Erlass von Säumniszuschlägen aufgrund verfassungsrechtlicher Einwendungen gegen die Höhe des Säumniszuschlags

Beschluss vom 09. Oktober 2020, VIII B 162/19

ECLI:DE:BFH:2020:B.091020.VIIIB162.19.0

BFH VIII. Senat

AO § 227 , AO § 240 Abs 1 S 1 , AO § 218 Abs 2 , GG Art 1 , GG Art 2 Abs 1 , GG Art 19 Abs 4 , GG Art 20 Abs 3 , GG Art 3 Abs 1 , GG Art 14 Abs 1 , FGO § 115 Abs 2 Nr 1

vorgehend Finanzgericht Berlin-Brandenburg , 26. September 2019, Az: 4 K 4069/17

Leitsätze

NV: Einwendungen gegen die Verfassungsmäßigkeit der Höhe des Säumniszuschlags sind nicht im Erlassverfahren, sondern im Verfahren gegen einen Abrechnungsbescheid geltend zu machen.

Tenor

Die Beschwerde des Klägers wegen Nichtzulassung der Revision gegen das Urteil des Finanzgerichts Berlin-Brandenburg vom 26.09.2019 – 4 K 4069/17 wird als unbegründet zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat der Kläger zu tragen.

Gründe

Die Beschwerde ist unbegründet.

Die Revision ist aufgrund der vom Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) geltend gemachten Zulassungsgründe nicht zuzulassen.

1. Die Revision ist nicht gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen.

a) Die Darlegung der Voraussetzungen des Zulassungsgrunds der grundsätzlichen Bedeutung gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO verlangt u.a. substantiierte Ausführungen zur Klärungsbedürftigkeit einer zweifelhaften Rechtsfrage, die im konkreten Streitfall voraussichtlich auch klärungsfähig ist. Macht ein Beschwerdeführer –wie der Kläger im Streitfall– mit der Nichtzulassungsbeschwerde verfassungsrechtliche Fragen als Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung geltend, so erfordert die Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung eine substantiierte, an den Vorgaben des Grundgesetzes (GG) und der einschlägigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesfinanzhofs (BFH) orientierte Auseinandersetzung mit der Problematik. Eine Rechtsfrage ist klärungsfähig, wenn sie in einem künftigen Revisionsverfahren für die Entscheidung des Streitfalls rechtserheblich ist. Dies gilt auch für verfassungsrechtliche Fragen, die als Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung aufgeworfen werden (vgl. zum Ganzen BFH-Beschlüsse vom 14.06.2017 – X B 118/16, BFH/NV 2017, 1437, Rz 28; vom 06.03.2019 – VIII B 94/18, BFH/NV 2019, 935, Rz 4; vom 13.11.2019 – VIII B 42/19, BFH/NV 2020, 234, Rz 5).

b) Die vom Kläger aufgeworfene Rechtsfrage, ob die Erhebung von Säumniszuschlägen gemäß § 240 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO) in Höhe von 1 % des abgerundeten rückständigen Steuerbetrags für jeden angefangenen Monat im Niedrigzinsumfeld für Zeiträume ab 2015 mit Art. 1, Art. 2 Abs. 1 und Art. 19 Abs. 4 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG vereinbar ist, ist im vorliegenden Verfahren nicht klärungsfähig. Einwendungen gegen die Höhe der Säumniszuschläge sind im vorliegenden Verfahren nicht entscheidungserheblich.

Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt –FA–) weist zu Recht darauf hin, dass Einwendungen gegen den Ansatz von Säumniszuschlägen dem Grund und der Höhe nach in einem finanzgerichtlichen Verfahren, in dem der Steuerpflichtige eine Entscheidung des FA über die Ablehnung des Erlasses von Säumniszuschlägen mit der Klage angreift, nicht entscheidungserheblich sind. Solche Einwendungen sind mit einem Antrag auf Erlass eines Abrechnungsbescheids (§ 218 Abs. 2 AO) geltend zu machen (BFH-Beschluss vom 06.07.2015 – III B 168/14, BFH/NV 2015, 1344, Rz 7, 8). Hierunter fallen auch die vom Kläger gegen die Verfassungsmäßigkeit der Höhe des gesetzlichen Zuschlagsatzes gemäß § 240 AO erhobenen Einwendungen, denn es handelt sich insoweit um die Frage der Verfassungsmäßigkeit der einfach-rechtlichen Grundlagen des Entstehens von Säumniszuschlägen (vgl. BFH-Urteil vom 03.12.2019 – VIII R 25/17, BFHE 266, 501, BStBl II 2020, 214, Rz 26, nach dem Einwendungen gegen die Verfassungsmäßigkeit der gesetzlichen Zinshöhe gemäß §§ 233a, 238 AO grundsätzlich nicht im Erlassverfahren zu beurteilen sind).

c) Die Revision ist auch nicht wegen der weiteren vom Kläger angeführten Rechtsfrage wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen.

aa) Der Kläger wirft sinngemäß die Frage auf, ob eine Besteuerung aus dem Einkommensteueranspruch und steuerlichen Nebenansprüchen konfiskatorisch wirke und gemäß Art. 2 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1 und Art. 14 Abs. 1 GG verfassungswidrig sei, wenn das zu versteuernde Einkommen zu mehr als 50 % in Anspruch genommen werde, und ob deshalb ein Anspruch auf den vollständigen Erlass der Säumniszuschläge gegeben sei.

bb) Die Frage, ob dem Kläger unter den in der Rechtsfrage angeführten Umständen ein Anspruch auf Erlass von Säumniszuschlägen zustand, betrifft jedoch nur den Streitfall als Einzelfall und bedarf keiner abstrakten Klärung.

§ 227 AO, der den Erlass regelt, ist eine Ermessensvorschrift. Die Frage, ob Ermessensfehler vorliegen, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. Sie ist deshalb allgemeinen Aussagen von grundsätzlicher Bedeutung regelmäßig nicht zugänglich und kann daher nicht zur Zulassung der Revision führen. Etwas anderes kann gelten, wenn zum einen aufgrund bestimmter Umstände eine Ermessensreduzierung auf Null in Frage steht und zum anderen diese Umstände ihrerseits nicht nur solche des Einzelfalls sind (BFH-Beschluss vom 11.03.2014 – X B 45/13, BFH/NV 2014, 826, Rz 10, 11, m.w.N.).

Die kumulativ eingetretene Belastung des Klägers aufgrund der Steuerfestsetzung für 2010 und der steuerlichen Nebenleistungen beruht nach den bindenden, nicht mit Verfahrensrügen angefochtenen Feststellungen des Finanzgerichts (FG) maßgeblich auf dem Verhalten des Klägers und nicht auf den gesetzlichen Regelungen oder besonderen Umständen, die nicht einzelfallabhängig sind. Wie das FG in der Vorentscheidung dargelegt hat, betrug die Summe aus Einkommensteuer, Solidaritätszuschlag, Verspätungs- und Säumniszuschlägen zur Einkommensteuer 2010 nur deshalb etwas mehr als 50 % des zu versteuernden Einkommens des Klägers in der Steuerfestsetzung 2010, weil die vom Kläger verursachten Verspätungs- und Säumniszuschläge einen maßgeblichen Anteil an der Gesamtschuld hatten. Hierzu hat das FG dargelegt, dass der Kläger seine mangelnde Leistungsfähigkeit zu den relevanten Fälligkeitszeitpunkten der Steuerzahlung für 2010 durch eine mangelnde Vorsorge und die Verwendung hoher Einkünfte dieses Jahres selbst herbeigeführt und im Hinblick auf die festgesetzten Verspätungszuschläge nicht in ausreichendem Umfang Fristverlängerungen zur Abgabe der Einkommensteuererklärungen für mehrere Veranlagungszeiträume beantragt hatte.

Auf dieser tatsächlichen Grundlage bedarf es weder der Klärung der Frage, ob aus der Gesamtbelastung des Klägers ein Steuerzugriff resultieren könnte, der das verfassungsrechtliche Übermaßverbot verletzt, noch der Klärung der Frage, ob der Kläger hieraus einen Anspruch auf den ganzen oder teilweisen Erlass von Säumniszuschlägen ableiten könnte.

2. Eine Zulassung der Revision zur Fortbildung des Rechts gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 1 FGO kommt ebenfalls nicht in Betracht.

a) Der Zulassungsgrund der Fortbildung des Rechts gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 1 FGO stellt einen Spezialfall des Zulassungsgrunds der grundsätzlichen Bedeutung gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO dar und setzt die Darlegung und das Vorliegen einer hinreichend bestimmten und im Allgemeininteresse liegenden, klärungsbedürftigen und klärbaren Rechtsfrage voraus. Klärungsbedürftig ist eine Rechtsfrage, deren Beantwortung zweifelhaft ist oder zu der unterschiedliche Auffassungen vertreten werden und die noch nicht oder nicht hinreichend höchstrichterlich geklärt ist. Daran fehlt es, wenn die Rechtsfrage anhand der gesetzlichen Grundlagen und der bereits vorliegenden Rechtsprechung beantwortet werden kann und keine neuen Gesichtspunkte erkennbar sind, die eine erneute Prüfung und Entscheidung durch den BFH geboten erscheinen lassen (ständige Rechtsprechung, vgl. BFH-Beschlüsse vom 12.6.2018 – VIII B 154/17, BFH/NV 2018, 945, Rz 9, 13; vom 13.12.2018 – VIII B 114/18, BFH/NV 2019, 385, Rz 3).

b) Die vom Kläger aufgeworfene Frage, ob er einen Anspruch auf den hälftigen Erlass der Säumniszuschläge wegen Verstoßes gegen das verfassungsrechtlich gewährleistete Übermaßverbot hat, wenn der Landesfiskus in finanzbehördlich zurechenbarer Weise von einer Zahlungsunfähigkeit/Überschuldung des Steuerpflichtigen ausgeht und somit die Druckmittelfunktion der Säumniszuschläge entfällt, ist –bei Zweifeln an ihrer hinreichenden Abstraktheit– jedenfalls nicht in einem Revisionsverfahren klärungsfähig.

Das FG hat im Streitfall auf Bl. 20 f. der Vorentscheidung festgestellt, der Kläger sei seit dem Jahr 2012 objektiv weder überschuldet noch zahlungsunfähig gewesen. Diesen Feststellungen des FG ist der Kläger nicht mit Verfahrensrügen i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO entgegengetreten. Sie wären gemäß § 118 Abs. 2 FGO für den Senat daher auch in einem Revisionsverfahren bindend. Da nach dem bindend festgestellten Sachverhalt keine Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung für den vom Kläger begehrten Erlasszeitraum der entstandenen Säumniszuschläge anzunehmen ist, ist die vom Kläger aufgeworfene Frage nach einem Erlassanspruch auf dieser Grundlage im Ganzen nicht entscheidungserheblich. Rechtsfragen, die sich nur stellen können, wenn von einem anderen als dem vom FG festgestellten Sachverhalt ausgegangen wird, können im Revisionsverfahren nicht geklärt werden (vgl. BFH-Beschluss vom 09.03.2016 – X B 142/15, BFH/NV 2016, 1030, Rz 9, 10).

3. Der Senat sieht gemäß § 116 Abs. 5 Satz 2 FGO von einer Darlegung des Tatbestands und einer weiteren Begründung ab.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.