IX B 61/19 – Nichtzulassungsbeschwerde: Verfahrensfehler (Ausschlussfrist nach § 65 Abs. 2 Satz 2 FGO)

BUNDESFINANZHOF Beschluss vom 11.11.2019, IX B 61/19
ECLI:DE:BFH:2019:B.111119.IXB61.19.0

Nichtzulassungsbeschwerde: Verfahrensfehler (Ausschlussfrist nach § 65 Abs. 2 Satz 2 FGO)

Leitsätze

NV: Die Fristsetzung nach § 65 Abs. 2 Satz 2 FGO ist auch dann inhaltlich hinreichend bestimmt, wenn das Streitjahr (hier: Einkommensteuer 2015) aus dem Betreff des gerichtlichen Schreibens nicht hervorgeht, sich aber ohne Weiteres aus dem Inhalt des Schreibens ergibt.

Tenor

Die Beschwerde der Kläger wegen Nichtzulassung der Revision gegen das Urteil des Finanzgerichts Baden-Württemberg, Außensenate Freiburg, vom 17.04.2019 – 2 K 1206/18 wird als unbegründet zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens haben die Kläger zu tragen.

Gründe

 
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Die Beschwerde hat keinen Erfolg.
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1. Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision gemäß § 115 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) sind nicht gegeben. Die Revision ist nicht wegen eines Verfahrensmangels, auf dem die Entscheidung beruhen kann (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO), zuzulassen.
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a) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) stellt es einen Verfahrensmangel i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO dar, wenn über eine zulässige Klage nicht zur Sache, sondern durch Prozessurteil entschieden wird (vgl. nur Senatsbeschluss vom 16.11.2009 – IX B 129/09, BFH/NV 2010, 451, Rz 2, m.w.N.). Wird eine Ausschlussfrist nach § 65 Abs. 2 Satz 2 FGO zur Bezeichnung des Klagebegehrens als sog. Musserfordernis einer –zulässigen– Klage (s. § 65 Abs. 1 Satz 1 FGO) zu Unrecht oder nicht wirksam gesetzt, so führt die unterbliebene Berücksichtigung des weiteren Klagevorbringens und die Abweisung der Klage als unzulässig wegen unzutreffender Anwendung des § 65 Abs. 2 Satz 2 FGO zu einer Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (vgl. nur BFH-Beschlüsse vom 17.11.2003 – XI B 213/01, BFH/NV 2004, 514, Rz 16; vom 26.03.2014 – III B 133/13, BFH/NV 2014, 894, Rz 7).
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Nach § 65 Abs. 1 Satz 1 FGO muss die Klage den Kläger, den Beklagten, den Gegenstand des Klagebegehrens, bei Anfechtungsklagen auch den Verwaltungsakt und die Entscheidung über den außergerichtlichen Rechtsbehelf bezeichnen. Entspricht die Klage diesen Anforderungen nicht, hat der Vorsitzende oder der Berichterstatter den Kläger zu der erforderlichen Ergänzung innerhalb einer bestimmten Frist aufzufordern (§ 65 Abs. 2 Satz 1 FGO). Er kann dem Kläger für die Ergänzung eine Frist mit ausschließender Wirkung setzen, wenn es an einem der in § 65 Abs. 1 Satz 1 FGO genannten Erfordernisse fehlt (§ 65 Abs. 2 Satz 2 FGO). Entspricht die eingereichte Klage den in § 65 Abs. 1 Satz 1 FGO genannten Erfordernissen, ist die gleichwohl gesetzte Ausschlussfrist unwirksam und deshalb nicht zu berücksichtigen (z.B. BFH-Beschluss in BFH/NV 2014, 894, Rz 8).
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Wie weit das Klagebegehren im Einzelnen zu substantiieren ist, hängt von den Umständen des Falles ab, insbesondere von dem Inhalt des angefochtenen Verwaltungsakts, der Steuerart und der Klageart. Entscheidend ist, ob das Gericht durch die Angaben des Klägers in die Lage versetzt wird zu erkennen, worin die den Kläger treffende Rechtsverletzung nach dessen Ansicht liegt (BFH-Beschluss vom 16.04.2007 – VII B 98/04, BFH/NV 2007, 1345, m.w.N.). Als prozessuale Willenserklärung ist die Klageschrift in gleicher Weise wie Willenserklärungen i.S. des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) analog § 133 BGB auszulegen. Dabei sind zur Bestimmung des Gegenstandes des Klagebegehrens alle dem Finanzgericht (FG) und dem Finanzamt bekannten und vernünftigerweise erkennbaren Umstände tatsächlicher und rechtlicher Art zu berücksichtigen (z.B. BFH-Urteile vom 27.06.1996 – IV R 61/95, BFH/NV 1997, 232; vom 12.05.1989 – III R 132/85, BFHE 157, 296, BStBl II 1989, 846, jeweils m.w.N.). Insoweit hat das FG hinsichtlich des Mussinhalts einer Klage insbesondere auf den Inhalt der Klageschrift und die hierin bezeichneten Bescheide und Einspruchsentscheidungen zurückzugreifen (vgl. nur BFH-Beschluss in BFH/NV 2014, 894, Rz 9).
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b) In Anwendung dieser Grundsätze hat das FG im Streitfall zu Recht ein Prozessurteil erlassen.
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aa) Das FG hat mit Verfügung vom 22.03.2018 wirksam eine Ausschlussfrist nach § 65 Abs. 2 Satz 2 FGO gesetzt. Bedenken im Hinblick auf die Einhaltung der formellen Anforderungen an die Ausschlussfrist sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Zu Recht hat der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt) in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, dass das Setzen einer Ausschlussfrist nicht die Vergabe eines neuen (selbständigen) Aktenzeichens (für die Klage wegen Einkommensteuer 2015) voraussetzt.
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Aber auch die materiellen Voraussetzungen für die qualifizierte Fristsetzung lagen vor. Insbesondere hatten die Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) den Gegenstand des Klagebegehrens i.S. des § 65 Abs. 1 Satz 1 FGO bis zum Zeitpunkt der Fristsetzung noch nicht bezeichnet. Die gesetzte Frist von einem Monat war ausreichend lang bemessen (vgl. dazu Gräber/Herbert, Finanzgerichtsordnung, 9. Aufl., § 65 Rz 60). Ermessensfehler des Gerichts sind nicht ersichtlich.
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Die Ausschlussfrist war auch nicht deshalb unwirksam, weil sie nur sieben Tage nach der Klageerhebung wegen Einkommensteuer 2015 am 15.03.2018 verfügt wurde. Denn mit § 65 Abs. 2 Satz 2 FGO wollte der Gesetzgeber den Finanzgerichten gerade ein Mittel an die Hand geben, um bereits innerhalb kurzer Frist nach Klageerhebung Klarheit über das Vorliegen der Sachentscheidungsvoraussetzungen erlangen zu können (BFH-Urteil vom 23.05.2000 – VIII R 20/99, BFH/NV 2000, 1359, unter 3.c, Rz 35; Gräber/Herbert, a.a.O., § 65 Rz 56). Der Ausschlussfrist nach § 65 Abs. 2 Satz 2 FGO muss insbesondere nicht das Setzen einer einfachen Frist nach § 65 Abs. 2 Satz 1 FGO vorausgegangen sein (BFH-Urteil vom 08.07.1998 – I R 23/97, BFHE 186, 309, BStBl II 1998, 628, unter II.2.c bb, Rz 16).
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Der Wirksamkeit der Fristsetzung steht –entgegen der Ansicht der Kläger– nicht entgegen, dass im Betreff des gerichtlichen Schreibens vom 22.03.2018 allein die Rechtssache wegen "Einkommensteuer 2004 – 2008, 2013 und 2014 und Rückforderung Arbeitnehmer-Sparzulagen 2006 und 2007" aufgeführt war und das angegebene Aktenzeichen (2 K 2646/17) dieses Verfahren betraf. Die Verfügung war gleichwohl inhaltlich hinreichend bestimmt. Aus dem Inhalt des gerichtlichen Schreibens ergab sich ohne Weiteres, dass es sich auch auf die mit klägerischem Schriftsatz vom 15.03.2018 erhobene Klage(erweiterung) wegen Einkommensteuer 2015 bezog (s. S. 2: "Mit Schreiben vom 15. März 2016 [sic!] haben Sie eine Erweiterung der Klage wegen Einkommensteuer des Jahres 2015 erklärt und dabei lediglich eine Einspruchsentscheidung vom 14. Februar 2018 erwähnt, ohne diese dem Finanzgericht vorzulegen."). Zudem wurden die Kläger auch im gerichtlichen Schreiben vom 13.04.2018 darauf hingewiesen, dass die Frage einer möglichen Abtrennung des Verfahrens wegen Einkommensteuer 2015 zunächst bis zum Ablauf der Ausschlussfrist zurückgestellt werden sollte. Vor diesem Hintergrund und im Hinblick auf den Umstand, dass die Kläger die unter dem Aktenzeichen 2 K 2646/17 erhobene Klage ausdrücklich um die Einkommensteuer 2015 "erweitern" wollten, mussten die Kläger die Ausschlussfrist auch auf die Einkommensteuer 2015 beziehen.
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bb) Gleichwohl haben die Kläger das Klagebegehren innerhalb der Ausschlussfrist nicht wirksam i.S. des § 65 Abs. 1 Satz 1 FGO bezeichnet. Durch die Angaben der Kläger ist das FG nicht in die Lage versetzt worden zu erkennen, worin die Kläger die sie treffende Rechtsverletzung gesehen haben. Dies hat die Unzulässigkeit der Klage bewirkt.
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2. Von einer weiter gehenden Begründung wird gemäß § 116 Abs. 5 Satz 2 FGO abgesehen.
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.

Quelle: bundesfinanzhof.de