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II. Die Revision der Klägerin ist unbegründet und war daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung –FGO–). Wie das FG im Ergebnis zu Recht entschieden hat, ist die Klägerin mangels organisatorischer Eingliederung nicht Organgesellschaft ihres Mehrheitsgesellschafters. |
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1. Nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) wird die gewerbliche oder berufliche Tätigkeit nicht selbständig ausgeübt, wenn eine juristische Person nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse finanziell, wirtschaftlich und organisatorisch in das Unternehmen eines anderen Unternehmers eingegliedert ist (Organschaft). |
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Unionsrechtlich beruht diese Vorschrift auf Art. 4 Abs. 4 Unterabs. 2 der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG. Danach können die Mitgliedstaaten im Inland ansässige Personen, die zwar rechtlich unabhängig, jedoch durch gegenseitige finanzielle, wirtschaftliche und organisatorische Beziehungen eng miteinander verbunden sind, zusammen als einen Steuerpflichtigen behandeln. |
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Die Ausübung der Ermächtigung, "Personen … als einen Steuerpflichtigen zu behandeln", führt zu einer "Verschmelzung zu einem einzigen Steuerpflichtigen[, die] es ausschließt, dass die untergeordneten Personen weiterhin getrennt Mehrwertsteuererklärungen abgeben und innerhalb und außerhalb ihres Konzerns weiter als Steuerpflichtige angesehen werden, da nur der einzige Steuerpflichtige befugt ist, diese Erklärungen abzugeben" (Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 22. Mai 2008 C-162/07, Ampliscientifica und Amplifin, Slg. 2008, I-4019 Rdnr. 19). Dementsprechend setzt die nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG erforderliche Eingliederung in ein anderes Unternehmen ein Verhältnis der Über- und Unterordnung zwischen einer Organgesellschaft als "untergeordneter Person" und dem sog. Organträger voraus (Urteile des Bundesfinanzhofs –BFH– vom 18. Dezember 1996 XI R 25/94, BFHE 182, 392, BStBl II 1997, 441, unter II.1.; vom 19. Mai 2005 V R 31/03, BFHE 210, 167, BStBl II 2005, 671, unter II.2.a aa; vom 3. April 2008 V R 76/05, BFHE 221, 443, BStBl II 2008, 905, unter II.1., und vom 22. April 2010 V R 9/09, BFHE 229, 433, BFH/NV 2010, 1581, unter II.3.b aa). |
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2. Die Eingliederungsvoraussetzungen des § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG dienen der Feststellung, ob das für die Organschaft erforderliche Über- und Unterordnungsverhältnis vorliegt, das zur Verschmelzung zu nur einem einzigen Steuerpflichtigen führt. |
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a) Finanziell muss der Organträger in der Weise an der Organgesellschaft beteiligt sein, dass er seinen Willen durch Mehrheitsbeschluss in der Gesellschafterversammlung durchsetzen kann (BFH-Urteile vom 22. November 2001 V R 50/00, BFHE 197, 319, BStBl II 2002, 167, unter II.1.a; in BFHE 210, 167, BStBl II 2005, 671, unter II.2.a dd; vom 30. April 2009 V R 3/08, BFHE 226, 144, BFH/NV 2009, 1734, unter II.2.b aa; in BFHE 229, 433, BFH/NV 2010, 1581, unter II.2., und vom 1. Dezember 2010 XI R 43/08, BFHE 232, 550, BStBl II 2011, 600, unter II.2.). |
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b) Die organisatorische Eingliederung setzt voraus, dass der Organträger die mit der finanziellen Eingliederung verbundene Möglichkeit der Beherrschung der Tochtergesellschaft in der laufenden Geschäftsführung wahrnimmt, wobei er die Organgesellschaft durch die Art und Weise der Geschäftsführung beherrschen muss (vgl. z.B. BFH-Urteile vom 5. Dezember 2007 V R 26/06, BFHE 219, 463, BStBl II 2008, 451, unter II.2.; vom 14. Februar 2008 V R 12, 13/06, BFH/NV 2008, 1365, unter II.2.f aa; in BFHE 221, 443, BStBl II 2008, 905, unter II.3.b, und die bisherige Rechtsprechung zusammenfassend vom 28. Oktober 2010 V R 7/10, BFHE 231, 356, BStBl II 2011, 391, unter II.2., m.w.N.). |
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c) Für die wirtschaftliche Eingliederung i.S. von § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG müssen die Unternehmensbereiche von Organträger und Organgesellschaft miteinander verflochten sein. Dabei kann die wirtschaftliche Eingliederung auf entgeltlichen Leistungen des Mehrheitsgesellschafters (Organträger) gegenüber seiner Tochtergesellschaft (Organgesellschaft) beruhen, wenn diesen für das Unternehmen der Organgesellschaft mehr als nur unwesentliche (geringfügige) Bedeutung zukommt (vgl. zuletzt BFH-Urteil vom 6. Mai 2010 V R 26/09, BFHE 230, 256, BStBl II 2010, 1114, unter II.3.b bb (3)). Es ist dann im Regelfall davon auszugehen, dass der Organträger aufgrund derartiger Leistungen auf die Organgesellschaft Einfluss nehmen kann, für ihn auch aufgrund der Möglichkeit zur Beendigung dieser Leistungsbeziehung eine "beherrschende Stellung" besteht (BFH-Urteil vom 9. September 1993 V R 124/89, BFHE 172, 541, BStBl II 1994, 129, unter II.1.b) und somit für ihn "besondere Einwirkungsmöglichkeiten" vorliegen (BFH-Urteil vom 25. Juni 1998 V R 76/97, BFH/NV 1998, 1534, unter II.2.c). |
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3. Im Streitfall war die Klägerin nur finanziell, nicht aber auch organisatorisch in die M-GmbH eingegliedert. |
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a) Die M-GmbH war nicht in der Lage, die für sie aufgrund ihrer Mehrheitsbeteiligung bestehende Beherrschungsmöglichkeit in der Geschäftsführung der Klägerin auszuüben. |
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aa) Die organisatorische Eingliederung besteht zwischen zwei GmbHs insbesondere bei einer Personenidentität in den Geschäftsführungsorganen der beiden Gesellschaften (BFH-Urteile vom 17. Januar 2002 V R 37/00, BFHE 197, 357, BStBl II 2002, 373, unter II.1.c bb; in BFHE 219, 463, BStBl II 2008, 451, unter II.3.). Darüber hinaus kann sich die organisatorische Eingliederung auch aus einer (teilweisen) personellen Verflechtung über diese Geschäftsführungsorgane ergeben (BFH-Urteile in BFHE 197, 357, BStBl II 2002, 373, unter II.1.c bb; in BFHE 221, 443, BStBl II 2008, 905, unter II.3.b), wenn dem Organträger eine Willensdurchsetzung in der Geschäftsführung der Organgesellschaft möglich ist. Sind für die Organ-GmbH z.B. mehrere einzelvertretungsberechtigte Geschäftsführer bestellt, reicht es aus, dass zumindest einer von ihnen auch Geschäftsführer der Organträger-GmbH ist, der Organträger über ein umfassendes Weisungsrecht gegenüber der Geschäftsführung der Organ-GmbH verfügt (vgl. § 37 Abs. 2 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung –GmbHG–) und –anders als in der dem BFH-Urteil in BFHE 219, 463, BStBl II 2008, 451 zugrunde liegenden Fallgestaltung– zur Bestellung und Abberufung aller Geschäftsführer der Organ-GmbH berechtigt ist (vgl. § 46 Nr. 5 GmbHG). |
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Diese Voraussetzungen sind im Streitfall nicht erfüllt. Zwischen den Geschäftsführungsorganen der Klägerin, einer GmbH, und der M-GmbH bestand keine Personalunion, da der einzige Geschäftsführer der Klägerin, RH, nicht auch bei der M-GmbH geschäftsführungsbefugt war. Dass die M-GmbH als Mehrheitsgesellschafter in der Gesellschafterversammlung der Klägerin gegenüber der Geschäftsführung der Klägerin weisungsbefugt war, reicht ohne zusätzliche personelle Verflechtung über die Geschäftsführung der Klägerin nicht aus. |
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bb) Am Fehlen der für die organisatorische Eingliederung erforderlichen Beherrschungsmöglichkeit hat sich durch die Bestellung des einzigen Geschäftsführers der Klägerin, RH, zum Prokuristen der M-GmbH ab 9. Januar 1998 nichts geändert. Zwar reicht es für die eine organisatorische Eingliederung begründende personelle Verflechtung aus, dass der oder die Geschäftsführer der Organgesellschaft leitende Mitarbeiter des Organträgers sind (BFH-Urteil vom 20. August 2009 V R 30/06, BFHE 226, 465, BStBl II 2010, 863, Leitsatz 2). |
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Die nach dieser Rechtsprechung mögliche Berücksichtigung leitender Mitarbeiter des Organträgers bei der organisatorischen Eingliederung beruht jedoch auf der Annahme, dass der leitende Mitarbeiter des Organträgers dessen Weisungen bei der Geschäftsführung der Organgesellschaft aufgrund eines zum Organträger bestehenden Anstellungsverhältnisses und einer sich hieraus ergebenden persönlichen Abhängigkeit befolgen wird und er bei weisungswidrigem Verhalten vom Organträger als Geschäftsführer der Organgesellschaft abberufen werden kann. |
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Im Streitfall begründete die Erteilung einer Prokura bei der M-GmbH für RH, den Geschäftsführer der Klägerin, danach keine organisatorische Eingliederung. Denn die M-GmbH konnte nach den besonderen Verhältnissen des Streitfalls ihren Willen gegenüber ihrem Prokuristen RH bei der Geschäftsführung der Klägerin bereits deshalb nicht durchsetzen, weil RH als Gründungsgesellschafter der Klägerin nach deren Satzung –und damit entgegen § 46 Nr. 5 GmbHG– nicht gegen seinen Willen als Geschäftsführer der Klägerin durch Mehrheitsbeschluss in der Gesellschafterversammlung abberufen werden konnte. Ohne Bedeutung für die organisatorische Eingliederung ist, ob gemäß § 38 Abs. 2 GmbHG gleichwohl zumindest eine Abberufung aus wichtigem Grund möglich war (vgl. hierzu z.B. Urteil des Bundesgerichtshofs –BGH– vom 20. Dezember 1982 II ZR 110/82, BGHZ 86, 177, unter I.1.; zu § 47 Abs. 4 GmbHG vgl. BGH-Urteile vom 27. April 2009 II ZR 167/07, Neue Juristische Wochenschrift –NJW– 2009, 2300, unter II.3.a, und vom 21. Juni 2010 II ZR 230/08, NJW 2010, 3027, unter II.1.). Denn die organisatorische Eingliederung setzt die Möglichkeit der Beherrschung in der laufenden Geschäftsführung voraus. Dies erfordert ein uneingeschränktes Abberufungsrecht, das nicht nur bei Vorliegen eines wichtigen Grundes besteht. Im Übrigen spricht auch der Umfang der Beteiligung des RH an der Klägerin gegen dessen Abhängigkeit vom Mehrheitsgesellschafter. |
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cc) Es liegen auch keine sonstigen Umstände vor, aus denen sich für die M-GmbH eine Möglichkeit zur Willensdurchsetzung ergab. |
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So begründen bereits nach bisheriger Rechtsprechung weder das mit der finanziellen Eingliederung einhergehende Weisungsrecht durch Gesellschafterbeschluss noch eine vertragliche Pflicht zur regelmäßigen Berichterstattung über die Geschäftsführung die organisatorische Eingliederung (BFH-Urteile in BFHE 221, 443, BStBl II 2008, 905, unter II.4., und in BFHE 231, 356, BStBl II 2011, 391, unter II.2.). Dies gilt auch für die von der Klägerin behauptete Pflicht zur sogar täglichen Berichterstattung. Auch Zustimmungsvorbehalte zugunsten der Gesellschafterversammlung z.B. aufgrund einer Geschäftsführungsordnung sind als bloße Verpflichtung zur Einholung von Weisungen unbeachtlich (vgl. BFH-Urteile vom 20. Februar 1992 V R 80/85, BFH/NV 1993, 133, unter II.a cc, und in BFHE 221, 443, BStBl II 2008, 905, unter II.4.). Ebenso reicht das bloße Recht zur Bestellung oder Abberufung von Geschäftsführern ohne weiter gehende personelle Verflechtung über das Geschäftsführungsorgan nicht aus (s. oben II.3.a). |
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Im Streitfall war die M-GmbH daher auch nicht aufgrund der ihr als GmbH-Mehrheitsgesellschafter zustehenden Weisungsrechte, der Berichtspflichten und der darüber hinaus bestehenden Zustimmungsvorbehalte in der Lage, die Geschäftsführung der Klägerin zu beherrschen. |
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b) Der Senat hat im Streitfall nicht zu entscheiden, ob er an seiner bisherigen Rechtsprechung festhält, nach der sich die organisatorische Eingliederung –ohne Möglichkeit zur Willensdurchsetzung– auch daraus ergeben kann, dass eine vom Organträger abweichende Willensbildung in der Organgesellschaft ausgeschlossen ist (vgl. z.B. BFH-Urteile in BFHE 219, 463, BStBl II 2008, 451, unter II.2.; in BFH/NV 2008, 1365, unter II.2.f aa; in BFHE 221, 443, BStBl II 2008, 905, unter II.3.b, und die bisherige Rechtsprechung zusammenfassend in BFHE 231, 356, BStBl II 2011, 391, unter II.2., m.w.N.). |
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Denn auch nach dieser Rechtsprechung reichten die von der Klägerin angeführten Rechte zur Erteilung von Weisungen, zur Bestellung und Abberufung von Geschäftsführern sowie die Berichtspflichten nicht aus, um eine organisatorische Eingliederung zu begründen (s. oben II.3.a cc). Aufgrund der Besonderheiten des Streitfalls war RH schließlich trotz seiner Stellung als Prokurist nicht als leitender Mitarbeiter der M-GmbH anzusehen (s. oben II.3.a bb). |
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c) Auf das Vorliegen der wirtschaftlichen Eingliederung kam es nicht mehr an. |
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4. Das FG hat nicht gegen den klaren Inhalt der Akten verstoßen. |
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Nach § 96 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 FGO entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Zum Gesamtergebnis des Verfahrens gehört auch die Auswertung des Inhalts der dem Gericht vorliegenden Akten. Ein Verstoß gegen den klaren Inhalt der Akten liegt insbesondere dann vor, wenn das FG eine nach Aktenlage feststehende Tatsache, die richtigerweise in die Beweiswürdigung hätte einfließen müssen, unberücksichtigt lässt oder seiner Entscheidung einen Sachverhalt zugrunde legt, der dem protokollierten Vorbringen der Beteiligten nicht entspricht (vgl. BFH-Beschlüsse vom 19. Mai 2000 X B 75/99, BFH/NV 2000, 1458; vom 17. März 2010 X B 95/09, BFH/NV 2010, 1827, und vom 22. März 2011 X B 151/10, BFH/NV 2011, 1165). Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. |
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Demgegenüber wird § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO nicht verletzt, wenn das FG den ihm vorliegenden Akteninhalt –wie im Streitfall– nicht entsprechend den klägerischen Vorstellungen würdigt. Insoweit handelt es sich um einen materiell-rechtlichen Fehler, der im Übrigen im Streitfall nicht vorliegt (s. oben 3.), nicht aber um einen Verfahrensverstoß (vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom 12. September 1996 X B 76/96, BFH/NV 1997, 246; vom 24. April 2007 VIII B 251/05, BFH/NV 2007, 1521, und vom 23. Juli 2010 IV B 12/09, BFH/NV 2010, 2063). |
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