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BFH-Urteil vom 7.10.1987 (II R 123/85) BStBl. 1988 II S. 296

BFH-Urteil vom 7.10.1987 (II R 123/85) BStBl. 1988 II S. 296

1. Die fehlende Wiedererlangung der ursprünglichen Rechtsstellung des Verkäufers steht dann der Anwendung des § 17 Abs. 1 GrEStG 1940 (= § 16 Abs. 1 GrEStG 1983) nicht entgegen, wenn rechtliche oder tatsächliche Bindungen der Vertragsbeteiligten zu einem Dritten die Wiedererlangung der Verfügungsbefugnis des Veräußerers über das Grundstück verhindern.

2. Auch wenn die Aufhebung des Erwerbsvorganges ausschließlich im Interesse eines Dritten (z.B. eines Grundpfandgläubigers) liegt, ist dies für die Anwendung des § 17 Abs. 1 GrEStG 1940 (= § 16 Abs. 1 GrEStG 1983) unschädlich, wenn zwischen den Vertragsbeteiligten Bindungen von grunderwerbsteuerrechtlicher Bedeutung nicht mehr bestehen bleiben. Die Bindungen an den Dritten sowie dessen Einflußnahme auf die gewählte Vertragskonstruktion im Rahmen der Rückgängigmachung des Erwerbsvorgangs kann sich aber als Gestaltungsmißbrauch i.S. von § 42 AO 1977 darstellen.

GrEStG 1940 § 17 Abs. 1 (= GrEStG 1983 § 16 Abs. 1); AO 1977 § 42.

Vorinstanz: FG Bremen

Sachverhalt

 

I.

Die Klägerin erwarb durch notariell beurkundeten Kaufvertrag vom 30. Oktober 1980 von der B-GmbH ein Teileigentum (Gewerberäume) zu einem Kaufpreis von 115.000 DM. Der Kaufpreis sollte durch Übernahme von Grundschulden, die zugunsten der X-Bank eingetragen waren und in Höhe des Kaufpreises valutierten, belegt werden. In der notariellen Urkunde wurde ferner die Auflassung erklärt, zugunsten der Klägerin eine Auflassungsvormerkung bewilligt, die später eingetragen wurde, und der sofortige Besitzübergang vereinbart. Die vom Finanzamt (FA) für diesen Grunderwerb festgesetzte Grunderwerbsteuer wurde von der Klägerin nach Kreditierung durch die X-Bank bezahlt.

Die B-GmbH wurde am 4. November 1980 wegen Vermögenslosigkeit aufgelöst. Nachdem auch die Klägerin in Zahlungsschwierigkeiten geriet (sie wurde im April 1981 wegen Vermögenslosigkeit aufgelöst), kam es zu Verhandlungen zwischen den beteiligten Gesellschaften und der X-Bank. Diese Verhandlungen führten am 10. März 1981 zur (privatschriftlichen) Aufhebung des Kaufvertrages vom 30. Oktober 1980 sowie zur (privatschriftlichen) Abtretung des (möglicherweise infolge der Vertragsaufhebung entstandenen) Anspruchs der Klägerin gegen das FA auf Erstattung der Grunderwerbsteuer an die X-Bank. Ferner veräußerte die – noch als Eigentümerin im Grundbuch eingetragene – B-GmbH i.L. am selben Tag durch notariellen Kaufvertrag das hier streitige Teileigentum an die X-Bank zu einem Kaufpreis von 60.000 DM, und zwar unter Übernahme der zu ihren, der X-Bank, Gunsten eingetragenen Grundschulden. Die Klägerin bewilligte in dieser notariellen Urkunde die Löschung der zu ihren Gunsten eingetragenen Auflassungsvormerkung.

Die Klägerin, die sich nunmehr ebenfalls in Liquidation befindet, beantragte die Erstattung der gezahlten Grunderwerbsteuer gemäß § 17 Abs. 1 des Grunderwerbsteuergesetzes (GrEStG) 1940 (= § 16 Abs. 1 GrEStG 1983) wegen Rückgängigmachung des Erwerbsvorganges. Antrag, Einspruch und Klage blieben ohne Erfolg.

Das Finanzgericht (FG) hat die Voraussetzungen für eine Rückgängigmachung des Kaufvertrages vom 30. Oktober 1980 nicht als gegeben angesehen, weil die B-GmbH als Verkäuferin durch die Vertragsaufhebung nicht die Möglichkeit zurückerhalten habe, beliebig über das Grundstück zu verfügen. Vielmehr sei die Aufhebung des Vertrages sowie die Weiterveräußerung an die X-Bank das Ergebnis einer schon vorher im Interesse aller Beteiligten (auch der Klägerin) beschlossenen Sache gewesen. Dadurch habe sich die Veräußerin – mehr oder weniger gezwungenermaßen – von vornherein der Möglichkeit begeben, wieder auf das Grundstück einzuwirken und es nach Belieben anderweitig vergeben zu können. Im wirtschaftlichen Ergebnis sei damit die X-Bank in die Rechte und Pflichten aus dem aufgehobenen Vertrag eingetreten. Wie weit das Interesse der Klägerin im einzelnen gegangen sei, sei von untergeordneter Bedeutung. Entscheidend sei vielmehr, daß die B-GmbH schon vor Aufhebung des Vertrags im Hinblick auf die beherrschende Position der X-Bank als Gläubigerin der eingetragenen Grundpfandrechte hinsichtlich ihrer weiteren Disposition über das Grundstück gebunden gewesen sei. Bei dieser Sachlage komme es auf die Gründe für die vorgenommene Vertragsgestaltung nicht an.

Mit der vom FG zugelassenen Revision beantragt die Klägerin sinngemäß, unter Aufhebung der Vorentscheidung, der Einspruchsentscheidung vom 4. Februar 1985 sowie des Ablehnungsbescheides vom 17. September 1981 das FA zu verpflichten, die gezahlte Grunderwerbsteuer zu erstatten.

Sie rügt fehlerhafte Rechtsanwendung des § 17 Abs. 1 GrEStG 1940.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

 

II.

Die Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung – FGO -). Der bisher festgestellte Sachverhalt erlaubt keine abschließende Entscheidung der Sache.

Gemäß § 17 Abs. 1 Nr. 1 des damals geltenden GrEStG 1940 wird die Steuer auf Antrag erstattet, wenn ein Erwerbsvorgang rückgängig gemacht wird, bevor das Eigentum am Grundstück auf den Erwerber übergegangen ist und die Aufhebung des Rechtsgeschäfts durch Vereinbarung innerhalb von zwei Jahren seit Entstehung der Steuer stattfindet. „Rückgängig gemacht“ in diesem Sinne ist ein Erwerbsvorgang dann, wenn sich die Vertragspartner derart aus ihren vertraglichen Bindungen entlassen haben, daß die Möglichkeit der Verfügung über das Grundstück nicht beim Erwerber verbleibt, sondern der Veräußerer seine ursprüngliche Rechtsstellung wiedererlangt (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs – BFH – vom 6. Oktober 1976 II R 131/74, BFHE 120, 557, BStBl II 1977, 253, m.w.N.). Die beiden Voraussetzungen für eine tatsächliche Rückgängigmachung des Vertrages, nämlich der Wegfall der Verfügungsmöglichkeit des Erwerbers über das Grundstück einerseits und die Wiedererlangung der ursprünglichen Rechtsstellung des Veräußerers andererseits, sind nicht isoliert, sondern in einem sachlichen Zusammenhang zu betrachten. Nur wenn der Veräußerer seine ursprüngliche Rechtsstellung deshalb nicht wiedererlangt, weil trotz der formellen Aufhebung des Vertrags der Erwerber die Möglichkeit der Verfügung über das Grundstück behält, steht dies der Annahme einer tatsächlichen Rückgängigmachung des Vertrages entgegen. Denn § 17 Abs. 1 GrEStG 1940 verlangt lediglich die Beseitigung der Folgen eines Grundstückskaufvertrages, und zwar insoweit, als Bindungen zwischen den ursprünglichen Vertragsbeteiligten von grunderwerbsteuerrechtlicher Bedeutung nicht mehr bestehen bleiben (vgl. BFH-Urteil vom 4. Dezember 1985 II R 171/84, BFHE 145, 448, 450, BStBl II 1986, 271). Deshalb steht die fehlende Wiedererlangung der ursprünglichen Rechtsstellung des Verkäufers dann der Anwendung des § 17 Abs. 1 GrEStG 1940 (= § 16 Abs. 1 GrEStG 1983) nicht entgegen, wenn rechtliche oder tatsächliche Bindungen der Vertragsbeteiligten zu einem Dritten (z.B. Darlehensgeber, Grundpfandgläubiger) die Wiedererlangung der Verfügungsbefugnis des Veräußerers über das Grundstück verhindern. Denn die fehlende Wiedererlangung der Verfügungsbefugnis seitens des Veräußerers ist dann nicht als Folge einer unvollständigen Rückgängigmachung des Erwerbsvorganges anzusehen.

Auch wenn die ursprünglichen Vertragsbeteiligten selbst kein Interesse mehr an der Aufhebung des Erwerbsvorganges haben, sondern die Rückgängigmachung des Vertrages auf Veranlassung und im Interesse eines Dritten vorgenommen wird, steht das der Anwendung des § 17 Abs. 1 GrEStG 1940 nicht entgegen, wenn zwischen den ursprünglichen Vertragsbeteiligten Bindungen von grunderwerbsteuerrechtlicher Bedeutung nicht mehr bestehen bleiben. Denn für die Frage der Rückgängigmachung des Erwerbsvorgangs sind allein die Rechtsbeziehungen zwischen den ursprünglichen Vertragsbeteiligten maßgebend. Selbst wenn im wirtschaftlichen Ergebnis die gewählte Vertragskonstruktion dem Eintritt eines Dritten in die Rechte und Pflichten aus dem aufgehobenen Vertrag gleichkommt, steht dies nur dann der Anwendung des § 17 Abs. 1 GrEStG 1940 entgegen, wenn in dem als Abtretung zu wertenden Geschäft ein Vorgang gesehen werden kann, der dem nach § 1 Abs. 1 Nr. 6 und 7 GrEStG 1940 steuerbaren „Handel mit Kaufangeboten“ vergleichbar ist. Dies ist jedoch nur dann möglich, wenn die Abtretung einen Zwischenerwerb ersetzt oder den eigenen wirtschaftlichen Interessen des Abtretenden dient, d.h., wenn der Abtretende Wert darauf legt, den Abtretungsempfänger zu bestimmen (vgl. BFH-Urteile vom 16. April 1980 II R 141/77, BFHE 130, 428, BStBl II 1980, 525, und in BFHE 145, 448, BStBl II 1986, 271). Die Bindungen der Vertragsbeteiligten an den Dritten sowie dessen Einflußnahme auf die gewählte Vertragskonstruktion im Rahmen der Rückgängigmachung des Vertrages können lediglich unter dem Gesichtspunkt des Gestaltungsmißbrauchs gemäß § 42 der Abgabenordnung (AO 1977) der Anwendung des § 17 Abs. 1 GrEStG 1940 entgegenstehen.

Im Streitfall kommt es demnach entscheidend darauf an, ob die Weiterveräußerung des Grundstücks an die X-Bank den wirtschaftlichen Interessen der Klägerin gedient und sie selbst maßgeblichen Einfluß auf die Weiterveräußerung des Grundstücks an die X-Bank gehabt und ausgeübt hat und ferner, ob sich die Einflußnahme der X-Bank auf die gewählte Vertragskonstruktion als Gestaltungsmißbrauch darstellt. Hierzu hat das FG, dem das Urteil des erkennenden Senats in BFHE 145, 448, BStBl II 1986, 271 im Zeitpunkt der Urteilsfindung noch nicht bekannt sein konnte, keine ausreichenden Tatsachenfeststellungen getroffen. Vielmehr hat es die Interessen der Klägerin als von untergeordneter Bedeutung angesehen. Da diese Tatsachenfeststellungen nachgeholt werden müssen, mußte die Sache an das FG zurückverwiesen werden.