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BFH-Urteil vom 20.4.1988 (X R 4/80) BStBl. 1988 II S. 744

BFH-Urteil vom 20.4.1988 (X R 4/80) BStBl. 1988 II S. 744

Die Bestellung eines Erbbaurechts ist umsatzsteuerrechtlich eine Dauerleistung.

UStG 1973 §§ 3 Abs. 9, 15 Abs. 1 Nr. 1.

Vorinstanz: FG Nürnberg

Sachverhalt

 

Mit notariell beurkundeter Vereinbarung vom 14. April 1976 wurde der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) an dem Grundstück Flur-Nr. 99/19 der Gemarkung Z ein Erbbaurecht für die Dauer von 60 Jahren eingeräumt. Danach war die Klägerin berechtigt, auf dem Erbbaugrundstück ein Gebäude für gewerbliche Zwecke zu errichten, und verpflichtet, einen jährlichen Erbbauzins in Höhe von 8.808 DM nebst Umsatzsteuer in monatlichen Teilbeträgen an die Grundstückseigentümerin zu zahlen. Die Klägerin vermietete das auf dem Erbbaugrundstück errichtete Gebäude ab 1. August 1976. Bereits am 14. April 1976 hatte sie gegenüber dem Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt – FA -) auf die Steuerbefreiung ihrer Umsätze aus Vermietung verzichtet und gleichzeitig für die Regelversteuerung optiert. Am 27. August 1976 stellte die Grundstückseigentümerin der Klägerin die „auf die Bestellung des Erbbaurechts entfallende Umsatzsteuer“ in Höhe von 59.353,59 DM in Rechnung. Dieser Betrag war wie folgt ermittelt worden:

Erbbauzinsen 60 x 8.808 DM

528.480,00 DM

Grunderwerbsteuer 7 % aus 8.808 DM x 18

11.098,08 DM

 

——————–

Gesamtentgelt

539.578,08 DM

hieraus 11 %

59.353,59 DM

Diesen Betrag machte die Klägerin, nachdem das Erbbaurecht am 26. Oktober 1976 im Grundbuch eingetragen worden war, in ihrer Umsatzsteuervoranmeldung für Oktober 1976 als Vorsteuer geltend. Das FA ließ nur die auf den monatlich zu entrichtenden Erbbauzins von 734 DM (1/12 aus 8.808 DM) entfallende Umsatzsteuer als abzugsfähige Vorsteuer zu und ermäßigte im Vorauszahlungsbescheid vom 3. März 1977 die negative Umsatzsteuerschuld entsprechend. Der Umsatzsteuerbescheid 1976 ist am 9. August 1979 ergangen.

Mit ihrer Klage machte die Klägerin geltend, die Bestellung des Erbbaurechts sei keine Dauerleistung, sondern eine auf den Erwerb der eigentumsähnlichen Rechtsstellung gerichtete einheitliche Leistung, die mit der Eintragung des Erbbaurechts im Grundbuch ausgeführt worden sei. Eine Zerlegung in Teilleistungen sei danach nicht möglich.

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage, mit der die Klägerin beantragt hatte, die Umsatzsteuerschuld für Oktober 1976 auf ./. 63.404,65 DM festzusetzen, als unbegründet zurück (Urteil in Umsatzsteuer-Rundschau – UR – 1981, 235).

Mit der Revision trägt die Klägerin ergänzend vor, das Erbbaurecht sei durch eine dem Eigentumsrecht vergleichbare Verfügbarkeit gekennzeichnet und die Form des Entgelts insoweit unerheblich. Mit Einigung und Eintragung sei deshalb die sonstige Leistung ausgeführt. Im übrigen werde das Erbbaurecht ertragsteuerrechtlich als Wirtschaftsgut behandelt. Im Grunderwerbsteuerrecht werde der eigentumsähnliche Charakter der abgespaltenen Rechtsposition berücksichtigt. Eine unterschiedliche Beurteilung der Rechtsnatur des Erbbaurechts sei ungeachtet der unterschiedlichen Ansatzpunkte einzelner Steuerarten nicht möglich.

Nach Hinweis auf das während des Revisionsverfahrens ergangene Urteil des V. Senats des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 29. November 1984 V R 146/83 (BFHE 143, 101, BStBl II 1985, 370) beantragt die Klägerin festzustellen, daß der Umsatzsteuervorauszahlungsbescheid für Oktober 1976 im geltend gemachten Umfang rechtswidrig war.

Das FA beantragt, die Revision als unzulässig zu verwerfen.

Entscheidungsgründe

 

Die Revision ist zulässig.

Die Klägerin hat, auch wenn mit Erlaß des Jahressteuerbescheids der Vorauszahlungsbescheid seine Wirkung verloren hat, ein berechtigtes Interesse i. S. des § 100 Abs. 1 Satz 4 der Finanzgerichtsordnung (FGO) an der Feststellung der Rechtswidrigkeit des Umsatzsteuervorauszahlungsbescheides, da sich der zu beurteilende Sachverhalt unverändert im Jahresbescheid fortsetzt (BFH-Urteil vom 18. Dezember 1986 V R 127/80, BFHE 148, 226, BStBl II 1987, 222).

Gemäß § 40 Abs. 1 FGO kann mit der Anfechtungsklage nur die Aufhebung bzw. Änderung eines Verwaltungsakts begehrt werden. Für eine derartige Klage fehlt zwar das Rechtsschutzinteresse, wenn sich der angefochtene Verwaltungsakt – wie im Streitfall durch Bekanntgabe des Umsatzsteuerjahresbescheides 1976 (vgl. Urteil in BFHE 143, 101, BStBl II 1985, 370) – vor der Entscheidung durch das FG erledigt hat (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 5. April 1984 IV R 244/83, BFHE 140, 518, BStBl II 1984, 790). Wie der erkennende Senat indes im Urteil vom 10. Februar 1988 X R 38/82 (nicht veröffentlicht) entschieden hat, konnte die Klägerin den allein zulässigen Feststellungsantrag nach § 100 Abs. 1 Satz 4 FGO noch im Revisionsverfahren nachholen, weil der BFH erst während des Revisionsverfahrens mit dem Urteil in BFHE 143, 101, BStBl II 1985, 370 unter Aufgabe seiner entgegengesetzten Rechtsansicht entschieden hat, daß der Umsatzsteuervorauszahlungsbescheid sich mit Erlaß des Umsatzsteuerjahresbescheids erledigt hat.

Die Revision ist unbegründet.

Das FG hat die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen. Es hat zutreffend erkannt, daß die Voraussetzungen für den Vorsteuerabzug in dem begehrten Umfang nicht vorlagen.

Gemäß § 15 Abs. 1 Nr. 1 des Umsatzsteuergesetzes 1967/1973 (UStG) kann der Unternehmer die ihm von anderen Unternehmern gesondert in Rechnung gestellte Vorsteuer für Lieferungen oder sonstige Leistungen, die für sein Unternehmen ausgeführt worden sind, abziehen. Vorsteuer in der geltend gemachten Höhe kann gemäß § 15 Abs. 1 UStG daher nur berücksichtigt werden, wenn die Leistung, für die die Vorsteuer in Rechnung gestellt worden ist, „tatsächlich ausgeführt worden“ ist. Eine vor Ausführung der Leistung erteilte Rechnung berechtigt den Leistungsempfänger nicht zum Vorsteuerabzug (Wagner in Sölch/Ringleb/List, Umsatzsteuer, 4. Aufl., Stand April 1987, § 15 Anm. 58; Bunjes/Geist, Umsatzsteuergesetz, 2. Aufl. 1985, § 15 Anm. 9; Plückebaum/Malitzky, Umsatzsteuergesetz (Mehrwertsteuer), Kommentar, 10. Aufl., § 15 Anm. 178). Wann die Leistung ausgeführt ist, bestimmt sich nach deren Inhalt.

1. Das Erbbaurecht ist seinem bürgerlich-rechtlichen Inhalt nach das veräußerliche und vererbliche Recht, auf oder unter der Oberfläche des Grundstücks ein Bauwerk zu haben (§ 1 Abs. 1 der Verordnung über das Erbbaurecht – ErbbauV -). Von anderen dinglichen Rechten am Grundstück einschließlich der Dienstbarkeiten, welche die Duldung baulicher Anlagen zum Inhalt haben (§§ 1.018, 1.022, 1.090 des Bürgerlichen Gesetzbuches – BGB -) und des zum Besitz berechtigenden Nießbrauchs (§§ 1.030, 1.036 Abs. 1 BGB), unterscheidet sich das Erbbaurecht dadurch, daß es selbst wie ein Grundstück behandelt wird und daß mit wenigen Ausnahmen die sich auf Grundstücke beziehenden Vorschriften sowie die Vorschriften über Ansprüche aus dem Eigentum entsprechende Anwendung finden. Die Bestellung des Erbbaurechts wird daher zivilrechtlich als Kauf (§ 433 Abs. 1 Satz 2 BGB) eines künftigen Rechts, das zum Besitz einer Sache (Erbbaugrundstück) berechtigt (vgl. Urteil des Bundesgerichtshofs – BGH – vom 20. Dezember 1985 V ZR 263/83, Neue Juristische Wochenschrift – NJW – 1986, 1.605), oder als kaufähnlicher Vertrag behandelt (§§ 445, 493 BGB; vgl. Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, § 493 Rdnr. 3, m. w. N.; BGH-Urteil in NJW 1986, 1.605; v. Oefele/Winkler, Handbuch des Erbbaurechts 1987, 5. Kapitel, Anm. 6). Mit der Begründung des Erbbaurechts (§ 873 BGB) hat der Grundstückseigentümer deshalb einen wesentlichen Teil der ihm aufgrund des schuldrechtlichen Grundgeschäfts obliegenden Verpflichtung erfüllt.

2. Gleichzeitig stellt sich das Erbbaurecht, wie § 1 Abs. 1 ErbbauV übereinstimmend mit den §§ 873 Abs. 1 BGB und 1.018, 1.030, 1.090, 1.094, 1.105, 1.113, 1.191 und 1.199 BGB ausdrückt, als eine Belastung des Grundstücks während der Dauer der Erbbaurechtsbestellung dar. Das Erbbaurecht ist daher auch ein befristetes Nutzungsrecht, dessen Inhalt zum einen die „verdinglichte“ Befugnis des Erbbauberechtigten umfaßt, das Grundstück fortwährend in bestimmter Weise zu nutzen, zum anderen die dieser Befugnis entsprechende „verdinglichte“ Verpflichtung des Grundstückseigentümers, diese Nutzung fortwährend zu dulden. Ausdruck des Dauercharakters ist unter anderem die Verpflichtung des Erbbauberechtigten, ein Entgelt in Form wiederkehrender Leistungen, den Erbbauzins (vgl. §§ 9, 9a ErbbauV) zu entrichten.

3. Besteht eine Tätigkeit aus positiven und negativen Leistungselementen, so ist für die Bestimmung des Leistungsgegenstandes entscheidend, welches Element im Vordergrund steht (vgl. z.B. BFH-Urteile vom 30. Juli 1986 V R 41/76, BFHE 147, 279, BStBl II 1986, 874; vom 16. Dezember 1971 V R 41/68, BFHE 104, 262, BStBl II 1972, 238; vom 26. September 1968 V 48/65, BFHE 93, 527, BStBl II 1969, 58). Das Erbbaurechtsverhältnis steht nach seinem rechtlichen und wirtschaftlichen Leistungsinhalt einem dauernden Nutzungsverhältnis näher als der Übereignung eines Grundstücks. Da der wirtschaftliche Leistungsinhalt des Erbbaurechts durch die dem Rechtserwerb folgende Duldung der Rechtsbeeinträchtigung des Eigentums durch den Erbbaurechtsbesteller gekennzeichnet ist, ist umsatzsteuerlich die Bestellung eines Erbbaurechts eine Dauerleistung (vgl. Urteil des Reichsfinanzhofs – RFH – vom 10. März 1933 V A 490/32, RFHE 32, 354, RStBl 1933, 1.343; BFH-Urteil in BFHE 104, 262, BStBl II 1972, 238; vom 16. August 1973 V R 36/69, BFHE 110, 381, BStBl II 1973, 875). Dem entspricht auch die ertragsteuerliche Behandlung des Erbbaurechts; dort wird seinem wirtschaftlichen Leistungsinhalt entsprechend das Erbbaurecht bilanzrechtlich als schwebendes Geschäft behandelt (z.B. BFH-Urteile vom 20. Januar 1983 IV R 158/80, BFHE 138, 53, BStBl II 1983, 413; vom 17. April 1985 I R 132/81, BFHE 144, 213, BStBl II 1985, 617).

Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der Änderung des § 4 Nr. 12c UStG. Infolge der neueren Rechtsprechung zur Grunderwerbsteuerbarkeit der Bestellung eines Erbbaurechts (BFH-Urteil vom 28. November 1967 II R 37/66, BFHE 91, 191, BStBl II 1968, 223) war die bis zum UStG 1980 ausdrücklich neben anderen Dauernutzungsrechten geregelte Befreiung der Erbbaurechtsbestellung überflüssig geworden, weil der Grunderwerbsteuer unterliegende Rechtsvorgänge bereits nach § 4 Nr. 9 UStG von der Umsatzsteuer befreit sind. Für die umsatzsteuerliche Beurteilung der Leistung ergeben sich daraus keine zwingenden Folgerungen. UStG und Grunderwerbsteuergesetz (GrEStG) knüpfen an unterschiedliche Tatbestände an (vgl. z.B. BFH-Beschluß vom 30. Oktober 1986 V B 44/86, BFHE 148, 80, BStBl II 1987, 145). Das folgt bereits daraus, daß die Grunderwerbsteuer an das schuldrechtliche Verpflichtungsgeschäft (§ 1 GrEStG), die Umsatzsteuer dagegen in ihrem Grundtatbestand an die wirtschaftliche Leistung anknüpft.

4. Diese sonstige Leistung des Grundstückseigentümers ist als im umsatzsteuerrechtlichen Sinne einheitlich anzusehen. Einheitliche Leistungsvorgänge sind solche, die so ineinander greifen, daß sie bei natürlicher Betrachtung hinter dem ganzen zurücktreten (vgl. BFH-Urteil vom 22. März 1979 V R 127/70, BFHE 128, 95, BStBl II 1979, 594; Mößlang in Sölch/Ringleb/List, a.a.O., § 1 Anm. 14; Husmann in Rau/Dürrwächter/Flick/Koch, Umsatzsteuergesetz (Mehrwertsteuer), Kommentar, 5. Aufl., § 1 Anm. 85 f.; Söhn, Steuer und Wirtschaft – StuW – 1975, 164, 167).

Im Streitfall kann dahingestellt bleiben, wie die einheitliche Duldungsleistung aufzuteilen ist (dazu BFHE 104, 262, 265, BStBl II 1972, 238; ferner Anm. Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung – HFR – 1972, 253) und ob Teilleistungen i. S. des § 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a Sätze 2 und 3 UStG anzunehmen sind. Da jährliche Zahlung der Erbbauzinsen vereinbart worden ist, kommt allenfalls eine Teilerfassung der 1976 erbrachten Duldungsleistung mit dem zum Jahresende 1976 zu beanspruchenden Erbbauzins in Betracht; eine auf den Monat Oktober 1976 beschränkte Duldungsleistung ist zu verneinen.

Aus § 15 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 UStG 1980, wonach der gesondert ausgewiesene Steuerbetrag auch auf eine Zahlung vor Ausführung des Umsatzes abgezogen werden kann, ergibt sich für den Streitfall schon deshalb nichts anderes, weil diese Regelung auf Zeiträume vor 1980 nicht anzuwenden ist (§ 27 Abs. 1, 2 und 4 UStG 1980).