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II. Die Revision des FA ist begründet; sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FGO). |
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Das FG durfte den Ablehnungsbescheid vom 21. Oktober 1999 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 6. November 2000 nicht wegen der nach Festsetzung der Verspätungszuschläge eingetretenen Gesamtrechtsnachfolge aufheben und das FA nicht dazu verpflichten, die Verspätungszuschläge auf bestimmte Beträge herabzusetzen. Die angefochtenen Bescheide sind vielmehr angesichts der nur eingeschränkt möglichen gerichtlichen Prüfung (§ 102 Satz 1 FGO) rechtmäßig. |
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1. Nach § 130 Abs. 1 AO kann ein rechtswidriger Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder die Vergangenheit zurückgenommen werden. Verwaltungsakt in diesem Sinne ist auch die Festsetzung eines Verspätungszuschlags. |
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Die Rücknahme steht im Ermessen der nach § 130 Abs. 4 AO zuständigen Behörde. Wenn eine Behörde ermächtigt ist, nach ihrem Ermessen zu handeln, hat sie ihr Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einzuhalten (§ 5 AO). Eine behördliche Ermessensentscheidung unterliegt gemäß § 102 FGO nur insoweit der gerichtlichen Nachprüfung, als es um die Frage geht, ob die Behörde nach den tatsächlichen Verhältnissen zum Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung den entscheidungserheblichen Sachverhalt einwandfrei und erschöpfend ermittelt, die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat (vgl. BFH-Beschluss vom 4. Juni 2008 I R 9/07, BFH/NV 2008, 1647). Bei der Ermessensprüfung darf das Gericht vor allem die für die Ausübung des Ermessens maßgeblichen Erwägungen nicht durch eigene ersetzen (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Urteile vom 14. Juni 2000 X R 56/98, BFHE 192, 213, BStBl II 2001, 60, unter II.2.b, m.w.N.; vom 13. Januar 2005 V R 35/03, BFHE 208, 398, BStBl II 2005, 460, unter II.3., m.w.N.). Es darf ferner wegen der bei Ermessensentscheidungen nach § 102 Satz 1 FGO eingeschränkten Prüfungs- und Entscheidungskompetenz das FA nur dann nach § 101 Satz 1 FGO zum Erlass einer bestimmten Entscheidung verpflichten, wenn der Ermessensspielraum im konkreten Fall derart eingeengt ist, dass nur eine Entscheidung als ermessensgerecht in Betracht kommt (sog. Ermessensreduzierung auf Null; vgl. dazu z.B. BFH-Urteile vom 25. November 1997 IX R 28/96, BFHE 185, 94, BStBl II 1998, 550, unter II.3.a, m.w.N.; vom 29. März 2007 IX R 9/05, BFH/NV 2007, 1617, unter II.1.b aa). |
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2. Die Festsetzung von Verspätungszuschlägen ist nicht deswegen zwingend zurückzunehmen, weil Gesamtrechtsnachfolge eingetreten ist und der Steuerpflichtige, dessen Verhalten die Festsetzung veranlasst hat, nicht weiterhin als Schuldner in Anspruch genommen werden kann. |
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Die Verpflichtung zur Zahlung eines Verspätungszuschlags geht nach § 45 Abs. 1 Satz 1 AO als "Schuld aus dem Steuerschuldverhältnis" auf den Gesamtrechtsnachfolger über. Verspätungszuschläge sind ebenso wenig wie Säumniszuschläge vom Übergang kraft Gesamtrechtsnachfolge ausgeschlossen (vgl. BFH-Urteil vom 22. Januar 1993 III R 92/89, BFH/NV 1993, 455, unter II.2.c). Eine Ausnahme sieht das Gesetz lediglich bei der Erbfolge für Zwangsgelder vor (§ 45 Abs. 1 Satz 2 AO). Es kann dahinstehen, ob diese Einschränkung für andere Fälle der Gesamtrechtsnachfolge entsprechend gilt. Denn ein Verspätungszuschlag ist kein Zwangsgeld i.S. der §§ 328, 329 AO. Er ist ein Druckmittel eigener Art, das den ordnungsgemäßen Gang des Besteuerungsverfahrens sicherstellen soll (vgl. BFH-Urteil vom 10. Oktober 2001 XI R 41/00, BFHE 196, 408, BStBl II 2002, 124). |
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Die Erhebung des gegen einen Rechtsvorgänger festgesetzten Verspätungszuschlags führt auch dann nicht zu einem sinnwidrigen Ergebnis, wenn der Rechtsnachfolger die bisher versäumten Erklärungspflichten nunmehr unverzüglich erfüllt (vgl. BFH-Urteil in BFH/NV 1993, 455, zur Gesamtrechtsnachfolge durch Erbfall). Denn insoweit kann nichts anderes gelten, als wenn ein Steuerpflichtiger nach Festsetzung des Zuschlags selbst seinen Erklärungspflichten nachkommt. Der Verspätungszuschlag hat nicht nur präventive, sondern auch repressive Funktion (vgl. BFH-Urteil vom 26. Juni 2002 IV R 63/00, BFHE 198, 399, BStBl II 2002, 679; BFH-Beschluss vom 10. Februar 2005 VI B 108/04, BFH/NV 2005, 1003). |
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3. Die Sache ist spruchreif. Die Klage ist abzuweisen. Das FA hat es in gerichtlich nicht zu beanstandender Weise durch den Bescheid vom 21. Oktober 1999 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 6. November 2000 abgelehnt, die Festsetzungen der Verspätungszuschläge zurückzunehmen. Ermessensfehler i.S. des § 102 Satz 1 FGO sind ihm dabei nicht unterlaufen. |
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a) Soweit die Festsetzungen der Verspätungszuschläge bestandskräftig geworden sind, konnte das FA die Ablehnung der Rücknahme ermessensfehlerfrei auf den Eintritt der Bestandskraft stützen. |
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aa) Die Ablehnung der Rücknahme eines (rechtswidrigen) unanfechtbaren Verwaltungsakts ist grundsätzlich nicht ermessensfehlerhaft, wenn der Betroffene die Gründe, die seiner Auffassung nach eine Rücknahme rechtfertigen, mit einem fristgerecht eingelegten Rechtsbehelf gegen den Verwaltungsakt hätte vorbringen können. Mit dieser Begründung kann das FA eine Rücknahme nur dann nicht ablehnen, wenn vom Adressaten des Verwaltungsakts die Anstrengung eines Rechtsbehelfsverfahrens unter Berücksichtigung aller Umstände des Falls billigerweise nicht erwartet werden konnte (vgl. BFH-Urteil in BFHE 164, 215, BStBl II 1991, 552; BFH-Beschluss vom 12. April 2005 VII B 81/04, BFH/NV 2005, 1478, m.w.N.). Insoweit gelten dieselben Grundsätze wie für den vergleichbaren Fall des Erlasses bestandskräftig festgesetzter Steuern aus sachlichen Gründen nach § 227 AO (vgl. BFH-Urteile vom 11. August 1987 VII R 121/84, BFHE 150, 502, BStBl II 1988, 512; vom 17. Juni 2004 IV R 9/02, BFH/NV 2004, 1505). Die in § 130 AO vorgesehene Möglichkeit, rechtswidrige Verwaltungsakte zurückzunehmen, dient grundsätzlich ebenso wenig wie der Erlass dazu, die Folgen eines nicht eingelegten oder nicht weiterverfolgten Rechtsbehelfs auszugleichen. Die Begründungsmängel, die nach Auffassung des FG zur Rechtswidrigkeit der Festsetzungen der Verspätungszuschläge geführt haben, hätten ggf. nach § 126 Abs. 1 Nr. 2 AO im Rechtsbehelfsverfahren geheilt werden können (vgl. BFH-Urteil vom 26. September 2001 IV R 29/00, BFHE 196, 392, BStBl II 2002, 120). |
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bb) Im Streitfall sind die Festsetzungen der Verspätungszuschläge zu den Umsatzsteuervoranmeldungen für Mai und August 1994 sowie zu den Lohnsteueranmeldungen für Juni bis September 1994 mangels Beschwerde bestandskräftig geworden. Die Festsetzungen waren zutreffend an die damals noch existente Schuldnerin, die KG, gerichtet und damit wirksam (§ 122 Abs. 1 Satz 1, § 124 Abs. 1 Satz 1 AO). Eine zusätzliche Bekanntgabe an die Klägerin als spätere Gesamtrechtsnachfolgerin war nicht veranlasst. |
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Durch die Bezugnahme auf die zur Rücknahme ergangenen Ablehnungsschreiben und Einspruchsentscheidungen war hinreichend deutlich, dass das FA u.a. an der im Bescheid vom 6. März 1998 vertretenen Rechtsauffassung festhalten wollte, nach der dem durch Bestandskraft eingetretenen Rechtsfrieden eine größere Bedeutung zukomme als der materiellen Gerechtigkeit und die KG die angebliche Rechtswidrigkeit der Verspätungszuschläge mit der Beschwerde hätte beanstanden können. Diese Ermessensabwägung des FA ist nicht zu beanstanden. Denn die KG hätte sowohl die Argumente, mit denen die Klägerin ihren Antrag auf Rücknahme der gegenüber der KG festgesetzten Verspätungszuschläge begründet hat, nämlich eine existenzbedrohende Verlustsituation bei der KG und der zwingende Einsatz des Personals zum Zweck der Konkursabwendung und Sanierung, als auch die Einwendungen gegen eine ermessensgerechte Höhe der Verspätungszuschläge mit Rechtsbehelfen gegen die Festsetzungen der Verspätungszuschläge geltend machen können. Dies konnte von der KG auch erwartet werden. Denn sie hat in dem streitigen Zeitraum tatsächlich Rechtsbehelfe gegen die Verspätungszuschläge zu den Umsatzsteuervoranmeldungen für Juni und Juli 1994 eingelegt und war damit nachweislich zur Wahrnehmung ihrer Verfahrensrechte in der Lage. |
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b) Soweit das FA die Rücknahme der Festsetzungen der Verspätungszuschläge zu den Umsatzsteuervoranmeldungen für Juni und Juli 1994 abgelehnt hat, ist dies ebenfalls nicht ermessensfehlerhaft. Das gilt selbst dann, wenn die Festsetzungen (noch) nicht bestandskräftig geworden sein sollten. Das FA hat sein Ermessen hinsichtlich Grund und Höhe aller hier streitigen Verspätungszuschläge, also auch der Verspätungszuschläge zu den Umsatzsteuervoranmeldungen für Juni und Juli 1994 in dem Ablehnungsbescheid vom 21. Oktober 1999 sowie in der Einspruchsentscheidung vom 6. November 2000 unter allen denkbaren Aspekten ausgeübt. Denn im Ablehnungsbescheid war ausdrücklich auf die Erwägungen in den vorausgegangenen Ablehnungsbescheiden und Einspruchsentscheidungen Bezug genommen worden. |
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Es kann dahinstehen, ob die Festsetzung eines Verspätungszuschlags rechtswidrig und nach § 130 AO (teilweise) zurückzunehmen ist, wenn das FA –wie vorgetragen– rechnergesteuerte Schätzungsvorschläge unverändert übernimmt, die nur die Höhe der angemeldeten Steuer, die Dauer der Verspätung und die Anzahl der bisherigen Verspätungen, nicht aber die übrigen bei der Bemessung des Zuschlags nach § 152 Abs. 2 AO genannten Umstände, wie insbesondere das Verschulden und die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Schuldners berücksichtigen. Jedenfalls hat das FA zuletzt in seiner Einspruchsentscheidung vom 6. November 2000 nochmals die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der KG und die Tatsache gewürdigt, dass die handschriftlich ausgefüllten Voranmeldungen fristgerecht erstellt, aber nicht zeitnah beim FA eingereicht wurden. So trägt die Umsatzsteuervoranmeldung für Juni 1994 –ebenfalls handschriftlich vermerkt– als Datum der Unterschrift den 10. August 1994. Sie ist jedoch erst am 28. September 1994 beim FA eingegangen. Die am 10. September 1994 unterschriebene Umsatzsteuervoranmeldung für Juli 1994 wurde erst am 1. Dezember 1994 beim FA eingereicht. Die vom FA daraus gezogenen Schlüsse sind keineswegs sachfremd. |
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Das FA muss zwar bei der Entscheidung über die Höhe des Verspätungszuschlags sämtliche in § 152 Abs. 2 Satz 2 AO erwähnten Beurteilungsmerkmale beachten und das Für und Wider gegeneinander abwägen. Dabei kann aber ein Merkmal nach den Umständen des Einzelfalls ausnahmsweise letztlich auch ganz ohne Auswirkung auf die Bemessung des Verspätungszuschlags bleiben (vgl. BFH-Beschluss vom 23. Juni 2008 IV B 106/07, BFH/NV 2008, 1642, m.w.N.). Es ist nicht erforderlich, dass das FA den einzelnen Ermessenskriterien einen bestimmten Teilbetrag des Verspätungszuschlags zuordnet. |
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c) Soweit das FG im Streitfall eine "Ermessensreduzierung ähnlich der Ermessensreduzierung auf Null" angenommen hat, weil das FA trotz zweimaliger rechtskräftiger Verpflichtung zur Neubescheidung und vergeblicher Vergleichsbemühungen des Gerichts ersichtlich nicht bereit sei, die Verspätungszuschläge herabzusetzen, gibt es dafür in der FGO keine Grundlage. |
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