Unwirksame Bekanntgabe an gemeinsame Anschrift von Ehegatten bei Zusammenveranlagung trotz beantragter Einzelveranlagung

Haben Ehegatten durch die Abgabe zweier getrennter Steuererklärungen konkludent erklärt, dass sie in steuerlichen Angelegenheiten keine gemeinsame Bekanntgabe von Bescheiden wünschen, kann ein Bescheid nicht gemäß § 122 Abs. 7 Satz 1 AO wirksam an die gemeinsame Anschrift der Ehegatten bekannt gegeben werden.

Sachverhalt:

Der seit September 2000 verheiratete Kläger hatte ebenso wie seine Ehefrau für das Jahr der Eheschließung die besondere Veranlagung nach § 26c des Einkommensteuergesetzes (EStG) beantragt. Das beklagte Finanzamt (FA) führte aber zunächst in einem an beide Ehegatten gerichteten Bescheid eine Zusammenveranlagung durch, in der nur die Einkünfte der Ehefrau berücksichtigt wurden, was zu einer Erstattung auf ihr Konto in Höhe von gerundet 1.500 Euro führte. Nachdem das FA den Fehler bemerkt hatte, hob es den Zusammenveranlagungsbescheid wegen offenbarer Unrichtigkeit nach § 129 AO auf. Der Aufhebungsbescheid wurde erneut an beide Ehegatten gerichtet. Die nur von der Ehefrau des Klägers erhobene Klage gegen den Aufhebungsbescheid wurde vom Bundesfinanzhof (BFH) im Januar 2010 abgewiesen (Az. III R 22/08). Das FA stellte daraufhin den Erstattungsbetrag von 1.500 Euro gegenüber beiden Ehegatten fällig und erließ gegen beide einen Zinsbescheid über gerundet 700 Euro. Der Erstattungsbetrag und die Zinsen wurden vom Kläger im Juni bzw. Juli 2010 an das FA per Banküberweisung bezahlt.

Mehr als fünf Jahre später, am 23. Dezember 2015, forderte der Kläger vom FA die Erstattung der von ihm insgesamt bezahlten 2.200 Euro. Er sei aufgrund der an beide Ehegatten gerichteten Bescheide davon ausgegangen, als Gesamtschuldner zur Zahlung der gegenüber der Ehefrau festgesetzten Beträge verpflichtet gewesen zu sein. Das FA habe aber zu Unrecht beide Ehegatten zur Zahlung aufgefordert, obwohl allein seine Ehefrau die Leistung erhalten habe. Das FA lehnte die vom Kläger beantragte Erstattung ab.

Aus den Gründen:

Das Finanzgericht gab der Klage statt und verpflichtete das FA, zu Gunsten des Klägers Erstattungsansprüche in Höhe von insgesamt 2.200 Euro festzustellen. Der Kläger habe sowohl im Juni 2010 einen Betrag von 1.500 Euro als auch im Juli 2010 einen Betrag von 700 Euro rechtsgrundlos bezahlt (§ 37 Abs. 2 AO).

Rechtsgrundlose Zahlung wegen unwirksamer Bekanntgabe des Aufhebungsbescheids

1. Die Zahlung des Betrags von 1.500 Euro beruhe auf der Aufhebung des Zusammenveranlagungsbescheides, der dem Kläger aber nicht wirksam bekannt gegeben worden sei. Der Aufhebungsbescheid hätte nicht an beide Ehegatten unter ihrer gemeinsamen Anschrift gerichtet werden dürfen. Die Ehegatten hätten sich im Zusammenhang mit der Einreichung ihrer jeweiligen Steuererklärungen für das Jahr 2000 nicht mit einer Bekanntgabe von Verwaltungsakten an einen Ehegatten mit Wirkung für und gegen den jeweils anderen Ehegatten einverstanden erklärt (§ 122 Abs. 6 AO). Auch eine Bekanntgabe nach § 122 Abs. 7 AO an die gemeinsame Anschrift der Ehegatten sei nicht zulässig gewesen. Der Kläger und seine Ehefrau hätten zwar eine gemeinsame Anschrift gehabt und nicht ausdrücklich eine Einzelbekanntgabe beantragt. Durch die Abgabe zweier getrennter Steuererklärungen hätten sie jedoch zumindest konkludent erklärt, dass sie in steuerlichen Angelegenheiten keine gemeinsame Bekanntgabe von Bescheiden wünschten. Denn bei einer ihrem Antrag entsprechenden Einzelveranlagung wäre eine Bekanntgabe nach § 122 Abs. 7 Satz 1 AO von vornherein ausgeschlossen gewesen. Nicht anders verhalte es sich, wenn das Finanzamt gegen den erklärten Willen der Eheleute eine Zusammenveranlagung durchführe.

Keine Rechtskraftwirkung des BFH-Urteils gegenüber dem Kläger

Dem Kläger könne nicht die durch das Urteil des BFH eingetretene Rechtskraft des Aufhebungsbescheides entgegengehalten werden. Das Urteil sei ausschließlich gegenüber der Ehefrau ergangen, so dass es auch nur ihr gegenüber Bindungswirkung entfalte.

Rechtsgrundlose Zahlung des Erstattungsbetrages wegen Zahlungsverjährung

Selbst wenn man aufgrund der vom FA vorgenommenen Zusammenveranlagung § 122 Abs. 7 Satz 1 AO für anwendbar hielte und das Vorliegen eines konkludenten Antrags auf Einzelbekanntgabe durch die Beantragung einer getrennten Veranlagung verneinen würde, hätte der Kläger die 1.500 Euro rechtsgrundlos gezahlt, da im Zeitpunkt der Zahlung ihm gegenüber bereits Zahlungsverjährung nach § 228 AO eingetreten gewesen sei.

Unwirksame Bekanntgabe des Zinsbescheids

2. Die Zahlung der 700 Euro aufgrund des gegenüber beiden Ehegatten erlassenen Zinsbescheides sei ebenfalls rechtsgrundlos erfolgt. Auch der Zinsbescheid sei den Ehegatten in einem gemeinsamen Bescheid bekannt gegeben worden. Außerdem habe nur die Ehefrau einen Aussetzungsantrag gestellt und auch nur ihr gegenüber sei die Aussetzung der Vollziehung gewährt worden. Dem Kläger gegenüber hätte der Zinsbescheid daher keine Wirksamkeit erlangen können.

Keine Zahlung des Klägers auf die Schuld seiner Ehefrau

3. Dem Kläger könne auch nicht entgegengehalten werden, er habe mit seinen Zahlungen auf die Schuld seiner Ehefrau leisten wollen. Zwar habe der Kläger bei der Überweisung des Erstattungsbetrags als Verwendungszweck „ESt 2000 [St.Nr. Ehegatten neu] [Kl und Ehefrau]“ und bei der Überweisung des Zinsbetrages als Verwendungszweck „[St.Nr. Ehegatten neu] ESt 2000 AdV-Zinsen“ angegeben; auch sei ihm im Zeitpunkt der Leistung bekannt gewesen, dass der zurückgeforderte Einkommensteuerbetrag ausschließlich auf das Konto der Ehefrau erstattet worden sei. Gleichwohl könne nicht davon ausgegangen werden, der Kläger habe zumindest auch auf die Schuld seiner Ehefrau leisten wollen. Vielmehr bestünden Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger nicht auf eine gemeinsame Schuld, sondern nur auf seine eigene Schuld geleistet habe. So hätten der Kläger und seine Ehefrau für das Jahr der Eheschließung nicht nur getrennte Steuererklärungen abgegeben und erklärt, im Wege der besonderen Veranlagung veranlagt werden zu wollen. Sie hätten auch in der Folgezeit durch ihr Verhalten deutlich gemacht, dass sie steuerlich unterschiedlich handeln und auch entsprechend behandelt werden wollten. Unter diesen Umständen hätte das FA nicht davon ausgehen dürfen, der Kläger habe mit seiner Überweisung auch die Schuld der Ehefrau tilgen wollen. Er habe gezahlt, weil er, wenn auch ohne rechtlichen Grund, vom FA dazu aufgefordert worden sei.

Quelle: FG Baden-Württemberg, Mitteilung vom 13.11.2019 zum Urteil 11 K 1210/16 vom 04.12.2018 (nrkr – BFH-Az.: III R 6/19)