VI B 108/07 – Rechtsweg bei Streit um die Berichtigung einer Lohnsteuerbescheinigung – hier: zum Zeitpunkt der Beendigung eines Arbeitsverhältnisses nach Kündigung

BUNDESFINANZHOF Beschluss vom 4.9.2008, VI B 108/07

Rechtsweg bei Streit um die Berichtigung einer Lohnsteuerbescheinigung – hier: zum Zeitpunkt der Beendigung eines Arbeitsverhältnisses nach Kündigung

Tatbestand

 
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I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) war von Anfang Mai 2006 für die Beklagte und Beschwerdegegnerin (Beklagte), eine Gesellschaft in der Rechtsform der GmbH & Co. KG, als Fernfahrer tätig. Am 17. Oktober 2006 kündigte der Kläger das Arbeitsverhältnis und erklärte, in der Zeit vom 23. bis 31. Oktober 2006 seinen Resturlaub nehmen zu wollen. Nachdem die Beklagte einen solchen Urlaubsanspruch zunächst in Abrede gestellt hatte, sollen die Beteiligten mündlich überein gekommen sein, das Arbeitsverhältnis am 28. Oktober 2006 zu beenden. Die Beklagte übersandte dem Kläger eine Lohnsteuerbescheinigung, in der eine Beschäftigungszeit bis zum 27. Oktober 2006 ausgewiesen war. Nachdem die Beklagte der Bitte des Klägers, eine auf den 28. Oktober 2006 korrigierte Lohnsteuerbescheinigung auszustellen, nicht nachgekommen war, erhob der Kläger Klage vor dem Finanzgericht Berlin-Brandenburg (FG).
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Mit Beschluss vom 15. August 2007  7 K 7218/07 verwies das FG den Rechtsstreit einschließlich Prozesskostenhilfe an das Arbeitsgericht A. Die Auseinandersetzung zwischen einem Arbeitnehmer und seinem früheren Arbeitgeber über einen Anspruch auf Berichtigung einer Lohnsteuerbescheinigung betreffe eine bürgerlich-rechtliche Streitigkeit, über die nach § 2 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a des Arbeitsgerichtsgesetzes (ArbGG) die Arbeitsgerichte zu entscheiden hätten. Die Beschwerde ließ das FG mit der Begründung zu, es weiche mit seiner Entscheidung von dem Beschluss des Bundesarbeitsgerichts (BAG) vom 11. Juni 2003  5 AZB 1/03 (BFH/NV 2003, Beilage 4, 253; Neue Juristische Wochenschrift –NJW– 2003, 2629) ab.
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Mit seiner Beschwerde trägt der Kläger unter Berufung auf den BAG-Beschluss 5 AZB 1/03 vor, der Rechtsstreit falle in die Zuständigkeit der Finanzgerichtsbarkeit.

Entscheidungsgründe

 
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II. Die nach § 17a Abs. 4 Satz 4 des Gerichtsverfassungsgesetzes zulässige Beschwerde ist unbegründet. Das FG hat im Ergebnis zu Recht den Finanzrechtsweg verneint und den Rechtsstreit an das zuständige Arbeitsgericht verwiesen. Für die Rechtsstreitigkeit sind die Gerichte für Arbeitssachen zuständig.
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1. Nach § 2 Abs. 1 Nr. 3 ArbGG sind die Gerichte für Arbeitssachen ausschließlich zuständig u.a. für bürgerliche Rechtsstreitigkeiten zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern aus dem Arbeitsverhältnis (Nr. 3 Buchst. a), über das Bestehen oder Nichtbestehen eines Arbeitsverhältnisses (Nr. 3 Buchst. b), aus Verhandlungen über die Eingehung eines Arbeitsverhältnisses und aus dessen Nachwirkungen (Nr. 3 Buchst. c) und über Arbeitspapiere (Nr. 3 Buchst. e). Ob eine Streitigkeit bürgerlich-rechtlicher oder öffentlich-rechtlicher Art ist, richtet sich nach der Natur des Rechtsverhältnisses, aus dem der Klageanspruch hergeleitet wird. Maßgebend ist, ob der zur Klagebegründung vorgetragene Sachverhalt für die aus ihm hergeleitete Rechtsfolge von Rechtssätzen des Arbeitsrechts oder des öffentlichen Rechts geprägt wird (vgl. z.B. BAG-Beschluss vom 16. Februar 2000  5 AZB 71/99, NJW 2000, 1438, und BAG-Beschluss in BFH/NV 2003, Beilage 4, 253, NJW 2003, 2629, m.w.N.).
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Nach § 33 Abs. 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ist der Finanzrechtsweg gegeben in öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten über Abgabenangelegenheiten, soweit die Abgaben der Gesetzgebung des Bundes unterliegen. Unter Abgabenangelegenheiten sind alle mit der Verwaltung der Abgaben oder sonst mit der Anwendung abgabenrechtlicher Vorschriften durch die Finanzbehörden zusammenhängenden Angelegenheiten zu verstehen (§ 33 Abs. 2 FGO). Fehlt –wie im Streitfall– eine ausdrückliche Rechtswegzuweisung, so entscheidet sich die Frage, ob eine solche Streitigkeit vorliegt, nach der Rechtsnatur des Klagebegehrens, wie sie sich aus dem dem Klageantrag zugrunde liegenden Sachverhalt ergibt (vgl. z.B. Beschluss des Bundesfinanzhofs –BFH– vom 29. Juni 1993 VI B 108/92, BFHE 171, 409, BStBl II 1993, 760, m.w.N.).
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2. Die Lohnsteuerbescheinigung, zu deren Erstellung der Arbeitgeber nach Maßgabe des § 41b des Einkommensteuergesetzes verpflichtet ist, ist eine Urkunde, die dem leichteren Nachweis steuerlicher Verhältnisse bei der Einkommensteuer-Veranlagung dient (vgl. BFH-Urteil vom 13. Dezember 2007 VI R 57/04, BStBl II 2008, 434; Thomas, Maßnahmen des Arbeitnehmers gegen Fehler beim Lohnsteuerabzug, in: Personalrecht im Wandel, Festschrift für Küttner, München 2006, S. 239 ff., 239). Sie ist ein Beweispapier über den Lohnsteuerabzug, so wie er tatsächlich stattgefunden hat (vgl. Thomas, a.a.O., S. 240), und nicht, wie er –etwa nach Auffassung des Arbeitnehmers– hätte durchgeführt werden müssen. Aus der Dokumentations- und Beweisfunktion für einen abgeschlossenen Sachverhalt ergibt sich, dass mit Einwendungen gegen die Lohnsteuerbescheinigung ein unzutreffender Lohnsteuerabzug nicht mehr ungeschehen gemacht werden kann (vgl. Thomas, a.a.O., S. 241).
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3. Ausgehend von diesen Grundsätzen ist bei einem Streit um die Berichtigung einer Lohnsteuerbescheinigung der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten jedenfalls dann gegeben, wenn es bei dem Rechtsstreit im Kern um arbeitsrechtliche Fragen geht, zu denen die vom Arbeitnehmer beanstandeten Eintragungen in der Lohnsteuerbescheinigung oder das Begehren des Arbeitnehmers auf Ausstellung einer Lohnsteuerbescheinigung einen bloßen Reflex bilden. Der zur Klagebegründung vorgetragene Sachverhalt wird für die aus ihm hergeleitete Rechtsfolge insbesondere dann von Rechtssätzen des Arbeitsrechts geprägt, wenn Streit besteht, ob überhaupt ein Arbeitsverhältnis vorgelegen hat, für welchen Zeitraum ein Arbeitsverhältnis bestanden hat oder welche arbeitsrechtlichen Ansprüche –insbesondere Barlohnansprüche– bestehen oder bestanden haben. Die letztgenannte Frage prägt insbesondere dann den Kern des Rechtsstreits, wenn um Bestehen und Inhalt einer Nettolohnvereinbarung (vgl. dazu z.B. BFH-Urteil in BStBl II 2008, 434, m.w.N.) gestritten und damit nach dem sachlichen Gehalt des Klagebegehrens zusätzlicher Lohn gefordert wird (vgl. dazu auch BFH-Beschluss vom 30. Juni 2005 VI S 7/05, BFH/NV 2005, 1849). Unter solchen Umständen ist davon auszugehen, dass der formell um die Berichtigung einer Lohnsteuerbescheinigung geführte Streit seinem eigentlichen Inhalt nach eine bürgerliche Rechtsstreitigkeit bildet und damit der Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen jedenfalls nach § 2 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. e ArbGG gegeben ist. Denn auch für den Streit über Arbeitspapiere sind die Arbeitsgerichte zuständig, wenn es sich um eine bürgerlich-rechtliche Streitigkeit handelt (vgl. BAG-Beschluss in BFH/NV 2003, Beilage 4, 253, NJW 2003, 2629).
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4. Nach diesen Maßstäben hat das FG im Ergebnis zu Recht den Finanzrechtsweg verneint. Nach dem sachlichen Gehalt des Klagebegehrens bildet den eigentlichen Inhalt des Rechtsstreits vorliegend die bürgerlich-rechtliche Frage, zu welchem Zeitpunkt das Arbeitsverhältnis nach Kündigung des Klägers beendet worden ist. Während die Beklagte nach Aktenlage offensichtlich von einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 27. Oktober 2006 ausgeht, ist der Kläger der Auffassung, dieses habe erst am 28. Oktober 2006 geendet. Die genauen Umstände der Kündigung durch den Kläger und die nach dem Vortrag des Klägers zwischen ihm und seiner ehemaligen Arbeitgeberin anlässlich seines Ausscheidens aus dem Arbeitsverhältnis getroffenen Abreden sind nicht geklärt. Die einkommensteuerliche Verpflichtung der Beklagten zur Dokumentation des Lohnsteuerabzugs gibt dem Rechtsstreit somit nicht das Gepräge. Der erkennende Senat sieht sich deshalb auch nicht im Widerspruch zu der BAG-Entscheidung, auf die sich der Kläger beruft.

Quelle: bundesfinanzhof.de


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