1. Wann kann das Finanzamt eine verdeckte Gewinnausschüttung (vGA) annehmen?
Der Bundesfinanzhof (BFH) hat in seinem Urteil vom 22.05.2024 (I R 2/21) klargestellt, dass eine vGA nicht nur durch unmittelbare Vermögensverschiebungen zugunsten eines Gesellschafters entstehen kann. Ein Vorteil, der eine vGA bedingt, kann sich auch daraus ergeben, dass der Gesellschafter einen eigenen Aufwand erspart. Dies kann auch durch den Verzicht auf einen Erstattungs- oder Ausgleichsanspruch geschehen.
2. Sachverhalt
Die K-GmbH, Teil eines Konzerns mit einer Muttergesellschaft (X) in den USA, schloss Dienstleistungsverträge mit einer Gesellschaft in Venezuela (Y). Nachdem die USA ein Wirtschaftsembargo gegen Venezuela verhängt hatten, wies die Muttergesellschaft X die K-GmbH an, die Verträge mit Y nicht weiter zu erfüllen. Als Folge musste die K-GmbH Schadenersatz an Y zahlen und die Verfahrenskosten tragen.
Das Finanzamt betrachtete diese Zahlungen als verdeckte Gewinnausschüttung (vGA), da die Stornierung der Aufträge allein im Interesse der Muttergesellschaft X erfolgt sei. Das Finanzgericht (FG) gab der K-GmbH zunächst Recht. Der BFH entschied jedoch teilweise anders und verwies die Angelegenheit zur weiteren Klärung an das FG zurück.
3. Entscheidung
Der BFH stellte fest, dass eine vGA in Form einer verhinderten Vermögensmehrung nicht aufgrund fehlender Vorteilseignung verneint werden kann. Ein Vorteil für den Gesellschafter kann bereits darin bestehen, dass dieser Aufwand erspart, weil die Gesellschaft die Kosten trägt. Eine solche Aufwandsersparnis kann durch den Verzicht auf einen Erstattungs- oder Ausgleichsanspruch entstehen.
- Verhinderte Vermögensmehrung: Eine vGA muss nicht zwingend eine Nutzungs- oder Ressourcenüberlassung an den Gesellschafter beinhalten. Es genügt, dass der Gesellschafter ein persönliches Ziel ohne eigenen Aufwand erreicht.
- Aufwandsersparnis im Fall: Der BFH sah es als möglich an, dass X der K-GmbH Weisungen erteilt hat, ohne eine fremdübliche Gegenleistung zu erbringen, und dadurch Aufwand erspart hat.
Der BFH betonte, dass ein ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter einen geschlossenen Vertrag nur dann brechen würde, wenn er durch äußere Umstände (z. B. gesetzliche Verbote) oder zur Verhinderung eines größeren Schadens gezwungen wäre.
4. Weiteres Vorgehen und Prüfungen durch das FG
Der BFH konnte den Feststellungen des FG nicht entnehmen, ob der Vertragsbruch durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasst war. Das FG muss nun im zweiten Rechtsgang insbesondere den Inhalt des US-Embargos prüfen.
- Prüfung des Embargos: Wenn das Embargo die K-GmbH verpflichtet hätte, den Vertrag zu brechen, wäre die Stornierung nicht durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasst.
- Weisung der Muttergesellschaft: Das FG muss klären, ob die Muttergesellschaft X die K-GmbH zu einem Vertragsbruch veranlasst hat. Ein Vertragsbruch wäre nicht durch das Gesellschaftsverhältnis bedingt, wenn ein ordentlicher Geschäftsleiter auch ohne die Weisung aufgrund der wirtschaftlichen Folgen zum Vertragsbruch entschieden hätte.
5. Zeitpunkt der Ansatzes der vGA
Sollte eine vGA festgestellt werden, ist sie in dem Jahr anzusetzen, in dem der Vermögensvorteil, der durch die verhinderte Vermögensmehrung erzielt hätte werden können, bilanziert werden müsste.
6. Praxishinweis
Der BFH hat die Grundsätze zur vGA in Form einer verhinderten Vermögensmehrung konkretisiert:
- Eine Vorteilseignung liegt vor, wenn der Gesellschafter Aufwand erspart, etwa durch Verzicht auf Erstattungs- oder Ausgleichsansprüche.
- Der Ansatz der verhinderten Vermögensmehrung erfolgt in dem Zeitraum, in dem der Vermögensvorteil bilanziert werden müsste.
Fazit: Unternehmen sollten darauf achten, dass sämtliche Transaktionen mit Gesellschaftern auf Basis fremdüblicher Konditionen erfolgen, um den Vorwurf einer vGA zu vermeiden. Insbesondere die Ersparnis eigener Aufwendungen des Gesellschafters kann ein Anzeichen für eine vGA sein.
Quelle: BFH, Urteil vom 22.05.2024 – I R 2/21