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II. Die Revision ist begründet. Sie führt nach § 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zur Aufhebung des Urteils des FG und zur Stattgabe der Klage durch Aufhebung der angefochtenen Einspruchsentscheidungen. |
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Die Einsprüche sind zwar erst nach Ablauf der Einspruchsfrist eingegangen. Zu Unrecht hat das FG aber eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der versäumten Einspruchsfristen abgelehnt. |
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1. Den Klägern sind die angefochtenen Bescheide wirksam bekannt gegeben worden, sodass die einmonatige Einspruchsfrist (§ 355 Abs. 1 der Abgabenordnung –AO–) am 7. November 2005 in Lauf gesetzt wurde und die Einsprüche vom 14. Dezember 2005 somit verspätet waren. |
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a) Nach § 124 Abs. 1 Satz 1 AO wird ein Verwaltungsakt gegenüber demjenigen, für den er bestimmt ist oder der von ihm betroffen wird, in dem Zeitpunkt wirksam, in dem er ihm bekannt gegeben wird. Die angefochtenen Bescheide wurden den Klägern mit Zustellungsurkunde gemäß § 122 Abs. 5 AO i.V.m. § 3 des Verwaltungszustellungsgesetzes und § 180 der Zivilprozessordnung durch Einlegung in den zu ihrer Wohnung gehörenden Briefkasten ausweislich der Zustellungsurkunden am 7. November 2005 ordnungsgemäß bekannt gegeben. |
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b) Dem Wirksamwerden der Bescheide im Zeitpunkt ihrer Bekanntgabe am 7. November 2005 steht nicht entgegen, dass sie zeitlich vor dem in den Bescheiden angegebenen Datum (14. November 2005) bekannt gegeben wurden. Nach § 124 Abs. 1 Satz 2 AO wird ein Verwaltungsakt mit dem Inhalt wirksam, mit dem er bekannt gegeben wurde. Zum Inhalt des Verwaltungsakts gehört neben der Angabe des Adressaten der Verfügungs- oder Entscheidungssatz –sog. Ausspruch oder Tenor– (Tipke in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 124 AO Rz 15). Das ist bei einem Steuerbescheid die Steuerfestsetzung bzw. Steuermessbetragsfestsetzung. Nicht zum Inhalt gehört das Datum des Bescheids. Das Bescheiddatum hat lediglich die Funktion, die Steuerfestsetzung zeitlich zu fixieren und in diesem Sinne den Bescheid zu kennzeichnen (Senatsurteil vom 3. Mai 2001 III R 56/98, BFH/NV 2001, 1365, m.w.N.; Tipke in Tipke/Kruse, a.a.O., § 119 AO Rz 7). Entgegen der Auffassung der Kläger ist bei einem vor dem Bescheiddatum bekannt gegebenen Steuerbescheid nicht von einem fehlenden Bekanntgabewillen der Behörde auszugehen. Der Bekanntgabewille ergibt sich vielmehr aus der Aktenverfügung des Sachbearbeiters, die auf den Zeitpunkt, zu dem der Bescheid maschinell im Rechenzentrum ausgedruckt wird, und auf das Datum, mit dem der Bescheid versehen wird, grundsätzlich keinen Einfluss hat. |
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c) Im Streitfall wurden die maschinell gefertigten Bescheide vom Rechenzentrum dem FA zur Prüfung übersandt und vordatiert, um dem FA ausreichend Zeit zur Prüfung einzuräumen. Nach dem gängigen Verwaltungsverfahren sollten die Bescheide sodann frühestens zu dem aufgedruckten Datum das FA verlassen. Dass die Bescheide –offenbar aufgrund eines Versehens– nicht erst am 14. November 2005, sondern bereits zu einem früheren Zeitpunkt mit Postzustellungsurkunde abgesandt wurden und den Klägern daher schon am 7. November 2005 zugestellt wurden, stellt den Bekanntgabewillen des FA und die Wirksamkeit des Bescheids nicht in Frage. |
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2. Entgegen der Auffassung des FG ist wegen der versäumten Einspruchsfristen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 110 AO) zu gewähren. |
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a) Dahinstehen kann, ob M den Wiedereinsetzungsantrag vom 13. März 2006 innerhalb der einmonatigen Wiedereinsetzungsfrist (§ 110 Abs. 2 Satz 1 AO) gestellt hat, die mit dem Hinweis des FA vom 8. Februar 2006 in Lauf gesetzt worden war. Denn nach § 110 Abs. 2 Satz 4 AO kann Wiedereinsetzung auch ohne Antrag gewährt werden, wenn die versäumte Handlung –hier die Einspruchseinlegung– innerhalb der Antragsfrist nachgeholt worden ist und die Tatsachen, aus denen sich das fehlende Verschulden ergibt, offenkundig oder der Behörde bekannt sind (Beschluss des Bundesfinanzhofs –BFH– vom 6. Oktober 1993 X B 85-86/93, BFH/NV 1994, 680). Diese Voraussetzungen sind im Streitfall gegeben. Der Ablauf des Geschehens und der Vortrag des M ergeben hinreichend deutlich, dass sich M –ohne Verschulden– bei der Einspruchseinlegung bzw. der Ermittlung der Rechtsbehelfsfrist an dem Datum der Bescheide orientiert hat. |
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b) Nach § 110 Abs. 1 Satz 1 AO ist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten. Das Verschulden eines Vertreters ist dem Vertretenen zuzurechnen (§ 110 Abs. 1 Satz 2 AO). "Ohne Verschulden" verhindert, eine gesetzliche Frist einzuhalten, ist jemand dann, wenn er die für einen gewissenhaft und sachgemäß handelnden Verfahrensbeteiligten gebotene und ihm nach den Umständen zumutbare Sorgfalt beachtet hat. Wegen unverschuldeten Rechtsirrtums kann Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden, wenn sich der Irrtum auf die Frist selbst oder die Form der Fristwahrung bezieht. Zur Gewährleistung eines effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes dürfen die Anforderungen an das Vorliegen der Voraussetzungen für die Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht überspannt werden (z.B. BFH- Urteil vom 29. November 2006 VI R 48/05, BFH/NV 2007, 861, m.w.N.). |
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c) Entgegen der Auffassung des FG ist M nicht vorzuwerfen, dass er für die Ermittlung der Einspruchsfrist nicht die Briefumschläge, auf denen der Tag der Zustellung jeweils vermerkt war, hinzugezogen hat, sondern davon ausgegangen ist, dass die Einsprüche jedenfalls dann rechtzeitig sind, wenn sie innerhalb eines Monats ab dem Datum des Bescheids dem FA zugehen. |
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Nach der Verwaltungspraxis werden Steuerbescheide grundsätzlich nicht vor dem auf dem Bescheid angegebenen Datum zur Post gegeben. Das gilt auch dann, wenn das Rechenzentrum –wie im Streitfall– die Bescheide nicht unmittelbar an den Steuerpflichtigen verschickt, sondern den Finanzämtern vordatiert zur Prüfung und anschließenden Bekanntgabe zuleitet. Die Finanzämter senden in diesen Fällen die Bescheide frühestens zu dem vom Rechenzentrum maschinell ausgedruckten Datum ab. Erscheint ausnahmsweise aus besonderen Gründen eine vorherige Bekanntgabe erforderlich, wird das ausgedruckte Bescheiddatum manuell geändert. |
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Für M war nicht erkennbar, dass das FA von dem üblichen Bekanntgabeverfahren –Absendung der Bescheide nicht vor dem Bescheiddatum– abgewichen ist. Obwohl die Bescheide den Stempelaufdruck enthielten, dass sie durch Postzustellungsurkunde zugestellt wurden, war M nicht gehalten, sich bei den Klägern oder beim FA nach dem Zustelldatum zu erkundigen oder sich von den Klägern die Briefumschläge aushändigen zu lassen. Denn auch bei einer förmlichen Zustellung wird der Bescheid regelmäßig nicht vor dem aufgedruckten Datum bekannt gegeben. Da Abschlusszahlungen innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Steuerbescheids zu entrichten sind (§ 36 Abs. 4 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes, § 18 Abs. 4 Satz 2 des Umsatzsteuergesetzes), deuteten die in den Bescheiden angegebenen Fälligkeitszeitpunkte 19. Dezember 2005 zudem darauf hin, dass die Bescheide wie üblich nicht vor dem Bescheiddatum zur Post gegeben worden waren. |
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d) Auch den Klägern ist kein Schuldvorwurf zu machen, dass sie M nicht über die vorzeitige Bekanntgabe der Bescheide informiert bzw. ihm nicht die Briefumschläge mit dem Vermerk über das Zustelldatum vorgelegt haben. |
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Wenn ihnen nicht aufgefallen war, dass das FA die Bescheide vor dem aufgedruckten Datum verschickt hatte, durften auch sie –aufgrund der Praxis der Finanzämter bei der Versendung der Steuerbescheide– darauf vertrauen, dass innerhalb eines Monats ab Bescheiddatum eingelegte Einsprüche rechtzeitig sind. Es kann ihnen nicht vorgeworfen werden, dass sie die Briefumschläge nicht aufbewahrt haben bzw. nicht den Tag der Zustellung notiert hatten, um anhand des Bekanntgabedatums das Fristende zu berechnen oder durch M berechnen zu lassen. |
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Ebenso wenig liegt ein schuldhaftes Verhalten vor, wenn den Klägern der Zugang vor dem Bescheiddatum aufgefallen ist und sie irrtümlich angenommen haben, maßgebend für die Fristberechnung sei das Datum des Bescheids und nicht das Datum der davor liegenden Bekanntgabe. Ein solcher Irrtum konnte insbesondere auch dadurch entstehen oder verstärkt werden, dass die Fälligkeit der Abschlusszahlungen nach dem Bescheiddatum berechnet war. Da die Umstände, die zu diesem Rechtsirrtum und der daraus folgenden Fristversäumnis geführt haben, im Bereich des FA liegen, wäre dieser Rechtsirrtum entschuldbar. |
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3. Der Senat hat den Antrag der Kläger ihrem Klageziel entsprechend als Antrag auf isolierte Aufhebung der Einspruchsentscheidungen ausgelegt (zur Zulässigkeit s. BFH-Urteil vom 7. Juli 1976 I R 66/75, BFHE 119, 368, BStBl II 1976, 680). |
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Die Kläger sind dadurch beschwert, dass das FA den Einspruch zu Unrecht aus verfahrensrechtlichen Gründen verworfen und die nachgereichten Steuererklärungen nicht geprüft hat. Diese Beschwer kann durch Aufhebung der Einspruchsentscheidungen beseitigt werden, ohne dass es einer Aufhebung der angefochtenen Bescheide bedarf, denn das FA wird die Steuererklärungen im Rahmen des Einspruchsverfahrens zu prüfen haben. |
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Der Antrag der Kläger, auch die angefochtenen Bescheide aufzuheben und das FA zu verpflichten, die Steuer bzw. den Messbetrag entsprechend den nachgereichten Steuererklärungen festzusetzen, hilfsweise Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, lässt erkennen, dass die Kläger nicht die Änderung der angefochtenen Bescheide durch das FG erstrebten, sondern die Beseitigung des Hindernisses für eine Veranlagung durch das FA. Mit der Aufhebung der Einspruchsentscheidungen hat die Klage in vollem Umfang Erfolg. |
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