III R 37/18 – Zur kindergeldrechtlichen Qualifikation eines Praxisjahres als Arbeitsverhältnis oder Berufsausbildung

BUNDESFINANZHOF Urteil vom 10.4.2019, III R 37/18
ECLI:DE:BFH:2019:U.100419.IIIR37.18.0

Zur kindergeldrechtlichen Qualifikation eines Praxisjahres als Arbeitsverhältnis oder Berufsausbildung

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Finanzgerichts Nürnberg vom 17. Januar 2018 7 K 826/16 aufgehoben.

Die Sache wird an das Finanzgericht Nürnberg zurückverwiesen.

Diesem wird die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens übertragen.

Tatbestand

 
I.
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Streitig ist der Kindergeldanspruch für den Zeitraum Oktober 2015 bis Mai 2016.
2 
Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) ist der Vater eines im März 1997 geborenen Sohnes (S). Der Kläger führte als Landwirtschaftsmeister einen landwirtschaftlichen Betrieb, den sein Sohn später übernehmen sollte.
3 
S absolvierte bis Juli 2015 zunächst eine Ausbildung als Landwirt. Sein Berufsziel gab er als den eines "Landwirtschaftlichen Betriebsleiters" an. Am 11. September 2015 meldete sich S zum Besuch der Landwirtschaftsschule X Abt. Landwirtschaft (Vollzeit) ab dem Schuljahr 2016 an und nahm vom 19. Oktober 2015 bis Ende September 2016 an dem vorgeschalteten Praxisjahr 2016 teil.
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Im Februar 2016 beantragte der Kläger die Festsetzung von Kindergeld ab Oktober 2015. Den Antrag lehnte die Beklagte und Revisionsklägerin (Familienkasse) ab. Der Einspruch blieb erfolglos (Einspruchsentscheidung vom 9. Mai 2016).
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Das Finanzgericht (FG) gab der dagegen gerichteten Klage statt, hob den Ablehnungsbescheid vom 1. April 2016 sowie die Einspruchsentscheidung vom 9. Mai 2016 auf und verpflichtete die Familienkasse, Kindergeld für S für den Zeitraum Oktober 2015 bis Mai 2016 zu gewähren.
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Mit der hiergegen gerichteten Revision rügt die Familienkasse die Verletzung materiellen Rechts.
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Die Familienkasse beantragt,
das angegriffene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
8 
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

 
II.
9 
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des vorinstanzlichen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG nach § 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO). Denn der Senat kann aufgrund der Feststellungen des FG schon nicht beurteilen, ob das dem Studiengang zum "landwirtschaftlichen Betriebsleiter" vorgeschaltete Praxisjahr eine Berufsausbildung i.S. des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a des Einkommensteuergesetzes (EStG) darstellt.
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1. Nach § 62 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 32 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG besteht Anspruch auf Kindergeld für ein Kind, das das 18., aber noch nicht das 25. Lebensjahr vollendet hat, wenn dieses für einen Beruf ausgebildet wird.
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a) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs ist unter Berufsausbildung i.S. des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG die Ausbildung zu einem künftigen Beruf zu verstehen. In Berufsausbildung befindet sich, wer sein Berufsziel noch nicht erreicht hat, sich aber ernsthaft und nachhaltig darauf vorbereitet. Der Vorbereitung auf ein Berufsziel dienen alle Maßnahmen, bei denen es sich um den Erwerb von Kenntnissen, Fähigkeiten und Erfahrungen handelt, die als Grundlagen für die Ausübung des angestrebten Berufs geeignet sind, und zwar unabhängig davon, ob die Ausbildungsmaßnahmen in einer Ausbildungsordnung oder Studienordnung vorgeschrieben sind. Die Ausbildungsmaßnahme braucht Zeit und Arbeitskraft des Kindes nicht überwiegend in Anspruch zu nehmen (z.B. Senatsurteil vom 22. Februar 2017 III R 20/15, BFHE 257, 274, BStBl II 2017, 913, Rz 12, m.w.N.).
12 
b) Voraussetzung für eine innerhalb eines Arbeits- oder Dienstverhältnisses stattfindende Ausbildung ist jedoch, dass die Erlangung beruflicher Qualifikationen, d.h. der Ausbildungscharakter, und nicht die Erbringung bezahlter Arbeitsleistungen, d.h. der Erwerbscharakter, im Vordergrund steht (Senatsurteil vom 16. September 2015 III R 6/15, BFHE 251, 31, BStBl II 2016, 281, Rz 12, m.w.N.). Danach kommen als Kriterien, die im Rahmen einer Gesamtwürdigung der Umstände für einen im Vordergrund stehenden Ausbildungscharakter sprechen können, u.a. in Betracht:
– das Vorhandensein eines Ausbildungsplanes,
– die Unterweisung in Tätigkeiten, welche qualifizierte Kenntnisse und/oder Fertigkeiten erfordern,
– die Erlangung eines die angestrebte Berufstätigkeit ermöglichenden Abschlusses und
– ein gegenüber einem normalen Arbeitsverhältnis geringeres Entgelt.
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Dabei sind Arbeits- und Dienstverhältnisse, die Ausbildungsmaßnahmen beinhalten, als Einheit zu betrachten und daraufhin zu untersuchen, ob der Ausbildungscharakter und nicht die Erbringung bezahlter Arbeitsleistungen, d.h. der Erwerbscharakter, im Vordergrund steht.
14 
c) Der Ausbildungscharakter steht auch stets dann im Vordergrund, wenn die Voraussetzungen eines Ausbildungsdienstverhältnisses vorliegen. Ein Ausbildungsdienstverhältnis setzt nicht nur ein Dienstverhältnis besonderer Art voraus, das durch den Ausbildungszweck geprägt ist. Hinzukommen muss, dass die Ausbildungsmaßnahme selbst Gegenstand und Ziel des Dienstverhältnisses ist, die Ausbildung mithin verpflichtender Gegenstand des Arbeitsvertrages ist und die vom Arbeitnehmer geschuldete Leistung, für die der Arbeitgeber bezahlt, in der Teilnahme an der Berufsausbildungsmaßnahme besteht. Wenn das Dienstverhältnis neben der Arbeitsleistung auch berufliche Fortbildungen und Qualifizierungen des Arbeitnehmers zum Gegenstand hat, diese aber nicht den wesentlichen Inhalt des Vertrages ausmachen, wird das Dienstverhältnis nicht zu einem Ausbildungsdienstverhältnis (Senatsurteil vom 23. Juni 2015 III R 37/14, BFHE 250, 377, BStBl II 2016, 55, Rz 16).
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2. Die Sache ist nicht spruchreif. Denn nach Maßgabe der vorgenannten Grundsätze kann der Senat auf Grundlage der vom FG bisher getroffenen Feststellungen nicht entscheiden, ob das von S absolvierte "Praxisjahr" eine Berufsausbildung darstellt.
16 
a) Soweit das FG in seinen Entscheidungsgründen Ausführungen zum Praxisjahr gemacht hat, hat es nicht auf die von S konkret ausgeübte Tätigkeit abgestellt, sondern allein auf die Erläuterungen auf der Internetseite der Landwirtschaftsschule hingewiesen, nach denen auch Veranstaltungen durch die Schule stattfinden und das Praxisjahr durch die Lehrkräfte der Landwirtschaftsschule begleitet und betreut wird. Auch die Darstellung, dass während des Praxisjahres sieben Schultage stattfinden sollen, ermöglicht nicht die Feststellung von ausreichenden monatlichen Ausbildungselementen. Insbesondere sind weder der Umfang der praktischen Tätigkeit noch die Frage der Entgeltlichkeit festgestellt.
17 
b) Nach Maßgabe der vorgenannten Rechtsgrundsätze (II.1.b und c) wird das FG im zweiten Rechtsgang zu prüfen haben, ob dem von S absolvierten Praxisjahr ein entgeltliches Arbeitsverhältnis zugrunde lag und ob die Erlangung beruflicher Qualifikationen (Ausbildungscharakter) oder die Erbringung bezahlter Arbeitsleistungen (Erwerbscharakter) im Vordergrund stand oder ob ein Ausbildungsdienstverhältnis vorlag.
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c) Soweit das FG allein auf die Ausbildungsmaßnahmen durch die Landwirtschaftsschule abstellt und diese als ausreichend für eine Berufsausbildung ansieht, wäre zu prüfen, ob die Erwerbstätigkeit gemäß § 32 Abs. 4 Sätze 2 und 3 EStG für den Kindergeldanspruch schädlich ist. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das Senatsurteil vom 11. Dezember 2018 III R 26/18 (BFHE 263, 209) hingewiesen.
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3. Die Übertragung der Kostenentscheidung auf das FG folgt aus § 143 Abs. 2 FGO.

Quelle: bundesfinanzhof.de