BFH-Urteil vom 24.7.1980 (IV R 117/77) BStBl. 1980 II S. 762

BFH-Urteil vom 24.7.1980 (IV R 117/77) BStBl. 1980 II S. 762

Die Finanzbehörden überschreiten das ihnen in § 3 ZRFG eingeräumte Ermessen nicht dadurch, daß sie eine Sonderabschreibung bei Anschaffung einer nicht mehr neuen Eigentumswohnung ablehnen.

ZRFG § 3.

Sachverhalt

 

Der Rechtsstreit geht um die Frage, ob Sonderabschreibungen nach § 3 des Zonenrandförderungsgesetzes (ZRFG) vom 5. August 1971 (BGBl I 1971, 1237, BStBl I 1971, 370) auf eine zu beruflichen Zwecken erworbene Eigentumswohnung zu gewähren sind.

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) ist im Zonenrandgebiet als selbständiger Steuerberater tätig. Im Jahre 1974 erwarb er eine Eigentumswohnung, die von der bisherigen Eigentümerin ausschließlich privat genutzt worden war. Die Anschaffungskosten betrugen 87.000 DM. Der Kläger benutzt die Wohnung zur Ausübung seiner Praxis.

Mit Schreiben vom 14. Juni 1976 und außerdem im Rahmen der Einkommensteuerveranlagung für 1974 beantragte der Kläger, für die von ihm erworbene Wohnung die Sonderabschreibung nach § 3 ZRFG zu gewähren. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt – FA -) ließ die begehrte Sonderabschreibung in dem Einkommensteuerbescheid vom 20. Oktober 1976 unberücksichtigt. Darüber hinaus lehnte das FA durch Bescheid vom 15. November 1976 den Antrag auf Gewährung der begehrten Sonderabschreibung ausdrücklich ab.

Der Kläger legte sowohl gegen den Einkommensteuerbescheid als auch gegen die gesonderte Ablehnung seines Antrags Rechtsbehelfe ein. Die Oberfinanzdirektion (OFD) deutete den gegen den Einkommensteuerbescheid eingelegten Einspruch in eine Beschwerde um und wies diesen Rechtsbehelf mit Entscheidung vom 3. Februar 1977 zurück.

Die Klage hatte Erfolg. Das Finanzgericht (FG) führte zur Zulässigkeit der Klage aus, das außergerichtliche Vorverfahren sei zwar nicht richtig durchgeführt worden. Denn nach § 348 Abs. 1 Nr. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) sei gegen Verwaltungsakte, die für die Festsetzung von Steuern verbindlich sind, der Rechtsbehelf des Einspruchs gegeben. Beschwerde könne nur erhoben werden, wenn es um Billigkeitsmaßnahmen nach § 163 AO 1977 gehe. Für solche Billigkeitsmaßnahmen sei aber bei der Rechtsanwendung im Rahmen des § 3 ZRFG kein Raum. Die in § 3 ZRFG vorgesehenen Vergünstigungen seien vielmehr bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen zu gewähren, ohne daß für die Ausübung von Billigkeitserwägungen ein Spielraum bleibe. Die OFD habe daher zu Unrecht den eingelegten Rechtsbehelf als Beschwerde behandelt. Dennoch sei die Anfechtungsklage nicht unzulässig; das „falsche“ Vorverfahren sei kein Verfahrenshindernis i. S. des § 44 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO). – Die Klage sei auch begründet, da die Voraussetzungen für die Gewährung der beantragten Steuerermäßigung im Streitfall gegeben gewesen seien. Das Gesetz biete keine Anhaltspunkte dafür, daß die Vergünstigung nur für den Fall der Anschaffung neuer Wirtschaftsgüter (oder deren Herstellung) gelte. Die entgegenstehende Verwaltungspraxis sei unbeachtlich. Die Verwaltung sei nicht befugt, die Vergünstigungsvorschrift des § 3 ZRFG – wie im Streitfall geschehen – einzuengen. Deshalb seien der Einkommensteuerbescheid und die hierzu ergangene Beschwerdeentscheidung entsprechend abzuändern.

Hiergegen legte das FA Revision ein. Es rügt Verletzung des § 3 ZRFG und des § 348 Abs. 1 Nr. 2 i. V. m. § 163 AO 1977. Zur Begründung führt es aus, die Auffassung, daß nach § 3 ZRFG ein Rechtsanspruch auf Sonderabschreibungen gewährt werde, finde im Gesetz keine Stütze; sie stehe im Widerspruch zu der ständigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs – BFH – (Urteil vom 28. April 1977 IV R 163/75, BFHE 122, 121, BStBl II 1977, 553), nach der § 3 ZRFG nur einen Ermessensrahmen enthalte. Die Versagung der Vergünstigung gegenüber dem Kläger halte sich im Rahmen des der Verwaltung eingeräumten Ermessens. Die Grenzen für die Ausübung des Ermessens bei der Anwendung des § 3 ZRFG seien erst überschritten, wenn sachfremde Erwägungen vorlägen. Solche Erwägungen hätte es im Streitfall bei der Ablehnung der Sonderabschreibung nicht gegeben. Nach dem Einführungserlaß zum Zonenrandförderungsgesetz (Schreiben des Bundesministers für Wirtschaft und Finanzen – BMWF – vom 18. August 1971 F/IV B 2 – S 1915 – 73/71, BStBl I 1971, 386) sei die Gewährung der Sonderabschreibung für abnutzbare unbewegliche Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens grundsätzlich auf solche Fälle zu beschränken, in denen Gebäude(-teile) errichtet werden. Etwas anderes könne allenfalls dann gelten, wenn es sich – wie in dem vom BFH in seinem Urteil IV R 163/75 entschiedenen Fall – um die Anschaffung einer neuen Wohnung im Wege des Ersterwerbs von einem Bauträger handle. Ein solcher Sachverhalt sei hier aber nicht gegeben.

Das FA beantragt, das FG-Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

 

Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage.

1. Das FG hat die Klage im Ergebnis zu Recht als zulässig angesehen. Das in § 44 Abs. 1 FGO vorgeschriebene außergerichtliche Rechtsbehelfsverfahren ist dem Gesetz gemäß durchgeführt worden.

a) Der erkennende Senat hat auf der Grundlage der am 1. Januar 1977 in Kraft getretenen Abgabenordnung mit Urteil vom 28. Februar 1980 IV R 19/78 (BFHE 130, 244, BStBl II 1980, 528) entschieden, daß die Ablehnung eines Antrags auf Gewährung der Sonderabschreibung nach dem Zonenrandförderungsgesetz ein selbständiger Verwaltungsakt ist, auch wenn diese Ablehnung äußerlich mit der Steuerfestsetzung verbunden wird. Als Rechtsbehelf gegen die Ablehnung der Sonderabschreibung ist die Beschwerde (§ 349 Abs. 1 AO 1977) gegeben.

Wird – wie im Streitfall – ein die Ablehnung der Sonderabschreibung enthaltender Verwaltungsakt angefochten, der vor dem 1. Januar 1977 wirksam geworden ist, und ist über den Rechtsbehelf erst nach dem 31. Dezember 1976 zu entscheiden, so richten sich die Art des außergerichtlichen Rechtsbehelfs sowie das weitere Verfahren nach den neuen Vorschriften der Abgabenordnung. Ein Einspruch gegen einen vor dem 1. Januar 1977 wirksam gewordenen Einkommensteuerbescheid, in dem auch eine Entscheidung über eine beantragte Vergünstigungsmaßnahme nach § 3 ZRFG enthalten ist, mußte hiernach insoweit, als er sich gegen die Entscheidung über die Vergünstigungsmaßnahme richtete, nunmehr als Beschwerde angesehen werden; dagegen mußte das Rechtsbehelfsvorbringen, das sich gegen den übrigen Inhalt des Einkommensteuerbescheids richtete, auch weiterhin als Einspruch behandelt werden (BFHE 130, 244, BStBl II 1980, 528).

b) Im Streitfall hatte der Kläger u. a. gegen den – die Ablehnung der Sonderabschreibung enthaltenden – Einkommensteuerbescheid 1974 vom 20. Oktober 1976 „Einspruch“ eingelegt. Die OFD hat diesen Rechtsbehelf, soweit er sich gegen die Ablehnung der Sonderabschreibung richtete, zutreffend nach dem 31. Dezember 1976 als Beschwerde angesehen und demgemäß eine Beschwerdeentscheidung „wegen Ablehnung von Sonderabschreibungen nach § 3 ZRFG“ erlassen. Das tatsächlich durchgeführte außergerichtliche Vorverfahren hat damit dem Gesetz entsprochen. Das für die Zulässigkeit der Klage nach § 44 Abs. 1 FGO vorausgesetzte „erfolglos gebliebene Vorverfahren“ ist in der gebotenen Weise durchgeführt worden.

2. Der Entscheidung des FG zur Sache selbst vermag der Senat nicht zu folgen. Das FG hat zu Unrecht angenommen, daß der Kläger die begehrte Sonderabschreibung beanspruchen kann.

a) Nach § 3 Abs. 1 und Abs. 6 ZRFG kann bei Steuerpflichtigen, die im Rahmen einer selbständigen Arbeit im Zonenrandgebiet Investitionen vornehmen, im Hinblick auf die wirtschaftlichen Nachteile, die sich aus den besonderen Verhältnissen dieses Gebiets ergeben, auf Antrag zugelassen werden, daß bei den Steuern vom Einkommen einzelne Besteuerungsgrundlagen, soweit sie die Steuern mindern, schon zu einem früheren Zeitpunkt berücksichtigt werden; insbesondere dürfen unter bestimmten Voraussetzungen bei Wirtschaftsgütern des Anlagevermögens Sonderabschreibungen gewährt werden (§ 3 Abs. 2 Satz 1 ZRFG).

Entgegen der Auffassung des FG kann dieser Vorschrift nicht entnommen werden, daß Steuerpflichtige bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 3 ZRFG in jedem Fall einen Anspruch auf die begehrte Sonderabschreibung haben. Die Vorschrift des § 3 ZRFG enthält vielmehr einen Ermessensrahmen, innerhalb dessen die Finanzverwaltung die Gewährung von Sonderabschreibungen auch von Voraussetzungen abhängig machen kann, die im Gesetz selbst nicht genannt werden, sofern sich dies als sachgerechte Ermessensausübung darstellt. Diese Ansicht entspricht der ständigen Rechtsprechung des BFH (BFHE 122, 121, BStBl II 1977, 553, sowie Urteil vom 27. Juli 1977 I R 169/74, BFHE 123, 327, BStBl II 1978, 10). Der Senat hält auch nach erneuter Überprüfung der Rechtslage hieran fest.

Die Annahme des Klägers, der Gesetzgeber habe nachträglich durch eine Gesetzesänderung zum Ausdruck gebracht, daß es sich bei den Entscheidungen über die Steuervergünstigungen nach § 3 ZRFG nicht um Ermessensmaßnahmen handle, ist unzutreffend. Die vom Kläger in der mündlichen Verhandlung erwähnte Änderung betrifft § 3 Abs. 5 ZRFG. Diese Vorschrift hat in ihrer früheren Fassung u. a. auf die Vorschrift des § 131 Abs. 2 der Reichsabgabenordnung (AO) a. F. verwiesen, die den Erlaß für bestimmte Gruppen von gleichgelagerten Fällen regelte. Die Vorschrift des § 3 Abs. 5 ZRFG ist durch das Gesetz zur Änderung des Investitionszulagengesetzes und anderer Gesetze vom 30. Oktober 1978 (BGBl I, 1693, BStBl I 1978, 427) neu gefaßt worden. Die neue Fassung hat indessen hinsichtlich der Richtlinienkompetenz keine wesentlichen Änderungen gebracht; denn auch nach der neuen Regelung sollen Vorschriften „sinngemäß“ gelten, die den Erlaß von Billigkeitsrichtlinien (nach der Abgabenordnung) regeln (§ 163 Abs. 2 Satz 1 und § 184 Abs. 2 Satz 2 AO 1977). Zwar fehlt eine dem § 131 Abs. 2 AO a. F. entsprechende Vorschrift. Jedoch schließt die in § 163 Abs. 2 Satz 1 AO 1977 geregelte Befugnis der obersten Finanzbehörden, ihre Erlaßbefugnis zu delegieren, das Recht ein, die unterstellten Behörden mit Richtlinien zu versehen.

b) Soweit eine Behörde ermächtigt ist, nach ihrem Ermessen zu entscheiden, ist im finanzgerichtlichen Verfahren zu prüfen, ob der Verwaltungsakt oder die Ablehnung des Verwaltungsakts rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist (§ 102 FGO). Im Streitfall läßt die Versagung der Sonderabschreibung weder eine Ermessensüberschreitung noch einen Ermessensfehlgebrauch erkennen.

Aus der Vorschrift, daß Sonderabschreibungen unter gewissen Voraussetzungen auf unbewegliche Anlagegüter gewährt werden können (§ 3 Abs. 1 und 2 ZRFG), folgt nicht, daß auf alle unbeweglichen Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens, die der Steuerpflichtige „anschafft“ oder „herstellt“, die Sonderabschreibung gewährt werden muß. Wie der Senat bereits in seinem Urteil in BFHE 122, 121, BStBl II 1977, 553 entschieden hat, ist die in den Richtlinien zum Zonenrandförderungsgesetz (Schreiben des BMWF vom 18. August 1971) enthaltene Regelung, nach der bei „abnutzbaren unbeweglichen Wirtschaftsgütern des Anlagevermögens“ die Gewährung von Sonderabschreibungen grundsätzlich auf solche Fälle zu beschränken ist, in denen Gebäude(-teile) „errichtet“ werden (vgl. Abschn. I Nr. 2 Abs. 1 Nr. 2 des Schreibens des BMWF vom 18. August 1971), mit den Förderungszielen des Zonenrandförderungsgesetzes vereinbar; denn die „Errichtung“ von (neuen) Gebäuden oder Gebäudeteilen ist in aller Regel besser geeignet, die vom Gesetzgeber gewünschte Investitionstätigkeit im Zonenrandgebiet zu fördern als der „Erwerb“ bereits vorhandener Gebäude. Der erkennende Senat hat eine Ausnahme von dieser Regel nur für den Fall als notwendig erachtet, daß ein Steuerpflichtiger ein Gebäude oder einen Gebäudeteil erwirbt, das (bzw. der) von einem Bauträger neu erstellt wurde; ein solcher Erwerbsfall ist nach Ansicht des Senats nach dem Gleichheitssatz nicht weniger begünstigungswürdig als die „Errichtung“ eines Gebäude(-teils) durch den Steuerpflichtigen selbst (BFHE 122, 121, BStBl II 1977, 553). – Der grundsätzliche Ausschluß bereits vorhandener Gebäude von der Vergünstigung kann nicht deshalb als Ermessensfehlgebrauch angesehen werden, weil dies dazu führen könnte, daß wirtschaftlich schwächere Steuerpflichtige, die für die Anschaffung neuer Gebäude möglicherweise nicht die nötigen Mittel aufbringen können, in Einzelfällen keine Vergünstigung erhalten. Der Senat ist zwar der Ansicht, daß dieser Erwägung bei der Ermessensbetätigung auch eine erhebliche Bedeutung zukommt. Dennoch kann es nicht als ermessensfremd angesehen werden, wenn die Finanzverwaltung diese Erwägung hinter die Überlegung zurücktreten läßt, daß der Investitionstätigkeit durch die Schaffung neuer Gebäude besser gedient wird und – jedenfalls in vielen Fällen – technisch neue Gebäudeanlagen besser geeignet sind, die Leistungsfähigkeit der Unternehmen zu fördern als alte und gebrauchte Gebäude (ähnlich auch BFH-Urteil in BFHE 123, 327, BStBl II 1978, 10, zur steuerlichen Begünstigung bei der Anschaffung beweglicher Anlagegüter).

Ob eine Gewährung von Sonderabschreibungen, die über den von der Finanzverwaltung gezogenen Rahmen hinausgeht, in noch höherem Maße einer sachgerechten Ermessensausübung entsprechen würde, hat der Senat nicht zu entscheiden. Die gerichtliche Entscheidungsbefugnis erstreckt sich nur auf die Frage, ob die Versagung der Sonderabschreibung auf bereits gebrauchte Gebäude(-teile) einen Ermessensfehlgebrauch darstellt. Dies ist nach den obigen Ausführungen nicht der Fall.

So stellt es auch im Streitfall keinen Ermessensfehlgebrauch dar, wenn die beantragte Sonderabschreibung abgelehnt wurde. Denn es lag kein Ersterwerb einer Eigentumswohnung von einem Bauträger vor, der die Wohnung neu erstellt hatte. Vielmehr hat der Kläger die Wohnung von jemand erworben, der seinerseits bereits in ihr gewohnt hatte. Es handelt sich also um ein bereits „gebrauchtes“ Objekt.

Da das FG von einer anderen Auffassung ausgegangen ist, muß die Vorentscheidung aufgehoben und die Klage abgewiesen werden.


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