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II. Die Revision des FA ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung –FGO–). Zu Unrecht hat das FG entschieden, das FA sei verpflichtet, den Grunderwerbsteuerbescheid vom 13. Juni 2008 nach § 16 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG aufzuheben. |
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1. Zutreffend hat das FG die Klage nicht wegen Versäumung der Einspruchsfrist als unbegründet abgewiesen. Die Frage, ob der Klägerin Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 110 der Abgabenordnung –AO–) zu gewähren war, stellt sich dabei nicht. Denn die Klägerin hat fristgemäß Einspruch gegen den Ablehnungsbescheid vom 16. Oktober 2008 eingelegt. Das am 3. November 2008 an die Steuerkasse gesandte Schreiben 2 der Klägerin ist nämlich als Einspruch gegen den Ablehnungsbescheid vom 16. Oktober 2008 auszulegen. |
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a) Außerprozessuale Verfahrenserklärungen sind entsprechend § 133 des Bürgerlichen Gesetzbuchs auszulegen. Entscheidend ist, wie das FA als Erklärungsempfänger den objektiven Erklärungswert des Schreibens verstehen musste. Dabei ist bei auslegungsfähigen Rechtsbehelfen grundsätzlich davon auszugehen, der Steuerpflichtige habe denjenigen Rechtsbehelf einlegen wollen, der seinem materiell-rechtlichen Begehren am ehesten zum Erfolg verhilft. Die unrichtige Bezeichnung des Einspruchs allein schadet nach § 357 Abs. 1 Satz 4 AO nicht. Lässt deshalb die Äußerung eines Steuerpflichtigen ungewiss, ob er einen Rechtsbehelf einlegen will, so ist die Erklärung im Allgemeinen als Rechtsbehelf zu betrachten, um zugunsten des Steuerpflichtigen den Eintritt der Bestandskraft zu verhindern (Beschluss des Bundesfinanzhofs –BFH– vom 3. November 2010 II B 55/10, BFH/NV 2011, 295, m.w.N.). |
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b) Im Streitfall entspricht es dem Gebot zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes (vgl. Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 2. September 2002 1 BvR 476/01, BStBl II 2002, 835), das am 3. November 2008 an die Steuerkasse gesandte Schreiben 2 der Klägerin als Einspruch auszulegen. Das von der Klägerin darin verfolgte Ziel, für den Grundstückserwerb vom 6. Mai 2008 wegen der Aufhebung des Kaufvertrags keine Grunderwerbsteuer zahlen zu müssen, konnte durch die Aufhebung des Grunderwerbsteuerbescheids vom 13. Juni 2008 gemäß § 16 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG erreicht werden. Aus den Ausführungen der Klägerin ergibt sich hinreichend deutlich, dass sie sich gegen die Ablehnung der Aufhebung des Grunderwerbsteuerbescheids vom 13. Juni 2008 durch den Bescheid vom 16. Oktober 2008 wandte und hiergegen Einspruch einlegen wollte. Zwar hat die Klägerin ihr Schreiben an die Steuerkasse und damit an eine unzuständige Finanzbehörde gerichtet, jedoch hat diese das Schreiben an das FA weitergeleitet. Diesem ist es am 4. November 2008 und damit innerhalb der Einspruchsfrist des § 355 Abs. 1 Satz 1 AO zugegangen. |
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2. Das FA ist nicht verpflichtet, den Grunderwerbsteuerbescheid vom 13. Juni 2008 nach § 16 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG aufzuheben. Denn der Erwerbsvorgang zwischen der Klägerin und X wurde entgegen der Auffassung des FG nicht rückgängig gemacht. |
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a) Nach § 16 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG wird eine Steuerfestsetzung auf Antrag aufgehoben, wenn ein Erwerbsvorgang vor dem Übergang des Eigentums am Grundstück auf den Erwerber durch Vereinbarung der Vertragspartner innerhalb von zwei Jahren seit der Entstehung der Steuer rückgängig gemacht wird. |
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"Rückgängig gemacht" ist ein Erwerbsvorgang, wenn über die zivilrechtliche Aufhebung des den Steuertatbestand erfüllenden Rechtsgeschäfts hinaus die Vertragspartner sich derart aus ihren vertraglichen Bindungen entlassen haben, dass die Möglichkeit zur Verfügung über das Grundstück nicht beim Erwerber verbleibt, sondern der Veräußerer seine ursprüngliche Rechtsstellung wiedererlangt (BFH-Urteil vom 25. August 2010 II R 35/08, BFH/NV 2010, 2301, m.w.N.). |
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Wird im Zusammenhang mit der Aufhebung eines Kaufvertrags über ein Grundstück dieses weiterveräußert, ist für die Anwendung des § 16 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG entscheidend, ob für den früheren Erwerber trotz der Vertragsaufhebung die Möglichkeit der Verwertung einer aus dem "rückgängig gemachten" Erwerbsvorgang herzuleitenden Rechtsposition verblieben und der Verkäufer demzufolge nicht aus seinen Bindungen entlassen war (BFH-Urteil in BFH/NV 2010, 2301). |
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Dem Ersterwerber verbleibt die Möglichkeit der Verwertung einer Rechtsposition jedenfalls dann, wenn der Aufhebungs- und der Weiterveräußerungsvertrag in einer einzigen Urkunde zusammengefasst sind. In diesem Fall hat er die rechtliche Möglichkeit, die Aufhebung des ursprünglichen Kaufvertrags zum anschließenden Erwerb des Grundstücks durch eine von ihm ausgewählte dritte Person zu nutzen. Denn der Veräußerer wird aus seiner Übereignungsverpflichtung gegenüber dem früheren Erwerber erst mit der Unterzeichnung des Vertrags durch alle Vertragsbeteiligten und damit erst in dem Augenblick entlassen, in dem er bereits wieder hinsichtlich der Übereignung des Grundstücks an den Zweiterwerber gebunden ist (BFH-Urteil in BFH/NV 2010, 2301, m.w.N.). Da sich diese Schlussfolgerung trotz gleicher Beweggründe der Parteien mühelos umgehen lässt, indem die Aufhebung des ursprünglichen und der Abschluss des neuen Kaufvertrags nacheinander beurkundet werden, kann der Abschluss beider Verträge in aufeinanderfolgenden Urkunden nicht anders beurteilt werden als ihre Zusammenfassung in einer Urkunde (vgl. BFH-Urteil in BFH/NV 2010, 2301, m.w.N.). |
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Die Anwendung des § 16 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG ist jedoch nur dann ausgeschlossen, wenn der Ersterwerber eine ihm verbliebene Rechtsposition auch in seinem eigenen (wirtschaftlichen) Interesse verwertet hat (BFH-Urteil in BFH/NV 2010, 2301, m.w.N.). Eine Verwertung in diesem Sinne liegt vor, wenn die Einflussnahme des Ersterwerbers auf die Weiterveräußerung Ausfluss der ihm verbliebenen Rechtsposition ist. In diesem Fall sind die Interessen Dritter an der Weiterveräußerung unbeachtlich (BFH-Urteil in BFH/NV 2010, 2301). |
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b) Nach diesen Grundsätzen lagen im Streitfall die Voraussetzungen für eine Aufhebung des Grunderwerbsteuerbescheids vom 13. Juni 2008 nach § 16 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG nicht vor. Der durch den Vertrag vom 6. Mai 2008 verwirklichte Erwerbsvorgang zwischen der Klägerin und X wurde nicht rückgängig gemacht. Denn die Klägerin hat im Zusammenhang mit dem Abschluss des Aufhebungsvertrags vom 22. September 2008 eine ihr verbliebene Rechtsposition verwertet. Die Aufhebungsverträge zwischen der Klägerin und X einerseits sowie zwischen X und der GbR andererseits und der Weiterveräußerungsvertrag zwischen der GbR und der Klägerin wurden in aufeinanderfolgenden Urkunden abgeschlossen. X wurde demgemäß aus ihrer Übereignungsverpflichtung gegenüber der Klägerin erst in dem Augenblick entlassen, in dem sie auf ihren Übereignungsanspruch gegenüber der GbR verzichtet hatte. Für die Annahme einer der Klägerin verbliebenen Rechtsposition ist es entgegen der Ansicht des FG unerheblich, dass die Klägerin ihren ursprünglichen Übereignungsanspruch von einer Nichteigentümerin erlangt hatte. Denn es ist für einen Ausschluss des § 16 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG nicht erforderlich, dass der Erwerber das Grundstück als solches verwertet; vielmehr reicht es aus, wenn er eine ihm aus dem ursprünglichen Erwerbsvorgang verbliebene, das Grundstück betreffende Rechtsposition verwertet. |
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Die Klägerin hat die ihr verbliebene Rechtsposition ferner in ihrem eigenen (wirtschaftlichen) Interesse verwertet. Hierfür war es nicht notwendig, dass sie das Grundstück einem Zwischenhändler ähnlich an einen Dritten veräußerte, sondern es genügte bereits, dass sie die ihr verbliebene Rechtsposition verwandte, um den eigenen Erwerb des Grundstücks von der GbR sicherzustellen. Es kam ihr gerade darauf an, dass X gegenüber der GbR auf ihren Übereignungsanspruch verzichtet, damit die GbR bezüglich der Übereignung des Grundstücks schuldrechtlich nicht gebunden war und ihr, der Klägerin, das Grundstück wie ursprünglich geplant verkaufen konnte, ohne sich dadurch die Erfüllung des Kaufvertrags mit X unmöglich zu machen. |
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c) Da das FG von anderen Grundsätzen ausgegangen ist, war die Vorentscheidung aufzuheben. |
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3. Die Sache ist spruchreif. Die Klage war auch hinsichtlich der Hilfsanträge abzuweisen. |
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a) Soweit die Klägerin erstmalig im Revisionsverfahren hilfsweise beantragt hat, die Rechtswidrigkeit des Grunderwerbsteuerbescheids vom 9. Oktober 2008 festzustellen, ist dieses Begehren unzulässig. Denn es handelt sich dabei um eine im Revisionsverfahren nach § 123 Abs. 1 Satz 1 FGO unzulässige Klageerweiterung (vgl. Steinhauff in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 43 FGO Rz 108; siehe auch BFH-Urteil vom 27. August 2003 II R 18/02, BFH/NV 2004, 203, zum Übergang von einer Anfechtungs- zu einer Feststellungsklage im Revisionsverfahren). |
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b) Ferner ist die Klage unzulässig, soweit die Klägerin erstmalig im Erörterungstermin vom 17. Mai 2011 hilfsweise beantragt hat, den Grunderwerbsteuerbescheid vom 9. Oktober 2008 aufzuheben. Zwar hat das FA dieser Sprungklage zugestimmt. Jedoch hat die Klägerin insofern die einmonatige Klagefrist des § 47 Abs. 1 Satz 1 2. Halbsatz i.V.m. § 45 Abs. 1 Satz 1 FGO nicht gewahrt. |
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c) Im Übrigen ist die Klage in ihren Hilfsanträgen zwar zulässig, aber unbegründet. Das FA hat es ermessensfehlerfrei abgelehnt, die mit Bescheid vom 9. Oktober 2008 festgesetzte Grunderwerbsteuer in Höhe eines Teilbetrags von 38.036 EUR oder die mit Bescheid vom 13. Juni 2008 festgesetzte Grunderwerbsteuer aus sachlichen Billigkeitsgründen zu erlassen. |
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aa) Nach § 227 AO können Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis ganz oder zum Teil erlassen werden, wenn deren Einziehung nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre. Ein Erlass kommt aus sachlichen Gründen in Betracht, wenn die Einziehung der Steuer zwar dem Gesetz entspricht, aber infolge eines Gesetzesüberhangs den Wertungen des Gesetzgebers derart zuwiderläuft, dass sie unbillig erscheint (BFH-Urteil vom 4. Februar 2010 II R 25/08, BFHE 228, 130, BStBl II 2010, 663, m.w.N.). Beim Erlass handelt es sich um eine Ermessensentscheidung, bei der Inhalt und Grenzen des Ermessens durch den Begriff der Unbilligkeit bestimmt werden (BFH-Urteil in BFHE 228, 130, BStBl II 2010, 663, m.w.N.). Die Entscheidung darf gemäß § 102 FGO gerichtlich (nur) daraufhin überprüft werden, ob das FA die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten oder es von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat. |
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bb) Das FA hat ermessensfehlerfrei angenommen, dass die Festsetzung der Grunderwerbsteuer in den Bescheiden vom 13. Juni 2008 und 9. Oktober 2008 nicht sachlich unbillig ist. Ein Überhang des gesetzlichen Tatbestandes über die Wertungen des Gesetzgebers ist nicht erkennbar. Es entspricht dem Willen des Gesetzgebers, zwei dasselbe Grundstück betreffende aufeinanderfolgende Erwerbsvorgänge zwischen demselben Erwerber und verschiedenen Veräußerern jeweils gesondert zu besteuern, obgleich nur einer dieser Erwerbsvorgänge einen Rechtsträgerwechsel herbeigeführt hat. Soweit es somit zu einer Steuerschuld ohne Rechtsträgerwechsel kommt, entspricht dies der Sachgesetzlichkeit des GrEStG (vgl. auch BFH-Urteil vom 18. November 2009 II R 11/08, BFHE 226, 552, BStBl II 2010, 498, unter II.7.). |
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