EuGH-Vorlage zur Organschaft

EuGH-Vorlage vom 07. Mai 2020, V R 40/19

ECLI:DE:BFH:2020:VE.070520.VR40.19.0

BFH V. Senat

UStG § 2 Abs 2 Nr 2 , UStG § 3 Abs 9a Nr 2 , EWGRL 388/77 Art 4 Abs 4 UAbs 2 , EWGRL 388/77 Art 6 Abs 2 , EWGRL 388/77 Art 4 Abs 5 , EWGRL 388/77 Art 2 Nr 1 , EGRL 112/2006 Art 11 , UStG VZ 2005

vorgehend Niedersächsisches Finanzgericht , 16. Oktober 2019, Az: 5 K 309/17

Leitsätze

Dem EuGH werden folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1. Ist die in Art. 4 Abs. 4 Unterabs. 2 der Richtlinie 77/388/EWG für die Mitgliedstaaten vorgesehene Ermächtigung, in ihrem Gebiet ansässige Personen, die zwar rechtlich unabhängig, aber durch gegenseitige finanzielle, wirtschaftliche und organisatorische Beziehungen eng miteinander verbunden sind, zusammen als einen Steuerpflichtigen zu behandeln, in der Weise auszuüben,

a) dass die Behandlung als ein Steuerpflichtiger bei einer dieser Personen erfolgt, die Steuerpflichtige für alle Umsätze dieser Personen ist oder in der Weise,

b) dass die Behandlung als ein Steuerpflichtiger zwingend –und damit auch unter Inkaufnahme erheblicher Steuerausfälle– zu einer von den eng miteinander verbundenen Personen getrennten Mehrwertsteuergruppe führen muss, bei der es sich um eine eigens für Mehrwertsteuerzwecke zu schaffende fiktive Einrichtung handelt?

2. Falls zur ersten Frage die Antwort a) zutreffend ist: Folgt aus der EuGH-Rechtsprechung zu den unternehmensfremden Zwecken i.S. von Art. 6 Abs. 2 der Richtlinie 77/388/EWG (EuGH-Urteil VNLTO, EU:C:2009:88), dass bei einem Steuerpflichtigen,

a) der zum einen eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübt und dabei entgeltliche Leistungen i.S. von Art. 2 Nr. 1 der Richtlinie 77/388/EWG erbringt und

b) der zum anderen zugleich eine Tätigkeit ausübt, die ihm im Rahmen der öffentlichen Gewalt obliegt (Hoheitstätigkeit), für die er nach Art. 4 Abs. 5 der Richtlinie 77/388/EWG nicht als Steuerpflichtiger gilt,

die Erbringung einer unentgeltlichen Dienstleistung aus dem Bereich seiner wirtschaftlichen Tätigkeit für den Bereich seiner Hoheitstätigkeit keine Besteuerung nach Art. 6 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 77/388/EWG vorzunehmen ist?

Tenor

I. Dem Gerichtshof der Europäischen Union werden folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1. Ist die in Art. 4 Abs. 4 Unterabs. 2 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17.05.1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern für die Mitgliedstaaten vorgesehene Ermächtigung, in ihrem Gebiet ansässige Personen, die zwar rechtlich unabhängig, aber durch gegenseitige finanzielle, wirtschaftliche und organisatorische Beziehungen eng miteinander verbunden sind, zusammen als einen Steuerpflichtigen zu behandeln, in der Weise auszuüben,

a) dass die Behandlung als ein Steuerpflichtiger bei einer dieser Personen erfolgt, die Steuerpflichtige für alle Umsätze dieser Personen ist oder in der Weise,

b) dass die Behandlung als ein Steuerpflichtiger zwingend   und damit auch unter Inkaufnahme erheblicher Steuerausfälle   zu einer von den eng miteinander verbundenen Personen getrennten Mehrwertsteuergruppe führen muss, bei der es sich um eine eigens für Mehrwertsteuerzwecke zu schaffende fiktive Einrichtung handelt?

2. Falls zur ersten Frage die Antwort a) zutreffend ist: Folgt aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union zu den unternehmensfremden Zwecken im Sinne von Art. 6 Abs. 2 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17.05.1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern (Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union VNLTO vom 12.02.2009 – C-515/07, EU:C:2009:88), dass bei einem Steuerpflichtigen,

a) der zum einen eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübt und dabei entgeltliche Leistungen im Sinne von Art. 2 Nr. 1 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17.05.1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern erbringt und

b) der zum anderen zugleich eine Tätigkeit ausübt, die ihm im Rahmen der öffentlichen Gewalt obliegt (Hoheitstätigkeit), für die er nach Art. 4 Abs. 5 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17.05.1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern nicht als Steuerpflichtiger gilt, die Erbringung einer unentgeltlichen Dienstleistung aus dem Bereich seiner wirtschaftlichen Tätigkeit für den Bereich seiner Hoheitstätigkeit keine Besteuerung nach Art. 6 Abs. 2 Buchst. b der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17.05.1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern vorzunehmen ist?

II. Das Verfahren wird bis zur Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union ausgesetzt.

Tatbestand

I.

  1. Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist eine Stiftung öffentlichen Rechts. Sie ist Trägerin einer Universität, die auch einen Bereich Universitätsmedizin unterhält. Die Klägerin ist Steuerpflichtige im Sinne (i.S.) von Art. 4 Abs. 1 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17.05.1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern (Richtlinie 77/388/EWG) und erbringt Dienstleistungen gegen Entgelt i.S. von Art. 2 Nr. 1 der Richtlinie 77/388/EWG. Zugleich nimmt die Klägerin als juristische Person des öffentlichen Rechts (Einrichtung des öffentlichen Rechts) hoheitliche Aufgaben wahr, für die sie gemäß Art. 4 Abs. 5 der Richtlinie 77/388/EWG nicht als Steuerpflichtige gilt.
  2. Die Klägerin ist entsprechend einer verbindlichen Auskunft, die der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt –FA–) gemäß § 89 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO) erteilt hat, nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) Organträgerin der U-GmbH.
  3. Die U-GmbH erbrachte für die Klägerin Reinigungs-, Hygiene- und Wäschereileistungen sowie Patiententransportdienstleistungen. Die Reinigungsleistungen erbrachte die U-GmbH in den Räumen der Klägerin. Sie umfassten den gesamten Gebäudekomplex des Bereichs Universitätsmedizin, zu dem neben Patientenzimmern, Fluren, Operationssälen auch Hörsäle und Labore gehören. Während der eigentliche Krankenhausbereich der Versorgung der Patienten dient und damit dem wirtschaftlichen Tätigkeitsbereich der Klägerin zuzuordnen ist, in dem sie als Steuerpflichtige handelt, werden die Hörsäle, Labore und andere Räume für die Ausbildung der Studierenden und damit für den hoheitlichen Bereich der Klägerin genutzt, für den sie nicht als Steuerpflichtige gilt. Der Anteil des hoheitlichen Bereichs der zu reinigenden Fläche betrug 7,6 % der Gesamtfläche. Die U-GmbH erhielt für ihre Dienstleistungen von der Klägerin im Streitjahr (2005) eine Vergütung von insgesamt 76.085,48 €.
  4. Im Anschluss an eine Außenprüfung ging das FA in einem geänderten Umsatzsteuerbescheid 2005 vom 03.11.2015 davon aus, dass es sich bei den Betrieben der Klägerin um ein einheitliches Unternehmen handelt, für das nur eine Umsatzsteuererklärung abzugeben und dementsprechend nur ein Umsatzsteuerbescheid zu erteilen sei. Das FA sah dabei die von der U-GmbH für den Hoheitsbereich erbrachten Reinigungsleistungen als innerhalb der zwischen der Klägerin und der U-GmbH bestehenden Organschaft erbracht an. Die Reinigungsleistungen dienten einer unternehmensfremden Tätigkeit und lösten eine unentgeltliche Wertabgabe gemäß § 3 Abs. 9a Nr. 2 UStG (Art. 6 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 77/388/EWG) bei der Klägerin aus. Da die Gesamtvergütung für die von der U-GmbH an die Klägerin erbrachten Reinigungsleistungen im Streitjahr 76.065,48 € betrug, ging das FA unter Berücksichtigung des auf den Hoheitsbereich entfallenden Flächenanteils von 7,6 % davon aus, dass 5.782,50 € auf die Reinigung der hoheitlich genutzten Flächen entfielen. Abzüglich eines Gewinnzuschlags, den das FA mit 525,66 € bezifferte, errechnete es eine Bemessungsgrundlage für die unentgeltliche Wertabgabe in Höhe von 5.257 € und damit eine um 841,12 € höhere Umsatzsteuer. Der hiergegen eingelegte Einspruch blieb ohne Erfolg.
  5. Demgegenüber gab das Finanzgericht (FG) der Klage statt. Nach seinem Urteil liegt eine Organschaft vor, die zur Zusammenfassung von Klägerin als Organträgerin und U-GmbH als Organgesellschaft zu einem Unternehmen führt. Diese Organschaft erstrecke sich auch auf den Hoheitsbereich der Klägerin. Die Voraussetzungen einer unentgeltlichen Wertabgabe nach § 3 Abs. 9a Nr. 2 UStG lägen aber nicht vor. Hiergegen wendet sich das FA mit seiner Revision.

Entscheidungsgründe

II.

Der Senat legt dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) die in den Leitsätzen bezeichneten Fragen zur Auslegung der Richtlinie 77/388/EWG vor und setzt das Verfahren bis zur Entscheidung durch den EuGH aus.

1. Rechtlicher Rahmen

a) Unionsrecht

Art. 4 Abs. 4 Unterabs. 2 der Richtlinie 77/388/EWG regelt:

„Vorbehaltlich der Konsultation nach Artikel 29 steht es jedem Mitgliedstaat frei, im Inland ansässige Personen, die zwar rechtlich unabhängig, aber durch gegenseitige finanzielle, wirtschaftliche und organisatorische Beziehungen eng miteinander verbunden sind, zusammen als einen Steuerpflichtigen zu behandeln.“

Art. 6 Abs. 2 der Richtlinie 77/388/EWG bestimmt:
        
„Dienstleistungen gegen Entgelt werden gleichgestellt:
a)  die Verwendung eines dem Unternehmen zugeordneten Gegenstands für den privaten Bedarf des Steuerpflichtigen, für den Bedarf seines Personals oder allgemein für unternehmensfremde Zwecke, wenn dieser Gegenstand zum vollen oder teilweisen Abzug der Mehrwertsteuer berechtigt hat;
b)die unentgeltliche Erbringung von Dienstleistungen durch den Steuerpflichtigen für seinen privaten Bedarf, oder für den Bedarf seines Personals oder allgemein für unternehmensfremde Zwecke.
Die Mitgliedstaaten können Abweichungen von diesem Absatz vorsehen, sofern solche Abweichungen nicht zu Wettbewerbsverzerrungen führen.“

b) Nationales Recht

§ 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG regelt:
   
„(2)  Die gewerbliche oder berufliche Tätigkeit wird nicht selbständig ausgeübt, …
2.  wenn eine juristische Person nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse finanziell, wirtschaftlich und organisatorisch in das Unternehmen des Organträgers eingegliedert ist (Organschaft). Die Wirkungen der Organschaft sind auf Innenleistungen zwischen den im Inland gelegenen Unternehmensteilen beschränkt. Diese Unternehmensteile sind als ein Unternehmen zu behandeln. Hat der Organträger seine Geschäftsleitung im Ausland, gilt der wirtschaftlich bedeutendste Unternehmensteil im Inland als der Unternehmer.“
§ 3 Abs. 9a UStG bestimmt:
   
„Einer sonstigen Leistung gegen Entgelt werden gleichgestellt
1.  die Verwendung eines dem Unternehmen zugeordneten Gegenstands, der zum vollen oder teilweisen Vorsteuerabzug berechtigt hat, durch einen Unternehmer für Zwecke, die außerhalb des Unternehmens liegen, oder für den privaten Bedarf seines Personals, sofern keine Aufmerksamkeiten vorliegen; dies gilt nicht, wenn der Vorsteuerabzug nach § 15 Absatz 1b ausgeschlossen oder wenn eine Vorsteuerberichtigung nach § 15a Absatz 6a durchzuführen ist;
2. die unentgeltliche Erbringung einer anderen sonstigen Leistung durch den Unternehmer für Zwecke, die außerhalb des Unternehmens liegen, oder für den privaten Bedarf seines Personals, sofern keine Aufmerksamkeiten vorliegen.“

§ 73 Satz 1 AO, der auch im Bereich der Umsatzsteuer gilt, ordnet an:

„Eine Organgesellschaft haftet für solche Steuern des Organträgers, für welche die Organschaft zwischen ihnen steuerlich von Bedeutung ist. …“

2. Zur ersten Frage

a) Vorbemerkungen

aa) Gesetzliche Regelung des nationalen Rechts

§ 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG ordnet zur Umsetzung von Art. 4 Abs. 4 Unterabs. 2 der Richtlinie 77/388/EWG an, dass eine juristische Person („Organgesellschaft“), die aufgrund finanzieller, wirtschaftlicher und organisatorischer Beziehungen in das Unternehmen einer anderen Person („Organträger“) eingegliedert ist, ihre wirtschaftliche Tätigkeit nicht selbständig ausübt. Die Organgesellschaft, die bei eigenständiger Betrachtung Steuerpflichtiger wäre, wird aufgrund dieser Beziehungen im Ergebnis wie ein Arbeitnehmer des Organträgers behandelt. Dies wirkt sich sowohl bei Umsätzen gegenüber Dritten als auch bei Umsätzen zwischen der Organgesellschaft und dem Organträger als eng miteinander verbundene Personen aus.

Im Streitfall ist die Klägerin die Organträgerin und die U-GmbH die Organgesellschaft, wie sich aus der vom FA erteilten Auskunft ergibt, die für den Streitfall verbindlich ist und was von keinem der Beteiligten in Abrede gestellt wird.

bb) Rechtsfolgen für Umsätze gegenüber Dritten

In Bezug auf Umsätze, die die Organgesellschaft gegenüber Dritten ausführt, wird die von Art. 4 Abs. 4 Unterabs. 2 der Richtlinie 77/388/EWG geforderte Behandlung als ein Steuerpflichtiger dadurch gewährleistet, dass nicht die Organgesellschaft, sondern der Organträger der Steuerpflichtige ist, der diese Umsätze als Steuerschuldner zu versteuern hat.

Danach ist die Klägerin nicht nur für die von ihr selbst ausgeführten Umsätze Steuerpflichtige, sondern ebenso für die von der U-GmbH gegenüber Dritten ausgeführten Umsätze.

cc) Rechtsfolgen für Umsätze zwischen den verbundenen Personen

Umsätze zwischen Organgesellschaften und Organträger gelten nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG auf der Grundlage von Art. 4 Abs. 4 Unterabs. 2 der Richtlinie 77/388/EWG als innerhalb eines Steuerpflichtigen erbracht (§ 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 3 UStG). Diese sogenannten Innenumsätze unterliegen nicht dem Anwendungsbereich der Steuer.

Im Streitfall handelt es sich bei den von der U-GmbH an die Klägerin ausgeführten Reinigungsleistungen um derartige Innenumsätze.

b) Klärungsbedürftige Zweifel an der Auslegung des Unionsrechts

Der Senat hatte keine Zweifel, dass die erste Frage in der hier vorliegenden Rechtssache entsprechend der Alternative a) zu beantworten ist, da sich hieraus die von Art. 4 Abs. 4 Unterabs. 2 der Richtlinie 77/388/EWG geforderte Behandlung als ein Steuerpflichtiger ergibt. Dies entspricht der jahrzehntelangen Rechtsprechung des Senats (vergleiche –vgl.– zum Beispiel –z.B.– Urteile des Bundesfinanzhofs –BFH– vom 22.06.1967 – V R 89/66, Sammlung der Entscheidungen des Bundesfinanzhofs –BFHE– 89, 402; vom 02.12.2015 – V R 15/14, BFHE 252, 158, Bundessteuerblatt –BStBl– II 2017, 553).

Trotzdem ist dem Senat eine eigene Entscheidung zur ersten Rechtsfrage in der hier vorliegenden Rechtssache verwehrt. Denn der XI. Senat des BFH sieht es insbesondere im Hinblick auf das EuGH-Urteil Skandia America (USA) vom 17.09.2014 – C-7/13 (EU:C:2014:2225, Rz 28) zu einer „Mehrwertsteuergruppe“ als klärungsbedürftig an, ob die Bestimmungen der Richtlinie „es einem Mitgliedstaat gestatten, anstelle der Mehrwertsteuergruppe (des Organkreises) ein Mitglied der Mehrwertsteuergruppe (den Organträger) zum Steuerpflichtigen zu bestimmen“ (vgl. BFH-Beschluss vom 11.12.2019 – XI R 16/18, zur amtlichen Veröffentlichung bestimmt, Umsatzsteuer-Rundschau –UR– 2020, 338, erste Vorlagefrage; Aktenzeichen des EuGH: C-141/20, Rechtssache Norddeutsche Gesellschaft für Diakonie, betreffend die Klage einer GmbH, die geltend macht, Organgesellschaft zu sein). Hierdurch sind Zweifel an der zutreffenden Auslegung des Unionsrechts entstanden, die eine Beantwortung der ersten Vorlagefrage im hier vorliegenden Rechtsstreit durch den EuGH erforderlich machen.

c) Zur Beantwortung der Auslegungsfrage

aa) Wortlaut und Zweck der Bestimmung

Die vom Wortlaut des Art. 4 Abs. 4 Unterabs. 2 der Richtlinie 77/388/EWG verlangte Behandlung als ein Steuerpflichtiger ist mit der Zusammenfassung bei einer der eng miteinander verbundenen Personen verwirklicht. Hierfür spricht auch der mit dieser Bestimmung verfolgte Zweck der Verwaltungsvereinfachung, wie er sich aus der EuGH-Rechtsprechung ergibt (EuGH-Urteil Kommission/Schweden vom 25.04.2013 – C-480/10, EU:C:2013:263, Rz 37). Das nationale Recht vereinfacht die Anwendung des Mehrwertsteuerrechts, indem es in § 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 3 UStG die Behandlung der mehreren Personen als ein Steuerpflichtiger regelt und damit die Besteuerung bei einer dieser Personen konzentriert, die ohnehin Steuerpflichtige ist. Demgegenüber vermag der Senat in einer –sich jedenfalls aus dem Wortlaut von Art. 4 Abs. 4 Unterabs. 2 der Richtlinie 77/388/EWG nicht ergebenden– Verpflichtung zur Schaffung einer eigenständigen Mehrwertsteuergruppe i.S. einer „fiktiven Einrichtung“ (BFH-Beschluss in UR 2020, 338, Rz 58), bei der dann „alle Mitglieder der Mehrwertsteuergruppe die Steuer gemeinsam, das heißt als Gesamtschuldner, schulden“ (BFH-Beschluss in UR 2020, 338, Rz 56) und für die „zivilrechtlich“ eine entsprechende „Gesellschaftsform“ (BFH-Beschluss in UR 2020, 338, Rz 57) mit einer Aufteilungsregelung für die gemeinsame Steuerschuld im Verhältnis zwischen den eng miteinander verbundenen Personen vorgesehen sein müsste, keine Verwaltungsvereinfachung zu erblicken.

bb) Keine gegenteilige EuGH-Rechtsprechung

Für die Auffassung, dass die Richtlinie es einem Mitgliedstaat nicht gestattet, anstelle der Mehrwertsteuergruppe (des Organkreises) ein Mitglied der Mehrwertsteuergruppe (den Organträger) zum Steuerpflichtigen zu bestimmen, sprechen aus Sicht des Senats auch nicht die EuGH-Urteile Skandia America (USA) (EU:C:2014:2225, Rz 28 f., 35 und 37); Kommission/Irland vom 09.04.2013 – C-85/11 (EU:C:2013:217, Rz 40 und 48) und Ampliscientifica und Amplifin vom 22.05.2008 – C-162/07 (EU:C:2008:301, Rz 19) – vgl. hierzu BFH-Beschluss in UR 2020, 338, Rz 50 und 54.

Insbesondere ging es im EuGH-Urteil Skandia America (USA) (EU:C:2014:2225) lediglich um die Zusammenfassung einer festen Niederlassung, die eine in einem Drittstaat ansässige Muttergesellschaft in einem Mitgliedstaat unterhält, mit einer im selben Mitgliedstaat ansässigen Tochtergesellschaft dieser Muttergesellschaft. Aussagen zur Verpflichtung eines Mitgliedstaats, bei Ausübung der Ermächtigung in Art. 4 Abs. 4 Unterabs. 2 der Richtlinie 77/388/EWG eine neben den eng miteinander verbundenen Personen bestehende Mehrwertsteuergruppe und nicht eine der miteinander verbundenen Personen als Steuerpflichtigen anzusehen, um zur Behandlung als ein Steuerpflichtiger zu gelangen, sind diesem EuGH-Urteil aus Sicht des Senats nicht zu entnehmen.

cc) Haftung der Organgesellschaft

Im Übrigen steht die Behandlung der eng miteinander verbundenen Personen als ein Steuerpflichtiger bei einer dieser Personen einer Mitverantwortlichkeit der anderen Personen nicht entgegen (vgl. hierzu BFH-Beschluss in UR 2020, 338, Rz 56). So ordnet das nationale Recht in Bezug auf die Eigenschaft des Organträgers als Steuerpflichtiger und die sich hieraus ergebende Steuerschuld des Organträgers eine Haftung der Organgesellschaft nach § 73 Satz 1 AO an. Aus Sicht des Senats ist es unerheblich, dass diese Haftung nachgeordnet (subsidiär) gegenüber der Steuerschuld des Organträgers als Steuerpflichtigen besteht.

d) Entscheidungserheblichkeit und Folgenbetrachtung

aa) Entscheidungserheblichkeit

(1) Beantwortung der ersten Rechtsfrage nach Alternative a)

Wäre an der bisherigen Rechtsprechung des Senats festzuhalten (siehe –s.– oben II.2.b), käme es auf die Beurteilung der zweiten Vorlagefrage an.

(2) Beantwortung der ersten Rechtsfrage nach Alternative b)

Besteht keine Organschaft zwischen der Klägerin als Organträgerin und der U-GmbH als Organgesellschaft, erübrigt sich im Streitfall die Anwendung von Art. 6 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 77/388/EWG von vornherein. Mangels Organschaft wäre die U-GmbH als eigenständige Steuerpflichtige anzusehen, die an die Klägerin Leistungen erbracht hat, die dann dem Anwendungsbereich der Steuer unterliegen und für die die U-GmbH Steuerpflichtige wäre. Für die Anwendung von Art. 6 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 77/388/EWG fehlt es dann an der dort vorausgesetzten „unentgeltlichen Erbringung von Dienstleistungen durch den Steuerpflichtigen“, hier durch die Klägerin, da die Reinigungsleistungen mangels Organschaft nicht mehr als von ihr selbst erbracht anzusehen sind, da es sich dann um Leistungen eines anderen Steuerpflichtigen, der U-GmbH, handeln würde. Die Bildung einer Mehrwertsteuergruppe sieht das nationale Recht für das Streitjahr und im Übrigen bis heute nicht vor. Eine derartige Mehrwertsteuergruppe mit einer Haftung der eng miteinander verbundenen Personen als Gesamtschuldner kann auch nicht im Wege der Auslegung von § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG, der ausschließlich eine Verantwortlichkeit des Organträgers als Steuerpflichtiger und Steuerschuldner anordnet, Eingang in das nationale Recht finden. Die Klagestattgabe durch das FG erweist sich dann bereits aus diesem Grund als zutreffend.

bb) Folgenbetrachtung

Die Antwort auf die erste Frage ist über den Streitfall hinaus von großer Bedeutung für das Steueraufkommen in der Bundesrepublik Deutschland (Deutschland): Die Gesamtheit der Organträger i.S. von § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG leisten Steuerzahlungen in einem Umfang von 10 % des gesamten Steueraufkommens aus der Umsatzsteuer in Deutschland (UR 2020, 354). Dieses belief sich nach dem letzten hierzu vorliegenden Bericht des Bundesministeriums der Finanzen vom 31.01.2019 über die Steuereinnahmen des Bundes und der Länder im Haushaltsjahr 2018 auf 234,8 Milliarden €. Ist die erste Vorlagefrage entsprechend der Alternative b) zu beantworten, hat dies dementsprechend erhebliche fiskalische Auswirkungen.

(1) Keine Steuerschuld des Organträgers

Ist die erste Rechtsfrage entsprechend der Alternative b) zu beantworten, können sich Organträger gegen die sie nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG treffende Steuerschuld auf die Unionsrechtswidrigkeit dieser Vorschrift berufen. Danach haben sie zumindest die Umsätze der Organgesellschaften nicht mehr zu versteuern. Gegen eine hilfsweise Besteuerung ihrer eigenen Umsätze könnten sie gleichfalls geltend machen, dass auch diese aufgrund der fehlerhaften Ausübung der Ermächtigung nach Art. 4 Abs. 4 Unterabs. 2 der Richtlinie 77/388/EWG bei der Mehrwertsteuergruppe und gegebenenfalls deren Mitgliedern zu erfassen seien. Auch insoweit ist § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG, der eine ausschließliche Steuerschuld des Organträgers anordnet, unter Beachtung der Wortlautgrenze nicht in der Weise auslegbar, dass an die Stelle des Organträgers eine Mehrwertsteuergruppe tritt, für die Organträger und Organgesellschaft gleichermaßen als Gesamtschuldner haften. Dies käme einer Auslegung contra legem gleich (s. oben II.2.d aa (2)).

(2) Keine Steuerschuld der Mehrwertsteuergruppe oder der Gruppenmitglieder

Bei einer Beantwortung der ersten Vorlagefrage entsprechend der Alternative b) könnte die Steuer nicht bei einer Mehrwertsteuergruppe erhoben werden, da der nationale Gesetzgeber keine Regelungen hierzu erlassen hat und eine unmittelbare Anwendung des Unionsrechts zu Lasten eines „fiktiven“ und damit ohne gesetzliche Vorgabe auch nicht existierenden Gebildes nicht möglich ist. Daher käme auch keine Haftung der Gruppenmitglieder als Gesamtschuldner in Betracht.

(3) Keine Steuerschuld der Organgesellschaft

Schließlich scheidet auch eine Besteuerung bei der Organgesellschaft aus, da diese auf einer Anwendung von § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG bestehen kann. Hieran ändert sich aus Sicht des Senats auch nichts durch die Haftung der Organgesellschaft nach § 73 Satz 1 AO, da dort nur eine Haftung als Organgesellschaft, nicht aber als Mitglied einer Mehrwertsteuergruppe angeordnet wird.

Zu den so entstehenden Steuerausfällen käme es auch unter der Geltung der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28.11.2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (MwStSystRL), da deren Art. 11 im Wesentlichen dem Art. 4 Abs. 4 Unterabs. 2 der Richtlinie 77/388/EWG entspricht.

3. Zur zweiten Frage

a) Vorbemerkungen

aa) Definition des Steuerpflichtigen

Der Senat versteht die Rechtsprechung des EuGH dahingehend, dass es sich bei der Tätigkeit des Steuerpflichtigen in seiner Eigenschaft als Steuerpflichtiger um die in Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 77/388/EWG bezeichnete wirtschaftliche Tätigkeit handelt. Diese Tätigkeit zeichnet sich dadurch aus, dass der Steuerpflichtige Lieferungen und Dienstleistungen gegen Entgelt i.S. von Art. 2 Nr. 1 der Richtlinie 77/388/EWG erbringt oder zu erbringen beabsichtigt (EuGH-Urteil Gemeente Borsele vom 12.05.2016 – C-520/14, EU:C:2016:334, Rz 21).

bb) Natürliche Person als Steuerpflichtige

(1) Tätigkeitsbereiche

Neben seiner wirtschaftlichen Tätigkeit kann der Steuerpflichtige auch anderweitige Handlungen vornehmen. Ist der Steuerpflichtige als Einzelunternehmer eine natürliche Person, ist seine wirtschaftliche Tätigkeit von seiner privaten Lebensführung abzugrenzen.

(2) Folgen für den Vorsteuerabzug

Bezieht die natürliche Person als Steuerpflichtiger Lieferungen oder Dienstleistungen für seine private Lebensführung, ist sie nicht zum Vorsteuerabzug nach Art. 17 der Richtlinie 77/388/EWG berechtigt.

Erwirbt dieser Steuerpflichtige einen Gegenstand gemischt sowohl für Zwecke seiner wirtschaftlichen Tätigkeit als auch für seine private Lebensführung, billigt der EuGH ihm im Rahmen einer Zuordnungsentscheidung den vollen Vorsteuerabzug zu, da die anteilige Privatverwendung durch die Anwendung von Art. 6 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 77/388/EWG zu einem besteuerten Umsatz für Zwecke des Vorsteuerabzugs führt. Der EuGH hat seine Rechtsprechung gegen Kritik verteidigt (EuGH-Urteil Puffer vom 23.04.2009 – C-460/07, EU:C:2009:254). Der Unionsgesetzgeber hat diese den vollen Vorsteuerabzug bejahende Rechtsprechung durch die Schaffung von Art. 168a MwStSystRL korrigiert und den vollen Vorsteuerabzug entgegen dieser Rechtsprechung ausgeschlossen.

cc) Juristische Person als Steuerpflichtige

(1) Tätigkeitsbereiche

Ist der Steuerpflichtige eine juristische Person, so stellt sich –wie z.B. bei einer GmbH oder wie bei der Klägerin als Stiftung des öffentlichen Rechts– zwar nicht die Frage nach einer Abgrenzung zur privaten Lebensführung. Allerdings kann auch eine juristische Person andere als wirtschaftliche Tätigkeiten ausüben. Der EuGH bezeichnet diese Tätigkeiten als „nichtwirtschaftliche Tätigkeit“ (EuGH-Urteil VNLTO, EU:C:2009:88, Rz 35 f.).

So ist es z.B. bei einem Verein, der in einem Teilbereich Steuerpflichtiger ist, daneben aber auch allgemeine Interessen seiner Mitglieder wahrnimmt. Derartige „ideelle Tätigkeiten“ sind keine „der Mehrwertsteuer unterliegende Tätigkeiten im Sinne von Art. 2 Nr. 1 der Richtlinie [77/388/EWG]“ (EuGH-Urteil VNLTO, EU:C:2009:88, Rz 34). Es handelt sich somit um eine „nichtwirtschaftliche Tätigkeit“.

Ebenso kann eine juristische Person des öffentlichen Rechts –wie die Klägerin in der hier vorliegenden Rechtssache– in einem Teilbereich Steuerpflichtige sein, daneben aber auch Tätigkeiten ausüben, die ihr i.S. von Art. 4 Abs. 5 der Richtlinie 77/388/EWG im Rahmen der öffentlichen Gewalt (ohne Wettbewerbsrelevanz) obliegen (hoheitliche Tätigkeiten), so dass insoweit keine wirtschaftliche Tätigkeit vorliegt. Auch diese Hoheitstätigkeit kann als „nichtwirtschaftliche Tätigkeit“ bezeichnet werden.

(2) Folgen für den Vorsteuerabzug

Übt eine juristische Person, die in einem Bereich Steuerpflichtige ist, daneben auch eine „nichtwirtschaftliche Tätigkeit“ aus, ist sie aus Leistungsbezügen für diese „nichtwirtschaftliche“ Tätigkeit nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt. Dies gilt gleichermaßen für die ideelle Tätigkeit eines Vereins als auch für die Hoheitstätigkeit einer juristischen Person des öffentlichen Rechts.

Erwirbt die juristische Person einen Gegenstand gemischt sowohl für Zwecke ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit als Steuerpflichtige als auch für ihre „nichtwirtschaftliche Tätigkeit“ und z.B. für ideelle Zwecke, billigt der EuGH der juristischen Person anders als dem Einzelunternehmer (s. oben II.3.a bb (2)) keinen vollen Vorsteuerabzug zu.

Der EuGH hat dies in seinem Urteil VNLTO (EU:C:2009:88) damit begründet,
   
–  dass die Vorsteuer auf Aufwendungen eines Steuerpflichtigen nicht zum Abzug berechtigen kann, soweit sie sich auf Tätigkeiten bezieht, die aufgrund ihres nichtwirtschaftlichen Charakters nicht in den Anwendungsbereich der Richtlinie 77/388/EWG fallen; für den Fall, dass ein Steuerpflichtiger zugleich steuerpflichtigen oder steuerfreien wirtschaftlichen Tätigkeiten und nichtwirtschaftlichen, nicht in den Anwendungsbereich der Richtlinie 77/388/EWG fallenden Tätigkeiten nachgeht, ist der Abzug der Vorsteuer auf Aufwendungen auf der Vorstufe nur insoweit zulässig, als diese Aufwendungen den wirtschaftlichen Tätigkeiten des Steuerpflichtigen zuzurechnen sind (Rz 37),
– dass mit Art. 6 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 77/388/EWG keine allgemeine Regel eingeführt werden sollte, nach der Tätigkeiten, die nicht in den Anwendungsbereich der Mehrwertsteuer fallen, als Tätigkeiten betrachtet werden können, die für „unternehmensfremde“ Zwecke i.S. dieser Vorschrift ausgeführt werden. Eine solche Auslegung würde nämlich Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 77/388/EWG jeden Sinn nehmen (Rz 38) und
– dass es um die nicht besteuerten Umsätze der VNLTO geht, die in der Wahrnehmung der allgemeinen Interessen ihrer Mitglieder bestehen und nicht als unternehmensfremd betrachtet werden können, da sie den Hauptzweck dieser Vereinigung darstellen (Rz 39).

Der Senat versteht dies dahingehend, dass die gemischte Verwendung eines Gegenstandes für Zwecke der wirtschaftlichen Tätigkeit wie auch für „nichtwirtschaftliche Tätigkeiten“ nicht zum vollen Vorsteuerabzug berechtigt, da der EuGH den Tatbestand des Art. 6 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 77/388/EWG mit der Begründung verneint, dass die Verwendung für „nichtwirtschaftliche Tätigkeiten“ keine Verwendung für unternehmensfremde Zwecke i.S. dieser Bestimmung ist.

b) Zu den Bestimmungen der Richtlinie

Art. 6 Abs. 2 der Richtlinie 77/388/EWG enthält mit der Verwendung eines dem Unternehmen zugeordneten Gegenstands in Buchst. a und der unentgeltlichen Erbringung von Dienstleistungen in Buchst. b zwei Tatbestände. Beide Tatbestände enthalten zudem die Voraussetzung, dass die Verwendung des Gegenstands oder der Dienstleistung für bestimmte Zwecke erfolgen muss. Dabei handelt es sich sowohl bei Buchst. a wie auch bei Buchst. b um die Verwendung für den privaten Bedarf des Steuerpflichtigen, für den Bedarf seines Personals oder allgemein für unternehmensfremde Zwecke.

Lediglich Buchst. a stellt schließlich mit der Berechtigung zum Vorsteuerabzug in Bezug auf den verwendeten Gegenstand zudem auf eine weitere Voraussetzung ab. Eine derartige Anknüpfung an den Vorsteuerabzug besteht bei Buchst. b nicht.

c) Zur Streitfrage

aa) EuGH-Urteil VNLTO

Der EuGH hat im Urteil VNLTO (EU:C:2009:88) für Recht erkannt, dass Art. 6 Abs. 2 Buchst. a und Art. 17 Abs. 2 der Richtlinie 77/388/EWG auf die Verwendung von Gegenständen und Dienstleistungen nicht anwendbar sind, die dem Unternehmen für die Zwecke anderer als der besteuerten Umsätze des Steuerpflichtigen zugeordnet sind, so dass die Mehrwertsteuer, die aufgrund des Bezugs dieser für solche Umsätze verwendeten Gegenstände und Dienstleistungen geschuldet wird, nicht abziehbar ist. Der EuGH hat dies letztlich damit begründet, dass die Verwendung für „nichtwirtschaftliche Tätigkeiten“ nicht als Verwendung für unternehmensfremde Zwecke i.S. dieser Bestimmung anzusehen ist (s. oben II.3.a cc (2)).

Zudem hat der EuGH dies in seinem Urteil Landkreis Potsdam-Mittelmark vom 15.09.2016 – C-400/15 (EU:C:2016:687, Rz 31 ff.) in Bezug auf die hoheitliche Tätigkeit einer juristischen Person des öffentlichen Rechts bestätigt.

bb) Bedeutung nur für den Vorsteuerabzug oder allgemein

Hierzu stellt sich in der vorliegenden Rechtssache die Frage, ob diese EuGH-Rechtsprechung nur den Umfang des Vorsteuerabzugs betrifft und dabei –im Gegensatz zur Beurteilung beim Einzelunternehmer (s. oben II.3.a bb (2))– zu einem nur anteiligen Vorsteuerabzug führt, oder ob diese EuGH-Rechtsprechung auch bei eigenständiger Anwendung von Art. 6 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 77/388/EWG ohne Zusammenhang zum Vorsteuerabzug Gültigkeit beansprucht.

Letzteres würde dazu führen, dass auch für die Anwendung von Art. 6 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 77/388/EWG eine „nichtwirtschaftliche Tätigkeit“ nicht als „unternehmensfremd“ anzusehen wäre und diese Bestimmung auf eine unentgeltliche Dienstleistung für Zwecke einer ideellen oder hoheitlichen Tätigkeit nicht anzuwenden ist.

In diesem Zusammenhang wird das EuGH-Urteil VNLTO (EU:C:2009:88) im nationalen Schrifttum seit Jahren kontrovers diskutiert und dabei überwiegend i.S. einer Nichtanwendung von Art. 6 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 77/388/EWG verstanden (vgl. z.B. Heuermann in Sölch/Ringleb, Umsatzsteuer, § 3 Rz 342; Küffner/von Streit, Deutsches Steuerrecht 2012, 636 ff., 639, und Nieskens in Rau/Dürrwächter, Umsatzsteuergesetz, § 3 Rz 1496; vgl. aber auch Wäger in Birkenfeld/Wäger, Umsatzsteuer-Handbuch, Abschnitt I Kapitel 3 A, § 2 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 1 UStG, Rz 350 ff., 390 ff.).

Demgegenüber hat der Senat in seiner bisherigen Rechtsprechung die Anwendung von Art. 6 Abs. 2 der Richtlinie 77/388/EWG in vergleichbaren Fällen bejaht. Dies betrifft z.B. juristische Personen des öffentlichen Rechts (Städte), die Schwimmbäder betreiben, indem sie diese der Öffentlichkeit gegen Eintrittsgeld –und ohne Anwendung von Steuerbefreiungen nach Art. 13 Teil A der Richtlinie 77/388/EWG– im Rahmen einer wirtschaftlichen Tätigkeit zur Verfügung stellen. Verwendet die Stadt ihr Schwimmbad oder Teile hiervon auch zur Nutzung durch ihre städtischen Schulen wie etwa für den schulischen Schwimmunterricht, ging der Senat bislang von einer Anwendung von Art. 6 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 77/388/EWG aus, da er die hoheitliche Nutzung für den Schulbetrieb als unternehmensfremd ansah (BFH-Urteil vom 10.02.1994 – V R 33/92, BFHE 174, 258, BStBl II 1994, 668, unter II.3.). Ob diese Rechtsprechung im Hinblick auf das EuGH-Urteil VNLTO (EU:C:2009:88) aufzugeben ist, obwohl dessen Bedeutung für den hier vorliegenden Zusammenhang nicht eindeutig ist, bedarf der Klärung durch den EuGH.

cc) Erfordernis systemgerechter Besteuerung

Verwendet der Steuerpflichtige z.B. das für seine wirtschaftliche Tätigkeit angestellte Personal zur Erbringung von Dienstleistungen für andere Zwecke, stellt sich die Frage, ob es bei Steuerpflichtigen, die natürliche Personen sind, und bei Steuerpflichtigen, die juristische Personen sind, zu unterschiedlichen Besteuerungsfolgen kommen kann.

Ist der Steuerpflichtige eine natürliche Person, die z.B. eine Reinigungsfirma unterhält, und setzt sie das Personal ihres Unternehmens ein, damit es für Zwecke der privaten Lebensführung in ihrer Privatwohnung Reinigungsleistungen erbringt, führt dies nach Auffassung des Senats zu einer unentgeltlichen Erbringung von Dienstleistungen durch den Steuerpflichtigen für seinen privaten Bedarf i.S. von Art. 6 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 77/388/EWG.

Handelt es sich beim Steuerpflichtigen um eine juristische Person, die ebenfalls eine Reinigungsfirma unterhält und dabei das Personal ihres Unternehmens einsetzt, damit wie im Streitfall für hoheitliche Zwecke genutzte Räumlichkeiten gereinigt werden, ist fraglich, ob dies –wie bei einer Verwendung für private Zwecke des Einzelunternehmers– gleichfalls zur Anwendung von Art. 6 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 77/388/EWG führt, da dann die unentgeltliche Erbringung einer Dienstleistung durch den Steuerpflichtigen für unternehmensfremde Zwecke vorliegen kann.

Besteuerungssystematisch könnte in beiden Fällen die Anwendung von Art. 6 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 77/388/EWG zu bejahen sein. Danach wäre die Verwendung für eine „nichtwirtschaftliche Tätigkeit“, bei der es sich um die Verwendung für ideelle Zwecke eines Vereins oder um die Verwendung für den Hoheitsbereich einer juristischen Person des öffentlichen Rechts handeln kann (s. oben II.3.a cc (1)) als Verwendung für unternehmensfremde Zwecke i.S. von Art. 6 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 77/388/EWG anzusehen.

Dies könnte aber als im Widerspruch zum EuGH-Urteil VNLTO (EU:C:2009:88) stehend angesehen werden. Gegen einen derartigen Widerspruch spricht allerdings, dass dieses Urteil im Zusammenhang mit dem Vorsteuerabzug ergangen ist. Dem Senat ist die Entscheidung verwehrt, ob das EuGH-Urteil VNLTO (EU:C:2009:88) auch im Rahmen einer eigenständigen Anwendung von Art. 6 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 77/388/EWG ohne Bezug zum Vorsteuerabzug maßgeblich ist.

d) Entscheidungserheblichkeit

Die Klägerin ist eine juristische Person des öffentlichen Rechts und damit eine Einrichtung des öffentlichen Rechts i.S. von Art. 4 Abs. 5 der Richtlinie 77/388/EWG. Sie übt einerseits wirtschaftliche Tätigkeiten i.S. von Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 77/388/EWG aus und ist insoweit Steuerpflichtige. Sie nimmt andererseits hoheitliche Aufgaben i.S. von Art. 4 Abs. 5 der Richtlinie 77/388/EWG wahr, ohne dass ihre Behandlung als Nichtsteuerpflichtige zu größeren Wettbewerbsverzerrungen führt. Damit liegt in Bezug auf diese hoheitliche Tätigkeit eine „nichtwirtschaftliche Tätigkeit“ vor.

Ist die erste Frage entsprechend der Antwort a) zu beantworten und daher im nationalen Recht § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG ohne Verstoß gegen Art. 4 Abs. 4 Unterabs. 2 der Richtlinie 77/388/EWG anzuwenden, übt die U-GmbH ihre Tätigkeit nichtselbständig aus, so dass die U-GmbH und die Klägerin als eine Steuerpflichtige behandelt werden. Zwischen der U-GmbH und der Klägerin liegt dann keine entgeltliche Dienstleistung i.S. von Art. 2 Nr. 1 der Richtlinie 77/388/EWG vor. Die Tätigkeit der U-GmbH ist vielmehr wie eine eigene Tätigkeit der Klägerin zu behandeln.

Somit ist zu entscheiden, ob die Klägerin mit Mitteln ihres Unternehmens, zu dem aufgrund von Art. 4 Abs. 4 Unterabs. 2 der Richtlinie 77/388/EWG (§ 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG) auch die Betriebsmittel der U-GmbH gehören, unentgeltliche Dienstleistungen (Reinigungsleistungen) aufgrund der Verwendung für ihren Hoheitsbereich als „nichtwirtschaftliche Tätigkeit“ für unternehmensfremde Zwecke i.S. von Art. 6 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 77/388/EWG erbracht hat.

Ist dies zu bejahen, ist die Revision des FA begründet, so dass das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen ist. Ist dies zu verneinen, ist die Revision des FA unbegründet, da das FG dann der Klage zu Recht stattgegeben hat.

4. Zum Rechtsgrund der Vorlage

Die Vorlage beruht auf Art. 267 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union.

5. Zur Verfahrensaussetzung

Die Aussetzung des Verfahrens beruht auf § 121 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) in Verbindung mit § 74 FGO.