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II. Die Revision ist begründet. Das Urteil des FG ist aufzuheben und der Klage stattzugeben (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung –FGO–). |
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Das FG hat zu Unrecht entschieden, dass die von der Klägerin ausgeführten Beförderungsumsätze nicht dem ermäßigten Steuersatz unterliegen. |
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1. Die Vorentscheidung ist, soweit das FG über die angefochtenen Umsatzsteuerbescheide für die Streitjahre 2010 und 2011 entschieden hat, bereits aus verfahrensrechtlichen Gründen aufzuheben, weil ihr nach Ergehen der die Umsatzsteuer für 2010 und 2011 betreffenden Änderungsbescheide vom 18. November 2014 nicht mehr existierende Bescheide zugrunde liegen. |
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a) Die während des Revisionsverfahrens ergangenen Änderungsbescheide vom 18. November 2014 haben die Umsatzsteuerbescheide für 2010 und 2011 vom 13. März 2013 bzw. 23. April 2014, die Gegenstand des finanzgerichtlichen Verfahrens gewesen sind, i.S. von § 68 Satz 1 FGO ersetzt. Wird der angefochtene Verwaltungsakt nach Klageerhebung durch einen anderen Verwaltungsakt geändert oder ersetzt, so wird nach der auch im Revisionsverfahren (§ 121 FGO) geltenden Vorschrift des § 68 FGO der neue Verwaltungsakt Gegenstand des Verfahrens (vgl. dazu z.B. Urteile des Bundesfinanzhofs –BFH– vom 3. November 2005 V R 63/02, BFHE 212, 161, BStBl II 2006, 337, unter II.1., Rz 17; vom 5. Juni 2014 XI R 25/12, BFHE 245, 465, BFH/NV 2014, 1692, Rz 27; jeweils m.w.N.). Damit liegen der Vorentscheidung in ihrer Wirkung suspendierte Bescheide zugrunde mit der Folge, dass auch das FG-Urteil insoweit keinen Bestand haben kann (vgl. dazu z.B. BFH-Urteil vom 1. Oktober 2014 XI R 13/14, BFHE 248, 367, BFH/NV 2015, 451, Rz 15, m.w.N.). |
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b) Da sich hinsichtlich der streitigen Rechtsfrage durch die Änderungsbescheide vom 18. November 2014 keine Änderungen ergeben haben und die Klägerin im Revisionsverfahren auch keinen weiter gehenden Antrag gestellt hat, bedarf es keiner Zurückverweisung der Sache an das FG gemäß § 127 FGO. Der erkennende Senat kann auf der Grundlage der fortgeltenden finanzgerichtlichen Feststellungen entscheiden (vgl. dazu z.B. BFH-Urteile vom 12. September 2007 VIII R 38/04, BFH/NV 2008, 37, unter II., Rz 16; vom 18. September 2012 VIII R 45/09, BFHE 239, 226, BStBl II 2013, 479, Rz 15; jeweils m.w.N.). |
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2. Die Steuer betrug nach § 12 Abs. 1 UStG für jeden steuerpflichtigen Umsatz in den Streitjahren 2005 und 2006 16 % und in den Streitjahren 2007 bis 2011 19 % der Bemessungsgrundlage. |
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a) Die Steuer ermäßigte sich nach § 12 Abs. 2 Nr. 10 Buchst. b UStG a.F. auf 7 % u.a. für "die Beförderungen von Personen … im genehmigten Linienverkehr mit Kraftfahrzeugen … aa) innerhalb einer Gemeinde oder bb) wenn die Beförderungsstrecke nicht mehr als 50 Kilometer beträgt". |
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b) Die Steuersatzermäßigung nach § 12 Abs. 2 Nr. 10 Buchst. b UStG a.F. beruhte auf Art. 12 Abs. 3 Buchst. a Unterabs. 3 i.V.m. Anhang H Kategorie 5 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern (Richtlinie 77/388/EWG). Danach konnten die Mitgliedstaaten auf die dort jeweils bezeichneten Lieferungen und Dienstleistungen –u.a. die "Beförderung von Personen und des mitgeführten Gepäcks"– statt des in Art. 12 Abs. 3 Buchst. a Unterabs. 1 der Richtlinie 77/388/EWG vorgesehenen allgemeinen Steuersatzes einen ermäßigten Steuersatz anwenden (ab dem 1. Januar 2007 gelten insoweit Art. 96 bzw. Art. 98 Abs. 2 i.V.m. Anhang III Nr. 5 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem). |
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c) Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) ist auch eine selektive Anwendung der Ermächtigung zur Einführung eines ermäßigten Steuersatzes erlaubt (vgl. dazu EuGH-Urteil Pro Med Logistik und Pongratz vom 27. Februar 2014 in den verbundenen Rechtssachen C-454/12 und C-455/12, EU:C:2014:111, BStBl II 2015, 437, Rz 43, m.w.N.). |
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aa) Die den Mitgliedstaaten zuerkannte Wahrnehmung der Möglichkeit einer selektiven Anwendung des ermäßigten Mehrwertsteuersatzes unterliegt allerdings der zweifachen Bedingung, dass zum einen für die Zwecke der Anwendung des ermäßigten Satzes nur konkrete und spezifische Aspekte der in Rede stehenden Kategorie von Leistungen herausgelöst werden und zum anderen der Grundsatz der steuerlichen Neutralität beachtet wird (vgl. dazu EuGH-Urteil Pro Med Logistik und Pongratz, EU:C:2014:111, BStBl II 2015, 437, Rz 45, m.w.N.). |
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bb) Diese Voraussetzungen der selektiven Anwendung des ermäßigten Steuersatzes sind hinsichtlich der Steuersatzermäßigung nach § 12 Abs. 2 Nr. 10 Buchst. b UStG a.F. erfüllt. Denn die nur für die Personenbeförderung im genehmigten Linienverkehr geltende Betriebs- und Beförderungspflicht nach §§ 21, 22 PBefG ist geeignet, unterschiedliche Leistungen zu kennzeichnen, so dass diese Tätigkeit einen konkreten und spezifischen Aspekt der genannten Kategorie darstellen kann (zur Personenbeförderung im Verkehr mit Taxen vgl. BFH-Urteil vom 2. Juli 2014 XI R 22/10, BFHE 246, 537, BStBl II 2015, 416, Rz 50, m.w.N.). Die selektive Anwendung der Ermächtigung zur Einführung eines ermäßigten Steuersatzes hinsichtlich der begünstigten Personenbeförderungen im genehmigten Linienverkehr mit Kraftfahrzeugen verstößt zudem nicht gegen den Grundsatz der steuerlichen Neutralität. Aus maßgeblicher Sicht des Durchschnittsverbrauchers ist ein Unterschied zwischen Stadtrundfahrten, die im genehmigten Linienverkehr mit Betriebs- und Beförderungspflichten und solchen, die ohne diese Pflichten nicht im genehmigten Linienverkehr durchgeführt werden, gegeben (zur Personenbeförderung im Verkehr mit Taxen vgl. BFH-Urteil in BFHE 246, 537, BStBl II 2015, 416, Rz 64, m.w.N.). |
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3. Die Klägerin hat in den Streitjahren dem ermäßigten Steuersatz unterliegende Beförderungsleistungen i.S. von § 12 Abs. 2 Nr. 10 Buchst. b UStG a.F. ausgeführt. |
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a) Die streitbefangenen Stadtrundfahrten dienten der Beförderung von Personen. Denn die Klägerin hat Personen mit Kraftfahrzeugen als Beförderungsmittel fortbewegt (vgl. dazu BFH-Urteil vom 30. Juni 2011 V R 44/10, BFHE 234, 504, BStBl II 2011, 1003, Rz 16 ff., m.w.N.). |
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b) Die Steuersatzermäßigung nach § 12 Abs. 2 Nr. 10 Buchst. b UStG a.F. setzte ferner eine Personenbeförderung "im genehmigten Linienverkehr" im verkehrsrechtlichen Sinne voraus (vgl. dazu BFH-Urteil in BFHE 234, 504, BStBl II 2011, 1003, Rz 17). Auch diese Voraussetzung ist im Streitfall erfüllt. Die Klägerin hat die in Rede stehenden Stadtrundfahrten im genehmigten Linienverkehr ausgeführt. Denn die zugunsten der Klägerin gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 3 i.V.m. § 43 PBefG erteilte Genehmigung des Landesamts vom 19. November 2012 zur Übertragung der Betriebsführung des bereits der B genehmigten Linienverkehrs wirkt auf die Streitjahre zurück. |
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aa) Der erkennende Senat ist nach § 118 Abs. 2 FGO an die vom FG näher begründete Würdigung, der Genehmigung des Landesamts vom 19. November 2012 komme keine Rückwirkung zu, nicht gebunden. Denn die Auslegung eines Verwaltungsakts durch das FG ist im Revisionsverfahren überprüfbar (vgl. dazu BFH-Urteile vom 12. Juni 1997 I R 72/96, BFHE 183, 30, BStBl II 1997, 660; vom 24. August 2005 II R 16/02, BFHE 210, 515, BStBl II 2006, 36; vom 11. Juli 2006 VIII R 10/05, BFHE 214, 18, BStBl II 2007, 96; vom 4. Juni 2008 I R 72/07, BFH/NV 2008, 1977; Lange in Hübschmann/Hepp/Spitaler –HHSp–, § 118 FGO Rz 210, m.w.N.). Die Frage, welchen Inhalt ein Verwaltungsakt hat, ist vom Revisionsgericht in eigener Zuständigkeit zu beantworten (vgl. dazu BFH-Urteil vom 24. März 1998 I R 83/97, BFHE 186, 67, BStBl II 1998, 601; Lange in HHSp, § 118 FGO Rz 210, m.w.N.; einschränkend Gräber/Ratschow, Finanzgerichtsordnung, 8. Aufl., § 118 Rz 25, m.w.N.). |
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bb) Welchen Regelungsinhalt ein Verwaltungsakt hat, ist über den bloßen Wortlaut hinaus im Wege der Auslegung zu ermitteln, wobei die §§ 133, 157 des Bürgerlichen Gesetzbuchs auch für öffentlich-rechtliche Willensbekundungen geltende Auslegungsregeln enthalten. Entscheidend ist danach, wie der Betroffene nach den ihm bekannten Umständen, mithin nach seinem "objektiven Verständnishorizont", den materiellen Gehalt der Erklärung unter Berücksichtigung von Treu und Glauben verstehen konnte (vgl. z.B. BFH-Urteil in BFHE 214, 18, BStBl II 2007, 96, unter II.3.b aa, Rz 36 f., m.w.N.). |
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cc) Nach diesen Auslegungsmaßstäben und nach den gesamten Umständen des Streitfalles konnte die Klägerin entgegen der vom FG vertretenen Auffassung die Genehmigung des Landesamts vom 19. November 2012 nur dahingehend verstehen, dass die Übertragung der Betriebsführung rückwirkend genehmigt wurde. |
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Das Landesamt hat mit der in Rede stehenden Verfügung vom 19. November 2012 den auf Genehmigung der Übertragung der Betriebsführung ab dem 1. Januar 2002 gerichteten Anträgen der Klägerin und B vom 14. November 2012 "stattgegeben". Es weist in dem Genehmigungsschreiben vom 19. November 2012 ausdrücklich darauf hin, dass Grundlage für die Entscheidung "auch der neben dem Antrag der Unternehmen vorliegende privatrechtliche Vertrag zwischen dem Linieninhaber und dem neuen Betriebsführer" gewesen sei, und führt im Anschluss an verkehrsrechtliche Erörterungen abschließend aus, "dementsprechend war dem Antrag auf Übertragung der Betriebsführung zu entsprechen". Danach hat das Landesamt den übereinstimmenden Anträgen der Klägerin und der B, die auf die Zustimmung zur "Übertragung der Betriebsführung ab dem 01. Januar 2002" gerichtet waren und denen der in der Genehmigung vom 19. November 2012 ausdrücklich als Entscheidungsgrundlage in Bezug genommene privatrechtliche Vertrag vom 27. Dezember 2001 beigefügt war, in vollem Umfang, mithin rückwirkend für die Streitjahre, stattgegeben. |
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Soweit das Landesamt in der Verfügung vom 19. November 2012 daneben ausgeführt hat, "die mit der ursprünglich erteilten Genehmigung festgelegten Bedingungen und Auflagen gelten fortan und sind durch den Betriebsführer ebenso zu beachten", lässt dies entgegen der vom FG vertretenen Auffassung nicht den Schluss darauf zu, dass die Behörde die Übertragung der Betriebsführung abweichend von den unmissverständlichen, auf die (rückwirkende) Genehmigung ab dem 1. Januar 2002 gerichteten Anträgen der Klägerin und B nur mit Wirkung für die Zukunft genehmigt hätte. Denn diese behördlichen Ausführungen bezogen sich nicht auf die Übertragung der Betriebsführung (als solche), sondern auf die (künftige) Beachtung der festgelegten Bedingungen und Auflagen. |
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dd) Da es auf die materielle Bindungswirkung der betreffenden Genehmigung ankommt, ist es vorliegend ohne Belang, ob die Verfügung vom 19. November 2012 möglicherweise verkehrsrechtlichen Vorschriften, die die rückwirkende Genehmigung zur Übertragung der Betriebsführung ausschließen, oder einer herrschenden Rechtspraxis, verkehrsrechtliche Genehmigungen nur mit Wirkung für die Zukunft auszusprechen, widerspricht. Es bedarf daher keiner Entscheidung darüber, ob die Genehmigung der Übertragung der Betriebsführung auf einen anderen i.S. von § 2 Abs. 2 PBefG rückwirkend möglich ist. Selbst wenn keine rückwirkende Genehmigung hätte erteilt werden können, wäre diese für diesen Fall rechtswidrige, jedoch nicht nichtige Entscheidung der Behörde rechtswirksam. |
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c) Die Rückwirkung der Genehmigung vom 19. November 2012 ist, anders als das FG meint, nicht auf den Zeitraum ab dem 1. April 2005 begrenzt. Entgegen den Feststellungen des FG war die Übertragung der erst am 1. April 2005 beginnenden Verkehrsgenehmigung vom 23. März 2005 nicht beantragt. Soweit das Landesamt auf diese der B erteilte Genehmigung vom 23. März 2005 in der Verfügung vom 19. November 2012 Bezug nimmt, ergibt sich nichts anderes. Denn den übereinstimmenden Anträgen der Klägerin und B, der Übernahme der Betriebsführung ab dem 1. Januar 2002 zuzustimmen, hat das Landesamt ohne Einschränkung entsprochen. Aufgrund des Bescheids vom 19. Juli 2000 lag auch eine Genehmigung vor, die übertragen werden konnte. |
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4. Das FG ist von anderen Grundsätzen ausgegangen. Das angefochtene Urteil war daher auch hinsichtlich der Streitjahre 2005 bis 2009 aufzuheben. Der Senat kann in der Sache selbst entscheiden. Die Sache ist spruchreif. |
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5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. |
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