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B. Die Revision ist zulässig. Insbesondere wurde sie fristgemäß begründet (vgl. unten I.). Sie ist jedoch unbegründet und deshalb nach § 126 Abs. 2 FGO zurückzuweisen. Zu Recht hat das FG erkannt, dass das FA berechtigt war, den ursprünglichen Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr 2002 nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO zu ändern (vgl. unten II.). |
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I. Die Kläger haben die Frist zur Begründung der Revision nicht versäumt. |
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1. Gibt der BFH der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision statt, ist diese innerhalb einer Frist von einem Monat nach Zustellung des Beschlusses über die Zulassung der Revision schriftlich zu begründen. Die Frist kann auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag von dem Vorsitzenden verlängert werden (§ 120 Abs. 2 FGO). |
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2. Der Zulassungsbeschluss vom 20. Juni 2012 X B 106/11 ist am 2. Juli 2012 nicht wirksam zugestellt worden. Die Voraussetzungen einer Ersatzzustellung nach § 53 Abs. 2 FGO i.V.m. § 180 der Zivilprozessordnung (ZPO) lagen im Streitfall nicht vor. |
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a) Wird der Post ein Zustellungsauftrag erteilt, erfolgt gemäß § 176 Abs. 2 ZPO die Ausführung der Zustellung nach den §§ 177 bis 181 ZPO. Wird die Person, der zugestellt werden soll –hier einem gesetzlichen Vertreter des Prozessbevollmächtigten (§ 170 ZPO)–, in dem Geschäftsraum nicht angetroffen, kann das Schriftstück nach § 178 Abs. 1 Nr. 2 ZPO in Geschäftsräumen einer dort beschäftigten Person zugestellt werden. Ist die Zustellung nach § 178 Abs. 1 Nr. 2 ZPO nicht ausführbar, kann nach § 180 ZPO das Schriftstück in einen zu dem Geschäftsraum gehörenden Briefkasten oder in eine ähnliche Vorrichtung eingelegt werden, die der Adressat für den Postempfang eingerichtet hat und die in der allgemein üblichen Art für eine sichere Aufbewahrung geeignet ist. Mit der Einlegung gilt das Schriftstück als zugestellt (§ 180 Satz 2 ZPO). Der Zusteller vermerkt auf dem Umschlag des zuzustellenden Schriftstücks das Datum der Zustellung (§ 180 Satz 3 ZPO). |
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b) Im Streitfall hat der Postbedienstete zwar nach den Angaben in der Zustellungsurkunde das zuzustellende Schriftstück zu übergeben versucht und –weil die Übergabe in den Geschäftsräumen nicht möglich war (so jedenfalls der Eintrag in der Zustellungsurkunde)– am 2. Juli 2012 in den zu diesen gehörenden Briefkasten eingelegt. Zudem erbringt die Zustellungsurkunde gemäß § 418 ZPO i.V.m. § 182 Abs. 1 Satz 2 ZPO als öffentliche Urkunde den vollen Beweis der in ihr bezeugten Tatsachen. Die Beweiskraft erstreckt sich nicht nur auf das Einlegen des Schriftstücks in den zum Geschäftsraum gehörenden Briefkasten oder in eine ähnliche Vorrichtung, sondern insbesondere auch darauf, dass der Postbedienstete unter der ihm angegebenen Anschrift weder den Adressaten persönlich noch eine zur Entgegennahme einer Ersatzzustellung in Betracht kommende Person angetroffen hat (BFH-Beschluss vom 4. Juli 2008 IV R 78/05, BFH/NV 2008, 1860). Ein Gegenbeweis kann nach § 418 Abs. 2 ZPO nur durch den Beweis der Unrichtigkeit der in der Zustellungsurkunde bezeugten Tatsachen geführt werden. Derjenige, der sich auf die Unwirksamkeit der Ersatzzustellung beruft, muss den Nachweis eines anderen als des beurkundeten Geschehensablaufs erbringen, der ein Fehlverhalten des Zustellers und eine Falschbeurkundung in der Zustellungsurkunde belegt (ständige Rechtsprechung, z.B. BFH-Beschluss in BFH/NV 2008, 1860, m.w.N.). |
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c) Dieser Nachweis ist den Klägern gelungen. Sie haben substantiiert die Umstände dargelegt, die gegen die Richtigkeit des Inhalts der Zustellungsurkunde sprechen und die ein Fehlverhalten des Postzustellers bei der Zustellung und damit eine Falschbeurkundung in der Zustellungsurkunde zu belegen geeignet sind. Von der Richtigkeit dieser Angaben ist der erkennende Senat überzeugt. |
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Die Kläger haben vorgetragen und dies mit Versicherungen an Eides statt der Geschäftsführerin und zweier Mitarbeiter ihres Prozessbevollmächtigten belegt, dass die Steuerberatungskanzlei am 2. Juli 2012 zwischen 7:00 Uhr und 19:00 Uhr durchgehend besetzt gewesen sei. Zwischen 7:00 Uhr und 18:00 Uhr sei die Büroeingangstüre entsperrt (die Haustüre sei wegen der Arztpraxen im selben Gebäude permanent offen) und während dieser Zeit habe folglich das Büro von jedermann, also auch von dem Postzusteller, ungehindert betreten werden können. Die Kläger haben weiter dargelegt, die Büroeingangstüre sei mit einer Klingel verbunden, damit das Büro von niemand unbemerkt betreten werden könne. Wegen der Klingel könne das Öffnen der Eingangstüre im ganzen Büro gehört werden, auch wenn der Empfang neben der Eingangstüre ausnahmsweise nicht besetzt sei. Ein kurzfristiges, eventuell in Vergessenheit geratenes Verlassen des Empfangs (so wie in dem dem Beschluss in BFH/NV 2008, 1860 zugrunde liegenden Streitfall denkbar), konnte somit nicht zur Folge haben, dass der Postzusteller in den Geschäftsräumen des Prozessbevollmächtigten der Kläger niemand angetroffen hat. Zudem haben die Kläger vorgetragen, der Postzusteller sei nach dessen eigener Aussage am 2. Juli 2012 –wie stets– zwischen 8:30 Uhr und 10:00 Uhr am Objekt vorbeigekommen, in dem der Prozessbevollmächtigte der Kläger seine Büroräume hat. Eine Übergabe des Zulassungsbeschlusses außerhalb der Geschäftszeiten des Prozessbevollmächtigten ist somit auch nicht denkbar. |
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Nach alledem ist der Zulassungsbeschluss am 2. Juli 2012 nicht wirksam zugestellt worden und der Antrag der Kläger auf Verlängerung der Revisionsbegründungsfrist ist vor deren Ablauf beim BFH eingegangen. |
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II. Das FA war berechtigt, den ursprünglichen Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr 2002 nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO zu ändern und den Gewinn aus der Aufgabe des Einzelunternehmens, der im Revisionsverfahren weder dem Grunde noch der Höhe nach streitig ist, zu erfassen. |
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1. Nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO sind Steuerbescheide zu ändern, soweit Tatsachen nachträglich bekannt werden, die zu einer höheren Steuer führen. |
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2. Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, dass der Nießbrauchsvorbehalt (Tatsache i.S. des § 173 AO) nachträglich, d.h. nach der abschließenden Veranlagung der Einkommensteuer für 2002 bekannt geworden ist. Diese Tatsache führt auch zu einer höheren Steuer (vgl. z.B. Urteil des Niedersächsischen FG vom 20. Juni 2007 2 K 562/05, Entscheidungen der Finanzgerichte 2007, 1584; die gegen diese Entscheidung eingelegte, vom FG zugelassene Revision wurde zurückgenommen). Gegen diese rechtliche Bewertung erheben die Kläger im Revisionsverfahren auch keine Einwände. |
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3. Die Tatsache ist auch rechtserheblich. |
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a) Seit dem Beschluss des Großen Senats des BFH vom 23. November 1987 GrS 1/86 (BFHE 151, 495, BStBl II 1988, 180) vertritt die höchstrichterliche Finanzrechtsprechung die Auffassung, dass ein Steuerbescheid wegen nachträglich bekanntgewordener Tatsachen oder Beweismittel zugunsten des Steuerpflichtigen nur aufgehoben oder geändert werden darf, wenn das FA bei ursprünglicher Kenntnis der Tatsachen oder Beweismittel mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit anders entschieden hätte (BFH-Beschluss in BFHE 151, 495, BStBl II 1988, 180, unter C.II. am Anfang). Eine Änderung nach § 173 Abs. 1 AO scheidet hingegen aus, wenn die Unkenntnis der später bekanntgewordenen Tatsache für die ursprüngliche Veranlagung nicht ursächlich (rechtserheblich) gewesen ist, weil das FA auch bei rechtzeitiger Kenntnis der Tatsache mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu keiner anderen Steuer gelangt wäre (BFH-Beschluss in BFHE 151, 495, BStBl II 1988, 180, unter C.II.2.b). |
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b) Maßgebend für die Frage nach der Rechtserheblichkeit einer neuen Tatsache ist grundsätzlich der Zeitpunkt, in dem die Willensbildung des FA über die Steuerfestsetzung abgeschlossen wird, d.h. im Normalfall der Zeitpunkt der abschließenden Zeichnung des Eingabewertbogens (bei EDV-mäßiger Abwicklung der Steuerfestsetzung) oder der Verfügung zum Steuerbescheid (z.B. BFH-Urteil vom 22. April 2010 VI R 40/08, BFHE 229, 57, BStBl II 2010, 951). |
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c) Wie das FA bei Kenntnis bestimmter Tatsachen und Beweismittel einen Sachverhalt in seinem ursprünglichen Bescheid gewürdigt hätte, ist im Einzelfall aufgrund des Gesetzes, wie es nach der damaligen Rechtsprechung ausgelegt wurde, und den die FA bindenden Verwaltungsanweisungen zu beurteilen, die im Zeitpunkt des Erlasses des ursprünglichen Steuerbescheids durch das FA gegolten haben (ständige Rechtsprechung, vgl. BFH-Urteile vom 15. März 2007 III R 57/06, BFH/NV 2007, 1461; vom 15. Dezember 1999 XI R 22/99, BFH/NV 2000, 818; in BFHE 229, 57, BStBl II 2010, 951, und vom 27. Januar 2011 III R 90/07, BFHE 232, 485, BStBl II 2011, 543). Das mutmaßliche Verhalten des einzelnen Sachbearbeiters und seine individuellen Rechtskenntnisse sind hingegen für die Frage, ob die Veränderung im Tatsächlichen oder in der rechtlichen Beurteilung liegt, aus gleichheitsrechtlichen Erwägungen ohne Bedeutung. Subjektive Fehler des einzelnen Bearbeiters und damit des FA, wie sie sowohl in rechtlicher als auch in tatsächlicher Hinsicht denkbar sein mögen, sind für die Beurteilung der Rechtserheblichkeit einer nachträglich bekanntgewordenen Tatsache unbeachtlich (vgl. BFH-Urteil in BFHE 229, 57, BStBl II 2010, 951). |
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d) Eine Betriebsaufspaltung setzt nach ständiger Rechtsprechung des BFH voraus, dass das vermietende Besitzunternehmen mit dem mietenden Betriebsunternehmen sachlich und personell verflochten ist (vgl. z.B. Urteile vom 21. Januar 1999 IV R 96/96, BFHE 187, 570, BStBl II 2002, 771, m.w.N.; vom 12. Oktober 1988 X R 5/86, BFHE 154, 566, BStBl II 1989, 152). Eine personelle Verflechtung ist gegeben, wenn eine Person oder Personengruppe beide Unternehmen in der Weise beherrscht, dass sie in der Lage ist, in beiden Unternehmen einen einheitlichen Geschäfts- und Betätigungswillen durchzusetzen (vgl. BFH-Urteil in BFHE 187, 570, BStBl II 2002, 771; Beschluss des Großen Senats des BFH vom 8. November 1971 GrS 2/71, BFHE 103, 440, BStBl II 1972, 63). Eine Betriebsaufspaltung ist bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen auch dann gegeben, wenn der Vermieter nicht Eigentümer des vermieteten Wirtschaftsguts ist, sondern wenn es ihm (nur) zur Nutzung überlassen worden ist (vgl. BFH-Urteil vom 24. August 1989 IV R 135/86, BFHE 158, 245, BStBl II 1989, 1014, m.w.N.). |
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Eine Betriebsaufspaltung endet, wenn sowohl das Besitzunternehmen als auch die GmbH-Anteile am Betriebsunternehmen unter dem Vorbehalt des Nießbrauchs auf einen Dritten übertragen werden. |
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Spätestens seit dem Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 9. November 1998 II ZR 213/97 (Neue Juristische Wochenschrift –NJW– 1999, 571) war geklärt, dass die Kompetenz des Gesellschafters, bei Beschlüssen, welche die Grundlagen der Gesellschaft betreffen, selber abzustimmen, ihm durch die Einräumung eines Nießbrauchs an seinem Gesellschaftsanteil nicht genommen wird. Der Nießbraucher an den Gesellschaftsanteilen erhält zwar ein dingliches Nutzungsrecht, wird aber nicht Gesellschafter. Inhalt seines Nutzungsrechts sind vor allem die Früchte der Mitgliedschaft (§ 100 des Bürgerlichen Gesetzbuchs). Die Kompetenz des Gesellschafters, bei Beschlüssen, welche die Grundlagen der Gesellschaft betreffen, selber abzustimmen, wird ihm durch die Einräumung eines Nießbrauchs an seinem Anteil nicht genommen. |
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Zwar ist diese Entscheidung zu Personengesellschaften ergangen. Auch in Bezug auf GmbH-Anteile entspricht es aber der herrschenden Meinung sowohl in der Instanzrechtsprechung (Urteil des Oberlandesgerichts Koblenz vom 16. Januar 1992 6 U 963/91, NJW 1992, 2163) als auch in der Literatur (z.B. Bayer in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 18. Aufl. 2012, § 15 Rz 102; Seibt in Scholz, GmbHG, 11. Aufl. 2012, § 15 Rz 217; Reichert/Weller in Münchner Kommentar zum GmbHG, 2010, § 15 Rz 338, jeweils m.w.N.), dass die Stimmrechte im Fall der Einräumung eines Nießbrauchs grundsätzlich beim Gesellschafter bleiben. |
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Da eine Betriebsaufspaltung voraussetzt, dass eine Person oder Personengruppe sowohl das Besitz- als auch das Betriebsunternehmen beherrscht (vgl. oben), kann keine Betriebsaufspaltung vorliegen, wenn zwar der/die Eigentümer des Besitzunternehmens und der/die Inhaber der GmbH-Anteile am Betriebsunternehmen identisch sind, jedoch am Besitzunternehmen und an den GmbH-Anteilen ein Nießbrauchsrecht zugunsten einer Person oder Personengruppe bestellt ist. Diese beherrscht zwar aufgrund des Nießbrauchs das Besitzunternehmen, nicht aber die GmbH, weil die Stimmrechte daran nicht ihm, sondern dem Gesellschafter der GmbH zustehen. Werden bei Vorliegen einer Betriebsaufspaltung sowohl das als Einzelunternehmen geführte Besitz- als auch die in der Rechtsform der GmbH betriebene Betriebsgesellschaft unter Nießbrauchsvorbehalt übertragen, entfällt die personelle Verflechtung zwischen Besitzunternehmen und Betriebsgesellschaft. Dies war bei Bestellung des Nießbrauchs geklärt, auch wenn der BFH dies im Zeitpunkt des Erlasses des ursprünglichen Einkommensteuerbescheids der Kläger für die Übertragung eines Besitz- und Betriebsunternehmens unter Nießbrauchsvorbehalt nicht ausdrücklich entschieden hatte. |
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e) Im Streitfall hätte das FA nach alledem bei Kenntnis des Nießbrauchsvorbehalts unter Berücksichtigung der Rechtslage und der höchstrichterlichen Rechtsprechung der Besteuerung der Kläger im Streitjahr einen Aufgabegewinn zugrunde legen müssen, da ein Nießbrauch an GmbH-Anteilen nicht bewirkt, dass der Nießbraucher stimmberechtigt wird. Darauf kommt es bei der Frage der Beherrschung einer GmbH entscheidend an, weil eine GmbH (abgesehen vom Fall der faktischen Beherrschung) durch die Ausübung der Stimmrechte beherrscht wird. Ab der Betriebsübergabe hat der die sachliche Beherrschung bewirkende Kläger die Betriebskapitalgesellschaft nicht mehr beherrscht. |
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4. Die Änderung des Einkommensteuerbescheids ist auch nicht nach Treu und Glauben ausgeschlossen. |
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a) Einer Änderung einer bestandskräftigen Steuerfestsetzung nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO steht dann der Grundsatz von Treu und Glauben entgegen, wenn dem FA die nachträglich bekannt gewordene Tatsache bei ordnungsgemäßer Erfüllung seiner Ermittlungspflicht nicht verborgen geblieben wäre. Allerdings muss der Steuerpflichtige dann seinerseits seine Mitwirkungspflicht erfüllt haben. Haben sowohl der Steuerpflichtige als auch das FA es versäumt, den Sachverhalt aufzuklären, trifft in der Regel den Steuerpflichtigen die Verantwortung, mit der Folge, dass der Steuerbescheid geändert werden kann (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Urteil vom 20. April 2004 IX R 39/01, BFHE 206, 105, BStBl II 2004, 1072). |
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b) Im Streitfall haben die Kläger ihre Mitwirkungs- und Erklärungspflicht verletzt. Sie haben zwar bei der Abgabe ihrer Einkommensteuererklärung für das Jahr 2002 erklärt, das Einzelunternehmen des Klägers sei im Wege der vorweggenommenen Erbfolge auf den Sohn übertragen worden. Sie haben jedoch –was für die einkommensteuerrechtliche Würdigung entscheidend gewesen wäre– den vereinbarten Nießbrauchsvorbehalt nicht mitgeteilt. |
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Die Kläger tragen vor, dass die Unbestimmtheit des Rechtsbegriffs der vorweggenommenen Erbfolge dem FA hätte bekannt sein müssen und eine hohe Wahrscheinlichkeit bestehe, dass daneben noch Versorgungselemente (Rente, Wohnrecht, Nießbrauch) vereinbart worden seien. So diese Annahme zutreffend ist –und der Senat teilt diese Auffassung–, hätte es aber den steuerlich beratenen Klägern oblegen, die mit der vorweggenommenen Erbfolge verbundenen Versorgungselemente zu erklären. Sie haben dem FA nicht nur Details eines steuerlich relevanten Sachverhalts nicht offenbart, sondern den Nießbrauchsvorbehalt nicht erklärt, der die Beendigung der Betriebsaufspaltung zur Folge hatte. Die Ermittlungspflicht des FA kann nicht weiter gehen als die Erklärungspflichten der Steuerpflichtigen, die den steuerpflichtigen Sachverhalten doch so viel näher stehen und diese viel besser kennen als die Finanzbehörden. Die Verletzung der Ermittlungspflicht des FA ist im Streitfall als nachrangig im Hinblick auf die von den Klägern verletzte Mitwirkungs-/Erklärungspflicht einzustufen. |
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Aus dem von den Klägern angesprochenen BFH-Urteil vom 24. Juni 1960 VI 270/58 (Der Betrieb 1960, 1412) ergibt sich nichts Gegenteiliges. Es kann offenbleiben, ob ein 54 Jahre altes Urteil noch dem heutigen Stand der Rechtsprechung zu § 173 AO entspricht. Jedenfalls ist diesem Urteil nicht der Rechtssatz zu entnehmen, die Verletzung der Ermittlungspflicht des FA überwiege das Verschulden des Steuerpflichtigen in jedem Fall, wenn das FA bei Anhaltspunkten für eine Betriebsaufgabe keine weiteren Ermittlungen anstellt und der Steuerpflichtige nicht bewusst unlauter handelt. Vielmehr enthält dieses Urteil lediglich eine Abwägung zwischen dem Grad der Verletzung der Erklärungspflicht durch den Steuerpflichtigen und der Ermittlungspflicht durch das FA im konkret zu entscheidenden Streitfall (so bereits zutreffend BFH-Beschluss vom 20. Juli 2011 IV B 19/10, BFH/NV 2011, 2077). |
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c) Die Möglichkeit, den Einkommensteuerbescheid 2002 nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO zu ändern, hat das FA auch nicht dadurch verwirkt, weil ihm der gesamte Übertragungsvertrag bereits 2005 bekannt geworden ist, es von der Änderungsmöglichkeit aber erst im Jahr 2008 Gebrauch gemacht und in der Zwischenzeit in den Einkommensteuerbescheiden für die Jahre 2003 und 2004 die Einkünfte des Klägers aus dem Nießbrauch am Einzelunternehmen erklärungsgemäß als gewerbliche Einkünfte und nicht als Vermietungseinkünfte erfasst hat. |
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aa) Als weiterer Ausfluss des Grundsatzes von Treu und Glauben und Anwendungsfall des Verbots widersprüchlichen Tuns (venire contra factum proprium) setzt die Annahme von Verwirkung ein bestimmtes Verhalten der Finanzbehörde voraus, aufgrund dessen der Steuerpflichtige bei objektiver Betrachtung annehmen darf, die Behörde werde den Anspruch nicht oder nicht mehr geltend machen (Senatsurteil vom 7. Juli 2004 X R 24/03, BFHE 206, 292, BStBl II 2004, 975). Zum Tatbestand gehört sowohl ein Zeitmoment als auch ein Umstandsmoment (grundlegend BFH-Urteil vom 14. September 1978 IV R 89/74, BFHE 126, 130, BStBl II 1979, 121, unter 3.a). Während für das Zeitmoment bereits eine längere Untätigkeit des Anspruchsberechtigten genügen kann, setzt das Umstandsmoment ein bestimmtes Verhalten des Anspruchsberechtigten und einen hierdurch ausgelösten Vertrauenstatbestand beim Verpflichteten voraus. Das bloße Untätigbleiben der Finanzbehörde vermag einen Vertrauenstatbestand in der Regel nicht zu schaffen (BFH-Urteil vom 27. September 1988 VII R 181/85, BFHE 154, 406). |
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bb) Aus der Tatsache, dass das FA im Rahmen der Einkommensteuerveranlagung des Jahres 2003 den Überlassungsvertrag angefordert sowie im Schreiben vom 13. April 2005 die Auffassung vertreten hat, 2002 sei ein Aufgabegewinn zu erfassen und der Einkommensteuerbescheid nach § 173 AO zu ändern, aber gleichwohl in den Einkommensteuerbescheiden der Jahre 2003 und 2004 die Einkünfte des Klägers aus dem Nießbrauch am Einzelunternehmen erklärungsgemäß als gewerbliche Einkünfte und nicht als Vermietungseinkünfte gewertet sowie den Steuerbescheid 2002 nicht zeitnah geändert hat, konnten die Kläger nicht schließen, dass das FA die Steuerfestsetzung für 2002 nicht mehr ändern wird. Der interne Aktenvermerk des FA vom 14. Juni 2005, in dem festgehalten worden ist, ein Betriebsaufgabegewinn sei nicht zu besteuern, wurde den Klägern jedenfalls nicht vor Erlass des auf § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO gestützten Änderungsbescheids bekannt. Die Einkommensteuer ist zudem eine Jahressteuer. Aus der Einstufung von Einkünften im einen Veranlagungszeitraum kann nicht geschlossen werden, dass dieser Einordnung auch für entsprechende Einkünfte in anderen Veranlagungszeiträumen zu folgen ist. |
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cc) Die positive Anerkennung einer Verwirkung von Rechten setzt neben dem von den Klägern angesprochenen Umstands- und Zeitmoment noch Weiteres voraus. Es reicht nicht aus, dass der Verpflichtete (im Streitfall die Kläger) bei objektiver Beurteilung darauf vertrauen durfte, nicht mehr in Anspruch genommen zu werden. Er muss vielmehr auch tatsächlich darauf vertraut und sich auf die Nichtgeltendmachung eingerichtet haben (vgl. hierzu BFH-Urteil in BFHE 126, 130, BStBl II 1979, 121, mit zahlreichen Nachweisen aus der Rechtsprechung auch anderer oberster Bundesgerichte), und zwar so, dass die nachträglich begehrte Anspruchsbefriedigung schlechthin als unzumutbar erscheint. Bei der Beurteilung dieser Voraussetzungen ist von dem Grundsatz auszugehen, dass jeder Schuldner –auch der Steuerschuldner– seine Verpflichtungen erfüllen muss und nur unter ganz besonderen Umständen schon vor Vollendung der Verjährung einwenden kann, eine Inanspruchnahme verstoße gegen Treu und Glauben. Hierzu haben die Kläger nichts vorgetragen und Anhaltspunkte dafür, dass sie sich auf die Nichtmehrgeltendmachung der Steuer auf den Aufgabegewinn eingerichtet, also entsprechende Vermögensdispositionen getroffen haben, sind nicht ersichtlich. |
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5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO. |
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