|
|
|
Die Revision ist begründet. Sie führt nach § 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Stattgabe der Klage. Das FG hat zu Unrecht die dem Kläger im Streitjahr 2012 zugeflossene Entschädigung in Höhe von 62.094,88 EUR nicht als tarifbegünstigt gemäß § 34 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 i.V.m. § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG angesehen. |
|
|
1. Sind in dem zu versteuernden Einkommen außerordentliche Einkünfte enthalten, so ist nach § 34 Abs. 1 EStG die darauf entfallende Einkommensteuer nach einem ermäßigten Steuersatz zu bemessen. Nach § 34 Abs. 2 Nr. 2 EStG kommen als außerordentliche Einkünfte u.a. Entschädigungen in Betracht, die gemäß § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG als Ersatz für entgangene oder entgehende Einnahmen gewährt werden. |
|
|
a) Bei Entschädigungen wegen Körperverletzung ist zu unterscheiden zwischen Beträgen, die den Verdienstausfall ersetzen und solchen, die als Ersatz für Arzt- und Heilungskosten und die Mehraufwendungen während der Krankheit, sowie als Ausgleich für immaterielle Einbußen in Form eines Schmerzensgeldes gewährt werden. Nur soweit entgangene oder entgehende Einnahmen auf Grund der verminderten Erwerbsfähigkeit ersetzt werden, ist eine Entschädigung i.S. des § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG gegeben. |
|
|
b) Die im Wege der Auslegung nach Maßgabe der ratio legis zu konkretisierenden außerordentlichen Einkünfte i.S. des § 34 Abs. 1 und 2 EStG sind solche, deren Zufluss in einem Veranlagungszeitraum zu einer für den jeweiligen Steuerpflichtigen im Vergleich zu seiner regelmäßigen sonstigen Besteuerung einmaligen und außergewöhnlichen Progressionsbelastung führen. Diese abzumildern ist der Zweck der Billigkeitsregelung des § 34 Abs. 1 und 2 Nr. 2 EStG (vgl. ständige Rechtsprechung, z.B. Urteil des Bundesfinanzhofs –BFH– vom 8. April 2014 IX R 28/13, BFH/NV 2014, 1514, m.w.N.). Diese –veranlagungszeitraumbezogen betrachtet– begünstigende Behandlung von zusammengeballt zugeflossenen Einnahmen, deren Zufluss sich beim jeweiligen Steuerpflichtigen nach dessen regelmäßiger Einkünftesituation normalerweise auf mehrere Jahre verteilt hätte, verwirklicht –veranlagungszeitraumübergreifend betrachtet– eine gleichmäßige progressive Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit. Dementsprechend sind solche Entschädigungen als außerordentliche Einkünfte zu behandeln, deren zusammengeballter Zufluss zu einer Ausnahmesituation in der Progressionsbelastung des jeweiligen Steuerpflichtigen führt. Zwar liegt sie typischerweise nicht vor, wenn eine einheitliche Entschädigungsleistung in mehreren Veranlagungszeiträumen zufließt; es ist indes insgesamt nicht von einer einheitlichen Entschädigungszahlung auszugehen, wenn zwei Entschädigungszahlungen in aufeinanderfolgenden Veranlagungszeiträumen nicht zum Ausgleich für dasselbe Schadensereignis, etwa den Verlust eines Arbeitsplatzes, gezahlt wurden (BFH-Urteil in BFH/NV 2014, 1514, Rz 17). |
|
|
2. Da das FG-Urteil den vorgenannten Grundsätzen nicht entspricht, ist es aufzuheben. Die Sache ist spruchreif. Der Klage ist stattzugeben. Die dem Kläger im Streitjahr zusammengeballt zugeflossene Entschädigung von 65.313,87 EUR (55.313,87 EUR und 10.000 EUR), allerdings durch das Revisionsbegehren des Klägers verfahrensrechtlich gemäß § 121 Satz 1 i.V.m. § 96 Abs. 1 Satz 2 FGO der Höhe nach begrenzt auf 62.094,88 EUR, ist tarifbegünstigt i.S. des § 34 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 i.V.m. § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG zu besteuern. |
|
|
a) Die auf der neuen Rechtsgrundlage des gerichtlichen Vergleichs vom 9. Juli 2012 (vgl. § 278 Abs. 6, § 794 Abs. 1 Nr. 1 der Zivilprozessordnung) vereinnahmten Entschädigungszahlungen in Höhe von 65.313,87 EUR wurden für den Verdienstausfall des Klägers und damit als Ersatz für entgangene Einnahmen i.S. des § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG geleistet. Dies gilt auch für den bereits am 1. Februar 2012 zur Existenzsicherung des Klägers gezahlten Vorschuss in Höhe von 10.000 EUR, da der Vergleich ausdrücklich dessen Anrechnung entsprechend seiner Zweckbestimmung auf die für den Verdienstausfall auszuzahlende Entschädigungsleistung vorsieht und damit den Vorschuss bei der Berechnung des Auszahlungsbetrags berücksichtigt. Wenn der Kläger diesen Vorschuss nicht erhalten hätte, hätte die Versicherung auf der Grundlage des Vergleichs als Ausgleich für den Erwerbsschaden am 6. November 2012 eine Entschädigung in Höhe von 65.313,87 EUR ausgezahlt. Es ist zudem unerheblich, dass die Zuwendung von einem Dritten, hier der Versicherung des Unfallverursachers, geleistet wurde (z.B. BFH-Urteil vom 12. Juli 2016 IX R 33/15, BFHE 254, 568, BStBl II 2017, 158, Rz 17, m.w.N.). |
|
|
Der vom FA in der Einspruchsentscheidung vom 4. September 2014 vorgenommene Ansatz der Versicherungsleistungen als "sonstige Einkünfte" ist unzutreffend. Die Leistungen werden durch § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit gemäß §§ 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4, 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG zugewiesen, zu denen die entgangenen Einnahmen (Gehalt) im Falle ihrer Erzielung gehört hätten (siehe BFH-Urteil in BFHE 254, 568, BStBl II 2017, 158, Rz 17). |
|
|
b) Die Entschädigungszahlungen in Höhe von 65.313,87 EUR sind außerordentliche Einkünfte i.S. des § 34 Abs. 1 und 2 EStG. Denn sie flossen in dem in Rede stehenden Veranlagungszeitraum 2012 zusammengeballt zu. Anders als das FG und das FA meinen, stellt die Zahlung eines die außergewöhnliche Progressionsbelastung erhöhenden Vorschusses auf die in demselben Veranlagungszeitraum vereinnahmte Entschädigung lediglich eine die Abwicklung betreffende Zahlungsmodalität dar und ist daher für die Einbeziehung des Vorschusses in die außerordentlichen Einkünfte und die Zusammenballung unschädlich. |
|
|
Im Streitfall liegt darüber hinaus hinsichtlich der Entschädigungszahlungen im Jahr 2006 einerseits und den Entschädigungszahlungen im Streitjahr andererseits keine einheitliche Gesamtentschädigung vor, deren ratenweise Auszahlung in verschiedenen Veranlagungszeiträumen einer tarifbegünstigten Besteuerung entgegenstünde. Die im Jahr 2006 geleisteten Zahlungen standen –wovon das FG und das FA zu Recht ausgehen– nicht mit der auf der Grundlage des Vergleichs vom 9. Juli 2012 geleisteten Entschädigung im Zusammenhang. Es handelt sich vielmehr um zwei selbständig zu beurteilende Entschädigungen, die dem Kläger jeweils in einem Veranlagungszeitraum, 2006 und 2012, zusammengeballt zugeflossen sind. Im Übrigen fehlt bei einem zeitlichen Abstand zweier selbständiger Entschädigungszahlungen von sechs Jahren –wie im Streitfall– auch der für die Beurteilung der Einheitlichkeit einer Entschädigungsleistung erforderliche zeitliche Zusammenhang. |
|
|
c) Es ist zwischen den Beteiligten zu Recht unstreitig, dass die nach dem Vergleich vom 9. Juli 2012 zu verrechnende Überzahlung in Höhe von 5.500 EUR mangels Zuflusses i.S. des § 11 Abs. 1 EStG nicht im Streitjahr zu berücksichtigen ist. Die die Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit erhöhenden Leistungen der Versicherung betragen daher 66.638,38 EUR (72.138,38 EUR ./. 5.500 EUR). |
|
|
d) Der BFH darf gemäß § 121 Satz 1, § 96 Abs. 1 Satz 2 FGO nicht über das Revisionsbegehren hinausgehen. Aus dieser Beschränkung folgt, dass lediglich eine Entschädigung in Höhe von 62.094,88 EUR tarifbegünstigt i.S. des § 34 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 i.V.m. § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG zu besteuern ist. Die übrigen im Streitjahr vereinnahmten Versicherungsleistungen in Höhe von 4.543,50 EUR (66.638,38 EUR ./. 62.094,88 EUR) sind nicht ermäßigt zu besteuern. |
|
|
e) Die Ermittlung und Berechnung des festzusetzenden Einkommensteuerbetrags nach Maßgabe der Gründe –insbesondere unter Berücksichtigung der Vorgaben unter II.2.a, c und d– dieser Entscheidung wird dem FA übertragen (§ 100 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. § 121 Satz 1 FGO). |
|
|
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. |
|