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II. Die Beschwerde ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 116 Abs. 6 der Finanzgerichtsordnung –FGO–). Das FG hat die Klage zu Unrecht durch Prozessurteil abgewiesen statt durch Sachurteil zu entscheiden. Hierin liegt ein Verfahrensmangel, auf dem das angefochtene Urteil beruht (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO). |
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1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) stellt es einen Verfahrensmangel i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO dar, wenn über eine zulässige Klage nicht zur Sache, sondern durch Prozessurteil entschieden wird (vgl. BFH-Beschluss vom 29. Juli 2009 VI B 44/09, BFH/NV 2009, 1822). In einem solchen Fall wird zugleich der Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes) verletzt (vgl. BFH-Beschluss vom 23. April 2009 X B 43/08, BFH/NV 2009, 1443, m.w.N.). |
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2. Im Streitfall hat das FG die Klage rechtsfehlerhaft als unzulässig abgewiesen, weil es das Schreiben des Prozessbevollmächtigten des Klägers vom 23. November 2004 unzutreffend nicht als Einspruch gegen das als Ablehnungsbescheid gewertete Schreiben des FA vom 26. Oktober 2004 ausgelegt und deshalb entschieden hat, für die Klage fehle es nach § 44 FGO an einem Vorverfahren. |
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a) Das FG ist bei seiner Entscheidung davon ausgegangen, dass Klagegegenstand –abweichend vom ausdrücklich gestellten Antrag des Klägers– nicht der Bescheid des FA vom 21. Juli 2005 ist, sondern –entsprechend dem auf die Festsetzung von Prozesszinsen (§ 236 AO) gerichteten Klageziel des Klägers– das Schreiben des FA vom 26. Oktober 2004, das vom FG als verbindliche Ablehnung einer Festsetzung von Prozesszinsen ausgelegt wurde. Soweit der Kläger als Verfahrensfehler rügt, das FG habe den Sachverhalt entgegen § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO nicht vollständig berücksichtigt, weil im Bescheid vom 21. Juli 2005 eine "weitergehende" Zinsfestsetzung, also auch eine solche nach § 236 AO abgelehnt worden sei, kann das Urteil nicht darauf beruhen. Denn der gegen den Bescheid vom 21. Juli 2005 eingelegte Einspruch wurde in der Einspruchsentscheidung vom 19. Januar 2006 zurückgewiesen. Die am 26. April 2007 beim FG eingegangene Klage wäre, wenn sie sich gegen diese Einspruchsentscheidung gerichtet hätte, verspätet gewesen (vgl. § 47 Abs. 1 FGO) und damit unzulässig. Mit der Einspruchsentscheidung hat das FA nach § 367 Abs. 1 AO insgesamt über den vom Kläger eingelegten Einspruch vom 18. August 2005 entschieden. Die Möglichkeit, vorab über Teile des Einspruchs zu entscheiden, wurde erst mit Wirkung vom 19. Dezember 2006 eingeführt (vgl. § 367 Abs. 2a AO i.d.F. des Jahressteuergesetzes 2007 vom 13. Dezember 2006, BGBl I 2006, 2878, BStBl I 2007, 28). Ein noch offener Einspruch gegen den Bescheid vom 21. Juli 2005 wäre deshalb zum Zeitpunkt der Klageerhebung nicht mehr beim FA anhängig gewesen. |
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Aus diesem Grund ist es nicht zu beanstanden, dass das FG als Klagegegenstand den Bescheid vom 26. Oktober 2004 angesehen hat. |
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b) Dem FG ist auch darin zu folgen, dass das Schreiben des FA vom 26. Oktober 2004 als verbindliche Ablehnung einer Festsetzung von Prozesszinsen auszulegen war. |
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Die Auslegung der öffentlich-rechtlichen Willenserklärung einer Behörde bestimmt sich maßgeblich danach, wie der Adressat nach den ihm bekannten Umständen den materiellen Gehalt der Erklärung unter Berücksichtigung von Treu und Glauben verstehen konnte (vgl. BFH-Urteil vom 24. Juni 2008 IX R 64/06, BFH/NV 2008, 1676). Maßgebend ist ein "objektiver Verständnishorizont" (vgl. BFH-Urteil vom 11. Juli 2006 VIII R 10/05, BFHE 214, 18, BStBl II 2007, 96). Dies gilt auch für die Frage, ob einer Erklärung Regelungscharakter zukommt. Nicht entscheidend ist, was die Finanzbehörde mit ihrer Entscheidung gewollt hat (vgl. BFH-Urteil in BFHE 214, 18, BStBl II 2007, 96, m.w.N.). |
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Nach dem objektiven Erklärungsinhalt konnte der Kläger das Schreiben des FA vom 26. Oktober 2004 dahin verstehen, dass damit sein Antrag auf Festsetzung von Prozesszinsen rechtsverbindlich abgelehnt wird. Dies ergibt sich daraus, dass ausdrücklich dem Antrag auf Zinsabrechnung nicht entsprochen und hierfür eine ausführliche Begründung gegeben wurde. Anhaltspunkte dafür, dass das Schreiben vom 26. Oktober 2004 eine lediglich unverbindliche Stellungnahme des FA sein könnte, sind nicht ersichtlich. Dem Schreiben war zwar keine Rechtsbehelfsbelehrung beigefügt. Das Fehlen einer Rechtsbehelfsbelehrung führt aber nur dazu, dass sich die Einspruchsfrist nach § 356 Abs. 2 AO verlängert. |
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c) Entgegen der Auffassung des FG ist jedoch das Schreiben des Prozessbevollmächtigten des Klägers vom 23. November 2004 als Einspruch gegen den Bescheid vom 26. Oktober 2004 auszulegen. |
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Außerprozessuale Verfahrenserklärungen sind entsprechend § 133 des Bürgerlichen Gesetzbuchs auszulegen. Dies gilt auch für Erklärungen rechtskundiger Personen (vgl. BFH-Urteil vom 26. Oktober 2004 IX R 23/04, BFH/NV 2005, 325). Entscheidend ist, wie das FA als Erklärungsempfänger den objektiven Erklärungswert des Schreibens verstehen musste. Dabei ist bei auslegungsfähigen Rechtsbehelfen grundsätzlich davon auszugehen, der Steuerpflichtige habe denjenigen Rechtsbehelf einlegen wollen, der seinem materiell-rechtlichen Begehren am ehesten zum Erfolg verhilft (vgl. BFH-Urteil in BFH/NV 2008, 1676). Die unrichtige Bezeichnung des Einspruchs allein schadet nach § 357 Abs. 1 Satz 4 AO nicht. Lässt deshalb die Äußerung eines Steuerpflichtigen ungewiss, ob er einen Rechtsbehelf einlegen will, so ist die Erklärung im Allgemeinen als Rechtsbehelf zu betrachten, um zugunsten des Steuerpflichtigen den Eintritt der Bestandskraft zu verhindern (vgl. BFH-Urteil in BFH/NV 2005, 325). |
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Im Streitfall entspricht es dem Gebot zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes (vgl. Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 2. September 2002 1 BvR 476/01, BStBl II 2002, 835), das Schreiben des Prozessbevollmächtigten des Klägers vom 23. November 2004 als Einspruch auszulegen. Aus der Bezugnahme auf den Schenkungsteuerbescheid vom 1. Oktober 2004, den Antrag auf Zinsabrechnung vom 8. Oktober 2004 und das Schreiben vom 26. Oktober 2004 sowie aus dem Inhalt des Schreibens vom 23. November 2004 wird hinreichend deutlich, dass der Kläger weiterhin Zinsen für die verspätete Auszahlung des Guthabens von 15.234,46 EUR (29.796 DM) begehrt. Dem Schreiben kann nicht entnommen werden, dass ausschließlich eine Verzinsung gemäß § 233a AO beansprucht werden soll. Der Kläger verlangt vielmehr "auch" eine Verzinsung nach § 233a AO. Im Zusammenhang mit der Erweiterung des Zinszeitraumes (ab 1. Juli 1995) können die Ausführungen im Schreiben vom 23. November 2004 dahin verstanden werden, dass nach Auffassung des Klägers mehrere Rechtsgrundlagen für den geltend gemachten Zinsanspruch in Frage kommen. Die Auslegung des Schreibens als Einspruch entspricht daher dem Grundsatz der rechtsschutzgewährenden Auslegung (vgl. hierzu BFH-Urteil vom 9. November 2005 I R 10/05, BFH/NV 2006, 750, m.w.N.). |
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Da das FA über diesen Einspruch ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes nicht in angemessener Frist entschieden hat, war die Klage gemäß § 46 Abs. 1 FGO abweichend von § 44 FGO ohne vorherigen Abschluss des Vorverfahrens zulässig. |
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3. Der Senat hält es für angebracht, die Vorentscheidung aufzuheben und den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen. Damit erhält das FG die Gelegenheit, bezüglich der streitigen Zinsen eine Sachentscheidung zu treffen. |
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