Worum geht es?
Seit dem 1. Januar 2022 gilt die neue Steuerbefreiung für kleine Photovoltaikanlagen nach § 3 Nr. 72 EStG. Das Ziel: Bürokratieabbau und Förderung der Energiewende. Doch die Praxis zeigt erste Bruchstellen – insbesondere bei nachlaufenden Betriebsausgaben für frühere steuerpflichtige Jahre. Ein aktuelles Urteil des Finanzgerichts Nürnberg sorgt hier für Zündstoff.
Der Streitfall: Umsatzsteuer für 2021 in 2022 bezahlt – abziehbar oder nicht?
Ein Steuerpflichtiger zahlte im Jahr 2022 Umsatzsteuer für den Veranlagungszeitraum 2021. Für das Jahr 2021 waren die Einnahmen aus seiner Photovoltaikanlage noch steuerpflichtig. Ab 2022 ist der Betrieb der Anlage steuerfrei. Der Betriebsausgabenabzug für die Zahlung im Jahr 2022 wurde vom Finanzamt abgelehnt – mit Hinweis auf das neue Gewinnermittlungsverbot.
Das FG Nürnberg bestätigte diese Sichtweise:
§ 3 Nr. 72 EStG sei nicht nur eine Steuerbefreiungsvorschrift, sondern schließe auch den Abzug von Betriebsausgaben aus – selbst wenn diese wirtschaftlich klar einem früheren (steuerpflichtigen) Jahr zuzuordnen sind.
Kritik: Verfassungsrechtlich und systematisch problematisch
Viele Steuerexperten sehen das anders. Insbesondere Michael Seifert argumentiert in der NWB:
- § 3 Nr. 72 EStG enthalte kein ausdrückliches Betriebsausgabenverbot, sondern befreie lediglich die Einnahmen von der Steuer.
- Der Grundsatz der periodengerechten Gewinnermittlung sei verletzt, wenn klar zuordenbare Betriebsausgaben nachträglich komplett unberücksichtigt bleiben.
- Das führe zu einem verfassungsrechtlich fragwürdigen Ergebnis, denn der Steuerpflichtige wird belastet, obwohl die Einnahmen versteuert wurden.
BFH muss entscheiden: Musterverfahren läuft
Der Kläger hat Revision eingelegt, der Fall ist nun beim Bundesfinanzhof anhängig. Ob auch andere Finanzgerichte dieser restriktiven Sichtweise folgen, ist noch offen – mehrere weitere Verfahren sind derzeit in Vorbereitung.
Praxistipp: Einspruch einlegen und Verfahren ruhen lassen
In allen vergleichbaren Fällen gilt:
✅ Einspruch gegen den Steuerbescheid einlegen, wenn Betriebsausgaben nach 2021 nicht berücksichtigt wurden.
✅ Ruhen des Verfahrens beantragen mit Hinweis auf das Musterverfahren vor dem BFH.
Typische Fälle:
- Umsatzsteuerzahlungen für frühere Jahre
- Wartungs- oder Reparaturkosten mit wirtschaftlichem Bezug zum Jahr 2021
- Rechtsberatungskosten oder Steuerberatungskosten im Zusammenhang mit dem ehemaligen PV-Betrieb
Fazit: Betriebsausgaben dürfen nicht ins Leere laufen
Die neue Steuerfreiheit für PV-Anlagen ist grundsätzlich positiv zu bewerten – doch sie darf nicht zu unlogischen Härtefällen führen, bei denen Betriebsausgaben ins Leere laufen. Eine materiell-rechtliche Schlechterstellung von Steuerpflichtigen, die frühere Jahre ordnungsgemäß versteuert haben, ist weder sachgerecht noch verfassungsrechtlich unbedenklich.
Wir bleiben für Sie an dem Musterverfahren dran und unterstützen Sie bei der richtigen Einordnung – individuell, rechtssicher und mandantenorientiert.