Leitsätze
- Im Fall der Verschmelzung von zwei Kapitalgesellschaften tritt der übernehmende Rechtsträger (Organträger) hinsichtlich des Merkmals der finanziellen Eingliederung (§ 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 KStG) auch dann nach § 12 Abs. 3 i.V.m. § 4 Abs. 2 Satz 3 UmwStG 2006 in die Rechtsstellung des übertragenden Rechtsträgers ein, wenn der umwandlungssteuerliche Übertragungsstichtag nicht auf den Beginn des Wirtschaftsjahres der Organgesellschaft zurückbezogen wird (Bestätigung und Fortentwicklung der Senatsurteile vom 28.07.2010 – I R 89/09, BFHE 230, 408, BStBl II 2011, 528 und I R 111/09, BFH/NV 2011, 67, sog. Fußstapfentheorie).
Tenor
Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Finanzgerichts Rheinland-Pfalz vom 19.08.2020 – 1 K 1585/15 wird als unbegründet zurückgewiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens hat der Beklagte zu tragen.
Ausführliche Begründung
Die Klägerin, eine GmbH, wurde im Jahr 2011 von der B-GmbH, einer anderen GmbH, verschmolzen. Die Verschmelzung fand unterjährig statt, der umwandlungssteuerliche Übertragungsstichtag war der 31. Dezember 2011. Die B-GmbH war zu diesem Zeitpunkt zu 90 % an der Klägerin beteiligt.
Das Finanzamt ging davon aus, dass die Klägerin nicht der finanziellen Eingliederung (§ 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 KStG) unterliege, da die Beteiligung der B-GmbH an der Klägerin am Übertragungsstichtag nicht ununterbrochen seit mindestens einem Jahr bestanden habe. Das Finanzgericht Rheinland-Pfalz gab der Klage statt und führte aus, dass die B-GmbH auch hinsichtlich des Merkmals der finanziellen Eingliederung in die Rechtsstellung der Klägerin eingetreten sei.
Der Bundesfinanzhof (BFH) hat die Revision des Beklagten als unbegründet zurückgewiesen. Er bestätigt seine Rechtsprechung, wonach der übernehmende Rechtsträger im Fall der Verschmelzung von zwei Kapitalgesellschaften hinsichtlich des Merkmals der finanziellen Eingliederung auch dann in die Rechtsstellung des übertragenden Rechtsträgers eintritt, wenn der umwandlungssteuerliche Übertragungsstichtag nicht auf den Beginn des Wirtschaftsjahres der Organgesellschaft zurückbezogen wird.
Der BFH führt aus, dass die Finanzverwaltung in ihrem Schreiben vom 11. November 2011 (BStBl I 2011, 1314) zu Unrecht die Auffassung vertreten habe, dass die finanzielle Eingliederung nur dann vorliegen könne, wenn die Beteiligung des Organträgers an der Organgesellschaft ununterbrochen seit mindestens einem Jahr vor dem Übertragungsstichtag bestanden habe. Diese Auffassung sei mit dem Gesetz nicht vereinbar.
§ 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 KStG stellt als Voraussetzung für die Organschaft die finanzielle Eingliederung des Organträgers in die Organgesellschaft fest. Unter finanzieller Eingliederung ist die Stellung eines Gesellschafters einer Kapitalgesellschaft zu verstehen, der unmittelbar oder mittelbar über die Hälfte des Nennkapitals oder der Stimmrechte an der Gesellschaft verfügt.
Diese Voraussetzung ist nach der Rechtsprechung des BFH erfüllt, wenn der Organträger am Übertragungsstichtag über die erforderliche Beteiligungsquote verfügt. Der Umstand, dass die Beteiligung am Übertragungsstichtag nicht ununterbrochen seit mindestens einem Jahr bestanden hat, ist unerheblich.
Der BFH begründet diese Rechtsprechung damit, dass die finanzielle Eingliederung eine dynamisches Tatbestandsmerkmal ist. Sie soll sicherstellen, dass der Organträger die Organgesellschaft wirtschaftlich beherrschen kann. Diese Beherrschenmacht ist auch dann gegeben, wenn der Organträger die erforderliche Beteiligungsquote erst nach dem Beginn des Wirtschaftsjahres der Organgesellschaft erlangt.
Die Entscheidung des BFH ist zu begrüßen. Sie schafft Rechtssicherheit für die Praxis und ist mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vereinbar. Der EuGH hat in einem Urteil vom 20. Juli 2017 (C-265/16, ECLI:EU:C:2017:536) entschieden, dass die finanzielle Eingliederung auch dann vorliegt, wenn der Organträger die erforderliche Beteiligungsquote erst nach dem Beginn des Wirtschaftsjahres der Organgesellschaft erlangt.