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II. Im Streitfall hat zum 1. Mai 2013 ein gesetzlicher Beteiligtenwechsel stattgefunden; Beklagte und Revisionsklägerin ist nunmehr die Familienkasse … (vgl. z.B. BFH-Urteile vom 16. Mai 2013 III R 8/11, BFHE 241, 511, BStBl II 2013, 1040, Rz 11; vom 28. Mai 2013 XI R 38/11, BFH/NV 2013, 1774, Rz 14). Das Rubrum des Verfahrens ist deshalb zu ändern. |
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Auf die Revision der Familienkasse hin war die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage hinsichtlich des noch streitigen Zeitraums abzuweisen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung –FGO–). |
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Der Kläger hat –entgegen der Auffassung des FG– keinen Anspruch auf Kindergeld für die noch streitigen Monate, in denen S inhaftiert war. |
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1. Ein Anspruch auf Kindergeld für ein Kind, das das 18. Lebensjahr vollendet hat, besteht unter den weiteren –hier nicht streitigen– Voraussetzungen nach § 62 Abs. 1 Nr. 1, § 63 Abs. 1 Satz 1 EStG u.a., wenn –was vorliegend allein in Frage kommt– dieses wegen körperlicher, geistiger oder seelischer Behinderung außerstande ist, sich selbst zu unterhalten und die Behinderung vor Vollendung des 25. Lebensjahrs –bei Eintritt der Behinderung vor dem 1. Januar 2007 des 27. Lebensjahrs (§ 52 Abs. 40 Satz 8 EStG)– eingetreten ist (§ 63 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG). |
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a) Für den … geborenen S wurde –was durch die Vorlage des Schwerbehindertenausweises nachgewiesen und im Übrigen zwischen den Beteiligten auch unstreitig ist– ab 2004, mithin vor Vollendung dessen 25. Lebensjahrs, infolge einer psychischen Erkrankung ein Grad der Behinderung von … festgestellt. |
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b) § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG stellt indes nicht allein darauf ab, dass ein Kind körperlich, geistig oder seelisch behindert ist. Vielmehr muss es "wegen" seiner Behinderung außerstande sein, sich selbst zu unterhalten. |
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aa) Ein behindertes Kind ist imstande, sich selbst zu unterhalten, wenn es über eine wirtschaftliche Leistungsfähigkeit verfügt, die zur Bestreitung seines gesamten existenziellen Lebensbedarfs ausreicht (vgl. dazu z.B. BFH-Urteile vom 4. November 2003 VIII R 43/02, BFHE 204, 120, BStBl II 2010, 1046, unter II.1.c; vom 23. Februar 2012 V R 39/11, BFH/NV 2012, 1584, Rz 16; vom 8. August 2013 III R 30/12, BFH/NV 2014, 498, Rz 15). Hieran fehlt es, soweit die Behinderung einer Erwerbstätigkeit entgegensteht und das Kind keine anderen Einkünfte und Bezüge hat (vgl. dazu BFH-Urteil vom 15. Oktober 1999 VI R 40/98, BFHE 189, 449, BStBl II 2000, 75, unter II.1.b). |
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bb) Nach dem Wortlaut des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG muss ein kindergeldrechtlich zu berücksichtigendes Kind "wegen" seiner Behinderung außerstande sein, sich selbst zu unterhalten; die Behinderung muss somit ursächlich für die Unfähigkeit zum Selbstunterhalt sein (vgl. dazu auch FG Nürnberg, Urteil vom 17. Januar 2008 IV 352/2005, nicht veröffentlicht –n.v.–, juris; FG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 12. Januar 2010 6 K 2465/08, EFG 2010, 658). |
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cc) Soweit der Kläger hiergegen vorbringt, § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG könne nach seinem Wortlaut nicht dahingehend ausgelegt werden, dass die Inhaftierung eines behinderten Kindes, das wegen seiner Behinderung zum Selbstunterhalt unfähig sei, die Kindergeldgewährung grundsätzlich ausschließe, vermag der Senat dem nicht zu folgen. |
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Wenn ein Kind nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG kindergeldrechtlich (dann) zu berücksichtigen ist, wenn es "wegen" seiner Behinderung außerstande ist, sich selbst zu unterhalten, stehen weder Wortlaut noch Wortsinn dieser Vorschrift dem entgegen, dass ein behindertes Kind keine Berücksichtigung findet, weil es schon aufgrund seiner Inhaftierung zum Selbstunterhalt unfähig ist. |
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dd) Für behinderte Kinder, die aufgrund einer strafrechtlichen Verurteilung untergebracht sind, besteht kein Anspruch auf Kindergeld nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG (vgl. dazu BFH-Beschlüsse vom 25. Februar 2009 III B 47/08, BFH/NV 2009, 929; vom 8. November 2012 VI B 86/12, BFH/NV 2013, 371; ferner Senatsurteil vom 23. Januar 2013 XI R 50/10, BFHE 240, 300, BStBl II 2013, 916, Rz 19). |
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(1) Denn in diesen Fällen ist –entgegen der Auffassung der Vorinstanz– die Ursächlichkeit der Behinderung für die Unfähigkeit zum Selbstunterhalt zu verneinen (vgl. dazu BFH-Beschlüsse in BFH/NV 2009, 929; in BFH/NV 2013, 371). Treten –wie hier mit der Inhaftierung– andere, die behinderungsbedingte Unfähigkeit zum Selbstunterhalt insoweit überholende Ursachen hinzu, ist Kindergeld selbst dann zu versagen, wenn die Begehung der zur Inhaftierung führenden Straftat behinderungsbedingt ist (vgl. dazu auch FG Rheinland-Pfalz in EFG 2010, 658; Niedersächsisches FG, Beschluss vom 28. November 2012 2 K 240/12, EFG 2013, 787). Während der Haft ist ein Kind unabhängig davon, ob es behindert ist oder nicht, grundsätzlich außerstande einer Erwerbstätigkeit nachzugehen (vgl. dazu FG Nürnberg, Urteil vom 17. Januar 2008 IV 352/2005, n.v., juris). In diesen Fällen steht –worauf die Familienkasse zu Recht hinweist– nicht die Behinderung eines Kindes der Ausübung einer Erwerbstätigkeit zur Bestreitung des Lebensunterhalts entgegen, sondern die Inhaftierung. |
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(2) Die Inhaftierung begründet ebenso wie eine allgemeine Situation auf dem Arbeitsmarkt oder andere Umstände, wie z.B. mangelnde Mitwirkung bei der Arbeitsvermittlung oder Ablehnung von Stellenangeboten, die zur Arbeitslosigkeit des behinderten Kindes und damit zu dessen Unfähigkeit zum Selbstunterhalt führen (vgl. dazu z.B. BFH-Urteile vom 19. November 2008 III R 105/07, BFHE 223, 365, BStBl II 2010, 1057, unter II.1.a; vom 15. März 2012 III R 29/09, BFHE 237, 68, BStBl II 2012, 892, Rz 13; Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen vom 22. November 2010 IV C 4-S 2282/07/0006-01, 2010/0912635, BStBl I 2010, 1346), keine Berücksichtigung als Kind nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG. |
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ee) Aus dem Einwand des Klägers, die vom FG getroffene Auslegung des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG stehe im Einklang mit der Rechtsprechung des BFH, wonach ein in Untersuchungshaft genommenes Kind ausnahmsweise weiterhin als in Ausbildung befindlich zu behandeln ist, wenn es die begonnene Ausbildung in der Haft nicht fortsetzt (vgl. dazu BFH-Urteil in BFH/NV 2006, 2067; ferner Senatsurteil in BFHE 240, 300, BStBl II 2013, 916), folgt nichts anderes. Denn diese Rechtsprechung betrifft andere Sachverhalte. |
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(1) Der BFH hatte in seinem in BFH/NV 2006, 2067 zu entscheidenden Fall maßgeblich darauf abgestellt, dass das seinerzeit in Polen inhaftierte Kind die Unterbrechung seiner Ausbildung nicht zu vertreten hatte, weil es letztlich vom Tatvorwurf freigesprochen worden war (vgl. BFH-Urteil in BFH/NV 2006, 2067, unter II.1.c). |
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(2) Im Streitfall hat S mit der Tötung einer Person dagegen eine Straftat begangen, für die er rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe verurteilt wurde. Ein derartiger Sachverhalt ist unabhängig von der subjektiven Sicht des Kindes und dessen Schuldfähigkeit von vornherein nicht vergleichbar mit dem Fall, über den der BFH in BFH/NV 2006, 2067 befunden hat (vgl. dazu Senatsurteil in BFHE 240, 300, BStBl II 2013, 916, Rz 18, m.w.N.). |
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2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 136 Abs. 1 Satz 1, § 143 Abs. 1 FGO. |
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Da die Revision der Familienkasse Erfolg hat, kann auch die Kostenentscheidung des FG keinen Bestand haben. Der Senat hält es für angemessen, über die Kosten nach Verfahrensabschnitten zu entscheiden. Auch eine solche Entscheidung wahrt den Grundsatz der Einheitlichkeit der Kostenentscheidung (vgl. dazu BFH-Urteile vom 30. April 2003 II R 6/01, BFH/NV 2004, 341; vom 6. Juli 1999 VIII R 17/97, BFHE 189, 302, BStBl II 2000, 306; vom 10. Dezember 2009 V R 13/08, BFH/NV 2010, 960; vom 4. August 2011 III R 71/10, BFHE 235, 203, BStBl II 2013, 380; vom 24. Juli 2013 XI R 24/12, BFH/NV 2013, 1920). |
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