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II. Die Revision ist begründet. Sie führt gemäß § 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG. Der Anspruch der Klägerin auf eine Änderung der Einkommensteuerbescheide für 1974 und 1976 durfte nicht unter Hinweis auf die Feststellungslast abgewiesen werden. |
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1. Gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO ist ein Steuerbescheid zu erlassen, aufzuheben oder zu ändern, soweit ein Grundlagenbescheid i.S. von § 171 Abs. 10 AO, dem Bindungswirkung für diesen Bescheid zukommt, erlassen, aufgehoben oder geändert wird. |
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Diese Bindungswirkung verpflichtet das für den Erlass eines Folgebescheids zuständige FA, die Folgerungen aus dem Grundlagenbescheid zu ziehen (vgl. z.B. Senatsurteil vom 28. November 2001 X R 23/97, BFH/NV 2002, 614). § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO begründet eine "absolute Anpassungsverpflichtung" (Pahlke/ Koenig, Abgabenordnung § 175 Rz 22). Die Vorschrift stellt die Anpassung des Folgebescheids mithin nicht in das Ermessen der Finanzbehörden. Sie bezweckt die Ermittlung und Festsetzung der zutreffenden Steuer und räumt der materiellen Richtigkeit des Folgebescheids den Vorrang vor der Bestandskraft ein (Senatsurteil vom 16. Juli 2003 X R 37/99, BFHE 203, 14, BStBl II 2003, 867). |
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2. Tatbestandsmäßige Voraussetzung für eine Korrektur nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO ist, dass ein Grundlagenbescheid mit Bindungswirkung für den Folgebescheid erlassen, aufgehoben oder geändert wird. Dies bedeutet: Im Umfang der in § 182 Abs. 1 AO festgelegten Bindungswirkung (dies ergibt sich aus der Formulierung "soweit …" in beiden Vorschriften) muss es entweder zu einer erstmaligen Regelung oder zu einer inhaltlichen Veränderung des bisherigen Regelungszustandes kommen (Senatsurteil vom 13. Dezember 2000 X R 42/96, BFHE 194, 305, BStBl II 2001, 471). |
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3. Im Streitfall hätte das FG die Frage, ob die Voraussetzungen für eine Änderung der Einkommensteuerfestsetzung nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO vorliegen, ohne Rückgriff auf die Feststellungslast beantworten müssen. |
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a) Zwischen den Beteiligten unstreitig wurden für M in den Gewinnfeststellungsbescheiden für 1974 vom 17. Juli 1984 laufende Einkünfte von 98 529,02 DM und für 1976 ein Veräußerungsgewinn in Höhe von 342 024,91 DM festgestellt. Dagegen wurden unter Aufhebung der früheren Feststellungsbescheide die Einkünfte des M aus seiner KG-Beteiligung in einem späteren maßgeblichen Feststellungsbescheid für das Jahr 1974 mit – 4 000 DM und für das Jahr 1976 mit – 2 840,35 DM angesetzt. |
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b) Der Umstand, dass wegen der Vernichtung der Steuerakten des Klägers nicht geklärt werden kann, ob die ursprünglichen Gewinnfeststellungsbescheide vom FA ausgewertet wurden, kann nicht zu Lasten der Klägerin gehen. |
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aa) Nachdem das FG nicht die Überzeugung gewinnen konnte, dass die Feststellungen des Betriebsstättenfinanzamts aus dem Jahre 1984 in entsprechenden Einkommensteuerfestsetzungen berücksichtigt worden seien, hat es die Notwendigkeit der Anpassung der Einkommensteuerbescheide an die geänderten Feststellungsbescheide davon abhängig gemacht, welchen der Beteiligten die objektive Beweislast (Feststellungslast) für die Unaufklärbarkeit des Sachverhalts trifft. Zwar gibt es im finanzgerichtlichen Verfahren keine gesetzlich festgelegten Regeln über die Verteilung der objektiven Beweislast, jedoch liegt grundsätzlich die Feststellungslast für die steuerbegründenden und -erhöhenden Tatsachen bei der Finanzbehörde und die für die steuerentlastenden oder -mindernden Tatsachen hingegen beim Steuerpflichtigen (sog. Beweislastgrundregel; vgl. BFH-Urteil vom 25. Juli 2000 IX R 93/97, BFHE 192, 241, BStBl II 2001, 9). |
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bb) Diese Regelung gilt aber nicht ohne Ausnahme (BFH-Urteil vom 7. Juli 1983 VII R 43/80, BFHE 138, 527, BStBl II 1983, 760, m.w.N.). Eine solche Ausnahme hat der erkennende Senat in seinem Urteil in BFHE 220, 3, BStBl II 2008, 335 für die im Streitfall zu entscheidende Sachverhaltskonstellation bereits grundsätzlich bejaht. Der Sachverhalt ist dadurch gekennzeichnet, dass das Betriebsstättenfinanzamt das Wohnsitzfinanzamt nicht von den Rechtsbehelfsverfahren gegen die Feststellungsbescheide vom Juli 1984 unterrichtet und die Beteiligten nicht zu dem Einspruchsverfahren hinzugezogen hatte. Ebenso hatte das zuständige FG die notwendige Beiladung des M zum Klageverfahren unterlassen. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die ausführliche Begründung dieser Entscheidung verwiesen. |
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cc) Die dagegen gerichteten Einwände des FA veranlassen den erkennenden Senat nicht zu einer Änderung seiner Auffassung. |
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Das FA lässt bei seinen Überlegungen außer Acht, dass M –wie vom Betriebsstättenfinanzamt festgestellt– unstreitig aus seiner Beteiligung an der KG keine positiven Einkünfte erzielt hat. Dass dieses materiell-rechtlich zutreffende Ergebnis in der Einkommensteuerfestsetzung des Steuerpflichtigen erfasst wird, ist vorrangig Aufgabe der an Recht und Gesetz gebundenen Finanzverwaltung, auch wenn der Steuerpflichtige zur Mitwirkung verpflichtet ist. Die Mitwirkungspflicht geht allerdings nicht so weit, sämtliche Steuerbescheide zeitlich unbegrenzt aufbewahren zu müssen, um der Finanzverwaltung jederzeit die materiell-rechtlich zutreffende Steuerfestsetzung zu ermöglichen. Vielmehr muss die Finanzverwaltung die dafür erforderlichen Vorkehrungen treffen; sie muss also die verwaltungstechnische Abwicklung von Feststellungsverfahren und Festsetzungsverfahren durch Grundlagenbescheid und Folgebescheid auch organisatorisch sicherstellen. Das macht ein abgestimmtes Verhalten von Betriebsstättenfinanzamt und Wohnsitzfinanzamt erforderlich. Deshalb kann es nicht darauf ankommen, ob dem Wohnsitzfinanzamt ein Verschulden des Betriebsstättenfinanzamts zugerechnet werden kann. Ebenso wenig kann der Steuerpflichtige auf den Weg der Amtshaftung gegen das Bundesland des handelnden Betriebsstättenfinanzamts bzw. des dafür zuständigen Finanzgerichts verwiesen werden. |
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4. Das FG wird im zweiten Rechtsgang somit entscheiden müssen, ob es aufgrund der von ihm bereits festgestellten Besonderheiten des Sachverhalts ohne Rückgriff auf die Feststellungslast Gewissheit darüber erlangen kann, dass die früheren Feststellungsbescheide nicht ausgewertet wurden, also zu keinem Zeitpunkt Gewinne aus der Beteiligung des M an der KG in seine Einkommensteuerfestsetzung eingegangen sind. Sollte es zu dieser Überzeugung kommen, wäre die Klage abzuweisen. |
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Sollte das FG diese Gewissheit nicht erlangen können, muss es das zu versteuernde Einkommen des M in den Streitjahren unter Berücksichtigung der Zahlen aus den früheren Feststellungsbescheiden schätzen und der so ermittelten Einkommensteuer die Steuerbelastung des Klägers bei Ansatz der Zahlen aus den geänderten Feststellungsbescheiden (zuletzt vom 8. Juli 2003 und vom 23. Dezember 2002) gegenüberstellen. |
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Bei der Schätzung, die zu einem schlüssigen, wirtschaftlich möglichen und vernünftigen Ergebnis der laufenden Einkünfte des Klägers führen muss (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 19. Januar 1993 VIII R 128/84, BFHE 170, 511, BStBl II 1993, 594, 597), kann das FG –ähnlich dem Verfahren für die Annahme eines Streitwerts im Verfahren der einheitlichen und gesonderten Gewinnfeststellung, in denen die einkommensteuerlichen Auswirkungen nicht in tatsächlicher Höhe zu berechnen sind– davon ausgehen, dass sich nur Steuerpflichtige mit einer hohen Steuerbelastung an Abschreibungsgesellschaften beteiligen (vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 13. Mai 1986 IV E 2/86, BFH/NV 1988, 110). Zudem ist zu berücksichtigen, dass im Streitjahr Veräußerungsgewinne nach § 34 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes a.F. mit dem halben Steuersatz zu versteuern waren. |
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