BFH-Urteil vom 9.8.1990 (V R 134/85) BStBl. 1990 II S. 1098

BFH-Urteil vom 9.8.1990 (V R 134/85) BStBl. 1990 II S. 1098

Gibt der Käufer anstelle der Zahlung des Kaufpreises erfüllungshalber einen Wechsel hin, den der Verkäufer diskontieren läßt, und löst der Käufer als Bezogener diesen Wechsel bei Fälligkeit mit Mitteln ein, die er aus der Diskontierung eines weiteren (Akzeptanten-)Wechsels erhält, so tritt bei Inanspruchnahme des Verkäufers (Aussteller) aus dem Wechsel Uneinbringlichkeit des vereinbarten Entgelts ein, wenn die Beteiligten vereinbart hatten, daß die Kaufpreisforderung erst bei Einlösung des Akzeptantenwechsels durch den Käufer erlöschen sollte.

UStG 1980 § 17 Abs. 2 Nr. 1.

Vorinstanz: FG Rheinland-Pfalz (EFG 1986, 47)

Sachverhalt

I.

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) stellte der W-GmbH (GmbH) in der Zeit vom Dezember 1979 bis Oktober 1980 mehrere Weinlieferungen in Rechnung. Über die Rechnungsbeträge zog der Kläger (als Aussteller) jeweils Wechsel auf die GmbH, die diese akzeptierte und die der Kläger bei seiner Bank diskontieren ließ. Bei Fälligkeit stellte der Kläger Prolongationswechsel aus, die die GmbH als Bezogene annahm. Einen Teil dieser Prolongationswechsel gab der Kläger zum Diskont und stellte den Erlös per Scheck der GmbH für die Bezahlung der Erstwechsel zur Verfügung. Einen anderen Teil der Prolongationswechsel ließ die GmbH bei ihrer Bank diskontieren (Akzepantenwechsel) und löste mit diesen Mitteln die Erstwechsel ein. Die Prolongationswechsel beliefen sich jeweils auf einen Teilbetrag der vorhergehenden Wechsel; den restlichen Betrag brachte die GmbH aus eigenen Mitteln auf. In einzelnen Prolongationswechseln wurden Teilbeträge aus mehreren vorhergehenden Wechseln zusammengefaßt. In der beschriebenen Weise wurden mehrfach hintereinander Prolongationswechsel ausgestellt. Im Jahre 1981 waren zwei Prolongationswechsel über 96.495,76 DM und 49.477,17 DM fällig, die die GmbH wegen Konkurses nicht mehr einlöste. Diese Wechsel hatte die GmbH zum Diskont gegeben. Die diskontierende Bank nahm den Kläger als Aussteller der beiden Wechsel in Anspruch.

Der Kläger ging in seiner Umsatzsteuererklärung für 1981 davon aus, das vereinbarte Entgelt für die in den Jahren 1979 und 1980 der Umsatzsteuer unterworfenen Weinlieferungen sei in Höhe der beiden Wechselsummen im Jahre 1981 uneinbringlich geworden. Er kürzte die Umsatzsteuer entsprechend. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt – FA -) folgte dem nicht (Umsatzsteuerbescheid vom 14. September 1984); der Einspruch blieb erfolglos.

Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt (Entscheidungen der Finanzgerichte – EFG – 1986, 47). Mit der Revision rügt das FA Verletzung formellen und materiellen Rechts. Hierzu führt es aus: Das vereinbarte Entgelt habe nicht mehr uneinbringlich werden können. Denn durch die Einlösung der Wechsel sei die Kaufpreisforderung des Klägers erloschen, obwohl für ihn die Gefahr der Inanspruchnahme als Wechselschuldner fortbestanden habe. Die am Ende der Prolongationskette stehende Diskontierung der Wechsel durch die GmbH als Bezogene sei von dem Lieferungsvorgang gelöst und als Kreditgewährung ein neuer und selbständig zu beurteilender Vorgang. In formeller Hinsicht rügt das FA mangelnde Sachaufklärung.

Das FA beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist unbegründet. Sie war deshalb zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung – FGO -). Das FG ist zu Recht zu dem Ergebnis gelangt, das für die Weinlieferungen vereinbarte Entgelt sei in der vom Kläger geltend gemachten Höhe uneinbringlich geworden.

1. Gemäß § 17 Abs. 1 Nr. 1 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) 1980 hat der Unternehmer bei Änderung der Bemessungsgrundlage den für einen Umsatz geschuldeten Steuerbetrag zu berichtigen. Gemäß Abs. 2 Nr. 1 der genannten Vorschrift gilt dies entsprechend, wenn das vereinbarte Entgelt für eine steuerpflichtige Lieferung uneinbringlich geworden ist. Umsätze sollen nur mit derjenigen Bemessungsgrundlage besteuert werden, die sich aufgrund der letztendlich vereinnahmten Gegenleistung ergibt (Beschluß des Bundesfinanzhofs – BFH – vom 10. März 1983 V B 46/80, BFHE 138, 107, BStBl II 1983, 389 unter 3. m. w. N.).

Entgelt ist gemäß § 10 Abs. 1 Satz 2 UStG 1980 alles, was der Leistungsempfänger aufwendet, um die Leistung zu erhalten. Vereinbartes Entgelt ist demnach dasjenige, was der Leistungsempfänger nach dem Willen der Beteiligten aufwenden soll. Die Vereinbarung über das Entgelt ergibt sich im allgemeinen aus den dem Leistungsaustausch zugrunde liegenden zivilrechtlichen Rechtsbeziehungen. Uneinbringlichkeit des vereinbarten Entgelts setzt begrifflich voraus, daß der Leistende dasjenige, was der Leistungsempfänger aufwenden soll, noch nicht oder nicht vollständig erhalten hat.

2. Im Streitfall hat die GmbH das vereinbarte Entgelt in Höhe der Wechselsummen nicht erbracht; hierzu wäre erforderlich gewesen, daß der Kläger die wirtschaftliche Verfügung über einen Geldbetrag in Höhe der Wechseleinnahmen endgültig erhalten hätte.

a) Der Kläger hatte mit der GmbH Kaufverträge geschlossen, die die GmbH zur Zahlung der Kaufpreise verpflichteten (§ 433 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches – BGB -). Nach den weiteren Vereinbarungen durfte die GmbH anstelle der Zahlung des Kaufpreises einen Wechsel hingeben. Gemäß dem mutmaßlichen Willen der Vertragsparteien und dem Rechtsgedanken des § 364 Abs. 2 BGB erfolgte diese Leistung erfüllungshalber. Die Erfüllung einer Kaufpreisforderung tritt in diesem Fall erst ein, wenn sich der Gläubiger aus dem Geleisteten befriedigt hat. Hierfür reichen Annahme und Diskontierung des Wechsels durch den Gläubiger nicht aus. Die Bank kreditiert dem Diskontanten die noch nicht fällige Forderung aus dem Wechsel. Damit erhält der Diskontant zwar die wirtschaftliche Verfügungsmacht hinsichtlich der Wechselsumme (vgl. BFH-Urteil vom 5. Mai 1971 I R 166/69, BFHE 102, 275, BStBl II 1971, 624, zum Zufluß); erfüllt ist der Kaufpreisanspruch jedoch grundsätzlich erst mit der Einlösung des Wechsels durch den Käufer. Denn die Abrede über die Hingabe und Annahme des Wechsels als Leistung erfüllungshalber ist dahin auszulegen, daß die Erfüllung eintreten soll, wenn der Gläubiger das im Wege der Diskontierung erhaltene Geld endgültig behalten darf und keinem Regreßanspruch als Aussteller des Wechsels (Art. 9 Abs. 1 des Wechselgesetzes – WG -) mehr ausgesetzt ist. Mit der Einlösung des Wechsels erlischt demnach nicht nur die Wechselforderung, sondern grundsätzlich auch die Kausalforderung, z.B. die Forderung auf Zahlung des Kaufpreises. Das gilt auch bei Zahlung an die Bank, die den Wechsel vom Verkäufer zum Diskont genommen hat. Selbst wenn in diesem Fall die Kaufpreisforderung nicht nach den allgemeinen Geschäftsbedingungen der Bank auf diese überging, wäre anzunehmen, der Inhaber des Wechsels habe durch dessen Indossierung und Weitergabe dem Käufer (Bezogener) die Anweisung zur Zahlung an den Nachmann (Bank) erteilt, die sich nach Sinn und Zweck der Abrede über die Annahme des Wechsels erfüllungshalber grundsätzlich auch auf die Kausalforderung bezieht (Canaris in HGB-Großkommentar, Bankvertragsrecht, 2. Bearbeitung 1981, Rdnr. 1.571; vgl. auch Heinrichs in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 2. Aufl., § 364 Rdnr. 14; Baumbach/Hefermehl, Wechselgesetz und Scheckgesetz, 16. Aufl., Einleitung WG, Rdnr. 42).

b) Die vom Kläger ausgestellten und von der GmbH akzeptierten Wechsel sind mehrfach durch Wechsel, die den Erstwechseln entsprachen, aber einen anderen Verfalltag enthielten, prolongiert worden. Diesen Prolongationen lagen entsprechende Vereinbarungen des Klägers mit der GmbH zugrunde. Der Inhalt der Vereinbarungen ist durch Auslegung zu ermitteln. Ebenso wie bei der Hingabe der Erstwechsel ergibt die Auslegung gemäß dem mutmaßlichen Parteiwillen unter Berücksichtigung des Rechtsgedankens aus § 364 Abs. 2 BGB, daß die Ablösung der Erstwechsel mit Mitteln aus der Diskontierung der Prolongationswechsel die Kaufpreisforderung des Klägers nicht zum Erlöschen bringen sollte (vgl. Canaris, a.a.O., Rdnr. 1.577). Die Interessenlage des Klägers und der GmbH entspricht der Interessenlage bei Hingabe des Erstwechsels. Es ist kein Anlaß ersichtlich, warum der Kläger bei Ersetzung eines Wechsels durch einen anderen das Erlöschen seiner Kaufpreisforderung ohne Rücksicht auf seine fortbestehende Haftung als Aussteller des Prolongationswechsels hätte hinnehmen sollen.

Dies gilt unabhängig von der bei der Prolongation vom Kläger und der GmbH eingeschlagenen Verfahrensweise. Alle Prolongationswechsel waren vom Kläger ausgestellt und von der GmbH akzeptiert worden. Es macht keinen Unterschied, ob der Kläger den Prolongationswechsel zum Diskont gab und den Erlös der GmbH zur Bezahlung des vorhergehenden Wechsels zur Verfügung stellte oder ob die GmbH den Prolongationswechsel bei ihrer Bank diskontieren ließ (Akzeptantenwechsel) und mit den daraus erlangten Mitteln den vorhergehenden Wechsel ablöste. Der Akzeptantenwechsel unterscheidet sich in Form und Inhalt nicht vom sonstigen vollgültigen Wechsel. Seine Besonderheit liegt darin, daß er nicht vom Aussteller/Wechselnehmer, sondern vom Akzeptanten auf eigene Rechnung zur Diskontierung bei seiner Bank eingereicht wird (Ulmer/Heinrich, Der Betrieb – DB – 1972, 1.101; vgl. BFH-Urteil vom 22. Juni 1965 I 202/64 U, BFHE 82, 657, BStBl III 1965, 484). Für die Frage nach dem Inhalt der Erfüllungsabrede zwischen Verkäufer und Käufer ist dies ohne Bedeutung.

c) Der Senat weicht nicht von der Rechtsprechung der Zivilgerichte zum Akzeptantenwechselverfahren ab. In diesem Verfahren bezahlt der Käufer den Kaufpreis bar, durch Scheck oder Überweisung und verschafft sich die Mittel hierfür durch Diskontierung eines vom Verkäufer ausgestellten und von ihm akzeptierten Wechsels. Nach der Ansicht des Bundesgerichtshofs – BGH – (Urteil vom 26. Februar 1986 VIII ZR 28/85, BGHZ 97, 197) erlischt die Kaufpreisforderung mit der vertragsgemäßen Zahlung des Käufers. Seine Auffassung stützt der BGH auf die Erwägung, daß die Zahlung durch den Käufer dessen primäre Leistungspflicht darstelle und – allenfalls – nur bei abweichender Parteivereinbarung als erfüllungshalber geleistete Zahlung beurteilt werden könne. Die auf die Durchführung des Akzeptantenwechselverfahrens abzielenden Erklärungen von Verkäufer und Käufer ergäben angesichts des Interessengegensatzes bezüglich des Erlöschens des Eigentumsvorbehalts keine genügenden Anhaltspunkte für eine abweichende Vereinbarung.

Die Rechtsauffassung des BGH betrifft nicht den vorliegenden Streitfall, weil sie sich auf einen anderen Sachverhalt bezieht: Während im Urteilsfall des BGH der Käufer den Kaufpreis unmittelbar an den Verkäufer gezahlt hatte, hat die GmbH die Kaufpreise zu keiner Zeit direkt an den Kläger gezahlt; die Mittel, die der Kläger erhalten hat, sind ihm stets aus der Diskontierung der Erstwechsel zugeflossen. Die GmbH hat auf Anweisung des Klägers bei Fälligkeit der Erstwechsel an die Bank gezahlt, die die Wechsel diskontiert hatte. Diese Gestaltung führt zu einer anderen rechtlichen Beurteilung als in der BGH-Entscheidung. Denn es bestand – wie oben unter II. 2. a) ausgeführt – zwischen dem Kläger und der GmbH eine Vereinbarung, wonach die Erstwechsel erfüllungshalber hingegeben werden sollten und die Kaufpreisforderung erst bei Einlösung der Wechsel erlöschen sollte. Diese Vereinbarung ist bei den Prolongationen auf die Prolongationswechsel übertragen worden (oben II. 2. b).

3. Das von der GmbH nicht (vollständig) erbrachte Entgelt ist uneinbringlich geworden. Entgegen der Ansicht des FA stehen die nicht eingelösten Akzeptantenwechsel in unmittelbarer Beziehung zu dem vorausgegangenen Kaufvertrag. Durch Rückverfolgung der jeweils ersetzten Wechsel kann – von den beiden nicht eingelösten Akzeptantenwechseln ausgehend – ermittelt werden, welche Kaufpreisforderung mit welchem Anteil nicht erfüllt worden ist. Der Umstand, daß diese Ermittlungen ggf. schwierig sind, läßt den Zusammenhang der Kaufpreisforderung mit den Wechseln nicht entfallen.

4. Die vom FA erhobene Rüge mangelnder Sachaufklärung greift nicht durch. Das FG hat seine Auffassung, die Prolongation durch Akzeptantenwechsel habe nicht zum Erlöschen der Kaufpreisforderung geführt, auf die „Überzeugung der Handelskreise“ und auf die diesbezüglich eigene Sachkunde des Gerichts gestützt. Das FA meint, das FG habe sich damit nicht begnügen dürfen, sondern hätte zu diesem Punkt weitere Feststellungen hinsichtlich der zwischen dem Kläger und der GmbH bei den Prolongationen getroffenen Vereinbarungen treffen müssen. Der Senat kann die Frage, ob ein Verfahrensfehler vorliegt, offenlassen. Gemäß § 126 Abs. 4 FGO ist die Revision auch dann zurückzuweisen, wenn die Entscheidungsgründe zwar eine Verletzung des bestehenden Rechts ergeben, die Entscheidung sich aber aus anderen Gründen als richtig darstellt. Diese Vorschrift ist auch anzuwenden, wenn das FG-Urteil wegen eines Verfahrensfehlers mangelhaft ist, sich aber mit anderer, von dem Verfahrensmangel unabhängiger Begründung rechtfertigen läßt (Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 2. Aufl., § 126 Rz. 7, mit weiteren Nachweisen zur Rechtsprechung). Wie sich aus den Ausführungen zu II. 2. ergibt, ist das FG-Urteil im Ergebnis zutreffend, ohne daß es auf die Frage nach der „Überzeugung der Handelskreise“ ankommt. Falls das FG auf der Basis seiner Rechtsauffassung verfahrensfehlerhaft die Sachaufklärung zu diesem Punkt unterlassen hätte, wäre die Revision gemäß § 126 Abs. 4 FGO zurückgewiesen worden.


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