bei der Abarbeitung des Auftrags der Kommanditistin nur noch um die „Feinabstimmung” ging.

Mit der E-Mail vom 11. Dezember 2006 wurden intern bereits erstellte verschiedene Versionen des Anlagemodells an die Kommanditisten versandt. Bei dem E-Mail-Verkehr zwischen …(Kapitalanlageberater) und D und innerhalb D ging es ebenfall nur noch um Abstimmungsarbeiten, da nunmehr ein höheres Anlagevolumen zur Verfügung stand.

Aufschlussreich ist auch der E-Mail-Verkehr zwischen der G und D vom 13. Dezember 2006 (Bl. 109 Feststellungsakte). Hier wird besonders deutlich, dass es bei der Abarbeitung des Auftrags der Kommanditistin nur noch um Anpassungs- und Abstimmungsarbeiten ging. Offensichtlich war G der von D in die Berechnung der Anlage eingestellte Gebührenanteil zu gering. Gefordert wurde eine Anhebung von … % auf mindestens … %, was erneute Berechnungen durch D erforderte. Die dortige interne E-Mail vom 13. Dezember 2006, 16:14 Uhr, („…kannst Du bitte nachrechnen, ob … % für die Gewinnerzielungsabsicht reicht?”), zeigt zudem, welche Bedeutung der Darstellung der Gewinnerzielungsabsicht und damit dem variablen Bonus innerhalb des Modells zukommt.

Für ein von der Kommanditistin vorgefundenes, also vorgefertigtes Anlagekonzept spricht auch der kurze Zeitraum zwischen Auftragserteilung durch die Kommanditistin und abschließender Zeichnung der Anleihen und Abschluss des Darlehensvertrages zu deren Finanzierung durch die Klägerin. Der Zeitraum von der Auftragserteilung an D vom 18. November 2006 zur Erstellung eines Angebots für den Erwerb einer „Asset Linked Note” bis zur Zeichnung der Anleihe durch die Klägerin betrug lediglich einen Monat. Die Zeit zwischen dem 18. November 2006 und der Beauftragung von D mit dem Abschluss der Investition mit G am 11. Dezember 2006 wurde offensichtlich für die Suche nach einer geeigneten Bank als Partner für das Anlagemodell und die Vorbereitung der Gründung der Klägerin einschließlich des Erwerbs einer Vorratsgesellschaft als Komplementärin verwendet. Nach der Auftragserteilung am 11. Dezember 2006 wurden offenbar innerhalb einer Woche am 12. Dezember 2006 der G der Zuschlag erteilt und die Unterlagen zur bankinternen Prüfung und Umsetzung des Investments übersandt, noch am selben Tag die Klägerin auf der Grundlage eines umfangreichen Gesellschaftsvertrages gegründet, am 19. Dezember 2006 die Inhaberschuldverschreibungen gezeichnet und am 20. Dezember 2006 der Darlehensvertrag zu deren Finanzierung.

Der Senat hält es für ausgeschlossen, dass innerhalb dieser kurzen Zeitspanne von einem Monat die Kommanditistin und ihre Berater von D ausgiebig über in Betracht kommende Investitionsmöglichkeiten beraten, schließlich auf Initiative der Kommanditistin das vorbeschriebene, im Hinblick auf die gewünschten steuerlichen Auswirkungen finanzmathematisch komplexe, Anlagemodell erstmals entwickelt und sodann durch die Einholung von Angeboten bei verschiedenen Banken und Fertigung der erforderlichen Verträge umgesetzt haben.

Er ist vielmehr davon überzeugt, dass die Kommanditistin auf ein von D auf der Grundlage eines Investments in Inhaberschuldverschreibungen weiterentwickeltes Anlagemodell zurückgegriffen hat, das lediglich ihren Bedürfnissen angepasst wurde. Dass Anlagemodelle, wie das Vorbeschriebene, nach der Einführung des § 15 b EStG durch das Jahressteuergesetz 2005 und verstärkt nach dem Aufkommen der Diskussion über eine Ausdehnung der Regelung auf sämtliche Einkünfte aus Kapitalvermögen auftraten und nach der Einbringung des entsprechenden Gesetzesentwurfs in das Gesetzgebungsverfahren im Herbst 2006 Hochkonjunktur hatten, lässt sich im Übrigen auch der Gesetzesbegründung zur Einführung des neuen § 20 Abs. 2 b EStG und zu dessen rückwirkenden Geltung für das Veranlagungsjahr 2006 im Rahmen des Jahressteuergesetzes 2007 (BT-Drs. 16/2712, S. 50, 63, 64) entnehmen.

Im Übrigen verdeutlichen die oben dargestellten Umstände und Abläufe, wie auch die schriftlichen Erklärungen der Herren … und … (Anlageberater) anschaulich, wie das Produkt den Weg zum Kunden fand. Es wurde nicht aktiv mittels eines Prospektes oder sonstigen geläufigen Mediums beworben. Der Vertrieb des Modells erfolgte – offenbar unter Nutzung entsprechender Netzwerke – im Wege der Vermittlung der Kunden durch deren Kapitalanlageberater. Dies zeigt wiederum, dass dem Kriterium der aktiven Vermarktung eines Anlagekonzepts durch Prospekte oder andere Medien keine entscheidende Bedeutung zukommt.

Insgesamt ist daher festzustellen, dass das vorbeschriebene Anlagemodell allein den steuerlichen Sinn hatte, der Kommanditistin der Klägerin über das Disagio und die Kombination aus vorschüssigen Darlehenszinsen, nachschüssigen Guthabenzinsen und feststehenden Bonusbeträgen bei Endfälligkeit aus der Anleihe zusätzliche Erträge in Form von Steuervorteilen aufgrund anfänglicher hoher – verrechenbarer – negativer Einkünfte zu vermitteln und dieses Anlagekonzept nicht eigens für die Kommanditistin und auf deren Initiative erdacht und entwickelt worden ist. Sie hat vielmehr ein bereits vorhandenes und am Markt eingesetztes Konzept jedenfalls in seinen wesentlichen Grundlagen für ihre Anlage verwendet. Die Zeichnung der zu 100 % fremdfinanzierten Inhaberschuldverschreibung mit Bonusabrede stellt mithin eine modellhafte Gestaltung in Form einer Einzelinvestition im Sinne des § 15 b EStG dar.

c) Die Anwendung des § 15 b Abs. 1 EStG ist vorliegend auch nicht durch § 15 b Abs. 3 EStG ausgeschlossen.

Nach dieser Vorschrift ist § 15 b Abs. 1 EStG nur anwendbar, wenn innerhalb der Anfangsphase der Investition das Verhältnis der Summe der prognostizierten Verluste zur Höhe des gezeichneten und nach dem Konzept auch aufzubringenden Kapitals oder bei Einzelinvestoren des eingesetzten Eigenkapitals 10 % übersteigt. Vorliegend übersteigt bereits der für das Streitjahr ermittelte Verlust aus der Kapitalanlage der Klägerin in Höhe von … € das von der Kommanditistin aufgebrachte Kapital von … € um deutlich mehr als die geforderten 10 %.

d) Der Senat hält die Vorschrift des § 15 b EStG nicht für verfassungswidrig.

aa) Die Vorschrift ist entgegen der Auffassung der Klägerin inhaltlich hinreichend klar und bestimmt.

Aus dem auf dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3, Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz – GG) beruhenden Bestimmtheitsgebot folgt, dass der Gesetzgeber Vorschriften so genau zu fassen hat, wie dies nach der Eigenart der zu ordnenden Lebenssachverhalte mit Rücksicht auf den Normzweck möglich ist. Die Betroffenen müssen die Rechtslage erkennen und ihr Verhalten danach einrichten können, die gesetzesausführende Verwaltung muss für ihr Verhalten steuernde und begrenzende Handlungsmaßstäbe vorfinden und die Gerichte müssen in die Lage versetzt werden, die Verwaltung anhand rechtlicher Maßstäbe zu kontrollieren. Die Anforderungen sind umso strenger, je intensiver der Grundrechtseingriff ist, den die Norm vorsieht (vgl. z.B. BVerfG-Beschlüsse vom 23. März 2011 2 BvR 882/09, BVerfGE 128, 282; vom 3. März 2004 1 BvF 3/92, BVerfGE 110, 33). Das Bestimmtheitsgebot verbietet nicht von vornherein die Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe. Insbesondere nimmt die Auslegungsbedürftigkeit einer Vorschrift dieser noch nicht die rechtsstaatlich gebotene Bestimmtheit. Denn es ist Aufgabe der Rechtsanwendungsorgane, Zweifelsfragen zu klären (vgl. BVerfG-Beschluss vom 7. Juli 1971 1 BvR 775/66 , BVerfGE 31, 255). Vor Allem bei vielgestaltigen Sachverhalten ist die Verwendung von unbestimmten Rechtsbegriffen grundsätzlich verfassungsrechtlich unbedenklich, wenn diese sich durch eine Auslegung der betreffenden Normen nach den Regeln der juristischen Methodik hinreichend konkretisieren lassen. Insbesondere für den Bereich des Steuerrechts ist in der Rechtsprechung des BVerfG anerkannt, dass der Gesetzgeber ohne die Verwendung solcher Begriffe nicht auskommt (z.B. BVerfG-Beschluss vom 31. Mai 1988 1 BvR 520/83 , BVerfGE 78, 214, m.w.N.). Verbleibende Ungewissheiten dürfen jedoch nicht so weit gehen, dass die Vorhersehbarkeit und Justitiabilität des Handelns der durch die Normen ermächtigten staatlichen Stellen gefährdet sind (vgl. z.B. BVerfG-Beschluss vom 13. Juni 2007 1 BvR 603/05 , BVerfGE 118, 168).

Zwar enthält § 15 b EStG mehrere unbestimmte Rechtsbegriffe. Nach der Einschätzung des Senats bereiten indessen Anwendungsprobleme allein der Begriff der modellhaften Gestaltung sowie die Frage, ob bei Bejahung einer modellhaften Gestaltung jeglicher Verlust unter § 15 b Abs. 1 EStG fällt. Der Senat hält jedoch aufgrund der Legaldefinition des Begriffes der modellhaften Gestaltung in § 15 b Abs. 2 Satz 2 EStG und der in § 15 b Abs. 3 EStG klar definierten Verlustquote insgesamt die Norm für mit juristischen Methoden handhabbar (gleicher Auffassung: FG Baden-Württemberg, Urteil vom 07. Juli 2011, 3 K 4368/09, Entscheidungen der Finanzgerichte 2011, 1897; Hallerbach in Herrmann/Heuer/Raupach, § 15 b EStG Rz 10; Kaeser in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, § 15 b EStG Rz A 58 ff).

bb) Das Verbot des sofortigen Ausgleichs der Verluste aus Steuerstundungsmodellen und die Verweisung auf einen späteren Verlustausgleich mit Gewinnen aus der gleichen Einkunftsquelle verstoßen auch nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG.

Der allgemeine Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) gebietet dem Gesetzgeber, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln. Im Bereich des Steuerrechts hat der Gesetzgeber bei der Auswahl des Steuergegenstandes und bei der Bestimmung des Steuersatzes einen weitreichenden Entscheidungsspielraum (vgl. BVerfG-Beschluss vom 4. Dezember 2002 2 BvR 1735/00 , BFH/NV 2003, Beilage 3, 174). Im Bereich des Einkommensteuerrechts wird die grundsätzliche Freiheit des Gesetzgebers, diejenigen Sachverhalte zu bestimmen, an die das Gesetz dieselben Rechtsfolgen knüpft, vor allem durch das Gebot der Ausrichtung der Steuerlast am Prinzip der finanziellen Leistungsfähigkeit und durch das Gebot der Folgerichtigkeit begrenzt (z.B. BVerfG-Beschluss vom 21. Juni 2006 2 BvL 2/99, BVerfGE 116, 164, BFH/NV 2006, Beilage 4, 481). Steuerpflichtige sollen bei gleicher Leistungsfähigkeit auch gleich hoch besteuert werden (horizontale Steuergerechtigkeit), die Besteuerung höherer Einkommen muss im Vergleich mit der Steuerbelastung niedrigerer Einkommen angemessen sein (vertikale Steuergerechtigkeit). Zudem muss bei der Ausgestaltung des steuerrechtlichen Ausgangstatbestands die einmal getroffene Belastungsentscheidung folgerichtig im Sinne der Belastungsgleichheit umgesetzt werden. Ausnahmen von einer solchen folgerichtigen Umsetzung bedürfen eines besonderen sachlichen Grundes (statt aller BVerfG-Beschluss vom 11. November 1998 2 BvL 10/95, BVerfGE 99, 280, BStBl II 1999, 502). Nach ständiger Rechtsprechung des BVerfG (vgl. BVerfG-Beschluss vom 14. Juli 2006 2 BvR 375/00, BFH/NV 2007, Beilage 4, 235) und des BFH (vgl. BFH-Beschluss vom 26. August 2010 I B 49/10, BStBl II 2011, 826) bestehen im Hinblick auf Art. 3 Abs. 1 GGgrundsätzlich insoweit keine Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit einer Verlustausgleichsbeschränkung, als die Verlustverrechnung nicht versagt, sondern lediglich zeitlich gestreckt wird. Es genügt, wenn die Verluste überhaupt, und sei es auch in einem anderen Veranlagungszeitraum, steuerlich berücksichtigt werden. Verfassungsrechtliche Bedenken bestehen allerdings dann, wenn die Verlustverrechnung gänzlich ausgeschlossen wird (vgl. BVerfG-Beschluss vom 30. September 1998 2 BvR 1818/91, BVerfGE 99, 88). Hat es der Steuerpflichtige in der Hand, zu entscheiden, welcher steuerlichen Norm er sich bedienen will, gebietet Art. 3 Abs. 1 GGnicht, dass die Wahlmöglichkeiten in jeder Hinsicht gleichwertig sind, da ihm die jederzeitige Möglichkeit eröffnet ist, die Erfüllung des zur Verlustausgleichsbeschränkung führenden Tatbestands durch alternative Sachverhaltsgestaltung zu vermeiden (vgl. BVerfG-Beschlüsse vom 26. Oktober 2004 2 BvR 246/98, BFH/NV 2005, Beilage 3, 259; 17. November 2009 1 BvR 2192/05, BFH/NV 2010, 803). Der Bürger hat von Verfassungs wegen kein Recht darauf, aus jeder der ihm zur Auswahl angebotenen Regelungen die für ihn günstigsten Möglichkeiten in Anspruch zu nehmen (BVerfG-Beschlüsse vom 8. Oktober 1991 1 BvL 50/86, BVerfGE 84, 348).

Nach diesen Kriterien ist die in § 15b EStG enthaltene Einschränkung der Möglichkeiten zum Verlustausgleich verfassungsgemäß. Der bei einem Steuerstundungsmodell in der Anfangsphase konzeptionell vorgesehene Verlust kann in späteren Veranlagungszeiträumen mit Gewinnen verrechnet werden. Soweit Verluste aus Steuerstundungsmodellen insoweit schlechter gestellt sind als andere Beteiligungsverluste, kann dem der Steuerpflichtige ohne weiteres durch alternative Gestaltung des Sachverhalts ausweichen. Er hat keinen verfassungsrechtlichen Anspruch darauf, dass der Fiskus in der Anfangsphase einer Investition einen wesentlichen Anteil der Anschaffungskosten mitfinanziert. Es ist grundsätzlich auch nicht zu befürchten, dass bei einem planmäßigen Verlauf der Beteiligung an einem Steuerstundungsmodell im Sinne des § 15b EStG die Verluste der Anfangsphase definitiv untergehen. Dies belegt das im vorliegenden Verfahren streitige Anlagemodell anschaulich. Anderenfalls wäre bereits nach dem Beteiligungskonzept damit zu rechnen, dass in den Folgejahren nicht ausreichend Gewinne entstehen werden, um die Verluste der Anfangsphase auszugleichen. Dies hätte zur Folge, dass die Einkünfteerzielungsabsicht des Anlegers von vornherein zu verneinen und die entstehenden Verluste ohnehin schon nach allgemeinen Grundsätzen nicht ausgleichsfähig wären, was ebenfalls verfassungsgemäß ist (vgl. BVerfG-Beschlüsse vom 17. September 1977 1 BvR 373/77, StRK EStG § 2 Nr. 129; vom 24. April 1990 2 BvR 2/90, HFR 1991, 111; vom 18. November 1986 1 BvR 330/86, HFR 1988, 34). Der Senat folgt auch insoweit dem FG Baden-Württemberg in seinem Urteil vom 07. Juli 2011 (3 K 4368/09, a.a.O.).

e) Die Frage der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit der Rückwirkung der im Jahressteuergesetz 2007 durch Einführung des Abs. 2 b in § 20 EStG angeordneten Geltung des § 15 b EStG auch für Einkünfte aus Kapitalvermögen für das Veranlagungsjahr 2006 stellt sich vorliegend nicht. Jedenfalls ist sie nicht zugunsten der Klägerin zu beantworten. Zum Einen hat das Bundesverfassungsgericht in seinen Beschlüssen vom 7. Juli 2010 (2 BvL 14/0 2, 2 BvL 2/04, 2 BvL 13/05, DStR 2010, 1727 und 2 BvR 748, 753, 1738/05, DStR 2010, 1733) bei der Unterscheidung zwischen echter und unechter Rückwirkung von Steuergesetzen gegen die Kritik in der Literatur hieran weiterhin an dem Zeitpunkt des Entstehens der Steuerschuld festgehalten und für den Bereich des Einkommensteuerrechts die Änderung von Normen mit Wirkung für den laufenden Veranlagungszeitraum der Kategorie der unechten Rückwirkung zuordnet.

Zum Anderen hat die Kommanditistin der Klägerin ihre maßgeblichen Dispositionen erst am 19. und 20. Dezember 2006 durch die Zeichnung der Schuldverschreibung und Unterzeichnung des Darlehensvertrages für die Klägerin getroffen und damit nach der am 18. Dezember 2006 erfolgten Verkündung des Gesetzes vom 13. Dezember 2006, durch das § 20 Abs. 2 b EStG eingeführt wurde. Zudem hatte sie bei Zeichnung der Schuldverschreibung ein zweiwöchiges Widerrufsrecht vorbehalten.

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.

4. Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen. Der BFH hat bislang, soweit ersichtlich, weder zur Verfassungsmäßigkeit des § 15 b EStG noch zur Problematik der modellhaften Gestaltung einer Investition zum Zwecke der Erzielung steuerlicher Vorteile in Form negativer Einkünfte und in diesem Zusammenhang des Vorliegens eines vorgefertigten Konzepts in einem Hauptsacheverfahren entschieden.

Zinsbeginn bei Auflösung des Investitionsabzugsbetrages nach § 7g Abs. 3 EStG

Aufgabe der Investitionsabsicht als rückwirkendes Ereignis im Sinne des § 233a Abs. 2a AO.

Das Niedersächsische Finanzgericht (NFG) hat mit Urteil vom 05.05.2011 (Az. 1 K 266/10) entschieden, dass die Aufgabe der Investitionsabsicht nach Erlass des Steuerbescheides, in dem ein Investitionsabzugsbetrag berücksichtigt wurde, ein rückwirkendes Ereignis im Sinne des § 233a Abs. 2a AO darstellt.

Damit beginnt der Zinslauf für den steuerlichen Unterschiedsbetrag, der sich aus der Rückgängigmachung des Investitionsabzugsbetrages im Ausgangsjahr (§ 7g Abs. 3 EStG) ergibt, im Gegensatz zur Auffassung der Finanzverwaltung, nicht schon 15 Monate nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem der Abzugsbetrag geltend gemacht wurde, sondern erst 15 Monate nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem das rückwirkende Ereignis eingetreten ist.

Die Klägerin – eine GmbH & Co. KG – hatte für 2007 einen Investitionsabzugsbetrag nach § 7g Abs. 1 EStG für noch anzuschaffende bewegliche Wirtschaftsgüter in Anspruch genommen. Nach Erlass des Gewinnfeststellungsbescheides für das Jahr 2007 teilte die Klägerin dem Finanzamt im Jahr 2010 mit, dass die Investitionsabsicht für diese Wirtschaftsgüter aufgegeben worden sei. Das Finanzamt änderte daraufhin den Gewinnfeststellungsbescheid für 2007 nach § 7g Abs. 3 EStG und machte den Abzug des Investitionsabzugsbetrages gewinnerhöhend rückgängig. Das beklagte Finanzamt lehnte es ab, in den geänderten Feststellungsbescheid darauf hinzuweisen, dass die Änderung auf einem rückwirkenden Ereignis im Sinne des § 233a Abs. 2a AO beruhe.

Der 1. Senat des NFG hat der hiergegen gerichteten Klage stattgegeben. Für die Frage, ob und in welchem Umfang Steuernachforderungen auf einem rückwirkenden Ereignis im Sinne von § 233a Abs. 2a AO beruhten, komme es nicht darauf an, ob die verfahrensrechtlichen Voraussetzungen des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO erfüllt seien. Maßgebend sei allein, ob die Voraussetzungen des rückwirkenden Ereignisses im Sinne der vom Großen Senat des BFH geprägten Definition vorlägen.

Die Antwort auf die Frage, ob der nachträglichen Änderung des Sachverhalts rückwirkende steuerliche Bedeutung zukomme, bestimme sich danach allein nach dem jeweils einschlägigen materiellen Recht. Im konkreten Fall komme es also auf die einkommensteuerliche Rechtslage an.

Die Aufgabe der Investitionsabsicht im Jahr 2010 sei in materiell-rechtlicher Hinsicht ein rückwirkendes Ereignis im Sinne der Rechtsprechung des BFH, weil sie die Rückgängigmachung des Abzugs des Investitionsabzugsbetrags im Ausgangsjahr (2007) auslöse und erst nach Erlass des ursprünglichen Feststellungsbescheides eingetreten sei.

Die von der Finanzverwaltung und von Teilen der Literatur vertretene gegensätzliche Auffassung sei nicht überzeugend. Insbesondere habe der behauptete abweichende Wille des Gesetzgebers noch nicht einmal andeutungsweise einen Niederschlag im Gesetzestext gefunden. Auch aus der Gesetzessystematik lasse sich kein abweichendes Ergebnis ableiten.

Die Nichtzulassungsbeschwerde ist eingelegt worden – Az. IV B 87/11.

 

Niedersächsisches Finanzgericht

Urteil

vom

05.05.2011

Az.: 1 K 266/10

Orientierungssatz: Ges. und einh. Feststellung von Besteuerungsgrundlagen 2007
  Die Aufgabe der Investitionsabsicht nach Erlass des Steuerbescheides, in dem der Investitionsabzugsbetrag berück-sichtigt wurde, ist ein rückwirkendes Ereignis im Sinne des § 233a Abs. 2a AO. Der Zinslauf beginnt 15 Monate nach Ablauf des Kalenderjahrs, in dem das rückwirkende Ereignis eingetreten ist.
  Nichtzulassungsbeschwerde – BFH-Az.: IV B 87/11


Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Beklagte verpflichtet ist, in den geänderten Bescheid vom 23.08.2010 über die gesonderte und einheitliche Feststellung der Besteuerungsgrundlagen der Klägerin zu 1. für das Jahr 2007 (nachfolgend Feststellungsbescheid) die ergänzenden Feststellungen aufzunehmen, dass die Änderung des Feststellungsbescheides auf einem rückwirkenden Ereignis im Sinne von § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Abgabenordnung (AO) und damit zugleich auch auf einem rückwirkenden Ereignis im Sinne von §  233a Abs. 2a AO beruht.

Die Klägerin betreibt einen Zimmerei- und Dachdeckerbetrieb. Für den Veranlagungszeitraum 2007 machte sie für die voraussichtliche Anschaffung von Schiebetoren und für einen Kastenwagen einen Investitionsabzugsbetrag nach § 7g Abs. 1 Einkommensteuergesetz (EStG) in Höhe von insgesamt 20.400 € geltend. Die Schiebetore sollten im Jahr 2009 und der Kastenwagen im Jahr 2010 angeschafft werden. Der Beklagte berücksichtigte den Investitionsabzugsbetrag antragsgemäß und stellte den Gewinn mit Bescheid vom 14.05.2010 auf 258.832,91 € fest.

Am 15.06.2010 teilte die Klägerin zu 1. dem Beklagten in der Anlage zur Bilanz auf den 31.12.2009 mit, dass die Investitionsabsicht für die beiden Wirtschaftsgüter aufgegeben worden sei. Daraufhin erließ der Beklagte am 23.08.2010 einen geänderten Feststellungsbescheid für 2007, in dem er den Gewinn um den bisher berücksichtigten Investitionsabzugsbetrag in Höhe von 20.400 € auf 279.232,91 € erhöhte. Der Änderungsbescheid enthält den Vermerk: „Der Bescheid ist nach § 7g (3) EStG geändert“.

Im Einspruchsverfahren machte die Klägerin zu 1. geltend, dass Grundlage für die Änderung des Feststellungsbescheides nicht § 7g Abs. 3 EStG sondern § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO sei. Ihre Beschwer liege in der Angabe der unzutreffenden Korrekturnorm und der daraus folgenden höheren Zinsbelastung für die Gesellschafter.

Die im Juni 2010 mitgeteilte Aufgabe der Investitionsabsicht sei ein rückwirkendes Ereignis im Sinne von § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO. Daraus folge, dass für die Verzinsung § 233a Abs. 2a AO anwendbar sei. Der Zinslauf für die Nachzahlungszinsen beginne deshalb erst mit Ablauf von 15 Monaten nach dem Ende des Veranlagungszeitraums 2010, d.h. am 01.04.2012, weil das rückwirkende Ereignis im Verlauf des Jahres 2010 eingetreten sei. Nach der vom Beklagten vertretenen Auffassung habe der Zinslauf nach § 233 Abs. 2 AO bereits im April 2009 begonnen.

Der Feststellungsbescheid und die in ihm angegebene Änderungsgrundlage sei als Grundlagenbescheid für die Einkommensteuerfestsetzungen der Gesellschafter und auch für den Beginn des Zinslaufs bindend. Deshalb sei die Klägerin zu 1. beschwert und habe einen Anspruch auf eine entsprechende Änderung des Feststellungsbescheides.

Das Einspruchsverfahren blieb erfolglos. Der Beklagte vertrat in der Einspruchsentscheidung vom 12.11.2010 die Auffassung, dass die Aufgabe der Investitionsabsicht kein rückwirkendes Ereignis im Sinne von § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO sei. Der Bescheid sei zutreffend nach § 7g Abs. 3 EStG geändert worden. Wenn die Wirtschaftsgüter nicht bis zum Ablauf des 3-jährigen Investitionszeitraums angeschafft worden seien, müsse nach dieser Norm der in Anspruch genommene Investitionsabzugsbetrag bei der Veranlagung rückgängig gemacht werden, bei der er ursprünglich vorgenommen worden sei. Eine solche Änderung habe auch vorgenommen werden können, wenn – wie im Streitfall – die Investitionsabsicht vor Ablauf dieser Frist aufgegeben worden sei.

Nach der Absicht des Gesetzgebers habe die Verzinsung nach § 233a AO den bisherigen Gewinnzuschlag nach § 7g Abs. 5 EStG alter Fassung ablösen sollen. Deshalb habe der Gesetzgeber für den Fall der Rückgängigmachung des Investitionsabzugsbetrages nach § 7g Abs. 4 EStG in Satz 4 dieser Vorschrift ausdrücklich bestimmt, dass die Vorschrift des § 233a Abs. 2a AO nicht anzuwenden sei.

Aus dem Umstand, dass diese Bestimmung in Abs. 3 der Vorschrift fehle, obwohl der Gesetzgeber zweifelsfrei auch in diesem Fall keinen abweichenden Zinslauf gewollt habe, ergebe sich, dass der Gesetzgeber im Falle der Änderung nach Abs. 3 der Vorschrift nicht davon ausgegangen sei, dass es sich um ein Ereignis mit steuerlicher Rückwirkung handele.

Zur weiteren Begründung weist der Beklagte hin auf das Schreiben des Bundesministers der Finanzen (BMF) vom 08.05.2009 – IV C 6 – S 2139 – b/07/10002 – 2009/0294464 – BStBl I S. 633, Anm. 72. Dort wird die Auffassung vertreten, dass die Änderung der Steuerfestsetzung in den Fällen des § 7g Abs. 3 EStG gerade nicht auf der Berücksichtigung eines rückwirkenden Ereignisses beruhe, weshalb der Gesetzgeber in dieser Norm auch eine eigenständige Korrekturvorschrift (§ 7g Abs. 3 Satz 2 und 3 EStG) geschaffen habe.

Im Klageverfahren wiederholen die Beteiligten ihr Vorbringen in dem Vorverfahren.

Die Kläger beantragen,

den Beklagten zu verpflichten, unter Änderung des Bescheids für 2007 über die gesonderte und einheitliche Feststellung der Besteuerungsgrundlagen vom 23.08.2010 und der Einspruchs-entscheidung vom 12.11.2010 festzustellen, dass die Änderung des Feststellungsbescheides auf einem rückwirkenden Ereignis im Sinne von § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Abgabenordnung und damit zugleich auch auf einem rückwirkenden Ereignis im Sinne von §  233a Abs. 2a Abgabenordnung beruht.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

 

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die beigezogenen Akten des Beklagten und die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die Klage hat Erfolg.

I.          Die Klage ist zulässig.

1.         Die Klägerin zu 1. ist nach § 48 Abs. 1 Nr. 1 und der Kläger zu 2. ist nach § 48 Abs. 1 Nr. 5 FGO klagebefugt.

2.         Die Entscheidung über die begehrten ergänzenden Feststellungen, nämlich ob die Änderung des Gewinnfeststellungsbescheids auf einem rückwirkenden Ereignis im Sinne von § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO und damit zugleich auch auf einem rückwirkenden Ereignis im Sinne von § 233a Abs. 2a AO beruht, ist im Feststellungsverfahren zu treffen (vgl. BFH, Urteil vom 19.03.2009 – IV R 20/08 – BStBl II 2010, 528). Der ergänzte Feststellungsbescheid ist zugleich auch Grundlagenbescheid für die Zinsfestsetzung nach § 233a AO (vgl. BFH, Urteil vom 19.03.2009 – IV R 20/08 – a.a.O.).

3.         Die Kläger sind durch den Feststellungsbescheid beschwert, weil er die verlangten ergänzenden Feststellungen nicht enthält. Aus ihrem Fehlen ergeben sich bezüglich der Frage der Anwendbarkeit des § 233a Abs. 2a AO belastende Auswirkungen auf die Festsetzung von Zinsen beim Kläger zu 2. gemäß § 233a AO.

II.         Die Klage ist auch begründet.

Die Kläger haben nach § 179 Abs. 3 in Verbindung mit § 233a Abs. 2a AO einen Anspruch darauf, dass der Beklagte den streitigen Feststellungsbescheid um die begehrten Feststellungen ergänzt.

1.         Im Streitfall kann dahinstehen, ob der Feststellungsbescheid allein oder zugleich auf § 7g Abs. 3 EStG, § 172 Abs. 1 Nr. 2 AO oder § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO beruht. Dass der Feststellungsbescheid zumindest nach einer dieser Vorschriften geändert werden konnte, steht außer Frage und ist zwischen den Beteiligten auch nicht streitig.

2.         Für die hier im Feststellungsverfahren mit verbindlicher Wirkung für die Folgebescheide zu treffende Feststellung, ob und in welchem Umfang Steuernachforderungen auf einem rückwirkenden Ereignis im Sinne von § 233a Abs. 2a AO beruhen, kommt es nicht darauf an, ob die verfahrensrechtlichen Voraussetzungen des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO erfüllt sind, sondern es ist allein maßgebend, ob die Voraussetzungen des rückwirkenden Ereignisses vorliegen. Die Bezugnahme auf § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO in dem in § 233a Abs. 2a AO enthaltenen Klammerzusatz beschränkt sich allein hierauf (vgl. BFH, Urteil vom 18.05.1999 – I R 60/98 – BStBl II 1999, 634; für die Fälle der Rückgängigmachung des Investitionsabzugsbetrages nach § 7g Abs. 3 EStG im Ergebnis gleicher Auffassung Schmidt/Kulosa, EStG, 30 Aufl. 2011, § 7g Rz 29; Frotscher/Kratzsch, EStG – Loseblatt, Stand 155. Lfg. 2010, § 7g Anm. 71, HHR/Meyer, EStG – Loseblatt, Stand 236. Lfg. 2009, Anm. 116).

3.         Der geänderte Feststellungsbescheid beruht – im Sinne der vorstehenden Ausführungen – auf einem rückwirkenden Ereignis im Sinne von § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO und damit zugleich auch auf einem rückwirkenden Ereignis im Sinne von § 233a Abs. 2a AO.

a)         Der Große Senat des BFH hat in seinem Beschluss vom 19.07.1993 – GrS 2/92 – BStBl II 1993, 897, definiert, unter welchen Voraussetzungen ein rückwirkendes Ereignis im Sinne von § 175 Abs.1 Satz 1 Nr. 2 AO vorliegt. Er führt dazu in den Beschlussgründen unter C I 1. aus:

§ 175 Abs.1 Satz 1 Nr. 2 AO 1977 bestimmt allerdings nicht näher, unter welchen Voraussetzungen tatsächlicher oder rechtlicher Art das Tatbestandsmerkmal „rückwirkendes Ereignis“ als erfüllt anzusehen ist. Die Vorschrift bedarf daher der Auslegung.

Aus dem Bedeutungszusammenhang, in dem § 175 Abs.1 Satz 1 Nr.2 AO 1977 steht und aus seiner Zielsetzung ergibt sich zunächst, daß der Begriff „Ereignis“ alle rechtlich bedeutsamen Vorgänge umfaßt. Dazu rechnen nicht nur solche mit ausschließlich rechtlichem Bezug, sondern auch tatsächliche Lebensvorgänge (…).

Ferner verdeutlichen die sprachliche Bedeutung des Begriffs „eintritt“ und der Bedeutungszusammenhang mit § 173 Abs.1 AO 1977, daß sich der Vorgang ereignen muß, nachdem der Steueranspruch entstanden ist und –bezogen auf den der Vorlage zugrunde liegenden Streitfall– bei Änderung eines Steuerbescheids, nachdem dieser Steuerbescheid ergangen ist. Die Voraussetzungen des § 175 Abs.1 Satz 1 Nr.2 AO 1977 liegen nicht vor, wenn das FA –wie im Fall des § 173 Abs.1 AO 1977– lediglich nachträglich Kenntnis von einem bereits gegebenen Sachverhalt erlangt (…). 

Es reicht nicht aus, daß das spätere Ereignis den nach dem Steuertatbestand rechtserheblichen Sachverhalt anders gestaltet. Die Änderung muß sich darüber hinaus –ungeachtet der zivilrechtlichen Wirkungen– steuerlich in die Vergangenheit auswirken, und zwar in der Weise, daß nunmehr der veränderte anstelle des zuvor verwirklichten Sachverhalts der Besteuerung zugrunde zu legen ist (…)“.

b)         Die Antwort auf die Frage, ob der nachträglichen Änderung des Sachverhalts rückwirkende steuerliche Bedeutung zukommt, bestimmt sich in § 233a Abs. 2a AO nicht anders als in § 175 Abs. 1 Nr. 1 Nr. 2 AO allein nach dem jeweils einschlägigen materiellen Recht (vgl. BFH, Urteil vom 18.05.1999 – I R 60/98 – BStBl II 1999, 634 und schon BFH, Beschluss des Großen Senats vom 19.07.1993 – GrS 2/92 – BStBl II 1993, 897). Im konkreten Fall kommt es also auf die einkommensteuerliche Rechtslage an.

c)         Im Falle der Inanspruchnahme der Steuervergünstigung des § 7g EStG in der nach § 52 Abs. 23 EStG für die Klägerin zu 1. im Streitjahr geltenden Neufassung durch das Gesetz vom 14.08.2007, BGBl I 1912, die – unter weiteren Voraussetzungen – den Abzug eines Investitionsabzugsbetrages erlaubt, wenn die Absicht der künftigen Anschaffung eines Wirtschaftsguts besteht, entsteht die entsprechend geminderte Einkommensteuer mit Ablauf des Veranlagungszeitraums, in dem der Investitionsabzugsbetrag gewinnmindernd abgezogen worden ist, § 38 Abs. 1 EStG. Der Steuerpflichtige kann diesen Steuervorteil für den Veranlagungszeitraum der Inanspruchnahme nur behalten, wenn er die Investition bis zum Ablauf des dritten auf das Wirtschaftsjahr der Inanspruchnahme des Abzugsbetrages folgenden Wirtschaftsjahrs durchführt. Je nachdem, ob das Wirtschaftsgut in dieser Frist angeschafft wird oder nicht, bleibt es bei der Steuerfestsetzung für den Veranlagungszeitraum der Inanspruchnahme des Abzugsbetrages (der Abzugsbetrag ist in diesem Fall gemäß § 7g Abs. 2 EStG in dem Veranlagungszeitraum gewinnerhöhend hinzuzurechnen, in dem das Wirtschaftsgut angeschafft worden ist) oder es kommt zur Rückgängigmachung des Abzugs im Ausgangsjahr, § 7g Abs. 3 EStG. Zur Rückgängigmachung des Abzugs kommt es auch dann, wenn der Steuerpflichtige – wie im Streitfall – seine Investitionsabsicht vor Ablauf der Frist aufgibt und dies dem Finanzamt anzeigt.

Die unterschiedlichen steuerlichen Auswirkungen beruhen jeweils auf Ereignissen im Sinne der vorstehend wiedergegebenen Definition des Großen Senats (Anschaffung des Wirtschaftsguts innerhalb der Investitionsfrist, Aufgabe der Investitionsabsicht, Verstreichenlassen der Investitionsfrist). Die von der Klägerin zu 1. am 15.06.2010 aufgegebene Investitionsabsicht ist damit in materiell-rechtlicher Hinsicht ein rückwirkendes Ereignis im Sinne der vom Großen Senat des BFH geprägten Definition, weil es die Rückgängigmachung des Abzugs des Investitionsabzugsbetrags im Ausgangsjahr auslöst und erst nach Erlass des ursprünglichen Feststellungsbescheides vom 14.05.2010 eingetreten ist.

d)         Ob zugleich ein rückwirkendes Ereignis im Sinne von § 175 Abs. 2 Satz 1 AO vorliegt, kann dahinstehen.

e)         Der erkennende Senat vermag nicht der Auffassung des BMF im Schreiben vom 08.05.2009  (IV C 6 – S 2139 – b/07/10002 – 2009/0294464 – BStBl I S. 633, Tz. 72) zu folgen, dass § 233a Abs. 2a AO deshalb nicht zur Anwendung kommen könne, weil der Gesetzgeber in § 7g Abs. 3 Satz 2 und 3 EStG eine eigenständige Korrekturnorm geschaffen habe. Die Änderung der Steuerfestsetzung beruhe deshalb nicht auf der Berücksichtigung eines rückwirkenden Ereignisses. Nach dem oben Ausgeführten und nach der zitierten Rechtsprechung des BFH kommt es für die Anwendbarkeit des § 233a Abs. 2a AO gerade nicht darauf an, ob die Änderung des betreffenden Bescheides auf § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO oder auf einer anderen Norm beruht. Maßgeblich ist allein, ob die Voraussetzungen eines rückwirkenden Ereignisses vorliegen.

f)         Der von Brandis zur Begründung seiner gegenteiligen Auffassung geprägte Satz „Die Nichtinvestition berührt den Umstand einer früher einmal geplanten Investition nicht“ (Blümich/Brandis, EStG, § 7g Rz 66) ist unbestreitbar richtig. Im Hinblick auf das vorliegende Problem, ob in der Nichtinvestition zum Ablauf der gesetzlichen Frist oder der Aufgabe der Investitionsabsicht ein rückwirkendes Ereignis zu sehen ist, führt er jedoch zu keinerlei Erkenntnisgewinn.

Zur Begründung der Nichtanwendbarkeit des § 233a Abs. 2a AO kann nach Auffassung des erkennenden Senats auch nicht herangezogen werden, dass der Gesetzgeber davon ausgegangen sei, dass in den Fällen der Rückgängigmachung des Investitionsabzugsbetrages nach § 7g Abs. 3 EStG materiell kein rückwirkendes Ereignis vorliege. Da der Begriff des rückwirkenden Ereignisses nicht gesetzlich definiert ist und der angebliche Wille des Gesetzgebers, dass die Rückgängigmachung des Investitionsabzugsbetrages kein rückwirkendes Ereignis sei, noch nicht einmal andeutungsweise einen Niederschlag im Gesetzestext (zu den Voraussetzungen und Grenzen der Berücksichtigung des Willens des Gesetzgebers bei der Auslegung von Gesetzen vgl. Tipke/Kruse – Drüen, Kommentar zur AO und FGO, Loseblatt Stand Aug. 2009, § 4 AO Tz 231 ff. mit Hinweisen auf die Rechtsprechung) und darüber hinaus auch nicht in den Materialien gefunden hat (vgl. BT- Drs. 16, 4841, S. 53), kann dieser vermutete Wille des Gesetzgebers bei der Auslegung des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO nicht berücksichtigt werden (a.A. Brandis a.a.O.).

Aus dem Fehlen einer dem § 7g Abs. 4 Satz 4 EStG vergleichbaren Vorschrift (Nichtanwendbarkeit des § 233a Abs. 2a AO) in § 7g Abs. 3 EStG lässt sich in Bezug auf den Inhalt und die Auslegung des Gesetzesbegriffs des rückwirkenden Ereignisses nichts ableiten (a.A. Brandis a.a.O.).

g)         Der erkennende Senat folgt auch nicht der abweichenden Auffassung von Wendt (FR 2008, 598, 602), die auf der Annahme beruht, dass § 233a Abs. 2a AO im Fall der Änderung nach § 7g Abs. 3 EStG allenfalls analog anwendbar sei. Diese Auffassung steht im Gegensatz zur Rechtsprechung des BFH (Urteil vom 18.05.1999 – I R 60/98 – BStBl II 1999, 634). Dort wird ausgeführt, dass § 233a Abs. 2a AO direkt anwendbar ist, wenn die Voraussetzung des rückwirkenden Ereignisses gegeben ist, ohne dass zusätzlich die verfahrensrechtlichen Voraussetzungen des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO erfüllt sein müssen und auch ohne dass die fragliche Änderung nach dieser Vorschrift erfolgt sein muss.

III.        Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 151 FGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozessordnung.

1%-Regelung ist verfassungsgemäß

Keine Anpassungsverpflichtung der 1%-Regelung des Gesetzgebers

Das Niedersächsische Finanzgericht (NFG) hat mit Urteil vom 14.09.2011 entschieden, dass die Vorschriften zur Ermittlung des geldwerten Vorteils für die private Nutzung eines vom Arbeitgeber zur Verfügung gestellten Kfz (§ 8 Abs. 2 Satz i.V.m. § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 EStG) verfassungsgemäß sind (Az.: 9 K 394/10).

-> Firmenwagen Rechner

Der Kläger war im Streitjahr 2009 als Geschäftsführer für eine GmbH tätig. Sein Arbeitgeber stellte ihm ein geleastes Gebrauchtfahrzeug (Neuwagenlistenpreis: 81.400 €; Gebrauchtwagenwert: 31.990 €) als Dienstwagen zur Verfügung. Bei Berechnung des geldwerten Vorteils für die Privatnutzung ging das FA unter Anwendung der 1%-Regelung vom Bruttoneuwagenlistenpreis aus und errechnete einen monatlich zu versteuernden Vorteil von 814 €. Der Kläger vertrat in dem vom Bund der Steuerzahler unterstützten Verfahren die Auffassung, die sog. 1%-Regelung sei verfassungswidrig. Sie genüge insbesondere den für typisierende Regelungen geltenden Anforderungen wegen der fortdauernden Bezugnahme auf den Bruttoneuwagenlistenpreis nicht mehr. Der Gesetzgeber sei spätestens im Streitjahr 2009 verpflichtet gewesen, die Bemessungsgrundlage nach Abschaffung des Rabattgesetzes und der Zugabeverordnung unter Berücksichtigung der allgemeinen Marktentwicklung im Kfz-Handel anzupassen und übliche Rabattabschläge (im Durchschnitt 20%) zu berücksichtigen. Hierzu verweist der Kläger auf das BFH-Urteil vom 17.09.2009 (VI R 18/07, BStBl II 2010, 67), in dem der Bundesfinanzhof die unverbindliche Preisempfehlung eines Automobilherstellers aus den vorgenannten Gründen jedenfalls seit dem Jahr 2003 nicht mehr als geeignete Grundlage für die Bewertung des lohnsteuerrechtlich erheblichen Vorteils eines Personalrabatts für sog. Jahreswagen angesehen hat. Der verfassungsrechtlich bestehende Anpassungszwang könne nicht durch Verweis auf die Fahrtenbuchmethode (sog. Escape-Klausel) unterlaufen werden.

Der 9. Senat des NFG ist der Rechtsauffassung des Klägers nicht gefolgt. Er hält die Regelungen nicht für verfassungswidrig. Insbesondere habe der Gesetzgeber nicht gegen Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes verstoßen, indem er unverändert seit 1996 an dem Bruttoneuwagenlistenpreis als Bemessungsgrundlage festgehalten habe. Zwar stehe das Recht auf Typisierung unter dem Vorbehalt der realitätsgerechten Erfassung der Wirklichkeit. Ein Gleichheitsverstoß wegen Verletzung der Anpassungsverpflichtung liege im Streitfall gleichwohl nicht vor. Der Gesetzgeber sei nicht gehalten, im Kfz-Handel gewährte übliche Rabatte von 10% – über 30%, die zudem vom Hersteller, Modell und vielen Sonderfaktoren (Verkäuflichkeit, Auslauf- oder Sondermodell) abhängig seien, bei der Bestimmung der Bemessungsgrundlage zu berücksichtigen.

Das NFG hat die Revision zugelassen.

Gegen diese Entscheidung wurde Revision eingelegt, das Aktenzeichen des BFH lautet VI R 51/11.

Niedersächsisches Finanzgericht

Urteil

vom

14.09.2011

Az.: 9 K 394/10

Orientierungssatz: Einkommensteuer 2009
Zur Verfassungsmäßigkeit der 1%-RegelungKeine Verpflichtung des Gesetzgebers, die typisierende 1%-Regelung nach Abschaffung des Rabattgesetzes und der Zugabeverordnung sowie unter Berücksichtigung der allgemeinen Marktentwicklungen im Kraftfahrzeughandel zu überprüfen und an die veränderten Marktverhältnisse anzupassen.
Revision eingelegt:  VI R 51/11


Tatbestand

Streitig ist, ob die Pauschalbewertung der privaten Nutzung eines betrieblichen Kfz`s nach § 8 Abs. 2 Satz 2 EStG in Verbindung mit § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 EStG insoweit noch verfassungsgemäß ist, als die Nutzungsentnahme nach dem inländischen Bruttolistenpreis bei der Erstzulassung bemessen wird.

Die Kläger sind verheiratet und werden gemeinsam zur Einkommensteuer veranlagt. Der Kläger erzielt als Geschäftsführer der Firma …GmbH im Streitjahr Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Auch die Klägerin erzielt Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Daneben erzielten die Kläger im Streitjahr auch noch Verluste aus der Vermietung eines bebauten Grundstücks. Entsprechend einem Beschluss der Gesellschafter der …GmbH stellte der Arbeitgeber dem Kläger im Streitjahr einen Dienstwagen BMW 730 D zur Verfügung. Es handelt sich dabei um ein Gebrauchtfahrzeug (Erstlassung 27. August 2004, Kilometer-Stand 58.000), das der Arbeitgeber vom 5. März 2008 bis 4. März 2011 geleast hat. Der PKW hatte zu Beginn des Leasing-Zeitraums einen Gebrauchtwagenwert von brutto 31.990 €. Der Bruttolistenpreis des Fahrzeugs betrug im Zeitpunkt der Erstzulassung 81.400 €. Die vom Arbeitgeber zu zahlende Leasing-Rate belief sich auf 722,57 € monatlich. Der Kläger war berechtigt, das Fahrzeug auch privat und für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte zu nutzen. Ein Fahrtenbuch führte der Kläger nicht.

Bei der Berechnung des geldwerten Vorteils für die private Nutzung des Kfz und für die Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte ist der Arbeitgeber vom Bruttolisten-Neupreis ausgegangen. Dabei ergab sich unter Anwendung der sogenannten 1 %-Regelung ein monatlicher geldwerter, bei der Einkommensteuer zu versteuernder Vorteil in Höhe von 814 €. Nach Angaben der Kläger erhielt unter anderem auch ein Montageinspektor ein Betriebs-Kfz gestellt, das dieser auch privat nutzen durfte. Für diesen Mitarbeiter leaste der Arbeitgeber einen Neuwagen Renault Grand Scenic Exception 2.0 dCi FAP zu einem Bruttolisten-Neupreis von 35.132 €. Die Leasing-Rate des Arbeitgebers belief sich auf brutto 717,03 € monatlich. Der geldwerte zu versteuernde Vorteil betrug unter Anwendung der sogenannten 1 %-Regelung 351 € im Monat.

Gegen den Einkommensteuerbescheid 2009 vom 29. Juli 2010 legten die Kläger Einspruch ein und beantragten, bei der Berechnung des geldwerten Vorteils den Gebrauchtwagenwert zugrunde zu legen. Aufgrund der entgegen stehenden gesetzlichen Regelungen hatte der Einspruch insoweit jedoch keinen Erfolg.

Mit der vorliegenden Klage verfolgen die Kläger ihr Begehren aus dem Einspruchsverfahren weiter. Zur Begründung tragen sie im Wesentlichen Folgendes vor:

Zu beanstanden sei die Berechnung des geldwerten Vorteils. Die mit Bezugnahme auf den Bruttolistenneupreis vom Gesetzgeber in § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 EStG vorgenommen Typisierung und Pauschalierung zur Ermittlung des geldwerten Vorteils aus der privaten Nutzung eines betrieblich Kfz. sei zumindest seit dem Streitjahr nicht mehr verfassungsgemäß. Bei § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 EStG handele es sich um eine grundsätzlich zwingende, stark typisierende und pauschalierende Bewertungsregelung, die in der steuerrechtlichen Literatur teilweise als grober Klotz bezeichnet werde. Die Befugnis des Gesetzgebers zur Vereinfachung und Typisierung sei grundsätzlich in der Rechtsprechung der Finanzgerichte und des Bundesverfassungsgerichts anerkannt. Grundsätzlich dürfe er generalisierende, typisierende und pauschalierende Regelungen treffen, ohne allein schon wegen der damit unvermeidlich verbundenen Härten gegen den allgemeinen Gleichheitssatz zu verstoßen. Der Gesetzgeber dürfe sich grundsätzlich am Regelfall orientieren und sei nicht gehalten, allen Besonderheiten jeweils durch Sonderregelungen Rechnung zu tragen. Die gesetzlichen Verallgemeinerungen müssten allerdings auf eine möglichst breite, alle betroffenen Gruppen und Regelungsgegenstände einschließende Beobachtung aufbauen. Insbesondere dürfe der Gesetzgeber für eine gesetzliche Typisierung keinen atypischen Fall als Leitbild wählen, sondern müsse realitätsgerecht den typischen Fall als Maßstab zugrunde legen. Eine Typisierung, die die tatsächliche Ausnahme zur normativen Regel erhebe, sei dagegen unhaltbar. Letzterer Aspekt könne von vornherein im Gesetz angelegt sein; er könne aber auch erst später durch eine Veränderung der Umstände eintreten. Aufgrund der Verpflichtung, die Wirklichkeit realitätsnah zu erfassen, stehe der Gesetzgeber unter einem ständigen Anpassungszwang. Die den Einkommensteuergesetzgeber bindenden verfassungsrechtlichen Grundsätze folgerichtiger Bestimmung und Erfassung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit würden ergänzt und unterstützt durch das Gebot realitätsgerechter Tatbestandsgestaltung. Insbesondere realitätsfremde Bemessungstatbestände könnten für einkommensteuerlich berücksichtigungsbedürftige Aufwendungen gleichheitswidrig sein. Hieraus folge, dass der Gesetzgeber bei der Festlegung von Pauschalen inhaltlich nicht völlig frei sei. So dürften steuerrechtliche Höchstbeträge nicht völlig realitätsfern sein und müssten innerhalb angemessener Frist veränderten Verhältnissen angepasst werden. Dies gelte auch für andere Formen der Pauschalierung.

Die Regelung des § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 EStG genüge diesen verfassungsrechtlichen Anforderungen an typisierende Regelungen nicht. Sie sei heute aufgrund eines sich ändernden Marktes weder nach der gesetzgeberischen Zielsetzung noch nach dem objektiven Regelungsgehalt das Ergebnis eines noch zulässigen Typisierungsvorgangs. Der Gesetzgeber habe auch die Beibehaltung der 1972 vorgenommenen Typisierung seine Typisierungsbefugnis dadurch überschritten, dass er dem sich ergebenden Anpassungszwang nicht nachgekommen sei.

Es könne dahinstehen, ob bei Aufnahme der 1 %-Regelung in das Gesetz mit dem Jahressteuergesetz 1996 die Bemessungsgrundlage „Bruttolistenneupreis“ eine zulässige Typisierung einer Pauschalierungsregelung gewesen sei. Zumindest für das Streitjahr 2009 treffe dies nicht mehr zu. Die 1 %-Regelung stelle zwar einen Beitrag zur Verwaltungsvereinfachung dar. Aus welchem Grund es mit mehr Verwaltungsaufwand verbunden sein solle, dem tatsächlich gezahlten Kaufpreis, der aus der Buchhaltung oder den Belegen zu ersehen sei, zur Bemessungsgrundlage der 1 %-Regelung zu machen, sei nicht nachvollziehbar. Auch die unverbindliche Preisempfehlung des Herstellers zuzüglich der Preisempfehlungen für etwaige Sonderausstattungen müssten gegebenenfalls bei einem Händler oder Hersteller abgefragt werden. Auch die Rechtsprechung gehe grundsätzlich davon aus, dass der geldwerte Vorteil der Nutzung eines Kfz. durch einen Arbeitnehmer von der Höhe des Kaufpreises abhänge. Der gesetzliche Maßstab von 1 % des Listenpreises sei auf statistische Erhebungen zurückzuführen, in die die durchschnittlichen Gesamtkosten aller auch privat genutzten betrieblichen Fahrzeuge eingegangen seien. Danach spiegele der mit 1 % des Listenpreises bemessene Wert realistisch den durchschnittlichen – also vom Einzelfall losgelösten – Anteil der Gesamtkosten wieder, der auch die reinen Privatfahrten entfalle. Soweit Anknüpfungspunkt des geldwerten Vorteils der Bruttolisten-Neupreis sei, wovon 12 % jährlich nach statistischen Erfahrungswerten auf die durch Privatfahrten ausgelösten Kosten entfielen, sei diese gesetzliche Annahme nur zutreffend, wenn in der Mehrzahl der Fälle der Bruttolistenneupreis mehr oder weniger den tatsächlichen Anschaffungskosten entspreche. Anders herum formuliert liege ein Verstoß gegen Artikel 3 Grundgesetz (GG) vor, wenn die zum gesetzlichen Grundfall gemachte Bemessungsgrundlage „Bruttolistenneupreis“ den Ausnahmefall darstelle. Dies sei vorliegend aber offenkundig der Fall. Der BFH habe im Urteil vom 17. Juni 2009 (VI R 18/07) bereits darauf hingewiesen, dass spätestens seit der Abschaffung des Rabatt-Gesetzes und der Zugabeverordnung zum 25. Juli 2001 sowie unter Berücksichtigung der allgemeinen Marktentwicklung im Kraftfahrzeughandel, die unverbindliche Preisempfehlung in aller Regel nicht der Preis sei, zu dem Fahrzeuge im allgemeinen Geschäftsverkehr angeboten würden. Damit macht das Gesetz einen fiktiven, realitätsfernen Wert zur Bemessungsgrundlage einer Pauschalierung. Dadurch überschreite der Gesetzgeber den ihm eingeräumten Typisierungs- und Pauschalierungsrahmen. Angesichts des bestehenden Anpassungsfalles sei der Gesetzgeber zumindest für den Zeitraum ab dem Streitjahr verpflichtet, die vorgenommene Pauschalierung zu überprüfen und aufgrund der geänderten Marktverhältnisse anzupassen. Von dem Bruttolistenneupreis sei ein üblicher, durchschnittlicher Abschlag vorzunehmen. Dieser Abschlag sei auf Basis einer Preis-Studie der Universität Duisburg-Essen für Oktober 2010 mit 20 % anzunehmen. Zur Glaubhaftmachung verweisen die Kläger auf die im Schriftsatz vom 4. Februar 2011 beigefügte Preis-Studie. Den verfassungsrechtlichen Einwendungen könne nicht entgegen gehalten werden, dass der Gesetzgeber mit der sogenannten Escape-Klausel des § 8 Abs. 2 Satz 4 EStG die Möglichkeit geschaffen habe, im Rahmen eines Wahlrechts den Nutzungswert anhand der tatsächlichen Kosten zu ermitteln und dadurch der verfassungswidrigen Pauschalierung zu entgehen. Zum einen sei zu berücksichtigen, dass dies im Rahmen des § 8 EStG lediglich mit der Einschränkung gelte, dass der Arbeitnehmer auf die Mitwirkung des Arbeitgebers angewiesen sei. Obwohl grundsätzlich der Arbeitgeber arbeitsrechtlich verpflichtet sei, dem Arbeitnehmer Auskunft über die tatsächlichen Kfz-Kosten zu erteilen, laufe das Wahlrecht des Arbeitnehmers dort ins Leere, wo der Arbeitgeber, z. B. bei einem großen Fuhrpark, die Fahrzeugkosten nicht getrennt erfasse. Zudem stelle die Fahrtenbuchmethode in der Praxis ein mehr als streitanfälliges Beweismittel dar. Schon bei kleineren Fehlern werde das Fahrtenbuch als nicht ordnungsgemäß verworfen und es komme zwingend die Pauschalierungsmethode zur Anwendung. Zum anderen könne es nicht sein, dass einer verfassungswidrigen Pauschalierungsmöglichkeit letztlich dadurch der Bestand gesichert werde, dass der Gesetzgeber eine Alternativmöglichkeit zur Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen schaffe. Hierdurch werde der verfassungsrechtlich bestehende Anpassungszwang unterlaufen.

Zudem rügen die Kläger die angewendete gesetzliche Regelung insoweit, als sie auf einen einheitlichen Satz von Sachbezugswert des Arbeitnehmers und Entnahmewert des Unternehmers abziele. Diese Bewertungsansätze seien nicht vergleichbar. Während im Rahmen des § 8 EStG die Höhe des geldwerten Vorteils der privaten Nutzung nach objektiven Merkmalen zu bestimmen sei, gehe es im betrieblichen Bereich um die Korrektur der Betriebsausgaben in Höhe der (tatsächlichen) Aufwendungen des Unternehmers für Privatfahrten, die für die Höhe des geldwerten Vorteils gerade nicht maßgebend seien.

Die Kläger regen an, den Rechtsstreit auszusetzen und das Bundesverfassungsgericht im Rahmen einer Richtervorlage anzurufen.

Die Kläger beantragen,

den Einkommensteuerbescheid 2009 in der Fassung des Einspruchsbescheides vom 4. Oktober 2010 abzuändern und den geldwerten Vorteil für die Überlassung des Pkw nach dem Wert von 31.990 € anstelle des Bruttolistenpreises zu bemessen und die Einkommensteuer entsprechend herabzusetzen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung verweist er zunächst auf seinen Einspruchsbescheid vom 4. Oktober 2010. Darüber hinaus weist der Beklagte auf Folgendes hin:

Die Vorschrift des § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 EStG entspreche unbeschadet ihres typisierenden und pauschalierenden Charakters den verfassungsrechtlichen Grundsätzen. Danach sei der Wert der privaten Pkw-Nutzung anhand des inländischen Listenpreises zum Zeitpunkt der Erstzulassung anzusetzen. Diese pauschalierende und stark typisierende Bewertungsregelung sei grundsätzlich zwingend. Die Tatsache, dass im Kfz-Handel aufgrund von Rabatten Fahrzeuge in der Regel unter dem Listenpreis erworben werden, führe nicht zum Verstoß gegen Artikel 3 GG. Im Rahmen des dem Steuergesetzgeber bei Typisierungen eröffneten Gestaltungsspielraums seien steuerrechtliche Regelungen nach Artikel 3 Abs. 1 GG so auszugestalten, dass die Gleichheit im Belastungserfolg für alle Steuerpflichtige hergestellt werden könne. Dabei stehe dem Gesetzgeber bei Typisierungen von Verfassungs wegen ein breiter Spielraum zur Verfügung. Die in § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 EStG erfolgte Typisierung begegne auch in der Höhe keinen durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken. Der inländische Listenpreis gemäß § 8 Abs. 2 Satz 2 EStG in Verbindung mit § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 EStG sei nicht durch Preisnachlässe zu korrigieren. Die Escape-Klausel des § 8 Abs. 2 Satz 4 EStG stelle sicher, dass – bei Einhaltung der entsprechenden Nachweisanforderungen – niemand zum pauschalen Ansatz eines höheren als des tatsächlichen geldwerten Vorteils gezwungen werde. Diese Regelung diene der Vermeidung von Härtefällen und verhindere damit eine Übermaßbesteuerung in den Fällen, in denen die Pauschalansätze zu Lasten des Steuerpflichtigen der Realität nicht entsprächen. Die Verfassungswidrigkeit könne sich nicht aus dem Gesichtspunkt ergeben, dass die Führung eines Fahrtenbuches unzumutbar sei. Dem Bürger komme von Verfassungs wegen kein Recht auf die für ihn günstigste Lösung zu, ohne dass er selbst mitwirken müsse. Im Hinblick auf die Nachweisanforderungen sei zu berücksichtigen, dass es um die Nutzung eines einheitlichen Gegenstandes sowohl für berufliche als auch private Zwecke gehe und damit eine Vermischung von Aufwendungen der Lebensführung vorliege. Soweit die Anforderungen der Finanzverwaltung an die Ordnungsmäßigkeit eines Fahrtenbuches für unzumutbar gehalten würden, könne dies nicht die Verfassungswidrigkeit des § 8 Abs. 2 Satz 4 EStG begründen, da diese Vorschrift lediglich den unbestimmten Rechtsbegriff „ordnungsgemäß“ enthalte, der im Einzelfall auszulegen sei. Zudem erleichtere die von der Finanzverwaltung zugelassene Benutzung elektronischer Fahrtenbücher den Nachweis erheblich. Die verfassungsrechtlichen Bedenken seien auch unbeschadet der Unzulänglichkeiten hinsichtlich der nicht vergleichbaren Bewertungsansätze des Arbeitnehmers (Sachbezugswert) und des Unternehmers (Entnahmewert) nicht durchgreifend, da dem Gesetzgeber bei typisierenden Regelungen von Massenverfahren mit dem Ziel der Vereinfachung ein breiter Gestaltungsspielraum zukomme.

Entscheidungsgründe

1. Die Klage ist unbegründet.

Der angefochtene Einkommensteuerbescheid 2009 ist rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 Finanzgerichtsordnung – FGO-). Der Beklagte hat zu Recht den geldwerten Vorteil für die private Nutzung des betrieblichen Kfz auf der Basis des inländischen Bruttolistenneupreises von 81.400 € berechnet (§ 8 Abs. 2 Satz 2 EStG in Verbindung mit § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 EStG) und diesen geldwerten Vorteil als Arbeitslohn bei den Einkünften des Klägers aus nichtselbständiger Arbeit (§ 19 Abs. 1 EStG) erfasst.

a. Zum Arbeitslohn gehören nach § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG neben Gehältern, Löhnen, Gratifikationen, Tantiemen und anderen Bezügen auch Vorteile, die für eine Beschäftigung im öffentlichen oder privaten Dienst gewährt werden. Das sind nach § 8 Abs. 1 EStG alle in Geld oder Geldeswert bestehenden Güter, die dem Steuerpflichtigen im Rahmen der Einkunftsart des § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 EStG zufließen. § 8 Abs. 2 Satz 1 EStG benennt die geldeswerten Güter oder Vorteile (Einnahmen, die nicht in Geld bestehen), nämlich „Wohnung, Kost, Waren, Dienstleistungen und sonstige Sachbezüge“; sie sind mit den um übliche Preisnachlässe geminderten üblichen Endpreisen am Abgabeort anzusetzen. Nach § 8 Abs. 3 EStG gelten für Waren oder Dienstleistungen, die ein Arbeitnehmer auf Grund seines Dienstverhältnisses erhält, und die vom Arbeitgeber nicht überwiegend für den Bedarf seiner Arbeitnehmer hergestellt, vertrieben oder erbracht werden und deren Bezug pauschal versteuert wird, als deren Werte die um 4 % geminderten Endpreise, zu denen der Arbeitgeber die Waren oder Dienstleistungen fremden Letztverbrauchern im allgemeinen Geschäftsverkehr anbieten.

aa. Abweichend von diesen auf „Endpreise“ abstellenden Bestimmungen für die Bewertung von Zuwendungen an den Arbeitnehmer verweist § 8 EStG in seinem Absatz 2 Satz 2 und Satz 3 für die private Nutzung eines betrieblichen Kfz zu privaten Fahrten und für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte auf § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 EStG. Nach dieser Vorschrift ist für die private Nutzung eines Kfz, das zu mehr als 50 % betrieblich genutzt wird, für jeden Kalendermonat 1 % des inländischen Listenpreises im Zeitpunkt der Erstzulassung zuzüglich der Kosten für Sonderausstattung einschließlich Umsatzsteuer anzusetzen. Unter dem inländischen Listenpreis im Zeitpunkt der Erstzulassung ist die an diesem Stichtag maßgebliche Preisempfehlung des Herstellers zu verstehen, die für den Endverkauf des tatsächlich genutzten Fahrzeugmodells auf dem inländischen Neuwagenmarkt gilt (R 8.1 Abs. 9 Nr.1 Satz 6 LStR 2011). Mit der Anknüpfung an die Preisempfehlung des Automobilherstellers hat der Gesetzgeber eine stark vereinfachende, typisierende und damit für alle gleichen Fahrzeuge einheitliche Grundlage für die Bewertung der Nutzungsvorteile geschaffen (Bundestags-Drucksache 13/1686, S. 8; BFH-Urteil vom 16. Februar 2005 – VI R 37/04, BStBl II 2005, 563; vgl. auch Urban, Finanz-Rundschau – FR – 2004, 1383 f.).

Kann das Kraftfahrzeug auch für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte genutzt werden, erhöht sich der Wert nach § 8 Abs. 2 Satz 3 EStG für jeden Kalendermonat um 0,03 % des Listenpreises im Sinne des § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 EStG für jeden Kilometer der Entfernung zwischen Wohnung und Arbeitsstätte.

Außerdem ist in § 8 Abs. 2 Satz 4 EStG die sog. Escape-Klausel geregelt, wonach bei Führung eines ordnungsgemäßen Fahrtenbuchs nicht die sog. 1 % – Regelung, sondern die aus dem Fahrtenbuch entnommenen Werte maßgeblich sind. Der Arbeitgeber muss bei Führen eines Fahrtenbuches in Abstimmung mit dem Arbeitnehmer die Anwendung eines Verfahrens (1%-Regelung oder Fahrtenbuchmethode) für jedes Kalenderjahr festlegen (Einzelheiten hierzu in R 8.1 Abs. 9 Nr. 3 LStR 2011). Wird kein Fahrtenbuch geführt, ist die Regelung grds. zwingend; eine abweichende Schätzung ist nicht zulässig (vgl. BFH-Beschluss vom 3. Januar 2007 – XI B 128/06, BFH/NV 2007, 706; Schmidt/Kulosa, EStG, 30. Auflage 2011, § 6 Rz. 511).

In den Anwendungsbereich der vorgenannten Vorschriften fallen nach allgemeiner Ansicht nicht nur vom Arbeitgeber angeschaffte, sondern auch – wie im Streitfall – geleaste oder mietete Kfz (vgl. BFH-Urteil vom 29. April 2008 – VIII R 67/06, BFH/NV 2008, 1662; Schmidt/Kulosa, EStG, 30. Auflage 2011, § 6 Rz. 512; Hoffmann in Littmann/Bitz/Putz, Kommentar zum Einkommensteuergesetz, § 6 Rz. 736; Bundesministerium der Finanzen – BMF – vom 18. November 2009, IV C 6-S 2177/07/10004, 2009/0725394, BStBl I 2009, 1326, Tz. 1), selbst wenn das Kfz bei Anschaffung oder – wie im Streitfall – Beginn des Leasingverhältnisses gebraucht (vgl. BFH-Beschluss vom 18. Dezember 2007 – XI B 178/06, BFH/NV 2008, 562; Blümich/Ehmke, Kommentar zum EStG, KStG, GewStG, § 6 EStG Rz. 1013h) oder bei Beginn der Nutzungsüberlassung bereits abgeschrieben ist (vgl. BFH-Beschluss vom 25. Januar 2007 – XI B 149/06, BFH/NV 2007, 892).

bb. Unstreitig hat der Beklagte den geldwerten Vorteil für die Überlassung des Dienstwagens BMW 730i in zutreffender Weise auf Grundlage der vorstehend beschriebenen (zwingenden) gesetzlichen Regelungen berechnet (mit 1% des Bruttoneuwagenlistenpreises von 81.400 €/Monat) und Einkünfte erhöhend bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit (§ 19 EStG) angesetzt. Im vorliegenden Fall greift § 8 Abs. 2 Satz 4 EStG ersichtlich nicht ein, weil der Kläger unstreitig kein Fahrtenbuch geführt hat. Bei Befolgen der gesetzlichen Regelungen verbietet sich ein Abzug üblicher Händlerrabatte von der anzusetzenden Bemessungsgrundlage (=Bruttoneuwagenlistenpreis).

b. Der Senat hat nicht die für eine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) nach Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG erforderliche Überzeugung zu gewinnen vermocht, dass die gesetzliche Bewertungsregel in § 8 Abs. 2 Satz 2 EStG in Verbindung mit § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 EStG verfassungswidrig ist.

aa. Nach der verstetigten Rechtsprechung des BFH und der Finanzgerichte bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die 1%-Regelung unter Ansatz des Bruttoneuwagenlistenpreises als Bemessungsgrundlage.

Die Rechtsprechung hat dabei die Vorschrift des § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 EStG mit der 1%-Regelung für zahlreiche Sachverhaltskonstellationen und unter Berücksichtigung verschiedenster (verfassungs-)rechtlicher Aspekte als verfassungsgemäß erachtet (BFH-Urteil vom 24. Februar 2000 – III R 59/98, BStBl II 2000, 273 betr. pauschaler Wert der Nutzungsentnahme höher als insgesamt tatsächlich entstandene Aufwendungen und Anwendung des Bruttoneuwagenlistenpreises als Bemessungsgrundlage bei Gebrauchtwagen; BFH-Beschluss vom 18. Januar 2001 – III R 14/99, juris, betr. Verstoß gegen Übermaßbesteuerung, Verfassungsbeschwerde wurde nicht angenommen: Beschluss des BVerfG vom 29. Oktober 2002 – 2 BvR 434/01, HFR 2003, 178; BFH-Urteil vom 1. März 2001 – IV R 27/00, BStBl II 2001, 403 betr. pauschale Bewertung der privaten Nutzung bei Gebrauchtwagen; BFH-Beschluss vom 11. März 2002 – XI B 54/01, BFH/NV 2002, 1024; BFH-Urteil vom 13. Februar 2003 – X R 23/01, BStBl II 2003, 472 betr. geleasten und gebrauchte Kfz; BFH-Urteil vom 6. März 2003 – XI R 12/02, BStBl. II 2003, 704 betr. Berechnungsgrundlage für 1%-Regelung; BFH-Beschluss vom 30. Juli 2003 – X R 70/01, BFH/NV 2003, 1580 betr. Ansatz des Listenpreises einschl. Umsatzsteuer, Verfassungsbeschwerde wurde nicht angenommen: Beschluss des BVerfG vom 30. Juni 2004 – 2 BvR 1931/03; BFH-Beschluss vom 25. Mai 2005 – IV B 214/03, BFH/NV 2005, 1788 betr. Ausschluss des Betriebsausgabenabzug bei gebrauchten und abgeschriebenen Kfz trotz Versteuerung eines Veräußerungsgewinns; BFH-Beschluss vom 11. Oktober 2006 – XI B 89/06, BFH/NV 2007, 416 betr. grds. Bewertung von Nutzungsentnahmen mit den anteiligen Kosten; BFH-Beschluss vom 3. Januar 2007 – XI B 128/06, BFH/NV 2007, 706 betr. Anwendung der 1%-Regelung auf abgeschriebenes Kfz; BFH-Urteil vom 19. März 2009 – IV R 59/06, BFH/NV 2009, 1617 betr. Ausschluss des Betriebsausgabenabzugs; FG Hamburg, Urteil vom 18. Oktober 2010 – 2 K 305/09, n.v., rkr, betr. Ansatz des Bruttolistenpreises ohne Berücksichtigung vom Händler gewährter Rabatte; Niedersächsisches FG, Urteil vom 29. März 2011 – 12 K 345/10, n.v., rkr, betr. Ansatz des Bruttolistenpreises ohne Abzug am Markt üblicher Rabatte).

Vorgebrachten bzw. ins Auge stechenden Bedenken im Hinblick auf einen Verstoß gegen das Leistungsfähigkeitsprinzip (objektives Nettoprinzip) bzw. eine Übermaßbesteuerung, die sich insbesondere durch den faktischen Ausschluss des Betriebsausgabenabzugs bei Anwendung der 1%-Regelung auf gebrauchte oder abgeschriebene Kfz geradezu aufdrängen, wurden dabei regelmäßig wegen der Möglichkeit des Führens eines Fahrtenbuches mit belegmäßigem Einzelnachweis (z.B. zuletzt: BFH-Urteil vom 9. März 2010 – VIII R 24/08, BStBl. II 2010, 903 betr. Nutzung mehrerer betrieblicher Kfz) und im Hinblick auf die von der Finanzverwaltung im Billigkeitswege gewährte Deckelungsregelung (vgl. BMF vom 18. November 2009, IV C 6-S 2177/07/10004, 2009/0725394, BStBl I 2009, 1326, Tz. 18 ff.) überwunden.

Die Rechtsprechung weist darauf hin, dass der Gesetzgeber sich bei der Typisierung im Rahmen seines weiten Gestaltungsspielraums gehalten hat, da es sich um eine widerlegbare Typisierung handelt (vgl. hierzu BFH-Urteil vom 24. Februar 2000 – III R 59/98, BStBl. II 2000, 273). Danach braucht der Gesetzgeber bei Typisierungen nicht allen Besonderheiten des Einzelfalles Rechnung zu tragen und immer mehr individualisierende und spezialisierende Regelungen zu treffen. Es entspreche vor diesem Hintergrund den Anforderungen an eine sachgerechte Typisierung, wenn der Gesetzgeber zur Ermittlung des privaten Nutzungsanteils nicht auf die tatsächlichen Anschaffungskosten des Kfz, sondern auf den Listenpreis abstelle. Der Ansatz des Listenpreises statt der Anschaffungskosten entspreche dem Erfordernis, die Entnahme des Steuerpflichtigen für die private Lebensführung nach dem dem Steuerpflichtigen zukommenden Nutzungsvorteil zu bemessen. Hierfür stelle der Listenpreis einen geeigneten Maßstab dar (vgl. BFH-Entscheidungen vom 25. Mai 1992 – VI R 146/88, BStBl II 1992, 700; vom 3. Januar 2007 – XI B 128/06, BFH/NV 2007, 708; FG Hamburg, Urteil vom 18. Oktober 2010 – 2 K 305/09, n.v.).

Der Gesetzgeber verlange mit dem Nachweis durch ein ordnungsgemäß geführtes Fahrtenbuch auch nichts Unmögliches oder Unzumutbares vom Steuerpflichtigen. Die 1%-Regelung komme daher auch nicht der Sache nach einer unwiderlegbaren Typisierung gleich, für die strengere verfassungsrechtliche Maßstäbe anzulegen seien (so ausdrücklich FG Hamburg, Urteil vom 18. Oktober 2010 – 2 K 305/09, n.v.).

bb. Die Verfassungsmäßigkeit der gesetzlichen Regelung des § 8 Abs. 2 Satz 2 EStG i.V.m. § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 EStG wird in der steuerrechtlichen Literatur dagegen unterschiedlich beurteilt.

(1) Teilweise wird die Regelung – der höchstrichterlichen Rechtsprechung folgend – in vollem Umfange für verfassungsgemäß erachtet. Zur Begründung wird angeführt, dass Einzelermittlungen im Grenzbereich zwischen betrieblicher und privater Sphäre kaum möglich seien. Außerdem stehe dem Steuerpflichten jederzeit die Wahl der Fahrtenbuchmethode frei. Umgekehrt entfalte die Regelung bei hohem privatem Nutzungsanteil verfassungs-rechtlich problematische Subventionswirkungen, die aber seit dem VZ 2006 durch das Erfordernis einer betrieblichen Nutzung von mehr als 50 % abgemildert seien. Verfassungsrechtlich sei auch der Umstand, dass der Listenpreis in der Regel höher sei als die tatsächlichen Anschaffungskosten unbedenklich. Dies betreffe alle Kfz gleichermaßen und sei daher nur eine Frage der Bemessung des pauschalen Prozentsatzes. Im internationalen Vergleich sei die Pauschalierung ohnehin eher großzügig; im Ausland werde vor allem bei Pkw mit hohem Schadstoffausstoß der Betriebsausgabenabzug stärker eingeschränkt als in Deutschland (vgl. hierzu Schmidt/Kulosa, Kommentar zum Einkommensteuergesetz, 30. Auflage 2011 § 6 Rz. 527).

Auch Pust (in Littmann/Bitz/Pust (Kommentar zum Einkommensteuergesetz, § 8 Rz. 367 ff.) hält die gegen die 1 %-Regelung erhobenen verfassungsrechtlichen Einwendungen für nicht durchgreifend. Die Grenzen der zulässigen Typisierung erweiterten sich für den Gesetzgeber dadurch, dass der Steuerpflichtige die Anwendung der Regelung vermeiden könne, in dem er ein Fahrtenbuch führe und die Gesamtkosten des Kfz nachweise. Der Höhe nach sei die an den Listenneukaufpreis zzgl. Umsatzsteuer und Sonderausstattung anknüpfende Typisierung auch bei der Benutzung eines Altwagens ebenfalls nicht zu beanstanden, da sie über den gesamten Zeitraum der Nutzung des Kfz gesehen – jedenfalls im Zusammenhang mit der Deckelungsregelung der Finanzverwaltung – zu sachgerechten Ergebnissen führe. Durch die Deckelungsregelung sei eine Übermaßbesteuerung auch bei Arbeitnehmern verhindert worden. Die 1 %-Regelung erscheine auch nicht deshalb als verfassungsrechtlich bedenklich, weil der Steuerpflichtige die Führung eines Fahrtenbuches zur Ermittlung der auf die private Nutzung entfallenden anteiligen tatsächlichen Kosten zugemutet werde. Werde ein Gegenstand sowohl privat wie auch beruflich genutzt, treffen den Steuerpflichtigen eine erhöhte Mitwirkungspflicht bei der Ermittlung des betrieblichen Aufwandanteils.

Auch Fischer (in Kirchhof, Kommentar zum EStG, 10. Auflage 2011, § 6 Rn. 168) erachtet die auf den inländischen Listenpreis (nicht einen tatsächlichen niedrigeren Kaufpreis, auch bei Reimporten) abhebende, Neu- wie Gebrauchtwagen umfassende, auch bei Vorhandensein eines auch betrieblichen Zweitwagens anwendbare, grob typisierende Regelung für verfassungsgemäß. Zur Begründung wird ebenfalls auf die Möglichkeit des Nachweises des konkreten privaten Nutzungsanteils und einen Billigkeitsanspruch auf Deckelung hingewiesen.

Birk/Kister (in Herrmann/Heuer/Raupach, a.a.O., § 8 Anm. 76 ff.) weisen zwar darauf hin, dass sich die Verfassungswidrigkeit der 1-%-Regelung aus dem Gesichtspunkt ergeben könne, dass die Führung eines Fahrtenbuches unzumutbar sei. Dem Bürger könne jedoch von Verfassungs wegen kein Recht auf die für ihn günstigste Lösung zukommen, ohne dass er daran selbst mitwirken müsse. Außerdem werde man gegen erhöhte Nachweisanforderungen nichts einwenden können, wenn es sich um die Nutzung eines einheitlichen Gegenstands sowohl für berufliche als auch für private Zwecke handele und damit eine Vermischung von Aufwendungen der Lebensführung vorliege. Soweit die Anforderungen der Finanzverwaltung an die Ordnungsmäßigkeit eines Fahrtenbuches für unzumutbar gehalten werden, könne dies nicht die Verfassungswidrigkeit begründen, da dieser lediglich den unbestimmten Rechtsbegriff „ordnungsgemäß“ enthalte, der im Einzelfall auszulegen sein werde. Zudem erleichtere auch die von der Finanzverwaltung zugelassene Benutzung elektronischer Fahrtenbücher den Nachweis erheblich.

(2) Teilweise wird die 1 %-Regelung in der steuerrechtlichen Literatur aber auch kritisiert. Ehmcke (in Blümich, a.a.O., § 6 Rz. 1013i) hält die Begründungen der Rechtsprechung für die Verfassungsmäßigkeit, insbesondere die Kostendeckelung für zweifelhaft. Die Kostendeckelung sei eine reine Billigkeitsregelung. Sie verstoße zudem gegen die Kompetenzverteilung zwischen Gesetzgebung und Verwaltung.

Auch Kanzler (FR 2000, 618) hält die 1 %-Regelung für einen groben Klotz. In vielen Fällen komme ein Abzug der Aufwendungen nur bei Führen eines Fahrtenbuches in Betracht. Faktisch wirke die Regelung als Abzugsverbot. Die verwaltungseigene „Deckelungsregelung“, die eine über das Abzugsverbot hinausgehende Nutzungswertbesteuerung verhindere, sei eigentlich schon Beleg für die Verfassungswidrigkeit der Vorschrift; der Verstoß gegen das objektive Nettoprinzip wäre evident, gäbe es nicht den Ausweg der Fahrtenbuchführung.

Dürr (in Frotscher, Kommentar zum EStG, § 8 Rz. 157 ff.) hält die 1 %-Regelung insgesamt für unausgewogen. Sie führe bei unter dem Listenpreis für Neufahrzeuge liegenden Anschaffungskosten (z.B. Gebrauchtwagen) und bei nur geringem Umfang der privaten Nutzung zu unrealistischen Privatnutzungswerten. Dem Arbeitnehmer stehe die Einzelnachweismethode als Ausweg (Escape-Klausel) nur dann offen, wenn der Arbeitgeber – worauf der Arbeitgeber häufig keinen Einfluss hat – sich zum belegmäßigen Nachweis bereit finde. Die Führung eines Fahrtenbuchs erscheine nicht unzumutbar – jedoch dürften dabei die Anforderungen an die Fahrtenbuchführung nicht überspannt werden. Dürr plädiert dafür, krasse Härten im Billigkeitswege zu beseitigen. Die 1%-Regelung dürfe nicht dazu führen, dass für ein nachweislich betrieblich genutztes Kfz, also eindeutig betrieblich veranlasstem Aufwand, kein Betriebsausgabenabzug verbleibe. Derartige Ergebnisse seien im Billigkeitsweg schätzungsweise zu korrigieren. Billigkeitsmaßnahmen seien jedenfalls auch dann angebracht, wenn die Fahrtenbuchaufzeichnungen des Steuerpflichtigen aus nicht von ihm zu vertretenden Gründen nicht anerkannt werden könnten.

Gröpl (in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, Kommentar zum Einkommensteuergesetz § 8 Rn. C 28 f.) erachtet die pauschalierte Kraftfahrzeug-Nutzungswertbesteuerung für verfas-sungsrechtlich bedenklich. Sie könne zu spürbaren Verzerrungen der tatsächlichen Ver-hältnisse führen, insbesondere dann, wenn das betriebliche Kfz einen hohen Listenpreis besitze, sein tatsächlicher Wert deutlich darunter bleibe (etwa bei Gebrauchtwagen) oder wenn das Kfz sehr selten für private Zwecke eingesetzt werde. Unter diesen Umständen bestehe für die Typisierungen die Gefahr, wegen eines übergroßen Nivellierungseffektes an ihre verfassungsrechtlichen Grenzen zu stoßen. In bestimmten Konstellationen sei zu vermuten, dass ein Teil der Steuerpflichtigen geringere Vorteile aus der Nutzung eines betrieblichen Kfz ziehe, als es die Pauschalierungen in § 8 Abs. 2 Satz 2, 3 und 5 EStG  unterstellten. Rechtsfolge sei die Versteuerung von Nutzungsvorteilen, die tatsächlich nicht zuflössen – eine für den betreffenden Steuerpflichtigen unter Umständen sehr belastende Fiktion, die durchaus in einem Missverhältnis zu den mit der Typisierung verbundenen Vorteilen stehen könne. Für solche Fälle habe der Gesetzgeber zwar eine Härtefallregelung vorgesehen. Das Sammeln von Belegen und der Nachweis der tatsächlichen Nutzungsvorteile könnten für den Steuerpflichtigen aber einen sehr hohen Arbeitsaufwand erfordern, der in der Praxis selten zum Erfolg führe. Die Lohnsteueraußenprüfer der Finanzverwaltung forderten für die Ordnungsmäßigkeit des Fahrtenbuches eine akribisch kontrollierte Lückenlosigkeit, die kaum zu erreichen sei. Insofern scheine die Verfassungs-mäßigkeit der Pauschalierungsregelungen durch die Escape-Klausel in der Theorie zwar gewährleistet zu sein. Bei überaus regidem Vollzug könne insoweit die Verfassungswid-rigkeit des gesamten Regelungskomplexes herauf beschworen werden.

Bedenken gegen die materielle Verfassungsmäßigkeit werden auch von Nolte (in Herr-mann/Heuer/Raupach, Kommentar zum Einkommensteuer/Körperschaftsteuergesetz, § 6 Anm. 1202 d) vorgebracht. Gerügt wird die Verletzung des Gleichheitssatzes des Art. 3 Abs. 1 GG. Der Gesetzgeber habe nicht bedacht, dass die Bewertung der Nutzungsentnahme in vielen Fällen ein faktisches Abzugsverbot für betrieblich veranlasste Kfz-Kosten bedeute. Damit sei der Steuerpflichtige gezwungen, die Escape-Klausel, also die Fahrten-buchmethode mit belegmäßigem Nachweis der tatsächlichen Aufwendungen, in Anspruch zu nehmen. Ferner sei das Gebot der Gesetzesbestimmtheit (Art. 20 Abs. 3 GG) durch § 6 Abs. 1 Nr. 4 Sätze 2 und 3 EStG verletzt. Das Gesetz enthalte die Begriffe „inländischer Listenpreis“ und „Sonderausstattungen“. Das Gesetz lasse dabei völlig offen, von welcher inländischen Liste der Preis zu entnehmen sei und was zu den Sonderausgestaltungen gehöre. § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 3 EStG enthalte die Begriffe „Belege“ und „Fahrtenbuch“. Was unter einem Beleg sowie unter einem Fahrtenbuch zu verstehen sei, besage die Vorschrift selbst nicht.

(3) Urban (in „Die Besteuerung von Firmen- und Dienstwagen“, Köln, 2009) hat keine verfassungsrechtlichen Bedenken, soweit die Nutzungswertbesteuerung bis VZ 2005 betroffen ist (vgl. hierzu 10. Kapitel, A., S. 248 – 259).

Anders beurteilt er jedoch die Verfassungsmäßigkeit unter Berücksichtigung der ab dem VZ 2006 geltenden 50%-Regelung in § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 EStG. Ausgehend von der herrschenden Meinung, nach der der modifiziert individuelle Nutzungswert nicht bei Überschusseinkünften anwendbar ist, seien Gewinn- und Überschusseinkünfte bei einem Nutzungsanteil zu Privatfahrten von mindestens 50% unterschiedlich zu behandeln. Wegen der in der Mehrzahl der Fälle begünstigenden Wirkung der Pauschalierung in diesen Fällen werde die Kfz-Nutzungsüberlassung bei Überschusseinkünften damit besser gestellt als die Eigennutzung bei Gewinneinkünften. In den Fällen, in denen trotz Privatnutzung von nicht unter 50% der Ansatz der tatsächlichen Kosten niedriger ist als derjenige des pauschalen Nutzungswerts, seien Überschusseinkünfte schlechter gestellt als Gewinneinkünfte. Eine verfassungsrechtliche Rechtfertigung für diese Ungleichbehandlung sei nicht gegeben. Eine Verfassungswidrigkeit des § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 EStG sei nur zu vermeiden, wenn man im Wege der verfassungskonformen Auslegung dazu komme, dass die 50%-Regelung auch bei den Überschusseinkünften anwendbar ist (vgl. Urban, a.a.O., B. I.3., S. 264 ff.; anders aber die Begründung des Gesetzesentwurfs, siehe BT.-Drucks. 16/634 S. 11).

cc. Der Senat ist davon überzeugt, dass das Regelungskonstrukt zur Bewertung des geldwerten Vorteils für die private Nutzung eines vom Arbeitgeber zur Verfügung gestellten Kfz insgesamt verfassungsgemäß ist. Der Senat teilt die gegen die Verfassungsmäßigkeit in der steuerrechtlichen Literatur vorgebrachten Bedenken nicht. Entgegen der Auffassung der Kläger war der Gesetzgeber auch nicht gezwungen, die typisierende 1%-Regelung nach Abschaffung des Rabattgesetzes und der Zugabeverordnung sowie unter Berücksichtigung der allgemeinen Marktentwicklungen im Kraftfahrzeughandel zu überprüfen und an die veränderten Marktverhältnisse anzupassen.

Den Klägern ist zwar zuzugeben, dass die in § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 EStG erfolgte Typisierung, die auf den inländischen Listenpreis und nicht auf einen tatsächlich niedrigeren Kaufpreis oder – bei Leasingverträgen einem der Finanzierung zugrunde gelegten Wert -abhebt – und Neu- und Gebrauchtwagen gleichermaßen betrifft, eine recht grobe Typisierung darstellt. Gleichwohl begegnet sie nach Überzeugung des Senats keinen durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken.

(1) Die vorgebrachte verfassungsrechtliche Kritik im Hinblick auf einen Verstoß gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG teilt der Senat nicht. Der Senat ist der Überzeugung, dass die 1%-Regelung insbesondere mit den Grundsätzen der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit im Einklang steht.

Aus dem Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG wird der Grundsatz der gleichen Zuteilung steuerlichen Lasten hergeleitet, der das Gebot der Besteuerungsgleichheit und der Belastungsgleichheit umfasst. Dabei wird die Besteuerungsgleichheit grundsätzlich dadurch herbeigeführt, dass für alle vergleichbaren Besteuerungssubjekte gleiche Regelungen geschaffen, insbesondere für vergleichbare Sachverhalte gleiche steuerliche Forderungen herbeigeführt werden. Für das Einkommensteuerrecht wird dies insbesondere durch den Leistungsfähigkeitsgrundsatz konkretisiert (st. Rspr. des BVerfG, z.B. Beschluss v. 21. Juni 2006 – 2 BvL 2/99, BVerfGE 116, 164). Das hieraus abgeleitete objektive Nettoprinzip beinhaltet, dass nur die reinen Einkünfte einkommensteuerlich erfasst werden dürfen, also im Rahmen der Einkunftsermittlung die Erwerbsaufwendungen steuermindernd berücksichtigt werden müssen. Allerdings darf der Gesetzgeber das objektive Nettoprinzip durchbrechen. So ist er nicht verpflichtet, gewillkürte Aufwendungen zwingend in ihrer tatsächlichen Höhe zu berücksichtigen. Er darf insbesondere bei der Abgrenzung der Erwerbs- von der Privatsphäre die Abzugsfähigkeit auf notwendige Aufwendungen beschränken (vgl. BVerfG, Urteil vom 7. Dezember 1999 – 2 BvR 301/98, BStBl. II 2000, 162). Gerade im Bereich dieser Abgrenzung darf der Gesetzgeber sich auch typisierender, pauschalierender und generalisierender Regelungen bedienen. Er kann insbesondere im Bereich von Massenerscheinungen einen typischen Lebenssachverhalt zugrunde legen und individuelle Besonderheiten unberücksichtigt lassen. Dabei müssen solche Regelungen im Hinblick auf Art. 3 Abs. 1 GG bestimmte Anforderungen erfüllen: Sie müssen grundsätzlich erforderlich, geeignet und angemessen sein, um den Zweck der Vereinfachung zu erfüllen, und sie müssen realitätsgerecht sein, was die Zugrundelegung eines atypischen Falles ausschließt (vgl. BVerfG, Beschluss v. 21. Juni 2006 – 2 BvL 2/99, BVerfGE 116, 164). Härten und Ungerechtigkeiten dürfen nur eine relativ kleine Zahl von Personen treffen und nicht sehr intensiv und nur unter Schwierigkeiten vermeidbar sein. Diese Einschränkungen beziehen sich aber nur auf zwingende bzw. unwiderlegbare Typisierungen, Pauschalierungen und Generalisierungen. Sind sie widerlegbar, steht dem Gesetzgeber in begünstigenden Regelungen ein weiter Ermessensspielraum zu (BFH-Urteil vom 24. Februar 2000 – III R 59/98, BStBl. II 2000, 273). Ausgeschlossen sind hier nur willkürliche oder unangemessene Differenzierungen, also gezielte Gruppenbenachteiligungen und umgekehrt die willkürliche oder unangemessene Gleichbehandlung zwingend zu differenzierender Gruppen, die nicht durch sachliche Gründe gerechtfertigt sind.

Auf den Streitfall übertragen bedeutet dies Folgendes: Bei der Regelung des § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 EStG handelt es sich um eine sog. widerlegbare Typisierung. Dem Gesetzgeber steht hier also ein weiter Ermessensspielraum zu. Eine willkürliche oder unangemessene Differenzierung vermag der Senat nicht zu erkennen. Entgegen der Auffassung der Kläger ist eine gesetzliche Verweisung auf die Fahrtenbuchmethode zulässig und geboten. Steuerpflichtige haben keinen Anspruch auf die Berücksichtigung eines günstigeren Ansatzes, als er sich nach der Fahrtenbuchmethode ergibt. Diese Methode genügt, obgleich sie keinen völlig abstrakten Maßstab, sondern den aus den Gesamtkosten abgeleiteten Durchschnittswert zugrunde legt, den Anforderungen des objektiven Nettoprinzips an die Ermittlung der berücksichtigungsfähigen Erwerbskosten. Die weitergehende Berücksichtigung bedeutet eine Subventionierung der privaten Kfz-Nutzung, zu der es keine verfassungsrechtliche Verpflichtung gibt.

Gegen die Fahrtenbuchmethode kann auch nicht eingewandt werden, sie sei zu kompliziert und deshalb unverhältnismäßig. Soweit das BFH-Urteil vom 4. April 2008 (VI R 68/05, BFH/NV 2008, 1240) unter II, 2.e die Verweisung auf die Fahrtenbuchmethode allein für den Nachweis der Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte als unverhältnismäßig ansieht, berührt dies nicht die Verhältnismäßigkeit der Methode bei Anwendung auch für Privatfahrten. Die Methode geht nicht über die nach allgemeinen Buchführungsgrundsätzen gebotenen Anforderungen an die Form und den Inhalt der Aufzeichnungen und Belegnachweise hinaus (vgl. Urban, a.a.O., 254 f.). Da die Überprüfung der tatsächlichen Verhältnisse gerade bei der Kfz-Nutzung sehr schwierig ist und auch deshalb eine erhebliche Missbrauchsneigung besteht, ist der Gesetzgeber auch außerhalb des Bereiches der buchführungpflichtigen Steuerpflichtigen nicht aus Gründen der Verhältnismäßigkeit gehindert, den Nachweis an strenge Anforderungen zu knüpfen (vgl. Birk/Kister in Herrmann/Heuer/Raupach, § 8 Anm. 76 am Ende). Dies gilt auch vor dem Hintergrund des ohnehin relativ geringen Beweiswertes von Eigenaufzeichnungen wie einem Fahrtenbuch (vgl. FG München, Urteile vom 5. Oktober 1988 – I R 55/82 E, EFG 1989, 165, rechtskräftig; und vom 8. April 2002 – 6 K 2850/99, n.v.). Schließlich muss auch berücksichtigt werden, dass durch die Möglichkeit, ein elektronisches Fahrtenbuch zu führen, der Aufzeichnungsaufwand erheblich reduziert werden kann (vgl. Birk/Kister in Herrmann/Heuer/Raupach, § 8 Anm. 76). Verfassungsrechtlich dürfte es überhaupt nicht geboten sein, ohne exakten Nachweis bei gemischt genutzten Wirtschaftsgütern betrieblich oder beruflich veranlasste Aufwendungen steuermindernd zu berücksichtigen. Von der Finanzverwaltung praktizierte Erschwernisse der Fahrtenbuchregelung begründen nicht die Verfassungswidrigkeit der pauschalen Nutzungswertbesteuerung. Diesen kann durch – ggf. im Klageverfahren herbeizuführende – zutreffende Rechtsanwendung begegnet werden (so auch Urban, a.a.O., S. 254 ff.). Dabei sollte nicht unberücksichtigt bleiben, dass nach der aktuellen Rechtsprechung des BFH kleinere Mängel nicht gleich zur Verwerfung des Fahrtenbuchs und Anwendung der 1%-Regelung führen, wenn die Angaben insgesamt plausibel sind und die Aufzeichnungen eine hinreichende Gewähr für ihre Vollständigkeit und Richtigkeit bieten (vgl. BFH-Urteil vom 10. April 2008 – VI R 38/06, BStBl. II 2008, 768).

Davon abgesehen ist es im vorliegenden Streitfall nicht geboten, die Frage der Zumutbarkeit des Führens eines Fahrtenbuches zu überprüfen, da der Kläger unstreitig kein Fahrtenbuch geführt hat (vgl. BFH-Beschluss vom 25. Januar 2007 – XI B 149/06, BFH/NV 2007, 892).

Entgegen der Auffassung der Kläger ist es verfassungsrechtlich auch nicht geboten, für ältere oder gebraucht erworbene Kfz niedrigere Werte anzusetzen. Denn für die Gleichbehandlung von Neufahrzeugen gibt es verschiedene sachliche Rechtfertigungsgründe, die dem Gesetzgeber im Rahmen seiner Gestaltungsfreiheit berechtigen, diese Gruppen gleich zu behandeln. Erfahrungsgemäß sind die laufenden Verbrauchs- und Reparaturkosten bei älteren Kfz höher als bei Neuwagen. Soweit die AfA bereits abgelaufen ist, wird mit dem beibehaltenen Kfz-Nutzungswert lediglich eine verfassungsrechtlich nicht gebotene Vergünstigung kompensiert, die darin liegt, dass die AfA-Laufzeit von sechs bzw. acht Jahren die tatsächlichen Laufzeiten erheblich unterschreitet. Im Übrigen wird das Fahrzeugalter zumindest teilweise dadurch berücksichtigt, dass der historische Listenpreis und nicht der aktuelle, in der Regel höhere Preis des Nutzungszeitraums zugrunde gelegt wird. Schließlich ist die Beibehaltung des Listenpreises aus Gründen der Vereinfachung gerechtfertigt; die Berücksichtigung individueller wertmindernder Faktoren würde die Anforderungen an das Massenverfahren überspannen. Eine Benachteiligung von Arbeitnehmern durch schuldhaftes Verhalten des Arbeitgebers ist schließlich hinreichend durch aus dem arbeitsrechtlichen Treueverhältnis erwachsene Schadensersatzansprüche Rechnung getragen, so dass es hier zu keiner gesonderten steuerrechtlichen Regelungen bedarf (vgl. hierzu Urban, a.a.O., S. 256).

Der Senat vermag auch nicht einen Verstoß gegen das Gebot der Normenklarheit festzustellen. Das Gebot der Normenklarheit als Aspekt der aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3, Art. 19 Abs. 4 GG) abgeleiteten Gebote der Bestimmtheit und Justiziabilität von Rechtsnormen erfordert so klare, bestimmte, in sich schlüssige (widerspruchsfrei), verständliche, einsichtige, exakt formulierte, in ihren Folgen möglichst voraussehbare, praktikable und justiziable Normen, wie dies nach der Eigenart der zu ordnenden Lebenssachverhalte und Normenzwecke möglich ist (vgl. z.B. BVerfG, Beschluss vom 12. April 2005 – 2 BvR 1027/02, BFH/NV – Beilage 2005, 340). Bloße Auslegungsschwierigkeiten begründen die Verfassungswidrigkeit nicht (Mellinghoff, DStJG 27 (2004), 25, 36).

Aus Sicht des Senates kann dahinstehen, ob die Regelungen über dem Kfz-Nutzungswert dem Idealbild der Normenklarheit entsprechen. So kann der Senat offen lassen, ob die Regelungen – wie teilweise in der Literatur kritisiert – Systembrüche, rechtstechnische und sprachliche Mängel, uneinheitliche Begriffsbildungen, unklare Verweisungstechniken und unklare Regelungen der Rechtsfolgen enthalten. Nach Überzeugung des Senates überschreiten diese Mängel aber nicht die Grenzen des Gebots der Normenklarheit. Der Grundregelungsgehalt der Bestimmungen ist jedenfalls unter Berücksichtigung der anerkannten Auslegungsregeln hinlänglich verständlich. Dies gilt insbesondere für die typischen Anwendungsfälle des pauschalen Nutzungswerts. Aber auch die Probleme der Sonderfälle lassen sich durch Auslegung – wenn auch unter einigen Schwierigkeiten – hinreichend klären (so auch Urban, a.a.O., S. 256 ff.).

(2) Für den Streitfall kann auch dahinstehen, ob die gesetzliche Ungleichbehandlung von Steuerpflichtigen mit Gewinneinkünften und solchen mit Überschusseinkunftsarten im Hinblick auf die Möglichkeit des Ansatzes eines modifizierten individuellen Nutzungswertes bei Unterschreiten der 50%-Grenze zur Verfassungswidrigkeit führen kann (so Urban, a.a.O., S. 209 ff. und 264 ff.). Im Streitfall ist weder vorgetragen worden noch aus den Akten zu ersehen, dass der Kläger das überlassene Kfz zu weniger als 50% für seine berufliche Tätigkeit nutzt. Nur insoweit wäre eine den Kläger belastende Ungleichbehandlung denkbar. Im Übrigen fehlen auch die für die Feststellung des Nutzungsumfangs erforderlichen (formlosen) Aufzeichnungen über einen repräsentativen zusammenhängenden Zeitraum von 3 Monaten (vgl. BMF-Schreiben vom 18. November 2009, IV C 6-S 2177/07/10004, 2009/0725394, BStBl I 2009, 1326, Tz. 4 ff.).

(3) Entgegen der Auffassung der Kläger hat der Gesetzgeber auch nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstoßen, in dem er unverändert seit 1996 an dem Bruttoneuwagenlistenpreis als Bemessungsgrundlage festgehalten hat. Ein Gleichheitsverstoß wegen Verletzung der Anpassungsverpflichtung liegt nach Überzeugung des Senats nicht vor.

Zu Recht weisen die Kläger darauf hin, dass das Recht zur gesetzlichen Typisierung unter dem Vorbehalt der realitätsgerechten Erfassung der Wirklichkeit steht. Verändern sich die tatsächlichen Umstände wesentlich, so ist die gesetzliche Typisierung an die tatsächliche Entwicklung anzupassen. Dem Gesetzgeber ist daher grundsätzlich vor allem verwehrt, einen atypischen Fall zum Leitbild der Typisierung zu machen oder an einem früher vielleicht typischen Leitbild festzuhalten, das mittlerweile zu einem atypischen Fall geworden ist. Der Gesetzgeber steht insoweit unter einem ständigen Anpassungszwang (vgl. hierzu insbesondere BVerfG, Urteil vom 8. Juni 1993 – 1 BvL 20/85, BStBl II 1994, 59 und vom 6. März 2002 – 2 BvL 17/99, BStBl II 2002, 618 m.w.N.; Tipke/Kruse, Kommentar zur AO/FGO, § 3 AO Tz. 51; Seer, StuW 1996, 323, 329; Druen, StuW 1997, 261, 270).

Hinsichtlich des Zeitpunktes, zu dem der Gesetzgeber zur Überprüfung einer Typisierung gezwungen ist, gibt es – soweit ersichtlich – keine starre Grenzen. Vielmehr müssen die Umstände des jeweiligen Einzelfalls daraufhin überprüft werden, ob sich die Lebenswirklichkeit so weit von dem gesetzgeberischen Leitbild entfernt hat, das ein Festhalten daran zu einem gleichheitswidrigen Verstoß gegen die Anpassungsverpflichtung führt.

So hat das BVerfG (Urteil vom 8. Juni 1993 – 1 BvL 20/85, BStBl II 1994, 59)  z.B. die Verfassungswidrigkeit des § 3b Abs. 2 Nr. 4 EStG (alte Fassung) festgestellt, weil der Gesetzgeber die ursprünglich verfassungsgemäße Regelung nicht an die Veränderung der tatsächlichen Verhältnisse angepasst hat. Die Begrenzung der Höchstbeträge für Nachtarbeitszuschläge auf 15% des Grundlohns war nach Auswertung der Vereinbarungen von rund 470 Lohn- und Gehaltstarifbereichen eingeführt worden, weil sie einem guten Durchschnitt der damals tarifvertraglich vereinbarten Zuschläge entsprochen haben. In den Jahren 1975 bis 1977 hatten die erfassten Arbeitnehmer des tarifvertraglichen Bereichs im Durchschnitt 25% des Grundlohns als Zuschläge für regelmäßige Nachtarbeit erhalten. Damit lag der durchschnittliche Zuschlag um 66,66% über dem gesetzlichen Höchstbetrag. 1975 und 1977 hatten 72% und 1976 71% der im tarifvertraglichen Bereich erfassten Arbeitnehmer einen höheren Zuschlag als 15% erhalten.

Vergleichbare gravierende Abweichungen von der Lebenswirklichkeit sind im Streitfall nicht festzustellen. Selbst wenn den Klägern konstatiert werden kann, dass nach Abschaffung des Rabattgesetzes und der Zugabeverordnung der Bruttoneuwagenlistenpreis für ein Neufahrzeug nicht dem Wert entspricht, der am Markt für das Kfz tatsächlich bezahlt wird (so auch BFH-Urteil vom 17. Juni 2009 – VI R 18/07, BStBl. II 2010, 67) und Rabatte – abhängig vom Hersteller, Modell und Sonderfaktoren wie Verkäuflichkeit und Auslauf- oder Sondermodell – zwischen 10% und teilweise über 30% üblich sind, führt dies nach Auffassung des Senats noch nicht zu einer Anpassungsverpflichtung für den Gesetzgeber. Abgesehen davon, dass die Abweichungen vom Bruttolistenpreis durch übliche Rabatte die Größenordnung der oben genannten Entscheidung des BVerfG (Abweichung 66%) bei weitem nicht erreichen, ist zu berücksichtigen, dass sich die Höhe der Rabatte auch – bei entsprechend veränderten Marktverhältnissen und großer Nachfrage – wieder zurückentwickeln kann und die Rabatte für größere und teure Fahrzeuge inländischer Hersteller häufig die Grenze von 15% nicht überschreiten. Diese Größenordnung üblicher Rabatte für größere Fahrzeuge macht zudem deutlich, dass der von den Klägern begehrte generelle Abschlag von 20% vom Bruttolistenpreis nicht gerechtfertigt ist. Der Gesetzgeber ist vielmehr nicht verpflichtet, jeder Veränderung der Marktpreise Rechnung zu tragen. Dabei spiegeln sich grundsätzlich steigende Preise auch in entsprechend angepassten Bruttolistenpreisen wieder, sodass insoweit eine regelmäßige Anpassung an die tatsächlichen Verhältnisse – Preissteigerungen – erfolgt.

Alles andere ließe sich im Übrigen auch nicht mit dem von der gesetzlichen Regelung verfolgten Vereinfachungszweck und den Anforderungen an das Massenverfahren vereinbaren.

Im Ergebnis hält sich der Gesetzgeber daher auch im Streitjahr 2009 durch ein Festhalten am Bruttoneuwagenlistenpreis noch im Rahmen seines gesetzgeberischen Gestaltungsspielraums.

Nach alledem konnte die Klage keinen Erfolg haben.

2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1  Finanzgerichtsordnung.

3. Die Revision war zuzulassen, da die Sache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 EStG). Soweit ersichtlich liegt noch keine Entscheidung des BFH zu der Frage des Anpassungszwangs des Gesetzgebers im Rahmen der 1%-Regelung vor. Der BFH könnte im Rahmen eines Revisionsverfahrens klarstellen, inwieweit seine Entscheidung zur Bewertung eines durch die günstige Überlassung eines Neuwagens an einen Arbeitnehmer gewährten Vorteils (Urteil vom 17. Juni 2009 – VI R 18/07, BStBl. II 2010, 67) Auswirkungen auf die Verpflichtung zur Anpassung der Bemessungsgrundlage „Bruttolistenpreis“ hat.

Verfassungswidrige Ungleichbehandlung eines eingetragenen Lebenspartners bei der Grunderwerbsteuer

Niedersächsisches Finanzgericht ruft das Bundesverfassungsgericht wegen Verfassungswidrige Ungleichbehandlung eines eingetragenen Lebenspartners bei der Grunderwerbsteuer an

HANNOVER Der 7. Senat des Niedersächsischen Finanzgerichts (NFG) holt eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) darüber ein, ob § 3 Nr. 4 des Grunderwerbsteuergesetzes in der bis zum Inkrafttreten des Jahressteuergesetzes 2010 vom 8.12.2010 (Bundesgesetzblatt Teil I S. 1768) geltenden Fassung insoweit mit Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) unvereinbar ist, als zwar der Grundstückserwerb durch den Ehegatten, nicht aber durch den eingetragenen Lebenspartner des Veräußerers von der Grunderwerbsteuer befreit ist (Aktenzeichen: 7 K 65/10). Das vorlegende Gericht sieht in der Besteuerung einer Grundstücksübertragung unter eingetragenen Lebenspartnern aus dem November 2009 einen Gleichheitsverstoß gegenüber der Steuerbefreiung unter Ehegatten.

Hintergrund:
Der Gesetzgeber hat im Jahressteuergesetz 2010 zwar eine grunderwerbsteuerliche Gleichstellung von eingetragenen Lebenspartnern und Ehegatten geregelt. Die Neufassung des Grunderwerbsteuergesetzes gilt jedoch – anders als eine vergleichbare Regelung im Erbschaft- und Schenkungsteuerrecht – nicht rückwirkend für alle noch nicht bestandskräftigen Fälle ab Inkrafttreten des Lebenspartnerschaftsgesetzes (1.8.2001), sondern erst ab Inkrafttreten des Jahressteuergesetzes 2010 am 14.12.2010. In der Sache folgt das NFG den neueren Entscheidungen des 1. Senats des BVerfG zur Gleichbehandlung von eingetragenen Lebenspartnern und Ehegatten bei der betrieblichen Hinterbliebenenversorgung (Beschluss vom 7.7.2009 1 BvR 1164/07, BVerfGE 124, S. 199) und bei der Erbschaft- und Schenkungsteuer (Beschluss vom 21.7.2010 1 BvR 611/07, 1 BvR 2464/07, BVerfGE 126, S. 400) und überträgt die dortigen rechtlichen Wertungen auf das gesamte Steuerrecht, damit auch auf die Grunderwerbsteuer.

Zur Begründung hatte das BVerfG in den genannten Entscheidungen darauf verwiesen, dass für die Schlechterstellung der eingetragenen Lebenspartner gegenüber Ehegatten keine Unterschiede von solchem Gewicht bestehen, die eine unterschiedliche betriebliche Hinterbliebenversorgung sowie erbschaft- und schenkungsteuerliche Behandlung rechtfertigen könnten. Nach Auffassung des NFG ist diese Begründung des BVerfG auf die gesamte Rechtsordnung zu übertragen.

Die Ungleichbehandlung sei im Übrigen auch nicht dadurch legitimiert, dass nur aus einer Ehe gemeinsame Kinder hervorgehen könnten, denn das geltende Recht mache die Privilegierung von Ehegatten gerade nicht vom Vorhandensein gemeinsamer Kinder abhängig. Das Gericht hatte dem Kläger bereits mit Beschluss vom 6.1.2011 vorläufigen Rechtsschutz gewährt. (Beschluss v. 6.1.2011 – 7 V 66/10, EFG 2011, 827).

Die Vorlage an das BVerfG ist durch den konsentierten Einzelrichter ergangen. Ein Aktenzeichen des BVerfG liegt noch nicht vor.

 

Niedersächsisches Finanzgericht

BeschluSs

vom

26.8.2011

Az.: 7 K 65/10

Orientierungssätze: Verfassungswidrige Diskriminierung eines eingetragenen Lebenspartners bei der GrunderwerbsteuerDas Niedersächsische Finanzgericht holt die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts darüber ein, ob § 3 Nr. 4 des Grunderwerbsteuergesetzes in der bis zum Inkrafttreten des Jahressteuergesetzes 2010 vom 8.12.2010 (Bundesgesetzblatt Teil I S. 1768) geltenden Fassung insoweit mit Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) unvereinbar ist, als zwar der Grundstückserwerb durch den Ehegatten, nicht aber durch den eingetragenen Lebenspartner des Veräußerers von der Grunderwerbsteuer befreit ist.Dieser Aussetzungs- und Vorlagebeschluss nach Art. 100 Abs. 1 GG enthält – neben grundsätzlichen Ausführungen zum Gleichbehandlungsgebot des Art. 3 Abs. 1 GG und zum Anspruch auf effektiven Rechtsschutz nach Art. 19 Abs. 4 GG – die Aussage, dass auf der Grundlage der neueren Rechtsprechung des 1. Senats des Bundesverfassungsgerichts zur betrieblichen Hinterbliebenenversorgung und zum Erbschaft- und Schenkungsteuerrecht eingetragene Lebenspartner steuerlich genauso zu begünstigen sind wie Ehegatten.Der Beschluss ergeht durch den konsentierten Einzelrichter auf der Grundlage des § 79a Abs. 3, 4 der Finanzgerichtsordnung und erfolgt nachdem bereits mit Entscheidung vom 6.1.2011 dem rechtsschutzsuchenden eingetragenen Lebenspartner vorläufiger Rechtsschutz in Form der Aufhebung der Vollziehung gewährt worden ist (7 V 66/10, EFG 2011, S. 827).

 

In dem Rechtsstreit … hat das Niedersächsische Finanzgericht – 7. Senat – aufgrund mündlicher Verhandlung vom 26.8.2011 durch den Richter am Finanzgericht … als Berichterstatter (konsentierter Einzelrichter) beschlossen:

 

Das Verfahren wird gemäß Artikel 100 Absatz 1 des Grundgesetzes bis zu einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ausgesetzt. Es wird die Entscheidung des Bundesverfassungs-gerichts darüber eingeholt, ob § 3 Nummer 4 des Grunderwerb-steuergesetzes in der bis zum Inkrafttreten des Jahressteuergesetzes 2010 vom 8.12.2010 (Bundesgesetzblatt Teil I Seite 1768) geltenden Fassung insoweit mit Artikel 3 Absatz 1 des Grundgesetzes unvereinbar ist, als zwar der Grundstückserwerb durch den Ehegatten, nicht aber durch den eingetragenen Lebenspartner des Veräußerers von der Grunderwerbsteuer befreit ist.

 

 

A. Sachverhalt, Vortrag der Beteiligten, bisheriger Prozessverlauf

 

Das vorliegende Klageverfahren betrifft die grunderwerbsteuerliche Ungleichbehandlung von eingetragenen Lebenspartnern und Ehegatten bis zum Inkrafttreten des Jahressteuergesetzes 2010 vom 8.12.2010 (BGBl. I S. 1768).

Nach dem hier umstrittenen § 3 Nr. 4 GrEStG ist von der Besteuerung nur ausgenommen:

„der Grundstückserwerb durch den Ehegatten des Veräußerers“.

Ehegatten wird die Befreiung von der Grunderwerbsteuer unabhängig vom Vorhandensein von Kindern gewährt. Dagegen sind eingetragene Lebenspartner von der Begünstigung ausgeschlossen bis zum Inkrafttreten des Jahressteuergesetzes 2010.

Der Kläger hatte mit einem Mann am 1.3.2002 vor dem Standesbeamten in M. eine Lebenspartnerschaft begründet. Die verpartnerten Männer leben seit dem 1.8.2009 voneinander getrennt. Der Kläger ist Vater einer Tochter, die am 14.9.1996 geboren wurde und derzeit in seinem Haushalt lebt. Im Rahmen der Vermögensauseinandersetzung erhielt der Kläger von seinem Lebenspartner durch notariellen Vertrag vom 12.11.2009 dessen Miteigentumsanteil an einem Hausgrundstück; der Vertrag vom 12.11.2009 ist wie folgt überschrieben: „Übertragungsvertrag nebst Regelungen für die Zeit des Getrenntlebens und für den Fall der Aufhebung der Lebenspartnerschaft“. Der Kläger beantragte Befreiung von der Grunderwerbsteuer nach § 3 Nr. 4 GrEStG. Das beklagte Finanzamt setzte indes mit Bescheid vom 15.12.2009 die Grunderwerbsteuer auf 1.400 Euro fest. Dagegen wandte sich der Kläger mit seinem Einspruch und seinem Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes vom 15.1.2010.

Nach erfolglosem Einspruchsverfahren beim Finanzamt erhebt der Kläger Klage und trägt beim Finanzgericht im Wesentlichen Folgendes vor:

Die Rechtsauffassung, nach der die Steuerbefreiung für „Ehegatten“ nicht auf „Lebens-partner“ auszudehnen sei, verstoße gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG. So habe das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung vom 7.7.2009 (1 BvR 1164/07) aufgezeigt, dass im Hinblick auf die Ungleichbehandlung von verheirateten und eingetragenen Lebenspartnern ein strenger Maßstab für die Prüfung geboten sei, ob ein hinreichend wichtiger Differenzierungsgrund vorliege. Die Zielsetzung des Lebenspartnerschaftsgesetzes ergebe sich aus seiner Benennung in der Langform (Gesetz zur Beendigung der Diskriminierung gleichgeschlechtlicher Gemeinschaften). Da eine Ungleichbehandlung von Ehepaaren und eingetragenen Lebenspartnern eine Anknüpfung an die sexuelle Orientierung beinhalte, seien erhebliche Unterschiede zwischen diesen beiden Formen einer auf Dauer angelegten, rechtlich verfestigten Partnerschaft erforderlich, um die konkrete Ungleichbehandlung rechtfertigen zu können. Solche – vom Bundesverfassungsgericht benannten Unterschiede – lägen im vorliegenden Fall nicht vor.

Nachdem das beklagte Finanzamt im Juni 2010 Vollstreckungsmaßnahmen gegen den Kläger eingeleitet hatte (der Vollstreckungsbeamte erschien im Haushalt des Klägers), zahlte der Kläger die festgesetzte Grunderwerbsteuer in Höhe von 1.400 Euro an das beklagte Finanzamt. Trotz der erfolgten Zahlung verlangte der Kläger weiterhin vorläufigen Rechtsschutz und hält an seinem Klagebegehren fest.

Der Kläger beantragt,

den Grunderwerbsteuerbescheid vom 15.12.2009 in der Fassung des Einspruchsbescheids vom 16.3.2010 aufzuheben.

Das Finanzamt beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das Finanzamt verweist auf die einschlägige gesetzliche Vorschrift des § 3 Nr. 4 GrEStG. Schon vom Wortlaut her dürfe die Grunderwerbsteuerbefreiung für „Ehegatten“ nicht auf „Lebenspartner“ ausgedehnt werden.

Die Beteiligten haben erklärt, mit einer Entscheidung durch den Berichterstatter einverstanden zu sein (vgl. § 79a Abs. 3, 4 FGO). Anhaltspunkte für einen eventuellen Kompetenzkonflikt zwischen dem (alleinentscheidenden) Berichterstatter (sogenannter konsentierter Einzelrichter) und dem kompletten Personal des 7. Senats des Niedersächsischen Finanzgerichts (einschließlich der anderen Berufsrichter sowie der ehrenamtlichen Richter) sind nicht ersichtlich.

Der Berichterstatter hat – im Anschluss an die Entscheidung des 1. Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 21.7.2010 (1 BvR 611/07, 1 BvR 2464/07, BVerfGE 126, S. 400) zur Erbschaft- und Schenkungsteuer – im Rahmen einer rechtswissenschaftlichen Finanzrichtertagung in Berlin – am 16.11.2010 bei Gesetzestextvorbereitern im Bundesfinanzministerium dafür geworben, die Gleichstellung der eingetragenen Lebenspartner mit den (kinderlosen) Ehegatten nicht allein bei der Erbschaft- und Schenkungsteuer, sondern auch bei der Grunderwerbsteuer für noch offene Altfälle (wie hier) durch das Jahressteuergesetz 2010 vorzunehmen. Das Jahressteuergesetz 2010 ist – wie bereits erwähnt – im Dezember 2010 ohne die gewünschte Gleichstellung für ältere noch nicht bestandskräftige Fälle bei der Grunderwerbsteuer in Kraft getreten. Das Gericht hat mit Beschluss vom 6.1.2011 zu dem Aktenzeichen 7 V 66/10 den klägerseits beantragten vorläufigen Rechtsschutz in Form der Aufhebung der Vollziehung gewährt (vgl. EFG 2011, S. 827).

B. Begründung der Aussetzungs- und Vorlageentscheidung des Finanzgerichts

 

Infolge der vom Gericht angenommenen Verfassungswidrigkeit des § 3 Nr. 4 GrEStG in der bis zum Inkrafttreten des Jahressteuergesetzes 2010 geltenden Fassung ist das Klageverfahren gemäß Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG in Verbindung mit § 80 Abs. 1 BVerfGG auszusetzen und die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts einzuholen.

 

I. Neuere Rechtsentwicklung der im Streitfall maßgeblichen Vorschriften mit einschlägigen  Gesetzesmaterialien

Nach dem Jahressteuergesetz 2010 vom 8.12.2010 (BGBl. I S. 1768, verkündet am 13.12.2010) ist bei der Grunderwerbsteuer – im Gegensatz zur Erbschaft- und Schenkungsteuer (vgl. § 37 Abs. 5 ErbStG) – erst für Erwerbsvorgänge ab dem 14.12.2010 eine Gleichstellung von eingetragenen Lebenspartnern und Ehegatten vorgesehen (dazu § 3 Nrn. 3 bis 7 GrEStG in Verbindung mit § 23 Nr. 9 GrEStG). Der Gesetzgeber ist den Vorgaben des 1. Senats des Bundesverfassungsgerichts im Beschluss vom 21.7.2010 (1 BvR 611/07, 1 BvR 2464/07, BVerfGE 126, S. 400) für die Erbschaft- und Schenkungsteuer auch in allen noch offenen Altfällen ab dem 1.8.2001 (= Inkrafttreten des Lebenspartnerschaftsgesetzes) gefolgt, dagegen fehlt es für die Grunderwerbsteuer an einer Regelung für ältere noch nicht bestandskräftige Fälle.

Mit einem „Entschließungsantrag“ hatten verschiedene Mitglieder des Deutschen Bundestages und die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN den Deutschen Bundestag mit Blick auf die genannte Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 21.7.2010 aufgefordert, die Gleichstellung von Lebenspartnerschaften im gesamten Steuerrecht umzusetzen, auch für Altfälle (vgl. Bundestags-Drucksache 17/3470 vom 27.10.2010, S. 1). Dagegen vertraten die Koalitionsfraktionen – allgemein zur Frage der Gleichstellung eingetragener Lebenspartnerschaften im gesamten Steuerrecht – die Auffassung, es müsse das Ergebnis der beim Bundesverfassungsgericht anhängigen Verfahren abgewartet und danach innerhalb der vom Bundesverfassungsgericht vorgegebenen Leitlinien eine tragfähige Lösung vorgelegt werden, „um sich die Peinlichkeit zu ersparen, ein nun gemäß unklarer Rahmenbedingungen geändertes Einkommensteuerrecht nach dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts erneut ändern zu müssen“. Außerdem betonte die Fraktion der CDU/CSU den inhaltlichen Unterschied zwischen einer Ehe und einer eingetragenen Lebenspartnerschaft. Das „Füreinander Einstehen“ einer Lebenspartnerschaft könne nicht grundsätzlich gleichgesetzt werden mit dem Institut der Ehe.

Die Koalitionsfraktionen vertraten konkret zur Gleichstellung der Lebenspartner mit Ehegatten bei der Grunderwerbsteuer die Auffassung, eine auch rückwirkende Gleichstellung im Grunderwerbsteuerrecht sei nicht geboten, da man sich beim Erwerb eines Grundstücks – anders als im Erbfall – frei für oder gegen den Erwerb entscheiden könne; der Grundstückserwerb sei disponibel, der Erbschaftsfall hingegen nicht. Im Grunderwerbsteuergesetz sei es also ausreichend, eine auf die Zukunft gerichtete Regelung zu treffen. Zudem müsse auch für Überlegungen zur grunderwerbsteuerlichen Gleichstellung eingetragener Lebenspartnerschaften – wie in jedem Rechtsbereich – als erstes geprüft werden, welcher Gesetzeszweck vom Gesetzgeber vorgegeben worden sei, also ob in der Gesetzesbegründung beispielsweise auf die Institution der Ehe oder – anders als im Erbschaftsteuerrecht – auf Kinder besonders Bezug genommen wurde (vgl. Bundestags-Drucksache 17/3549 vom 28.10.2010, S. 12).

 

II. Klagebegehren und einfachgesetzliche Rechtslage

Würde man hier den § 3 Nr. 4 GrEStG in der für den Streitfall (des Jahres 2009) geltenden Fassung anwenden, nach der zwar der Grundstückserwerb durch den Ehegatten, nicht aber durch den eingetragenen Lebenspartner des Veräußerers grunderwerbsteuerbefreit ist, müsste die Klage abgewiesen werden.

Nach Auffassung des vorlegenden Gerichts ist eine analoge und/oder verfassungskonforme Auslegung hier nicht möglich (für eine „entsprechende“ Anwendung der Befreiungsvorschriften des § 3 GrEStG in Fällen der Vermögensauseinandersetzung zu Gunsten der eingetragenen Lebenspartnerschaften „auch ohne besondere Kodifizierung“ setzt sich ein: Franz in Pahlke/Franz, Kommentar zum GrEStG, 4. Auflage 2010, § 3 Anm. 214; a.A. Meßbacher-Hönsch in Boruttau, Kommentar zum GrEStG, 17. Auflage 2011, § 3 Anm. 375 am Ende). Von einer planwidrigen Lücke oder planwidrigen Unvollständigkeit des Gesetzes kann hier nicht ausgegangen werden, weil der Gesetzgeber planvoll, mit Wissen und Wollen, die grunderwerbsteuerlichen Altfälle gerade nicht in die steuerliche Neuregelung zur Gleichstellung der eingetragenen Lebenspartner mit den Ehegatten im Jahressteuergesetz 2010 aufgenommen hat und auch (so die Gesetzesmaterialien – vgl. Bundestags-Drucksache 17/3549 vom 28.10.2010, S. 12) nicht hat aufnehmen wollen.

 

III. Verfassungsrechtliche Beurteilung

Das vorlegende Gericht ist von der Verfassungswidrigkeit des bis zum Dezember 2010 geltenden § 3 Nr. 4 GrEStG überzeugt. Diese Vorschrift verstößt gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG, weil sie von den nach verfassungsrechtlichen Vorgaben insoweit gleich zu behandelnden Gruppen „Ehegatten“ und „eingetragene Lebenspartner“ nur Ehegatten begünstigt und damit eingetragene Lebenspartner diskriminiert. Für diese Ungleichbehandlung fehlen hinreichend tragfähige Rechtfertigungsgründe. Der im Streitfall angefochtene Grunderwerbsteuerbescheid ist rechtswidrig, weil hier eingetragene Lebenspartner belastet werden, obwohl bei ansonsten gleichen Lebensverhältnissen Ehegatten grunderwerbsteuerlich verschont bleiben.

1. Das allgemeine Gleichbehandlungsgebot des Art. 3 Abs. 1 GG verlangt, wesentliches Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln (vgl. BVerfG-Beschlüsse vom 21.6.2006  2 BvL 2/99, BVerfGE 116, S. 164; vom 15.1.2008 1 BvL 2/04, BVerfGE 120, S. 1, 29). Er gilt für ungleiche Belastungen wie auch für ungleiche Begünstigungen (vgl. BVerfG-Beschlüsse vom 9.12.2008 2 BvL 1, 2/07, 1, 2/08, BVerfGE 122, S. 210, 230; vom 17.11.2009 1 BvR 2192/05, BVerfGE 125, S. 1, 17). Verboten ist daher auch ein gleichheitswidriger Begünstigungsausschluss, bei dem eine Begünstigung einem Personenkreis gewährt, einem anderen Personenkreis aber vorenthalten wird (vgl. BVerfG-Beschluss vom 21.7.2010 1 BvR 611/07, 1 BvR 2467/07, BVerfGE 126, S. 400).

Aus dem allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz ergeben sich je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen unterschiedliche Grenzen für den Gesetzgeber, die vom bloßen Willkürverbot bis zu einer strengen Bindung an Verhältnismäßigkeitserfordernisse reichen (vgl. BVerfG-Beschlüsse vom 15.1.2008 1 BvL 2/04, BVerfGE 120, S. 1, 29; vom 14.10.2008 1 BvR 2310/06, BVerfGE 122, S. 39, 52; BVerfGE 125, S. 1, 17). Der Grundsatz der gleichen Zuteilung steuerlicher Lasten (vgl. BVerfG-Beschlüsse vom 15.1.2008 1 BvL 2/04, BVerfGE 120, S. 1, 44, 125; vom 17.11.2009 1 BvR 2192/05, BVerfGE 125, S. 1, 17 f.) verlangt eine gesetzliche Ausstattung der Steuer, die den Steuergegenstand in den Blick nimmt und mit Rücksicht darauf eine gleichheitsgerechte Besteuerung des Steuerschuldners sicherstellt. Ausnahmen von dem geltenden Gebot gleicher Besteuerung bei gleicher finanzieller Leistungsfähigkeit bedürfen eines besonderen sachlichen Grundes (vgl. BVerfG-Beschlüsse 21.6.2006 2 BvL 2/99, BVerfGE 116, S. 164, 180 f.; vom 15.1.2008 1 BvL 2/04, BVerfGE 120, S. 1, 45; vom 17.11.2009 1BvR 2192/05, BVerfGE 125, S. 1, 17 f.). Art. 3 Abs. 1 GG ist jedenfalls dann verletzt, wenn sich ein vernünftiger, sich aus der Natur der Sache ergebender oder sonst wie einleuchtender Grund für die gesetzliche Differenzierung oder Gleichbehandlung nicht finden läßt (vgl. BVerfG-Urteil vom 6.3.2002 2 BvL 17/99, BVerfGE 105, S. 73, 110; BVerfG-Beschluss vom 17.11.2009 1 BvR 2192/05, BVerfGE 125, S. 1, 18).

2. Gemessen an diesen allgemeinen Rechtsgrundsätzen des Bundesverfassungsgerichts zum Gleichbehandlungsgebot und auf der Grundlage der neueren Rechtsprechung des 1. Senats des Bundesverfassungsgerichts zur Einordnung der eingetragenen Lebenspartnerschaft in die allgemeine deutsche Rechtsordnung sind eingetragene Lebenspartner genauso steuerlich zu begünstigen wie (kinderlose) Ehegatten. Bezüglich des vorliegenden Falls bedeutet das: Die Befreiung von der Grunderwerbsteuer für den Grundstückserwerb des Ehegatten des Veräußerers nach § 3 Nr. 4 GrEStG (2009) muss auch für den Grundstückserwerb des eingetragenen Lebenspartners des Veräußerers, hier also für den Kläger, gelten. Mit anderen Worten: Der grunderwerbsteuerliche Begünstigungsausschluss nach § 3 Nr. 4 GrEStG (2009) für eingetragene Lebenspartner ist verfassungswidrig.

Nach neueren Entscheidungen des 1. Senats des Bundesverfassungsgerichts leben eingetragene Lebenspartner wie Ehegatten in einer auf Dauer angelegten, rechtlich verfestigten Partnerschaft mit gegenseitiger Einstandspflicht (vgl. BVerfG-Beschlüsse vom 7.7.2009 1 BvR 1164/07, BVerfGE 124, S. 199, 225, zur betrieblichen Hinterbliebenenversorgung; vom 21.7.2010 1 BvR 611/07, 1 BvR 2464/07, BVerfGE 126, S. 400, 423, 426, zur Erbschaft- und Schenkungsteuer). Mit dem am 1.8.2001 in Kraft getretenen Gesetz über die eingetragene Lebenspartnerschaft (Lebenspartnerschaftsgesetz – LPartG) vom 16.2.2001 (BGBl. I 2001, S. 266) wurden die Begründung und die Aufhebung der eingetragenen Lebenspartnerschaft sowie die persönlichen und die vermögensrechtlichen Rechtsbeziehungen der Lebenspartner geregelt. Nach § 2 LPartG sind die eingetragenen Lebenspartner einander zur Fürsorge und Unterstützung sowie zur gemeinsamen Lebensgestaltung verpflichtet und tragen füreinander Verantwortung. Weiteres zur Ausprägung der bürgerlich-rechtlichen Gleichstellung von Lebenspartnern und Ehegatten wird im Beschluss des 1. Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 21.7.2010 zur Erbschaft- und Schenkungsteuer (1 BvR 611/07, 1 BvR 2464/07, BVerfGE 126, S. 400, 415 ff., 423 ff.) vertieft. Wenn der 1. Senat des Bundesverfassungsgerichts ausführt, dass für die Schlechterstellung der eingetragenen Lebenspartner gegenüber den (auch kinderlosen) Ehegatten keine Unterschiede von solchem Gewicht bestehen, die die erbschaft- und schenkungsteuerliche Benachteiligung rechtfertigen könnten, dann erfasst diese Wertung (= verfassungswidriger Begünstigungsausschluss bei den eingetragenen Lebenspartnern) in gleichem Maße die grunderwerbsteuerliche Benachteiligung der eingetragenen Lebenspartner. Die umfangreichen Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts, nach denen weder der besondere Schutz der Ehe, noch der besondere Schutz der Familie nach Art. 6 Abs. 1 GG den Anspruch der eingetragenen Lebenspartner auf Gleichbehandlung nach Art. 3 Abs. 1 GG, die wie (auch kinderlose) Ehegatten in einer auf Dauer angelegten, rechtlich verfestigten Partnerschaft leben, vereiteln dürfen, zielen erkennbar ab auf die gesamte Rechtsordnung. Sie gelten für das Steuerrecht in seiner Gesamtheit, das heißt nicht nur für das Erbschaft- und Schenkungsteuerrecht, sondern auch für das Grunderwerbsteuerrecht. Die Ungleichbehandlung ist auch nicht dadurch legitimiert, dass grundsätzlich nur aus einer Ehe gemeinsame Kinder hervorgehen können, weil das geltende Recht – hier der § 3 Nr. 4 GrEStG in der Fassung vor dem Jahressteuergesetz 2010 – die Privilegierung der Ehegatten gerade nicht vom Vorhandensein gemeinsamer Kinder abhängig macht (in diesem Sinne für die Grunderwerbsteuer: Beschlüsse des Niedersächsischen FG vom 6.1.2011 7 V 66/10, EFG 2011, S. 827, des FG Münster vom 24.3.2011 8 K 2430/09 GrE, EFG 2011, S. 1449 und des Schleswig-Holsteinischen FG vom 28.6.2011 3 K 217/08, EFG 2011, S. 1915; vgl. auch Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 10.5.2011 – C – 147/08, NJW 2011, S. 2187 sowie juris, mit Anmerkung von Roetteken; für die Einkommensteuer anderer Auffassung: der Nichtannahmebeschluss der 1. Kammer des 2. Senats des BVerfG vom 6.5.2008 2 BvR 1830/06, NJW 2008, S. 2325, 2327; diese Kammerrechtsprechung hat keine Bindungswirkung im Sinne des § 31 Abs. 1 BVerfGG, folglich konnte der 1. Senat des BVerfG ohne Anrufung des Plenums des BVerfG, § 16 Abs. 1 BVerfGG, anders entscheiden; damit ist die Kammerrechtsprechung des BVerfG überholt).

Selbst wenn die Befreiung von der Grunderwerbsteuer für Ehegatten vom Vorhandensein eines Kindes abhängig wäre (vgl. den Hinweis in Bundestags-Drucksache 17/3549 vom 28.10.2010, S. 12), dann wären eingetragene Lebenspartnerschaften – wie der Fall des Klägers zeigt – nicht von vornherein außen vor. Denn auch im Haushalt von eingetragenen Lebenspartnern kann ein Kind (aus einer anderen Beziehung) leben und aufwachsen.

3. Während die grunderwerbsteuerliche Gleichbehandlung von Grundstücksübertragungen bei eingetragenen Lebenspartnern und Ehegatten in der Gegenwart und Zukunft seit dem Inkrafttreten des Jahressteuergesetzes 2010 gewährleistet ist, hat der Gesetzgeber es versäumt, eine entsprechende Regelung für offene Altfälle bei der Grunderwerbsteuer  – wie bei der Erbschaft- und Schenkungsteuer – vorzunehmen.

Ein sachlicher Grund, der so gewichtig ist, dass er die Benachteiligung in den älteren (noch offenen) Grunderwerbsteuerfällen rechtfertigt, ist nicht ersichtlich. So ist die Einlassung der Koalitionsfraktionen (vgl. Bundestags-Drucksache 17/3549 vom 28.10.2010, S. 12), der Grundstückserwerb sei disponibel, der Erbschaftsfall nicht, nicht nur nicht überzeugend, sondern sie diskriminiert die eingetragenen Lebenspartnerschaften gegenüber den Ehegatten erneut. Diese gesetzgeberische Diskriminierung geschieht sogar in Kenntnis des Schenkungsteuerrechts mit „disponiblen“ Vorgängen, welches – wie das Erbschaftsteuerrecht – eine Regelung für die noch offenen Altfälle eingetragener Lebenspartner erhalten hat (vgl. schon den entsprechenden Hinweis einer Oppositionsfraktion des Deutschen Bundestages in Bundestags-Drucksache 17/3549 vom 28.10.2010, S. 12). Der Grundstückserwerb ist bei Ehegatten und eingetragenen Lebenspartnerschaften gleichermaßen disponibel. Diese bei beiden Gruppen vorliegende Disponibilität kann die Benachteiligung einer der beiden Gruppen schon denkgesetzlich nicht rechtfertigen. Außerdem darf ein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz nicht damit begründet werden, dass ein Nichtbegünstigter, etwa durch Nichterwerb eines Grundstückes, die Grunderwerbsteuer „frei“ vermeiden könne; auf diese Weise könnte fast jede gesetzgeberische Ungleichbehandlung angeblich gerechtfertigt sein, weil fast jeder zu Unrecht Steuerbelastete der Steuerbelastung durch Nichterwerb (etwa bei der Einkommensteuer) und/oder Nichtkonsum (etwa bei der Umsatzsteuer) „frei“ ausweichen könnte. Die Rechtsschutzfunktion des Art. 3 Abs. 1 GG wäre auf diese Weise komplett aufgehoben.

Die inzwischen vom Gesetzgeber (mit dem Jahressteuergesetz 2010) hergestellte Gleichstellung der eingetragenen Lebenspartner mit Ehegatten bei der Grunderwerbsteuer zeigt, dass sich die Befreiung von der Grunderwerbsteuer auf Grundstücksumsätze zwischen Ehegatten und zwischen eingetragenen Lebenspartnern wegen des für beide Personenkreise geltenden Zugehörigkeits- und Einstandsprinzips gleichermaßen darstellt. Die grunderwerbsteuerliche Gleichstellung von eingetragenen Lebenspartnern mit Ehegatten hat nicht erst ab dem 14.12.2010, sondern für alle noch offenen Altfälle seit dem 1.8.2001, mit dem Inkrafttreten des Lebenspartnerschaftsgesetzes, zu gelten (vgl. zur gleichgelagerten Problematik BVerfG-Beschluss vom 21.7.2010 1 BvR 611/07, 1 BvR 2464/07, zur Erbschaft- und Schenkungsteuer, BVerfGE 126, S. 400).

4. Weil der Gesetzgeber an die Grundrechte als „unmittelbar geltendes Recht“ (Art. 1 Abs. 3 GG) und das Bundesverfassungsgericht an „Gesetz und Recht“ (Art. 20 Abs. 3 GG) gebunden sind, betont das vorlegende Gericht Folgendes:

Der Gesetzgeber kommt – wie gezeigt – wieder einmal seiner verfassungsrechtlichen Verantwortung für ein gerechtes Steuerrecht, für die Verwirklichung der Grundrechte in den Steuergesetzen, nicht nach (in diesem Sinne für die Grunderwerbsteuer: Schmidt/Leyh, NWB 52/2010, S. 4269, 4271 „grenzwertig“; ähnlich schon Messner, DStR 2010, S. 1875, 1878; vgl. auch Wenzel, DStR 2009, S. 2403, 2407; Meßbacher-Hönsch in Boruttau, Kommentar zum GrEStG, 17. Auflage 2011, § 3 Anm. 375; Tölle, NJW 2011, S. 2165, 2167). Dies ist in der Steuergesetzgebung leider kein Einzelfall. Das Bundesverfassungsgericht musste immer wieder – aufgrund von zahlreichen Verfassungsbeschwerden der Bürger sowie von vielen Aussetzungs- und Vorlagebeschlüssen der Finanzgerichte – dem Gesetzgeber den verfassungsgeforderten, den rechten Weg weisen.

Die neuere Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Gleichbehandlungsgrund-satz und zu den Freiheitsrechten kann dem Steuerbürger konkreten Rechtsschutz gegen rechtliche Untaten der Gesetzgebung vermitteln. Erinnert sei etwa an die Entscheidungen zur Zinsbesteuerung (BVerfG-Urteil vom 27.6.1991 2 BvR 1493/89, BVerfGE 84, S. 239), zum Grundfreibetrag (BVerfG-Beschluss vom 25.9.1992 2 BvL 5, 8, 14/91, BVerfGE 87, S. 153) zu den Einheitswerten bei der Vermögen- und Erbschaftsteuer (BVerfG-Beschlüsse vom 22.6.1995 2 BvL 37/91, BVerfGE 93, S. 121; vom 22.6.1995 2 BvR 552/91, BVerfGE 93, S. 165), zu den Kinderbetreuungskosten und zum Haushaltsfreibetrag (BVerfG-Beschluss vom 10.11.1998 2 BvR 1057, 1226, 980/91, BVerfGE 99, S. 216), zur doppelten Haushaltsführung (BVerfG-Beschluss vom 4.12.2002 2 BvR 400/98, 1735/00, BVerfGE 107, S. 27), zum Grenzbetrag beim Kindergeld für volljährige Kinder (BVerfG-Beschluss vom 11.1.2005 2 BvR 167/02, BVerfGE 112, S. 164), zur Erbschaft- und Schenkungsteuer (BVerfG-Beschluss vom 7.11.2006 1 BvL 10/02, BVerfGE 117, S. 1); zur Berufspendlerpauschale (BVerfG-Urteil vom 9.12.2008 2 BvL 1/07, 2 BvL 2/07, 2 BvL 1/08, 2 BvL 2/08, BVerfGE 122, S. 210) und zum häuslichen Arbeitszimmer (BVerfG-Beschluss vom 6.7.2010 2 BvL 13/09, BVerfGE 126, S. 268).

Danach müsste der Gesetzgeber grundsätzlich untere und obere Besteuerungsgrenzen sowie steuerliche Nettoprinzipien (objektiv und subjektiv) mit dem Abzug des erwerbs- und existenzsichernden Aufwands beispielsweise bei der Einkommensteuer, beachten. Verbindlich ist auch das steuerliche Konsequenzgebot (die Folgerichtigkeit) und das steuerliche Privilegienverbot (vgl. stattdessen die grobe gesetzgeberische Fehlentwicklung durch die einkommensteuerliche Selbstbegünstigung der Abgeordneten des Deutschen Bundestages in exorbitanter Höhe – dazu kritischer Beitrittsbeschluss mit umfangreichem Fragenkatalog des Bundesfinanzhofs zur Kostenpauschale für Abgeordnete vom 21.9.2006 VI R 81/04 , VI R 63/04, VI R 13/06, BFHE 215, S. 196, BStBl. II 2007, S. 114 – bedauerlicherweise haben andere Bundesrichter beim BFH und beim BVerfG die „kraftvollen Vorarbeiten“, so Seer, StuW 2011, S. 385, 387, nicht fortgeführt, sondern schließlich durch die Nichtannahme der einschlägigen Verfassungsbeschwerden durch die 1. Kammer des 2. Senats des BVerfG einen „kleinmütigen Akt von Rechtsschutzverweigerung, ja einen Kniefall vor der Politik“, so Seer, a.a.O. mit weiteren Nachweisen, produziert; zum Thema vgl. auch Tipke, FR 2006, S. 949, 954; Balke, ZSteu 2006, S. 435; Schenkel, Einkünfte und Besteuerung der deutschen Abgeordneten, Bochumer Dissertation, 2009; Englisch, NJW 2009, S. 894; Desens, DStR 2009, S. 727; Drysch/von Arnim, Bonner Kommentar zum GG, Loseblatt, Art. 48 Anm. 258, 271 ff., Stand 2010; Birk, DStJG-Band 34, 2011, S. 11, 20; Balke/Hartmann, ZSteu 2011, S. 126).

In der Fachliteratur wird dem Gesetzgeber die Fähigkeit zur Steuergerechtigkeit kaum zugetraut (dazu Tipke, Steuergerechtigkeit, 1981, Vorwort VIII, S. 164, 188; ders., Ein Ende dem Einkommensteuer Wirrwarr!? Rechtsreform statt Stimmenfangpolitik, 2006, S. 192 ff.; ders. in Brandt – Hrsg. -, Mitverantwortung von Bürger und Staat für ein gerechtes Steuerrecht, Deutscher Finanzgerichtstag, 2007, S. 21, 36 f., 38 ff.; Kirchhof, Der sanfte Verlust der Freiheit, Für ein neues Steuerrecht – klar, verständlich, gerecht, 2004, S. 51 ff.; ders., Das Gesetz der Hydra, 2006, S. 329 ff.; ders., Das Maß der Gerechtigkeit, 2009, S. 168 ff.; Balke, ZSteu 2006, S. 432). Drenseck (DStR 2009, S. 1877, 1878) bringt es mit folgenden Worten auf den Punkt:

„Der Gesetzgeber setzt sich zunehmend zu Lasten der Bürger über verfassungsrechtliche Zweifel hinweg. Er scheint immer häufiger darauf zu spekulieren, dass, wenn das BVerfG erst nach mehreren Jahren ein Gesetz für verfassungswidrig erklärt, die Verfassungswidrigkeit aus Gründen der Staatsfinanzen nur für die Zukunft ausgesprochen wird, der Staat damit die verfassungswidrig einkassierten Steuern für die Vergangenheit behalten darf. Wie sonst ist es erklärlich, dass Anhörungsverfahren abgehalten werden und selbst bei massiven Warnungen vor drohender Verfassungswidrigkeit die Bedenken beiseite gewischt werden?“

Deshalb, weil der Steuergesetzgeber immer wieder die Grundrechte der Bürger vernachlässigt, sind immer wieder – wie hier – die Finanzgerichte und das Bundesverfassungsgericht gefordert, im Rahmen ihrer Verantwortlichkeit (Bindung an Gesetz und Recht im Sinne des Art. 20 Abs. 3 GG) einzugreifen, um den Steuerbürgern deren Grundrechtsschutz effektiv im Sinne des Art. 19 Abs. 4 GG zu gewähren. Der Gesetzgeber und die Gesetzestextvorbereiter im Bundesfinanzministerium sollten dies bei ihrer Arbeit immer beachten und nicht allein das umsetzen, wozu sie bei einer bestimmten Steuerart verfassungsgerichtlich verurteilt worden sind.

Das Verfahrensgrundrecht des Art. 19 Abs. 4 GG garantiert dabei dem Bürger nicht nur das formelle Recht und die theoretische Möglichkeit, die Gerichte anzurufen, sondern auch die Effektivität des Rechtsschutzes; der Bürger hat einen substantiellen Anspruch auf eine tatsächlich wirksame gerichtliche Kontrolle (so schon BVerfG-Beschluss vom 19.6.1973 1 BvL 39/69 und 1 BvL 14/72, BVerfGE 35, S. 263, 274; vgl. auch BVerfG-Beschluss vom 31.5.2011 1 BvR 857/07, HFR 2011, S. 903). Wie ausgeführt hat das Bundesverfassungsgericht einerseits dem Gesetzgeber immer wieder Grenzen des Steuerzugriffs – für die Zukunft – aufgezeigt. Andererseits (und gleichzeitig) hat es den Gesetzgeber – nach festgestelltem Verfassungsunrecht und gegen die eigene Rechtsprechung zu Art. 19 Abs. 4 GG – durch seine sogenannte pro-futuro-Rechtsprechung viel zu sehr geschont und damit dem Steuerpflichtigen den effektiven Rechtsschutz versagt; gemeint sind hier die Weitergeltungsanordnungen des Bundesverfassungsgerichts mit den rechtsschutzverkürzenden, weiträumigen Übergangsfristen vom Unrecht zum Recht. Der Steuerpflichtige, der nach vielen Jahren vom Bundesverfassungsgericht den Bescheid erhält – etwa bei der grob unterschiedlichen Bewertung von Wirtschaftsgütern bei der Erbschaft- und Schenkungsteuer – er sei wegen eines verfassungswidrigen Steuergesetzes zu Unrecht steuerlich belastet worden, er habe aber die Belastung hinzunehmen, weil das verfassungswidrige Gesetz noch eine Zeitlang anzuwenden sei, verliert leicht den rechten Glauben an seinen Rechtsstaat. Denn es darf nicht Recht sein, Grundrechte zeitweise nicht anzuwenden, ein Unrecht nicht wieder gut machen zu müssen, nur weil es womöglich viel Geld kostet. Das in der Finanzrechtsprechung immer wieder verwendete Kosten- und Haushaltsargument ist umso fragwürdiger geworden, seitdem in den aktuellen Finanzkrisen erkannt werden musste, mit welchen Riesengeldbeträgen der Fiskus systemrelevante Akteure der Volkswirtschaft vor dem wirtschaftlichen Untergang abschirmt. Wer immer wieder milliardenschwere Rettungsschirme an Träger des Finanzsystems verteilen kann, der muss auch erforderliche Rettungsschirme für Rechtsschutzsuchende finanzieren können. Im Rechtsstaat hat das Recht, insbesondere die Gesamtheit der Grundrechte, grundsätzlich immer (Ausnahme: drohende Staatsinsolvenz) über dem Geld (Staatshaushalt) zu stehen und nicht umgekehrt (dazu Habscheidt, Der Anspruch des Bürgers auf Erstattung verfassungswidriger Steuern, Bochumer Dissertation, 2003, S. 75 ff., 101 ff.; folgend Seer in Tipke/Lang, Steuerrecht, 20. Auflage 2010, S. 1123, 1142, 1147 mit weiteren Nachweisen; Beschluss des Niedersächsischen FG vom 6.1.2011 7 V 66/10, EFG 2011, S. 827, 828 ff.).

Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts allein für die Zukunft („pro futuro“, etwa BVerfG-Beschluss des 1. Senats des BVerfG vom 7.11.2006 1 BvL 10/02, BVerfGE 117, S. 1) sind Entscheidungen ohne effektiven Rechtsschutz für Gegenwart und Vergangenheit (zur Problematik auch Bendixen, ZRP 2009, S. 85, 86; Schallmoser, DStR 2010, S. 297, 299). Würde das Bundesverfassungsgericht ähnlich konsequent entscheiden wie der Gerichtshof der Europäischen Union und würde es folglich dem Steuerpflichtigen regelmäßig auch den vollen effektiven Rechtsschutz gewähren (ohne pro-futuro-Praxis), hätte der Gesetzgeber die Verfassungstauglichkeit von Steuervorschriften genau zu prüfen (vgl. dazu die aufschlussreiche Stellungnahme der Bundesregierung zur unterschiedlichen Prüfpraxis infolge der unterschiedlichen Rechtsschutzgewährung durch das BVerfG und den EuGH in Bundestags-Drucksache 16/5371 vom 15.5.2007).

Deshalb sollte das Bundesverfassungsgericht seine pro-futuro-Rechtsprechungspraxis nicht nur punktuell – wie bei den Entscheidungen zur Berufspendlerpauschale und zum häuslichen Arbeitszimmer (dort hat die vorherige Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nach § 69 FGO durch Finanzgerichte geholfen: dazu Balke in Festschrift für Lang, 2010, S. 965, 973 ff.) -, sondern generell aufgeben.

 

IV. Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefrage

Im Rahmen des anhängigen Klageverfahrens ist eine abschließende Sachentscheidung zu treffen. Ist die Regelung in § 3 Nr. 4 GrEStG in der hier maßgebenden Fassung verfassungsgemäß, ist die Klage des Klägers unbegründet. Hält es das Bundesverfassungsgericht hingegen mit Art. 3 Abs. 1 GG für unvereinbar, dass grunderwerbsteuerlich eingetragene Lebenspartner mit Ehegatten im Jahr 2009 nicht gleichgestellt sind und ordnet dann – auf Geheiß des Bundesverfassungsgerichts als Hüter der Verfassung (vgl. Art. 93, 94 Abs. 2 GG, § 31 Abs. 2 BVerfGG) – der Gesetzgeber in einer Neuregelung den Anwendungsbereich des inzwischen neugefassten § 3 Nr. 4 GrEStG auch auf noch offene Altfälle an, dann hat die Klage Erfolg.

 

V. Aussetzungs- und Vorlagebefugnis des Berichterstatters als konsentierter Einzelrichter

Dieser Aussetzungs- und Vorlagebeschluss ist zulässig, obwohl er durch den konsentierten Einzelrichter nach § 79a Abs. 3, 4 FGO und nicht durch den Senat in seiner Gesamtheit gefasst ist.

1. Im Verfahren der konkreten Normenkontrolle (Art. 100 Abs. 1 GG, § 80 Abs. 1 BVerfGG) ist ein Aussetzungs- und Vorlagebeschluss an das Bundesverfassungsgericht den Gerichten vorbehalten. „Gericht“ kann in einem Kollegialgericht auch der Einzelrichter sein, soweit er nach der jeweiligen Prozessordnung dazu berufen ist, die anstehende Entscheidung allein zu treffen (vgl. BVerfG-Beschlüsse vom 3.6.1980 1 BvL 114/78, BVerfGE 54, S. 159, 163 f. und vom 28.10.1958 2 BvL 4/57, BVerfGE 8, S. 248, 252 – jeweils allgemein für vorlegende Einzelrichter). Das ist hier der Fall; und zwar in Übereinstimmung mit der bereits zitierten und nach Art. 31 Abs. 1 BVerfGG verbindlichen Senatsrechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts.

Dagegen steht allerdings die Sonder-Rechtsprechung der 3. Kammer des 1. Senats des Bundesverfassungsgerichts (vom 5.5.1998 1 BvL 23/97 und 1 BvL 24/97, NJW 1999, S. 274 – jeweils gegen einzelne vorlegende Finanzrichter), nach der der konsentierte Einzelrichter nach § 79a Abs. 3, 4 FGO für eine Richtervorlage unzuständig sein soll, weil die Richtervorlage durch den konsentierten Einzelrichter der Finanzgerichtsbarkeit einen „Ermessensmißbrauch“ darstelle und weil der Gesetzeszweck des § 79a Abs. 3, 4 FGO („Verfahrensstraffung“) durch den Vorlagebeschluss des konsentierten Einzelrichters „keinesfalls erreicht“ werde.

Da sowohl der Kläger als auch das beklagte Finanzamt ihr Einverständnis mit einer Entscheidung durch den Berichterstatter erklärt haben, liegen die Voraussetzungen für eine Entscheidung durch den konsentierten Einzelrichter anstelle des Senats nach § 79a Abs. 3, 4 FGO (nicht nach § 6 FGO!) vor. Macht der Berichterstatter – wie hier – von dieser  Möglichkeit Gebrauch, tritt er „in jeder Hinsicht an die Stelle des Senats. Ihm stehen deshalb auch die gleichen Befugnisse zu. … Eine Rückübertragung auf den Senat ist anders als in § 6 III nicht vorgesehen“ (so Koch in Gräber, Kommentar zur FGO, 7. Auflage 2010, § 79a Anm. 30). Im Gegensatz zu § 6 Abs. 1 Nrn. 1, 2  FGO (Übertragung der Entscheidungsbefugnis auf den Einzelrichter durch den Senat) setzt § 79a Abs. 3, 4 FGO nicht voraus, dass die Streitsache nicht besonders schwierig und nicht von grundsätzlicher Bedeutung ist; folglich kann auch – wie hier – in schwierigen oder grundsätzlichen Rechtssachen nach § 79a Abs. 3, 4 FGO entschieden werden. In den einschlägigen Gesetzesmaterialien (Bundestags-Drucksache 12/1061 vom 14.8.1991, S. 17) heißt es in diesem Sinne:

„Damit kann der Vorsitzende oder Berichterstatter in vollem Umfang an die Stelle des Senats treten; ihm stehen die gleichen Entscheidungsmöglichkeiten zur Verfügung. Es erscheint unbedenklich, daß auch die abschließende Entscheidung von einem Mitglied des Senats allein getroffen wird, wenn die Beteiligten mit dieser Verfahrensweise einverstanden sind. Das Verfahren kann dadurch nicht unerheblich beschleunigt werden“.

Der Berichterstatter, der das Einverständnis der Beteiligten besitzt, allein zu entscheiden,  hat ein freies (uneingeschränktes) Wahlrecht, ob er wirklich allein oder zusammen mit den Senatskollegen entscheidet (in der Tendenz ähnlich, sich aber nicht festlegend: BFH-Beschluss vom 9.7.2003 IX B 34/03, BFHE 202, S. 408, BStBl. II 2003, S. 858, 859). Mit anderen Worten: Der konsentierte Einzelrichter ist nicht verpflichtet, allein zu entscheiden, aber berechtigt, es zu tun ohne sich dafür rechtfertigen zu müssen. Die eventuelle Mit-Entscheidungskompetenz der übrigen Senatsmitglieder hängt allein vom freien (uneingeschränkten) Willen des konsentierten Einzelrichters ab. Nur so wird dem gesetzlichen Beschleunigungs- und Entlastungszweck des § 79a Abs. 3, 4 FGO entsprochen, hingegen würde eine vorgelagerte Ermessensentscheidung, womöglich mit ausführlicher schriftlicher Begründung, zu einer – vom Gesetzgeber nicht gewollten – Verfahrensverzögerung führen.

Die Abweichung vom Kollegialprinzip ist unbedenklich, weil die Beteiligten es in der Hand haben (anders beim Einzelrichter durch Senatsbeschluss nach § 6 FGO), ob sie sich mit der Entscheidung des Einzelrichters statt des Senats benügen wollen, denn den Einverstandenen geschieht kein Unrecht (dazu Urteile des Niedersächsischen FG vom 31.3.2004 7 K 393/99, EFG 2005, S. 299 und vom 15.8.2003 4 K 365/01, EFG 2004, S. 746; vgl. auch Seer in Tipke/Kruse, Kommentar zur AO/FGO, Loseblatt, § 79a FGO Anm. 17, Stand 2009, mit dem Zusatz „volenti non fit iniuria“; Buciek, StuW 1999, S. 53, 56 f.; a.A. Thürmer in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur FGO, Loseblatt, § 79a Anm. 142 ff., Stand 2009).

Der konsentierte Einzelrichter wird so zum gesetzlichen Richter im Sinne des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG und des § 119 Nr. 1 FGO. Dagegen wird er nicht zum „Richter der Beteiligten“ (wie Loose, AO-StB 2009, S. 52, 55, kritisch anmerkt). Denn der konsentierte Einzelrichter wird nicht nur wegen des Einverständnisses der Beteiligten und der Bereitschaft des Berichterstatters, allein zu entscheiden, zum gesetzlichen Richter, sondern weil  § 79a Abs. 3, 4 FGO die rechtliche Grundlage dafür bietet (dies übersieht Loose, a.a.O.).

Zwar ist § 79a Abs. 3, 4 FGO eine Kann-Bestimmung. Daraus folgt jedoch nicht die zwingende Annahme einer Ermessensvorschrift. Denn mit dem „kann“ soll hier nach den Gesamtumständen lediglich ausgedrückt werden, dass der konsentierte Einzelrichter zur Entscheidung befugt ist – nicht mehr (zu einer ähnlichen Verständnis-Problematik der Kann-Bestimmung des § 367 AO, Befugnis zur Verböserung im Einspruchsverfahren: Seer in Tipke/Kruse, Kommentar zur AO/FGO, Loseblatt, § 367 AO Anm. 26, Stand 2011 – niemand erwartet vom Finanzamt eine Ermessensentscheidung beim Vorliegen der Voraussetzungen für eine Verböserung im Einspruchsverfahren, obwohl § 367 AO eine Kann-Bestimmung ist – vgl. BFH-Urteil vom 17.2.1998 IX R 45/96, BFH/NV 1998, S. 816, 817). Dazu wird in den Gesetzesmaterialien (Bundestags-Drucksache 12/1061 vom 14.8.1991, S. 16) ausgeführt:

„§ 79a … gibt dem Vorsitzenden oder Berichterstatter die Befugnis, in bestimmten Fällen allein zu entscheiden … Die Regelung ist ein wesentlicher Beitrag zur Straffung des Verfahrens und zur Entlastung des Senats des Finanzgerichts“.

Im Übrigen wäre eine Ermessensausübung des konsentierten Einzelrichters in Fällen eines eventuellen Kompetenzkonflikts, gemeint sind Meinungsverschiedenheiten in einfachgesetzlichen und verfassungsrechtlichen Grundsatzfragen zwischen dem konsentierten Einzelrichter und der Senatsmehrheit, praktisch nicht durchführbar. Denn um einen Kompetenzkonflikt zwischen dem konsentierten Einzelrichter und der Senatsmehrheit feststellen zu können, müsste sich nicht nur der konsentierte Einzelrichter, sondern auch der gesamte Senat (mit allen zuständigen Berufs- und ehrenamtlichen Richtern – dazu § 5 Abs. 3 FGO) in einem Schattenprozess, dessen Regeln noch festzulegen wären, mit der Rechtssache (einschließlich der grundsätzlichen Fragen) befassen, was dem Beschleunigungs- und Entlastungszweck des § 79a Abs. 3, 4 FGO zuwiderliefe (vgl. Bundestags-Drucksache 12/1061 vom 14.8.1991, S. 16, 17, 31).

2. Weil § 79a Abs. 3, 4 FGO – wie ausgeführt – keine Ermessensausübung des konsentierten Einzelrichters verlangt, kann es auch keinen „Ermessensmissbrauch“ darstellen, wenn der Berichterstatter auf der gesetzlichen Grundlage des § 79a Abs. 3, 4 FGO und im schriftlich erklärten Einverständnis mit den Prozessparteien als Einzelrichter (ähnlich wie ein einzelner Amtsrichter) die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts darüber einholt, ob die von ihm als verfassungswidrig erachtete Vorschrift mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Die von der eingangs zitierten Senatsrechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts abweichende Auffassung einer Kammer des Bundesverfassungsgerichts (bestehend aus den ehemaligen Verfassungsrichtern Papier, Haas und Steiner – vgl. Beschlüsse vom 5.5.1998 1 BvL 23/97 und 1 BvL 24/97, NJW 1999, S. 274; ähnlich ab vom Weg: Pahlke, DB 1997, 2454; offenlassend BVerfG-Beschluss vom 5.6.1998 2 BvL 2/97, BVerfGE 98, S. 145, 152 f.) ist unverbindlich im Sinne des § 31 Abs. 1 BVerfGG, hätte wegen der Abweichung von der eingangs zitierten Senatsrechtsprechung nicht ergehen dürfen (vgl. § 16 Abs. 1 BVerfGG – dazu Balke, Stbg. 1998, S. 496, 497 f. sowie ders., BB 1998, S. 779) und steht zudem – auch wegen weiterer Gründe – mit Recht massiv in der Kritik.

So bemängelt Clausnitzer (vgl. NWB Nr. 34 vom 17.8.1998, S. 2679, 2681 f.), dass eine Kammer des Bundesverfassungsgerichts sich selbst auf Kosten der Fachgerichtsbarkeit entlasten möchte. Die Kritik führt weiter an: Der vom Gesetzgeber mit § 79a FGO verfolgte Entlastungszweck werde durch die Kammerrechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts partiell unterlaufen; auch der Hinweis auf die gesetzgeberische Grundentscheidung zugunsten der Kollegialgerichtsbarkeit gehe ins Leere, wenn eben dieser Gesetzgeber die Kollegialgerichte von der seit Jahren beklagten Überlastung befreien wollte; zudem sei der verfassungsrechtliche Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsgerichtsbarkeit durch die umfassende Begründung eines richterlichen Vorlagebeschlusses gerade beachtet worden – offenbar traue ein Teil des Bundesverfassungsgerichts den deutschen Finanzrichtern als Einzelrichtern – anders als einzelnen Amtsrichtern – nicht zu, eine Aussetzungs- und Vorlageentscheidung hinreichend sorgfältig überdenken und abwägen zu können; im Übrigen beinhalte der Hinweis für den Kläger des Ausgangsverfahrens, nach angeblich unzulässiger Richtervorlage verbleibe die Möglichkeit, nach Erschöpfung des Rechtswegs Verfassungsbeschwerde zu erheben, eine „effektive Rechtsschutzverkürzung“ (so ausdrücklich Clausnitzer, NWB Nr. 34 vom 17.8.1998, S. 2679, 2681 f.). Auch Seer in Tipke/Lang (Steuerrecht, 20. Auflage 2010, S. 1086, 1140) kritisiert, dass ein Teil des Bundesverfassungsgerichts generell Normenkontrollvorlagen von konsentierten Einzelrichtern der Finanzgerichtsbarkeit für unzulässig hält; es gehe zumindest in den Fällen (wie hier) zu weit, in denen keine Anhaltspunkte für einen Kompetenzkonflikt zwischen Einzelrichter und Finanzgerichtssenat ersichtlich seien. An anderer Stelle kritisiert Seer in Tipke/Lang (Steuerrecht, 19. Auflage 2008, S. 1036):

„Es drängt sich der Eindruck auf, als habe das Bundesverfassungsgericht in den beiden zu entscheidenen Richtervorlagen nach irgend einem Unzulässigkeitsgrund gesucht, um sich zu den brisanten materiell-rechtlichen Vorlagefragen sachlich nicht äußern zu müssen“.

In einem ähnlichen Zusammenhang stellt Tipke (FR 1999, S. 532, 534; vgl. auch ders., Die Steuerrechtsordnung, Band II, 2. Auflage 2003, S. 1151 ff.) fest:

„Wer in Festreden lebhaft die inferiore Rechtsqualität des Steuerrechts und die Indolenz des Gesetzgebers beklagt, aber als Verfassungsrichter unzulässige Art. 100 GG-Vorlagen produziert, wer die Überlastung der Steuergesetze mit Lenkungsnormen kritisiert, aber in Verfassungsgerichtsentscheidungen hineinschreibt, daß der Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers diesen dazu berechtige, ‚sich bei seinen Regelungen auch von finanzpolitischen, volkswirtschaftlichen oder sozialpolitischen Erwägungen leiten zu lassen‘ (ohne abzuwägen und Grenzen aufzuzeigen), gerät leicht in Verdacht, sich schizophren zu verhalten“.

3. Zusammengefasst wird zu Recht wie folgt formuliert:

„Mangels Beschränkung der Entscheidungsbefugnis des konsentierten Einzelrichters ist der Einzelrichter als ‚Gericht‘ nicht nur befugt, Sachen von grundsätzlicher Bedeutung zu entscheiden, sondern auch nach Art. 100 GG befugt, das Verfahren auszusetzen und die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts darüber einzuholen, ob die von ihm für verfassungswidrig erachteten Vorschriften mit dem Grundgesetz vereinbar sind“

(so Koch in Gräber, Kommentar zur FGO, 7. Auflage 2010, § 79a Anm. 30 mit weiteren Nachweisen). Nach alledem darf, wie durch diesen Aussetzungs- und Vorlagebeschluss geschehen, auch der konsentierte Einzelrichter der Finanzgerichtsbarkeit als von den beteiligten Prozessparteien – auf der Grundlage des § 79a Abs. 3, 4 FGO – mitbestimmter gesetzlicher Richter, wie jeder andere gesetzliche Richter (etwa Amtsrichter) auch, ein Zwischenverfahren zur Klärung verfassungsrechtlicher Fragen, deren Entscheidung allein dem Bundesverfassungsgericht vorbehalten ist, einleiten.

Rechtsmittelbelehrung

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde angefochten werden (§ 128 Abs. 2 FGO; vgl. auch Ruban in Gräber, Kommentar zur FGO, 7. Auflage 2010, § 128 Anm. 13).

Überschusserzielungsabsicht bei der Vermietung einer Ferienwohnung trotz geringfügiger Selbstnutzung

Das Niedersächsische Finanzgericht (NFG) hat mit Urteil vom 07.03.2012 (Az.: 9 K 180/09) einer Klage wegen der steuerlichen Anerkennung von mehrjährigen Verlusten aus der privaten Vermietung einer Ferienwohnung stattgegeben und dabei – entgegen der Rechtsprechung des BFH – die Überschusserzielungsabsicht trotz geringfügiger Selbstnutzung unterstellt.

Hintergrund: Die Kläger sind Eigentümer einer 1997 erworbenen Ferienwohnung, die sie über eine Vermittlungsgesellschaft in den Streitjahren 1997 bis 2006 – abgesehen von einer jährlichen dreiwöchigen, im Vermittlungsvertrag vorbehaltenen Selbstnutzung – fremdvermieteten. Das beklagte Finanzamt (FA) hatte zunächst in den Jahren 1997 bis 2005 die erklärten Verluste aus der Vermietung der Ferienwohnung vorläufig nach § 165 der Abgabenordnung (AO) anerkannt. Nachdem in diesem Zeitraum nur Verluste in erheblicher Höhe erklärt wurden, überprüfte das FA die Überschusserzielungsabsicht anhand einer Prognoseberechnung über einen Zeitraum von 30 Jahren. Weil die Prognoseermittlung einen Totalverlust ergab, erkannte das FA in allen Streitjahren die Verluste mangels Überschusserzielungsabsicht rückwirkend nicht mehr an. Die Überprüfung der Überschusserzielungsabsicht, die grundsätzlich bei ausschließlicher Vermietung an fremde Dritte entbehrlich ist, hielt das FA dabei auch bei nur geringfügiger Selbstnutzung für geboten.

Dieser Rechtsauffassung, die auf der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) basiert, ist der 9. Senat des Niedersächsischen FG entgegengetreten. Nach Auffassung des NFG besteht jedenfalls dann kein Anlass, an der Überschusserzielungsabsicht eines Wohnungsvermieters zu zweifeln, der seine Ferienwohnung an zwei oder drei Wochen im Jahr selbst nutzt, sich dies nur vorbehält oder die Selbstnutzung auf übliche Leerstandszeiten beschränkt, wenn die tatsächlichen Vermietungstage die ortsüblichen Vermietungstage – wie dies im Streitfall festgestellt werden konnte – erreichen oder sogar übertreffen. Nur auf diese Weise könne eine Gleichbehandlung zwischen den Fällen der Vermietung über einen Vermittler mit den Fällen der Vermietung in Eigenregie erreicht werden (vgl. hierzu bereits FG Köln, Urteil vom 30.06.2011, 10 K 4965/07, EFG 2011, 1882, Rev. eingelegt, Az. des BFH: IX R 26/11).

Der temporären Überlagerung der unterstellten Überschusserzielungsabsicht durch die vorbehaltene, steuerlich unbeachtliche Selbstnutzung trug das Gericht insoweit Rechnung, als die Gesamtaufwendungen der Kläger zeitanteilig im Verhältnis der vorbehaltenen Selbstnutzungstage zu den Gesamttagen des jeweiligen Streitjahres gekürzt wurden.

Das NFG hat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache und Abweichung von der BFH-Rechtsprechung zugelassen. Das Revisionsverfahren ist beim BFH unter dem Az. IX R 22/12 anhängig.

Die Entscheidung finden Sie auf den Seiten des Landesjustizportals Niedersachsen – Rechtsprechung – unter Eingabe des Aktenzeichens.

 

Unterstellung der Überschusserzielungsabsicht auch bei nur geringfügiger Selbstnutzung einer ansonsten fremdvermieteten Ferienwohnung

Erzielt ein Steuerpflichtiger durch die Fremdvermietung einer einzelnen Ferienwohnung Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung, ist die Überschusserzielungsabsicht auch dann zu unterstellen, wenn die Wohnung in geringem Umfang selbst genutzt wird, die jährlichen tatsächlichen Vermietungstage aber regelmäßig die Grenze von 75% der ortsüblichen Vermietungstage überschreiten (entgegen BFH-Rechtsprechung).

Niedersächsisches Finanzgericht 9. Senat, Urteil vom 07.03.2012, 9 K 180/09

§ 15 Abs 1 S 1 EStG 1997, § 21 Abs 1 S 1 Nr 1 EStG 1997, § 2 Abs 1 S 1 Nr 6 EStG 1997

Tatbestand

1
Streitig ist die Berücksichtigung von Verlusten aus der Vermietung einer Ferienwohnung in den Streitjahren 1997 – 2006.
2
Die Kläger sind Eheleute und werden in den Streitjahren gemeinsam zur Einkommensteuer veranlagt. Sie erwarben mit Vertrag vom 27. November 1997 eine Ferienwohnung an der Ostsee in F. Die Wohnung befindet sich in einem Wohnkomplex mit mehreren weiteren Ferienwohnungen. Nach umfangreichen Sanierungs- und Modernisierungsarbeiten wurde die Wohnung im Dezember 1998 bezugsfertig. Die erstmalige Vermietung erfolgte im Jahr 1999.
3
Die Vermietung der Ferienwohnung erfolgte zunächst durch die von den Klägern beauftragte L Immobilien GmbH (im Folgenden: L). In dem vorgelegen Vermietungsauftrag vom 22. April 1998 wurde die Vermietung zwischen der L und den Klägern wie folgt geregelt:
4
1. Die L übernimmt die ausschließliche Vermietung.
5
2. Die Kläger übergeben die Wohnung voll möbliert (einschließlich Geschirr und Bettwäsche) gem. Inventarliste an die L.
6
3. Die L betreibt selbstständig Werbung.
7
4. Die L nimmt die jeweilige Reinigung auf Kosten des Mieters vor.
8
5. Die L übergibt die Wohnung an den jeweiligen Mieter und übernimmt sie nach Ablauf der Mietzeit.
9
6. Die L veranlasst die Begleichung der Kurtaxe durch den Mieter.
10
7. Den Klägern bleibt eine Eigennutzung von max. 21 Tagen vorbehalten.
11
Um ergänzende Leistungen wie z.B. Wäscheverleih, Fahrradverleih oder Frühstücksbüffet sollte die L bei Nachfrage bemüht sein.
12
Nach Differenzen mit den Eigentümern des Ferienwohnungskomplexes trat die Fa. U Hotel und Freizeit GmbH & Co. mit Wirkung vom 1. Februar 2002 in den Vertrag der L ein und übernahm seither die Vermittlung auch der Ferienwohnung der Kläger.
13
Zur Frage der Selbstnutzung ist im § 5 des Vermittlungsvertrags vom 1. Juli/16. Juli 2001 Folgendes geregelt:
14
„(1) Die Eigennutzung ist auf den Vermieter und seine Familienangehörigen beschränkt. Jede entgeltliche oder unentgeltliche Überlassung an Dritte während der vereinbarten Eigennutzungszeit ist strikt untersagt. Bei einer Zuwiderhandlung schuldet der Vermieter dem Vermittler die entgangene Provision, die auf der Basis der Brutto-Logis berechnet wird.
15
(2) Eine Nutzung der Ferienwohnung für den Vermieter wird auf 21 Tage im Kalenderjahr begrenzt, soweit Vermieter und Vermittler nicht die Eigennutzung ausdrücklich durch Zusatzvereinbarung anders regeln. Soll die Ferienwohnung vom Vermieter 7 oder mehr Tage zusammenhängend genutzt werden, so ist dies am jeweiligen Jahresende für das nächste Jahr bekannt zu geben. Der Vermieter wird Eigennutzungswünsche ansonsten spätestens 4 Wochen vor beabsichtigtem Nutzungsbeginn bekanntgeben.
16
(3) Bei eventuellen Überschneidungen mit bereits erfolgten Buchungen hat der Mieter Vorrang.
17
(4) Für die Zeit der Eigennutzung außerhalb der Hauptsaison im Sinne der Anlage 2a bzw. 2b schuldet der Vermieter dem Vermittler keine Provision. Der Vermieter ist jedoch verpflichtet, dem Vermittler für die Zeit der Eigennutzung in der Hauptsaison (Anlage 2a bzw. 2b) die bei Fremdnutzung geschuldete Provision zu zahlen. In jedem Fall sind vom Vermieter aber die Kosten für die Endreinigung zu zahlen.“
18
Die Kläger nutzten die zur Selbstnutzung vorbehaltenen 21 Tage in der Regel vollständig aus. Aus den vorgelegten Unterlagen ist ersichtlich, dass jährlich 3 bis 4 Aufenthalte stattgefunden haben, und zwar in der Regel in den Zeiträumen April/Mai, Mai/Juni, Juli/August und Oktober. Nach den Angaben der Kläger erfolgte die Eigennutzung nur zu Erholungszwecken. Um notwendige Reparaturen kümmerte sich ausschließlich der Vermittler. Die insoweit entstandenen Kosten wurden den Klägern in Rechnung gestellt.
19
In den Streitjahren erzielten die Kläger folgende Einkünfte der Vermietung ihrer Ferienwohnung:
20
1997: ./. 39.218 DM (Einkünfte aus Gewerbebetrieb)
21
1998: ./. 40.325 DM (Einkünfte aus Gewerbebetrieb)
22
1999: ./. 18.286 DM (Einkünfte aus Gewerbebetrieb; Ausgaben: 42.327 DM)
23
2000: ./. 24.408 DM (Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung; Ausgaben: 34.000 DM)
24
2001: ./. 21.740 DM (Einkünfte aus Gewerbebetrieb; Ausgaben: 30.399 DM)
25
2002: ./. 11.942 € (Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung; Ausgaben: 16.574 €)
26
2003: ./. 8.723 € (Einkünfte aus Gewerbebetrieb; Ausgaben: 16.401 €)
27
2004: ./. 11.009 € (Einkünfte aus Gewerbebetrieb; Ausgaben: 17.474 €)
28
2005: ./. 10.853 € (Einkünfte aus Gewerbebetrieb; Ausgaben: 17.014 €)
29
2006: ./. 8.365 € (Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung; Ausgaben: 15.807 €)
30
Aus den noch vorhandenen Unterlagen der Kläger ließen sich für folgende Streitjahre die Vermietungszeiten der Ferienwohnung (ohne Selbstnutzung) ermitteln:
31
2000: 101 Tage
32
2003: 141 Tage
33
2004: 113 Tage
34
2005: 105 Tage
35
2006: 121 Tage
36
Für die nicht streitigen Folgejahre ergaben sich folgende Vermietungszeiten:
37
2007: 106 Tage
38
2008: 130 Tage
39
2009: 125 Tage
40
2010: 154 Tage
41
2011: 142 Tage
42
Über alle Kalenderjahre ergibt sich danach ein Durchschnittswert von 123,8 Tagen; unter der Regie des neuen Vermittlers ab 2002 ergibt sich ein Durchschnittswert von 126,3 Vermietungstagen pro Jahr.
43
Nach Auskunft der Stadt Ostseebad F (Schreiben vom 15. Juni 2007) beträgt die durchschnittliche Auslastung von Ferienwohnungen in Strandnähe ca. 150 Tage im Jahr. Für die konkrete Ferienwohnung der Kläger, die nicht in Strandnähe liegt, sei „bei einer Auslastung von 135 Tagen im Jahr von einer sehr guten Auslastung auszugehen“.
44
Abgesehen von wenigen Ausnahmen, die sich vornehmlich auf die ersten Vermietungsjahre (Vermittler L) beschränken, betrug die Anzahl der zusammenhängenden Vermietungstage regelmäßig über 3 Tage, in den Hauptsaisonzeiten und insbesondere in den Jahren ab 2003 zwischen 7 und 14 Tagen.
45
Bei der Berechnung der Einkünfte kürzten die Kläger ab dem Streitjahr 2005 die Aufwendungen im Verhältnis der tatsächlichen Selbstnutzungstage zu den Gesamttagen des jeweiligen Jahres wie folgt:
46
2005: 15/365
47
2006: 21/365
48
Bis zum Streitjahr 2006 machten die Kläger insgesamt Verluste aus der Vermietung der Ferienwohnung i.H.v. 124.506 € geltend. Die Veranlagungen der Jahre 1997 – 2005 erfolgten hinsichtlich der Einkünfte aus Gewerbebetrieb/Vermietung und Verpachtung gemäß § 165 der Abgabenordnung (AO) vorläufig mit dem Vermerk, dass die Gewinnerzielungsabsicht bzw. die Einkünfteerzielungsabsicht nicht abschließend beurteilt werden könne. Die jeweiligen Erstbescheide mit den entsprechenden Vorläufigkeitsvermerken wurden von den Klägern nicht angefochten und sind bestandskräftig.
49
Mit dem Einkommensteuerbescheid 2004 vom 14. November 2005 wurden die Kläger aufgefordert, eine Prognoseberechnung für die Ferienwohnung zu erstellen. Mit Schreiben vom 8. Mai 2006 reichten die Kläger die Einkommensteuererklärung 2005 ein und wandten sich erstmals gegen die Einstufung der Vermietungseinkünfte als solche aus Gewerbebetrieb. Sie vertraten die Auffassung, die Einkünfte seien als solche aus Vermietung und Verpachtung anzuerkennen. Eine weitere Begründung und auch die angeforderte Prognoseberechnung reichten die Kläger zunächst nicht ein.
50
Der Beklagte führte daraufhin die Veranlagung 2005 unter dem Vorbehalt der Nachprüfung (§ 164 AO) durch. Er übersandte den Klägern mit dem nachfolgenden Einkommensteuerbescheid einen Fragebogen zur Qualifizierung der Einkünfte und forderte die Kläger nochmals auf, eine Prognoseberechnung einzureichen. Anhand des ausgefüllten Fragebogens und der am 23. Mai 2008 durch die Kläger eingereichten Prognose entschied der Beklagte, dass es sich bei der Vermietung der Ferienwohnung um steuerlich nicht berücksichtigungsfähige Verluste handele. Der Beklagte gelangte im Rahmen der Überprüfung zu dem Ergebnis, dass die Einkünfte aus der Vermietung der Ferienwohnung als solche aus § 21 EStG (Vermietung und Verpachtung) zu qualifizieren seien. Abweichend von der Prognoseberechnung der Kläger ermittelte der Beklagte einen Totalverlust i.H.v. 75.681 €, hilfsweise einen Totalverlust nach § 15 EStG (Einkünfte aus Gewerbebetrieb) i.H.v. 22.308 €. Da nach Auffassung des Beklagten keine Gewinnerzielungsabsicht/bzw. Einkünfteerzielungsabsicht gegeben war, änderte der Beklagte die Einkommensteuerbescheide für die Jahre 1997 – 2005 entsprechend. Der in der Einkommensteuererklärung 2006 geltend gemachte Verlust aus Vermietung und Verpachtung wurde nicht berücksichtigt.
51
Gegen die nach § 165 Abs. 2 AO geänderten Einkommensteuerbescheide für die Jahre 1997 – 2005 und den erstmaligen Einkommensteuerbescheid 2006 legten die Kläger jeweils Einspruch ein. Im Einspruchsverfahren vertraten die Kläger zunächst die Auffassung, dass die Vermietungseinkünfte als solche aus Gewerbebetrieb zu qualifizieren seien. Bei der Prognoseberechnung sei deshalb ein Veräußerungsgewinn von 135.000 € zu berücksichtigen. Im Übrigen sei keine Überprüfung des Totalgewinns vorzunehmen, wenn wie im Streitfall die Wohnung nur in einem geringen Maße selbst genutzt worden sei. Die Ermittlung des Totalgewinns sei darüber hinaus in Bezug auf die Zinsaufwendungen zu korrigieren, da neue Darlehensverträge abgeschlossen worden seien. Die Änderungen der Steuerbescheide für die Jahre 1997 – 2002 seien im Übrigen unzulässig, da die Festsetzungsfrist hierfür bereits abgelaufen sei. So habe sich die Ungewissheit, die vorliegen müsse, in keiner Weise seit Kauf der Wohnung bis heute verändert.
52
Im Einspruchsverfahren verblieb der Beklagte bei der Qualifizierung der Vermietungseinkünfte als solche aus Vermietung und Verpachtung und erstellte insoweit eine angepasste Prognose zur Ermittlung des Totalüberschusses:
53
Jahresbetrag Durchschnitt der letzten 4 Jahre Verbleibende Jahre des Prognosezeitraums 2007 bis 2026 /
20 Jahre
Zwischensumme Endsumme
Einnahmen lt. Stellungnahme Berater 6.091,00 EUR 121.820,00 EUR
+ Sicherheitszuschlag 10 % 12.182,00 EUR
Summe der Einnahmen 134.002,00 EUR 134.002,00 EUR
Zinsen 23.053,00 EUR
Sonstige Werbungskosten 4.876,00 EUR 97.520,00 EUR
Instandhaltungskosten 259,00 EUR 5.180,00 EUR
Ersatzbeschaffung für Einrichtung 15.000,00 EUR
Werbungskosten / ohne AfA gesamt 140.753,00 EUR
– Sicherheitsabschlag 10 % – 14.075,00 EUR
Gebäude AfA 1.590,94 EUR 31.819,00 EUR
Stellplatz AfA / Restbuchwert 1.296,00 EUR
Summe der gesamten Werbungskosten 159.793,00 EUR
 
 
54
Summe der Einnahmen für die verbleibenden Jahre des Prognosezeitraums 134.002,00 EUR
Summe der Werbungskosten für die verbleibenden Jahre des Prognosezeitraums – 159.793,00 EUR
Zuzüglich Ergebnisse der bisherigen Veranlagungen (VZ 1996 bis VZ 2006) – 70.964,00 EUR
Totalüberschuss/Verlust – 96.755,00 EUR
 
55
Des Weiteren vertrat das beklagte Finanzamt die Auffassung, dass den vorgenommenen Änderungen die Festsetzungsverjährungsfrist nicht entgegenstehe. Die Vorläufigkeitsvermerke seien insoweit rechtmäßig, denn ob die den Verlusten zugrunde liegende Tätigkeit mit Einkünfteerzielungsabsicht ausgeübt worden sei, sei zum Zeitpunkt der Veranlagungen jeweils ungewiss gewesen.
56
In ihrer Stellungnahme vom 25. November 2008 entgegneten die Kläger, dass die Vermietung zumindest bis zur Übernahme der Vermittlungstätigkeit durch die Fa. U Hotel und Freizeit GmbH & Co. erst mit Wirkung vom 1. Februar 2002 den Einkünften aus Gewerbebetrieb zuzuordnen gewesen sei. Insoweit verweisen die Kläger auf den Vermietungsauftrag vom 22. April 1998 gegenüber der L.
57
Gleichwohl hatten die Einsprüche keinen Erfolg.
58
Mit der vorliegenden Klage verfolgen die Kläger ihr Begehren aus den Einspruchsverfahren weiter. Zur Begründung verweisen sie zunächst auf ihr Vorbringen im Einspruchsverfahren. Des Weiteren wird die Klage wie folgt begründet: Wegen der nur eingeschränkten Eigennutzung sei eine Totalprognose nicht anzustellen. Die Voraussetzungen für eine Änderung der Einkommensteuerbescheide 1997 – 2005 lägen nicht vor. Da dem Beklagten bereits nach Einreichung der Steuererklärung für das Kalenderjahr 1996 alle wesentlichen Tatsachen zur Ermittlung des Totalgewinnes bekannt gewesen seien und problemlos eine Ermittlung des Totalgewinns im Rahmen der Amtsermittlungspflicht möglich gewesen sei, sei die Änderung der Steuerbescheide nach § 165 AO rechtswidrig. Die Vermietung der Ferienwohnung sei steuerlich als Gewerbebetrieb einzuordnen. Die Wohnung werde vom Vermittler U auch hotelmäßig beworben. Insoweit seien der angebotene Wäscheservice und die Möglichkeit der täglichen Reinigung der Wohnung von Bedeutung. Bezüglich der einzelnen vom Vermittler angebotenen Zusatzleistungen verweisen die Kläger auf das vorgelegte Schreiben des Vermittlers U vom 23. November 2011. Im Übrigen ergebe sich entgegen der Berechnung des Beklagten – gerechnet ab dem Jahr 2002 – auf 30 Jahre gesehen ein Totalüberschuss. Die ersten 5 Jahre seien als Anlaufverluste zu berücksichtigen. Bei der Totalprognose sei zu berücksichtigen, dass wegen der beabsichtigten Darlehensablösung in 2014 ab diesem Zeitpunkt keine Schuldzinsen mehr anfielen. Daneben sei wegen eines Baustopps für weitere Ferienwohnungen mit einer erheblichen Steigerung der Mieteinnahmen zu rechnen. Auf  Basis der in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Berechnung ergebe sich danach ab 2002 ein jährlicher durchschnittlicher Überschuss von 403,43 €.
59
Bezüglich des weiteren Vorbringens wird insoweit auf die Schriftsätze der Kläger vom 1. August 2009 bzw. 2. März 2012 Bezug genommen.
60
Die Kläger beantragen,
61
die geänderten Einkommensteuerbescheide 1997 – 2005 und die entsprechenden Einspruchsentscheidungen vom 29. April 2009 aufzuheben und den Einkommensteuerbescheid 2006 vom 7. August 2008 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 29. April 2009 dergestalt zu ändern, dass der erklärte Verlust aus der Ferienwohnung steuermindernd berücksichtigt und die Einkommensteuer 2006 entsprechend herabgesetzt wird.
62
Der Beklagte beantragt,
63
die Klage abzuweisen.
64
Zur Begründung trägt der Beklagte im Wesentlichen Folgendes vor: Da die Ablaufhemmung des § 171 Abs. 8 AO wirksam bis mindestens 23. Mai 2009 (ein Jahr nach Einreichen der Totalprognose am 23. Mai 2008) bestanden habe, weil die Einkommensteuern zuvor nach § 165 Abs. 1 Satz 1 AO vorläufig festgesetzt gewesen seien, habe der Beklagte mit Änderungsbescheiden die Steuer für endgültig erklären und die Wirkungsdauer der vorläufigen Bescheide beenden können. Der Beklagte habe somit am 7. August 2008 die nach § 165 AO geänderten Einkommensteuerbescheide für die Jahre 1997 – 2002 zu Recht innerhalb der Festsetzungsfrist erlassen. Die gegen die Totalprognose des Beklagten vorgebrachten Einwendungen seien nicht durchgreifend. Dabei sei von Einkünften aus Vermietung und Verpachtung auszugehen. Nach Art und Umfang des vorgelegten Vermietungsauftrags mit der L könne nicht festgestellt werden, dass die Werbung für die kurzfristige Vermietung der Wohnung an laufend wechselnde Mieter und die Verwaltung der Wohnung von einer für die einheitliche Wohnanlage bestehende Feriendienstorganisation durchgeführt worden sei und nach Art der Rezeption eines Hotels laufend Personal anwesend gewesen sei. Eine Unternehmensorganisation, wie sie auch in fremden Pensionen vorkomme, sei nicht dargelegt worden mit der Folge, dass die Vermietungseinkünfte aus der Ferienwohnung als solche nach § 21 EStG zu beurteilen seien. Die Totalüberschussprognose sei auch bei nur geringer Eigennutzung vorzunehmen. Aufgrund der vorgenommenen Ermittlung der Einnahmen und Werbungskosten für die verbleibenden Jahre des Prognosezeitraums ergebe sich insgesamt ein Totalverlust von ./. 96.755 €. Bezüglich des weiteren Vorbringens wird auf den Einspruchsbescheid vom 29. April 2009 Bezug genommen.
 

Entscheidungsgründe

65
1. Die Klage ist überwiegend begründet.
66
Die in den Streitjahren von den Klägern erklärten Verluste aus der Vermietung der in F belegenen Ferienwohnung sind – soweit die geltend gemachten Aufwendungen nicht auf die Zeit der vorbehaltenen Selbstnutzung entfallen – als Verluste aus Vermietung und Verpachtung (§ 21 EStG) steuermindernd zu berücksichtigen. Der Beklagte hat zu Unrecht eine Überschussprognose von den Klägern für ihre Ferienwohnungsvermietung angefordert und die Verluste aus diesem Objekt dementsprechend zu Unrecht unberücksichtigt gelassen.
67
a. Bei der Ermittlung des Einkommens für die Einkommensteuer sind nur solche positiven oder negativen Einkünfte anzusetzen, die unter die Einkünfte des § 2 Abs. 1 Nr. 1 bis 7 EStG fallen. Kennzeichnend für diese Einkunftsarten ist, dass die ihnen zugrunde liegenden Tätigkeiten oder Vermögensnutzungen der Erzielung positiver Einkünfte dienen (BFH-Urteil vom 6. November 2001 – IX R 97/00, BFH/NV 2002, 413 unter Bezugnahme auf BFH-Beschluss vom 25. Juni 1984 – GrS 4/82, BFHE 141, 405, 435, BStBl II 1984, 751, 766 f., unter C. IV. 3.).
68
b. Zutreffend geht der Beklagte zunächst davon aus, dass die Kläger aus der Vermietung ihrer Ferienwohnung Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung (§ 21 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG) und nicht solche aus Gewerbebetrieb (§ 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG) erzielen und die Prüfung der Einkünfteerzielungsabsicht danach ausgehend von den Besonderheiten dieser Einkunftsart zu erfolgen hat (vgl. BFH-Urteil vom 13. Juni 2005  – VIII B 67, 68/04, BFH/NV 2005, 2181).
69
Bei der Vermietung einzelner Ferienwohnungen kann ein Gewerbebetrieb nur angenommen werden, wenn vom Vermieter bestimmte, ins Gewicht fallende, bei der Vermietung von Räumen nicht übliche Sonderleistungen erbracht werden oder wenn wegen eines besonders häufigen Wechsels der Mieter eine gewisse – einem gewerblichen Beherbergungsbetrieb (Fremdenpension, Hotel) vergleichbare – unternehmerische Organisation erforderlich ist (BFH-Urteile vom 15. Februar 2005 – IX R 53/03, BFH/NV 2005, 1059 und vom 14. Januar 2004 – X R 7/02, BFH/NV 2004, 945).
70
Das hotelmäßige Angebot erfordert dabei, dass die Wohnungen auch ohne Voranmeldungen jederzeit zur Vermietung bereitgehalten werden und sich in einem Zustand befinden, der die sofortige Vermietung zulässt (vgl. hierzu BFH-Beschluss vom 17. März 2009  – IV B 52/08, BFH/NV 2009, 1114 für eine in einer Ferienparkanlage erworbene Ferienwohnung, die nach der zugrunde liegenden Vereinbarung von den Steuerpflichtigen entsprechend dem Standard der Anlage auszustatten war und die von einer GmbH beworben und im Namen der Steuerpflichtigen an laufend wechselnde Gäste vermietet wurde). Von einem hotelmäßigen Angebot in diesem Sinne kann insbesondere dann nicht ausgegangen werden, wenn die Vermietung in der Regel mindestens wochenweise erfolgt, und nur in wenigen zu vernachlässigenden Ausnahmefällen für einen Zeitraum zwischen 4 und 7 Tagen (vgl. FG Köln, Urteil vom 30. Juni 2011 – 10 K 4965/07, EFG 2011, 1882, Rev. eingelegt, Az. des BFH: IX R 26/11).
71
Maßgebend sind jeweils die besonderen Umstände des Einzelfalles. Die Zwischenschaltung eines gewerblichen Vermittlers führt nicht zwangsläufig dazu, dass deshalb auch der Vermieter eine gewerbliche Tätigkeit ausübt. Entscheidend ist vielmehr, inwieweit – in der Person des Vermieters – die Vermietung einer Ferienwohnung im Hinblick auf die Art des vermieteten Objekts und die Art der Vermietung einem gewerblichen Beherbergungsbetrieb vergleichbar ist. Daher können dem Vermieter nur solche Tätigkeiten zugerechnet werden, die der gewerbliche Vermittler für ihn erbringt; die Eigenschaft als Gewerbebetreibender ist dem Vermieter nicht zuzurechnen (BFH-Urteile vom 15. Februar 2005 – IX R 53/03, BFH/NV 2005, 1059 und vom 14. Januar 2004 – X R 7/02, BFH/NV 2004, 945).
72
Unter Berücksichtigung dieser Rechtsprechungsgrundsätze, denen der Senat folgt, kann vorliegend eine gewerbliche Tätigkeit nicht angenommen werden.
73
Gegen die Annahme gewerblicher Einkünfte spricht zunächst, dass die Vermietung einer einzelnen Wohnung nur ausnahmsweise die Grenzen privater Vermögensverwaltung überschreiten kann. Eine bloße Vermögensverwaltung durch den Wohnungseigentümer wird insbesondere dann vorliegen, wenn es um die Vermietung einer einzelnen Wohnung geht, diese auf einen gewerblichen Vermietungsvermittler übertragen wird und der Steuerpflichtige sich damit einer aktiven Tätigkeit in Bezug auf das Vermietungsobjekt vollständig begibt. In diesen Fällen kann eine gewerbliche Tätigkeit daher regelmäßig nur auf der Seite des gewerblichen Vermietungsvermittlers bejaht werden.
74
Entscheidend ist im Streitfall, dass entgegen der Annahme der Kläger die beauftragten Vermittler (L, U) keine ins Gewicht fallenden, bei der Vermietung von Räumen nicht üblichen Sonderleistungen erbracht und auch keine einem Hotelbetrieb ähnliche Organisation für einen ständigen Gästewechsel zur Verfügung gestellt haben. Der Wäscheservice und das Angebot einer Zwischenreinigung gehört nach der Überzeugung des Senats zu den Standardleistungen eines Vermittlers. Der Vermittler stellt auch weder Ansprechpartner an einer Rezeption zur (ständigen) Verfügung noch kümmert er sich um andere, in einem Hotel üblicherweise von den Gästen erwartete Zusatzleistungen wie Frühstück oder andere gastronomische Leistungen. Der Vermittler erbringt im Streitfall vielmehr ausschließlich übliche Vermittlungsleistungen. Hinzu kommt, dass jedenfalls in den Zeiträumen der Hauptsaison die Wohnung der Kläger überwiegend wochenweise vermietet wird. Zeiträume unter 3 Tagen bilden jedenfalls die zu vernachlässigende Ausnahme. Ein spezifisch hotelmäßiges Angebot der Wohnung vermag der Senat nicht zu erkennen. Einzig die Vermittler selbst sind vorliegend gewerblich tätig, was jedoch nicht auf die Kläger abfärbt.
75
c. Ausgehend von der Qualifizierung der Einkünfte aus solche aus Vermietung und Verpachtung ist im Streitfall die Überschusserzielungsabsicht trotz vorgehaltener Selbstnutzung von 21 Tagen im Kalenderjahr zu unterstellen.
76
aa. Das Erfordernis der Überschusserzielungsabsicht bedeutet für die Einkunftsart Vermietung und Verpachtung, dass Einkünfte gemäß § 21 Abs. 1 Nr. 1 EStG nur erzielt, wer ein Grundstück gegen Entgelt zur Nutzung überlässt und beabsichtigt, auf die Dauer der Vermögensnutzung einen Totalüberschuss der Einnahmen über die Werbungskosten zu erwirtschaften; nichtsteuerbare Veräußerungsgewinne bleiben dabei unberücksichtigt (BFH-Urteile vom 9. Juli 2002 – IX R 47/99, DStR 2002, 1612, vom 6. November 2001 – IX R 97/00, BFH/NV 2002, 413 und vom 30. September 1997 – IX R 80/94, BStBl. II 1998, 771). Dabei ist es ebenso möglich, dass die Überschusserzielungsabsicht erst nachträglich einsetzt, wie es denkbar ist, dass eine einmal vorhandene Überschusserzielungsabsicht nachträglich wieder wegfällt (BFH-Urteile vom 6. November 2001 – IX R 97/00, BFH/NV 2002, 413, vom 31. März 1987 – IX R 112/83, BStBl. II 1987, 774, m.w.N.).
77
bb. Die Absicht, einen Totalüberschuss zu erzielen kann als sog. innere Tatsache, wie alle sich in der Vorstellung von Menschen abspielenden Vorgänge, nur anhand äußerer Merkmale beurteilt werden. Aus objektiven Umständen muss auf das Vorliegen oder Fehlen der Absicht geschlossen werden. Entscheidend ist, ob die Vermietungstätigkeit bei objektiver Betrachtung einen Totalüberschuss erwarten lässt. Der besondere Regelungszweck des § 21 Abs. 1 Nr. 1 EStG gebietet es allerdings, bei einer auf Dauer angelegten Vermietungstätigkeit grundsätzlich davon auszugehen, dass die Steuerpflichtigen beabsichtigen, letztlich einen Einnahmeüberschuss zu erwirtschaften, selbst wenn sich über längere Zeiträume Werbungskostenüberschüsse ergeben (BFH-Urteil vom 6. November 2001 – IX R 97/00, BFH/NV 2002, 413).
78
(1) Die Eigenart der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung besteht darin, dass die Einkunftserzielung sich im Regelfall über längere Zeiträume erstreckt und häufig zunächst jahrelang Werbungskostenüberschüsse getragen werden müssen. Denn mit Immobilien ist – wenn Wertsteigerungen der Vermögenssubstanz außer Betracht bleiben – je nach Umfang der Fremdfinanzierung allenfalls erst nach sehr langen Zeiträumen eine Rendite zu erwirtschaften. Trotz zwischenzeitlicher Abschaffung reiner Subventionstatbestände, die mit Immobilien in Zusammenhang stehen, wird die Vermietung und Verpachtung von unbeweglichem Vermögen gemäß § 21 Abs. 1 Nr. 1 EStG weiterhin aus gesetzespolitischen Erwägungen ohne Einschränkung als Tatbestand der steuerbaren Erzielung von Einkünften erfasst. Der Subventionierungseffekt, der sich daraus ergibt, dass jedenfalls während des AfA- und des Schuldzinsen-Zeitraums im Regelfall Verluste entstehen, wird dabei hingenommen. Die Vorschrift des § 21 EStG beruht mithin auf der typisierenden, wenn auch häufig nicht zutreffenden Annahme, dass die langfristige Vermietung und Verpachtung trotz über längere Zeiträume anfallender Werbungskostenüberschüsse in der Regel letztlich zu positiven Einkünften führt (BFH-Urteil vom 30. September 1997 – IX R 80/94, BStBl. II 1998, 771; BFH-Beschluss vom 5. März 2007 – X B 146/05, BFH/NV 2007, 1125).
79
(2) Der Normzweck gebietet es deshalb, bei einer auf Dauer angelegten Vermietungstätigkeit grundsätzlich davon auszugehen, dass die Steuerpflichtigen – selbst bei Werbungskostenüberschüssen über lange Zeiträume – beabsichtigen, letztlich einen Einnahmeüberschuss zu erwirtschaften, so dass die Einkunftserzielungsabsicht gegeben ist. Eine Verneinung der Überschusserzielungsabsicht ist nach inzwischen ständiger Rechtsprechung des BFH nur dann denkbar, wenn nach der tatsächlichen Gestaltung des Sachverhaltes kein üblicher Fall der Dauervermietung vorliegt, z.B. weil sich die Steuerpflichtigen nicht zu einer langfristigen Vermietung entschlossen haben (BFH-Urteil vom 26. Oktober 2004 – IX R 57/02, BStBl. II 2005, 388).
80
(3) Diese Grundsätze gelten auch für Ferienwohnungen, wenn diese von den Steuerpflichtigen (in Eigenregie oder durch Beauftragung eines Dritten) ausschließlich an wechselnde Feriengäste vermietet und in der übrigen Zeit hierfür bereitgehalten werden, sodass im Allgemeinen ohne weitere Prüfung von der Überschusserzielungsabsicht des Steuerpflichtigen auszugehen ist (BFH-Urteile vom 6. November 2001 – IX R 97/00, BStBl. II 2002, 726, vom 26. Oktober 2004 – IX R 57/02,  BStBl. II 2005, 388).
81
(4) Das Vermieten einer Ferienwohnung ist einer auf Dauer angelegten Vermietung nach der Rechtsprechung des BFH (Urteil vom 26. Oktober 2004 – IX R 57/02, BStBl. II 2005, 388) allerdings nur dann vergleichbar, wenn die Ferienwohnung im ganzen Jahr (bis auf die üblicherweise vorkommenden Leerstandzeiten) an wechselnde Feriengäste vermietet wird. Nur so zeige sich auch in nachprüfbarer Weise, dass die Steuerpflichtigen die Ferienwohnung in geeigneter Form am Markt angeboten und alle in Betracht kommenden Interessenten berücksichtigt haben. Je mehr das Vermieten der Ferienwohnung die ortsüblichen Vermietungszeiten unterschreite, umso mehr gewinne deshalb die Frage nach den Gründen des Leerstandes an Bedeutung (in Betracht kommen z.B. einerseits Unbenutzbarkeit der Wohnung wegen Instandsetzungsarbeiten oder anderer Vermietungshindernisse; andererseits aber auch Leerstand wegen unzureichender Vermietungsbemühungen, z.B. als Ausdruck der Absicht, die Ferienwohnung letztlich nur als Vermögensanlage und/oder für eine zukünftige Selbstnutzung vorzuhalten). Dabei sind durch die Vermietung veranlasste kurzfristige Aufenthalte des Steuerpflichtigen in der Ferienwohnung anlässlich eines Mieterwechsels (z.B. zur Endreinigung, Schlüsselübergabe), aber auch zur Erhaltung der Mietsache (beispielsweise zur Beseitigung der durch den Gebrauch der Mietsache verursachten Schäden) keine Selbstnutzung. Unerheblich ist für die Beurteilung, ob der Steuerpflichtige die Ferienwohnung in Eigenregie vermietet oder mit der Vermietung einen Dritten beauftragt (BFH-Urteil vom 6. November 2001 – IX R 97/00, BFH/NV 2002, 413).
82
Daher ist bei einer (in Eigenregie oder durch Beauftragung eines Dritten) ausschließlich an wechselnde Feriengäste vermieteten und in der übrigen Zeit hierfür bereitgehaltenen Ferienwohnung die Einkünfteerzielungsabsicht der Steuerpflichtigen immer dann anhand einer überschlägigen Betrachtung der bisherigen Verlustsituation und einer auf einen Zeitraum von 30 Jahren angelegten Prognose nach den Grundsätzen des BFH-Urteils vom 6. November 2001  (IX R 97/00, BStBl. II 2002, 726; zum dreißigjährigen Prognosezeitraum vgl. ferner BFH-Beschluss vom 5. März 2007  – X B 146/05, BFH/NV 2007, 1125) zu überprüfen, wenn das Vermieten die ortsübliche Vermietungszeit von Ferienwohnungen erheblich unterschreitet, ohne dass Vermietungshindernisse gegeben sind. Aus Gründen der Praktikabilität und um den bei einer solchen Prüfung gegebenen Unsicherheiten Rechnung zu tragen, ist eine Prognoseberechnung vom Steuerpflichtigen zu fordern, wenn die ortsübliche Vermietungszeit um mindestens 25 % unterschritten wird. Ausgangspunkt für diese Berechnung ist die ortsübliche Vermietungsdauer für Ferienwohnungen an den jeweiligen Ferienorten (BFH-Urteil vom 26. Oktober 2004 – IX R 57/02, BStBl II 2005, 388). Außerdem ist eine Prognoseberechnung erforderlich, wenn ortsübliche Vermietungszeiten nicht festgestellt werden können (BFH-Urteil vom 19. Januar 2008  – IX R 39/07, BStBl II 2009, 138; BFH-Beschluss vom 14. Januar 2010  – IX B 146/09, BFH/NV 2010, 869).
83
(5) Der BFH hat sich zudem für eine Überprüfung der Überschusserzielungsabsicht ausgesprochen, wenn sich der Steuerpflichtige – auch in einer vorformulierten Vertragsbedingung – die Möglichkeit der Selbstnutzung vorbehalten hat, und zwar auch dann, wenn der Steuerpflichtige die Wohnung tatsächlich nicht zu eigenen Wohnzwecken nutzt. Denn bereits die sich aus der Rechtsstellung des Steuerpflichtigen ergebende Möglichkeit der Selbstnutzung führe zu der Notwendigkeit, die Überschusserzielungsabsicht durch eine Prognose zu überprüfen. Auch wenn es in späteren Veranlagungszeiträumen zur Selbstnutzung komme oder dieser nachträglich vorbehalten werde, entfalle ab diesem Zeitpunkt die Möglichkeit, ohne Prüfung von der Überschusserzielungsabsicht auszugehen (BFH-Beschluss vom 7. Juni 2002 – IX B 15/02, BFH/NV 2002, 1300 unter Bezugnahme auf das BFH-Urteil vom 6. November 2001 – IX R 97/00, BStBl. II 2002, 726; Urteil des Niedersächsischen FG vom 25. Februar 2010 – 11 K 100/08, EFG 2010, 1038).
84
cc. Der Senat hat zunächst Bedenken, ob es überhaupt grundsätzlich gerechtfertigt sein kann, die für die langfristige Vermietung einer Immobilie an fremde Dritte entwickelten Grundsätze zur Unterstellung der Überschusserzielungsabsicht (zuerst wohl BFH-Urteil vom 30. September 1997 – IX R 80/94, BStBl. II 1998, 771) auf die Vermietung einer einzelnen Ferienwohnung zu übertragen. Nach der Überzeugung des Senats ist jedenfalls die Vermietung z.B. eines fremdvermieteten Mehrfamilienhauses, bei der private Einflüsse wie die Selbstnutzung ausgeschlossen sind, nicht zu vergleichen mit der Vermietung einer Ferienwohnung, die üblicherweise in einem mehr oder weniger attraktiven Feriengebiet liegt, zumindest teilweise leersteht und daher auch für die Selbstnutzung zur Verfügung steht. Das private Veranlassungsmoment an der Vermietung einer Ferienwohnung lässt sich zudem immer dann nicht quantifizieren oder objektiv nachprüfen, wenn die Vermietung durch die Eigentümer selbst erfolgt. In einem solchen Fall bestehen bereits grundsätzlich erhebliche Zweifel an einer Überschusserzielungsabsicht. Der Steuerpflichtige muss hier nur dann eine Überprüfung „fürchten“, wenn die Vermietungstage um mehr als 25% hinter den ortsüblichen Werten zurückbleiben.
85
Folgt man aber trotz der geäußerten Bedenken dem BFH und erachtet die Übertragung dieser Rechtsgrundsätze auf die Fälle der Vermietung einer einzelnen Ferienwohnung als zulässig und gerechtfertigt, führt dies im Streitfall nicht dazu, allein wegen der vorbehaltenen und tatsächlich in der Regel ausgenutzten Selbstnutzungszeit von 3 Wochen für jeweils das ganze Kalenderjahr nicht von einer Überschusserzielungsabsicht auszugehen. Innerhalb des Zeitraums der vorbehaltenen Selbstnutzung überlagert vielmehr die Selbstnutzung die für diese Zeitspanne unterstellte Überschusserzielungsabsicht.
86
Es ist sicher zutreffend, wenn die zeitweise Privatnutzung ein Indiz dafür ist, dass eine Tätigkeit auch aus anderen als Erwerbsmotiven ausgeübt wird. Insbesondere in den Fällen, in denen der Steuerpflichtige die Ferienwohnung in nur geringem Umfang die Selbstnutzung vorbehält und darüber hinaus eine Selbstnutzung nach dem Vermittlungsvertrag ausgeschlossen ist, kann der erste Anschein für eine Überschusserzielungsabsicht in Gänze aber nur dann erschüttert sein, wenn die tatsächlichen Vermietungstage deutlich, d.h. mehr als 25% hinter den ortsüblichen Vermietungstagen zurückbleiben. Nutzt ein Steuerpflichtiger eine vermietete Ferienwohnung nur an wenigen Tagen selbst (ggf. noch in üblichen Leerstandzeiten) oder behält er sich eine gewisse Anzahl an Tagen die Selbstnutzung vor, nutzt die Wohnung aber tatsächlich nicht, ist es nicht gerechtfertigt diesen Steuerpflichtigen steuerlich schlechter zu stellen als einen Steuerpflichtigen, der ein Ferienwohnung in Eigenregie vermietet, sich dabei quasi die Selbstnutzung ganzjährig vorbehält und gleichwohl 76% der ortsüblichen Vermietungstage erreicht. Die Vermietung in Eigenregie ermöglicht zu jeder Zeit, die eigene Selbstnutzung vor die Fremdvermietung zu stellen.
87
Entscheidendes Indiz, das ein Absehen von dem Unterstellen der Überschusserzielungsabsicht rechtfertigt, ist allein das erhebliche Unterschreiten der ortsüblichen Vermietungstage. Es besteht kein Anlass an der Überschusserzielungsabsicht eines Steuerpflichtigen zu zweifeln, der seine Ferienwohnung an 2 oder 3 Wochen im Jahr selbst nutzt, sich dies nur vorbehält oder die Selbstnutzung auf übliche Leerzeiten beschränkt, aber auf der anderen Seite die ortsüblichen Vermietungstage in etwa erreicht oder sogar übertrifft.
88
Nur auf diese Weise kann nach Überzeugung des Senats eine Gleichbehandlung zwischen den Fällen der Vermietung über einen Vermittler mit den Fällen der Vermietung in Eigenregie erreicht werden (vgl. hierzu auch FG Köln, Urteil vom 30. Juni 2011 – 10 K 4965/07, EFG 2011, 1882, Rev. eingelegt, Az. des BFH: IX R 26/11, das aus ähnlichen Erwägungen heraus die nur vorbehaltene 4-wöchige Selbstnutzungszeit, zumal innerhalb von üblichen Leerstandszeiten, als unschädlich angesehen hat).
89
Im Ergebnis ist trotz der tatsächlichen Selbstnutzung der Kläger, die im Unterschied zum vorgenannten Fall des FG Köln in den normalen Saisonzeiten stattfand, ohne Prüfung von einer Überschusserzielungsabsicht auszugehen. Mit durchschnittlich rund 126 Vermietungstagen erreichen die Kläger nahezu die ortsüblichen Vermietungstage von 135 Tagen. In einzelnen Jahren werden diese ortsüblichen Vermietungstage, die von der Stadt F als sehr gute Auslastung ansieht,  sogar – teilweise deutlich – überstiegen (2003, 2010, 2011). In jedem Fall liegen die Kläger mit ihren tatsächlichen Vermietungstagen weit über der 75%-Grenze (bezogen auf die ortsüblichen Vermietungstage).
90
dd. Der temporären Überlagerung der unterstellten Überschusserzielungsabsicht durch die vorbehaltene steuerlich unbeachtliche Selbstnutzung trägt der Senat insoweit Rechnung als die Gesamtaufwendungen der Kläger zeitanteilig im Verhältnis der vorbehaltenen Selbstnutzungstagen zu den Gesamttagen des jeweiligen Streitjahres – sofern noch keine Kürzung erfolgt ist – zu kürzen sind (anders wohl FG Köln, Urteil vom 30. Juni 2011, a.a.O., das die entstandenen Verluste insgesamt zeitanteilig kürzt).
91
Danach ergeben sich in den Streitjahren folgende Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung:
92
1997: ./. 36.961 DM (Aufwendungen: 39.218 DM x 21/365)
93
1998: ./. 38.005 DM (Aufwendungen: 40.325 DM x 21/365)
94
1999: ./. 15.851 DM (Aufwendungen: 42.327 DM x 21/365)
95
2000: ./. 22.452 DM (Aufwendungen: 34.000 DM x 21/365)
96
2001: ./. 19.991 DM (Aufwendungen: 30.399 DM x 21/365)
97
2002: ./.   10.988 € (Aufwendungen: 16.574 € x 21/365)
98
2003: ./.     7.779 € (Aufwendungen: 16.401 € x 21/365)
99
2004: ./.   10.004 € (Aufwendungen: 17.474 € x 21/365)
100
2005: ./.   10.573 € (Aufwendungen: 17.014 € x 6/365; eine Kürzung in Höhe von 15/365 war bereits  in der Steuererklärung erfolgt)
101
2006: ./.     8.365 €  (keine Kürzung, weil bereits in der Steuererklärung erfolgt)
102
Dem beklagten Finanzamt wird aufgegeben, die festzusetzende Einkommensteuer in den Streitjahren auf dieser Grundlage neu zu berechnen und das Ergebnis der Neuberechnung den Beteiligten unverzüglich formlos mitzuteilen. Nach Rechtskraft des Urteils sind die Einkommensteuerbescheide für die Streitjahre mit dem geänderten Inhalt neu bekannt zu geben (§ 100 Abs. 2 Sätze 2 und 3 Finanzgerichtsordnung).
103
ee. Entgegen der Auffassung Kläger kann eine unter dd. vorgenommene Korrektur der Aufwendungen im Hinblick auf die vorbehaltene Selbstnutzung auch noch nach Bestandskraft der Einkommensteuerbescheide 1997 bis 2005 erfolgen.
104
Die grundsätzliche Änderungsbefugnis nach § 165 Abs. 2 AO besteht im Streitfall. Danach kann ein Einkommensteuerbescheid geändert werden, soweit das Finanzamt die Einkommensteuer vorläufig festgesetzt hat. Dies kann gemäß § 165 Abs. 1 Satz 1 AO geschehen, soweit ungewiss ist, ob die Voraussetzungen für deren Entstehung eingetreten sind. Umfang und Grund der Vorläufigkeit sind anzugeben (§ 165 Abs. 1 Satz 3 AO). Vorläufig festgesetzt werden kann auch ein Teil einer Steuerfestsetzung. Dabei wird regelmäßig Grund und Umfang der Vorläufigkeit des Bescheids dadurch angegeben, dass eine einzelne Besteuerungsgrundlage als ungewiss gekennzeichnet wird. Die (materielle) Bestandskraft des Steuerbescheides bleibt in diesem Umfang (zunächst) offen (ständige Rechtsprechung, vgl. BFH-Urteil vom 29. Juni 2004 – IX R 14/02, BFH/NV 2005, 2, m.w.N.).
105
Von der Möglichkeit hat der Beklagte vorliegend Gebrauch gemacht und die Einkommensteuerbescheide 1997 bis 2005 hinsichtlich der Einkünfte aus der Vermietung der Ferienwohnung hinsichtlich der ungewissen Beurteilung der Überschusserzielungsabsicht für vorläufig erklärt.
106
Erklärt das Finanzamt die Steuerfestsetzung für vorläufig, weil es die Einkünfteerzielungsabsicht noch nicht abschließend beurteilen kann, so kann es bei der endgültigen Steuerfestsetzung auch die von der tatsächlichen Ungewissheit nicht betroffenen, aber zunächst hingenommenen rechtlichen Fehlbeurteilungen zur Abziehbarkeit von Werbungskosten ändern (grundlegend BFH-Beschluss vom 22. Dezember 1987 – IV B 174/86, BStBl. II 1988, 234; BFH-Beschluss vom 24. Februar 2009 – IX B 176/08, BFH/NV 2009, 889).
107
Von dieser Änderungsbefugnis nach § 165 Abs. 2 AO in Bezug auf nachgelagerte Fragen wird auch die streitbefangene Korrektur der Werbungskosten umfasst.
108
Nach alledem konnte die Klage überwiegend Erfolg haben.
 
109
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 136 Abs. 1 Satz 3 Finanzgerichtsordnung (FGO).
110
3. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 151 Abs. 1 und 3, 155 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozessordnung.
111
4. Die Revision war zuzulassen, weil die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat und die Fortbildung des Rechts und die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs erfordert (§ 115 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 FGO).

Kein Splitting-Verfahren für Alleinerziehende

Der 7. Senat des Niedersächsischen Finanzgerichts (NFG) hat in einem Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes entschieden, dass Alleinerziehende keinen Anspruch auf die Anwendung des Ehegatten-Splittings oder eines Familien-Splittings haben (Az.: 7 V 4/12).

Hintergrund:
Die Antragstellerin ist verwitwet und hat zwei minderjährige Kinder. Im Hauptsacheverfahren (anhängig unter Az. 7 K 114/10) macht sie geltend, ihre Besteuerung als Alleinerziehende sei verfassungswidrig. Gegenüber einem zusammen zur Einkommensteuer veranlagten Ehepaar (mit oder ohne Kinder) und gegenüber einem geschiedenen Ehepaar, das ein Real-Splitting in Anspruch nehme, zahle sie bei gleich hohen Einkünften mehrere tausend Euro mehr Einkommensteuer. Ein Familien-Splitting sei verfassungsrechtlich geboten. Im Übrigen seien die Grund- und Kinderfreibeträge und der Entlastungsbetrag zu niedrig und damit verfassungswidrig. Im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes begehrt die Antragstellerin, die von ihr nach Erhalt des Einkommensteuerbescheides nachgezahlte Einkommensteuer und die von ihr geleisteten Vorauszahlungen an sie zurückzuzahlen, soweit sie eine von ihr nach dem Modell eines Familien-Splittings errechnete Einkommensteuer übersteigen.

Das Gericht hat den Antrag mit folgenden Erwägungen zurückgewiesen:

1. Die derzeitige Besteuerung nach der Grundtabelle sei nicht verfassungswidrig. Auch wenn die von einer Alleinerziehenden erzielten Einkünfte gleich hoch seien wie die zusammengerechneten Einkünfte eines Ehepaares und ein Alleinerziehende(r) mehrere tausend Euro mehr Einkommensteuer als das zusammen zur Einkommensteuer veranlagte Ehepaar zu zahlen habe, liege kein verfassungswidriger Begünstigungsausschluss vor. Es handele sich um unterschiedliche Sachverhalte, die die steuerliche Ungleichbehandlung rechtfertigten. Auch eine nach neuerer Rechtsprechung der Finanzgerichte denkbare bzw. verfassungsrechtlich gebotene Anwendung des Splitting-Verfahrens auf Partner einer eingetragenen Lebenspartnerschaft führe nicht zu einem vergleichbaren Anspruch eines Alleinerziehenden.

2. Das Ehegatten-Splitting gewährleiste die verfassungsrechtlich geschützte Entscheidungsfreiheit der Eheleute zur Gestaltung ihrer ehelichen und wirtschaftlichen Lebensverhältnisse und sei nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts keine beliebig veränderbare Steuervergünstigung, sondern verfassungsrechtlich geboten. Es diskriminiere nicht die Ehefrau bzw. den Partner mit dem niedrigeren Einkommen. Niedrigere Erwerbstätigkeitsquoten und niedrigere Durchschnittseinkommen von Frauen seien nicht Folge des Splitting-Verfahrens, sondern durch die wirtschaftlichen Verhältnisse am Arbeitsmarkt und die individuell aus vielfältigen Gründen getroffenen persönlichen Entscheidungen bedingt.

3. Der Gesetzgeber habe sich dafür entschieden, in systematisch unterschiedlicher Weise die Freiheit der ehelichen Lebens- und Wirtschaftsgestaltung einerseits durch das Wahlrecht für die Zusammenveranlagung (mit Splitting-Verfahren) und die Kind bedingten Belastungen andererseits durch die Gewährung von Kindergeld bzw. den Abzug von Kinderfreibeträgen und nicht im Wege eines Familiensplittings zu berücksichtigen. Nach dem Grundsatz der Gewaltenteilung seien nicht die Gerichte, sondern der Gesetzgeber dazu berufen, diese Regelungen zu überprüfen und ggf. zu ändern.

4. Die Höhe der Grund- und Kinderfreibeträge und des Entlastungsbetrages für Alleinerziehende im Jahr 2008 sei bei summarischer Prüfung nicht evident zu niedrig und damit nicht verfassungswidrig.

Das NFG hat die Beschwerde zum Bundesfinanzhof zugelassen. Das Verfahren ist unter dem Az. III B 68/12 beim Bundesfinanzhof anhängig.

Die Entscheidung finden Sie auf den Seiten des Landesjustizportals Niedersachsen – Rechtsprechung – unter Eingabe des Aktenzeichens.

 

Splitting-Tarif für Alleinerziehende – Aufhebung der Vollziehung – Einkommensteuer 2008
Alleinerziehenden steht aus verfassungsrechtlichen Gründen weder das Ehegatten-Splitting noch ein Familien-Splitting zu. Die Höhe der Grund- und Kinderfreibeträge und des Entlastungsbetrages für Alleinerziehende (2008) sind bei summarischer Prüfung nicht verfassungswidrig.
Beschwerde eingelegt, BFH-Az. III B 68/12

Niedersächsisches Finanzgericht 7. Senat, Beschluss vom 28.03.2012, 7 V 4/12

§ 10 Abs 1 Nr 1 EStG, § 22 Nr 1a EStG, § 24a EStG, § 25 EStG, § 26 EStG, § 32 Abs 6 EStG, § 32a EStG, § 69 FGO, Art 20 GG, Art 3 Abs 1 GG, Art 6 GG

Tenor

Der Antrag wird auf Kosten der Antragstellerin abgelehnt.
Die Beschwerde wird zugelassen.
 

Gründe

I.
1
Die Antragstellerin begehrt die Aufhebung der Vollziehung, soweit sie nach ihrer Auffassung als Alleinerziehende mit zwei Kindern in verfassungswidriger Weise besteuert wird.
2
Die Antragstellerin ist Mutter zweier …und …geborener Kinder. Ihr Ehemann und Vater der Kinder verstarb im Jahr …. Seitdem ist die Antragstellerin verwitwet.
3
Die Antragstellerin erzielte im Streitjahr Einkünfte aus … als … in Höhe von rund € x. Des Weiteren erhielt sie Versorgungsbezüge in Höhe von rund € …. Ihre Kinder erhielten im Streitjahr Renten und Versorgungsbezüge (nach ihren Angaben in Höhe von jährlich € … und € …). In ihrer Gewinnermittlung und ihrer Einkommensteuererklärung für das Streitjahr machte die Antragstellerin keine Kinderbetreuungskosten geltend.
4
Im Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr vom … (gemäß § 164 Abs. 1 AO unter Vorbehalt der Nachprüfung)  und in dem (gemäß § 164 Abs. 2 AO geringfügig geänderten) Bescheid vom … setzte das Finanzamt (FA) die Einkommensteuer unter Zugrundelegung der Regelungen des Einkommensteuergesetzes (EStG) fest. Für die beiden Kinder zog es Freibeträge nach § 32 Abs. 6 EStG in Höhe von gesamt € 11.616 ab und rechnete im Gegenzug der Einkommensteuer gemäß § 31 Satz 4 EStG das Kindergeld in Höhe von € 3.696 hinzu. Ferner zog das FA den Entlastungsbetrag für Alleinerziehende gemäß § 24b EStG in Höhe von € 1.308 ab. Es veranlagte die Antragstellerin einzeln zur Einkommensteuer und setzte die Einkommensteuer auf das zu versteuernde Einkommen von rund € … nach der Grundtabelle mit € … an. Nach Berücksichtigung von Steuerermäßigungen für haushaltsnahe Dienstleistungen und Handwerkerleistungen und Hinzurechnung des Kindergeldes ergaben sich eine festzusetzende Einkommensteuer in Höhe von € … und ein festgesetzter Solidaritätszuschlag in Höhe von € ….
5
Aufgrund der entsprechend ihren Angaben festgesetzten und von der Antragstellerin geleisteten Einkommensteuer-Vorauszahlungen ergab sich aus dem Einkommensteuerbescheid vom … eine Einkommensteuer-Nachzahlung in Höhe von € … und aus dem Einkommensteuerbescheid in der Fassung vom … eine weitere Einkommensteuer-Nachzahlung in Höhe von € …, zusammen € …. Die Antragstellerin leistete die Nachzahlungen.
6
Mit Schreiben vom … legte die Antragstellerin gegen den „ESt-Solz-Bescheid vom …“ Einspruch ein. Das FA legte das Schreiben als Einspruch gegen den Bescheid vom … aus. Mit Schreiben vom … begründete die Antragstellerin ihren Einspruch u.a. wie folgt:
7
Er richte sich gegen die Nichtgewährung des Splitting-Tarifs. Bei einem kinderlosen Ehepaar, bei dem einer der Ehepartner Einkünfte in der von ihr allein erzielten Höhe (rund € …) und der andere Ehepartner Einkünfte in Höhe von € 0 erzielt hätte, hätten nach den beigefügten Berechnungen die festgesetzte Einkommensteuer € … und der Solidaritätszuschlag  € … betragen, mithin gesamt rund € 7…. weniger. Bei einem Ehepaar mit denselben Einkünften mit einem Kind (ebenfalls drei Personen) ergebe sich eine um gesamt rund € 7…. niedrigere Steuer. Das kinderlose Ehepaar habe einen Grenzsteuersatz von rund 3… %, das Ehepaar mit einem Kind von rund 3… %, während sie einen Grenzsteuersatz von rund 4… % habe, mithin auf jeden mehr verdienten Euro … % (incl. Solidaritätszuschlag) mehr Steuer bezahlen müsse als ein Ehepaar mit einem Kind, welches sich Haus- und Erziehungsarbeit teilen könne, nur ein Kind statt zweien zu erziehen und zu betreuen habe und auch nur für ein Kind eine Ausbildung zu finanzieren habe.
8
Das steuerliche Ehegattensplitting in Deutschland sei ein antiquierter „Klassiker“ der staatlichen Instrumente zur Förderung des männlichen Ernährermodells. Es fördere die nicht unterstützungsbedürftige kinderlose Ehe. Das mit € 3.648 bewertete tatsächliche Existenzminimum eines Kindes (§ 32 Abs. 6 EStG) bleibe weit hinter dem funktionsgleichen Grundfreibetrag für Erwachsene in Höhe von € 7.664 zurück. Dies sei analog dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 9. Februar 2010 (1 BvL 1, 3, 4/09 BVerfGE 125, 175) verfassungswidrig. Unter Zugrundelegung der nach dem Sozialrecht angemessenen Wohnfläche entstünden ihr als drei-Personen-Haushalt sozialrechtlich angemessen höhere Kosten als einem kinderlosen Ehepaar. Verwitwete Steuerpflichtige erhielten weder Unterhaltsleistungen noch Unterhaltsersatzleistungen.
9
Neben der steuerlichen Benachteiligung sei sie dadurch benachteiligt, dass sie als Frau und allein erziehende Mutter von zwei Kindern ein deutlich geringeres Lebenseinkommen erreiche als Männer mit Kindern mit gleicher Bildung. Dadurch könne sie nur in einem deutlich geringeren Umfang für ihr Alter vorsorgen. Bei einem Ehepaar mit einem Kind werde der berufstätige Partner in der Regel von dem nicht oder nur teilweise berufstätigen Partner in der Haushaltsführung und Kinderbetreuung und -versorgung einschließlich Unterstützung bei Hausaufgaben der Kinder unterstützt. Durch diese von ihr allein zu erbringenden Tätigkeiten würden ihre Erwerbsmöglichkeiten eingeschränkt bzw. habe sie entsprechend eine überdurchschnittliche Personalkostenquote. Aufgrund des höheren Grenzsteuersatzes müsse sie einen noch höheren Gewinn erzielen als ein gleich verdienendes Ehepaar ohne oder mit einem Kind, um nach Steuern das gleiche verfügbare Haushaltseinkommen zu haben. Ferner müsse sie einen höheren Organisationsgrad unter Einschaltung von Fremdverpflegung und Nachhilfe mit entsprechenden Kosten bewerkstelligen.
10
Die Antragstellerin führte „allgemeine weitere Kritikpunkte am Ehegattensplitting“ auf. Es fördere insbesondere die Ehen, in denen hohe Einkommen ungleich auf die Ehepartner verteilt seien, und zwar unabhängig davon, ob in dieser Familie Kinder lebten. Angesichts der gesellschaftlichen Realität, dass knapp 20 % der Jugendlichen in Deutschland bei einem alleinerziehenden Elternteil lebten und statistisch zur so genannten „traditionellen Familie“ auch verheiratete Paare mit Kindern aus früheren Beziehung sowie mit Stief-, Pflege- und Adoptivkindern zählten, seien die erheblichen Mittel für das Ehegattensplitting (über 20 Milliarden Euro jährlich) nicht mehr gerechtfertigt.
11
Art. 3 Abs. 1 GG gebiete in seiner Ausprägung als horizontale Steuergleichheit, Steuerpflichtige bei gleicher Leistungsfähigkeit gleich hoch zu besteuern. Mit der Versagung des Splittingtarifs für verwitwete Alleinerziehende bevorzuge das Steuerrecht einseitig die Ehe, insbesondere die kinderlose Ehe und belaste die Familie mit Kindern, in der ein Ehegatte gestorben sei, unverhältnismäßig hoch. Hierdurch sei Art. 20 GG verletzt. Aus Art. 6 Abs. 1 GG folge, dass bei der Besteuerung einer Familie das Existenzminimum sämtlicher Familienmitglieder steuerfrei bleiben müsse. Art. 6 Abs. 4 GG gebiete den Schutz der Mutter.
12
In sehr veralteten verfassungsrechtlichen Entscheidungen werde immer wieder auf eine Grundsatzentscheidung aus dem Jahre 1961 verwiesen (richtig: BVerfG, Urteil vom 3. November 1982, 1 BvR 620/78 1335/78, 1104/79, 363/80, BVerfGE 61,319, BStBl II 1982, 717). In den zwischenzeitlich ins Land gegangenen knapp 50 Jahren hätten sich gesellschaftliche Rahmenbedingungen erheblich verändert. Das Unterhaltsrecht habe sich geändert. Die Ehe als Versorgungsinstitut habe ausgedient. Die Scheidungsraten, die Anzahl kinderloser Ehen und der ehelosen Eltern sei gestiegen.
13
Die der Begründung der Entscheidung des BVerfG vom 3. November 1982 zugrunde gelegte „intakte Durchschnittsehe“ sei ein unbestimmter und durch die Realität überholter antiquierter Rechtsbegriff. Mit der Annahme, dass Eheleute als Erwerbsgemeinschaft gleichberechtigter Personen jegliche Einkünfte gleichmäßig und gerecht aufteilen und auch dementsprechend besteuert werden sollen, unterstelle der Staat ein Idealmodell, das empirisch häufig genug widerlegt worden sei. Geld sei auch in Ehen ein Machtfaktor. Wer das Einkommen erziele, bestimme letztendlich über die Art und Weise, wie es ausgegeben werde. Das Ehegattensplitting fördere diese Machtasymmetrie, in dem die Steuervergünstigung auch noch jenem zufließe, der das höhere Einkommen erziele – in der Regel immer noch dem Mann. Die OECD benenne diese Besonderheit des deutschen Steuersystems daher als einen wesentlichen Grund für die zu geringe Erwerbstätigkeit von Frauen und damit als steuerlichen Fehlanreiz. Darüber hinaus habe das Splittingverfahren nach seinem vom Gesetzgeber zugrunde gelegten Zweck u.a. „eine besondere Anerkennung der Aufgabe der Ehefrau als Hausfrau und Mutter“ bedeuten sollen. In einer kinderlosen Ehe gebe es begriffslogisch keine Mutter. Solange das Ehegattensplitting beibehalten werde, werde damit das Modell der traditionellen Arbeitsteilung perpetuiert. Statt endlich gleicher Bezahlung, Karrieremöglichkeiten und einem Ende der Frage für Frauen „Familie oder Beruf“ verharre die Gesellschaft teilweise (im Steuerrecht) in einer 50er-Jahre-Realität, obwohl die Ansprüche und Wünsche junger Frauen und Männer deutlich in eine egalitäre Gesellschaft wiesen.
14
Das FA wies mit Bescheid vom … den Einspruch gegen den Einkommensteuerbescheid zurück. Die von der Antragstellerin aufgeworfene Rechtsfrage, ob von Verfassungs wegen Alleinerziehenden mit Kindern das Splittingverfahren zu gewähren sei, sei durch ständige, bis in die jüngste Zeit bestätigte Rechtsprechung des BVerfG und des BFH geklärt. Die gesellschaftliche Entwicklung und die wachsende Zahl sogenannter Restfamilien mit Kindern führe zu keinem anderen Ergebnis.
15
Das Ehegattensplitting stelle eine an dem Schutzgebot des Art. 6 Abs. 1 GG orientierte sachgerechte Besteuerung dar. Der Gleichheitssatz i.V.m. Art. 6 Abs. 1 GG gebiete es nicht, den Splittingvorteil auf Alleinerziehende auszudehnen. Zwischen Alleinerziehenden und ihren Kindern bestehe weder wirtschaftlich noch familienrechtlich eine Gemeinschaft des Erwerbs, die zu einer anteiligen Teilhabe am Familieneinkommen führe, sondern ein bloßes Unterhaltsverhältnis. Ebenso wenig komme für Alleinerziehende mit Kindern ein durch Art. 6 Abs. 1 GG zu schützendes Recht in Betracht, über die Aufgabenteilung partnerschaftlich zu entscheiden.
16
Das BVerfG habe in seiner Entscheidung vom 3. November 1982 noch angenommen, der Splitting-Tarif erleichtere Eheleuten mit Kindern, ihre Lebensführung so einzurichten, dass ein zusätzlicher Betreuungsaufwand für die Kinder entweder nicht entstehe oder zumindest leichter getragen werden könne als bei Alleinerziehenden. Dies habe das BVerfG in seiner Entscheidung vom 10.11.1998 (2 BvR 1057/91, 1226/91, 980/91, BVerfGE 99, 216, BStBl II 1999, 182) modifiziert. Das BVerfG gehe nunmehr davon aus, dass der Betreuungsbedarf eines Kindes generell die Leistungsfähigkeit der Eltern mindere und als notwendiger Bestandteil des familiären Existenzminimums einkommensteuerlich unbelastet bleiben müsse. Die Abzugsfähigkeit eines Haushaltsfreibetrages und von Kinderbetreuungskosten nur bei Alleinstehenden benachteilige eheliche Erziehungsgemeinschaften. Diese Benachteiligung werde nicht dadurch gemindert, dass in ehelicher Gemeinschaft lebende Eltern zusammen veranlagt werden könnten. Die Zusammenveranlagung setze eine Ehe, nicht hingegen einen kindbedingten Bedarf voraus. Betreuungs- und Erziehungsbedarf müssten bei allen Erziehungsgemeinschaften und Alleinstehenden in gleicher Weise und unabhängig davon berücksichtigt werden, in welcher statusrechtlichen Beziehung die Eltern lebten. Das BVerfG sehe das Benachteiligungsverbot nur zu Lasten der Ehe, nicht jedoch zu Lasten anderer Lebensgemeinschaften.
17
Mit ihrer Klage im Hauptsacheverfahren, die unter dem Aktenzeichen 7 K 114/10 beim Niedersächsischen Finanzgericht geführt wird, begehrt die Antragstellerin, den Einkommensteuer- und Solidaritätszuschlagsbescheid vom … abzuändern auf die festzusetzende Einkommensteuer, die sich unter Anwendung eines auf drei Personen angewendeten Splittingtarifs ergibt. Ergänzend zu ihrem bisherigen Vorbringen macht sie geltend: Neben den verfassungsrechtlichen Bedenken zeichne sich auch auf der gesellschaftlichen, wissenschaftlichen und politischen Ebene ein Paradigmenwechsel ab. Hierzu legt die Antragstellerin im Einzelnen politische Meinungen und Bestrebungen zur Abschaffung des Ehegattensplittings und zur Einführung eines Familiensplittings dar. Interessant seien die Ansätze der CDU/CSU und der FDP, die steuerliche Berücksichtigung von Kindern auf den für Erwachsene geltend gemachten Freibetrag von € 8.004 anzuheben. Diese Vorstellung berücksichtige das Urteil des BVerfG vom 9. Februar 2010 (a.a.O.) zur Verfassungswidrigkeit der abgeleiteten Höhe der Regelleistung für Kinder pauschal von der eines alleinstehenden Erwachsenen. Im Falle geschiedener Eheleute mit Realsplitting (insbesondere eines wieder verheirateten alleinverdienenden Unterhaltszahlers) falle die steuerliche Belastung für drei Erwachsene ohne Kinder sogar um über € 12.000 niedriger aus als für eine gleich verdienende Alleinerziehende mit zwei in Ausbildung befindlichen Kindern. Dies alles widerspreche dem Prinzip der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit. Dass die Zeit reif sei, sei auch dem Beschluss des BVerfG vom 21. Juli 2010 zur Ungleichbehandlung von eingetragenen Lebenspartnerschaften (1 BvR 611/07, 2464/07, BVerfGE 126, 400) zu entnehmen. Das BVerfG habe ausdrücklich verworfen, andere Lebensformen mit bloßem Verweis auf Art. 6 Abs. 1 GG zu benachteiligen.
18
Mit Schriftsätzen ihres Prozessbevollmächtigten vom … und … macht die Antragstellerin weitere Ausführungen zu dem vorgetragenen Verfassungsverstoß und zur Besteuerung von Eheleuten und Eltern / Alleinerziehenden mit Kindern in anderen europäischen Ländern (insbesondere der Schweiz). Es komme nicht allein auf die Vergleichbarkeit von Sachverhalten (Eheleute einerseits, Eheleute und Kinder andererseits) an, sondern auch auf die Versagung einer Begünstigung. Aus dem Gleichheitssatz folge das Verbot eines gleichheitswidrigen Begünstigungsausschlusses. Das BVerfG habe mit seinem Beschluss vom 21. Juli 2010 den gleichheitswidrigen Begünstigungsausschluss des Erbschaft- und Schenkungssteuergesetzes bezüglich eingetragener Lebenspartner für alle noch offenen Verfahren aufgehoben und die dortigen Steuervorteile, die bislang nur Ehegatten erhielten, auf eingetragene Lebenspartner ausgedehnt. Nach dem (im Einzelnen dargestellten) Leistungsfähigkeitsprinzip und dem dualistischen Konzept „Erwerbseinkommen ./. private Abzüge“ zur Messung der objektiven und subjektiven Leistungsfähigkeit würden Alleinerziehende benachteiligt. § 26 EStG stelle eine kinderlose Ehefrau ohne eigenes Erwerbseinkommen besser als ein oder mehrere in Schulausbildung befindliche Kinder. Das BVerfG habe bezüglich des Betreuungsbedarfs eines Kindes festgestellt, dass dieser generell die Leistungsfähigkeit der Eltern mindere. Die Leistungsfähigkeit einer Alleinerziehenden mit Kindern sei also anerkannt gemindert, dennoch bezahle sie mehr Steuern als ein Alleinverdiener-Ehepaar ohne Kinder. Da Alleinerziehende überwiegend weiblich seien, würden überwiegend Angehörige weiblichen Geschlechts benachteiligt und mittelbar diskriminiert. In über der Hälfte aller Haushalte lebten keine Kinder mehr. 43 % des Splittings kämen Kinderlosen zugute. Es fördere nicht die Familie, sondern die Alleinverdiener-Ehe. Die Entlastung falle zu ca. 93 % in den alten Bundesländern an. Für diese regionale Diskriminierung gebe es keine verfassungsrechtliche Rechtfertigung. Die Argumentation des Einkommens-Poolings in Haushalten sei empirisch nicht haltbar bzw. gebe es hierzu keine fundierten Erkenntnisse. Die im Urteil des BVerfG vom 3. November 1982 zugrunde gelegte „intakte Durchschnittsehe“ habe sich in den Jahren seit 1982 so weit gewandelt, dass die Grundlage für die Argumentation des BVerfG entfallen sei.
19
Es werde als verfassungswidrig gerügt, dass in einer kinderlosen Alleinverdiener-Ehe ein nicht erwerbstätiger Ehegatte einen ungleich höheren Grundfreibetrag erhalte als ein Kind, dass die Ehe zusätzlich durch die Verdoppelung von Sonderausgabenhöchstbeträgen begünstigt werde und dass die Alleinverdiener-Ehe einen um ca. 10 % günstigeren Grenzsteuersatz habe als eine verwitwete Alleinerziehende mit zwei Kindern. Dies widerspreche insgesamt eklatant dem Prinzip der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit.
20
Ergänzend und hilfsweise werde auf die Entscheidung des BVerfG vom 9. Februar 2010 (a.a.O.) verwiesen. Der für das Jahr 2008 geltende Sechste als auch der aktuelle Siebente Existenzminimumbericht basierten auf für verfassungswidrig erklärten Grundnormen des SGB. Bei der Einelternfamilie führe das Fehlen eines Elternteils auf der Ausgabenseite kaum zu Einsparungen. Auf der Einkommensseite fehle der in unbezahlter Arbeit geleistete Beitrag.
21
Der geringe Alleinverdiener-Freibetrag werde nur für das erste Kind gewährt. Für weitere Kinder gebe es keine Entlastung. Ein Alleinerziehender könne erst mit mehr als 6 Kindern den gleichen steuerlichen Vorteil erreichen, den ein Spitzenalleinverdiener maximal als Splitting-Vorteil für eine nicht arbeitende Frau bekomme.
22
Jedes Kind beschränke zudem die Leistungsfähigkeit durch den berechtigten Anspruch auf Zeitressourcen (für Betreuung und Versorgung) und damit die für die Einkommenserzielung zur Verfügung stehende Zeit.
23
Die Antragstellerin beantragt im Hauptsacheverfahren (unter Einbeziehung der Einkünfte ihrer Kinder), „unter analoger Anwendung des Splittingtarifs die Einkommensteuer 2008 in der Weise festzusetzen, dass das zu versteuernde Einkommen gedrittelt wird (da drei Personen und von drei Personen das Einkommen enthalten ist), auf das Drittel in einem Zwischenschritt die Einkommensteuer ermittelt wird und das Dreifache der so ermittelten Steuer festgesetzt wird.“ Auf die dem Schriftsatz vom … beigefügten Berechnungen wird Bezug genommen; hiernach ergebe sich eine Einkommensteuer in Höhe von € …. Es ergebe sich ein Nachteil bezüglich der Einkommensteuer in Höhe von € ….
24
Mit Schreiben vom … und … an das FA hat die Antragstellerin beantragt, „die Vollziehung des Einkommensteuerbescheides 2008 vom … zur Steuernummer … aufzuheben, soweit durch den Bescheid die Antragstellerin gegenüber einem Alleinverdiener-Ehepaar benachteiligt wird (Euro … Einkommensteuer zzgl. entsprechendem Solidaritätszuschlag)“. Zur Begründung hat sie auf ihre Ausführungen im Hauptsacheverfahren verwiesen. Das FA hat den Antrag mit Bescheid vom … unter Verweis auf seine im Einspruchs- und Klageverfahren gefertigten Schriftsätze abgelehnt.
25
Die Antragstellerin beantragt,
26
die Vollziehung des Einkommensteuerbescheides 2008 vom … zu Steuernummer … aufzuheben, soweit durch den Bescheid die Antragstellerin gegenüber einem Alleinverdiener-Ehepaar benachteiligt wird (Euro … Einkommensteuer zuzüglich entsprechender Solidaritätszuschlag).
27
Der Antragsgegner beantragt,
28
den Antrag abzulehnen.
29
Er verweist auf seine Ausführungen im Hauptsacheverfahren und hält an seiner Auffassung fest. Im Hauptsacheverfahren weist er ergänzend darauf hin, dass der BFH mit Beschluss vom 28. Januar 2005 (III B 97/04, BFH/NV 2005, 1050) dazu Stellung genommen habe, dass Aufwendungen für die Betreuung von Kindern nicht durch das auf einer anderen Grundlage beruhende und anderen Zwecken dienende Ehegattensplitting steuermindernd berücksichtigt werden könnten. Das BVerfG habe die gegen dieses Urteil eingereichte Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen (Beschluss vom 23. September 2005, 2 BvR 726/05, juris). Zudem habe der BFH mit Beschluss vom 17. August 2004 (III B 121/03, BFH/NV 2005, 46) entschieden, dass das Ehegattensplitting mit den Grundwerten des Familienrechts sowie mit Art. 6 Abs. 1 GG im Einklang stehe. Die Rechtsprechung zur einkommensteuerlichen Gleichstellung von Partnern einer eingetragenen Lebenspartnerschaft sei mangels Vergleichbarkeit auf den Streitfall nicht anwendbar, denn die Gewährung des Splittingtarifs setze eine Lebens- und Wirtschaftsgemeinschaft zwischen Partnern voraus.
30
Wegen des weiteren Sachverhaltes und Vorbringens wird auf den Inhalt der Steuerakten und der gewechselten Schriftsätze, auch im Hauptsacheverfahren 7 K 114/10, Bezug genommen.
II.
31
Der Antrag ist unbegründet.
32
Die Aussetzung der Vollziehung soll gemäß § 69 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. Abs. 3 Satz 1 zweiter Halbsatz Finanzgerichtsordnung (FGO) erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes bestehen oder wenn die Vollziehung für die Betroffene eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen – wie im Streitfall – tritt gemäß § 69 Abs. 2 Satz 7 i.V.m. Abs. 3 Satz 3 FGO an die Stelle der Aussetzung der Vollziehung die Aufhebung der Vollziehung.
33
Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsaktes bestehen, wenn bei summarischer Prüfung des angefochtenen Verwaltungsaktes neben für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige, gegen die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes sprechende Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung von Rechtsfragen oder Unklarheiten in der Beurteilung von Tatsachen bewirken (vgl. Beschlüsse des BFH vom 10. Februar 1984 III B 40/83, BStBl II 1984, 454 und vom 30. Dezember 1996 I B 61/96, BStBl II 1997, 466). Solche Umstände sind im vorliegenden Fall nicht gegeben.
34
1) Das Gericht hat keine Zweifel an Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides und an der Verfassungsmäßigkeit der gesetzlichen Regelungen der §§ 25 ff. EStG, nach denen die Antragstellerin als nicht verheiratete Alleinerziehende gemäß §§ 25, 32a Abs. 1 EStG einzeln (unter Anwendung der Grundtabelle) und nicht gemäß §§ 26 ff., 32a Abs. 5 EStG wie Eheleute (unter Anwendung der Splitting-Tabelle) zur Einkommensteuer zu veranlagen ist. Die Voraussetzungen des § 32a Abs. 6 Nr. 1 EStG zur Anwendung des sog. Gnadensplitting zur Milderung von Härten sind im Streitjahr unstreitig nicht mehr erfüllt.
35
Der von der Antragstellerin geltend gemachte verfassungswidrige Begünstigungsausschluss gegenüber einem kinderlosen Ehepaar oder einem Ehepaar mit einem Kind oder einem geschiedenen, ggf. teilweise wieder verheirateten Ehepaar, bei dem das Realsplitting (§§ 10 Abs. 1 Nr. 1, 22 Nr. 1a EStG) in Anspruch genommen wird, liegt nicht vor.
36
Prüfungsmaßstab ist Art. 3 Abs. 1 GG , wobei die in Art. 6 Abs. 1 GG enthaltene Grundsatzentscheidung für den Schutz der Familie mit zu beachten ist (BVerfG, Beschluss vom 29. Mai 1990, 1 BvL 20/84, 26/84, 4/86, BVerfGE 82, 60, BStBl II  1990, 653). Der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG „gebietet, alle Menschen vor dem Gesetz gleich zu behandeln. Das hieraus folgende Gebot, wesentliches Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln, gilt für ungleiche Belastungen und ungleiche Begünstigungen …. Verboten ist daher auch ein gleichheitswidriger Begünstigungsausschluss, bei dem eine Begünstigung einem Personenkreis gewährt, einem anderen Personenkreis aber vorenthalten wird. … Da der Grundsatz, dass alle Menschen vor dem Gesetz gleich sind, in erster Linie eine ungerechtfertigte Bevorzugung oder Benachteiligung von Personen verhindern soll, unterliegt der Gesetzgeber bei einer Ungleichbehandlung, die ihren Anknüpfungspunkt in der Person findet, regelmäßig einer strengen Bindung …. Dabei kommt es hinsichtlich der Anforderungen an Rechtfertigungsgründe für gesetzliche Differenzierungen wesentlich darauf an, in welchem Maß sich die Ungleichbehandlung von Personen oder Sachverhalten auf die Ausübung grundrechtlich geschützter Freiheiten nachteilig auswirken kann. … Die aus Art. 3 Abs. 1 GG folgenden Grenzen sind insbesondere dann überschritten, wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten …“ (BVerfG, Beschluss vom 21. Juli 2010, a.a.O., m.w.N.).
37
Dass sowohl Eheleute (mit oder ohne Kinder) als auch Alleinerziehende unter den Begriff „Familie“ fallen, führt nicht dazu, dass beide Gruppen trotz bestehender Unterschiede steuerlich gleich behandelt werden müssten. Es ist verfassungsrechtlich nicht geboten, eine Begünstigung für eine dem Schutz des Art. 6 Abs. 1 GG unterfallende Gruppe auf eine andere, ebenfalls dem Schutz des Art. 6 Abs. 1 GG unterfallende Gruppe auszudehnen, wenn zwischen den Gruppen Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen können.
38
Zwischen der alleinerziehenden Antragstellerin und Eheleuten (verheiratet oder geschieden mit Realsplitting, mit oder ohne Kindern) bestehen Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht, dass sie die ungleiche Behandlung – Splitting-Verfahren nur für zusammen zu veranlagende Eheleute, nicht für Alleinerziehende, Real-Splitting für Geschiedene – rechtfertigen können. Eheleute sind rechtlich gleichberechtigte Partner einer Lebensgemeinschaft, die untereinander bestimmen, wie sie ihre ehelichen, auch wirtschaftlichen Lebensverhältnisse gestalten und insbesondere auch, wer in welchem Umfang zum Familieneinkommen beiträgt und wie sie das Familieneinkommen verwenden. Die im Wege des Real-Splitting vom Unterhaltszahler abziehbaren, vom Unterhaltsempfänger zu versteuernden Unterhaltsleistungen sind eine Fortwirkung der ehelichen Lebens- und Wirtschaftsgemeinschaft nach Scheidung. Dagegen ist das Verhältnis von Eltern zu ihren Kindern dadurch geprägt, dass die Eltern zur Pflege und Erziehung (einschließlich der Unterhaltsgewährung) ihrer Kinder berechtigt und verpflichtet sind (Art. 6 Abs. 2 GG). „Zwischen Alleinerziehenden und ihren Kindern besteht weder wirtschaftlich noch familienrechtlich eine Gemeinschaft des Erwerbs, die zu einer anteiligen Teilhabe am Familieneinkommen führt, sondern ein bloßes Unterhaltsverhältnis“ (BFH, Beschluss vom 17. August 2004, a.a.O., m.w.N.). Das BVerfG und entsprechend der BFH haben nicht nur in der nach Meinung der Antragstellerin überholten Entscheidung vom 3. November 1982, sondern auch fortlaufend entschieden, dass Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Art. 6 Abs. 1 GG es nicht gebietet, das Ehegattensplitting auf die Besteuerung von Alleinstehenden mit Kindern auszudehnen (BFH, Urteil vom 27. Juni 1996, IV R 4/84, BFHE 181,31, hierzu BVerfG Nichtannahmebeschluss vom 21. Dezember 1996, 2 BvR 2163/96, juris, BFH, Beschluss vom 20. September 2002, III B 40/02, BFH/NV 2003, 157, hierzu BVerfG Nichtannahmebeschluss vom 26. Februar 2004, 2 BvR 1933/02; BFH, Beschluss vom 17. August 2004, a.a.O., BFH, Beschluss vom 28. Januar 2005, a.a.O., hierzu BVerfG Nichtannahmebeschluss vom 23. September 2005, 2 BvR 726/05, juris). Das Gericht teilt diese Auffassung.
39
Eine sachlich nach Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Art. 6 Abs. 1 GG nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung liegt auch nicht deshalb vor, weil nach neueren Entscheidungen mehrerer Finanzgerichte den Partnern einer eingetragenen Lebenspartnerschaft aus Gleichbehandlungsgründen die einkommensteuerliche Zusammenveranlagung und entsprechend die Anwendung des Splitting-Verfahrens zustehen muss. Für die eingetragene Lebenspartnerschaft gelten die gleichen Rechtsnormen wie für die Ehe, insbesondere im Bereich der Regelungen zur Gestaltung der partnerschaftlichen Lebens- und Wirtschaftsgemeinschaft, des Unterhalts- und des Erbrechts. Der Unterschied eingetragener Lebenspartner zu den Partnern einer Ehe besteht lediglich darin, dass die Lebenspartner gleichen, die Eheleute unterschiedlichen Geschlechts sind; dieser Unterscheid rechtfertigt nach der Rechtsprechung der Finanzgerichte die einkommensteuerliche Ungleichbehandlung nicht. Naturgemäß können Lebenspartner keine gemeinsamen leiblichen Kinder haben. Dieser Unterschied ist unbeachtlich, weil das Wahlrecht zur Zusammenveranlagung Ehegatten unabhängig davon zusteht, ob sie Kinder haben. Zudem gibt es auch Lebenspartnerschaften, zu deren Familie ein Kind gehört (vgl. den Sachverhalt im Beschluss des Niedersächsischen Finanzgerichts vom 26. August 2011, 7 K 65/10, juris).
40
Darüber hinaus wendet die Antragstellerin nicht den richtigen Vergleichsmaßstab an. Sie vergleicht die Besteuerung der von ihr als Erwachsene erzielten Einkünfte (rund € x) mit der Besteuerung eines Ehepaars, bei dem beide gemeinsam rund € x, d.h. durchschnittlich pro Erwachsenem jeweils ein Halb von € x erzielt haben, mithin mit einem wesentlich anderem Sachverhalt. Dass bei einem Einkommen pro erwachsenem Mitglied der Erwerbs- und Wirtschaftsgemeinschaft nur in Höhe der Hälfte des von der Antragstellerin erzielten Einkommens die Einkommensteuer und entsprechend der Grenzsteuersatz niedriger sind, liegt auf der Hand bzw. entspricht dem Grundsatz der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit. Die Kinder der Antragstellerin sind nicht einem Ehegatten oder Lebenspartner gleich zu setzende Mitglieder einer gemeinsam bestehenden Erwerbs- und Wirtschaftsgemeinschaft. Die Vorstellung, dass Eltern mit ihren pflege- und erziehungsbedürftigen minderjährigen (überspitzt: wickelbedürftigen Klein-) Kindern gemeinsam partnerschaftlich die Erzielung und Verwendung des Familieneinkommens als Erwerbs- und Wirtschaftsgemeinschaft bestimmen und gestalten, ist nicht realitätsgerecht.
41
Die Einwendungen der Antragstellerin, das Ehegattensplitting sei nicht mehr zeitgemäß, trage auch im Vergleich zu Regelungen in anderen Ländern der heutigen gesellschaftlichen Wirklichkeit nicht mehr Rechnung, fördere nur die Alleinverdiener-Ehe, dies überwiegend in den alten Bundesländern, bestärke eine Machtasymmetrie und führe zur Diskriminierung von Frauen, sind politische Argumente, deren Berechtigung nicht im Besteuerungsverfahren zu überprüfen ist. Die Antragstellerin übersieht, dass nach dem Grundsatz der Gewaltenteilung nicht die Gerichte, sondern der Gesetzgeber berufen ist, im politischen Verfahren der Gesetzgebung einer ggf. geänderten gesellschaftlichen Realität entsprechende gesetzliche Regelungen zu schaffen bzw. zu ändern (so bereits BVerfG, Urteil vom 3. November 1982 a.a.O., unter C II).
42
Die Antragstellerin übersieht ferner, dass nach der Rechtsprechung des BVerfG als auch des BFH „das Ehegatten-Splitting keine beliebig veränderbare Steuer-‘Vergünstigung‘ ist, sondern eine an dem Schutzgebot des Art. 6 Abs. 1 GG und an der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Ehepaare (Art. 3 Abs. 1 GG) orientierte sachgerechte Besteuerung (z.B. BVerfG-Beschluss vom 28. Juni 1993 1 BvR 132/89, Die Information für Steuerberater und Wirtschaftsprüfer 1993, 524; BVerfG-Urteil vom 3. November 1982  …, unter C.I.2. und C.I.4.)“ (BFH, Beschluss vom 5. August 2011, III B 158/10, BFH/NV 2011, 1870).
43
Das Gericht teilt diese Auffassung. Nachdem das BVerfG entschieden hat, dass Betreuungs- und Unterhaltskosten für Kinder unabhängig vom Status der Eltern bei allen Eltern zu berücksichtigen sind (Beschluss vom 10. November 1998, a.a.O.) gewährleistet das Splittingverfahren nicht mehr die Berücksichtigung kindbedingter Belastungen, sondern (nur noch) die durch Art. 6 Abs. 1 GG geschützte Entscheidungsfreiheit der Eheleute untereinander, wie sie ihre ehelichen, auch wirtschaftlichen Lebensverhältnisse gestalten wollen und insbesondere wer in welchem Umfang zum Familieneinkommen beiträgt (vgl. BFH, Beschluss vom 17. August 2004, a.a.O., Beschluss vom 28. Januar 2005, a.a.O., hierzu BVerfG Nichtannahmebeschluss a.a.O.). Bei der Zusammenveranlagung nach § 26 EStG mit der Folge der Ermittlung der Einkommensteuer im Splitting-Verfahren nach § 32a Abs. 5 EStG wird das Einkommen beider Eheleute zusammen gerechnet und dann geteilt. Die auf die Hälfte des gemeinsamen Einkommens entfallende Einkommensteuer wird sodann verdoppelt. Anders als die Antragstellerin (und ein Teil der hierzu ersichtlichen frauen- und steuerpolitischen Literatur) meinen, wird dadurch nicht derjenige Ehegatte mit dem niedrigeren Einkommen (i.d.R. die Frau) diskriminiert. Vielmehr macht es einkommensteuerlich gerade keinen Unterschied, ob einer der Eheleute allein (oder mehr) verdient als der andere, da die Einkommensteuer immer in gleicher Höhe festzusetzen ist, so als ob beide Ehegatten jeweils gleich hohe Einkünfte erzielen würden. Dass Frauen im Durchschnitt in der Regel weniger verdienen als Männer und häufiger Frauen, insbesondere im Fall der Kindererziehung, ganz oder teilweise nicht berufstätig sind, ist nicht Folge des Splittingverfahrens, sondern u.a. durch die wirtschaftlichen Verhältnisse am Arbeitsmarkt und durch die von den Individuen nach ihren persönlichen Verhältnissen aus vielfältigen Gründen getroffenen Entscheidungen bedingt.
44
Das BVerfG hat im Urteil vom 3. November 1982 entschieden, aus Art. 6 Abs. 1 GG folge „die Pflicht des Staates, die Familiengemeinschaft sowohl im immateriell-persönlichen als auch im materiell-wirtschaftlichen Bereich als eigenständig und selbstverantwortlich zu respektieren …. Die Ehegatten bestimmen in gleichberechtigter Partnerschaft … ihre persönliche und wirtschaftliche Lebensführung …. Die Aufgabenverteilung in der Ehe unterliegt der freien Entscheidung der Eheleute …. Das Selbstbestimmungsrecht der Ehegatten in ihren finanziellen Beziehungen untereinander wird insoweit verfassungsrechtlich geschützt.“ Diese durch Art. 6 Abs.. 1 GG geschützte Entscheidungsfreiheit werde durch das Splitting für Ehegatten ermöglicht. (BVerfG, Urteil vom 3. November 1982 a.a.O., unter C I 4a, m.w.N.).
45
An der Auffassung, dass das Selbstbestimmungsrecht (von Eheleuten als auch Eltern) nach Art. 6 Abs. 1 GG verfassungsrechtlich geschützt ist, hält das BVerfG aktuell in seinen Beschlüssen zu Regelungen des Elterngeldes fest: „Art. 6 Abs. 1 GG garantiert … die Freiheit, über die Art und Weise der Gestaltung des ehelichen und familiären Zusammenlebens selbst zu entscheiden. Deshalb hat der Staat die Familiengemeinschaft sowohl im immateriell-persönlichen als auch im materiell-wirtschaftlichen Bereich in ihrer jeweiligen eigenständigen und selbstverantwortlichen Ausgestaltung zu respektieren.“ (Beschluss vom 20. April 2011, 1 BvR 1811/08, m.w.N., juris). „Demgemäß können Ehepaare nach eigenen Vorstellungen zwischen einer Doppelverdiener- und einer Einverdienerehe wählen und dürfen Eltern ihr familiäres Leben nach ihren Vorstellungen planen und verwirklichen.“ (Beschluss vom 9. November 2011, 1 BvR 1853/11, NJW 2012, 214, juris). Das BVerfG spricht in diesen zum Elterngeld ergangenen Entscheidungen die zu gewährleistende Gestaltungsfreiheit nicht nur des familiären Zusammenlebens (einschließlich Kindern), sondern auch des ehelichen Zusammenlebens an.
46
2) Das Gericht hat keine Zweifel an Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides und an der Verfassungsmäßigkeit der gesetzlichen Regelungen, nach denen die Antragstellerin nicht zusammen mit ihren Kindern im Wege eines Familiensplitting zusammen zur Einkommensteuer zu veranlagen ist.
47
Anders als die Antragstellerin meint, ist eine Besteuerung im Wege eines Familiensplitting nicht durch das Prinzip der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit verfassungsrechtlich geboten. Steuerlich freizustellen ist (nur) das Existenzminimum. „Ausgangspunkt der verfassungsrechtlichen Beurteilung ist das aus Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1 und Art. 6 Abs. 1 GG abzuleitende Prinzip der Steuerfreiheit des Existenzminimums. Danach hat der Staat das Einkommen des Bürgers insoweit steuerfrei zu stellen, als dieser es zur Schaffung der Mindestvoraussetzungen eines menschenwürdigen Daseins für sich und seine Familie benötigt. Einem Grundgedanken der Subsidiarität, wonach Eigenversorgung Vorrang vor staatlicher Fürsorge hat, entspricht es, dass sich die Bemessung des einkommensteuerrechtlich maßgeblichen Existenzminimums nach dem im Sozialhilferecht niedergelegten Leistungsniveau richtet. Was der Staat dem Einzelnen voraussetzungslos aus allgemeinen Haushaltsmitteln zur Verfügung zu stellen hat, das darf er ihm nicht durch Besteuerung seines Einkommens entziehen …. Die somit von Verfassungs wegen zu berücksichtigenden Aufwendungen zur Sicherung des Existenzminimums sind vom Steuergesetzgeber nach dem tatsächlichen Bedarf realitätsgerecht zu bemessen …. In einem verfassungsrechtlichen Spannungsverhältnis hierzu steht die Befugnis des Gesetzgebers, bei der Ordnung der steuerrechtlichen Massenverfahren die Vielzahl der Einzelfälle in einem Gesamtbild zu erfassen und auf dieser Grundlage typisierende Regelungen zu treffen …. Im Bereich der Steuerfreiheit des Existenzminimums hat er dabei allerdings Sorge zu tragen, dass typisierende Regelungen in möglichst allen Fällen den entsprechenden Bedarf abdecken“ (BVerfG, Beschluss vom 13. Februar 2008, 2 BvL 1/06, BVerfGE 120, 125 m.w.N.).
48
Bei der Besteuerung einer Familie gilt „das verfassungsrechtliche Gebot, dass der Staat das Einkommen dem Steuerpflichtigen insoweit steuerfrei belassen muss, als es Mindestvoraussetzung eines menschenwürdigen Daseins ist … unter zusätzlicher Berücksichtigung von Art. 6 Abs. 1 GG – für das Existenzminimum sämtlicher Familienmitglieder …. Bei der Beurteilung der steuerlichen Leistungsfähigkeit muss der Staat daher den Unterhaltsaufwand für Kinder des Steuerpflichtigen in dem Umfang als besteuerbares Einkommen außer Betracht lassen, in dem dieses zur Gewährleistung des Existenzminimums der Kinder erforderlich ist.“ (BVerfG, Beschluss vom 10. November 1998, a.a.O., m.w.N.). Zum Existenzminimum eines Kindes gehören auch der Betreuungsbedarf (BVerfG, Beschluss vom 10. November 1998 a.a.O.) und Aufwendungen für die Kranken- und Pflegeversicherung (BVerfG, Beschluss vom 13. Februar 2008, a.a.O.).
49
Der Gesetzgeber hat sich nicht für ein Familiensplitting, sondern dafür entschieden, einkommensteuerlich das sächliche Existenzminimum sowie den Betreuungs-, Erziehungs- und Ausbildungsbedarf eines Kindes durch den Abzug der in § 32 Abs. 6 EStG geregelten Freibeträge (soweit nicht das Kindergeld günstiger ist, § 31 EStG) steuerfrei zu stellen. Dies ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
50
Der Gesetzgeber ist verpflichtet, bei der Einkommensbesteuerung (nur) dass Existenzminimum des Steuerpflichtigen und seiner Familie freizustellen. Das darüber hinausgehende Einkommen darf der Besteuerung unterworfen werden (BVerfG, Beschluss vom 29. Mai 1990, a.a.O.). Das Kinderexistenzminimum muss in jedem Fall vor dem steuerlichen Zugriff verschont werden, „mehr gebietet das Sozialstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1 GG) nicht“ (BVerfG, Beschluss vom 27. Juli 2010, 2 BvR 2122/09, NJW 2010, 3564, juris). Der Gesetzgeber ist mithin nicht verpflichtet, über die steuerliche Freistellung des Existenzminimums hinaus sämtliche kindbedingten Aufwendungen bzw. zivilrechtlichen Unterhaltspflichten der Eltern gegenüber ihren Kindern in voller Höhe zu berücksichtigen oder gar die durch die kindbedingte verringerte Möglichkeit zur Einkommenserzielung entstehenden finanziellen Nachteile auszugleichen (so aber zur Ausgleichspflicht sog. „Negativeinkünfte“ Prof. Dr. Leisner-Egensperger, „Kindergerechte Familienbesteuerung, Plädoyer für ein demographiegünstiges und sozial gerechtes Familiensplitting“, FR 2010, 865, anders BFH, Urteil vom 13. August 2002, VIII R 80/97, BFH/NV 2002, 1456, hierzu BVerfG Nichtannahmebeschluss vom 4. August 2003, 2 BvR 1537/02, juris, BFH, Beschluss vom 17. August 2004, a.a.O., BFH, Urteil vom 17. Juni 2010, III R 35/09, BFHE 230, 523 BStBl 2011, 176, BFH, Beschluss vom 8. Juni 2011, X B 176/10 BFH/NV 2011, 1679, jeweils m.w.N.).
51
Der Gesetzgeber hat sich dafür entschieden, in systematisch unterschiedlicher Weise die Freiheit der ehelichen Lebens- und Wirtschaftsgestaltung einerseits durch die Möglichkeit der Zusammenveranlagung mit Splitting-Verfahren zu gewährleisten und das Existenzminimum der Kinder des Steuerpflichtigen andererseits durch die Gewährung von Kindergeld bzw. den Abzug von Kinderfreibeträgen und nicht im Wege eines Familiensplitting zu berücksichtigen. Dies kann dazu führen, dass ein alleinerziehendes, d.h. einzeln zur Einkommensteuer zu veranlagendes Elternteil mit Kindern – im Streitfall eine Familie mit drei Personen – im Vergleich zu einem zusammen zur Einkommensteuer veranlagten Ehepaar ohne oder mit einem Kind, bei dem beide Eheleute gemeinsam Einkünfte in derselben Höhe wie das alleinerziehende Elternteil erzielen, eine höhere Einkommensteuer (mit entsprechend höherem Grenzsteuersatz und der Notwendigkeit zur Erzielung höherer Einkünfte, um über den gleichen Betrag nach Steuern verfügen zu können) zu zahlen hat, wie von der Antragstellerin in ihren Berechnungen dargelegt. Der Gesetzgeber hat trotz der im Hinblick auf das Generationenproblem gesellschaftlich erwünschten höheren Kinderzahl die systematisch unterschiedliche Berücksichtigung der ehelichen Lebensverhältnisse und der Lebensverhältnisse von Eltern (-teilen) mit Kindern nicht geändert.
52
Insoweit sind nach dem Grundsatz der Gewaltenteilung nicht die Gerichte, sondern ist der Gesetzgeber unter Wahrung der ihm durch die Verfassung vorgegebenen Parameter nach seiner politischen Überzeugung berufen, die derzeitige gesetzliche Systematik der Berücksichtigung der kindbedingten Aufwendungen beizubehalten, ggf. steuerlich oder anderweitig Familien mit Kindern mehr zu fördern oder ggf. geänderte gesetzliche Regelungen z.B. zur Einführung eines Familiensplitting zu schaffen.
53
3) Die Antragstellerin macht geltend, nach dem Urteil des BVerfG vom 9. Februar 2010 sei es verfassungswidrig, dass der Freibetrag für Kinder niedriger als der Grundfreibetrag für Erwachsene sei. Damit macht sie konkludent geltend, Kinder hätten einen genauso hohen Bedarf wie ein Erwachsener. Dass dies so ist, hat die Antragstellerin weder im Einzelnen substantiiert dargelegt noch belegt. Weder das Sozial- noch das Unterhaltsrecht gehen davon aus, dass Erwachsene und Kinder der Höhe nach den gleichen existenznotwendigen Unterhaltsbedarf hätten. Die Regelungen im SGB II (Regelleistung zur Sicherung des Lebensunterhalts nach § 20 SGB II) bzw. zur Grundsicherung im SGB XII (Regelbedarfssätze gemäß der Anlage zu § 28 SGB XII, für das Streitjahr Regelbedarfsverordnungen auf der Grundlage des § 28 SGB XII) gehen ebenso wie die familienrechtlich normierten Unterhaltspflichten (vgl. Palandt, Kommentar zum BGB, 71. Aufl. 2012, Rdz. 19 Einführung vor § 1601 BGB, Düsseldorfer Tabelle) von einem höheren existenznotwendigen Unterhaltsbedarf eines Erwachsenen gegenüber einem Minderjährigen aus. Anders als die Antragstellerin meint, hat auch das BVerfG in seinem Urteil vom 9. Februar 2010 nicht entschieden, dass Kinder einen gleich hohen Bedarf wie Erwachsene hätten. Das BVerfG hat im Gegenteil entschieden, dass Kinder „einen besonderen kinder- und altersspezifischen Bedarf“ haben; „Kinder sind keine kleinen Erwachsenen“ (Orientierungssatz 4e.bb, II 6.1a der Entscheidung, Pressemitteilung des BVerfG vom 9. Februar 2010, II.6). Die Methode des Gesetzgebers, den Bedarf eines Kindes pauschal an dem Bedarf eines Erwachsenen angelehnt festzulegen, sei nicht geeignet, den tatsächlichen Bedarf zu ermitteln.
54
Das Gericht hat deshalb keine Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheides und der zugrundeliegenden gesetzlichen Regelungen, soweit die für das sächliche Existenzminimum einschließlich des Betreuungs- und Ausbildungsbedarfs für die Kinder der Antragstellerin abgezogenen Beträge nicht entsprechend dem für die Antragstellerin abgezogenen Grundfreibetrag gemäß § 32a EStG mit jeweils € 7.664 abgezogen worden sind.
55
4) Das Gericht hat bei der im Aussetzungsverfahren gebotenen summarischen Prüfung keine ernstlichen Zweifel daran, dass die kindbedingte Minderung der Leistungsfähigkeit der Antragstellerin durch die im Bescheid angesetzten Freibeträge gemäß § 32 Abs. 6 EStG in Höhe von jeweils € 5.808 ausreichend berücksichtigt ist. Die Bemessung des einkommensteuerlich freizustellenden Existenzminimums, d.h. die Höhe der Freibeträge, orientiert sich an dem im Sozialhilferecht anerkannten Mindestbedarf einschließlich des Betreuungs-, Erziehungs- und Ausbildungsbedarfs und ist für das Streitjahr unter Umrechnung des Bedarfs entsprechend den sozialrechtlichen Regelungen mit € 5.808 angesetzt worden (Sechster Existenzminimumbericht für das Jahr 2008, Bundestagsdrucksache 16/3265). Die Methode der Ermittlung des sozialrechtlich zu gewährleistenden kindbedingten existenznotwendigen Bedarfs ist, wie das BVerfG mit Urteil vom 9. Februar 2010 entschieden hat, nicht verfassungsgemäß. Da die Höhe der gemäß § 32 Abs. 6 EStG abzuziehenden Beträge aus der Höhe des sozialrechtlichen Bedarfs abgeleitet ist, wirkt sich die Fehlerhaftigkeit der Ermittlungsmethode auch auf die Ermittlung der einkommensteuerlich abzuziehenden Beträge aus.
56
Hieraus folgt jedoch nicht zwingend, dass die gemäß § 32 Abs. 6 EStG abgezogenen Beträge von jeweils € 5.808 nicht dem existenznotwendigen Bedarf entsprechen bzw. zu niedrig sind. Dass der existenznotwendige Bedarf eines Kindes höher ist, hat die Antragstellerin nicht im Einzelnen substantiiert dargelegt und belegt. Des Weiteren können nach dem EStG zusätzlich zu der Umrechnung des sozialrechtlich angesetzten Bedarfs in einkommensteuerliche Freibeträge nach § 32 Abs. 6 EStG weitere kindbedingte Aufwendungen abzogen werden, insbesondere für Kinderbetreuungskosten (im Streitjahr bis zur Höhe von € 4.000 je Kind bis zum 14. Lebensjahr als Sonderausgaben gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 5 und 8 EStG bzw. wie Betriebsausgaben bzw. Werbungskosten gemäß § 4f bzw. § 9 Abs. 5 EStG); dies ist bei einem Vergleich der Höhe des sozialrechtlich festgelegten Bedarfs mit den einkommensteuerlichen Regelungen zu berücksichtigen. Das BVerfG hat in seinem Urteil vom 9. Februar 2010 entschieden, dass die (den Freibeträgen gemäß § 32 Abs. 6 EStG zugrunde gelegten) sozialhilferechtlich als Bedarf eines Kindes angesetzten Beträge nicht „evident unzureichend“ sind (Orientierungssatz 4b.aa. und bb., II.2 der Entscheidung, Pressemitteilung des BVerfG vom 9. Februar 2010, II.2). Weil in der Rechtsprechung des BVerfG bislang nicht geklärt worden war, nach welchen verfassungsrechtlichen Maßstäben im Einzelnen sich die Bemessung der existenznotwendigen Sozialleistungen richtet, hat das BVerfG dem Gesetzgeber eine Frist bis zum 31. Dezember 2010 gesetzt, um ihm die Schaffung einer Neuregelung zu ermöglichen. Eine rückwirkende Verpflichtung zur Neuregelung hat das BVerfG dem Gesetzgeber aus diesem Grund nicht auferlegt (Orientierungssatz 4h.aa, D I.1 bis 5 der Entscheidung).
57
Da die Höhe der gemäß § 32 Abs. 6 EStG abzuziehenden Beträge aus der Höhe des sozialrechtlichen Bedarfs abgeleitet ist, wirkt sich die nach Auffassung des BVerfG nicht „evident unzureichende“ Bemessung des existenznotwendigen Bedarfs eines Kindes auch auf die verfassungsrechtliche Beurteilung der Höhe der einkommensteuerlich abzuziehenden Beträge als nicht evident unzureichend aus. Das Gericht hat deshalb keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheides bezüglich der verfassungsrechtlich gebotenen Höhe der Freibeträge des § 32 Abs. 6 EStG. Darüber hinaus hat das FA die Einkommensteuer u.a. hinsichtlich der Höhe der kindbezogenen Freibeträge nach § 32 Abs. 6 Sätze 1 und 2 EStG gemäß § 165 Abs. 1 Satz 2 Nrn. 3 und 4 AO vorläufig festgesetzt; die Rechte der Antragstellerin insoweit sind dadurch gewahrt.
58
5) Das Vorstehende gilt auch für die Höhe des Entlastungsbetrages für Alleinerziehende gemäß § 24b EStG in Höhe von € 1.308. Das Gericht hat bei der im Aussetzungsverfahren gebotenen summarischen Prüfung keine ernstlichen Zweifel daran, dass die durch die Alleinerziehung bedingte Minderung der Leistungsfähigkeit der Antragstellerin durch diesen Freibetrag ausreichend berücksichtigt ist. Dass der durch die Alleinerziehung bedingte Bedarf höher ist, hat die Antragstellerin nicht im Einzelnen substantiiert dargelegt und belegt. Kinderbetreuungskosten hat sie nicht geltend gemacht. Die von Antragstellerin vorgetragene Notwendigkeit, in erhöhtem Umfang Fremdleistungen z.B. bei Verpflegung und Nachhilfe in Anspruch nehmen zu müssen, kann auch bei zusammenlebenden Eltern bestehen, z.B. wenn diese aufgrund niedriger Einkunftserzielungsmöglichkeiten beide berufstätig sein müssen. Dass aufgrund der für Kinder erforderlichen Zeit  weniger Zeit für die Einkommenserzielung zur Verfügung steht, wirkt sich bereits dadurch aus, dass das in der nicht zur Verfügung stehenden Zeit nicht erzielte Einkommen nicht besteuert wird. Auch der vorgetragenen höheren Personalkostenquote würde bereits dadurch steuerlich Rechnung getragen, dass die Antragstellerin die Personalkosten als Betriebsausgaben abziehen kann. Die Höhe des Freibetrages gemäß § 24b EStG entspricht in etwa einem einkommensteuerlich umgerechneten Mehrbedarf für Alleinerziehende nach § 21 Abs. 3 SGB II, wobei die Regelungen wegen der einkommensteuerlich unabhängig, nach § 21 Abs. 3 SGB II jedoch abhängig von Alter und Zahl der Kinder bestimmten Beträge nicht direkt vergleichbar sind. Zudem können einkommensteuerlich zusätzlich Kinderbetreuungskosten abgezogen werden. Das Gericht hat deshalb keine eine Aufhebung der Vollziehung rechtfertigenden ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheides bezüglich der verfassungsrechtlich gebotenen Höhe des Freibetrages des § 24b EStG.
59
6) Bezüglich der von der Antragstellerin als verfassungswidrig gerügten unzureichenden Berücksichtigung der Sonderausgaben bzw. zum (Nicht-) Abzug der einkommensteuerlich zu verschonenden existenznotwendigen Versicherungsbeiträge der Steuerpflichtigen für ihre unterhaltsberechtigten Kinder hat das BVerfG mit Urteil vom 13. Februar 2008 (a.a.O.) entschieden, dass die für das Streitjahr geltenden Regelungen in § 10 EStG nicht verfassungsgemäß sind. Es hat jedoch eine Fortgeltung der angegriffenen Vorschriften bis zum 31. Dezember 2009 angeordnet und damit dem Gesetzgeber eine Übergangsfrist für eine verfassungsgemäße Neuregelung eingeräumt. Für das Streitjahr hat das Gericht deshalb keine Zweifel daran, dass die gesetzlichen Regelungen des § 10 EStG zum Sonderausgabenabzug für Eltern bzw. Alleinerziehende mit Kindern zu Recht der Einkommensteuerfestsetzung zugrunde gelegt worden sind.
60
7) Dass die Besteuerung den von der Antragstellerin erwähnten nach Art. 6 Abs. 4 GG geschützten Anspruch der Mutter auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft verletzt, ist weder vorgetragen noch ersichtlich.
61
8) Gemäß § 69 Abs. 2 Satz 8 FGO (entsprechend § 361 Abs. 2 Satz 4 AO) sind bei Steuerbescheiden die Aussetzung und die Aufhebung der Vollziehung auf die festgesetzte Steuer, vermindert um die anzurechnenden Steuerabzugsbeträge, um die anzurechnende Körperschaftsteuer und um die festgesetzten Vorauszahlungen, beschränkt; dies gilt nicht, wenn die Aussetzung oder Aufhebung der Vollziehung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheinen. Aus den Bescheiden des FA vom … bzw. … ergab sich eine (geringe) Einkommensteuer-Nachzahlung in Höhe von € …. Die Antragstellerin möchte über die Höhe der Nachzahlung hinaus im Vorgriff auf eine von ihr für erforderlich gehaltene gesetzliche Neuregelung – die Einführung eines Familiensplittings bzw. die Anwendung der Splittingtabelle auf ihr zu versteuerndes Einkommen bzw. die Berücksichtigung höherer als der gesetzlichen Frei- bzw. Zusatzbeträge – eine Aufhebung der Vollziehung erreichen. Hierfür fehlt es an einer gesetzlichen Grundlage. Nach § 361 Abs. 2 Satz 4 AO, § 69 Abs. 3 Satz 4 i.V.m. § 69 Abs. 2 Satz 8 FGO sind die Aussetzung bzw. Aufhebung der Vollziehung grundsätzlich auf die Differenz zwischen der festgesetzten Jahressteuer und den anzurechnenden Abzugsbeträgen, der anzurechnenden Körperschaftsteuer und den festgesetzten Vorauszahlungen beschränkt. Nach dem Zweck der Vorschrift soll eine vorläufige Erstattung von Vorauszahlungen ausgeschlossen werden (vgl. Koch in Gräber, Kommentar zur FGO, 7. Aufl. 2010, Rdz. 46 zu § 69 FGO). Nach der Rechtsprechung des BFH sind im Sinne der Rechtsprechung zu § 114 FGO „wesentliche Nachteile i.S. von § 69 Abs. 2 Satz 8 Halbsatz 2 FGO … nur gegeben, wenn durch die Vollziehung der angefochtenen Steuerbescheide die wirtschaftliche oder persönliche Existenz des Steuerpflichtigen unmittelbar und ausschließlich bedroht sein würde“ (vgl. Beschluss vom 22. November 2001, V B 100/01, BFH/NV 2002, 519, ebenso BFH, Beschluss vom 26. Januar 2010, VI B 115/09, BFH/NV 2010, 935 m.w.N.), nicht jedoch, wenn es sich lediglich um Nachteile handelt, die typischerweise mit der Pflicht zur Steuerzahlung verbunden sind (vgl. Koch in Gräber a.a.O., Rdz. 47 zu § 69 FGO mit weiteren Nachweisen). Dass § 69 Abs. 2 Satz 8 FGO (entsprechend § 361 Abs. 2 Satz 4 AO) verfassungswidrig seien, hat die Antragstellerin weder vorgetragen, noch ist dies ersichtlich (vgl. BFH, Beschluss vom 26. Januar 2010 a.a.O. m.w.N., BVerfG Nichtannahmebeschluss vom 30. Januar 2002 1 BvR 66/02 zum Beschluss des BFH vom 22. November 2001, juris).
62
9) Die Aufhebung der Vollziehung ist auch nicht deshalb geboten, weil die erfolgte Vollziehung des angefochtenen Bescheides für die Antragstellerin eine unbillige Härte zur Folge hätte. Solche Gründe sind weder aus den Akten ersichtlich, noch hat sie die Antragstellerin substantiiert vorgetragen.
63
10) Das Gericht legt im Kosteninteresse der Antragstellerin den Antrag dahingehend aus, dass sie die Aufhebung der Vollziehung nur bezüglich der Einkommensteuer beantragt und nur nachrichtlich mitgeteilt hat, dass entsprechend der Solidaritätszuschlag ausgesetzt werden möge. Ein auch bezüglich des Solidaritätszuschlages gestellter Antrag wäre unzulässig. Eigenständige Einwendungen gegen dessen Festsetzung hat die Antragstellerin nicht erhoben. Sie begehrt dessen Aufhebung der Vollziehung als Folgewirkung aufgrund der begehrten Aufhebung der Vollziehung der Einkommensteuer, die hierfür die Grundlage bildet (§ 233 a Abs. 5 AO, § 1 Abs. 5 Satz 2 SolzG). Ein insoweit gestellter Antrag wäre unzulässig (vgl. Koch in Gräber, Kommentar zur FGO, 7. Aufl. 2010. Rdz. 55 zu § 69 FGO, Stichwort Folgebescheide).
64
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
65
Das Gericht lässt gemäß § 128 Abs. 3 FGO i.V.m. § 115 Abs. 2 FGO die Beschwerde zu.

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