Beschluss vom 23. Juli 2020, VIII B 130/19
ECLI:DE:BFH:2020:B.230720.VIIIB130.19.0
BFH VIII. Senat
EStG § 6 Abs 1 Nr 4 , FGO § 115 Abs 2 Nr 1 , EStG VZ 2011 , EStG VZ 2012 , EStG VZ 2013
vorgehend FG Münster, 25. Juni 2019, Az: 1 K 985/16 E
Leitsätze
NV: Die Frage, ob ein Fahrtenbuch ordnungsgemäß ist, wenn zwar die Anfangspunkte einer Dienstreise nicht eingetragen werden, aber der Anfangspunkt bei nahtlosem und identischem Kilometerstand aus dem Ziel der darüberliegenden Zeile (dem Endpunkt der vorherigen Fahrt) geschlussfolgert werden kann, betrifft eine Frage des Einzelfalls, die nicht abstrakt klärungsfähig ist.
Tenor
Die Beschwerde der Kläger wegen Nichtzulassung der Revision gegen das Urteil des Finanzgerichts Münster vom 25.06.2019 – 1 K 985/16 E wird als unbegründet zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens haben die Kläger zu tragen.
Gründe
Die Beschwerde ist unbegründet und daher zurückzuweisen.
Die Revision ist nicht zuzulassen. Der Streitfall wirft entgegen der Auffassung der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) auf. Auch der gerügte Verfahrensfehler (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO), die Vorentscheidung des Finanzgerichts (FG) sei eine Überraschungsentscheidung und verletze den Anspruch der Kläger auf Gewährung rechtlichen Gehörs, liegt nicht vor.
1. Die von den Klägern als grundsätzlich bedeutsam aufgeworfene Frage, „ob der Anfangspunkt einer Dienstreise direkt in der gleichen Spalte eingetragen werden muss oder aber ob der Anfangspunkt geschlussfolgert werden kann aus dem Ziel der darüber liegenden Zeile bei nahtlosen und identischen Kilometerstand“, ist im Streitfall weder klärungsfähig noch klärungsbedürftig. Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO sind damit nicht erfüllt.
a) Grundsätzliche Bedeutung kommt einer Rechtssache nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) zu, wenn die für die Beurteilung des Streitfalls maßgebliche Rechtsfrage das (abstrakte) Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt und die Rechtsfrage klärungsbedürftig und in einem künftigen Revisionsverfahren klärungsfähig ist. Die Klärungsfähigkeit fehlt u.a., wenn die Beantwortung der aufgeworfenen Rechtsfrage von den besonderen Umständen des Einzelfalls abhängt. Ob bei Anwendung der vom BFH an ein ordnungsgemäßes Fahrtenbuch entwickelten abstrakten Anforderungen davon auszugehen ist, dass ein im jeweiligen Streitfall zu untersuchendes Fahrtenbuch ordnungsgemäß ist, muss das FG in erster Linie im Wege einer Tatsachenwürdigung unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls beurteilen (vgl. BFH-Beschluss vom 25.02.2014 – III B 155/12, BFH/NV 2014, 855, Rz 16).
b) Im Streitfall fehlt es danach für eine grundsätzliche Bedeutung der aufgeworfenen Rechtsfrage an deren Klärungsfähigkeit, denn ob Fahrtenbücher des Klägers in den Streitjahren jeweils ordnungsgemäß sind, ist eine im Einzelfall zu entscheidende Frage.
Der Kläger hat seine Eintragungen in den Streitjahren jeweils in einem handelsüblichen Fahrtenbuch vorgenommen. Ob die Fahrtenbücher nicht ordnungsgemäß sind, weil er in den Vordruck nicht stets den Anfangspunkt seiner Fahrten gesondert eingetragen hat, wenn dieser mit dem Endpunkt der vorherigen Fahrt übereinstimmte, ist eine nur auf den Streitfall als Einzelfall bezogene Fragestellung. Das FG hat die Ordnungsmäßigkeit der Fahrtenbücher in den Streitjahren daher auch nicht mit der abstrakten Begründung verneint, ein Fahrtenbuch genüge den Anforderungen stets nicht, wenn der Anfangspunkt der folgenden Fahrt aus dem Endpunkt der vorherigen Fahrt im Wege einer Schlussfolgerung abgeleitet werden müsse. Es hat die fehlende Ordnungsmäßigkeit maßgeblich aus der uneinheitlichen Vorgehensweise des Klägers, bei bestimmten Fahrten Anfangspunkte zu erfassen und dies bei anderen Fahrten zu unterlassen, abgeleitet, weil die Richtigkeit der angegebenen Kilometer für die im Fahrtenbuch erfassten Fahrten hierdurch nicht ohne weiteres überprüfbar sei.
Zu einer grundsätzlich bedeutsamen Rechtsfrage wird die von den Klägern aufgeworfene Rechtsfrage auch nicht dadurch, dass die Kläger geltend machen, die vom FG geforderte Eintragung des Anfangspunkts einer jeden Fahrt vertrage sich nicht mit der Gestaltung des im Handel erhältlichen und vielfach genutzten Fahrtenbuchs, welches der Kläger genutzt habe. Denn dass sich eine bestimmte Frage zu Eintragungen in einem Fahrtenbuch in einer Vielzahl gleichliegender Fälle ebenfalls stellen kann, ändert nichts daran, dass es bei der Prüfung der Ordnungsmäßigkeit des Fahrtenbuchs stets um eine Einzelfallwürdigung geht (vgl. BFH-Beschluss in BFH/NV 2014, 855, Rz 16).
c) Die von den Klägern aufgeworfene Rechtsfrage ist im Streitfall zudem nicht entscheidungserheblich und damit nicht klärungsbedürftig. Das FG hat zur Begründung, die Fahrtenbücher für die Streitjahre seien nicht ordnungsgemäß, tragend auch auf den Umstand abgestellt, der Kläger habe Umwegfahrten, insbesondere bei wiederholt angefahrenen Zielen, in den Fahrtenbüchern der Streitjahre nicht hinreichend kenntlich gemacht. Allein diese Mängel waren für das FG so gewichtig, dass es in der Gesamtschau nicht mehr von einem ordnungsgemäßen Fahrtenbuch ausgehen konnte. Da das FG seine Entscheidung, die Fahrtenbücher seien nicht ordnungsgemäß, kumulativ begründet hat und jeder dieser Begründungsstränge die Entscheidung allein trägt, kommt es auf die Entscheidung der von den Klägern zum ersten Begründungsstrang aufgeworfenen Frage in einem Revisionsverfahren nicht an.
d) Einwände des Beschwerdeführers gegen die sachliche Richtigkeit des FG-Urteils in Bezug auf die vom FG getroffene tatsächliche Würdigung, das Fahrtenbuch sei nicht ordnungsgemäß –etwa weil nur kleine Mängel vorhanden seien–, eröffnen als Rüge schlichter Rechtsfehler die Revision ebenfalls nicht (BFH-Beschlüsse vom 12.07.2011 – VI B 12/11, BFH/NV 2011, 1863, Rz 6; vom 14.03.2012 – VIII B 120/11, BFH/NV 2012, 949, Rz 7).
2. Der von den Klägern gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO gerügte Verfahrensmangel liegt nicht vor. Die Kläger machen ohne Erfolg geltend, die Vorentscheidung sei eine Überraschungsentscheidung, die sie in ihrem Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletze (§ 96 Abs. 2 FGO, Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes).
a) Die von den Klägern als überraschend gerügte Urteilsbegründung betrifft die Ausführungen des FG auf Blatt 11 der Vorentscheidung. Das FG legt dort dar, bei Fahrten zu wiederholt angefahrenen Zielen habe der Kläger in den Fahrtenbüchern Abweichungen von der regulären Fahrtstrecke (Umwegfahrten als Abweichungen nach oben und kürzere Strecken als Abweichungen nach unten) nicht hinreichend erklärt. Beispielhaft legt das FG dies für 528 Fahrten des Klägers von seiner Wohnung (A-Straße 1 in B) zu einem Hauptkunden (C-Platz in D) dar. Für diese Strecke seien weit überwiegend (bei 478 Fahrten) Entfernungen von 61 bis 63 Kilometer, bei 40 Fahrten eine um 20 Kilometer verlängerte gefahrene Strecke (vom FG als Abweichungen nach oben bezeichnet), bei 9 Fahrten eine gefahrene Strecke von 60 Kilometern und bei einer Fahrt eine gefahrene Strecke von 59 Kilometern (vom FG als Abweichungen nach unten bezeichnet) ohne Erläuterung der Abweichungen eingetragen worden. Die Eintragung gefahrener Kilometer von 60 Kilometern für die Strecke sei unglaubwürdig –so das FG–, weil eine Internetrecherche ergeben habe, dass es keine Route mit dieser Entfernung vom Wohnhaus des Klägers zum Einsatzort beim Kunden gegeben habe; die Eintragungen zu den gefahrenen Strecken mit genau 60 Kilometern in den Fahrtenbüchern könnten daher nicht zutreffend sein und seien nicht glaubhaft. Die Kläger halten dem entgegen, dieser Umstand sei in der mündlichen Verhandlung nicht problematisiert worden, zudem ergebe eine eigene Internetrecherche der Kläger, dass es für diese Strecke von der A-Straße 1 in B zum Sitz des Kunden am C-Platz in D eine Route mit der Entfernung von 58 Kilometern gebe.
b) Im Streitfall ist auf Grundlage des klägerischen Vorbringens keine Überraschungsentscheidung des FG zu beklagen.
aa) Eine Überraschungsentscheidung liegt vor, wenn das Gericht einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt zur Grundlage seiner Entscheidung macht und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gibt, mit der auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter selbst unter Berücksichtigung der Vielzahl vertretbarer Auffassungen nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens nicht rechnen musste. Die Rüge einer Verletzung des rechtlichen Gehörs verlangt, wenn sich der gerügte Verstoß –wie hier– auf einzelne Feststellungen des FG bezieht, dass der Beschwerdeführer erläutert, was er vorgetragen hätte, wenn sein Anspruch auf rechtliches Gehör nicht verletzt worden wäre, und dass bei Berücksichtigung dieses zusätzlichen Vortrags eine andere Entscheidung des FG in der Sache möglich gewesen wäre (BFH-Beschluss vom 16.09.2019 – VIII B 86/19, BFH/NV 2020, 92, Rz 4).
bb) Für eine Überraschungsentscheidung fehlt es nach diesem Maßstab daran, dass es sich bei dem Streit um fehlerhafte Eintragungen des Klägers für die 528 Fahrten von B nach D nicht um einen erst in der Urteilsbegründung in das Verfahren neu eingeführten und nicht vorhersehbaren Gesichtspunkt handelt, auf den das FG in der mündlichen Verhandlung als Grund für die Verwerfung der Fahrtenbücher hätte hinweisen müssen. Eine unzulässige Überraschungsentscheidung liegt nämlich nicht vor, wenn das FG das angefochtene Urteil auf einen rechtlichen Gesichtspunkt stützt, der im bisherigen Verfahren zumindest am Rande angesprochen worden ist (vgl. BFH-Beschluss vom 13.11.2019 – XI B 119/18, BFH/NV 2020, 367, Rz 19). Dies war hier der Fall. Die vom Kläger in den Streitjahren für diese 528 Fahrten im Fahrtenbuch eingetragenen unterschiedlichen Entfernungen und die Frage einer nicht ausreichenden Erklärung von Fahrten mit zu hohen oder zu niedrigen Entfernungen waren im finanzgerichtlichen Verfahren Gegenstand des Berichts der vom FG zur Sachverhaltsermittlung eingesetzten gerichtseigenen Prüferin des FG vom 25.07.2017, der den Beteiligten bekannt war und zu dem sie Stellung genommen haben.
cc) Ferner hat das FG seine Entscheidung, die Fahrtenbücher der Streitjahre seien nicht ordnungsgemäß, –wie dargelegt (s. unter 1.c)– kumulativ begründet. Selbst wenn im Hinblick auf den Begründungsstrang des FG, in den Fahrtenbüchern seien für wiederholt angefahrene Ziele nicht hinreichend erklärte Abweichungen bei den erfassten Kilometern vorhanden, aufgrund einer Überraschungsentscheidung ein Verfahrensfehler des FG anzunehmen sein sollte, könnte die Entscheidung des FG im Ergebnis nicht auf diesem Fehler beruhen. Denn das FG hat die Fahrtenbücher auch deshalb als nicht ordnungsgemäß verworfen, weil der Kläger nicht stets die Ausgangspunkte der Fahrten eingetragen hatte (s. unter 1.b). Im Hinblick auf diesen die Entscheidung des FG ebenfalls allein tragenden Begründungsstrang ist jedoch kein durchgreifender Zulassungsgrund gegeben.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.