Weitgehend inhaltsgleich mit BFH-Urteil vom 15.02.2023 VI R 7/21
ECLI:DE:BFH:2023:U.230323.VIR8.21.0
BFH VI. Senat
EStG § 35a Abs 2 S 1 Alt 2, EStG § 35a Abs 4 S 1, EStG VZ 2016
vorgehend FG München, 02. Dezember 2020, Az: 2 K 313/18
Leitsätze
NV: Für ein Hausnotrufsystem, das im Notfall lediglich den Kontakt zu einer 24-Stunden-Servicezentrale herstellt, die soweit erforderlich Dritte verständigt, kann die Steuerermäßigung nach § 35a Abs. 2 Satz 1 Alternative 2 EStG nicht in Anspruch genommen werden (Abgrenzung vom Senatsurteil vom 03.09.2015 – VI R 18/14, BFHE 251, 435, BStBl II 2016, 272).
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Finanzgerichts München vom 02.12.2020 – 2 K 313/18 wird als unbegründet zurückgewiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens hat die Klägerin zu tragen.
Tatbestand
I.
- Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), die im Streitjahr (2016) das siebzigste Lebensjahr vollendet hat, erzielte Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit (Versorgungsbezüge) sowie sonstige Einkünfte aus einer Leibrente.
- Sie lebte im Streitjahr alleine in ihrer Wohnung und nahm ein Hausnotrufsystem der X in Anspruch, das aus einer in der Wohnung befindlichen Basisstation und einem am Körper getragenen Funksender bestand. Die X gewährleisteten eine 24-stündige Rufbereitschaft in der Notrufzentrale an 365 Tagen im Jahr. Bei Betätigung des Notrufs wurde ein Funkkontakt mit der Notrufzentrale hergestellt. Die Mitarbeiter der Zentrale entschieden im Einzelfall, welche Hilfe angefordert wurde. Dies konnte eine persönliche Vertrauensperson sein, der X-Einsatzdienst oder der Rettungsdienst.
- Hierfür entstanden der Klägerin im Streitjahr Kosten in Höhe von 355 €. Nicht enthalten waren die Kosten für einen etwaigen Pflege- oder Rettungseinsatz.
- In ihrer Einkommensteuererklärung für das Streitjahr machte die Klägerin die Aufwendungen als haushaltsnahe Dienstleistungen nach § 35a des Einkommensteuergesetzes (EStG) geltend.
- Der Beklagte und Revisionsbeklagte (Finanzamt ‑‑FA‑‑) lehnte eine Berücksichtigung ab. Nach erfolglosem Einspruch erhob die Klägerin Klage, die das Finanzgericht (FG) als unbegründet abwies.
- Mit der Revision rügt die Klägerin die Verletzung materiellen Rechts.
- Sie beantragt sinngemäß,
das FG-Urteil sowie die Einspruchsentscheidung vom 03.01.2018 aufzuheben und den Einkommensteuerbescheid 2016 vom 19.10.2017 dahingehend zu ändern, dass für die Aufwendungen für das Hausnotrufsystem in Höhe von 355 € die Steuerermäßigung nach § 35a Abs. 2 EStG gewährt wird. - Das FA beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II.
- Die Revision ist unbegründet. Sie ist daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑). Eine Steuerermäßigung nach § 35a EStG kommt in Bezug auf die Aufwendungen der Klägerin für das Hausnotrufsystem nicht in Betracht.
- 1. Nach § 35a Abs. 2 Satz 1 Alternative 2 EStG ermäßigt sich die tarifliche Einkommensteuer, vermindert um die sonstigen Steuerermäßigungen, auf Antrag um 20 %, höchstens 4.000 €, der Aufwendungen des Steuerpflichtigen für die Inanspruchnahme von haushaltsnahen Dienstleistungen, die nicht Dienstleistungen nach § 35a Abs. 3 EStG sind. Gemäß § 35a Abs. 4 Satz 1 EStG muss die Dienstleistung in einem in der Europäischen Union oder dem Europäischen Wirtschaftsraum liegenden Haushalt des Steuerpflichtigen erbracht werden.
- a) Der Begriff „haushaltsnahe Dienstleistung“ ist gesetzlich nicht näher bestimmt. Nach der Rechtsprechung des Senats müssen die Leistungen eine hinreichende Nähe zur Haushaltsführung aufweisen bzw. damit im Zusammenhang stehen. Dazu gehören hauswirtschaftliche Verrichtungen, die gewöhnlich durch Mitglieder des privaten Haushalts oder entsprechend Beschäftigte erledigt werden und in regelmäßigen Abständen anfallen (Senatsurteile vom 13.07.2011 – VI R 61/10, BFHE 234, 391, BStBl II 2012, 232, Rz 9, und vom 13.05.2020 – VI R 4/18, BFHE 269, 272, BStBl II 2021, 669, Rz 17).
- b) Dabei kann nach dem räumlich-funktionalen Haushaltsbegriff des erkennenden Senats (hierzu Senatsurteil vom 21.02.2018 – VI R 18/16, BFHE 261, 42, BStBl II 2018, 641, Rz 14 f., für Handwerkerleistungen) auch die Inanspruchnahme von Diensten, die jenseits der Grundstücksgrenze auf fremdem, beispielsweise öffentlichem Grund geleistet werden, als haushaltsnahe Dienstleistung nach § 35a Abs. 2 Satz 1 EStG begünstigt sein. Es muss sich hierbei allerdings auch insoweit um Tätigkeiten handeln, die ansonsten üblicherweise von Familienmitgliedern erbracht und in unmittelbarem räumlichen Zusammenhang zum Haushalt durchgeführt werden und dem Haushalt dienen (Senatsurteil in BFHE 269, 272, BStBl II 2021, 669, Rz 18).
- aa) Nach dem eindeutigen Wortlaut des § 35a Abs. 4 Satz 1 EStG sind Leistungen, die außerhalb des Haushalts erbracht werden, nicht begünstigt, auch wenn sie für den Haushalt erbracht werden. Insoweit kommt es auf die tatsächliche Erbringung der Leistung an (Senatsurteil in BFHE 269, 272, BStBl II 2021, 669, Rz 26).
- bb) Ob der Leistungserfolg im Haushalt erzielt wird, ist daher grundsätzlich unerheblich; auf den zivilrechtlichen Leistungsort kommt es insoweit deshalb ebenfalls nicht an. Ein bloßes Abstellen auf den Leistungserfolg würde zu einer rein funktionalen Betrachtungsweise führen, die vom Wortlaut des Gesetzes nicht mehr gedeckt ist und auch nicht dem räumlich-funktionalen Verständnis des erkennenden Senats entspricht. Die räumlich-funktionale Verbindung zum Haushalt kann nicht allein dadurch begründet werden, dass sich die Leistung auf einen Haushaltsgegenstand bezieht (s. Senatsurteil in BFHE 269, 272, BStBl II 2021, 669, Rz 27, für Handwerkerleistungen).
- 2. Bei Anwendung dieser Rechtsgrundsätze kommt eine Steuerermäßigung nach § 35a EStG für die von der Klägerin getragenen Aufwendungen für das Hausnotrufsystem vorliegend nicht in Betracht.
- a) Zwar liegt den Aufwendungen für das Hausnotrufsystem eine haushaltsnahe Dienstleistung zugrunde. Wie auch im vom Senat mit Urteil vom 03.09.2015 – VI R 18/14 (BFHE 251, 435, BStBl II 2016, 272) entschiedenen Fall wird durch das Hausnotrufsystem sichergestellt, dass die Klägerin, wenn sie sich im räumlichen Bereich ihres Haushalts aufhält, im Bedarfsfall Hilfe rufen kann. Eine solche Rufbereitschaft leisten typischerweise in einer Haushaltsgemeinschaft zusammenlebende Familien- oder sonstige Haushaltsangehörige (Senatsurteil in BFHE 251, 435, BStBl II 2016, 272, Rz 16). Dies ist zwischen den Beteiligten auch unstreitig.
- b) Die Dienstleistung wird entgegen der Ansicht der Klägerin und anders als in dem der Entscheidung in BFHE 251, 435, BStBl II 2016, 272 zugrunde liegenden Sachverhalt jedoch nicht im Haushalt der Klägerin erbracht.
- Vorliegend zahlt die Klägerin nicht nur für die Bereitstellung der erforderlichen Technik, mittels derer der Kontakt zu der Einsatzzentrale ausgelöst wird, sondern im Wesentlichen für das Bereithalten des Personals für die Entgegennahme eines eventuellen Notrufs (die Rufbereitschaft) und ‑‑je nach Situation‑‑ anschließender Kontaktierung einer Vertrauensperson, eines vorhandenen Bereitschaftsdienstes oder Rettungsdienstes. Die wesentliche Dienstleistung ist mithin die Bearbeitung von eingehenden Alarmen und die Verständigung einer Vertrauensperson, des X-Einsatzdienstes oder des Rettungsdienstes etc. per Telefon und nicht ‑‑wie die Klägerin meint‑‑ das Rufen des Notdienstes durch diese selbst.
- Wie das FG zu Recht ausführt, wird diese maßgebende Dienstleistung nicht in der Wohnung der Steuerpflichtigen und damit nicht in deren Haushalt erbracht (Senatsurteil vom 15.02.2023 – VI R 7/21, zur amtlichen Veröffentlichung bestimmt; ebenso Schmidt/Krüger, EStG, 41. Aufl., § 35a Rz 21; Wackerbeck, EFG 2021, 219; Geserich, Der Betrieb 2017, 152, 154; s.a. FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 13.09.2017 – 7 K 7128/17, EFG 2018, 40, und FG Hamburg, Urteil vom 20.01.2009 – 3 K 245/08, jeweils zu auswärtig untergebrachten Notrufzentralen in Form von Alarmüberwachungsleistungen, sowie Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen vom 09.11.2016 – IV C 8-S 2296-b/07/10003:008, BStBl I 2016, 1213, Rz 11).
- Bei einem reinen Hausnotrufsystem im privaten Haushalt ‑‑wie im Streitfall‑‑ wird auch keine unmittelbare Direkthilfe in Form eines Sofort-Helfer-Einsatzes in der Wohnung des Steuerpflichtigen geschuldet, sondern ggf. als eigenständige Leistung Dritter vermittelt. Insoweit unterscheidet sich der Sachverhalt von demjenigen, der der Entscheidung in BFHE 251, 435, BStBl II 2016, 272 zugrunde lag. Dort hatten die im Bereich des Betreuten Wohnens beschäftigten Pfleger jeweils einen sog. Piepser bei sich, der den Notruf sofort an sie weiterleitete. Geschuldet war dort entsprechend auch die Notfall-Soforthilfe im Haushalt durch das auf diese Weise verständigte Pflegepersonal.
- c) Mangels Leistungserbringung im Haushalt scheidet auch eine Steuerermäßigung für in Anspruch genommene Pflege- und Betreuungsleistungen i.S. des § 35a Abs. 2 Satz 2 Alternative 1 EStG aus.
- 3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 2 FGO.